Fünf falsche Fährten - Dorothy L. Sayers - E-Book

Fünf falsche Fährten E-Book

Dorothy L. Sayers

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Lord Peter Wimsey: sechs Verdächtige – fünf falsche Fährten Eigentlich hatte sich Lord Peter Wimsey auf einen geruhsamen Urlaub in schönen schottischen Gefilden gefreut. Er wollte fischen und die gelegentliche Partie Golf spielen. Doch dann wird ein Künstler in der Malerkolonie, in der Lord Peter Herberge fand, tot aufgefunden. Das Opfer hatte sich bei allen anderen Künstlern unbeliebt gemacht. Alle sechs Verdächtigen haben ein Motiv, aber nur einer kann es gewesen sein. The Queen of Crime: Dorothy L. Sayers

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 557

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dorothy L. Sayers

Fünf falsche Fährten

Ein Fall für Lord Peter Wimsey

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Otto Bayer

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Lord Peter Wimsey: sechs Verdächtige – fünf falsche Fährten

 

Eigentlich hatte sich Lord Peter Wimsey auf einen geruhsamen Urlaub in schönen schottischen Gefilden gefreut. Er wollte fischen und die gelegentliche Partie Golf spielen. Doch dann wird ein Künstler in der Malerkolonie, in der Lord Peter Herberge fand, tot aufgefunden. Das Opfer hatte sich bei allen anderen Künstlern unbeliebt gemacht. Alle sechs Verdächtigen haben ein Motiv, aber nur einer kann es gewesen sein.

 

The Queen of Crime: Dorothy L. Sayers

Über Dorothy L. Sayers

Dorothy L. Sayers, Jahrgang 1893, legte als eine der ersten Frauen an der Universität ihres Geburtsortes Oxford ihr Examen ab. Mit ihren mehr als zwanzig Detektivromanen schrieb sie Literaturgeschichte, sie gehört neben Agatha Christie und P.D. James zur Trias der großen englischen «Ladies of Crime». Schon in ihrem 1923 erschienenen Erstling «Ein Toter zu wenig» führte sie die Figur des eleganten, finanziell unabhängigen Lord Peter Wimsey ein, der aus moralischen Motiven Verbrechen aufklärt. Dieser äußerst scharfsinnige Amateurdetektiv avancierte zu einem der populärsten Krimihelden des zwanzigsten Jahrhunderts.

Bevor sie die Übersetzung von Dantes «Göttlicher Komödie» vollenden konnte, starb die Autorin 1957 in Witham/Essex.

 

«Sayers ist eine der besten Krimiautorinnen überhaupt.» (Daily Telegraph)

Inhaltsübersicht

Für meinen Freund ...Lieber Joe, ...CampbellCampbell †FergusonStrachanWatersFarrenGrahamGowanMrs. McLeodSergeant DalzielInspektor MacPhersonÀ la FergusonLord Peter WimseyKonstabler RossBunterChefinspektor ParkerLord Peter WimseyMrs. Smith-LemesurierÀ la WatersÀ la FarrenÀ la StrachanÀ la GrahamÀ la GowanFarren – Ferguson – StrachanGraham – Gowan – WatersDer MörderLord Peter WimseyLord Peter WimseyLord Peter WimseyKarte

Für meinen Freund Joe Dignam, der Wirte allergütigsten

Lieber Joe,

hier ist nun endlich Ihr Buch über Gatehouse und Kirkcudbright. Alle Orte sind wirkliche Orte und alle Eisenbahnen wirkliche Eisenbahnen, auch alle Landschaften sind echt, nur daß ich da und dort ein paar neue Häuser habe entstehen lassen. Aber Sie wissen besser als jeder andere, daß die Personen der Handlung keiner wirklichen Person im entferntesten ähneln und kein Künstler in ganz Galloway auch nur auf den Gedanken käme, sich zu betrinken oder seiner Frau davonzulaufen, oder einem Mitbürger den Schädel einzuschlagen. Das alles ist des Spaßes und der Spannung wegen frei erfunden.

Sollte ich nun zufällig einem üblen Charakter den Namen einer lebenden Person gegeben haben, so bitten Sie den Betroffenen in meinem Namen um Entschuldigung und versichern Sie ihm, daß solches nie meine Absicht war. Auch Bösewichter müssen nun einmal irgendwie heißen. Und bestellen Sie Herrn Oberbürgermeister Laurie, ich hätte zwar die Geschichte in der Zeit der Gaslaternen angesiedelt, wisse aber sehr wohl, daß man jetzt auch in Gatehouse mein Buch im Schein elektrischer Lampen lesen kann.

Und wenn Sie Mr. Millar vom Ellangowan Hotel oder den Stationsvorsteher von Gatehouse oder den Schalterbeamten von Kirkcudbright oder sonst einen der hundertundeins netten Menschen sehen, die mir so geduldig Auskunft über Eisenbahnfahrkarten und Omnibusverbindungen und die alten Bergwerke in Creetown gegeben haben, danken Sie ihnen in meinem Namen für die freundliche Hilfe und sagen Sie ihnen, daß ich mich nochmals für die viele Mühe entschuldige, die ich ihnen gemacht habe.

Grüßen Sie alle von mir, nicht zu vergessen Felix, und bestellen Sie Mrs. Dignam, daß wir nächsten Sommer wiederkommen und im Anwoth mehr von ihren Kartoffelplätzchen essen möchten.

Dorothy L. Sayers

Campbell

Wer in Galloway wohnt, der fischt oder malt. «Oder» ist vielleicht irreführend, denn die meisten Maler sind auch Fischer in ihrer Freizeit. Keines von beiden zu sein gilt als sonderlich, fast exzentrisch. Fisch ist Gesprächsthema Nummer eins in Kneipe und Postamt, an Tankstellen und Straßenecken und für jedermann, ob er mit drei Hardy-Ruten im Rolls-Royce ankommt oder ob er ein Leben neugieriger Beschaulichkeit führt und die Lachsnetze am Dee beobachtet. Das Wetter, in anderen Teilen des Königreichs mit den Augen des Bauern, Gärtners oder Wochenendurlaubers betrachtet, wird in Galloway an den Maßstäben Fisch und Farbe gemessen. Der Fischer-Maler schneidet nun, was das Wetter angeht, am besten ab, denn ist es den Forellen zu hell, so übergießt es seine Berge und Seen mit leuchtenden Farben; der Regen, der ihn vom Bildermalen abhält, füllt Bäche und Schleusen mit Wasser und schickt ihn hoffnungsvoll mit Rute und Reuse ins Revier; an kalten Tagen aber, wenn weder Purpur auf den Bergen liegt noch Fliegen überm Wasser schweben, geht er in eine gemütliche Kneipe, um mit Gleichgesinnten Informationen über Purpurrots und Märzfliegen zu tauschen oder sich in der hohen Kunst des Seidendarmknüpfens zu üben.

Künstlerischer Mittelpunkt von Galloway ist Kirkcudbright; dort formen die Künstler ein weitgestreutes Sternbild mit Kern in der High Street, dieweil die äußeren Sterne in abgelegenen Berghütten flimmern und ihr Licht bis nach Gatehouse-of-Fleet ausstrahlen. Da gibt es große, imposante Ateliers mit hohen, getäfelten Wänden in festen Steinhäusern voll blitzendem Messing und poliertem Eichenholz. Da gibt es Alltagsstudios – mehr sommerliche Hochsitze als feste Behausungen –, wo das ganze künstlerische Inventar aus einem guten Nordlicht und einem Sammelsurium von Pinseln und Leinwandstücken besteht. Da gibt es gemütliche kleine Malstübchen mit blauen und roten und gelben Vorhängen und allerlei Töpfchen und Schälchen, irgendwo versteckt in einem kleinen Anwesen mit Garten, wo aus dem fruchtbaren, freundlichen Boden altmodische Blumen üppig sprießen. Dann gibt es wieder Ateliers, die nichts als Scheunen sind, schön dank ihrer großzügigen Proportionen und der hohen Balkondecken und wohnlich gemacht durch einen beigestellten Kachelofen nebst Gasbrenner. Es wohnen dort Maler, die große Familien haben und sich livrierte Domestiken halten; Maler, die in möblierten Zimmern hausen und sich von Wirtinnen verwöhnen lassen; Maler, die zu zweit oder allein wohnen und eine Zugehfrau beschäftigen; Maler, die ein Eremitendasein fristen und für ihr leibliches Wohl allein sorgen. Da gibt es Ölmaler, Aquarellmaler, Pastellmaler, Radierer, Illustratoren und Bronzegießer; Künstler jeglicher Provenienz, die nur das eine gemeinsam haben – daß sie ihre Arbeit ernst nehmen und für Amateure nichts übrig haben.

In dieser fischenden, malenden Gemeinde hatte Lord Peter Wimsey freundliche, geradezu liebevolle Aufnahme gefunden. Er warf eine anständige Angel und gab nicht vor, malen zu können, so daß er, wiewohl Engländer und ein «Reingeschmeckter», nirgends aneckte. Der Engländer ist in Schottland wohlgelitten, solange er nicht versucht, sich wichtig zu machen, und von dieser typisch englischen Untugend war Lord Peter löblicherweise völlig frei. Zwar war seine Aussprache affektiert und sein Betragen oft höchst würdelos, doch man hatte ihn über manche Saison hinweg gewogen und für harmlos befunden, und wenn er nun wieder einmal etwas gar zu Befremdliches tat, ging man achselzuckend mit einem nachsichtigen «Mein Gott, es ist ja nur Seine Lordschaft» darüber hinweg.

Wimsey saß an dem Abend, als der unselige Streit zwischen Campbell und Waters ausbrach, in der Bar der McClellan Arms. Campbell, ein Landschaftsmaler, hatte sich vielleicht ein paar Kurze mehr als unbedingt nötig hinter die Binde gegossen, mehr jedenfalls, als einem Rothaarigen guttaten, und das hatte zur Folge, daß er sein militantes Schottentum noch mehr herauskehrte als sonst. So erging er sich nun in einer langen Lobeshymne auf die Heldentaten der «Jocks» im Großen Krieg, die er nur einmal kurz unterbrach, um Waters in Klammern sozusagen mitzuteilen, daß alle Engländer von Bastardgeblüt und nicht einmal imstande seien, ihre eigene dämliche Sprache richtig auszusprechen.

Waters war Engländer aus echtem Schrot und Korn und, wie alle Engländer, durchaus bereit, alle Ausländer außer Welschen und Niggern zu bewundern und zu preisen, doch wie alle Engländer hörte er nicht gern ihr Eigenlob. Laut in aller Öffentlichkeit mit seinem Land anzugeben, fand er ungehörig – wie wenn sich einer im Rauchsalon über die körperlichen Vorzüge seiner eigenen Frau ausließ. Er hörte mit jenem nachsichtigen, versteinerten Lächeln zu, das Fremde meist – und völlig zu Recht – als Zeichen unerschütterlicher Selbstzufriedenheit deuten, die es nicht einmal für nötig hält, sich selbst zu rechtfertigen.

Campbell wies darauf hin, daß in London alle wichtigen Ämter von Schotten besetzt seien, daß es England nie gelungen sei, Schottland zu unterwerfen, und wenn Schottland seine Unabhängigkeit wünsche, dann werde es sie sich weiß Gott nehmen, und wenn gewisse englische Regimenter aus den Fugen gegangen seien, habe man nach schottischen Offizieren rufen müssen, um sie wieder auf Vordermann zu bringen, und wenn mal eine Einheit irgendwo an der Front in die Klemme geraten sei, habe das Wissen, die Jocks an ihrer linken Flanke zu haben, ihr sofort wieder Mut gegeben. «Frag nur mal einen, der im Krieg war, mein Junge», endete er, sich somit gegenüber Waters, der erst nach Kriegsende ins wehrfähige Alter gekommen war, unfair in Vorteil bringend, «und er wird dir schon sagen, was sie von den Jocks gehalten haben.»

«Ich weiß», antwortete Waters mit niederträchtigem Grinsen. «Ich kenne den Spruch, den sie auf die Schotten gemacht haben: ‹Sie machen soviel Wind …›»

Da er von Natur aus höflich und zudem in der Minderheit war, sparte er sich die zweite Hälft dieses anzüglichen Spruchs, aber die konnte Campbell auch selbst ergänzen. Seine wütende Entgegnung enthielt ebenso viele nationale wie persönliche Schmähungen.

«Das Schlimmste an euch Schotten», sagte Waters, als Campbell einmal Luft holen mußte, «ist euer Minderwertigkeitskomplex.»

Er leerte gleichmütig sein Glas und lächelte Wimsey an.

Wahrscheinlich war es noch mehr dieses Lächeln als der Hohn, was Campbells Faß zum Überlaufen brachte. Er gebrauchte zuerst ein paar kurze, überaus bedauerliche Ausdrücke, dann beförderte er den Inhalt seines noch mehr als halbvollen Glases in Waters’ Gesicht.

«Aber nicht doch, Mr. Campbell!» protestierte Wullie Murdoch, der solches in seiner Bar nicht gerne sah.

Aber inzwischen ließ Waters noch Betrüblicheres von sich hören als Campbell, während sich beide in Glasscherben und Sägemehl wälzten.

«Dafür breche ich dir dein wertes Genick», zischte er wütend, «du dreckiger Schottenlümmel.»

«Heda, aufhören, Waters», sagte Wimsey, indem er ihn beim Kragen packte. «Seien Sie doch nicht kindisch. Der Mann ist betrunken.»

«Los, Mann, komm weg da», sagte McAdam, der Fischer, indem er Campbell mit seinen kräftigen Armen umspannte. «Das ist doch kein Benehmen. Sei still.»

Die Kämpfer ließen keuchend voneinander ab.

«So geht das nicht», sagte Wimsey. «Wir sind hier nicht im Völkerbund. Sie sollten sich was schämen, alle beide. Haben Sie doch ein bißchen Verstand.»

«Nennt der Kerl mich einen –» knurrte Waters, während er sich den Whisky aus dem Gesicht wischte. «Das laß ich mir doch nicht bieten. Er soll mir nur ja demnächst aus dem Weg gehen.» Und er funkelte Campbell wütend an.

«Du findest mich schon, wenn du mich suchst», gab Campbell zurück. «Ich lauf nicht weg!»

«Aber, aber, meine Herren», flehte Murdoch.

«Kommt hierher mit seinem hämischen Grinsen …» schimpfte Campbell.

«Na ja, Mr. Campbell», sagte der Wirt, «Sie hätten aber auch nicht so was zu ihm sagen sollen.»

«Zu dem sag ich, was ich will», begehrte Campbell auf.

«Aber nicht in meiner Bar», erwiderte Murdoch fest.

«Ich sag ihm das in jeder Bar, wenn ich will», sagte Campbell, «und ich sag’s gleich noch einmal – er ist ein –»

«Ruhe!» befahl McAdam. «Morgen tut’s dir leid. Komm jetzt mit – ich fahre dich heim nach Gatehouse.»

«Scher du dich zum Teufel», sagte Campbell. «Ich hab selbst ein Auto und kann auch damit fahren. Und von der ganzen verfluchten Bande hier will ich nie mehr einen sehen.»

Er stürmte hinaus, und es war eine Weile still.

«Ach ja», seufzte Wimsey.

«Ich glaube, ich mach mich auch lieber davon», meinte Waters mürrisch.

Wimsey und McAdam wechselten einen Blick.

«Bleiben Sie doch noch was», meinte letzterer. «So eilig haben Sie es sicher nicht. Campbell ist ein Hitzkopf, und wenn er ein paar zuviel im Leib hat, sagt er Sachen, die er gar nicht so meint.»

«Rrrichtig», sagte Murdoch, «aber er hatte kein Rrrecht, Mr. Waters solche Sachen an den Kopf zu werfen, überhaupt kein Rrrecht. Eine Schande ist das – eine rrrichtige Schande.»

«Tut mir leid, wenn ich was gegen die Schotten gesagt habe», meinte Waters. «Das wollte ich nicht, aber ich kann den Burschen nun mal um alles in der Welt nicht ausstehen.»

«Ach ja, ist schon rrrecht», sagte McAdam. «Sie haben’s ja nicht bös gemeint, Mr. Waters. Was möchten Sie trinken?»

«Einen doppelten Scotch», antwortete Waters mit reichlich beschämtem Grinsen.

«So ist’s richtig», sagte Wimsey. «Ersäufe den Kummer im Weine des Landes.»

Ein Mann mit Namen McGeoch, der sich aus dem Tumult herausgehalten hatte, erhob sich jetzt und kam an die Bar.

«Noch ein Worthington», sagte er knapp. «Wenn dieser Campbell demnächst mal Ärger kriegt, soll’s mich nicht wundern. Wie der sich benimmt, das geht auf keine Kuhhaut mehr. Haben Sie gehört, was er neulich auf der Golfbahn zu Strachan gesagt hat? Spielt sich auf, als wenn ihm das Ganze gehörte. Strachan hat gesagt, er dreht ihm den Hals um, wenn er ihn noch einmal auf dem Golfgelände antrifft.»

Die anderen nickten stumm. Der Krach zwischen Campbell und dem Vorsitzenden des Golfclubs von Gatehouse war mittlerweile schon Ortsgeschichte.

«Und ich könnte es Strachan nicht mal verdenken», fuhr McGeoch fort. «Wohnt dieser Campbell erst die zweite Saison in Gatehouse und muß sich schon mit aller Welt in den Haaren liegen. Ein Satan, wenn er betrunken ist, und ein Flegel, wenn er nüchtern ist. Eine Schande ist das. Unsere kleine Künstlergemeinde ist immer so friedlich miteinander ausgekommen, nie hat einer dem andern was Böses getan. Und heutzutage nichts als Zank und Streit, alles wegen diesem Campbell.»

«Ach ja», sagte Murdoch, «er wird mit der Zeit schon etwas rrruhiger werden. Der Mann ist nicht von hier und kennt Land und Leute nicht so gut. Außerdem ist er bei seinem ganzen Getue überhaupt kein Schotte, denn jeder weiß, daß er aus Glasgow kommt und seine Mutter aus Ulster ist, Flanagan hieß sie.»

«Das sind immer die, die am lautesten schreien», fand Murray, der Bankier, der aus Kirkwall stammte und eine tiefe und nicht immer nur stumme Verachtung für jeden hegte, der südlich von Wick geboren war. «Aber am besten beachtet man ihn gar nicht. Wenn er eines Tages mal kriegt, was er verdient, dann glaub ich nicht, daß es einer von uns hier sein wird.»

Er nickte bedeutungsvoll.

«Denken Sie vielleicht an Hugh Farren?» riet McAdam.

«Ich will keine Namen nennen», sagte Murray, «aber es ist ja bekannt, daß er sich wegen einer gewissen Dame Ärger an den Hals geholt hat.»

«Dafür kann die Dame nichts», erklärte McGeoch im Brustton der Überzeugung.

«Das hab ich ja nicht gesagt. Aber manch einer bringt sich in Schwierigkeiten, ohne daß ihm andere noch dabei helfen.»

«Ich hätte mir Campbell nie in der Rolle eines Ehebrechers vorgestellt», meinte Wimsey liebenswürdig.

«Vorstellen möcht ich mir den überhaupt nicht», grollte Waters, «aber er selbst kommt sich als Gott weiß was vor, und eines schönen Tages –»

«Langsam, langsam», unterbrach ihn Murdoch rasch. «Es stimmt ja, Campbell ist nicht gerade der beliebteste, aber am besten hält man einfach die Ohren steif und kümmert sich nicht um ihn.»

«Leicht gesagt», fand Waters.

«Und hat er nicht auch mal irgendwo Krach wegen der Angelei gekriegt?» unterbrach Wimsey. Wenn sie schon von Campbell reden mußten, sollten sie doch um jeden Preis Waters heraushalten.

«Ach ja», sagte McAdam. «Deswegen sind doch er und Mr. Jock Graham wie Hund und Katze. Mr. Graham angelt immer in dem Teich unter Campbells Haus. Gäb ja genug Teiche im Fleet, ohne daß man Campbell belästigen müßte, wenn doch der Mann nur endlich mal Frieden gäbe. Aber der Teich gehört ihm nun mal nicht, auch wenn er so tut als ob – die Flüsse sind frei –, und da kann man nun von Mr. Graham nicht verlangen, daß er auf Campbells Wünsche Rücksicht nimmt, wo er doch selbst nie auf einen anderen Rücksicht nimmt.»

«Besonders nachdem Campbell versucht hat, ihn in den Fleet zu tauchen», sagte McGeoch.

«Donnerwetter! Hat er das?» fragte Wimsey interessiert.

«Hat er, aber dabei hat er selber den Kopf gewaschen gekriegt», sagte Murdoch, noch jetzt die Erinnerung genießend. «Und seitdem fischt Graham dort jeden Abend, mit noch einem oder zwei von den anderen. Heute abend ist er auch wieder da, das möcht ich wetten.»

«Dann weiß ja Campbell, wo er sein Mütchen kühlen kann, wenn ihm danach ist», sagte Wimsey. «Kommen Sie, Waters, wir sollten uns verdrücken.»

Waters erhob sich, immer noch mürrisch, und folgte ihm hinaus. Wimsey bugsierte ihn fröhlich plaudernd zu seinem Domizil und brachte ihn zu Bett.

«Und über Campbell würde ich mich nicht so aufregen», unterbrach er Waters’ Gebrummel. «Das ist er gar nicht wert. Gehen Sie jetzt schlafen und denken Sie nicht mehr daran, sonst können Sie morgen nichts arbeiten. Das hier ist übrigens hübsch», meinte er, indem er vor einer Landschaft stehenblieb, die an einer Kommode lehnte. «Sie verstehen mit dem Spachtel umzugehen, was?»

«Wer, ich?» fragte Waters. «Sie wissen ja nicht, was Sie reden. Campbell ist hier der einzige, der mit dem Spachtel umgehen kann – sagt er. Er hat sogar die Unverfrorenheit besessen, Gowan einen überlebten alten Pfuscher zu heißen.»

«Das grenzt an Hochverrat, wie?»

«Würde ich meinen, Gowan ist ein echter Maler – mein Gott, mir wird ganz heiß, wenn ich bloß daran denke. Das hat er wirklich gesagt, im Kunstverein von Edinburgh, vor ganz vielen Leuten, lauter Freunden von Gowan.»

«Und was hat Gowan dazu gemeint?»

«Och, so verschiedenes. Sie reden nicht mehr miteinander. Hol den Kerl doch der Henker. So was dürfte gar nicht leben. Sie haben doch gehört, was er zu mir gesagt hat?»

«Ja, aber ich mag’s nicht noch einmal hören. Lassen Sie ihn doch in seiner eigenen Schlechtigkeit schmoren. Es lohnt sich nicht, sich seinetwegen graue Haare wachsen zu lassen.»

«Das ist allerdings wahr. Und so wunderbar malt er auch wieder nicht, daß man ihm sein viehisches Benehmen dafür durchgehen lassen könnte.»

«Kann er nicht malen?»

«Doch, malen kann er schon – so halbwegs. Er ist ein – Gowan nennt ihn einen Handelsvertreter. Auf den ersten Blick sind seine Sachen sehr eindrucksvoll, aber das ist nur eine Masche. Jeder kann’s nachmachen, wenn er den Trick kennt. In einer halben Stunde könnte ich Ihnen einen einwandfreien Campbell malen. Warten Sie, ich zeig’s Ihnen.»

Er warf ein Bein über den Bettrand, aber Wimsey schob es energisch wieder unter die Decke.

«Zeigen Sie mir das ein andermal. Nachdem ich seine Bilder gesehen habe. Ob eine Fälschung gut ist, kann ich schließlich erst beurteilen, wenn ich das Original kenne, nicht?»

«Stimmt. Also dann gehen Sie nur mal hin und sehen sich seine Sachen an, anschließend zeig ich’s Ihnen. O Gott, mir ist vielleicht schwummrig im Kopf, so was gibt’s gar nicht mehr.»

«Schlafen Sie», sagte Wimsey. «Soll ich Mrs. McLeod bestellen, daß Sie morgen durchschlafen wollen, wie man hier sagt? Und zum Frühstück soll sie Ihnen ein paar Aspirin auf Toast servieren?»

«Nein, nein, ich muß morgen ganz früh raus, das ist es ja. Aber bis dahin geht’s mir schon wieder besser.»

«Na, dann tschüs, und süße Träume», sagte Wimsey.

Er machte leise die Tür hinter sich zu und wanderte nachdenklich zu seiner eigenen Behausung zurück.

 

Campbell zuckelte über den Hügel heimwärts, der Kirkcudbright von Gatehouse-of-Fleet trennt, und während er das Getriebe mißhandelte, ließ er seinen ganzen Hader mit der Welt in einem mißmutigen Monolog noch einmal Revue spazieren. Dieses verdammte Schwein von einem Waters mit seinem höhnischen, schmierigen Grinsen! Er hatte es doch irgendwie fertiggebracht, ihn aus seiner schönen Überlegenheit zu reißen. Wenn das Ganze wenigstens nicht vor McGeoch passiert wäre! McGeoch würde es Strachan erzählen, und Strachan würde sich in seiner guten Meinung über sich selbst nur noch bestärkt fühlen. «Seht mal», würde er sagen, «ich habe den Mann von der Golfbahn gewiesen, und nun sieht man ja, wie recht ich hatte. Der Kerl kann doch nichts weiter als sich betrinken und im Wirtshaus Streit anfangen.» Die Pest über Strachan, der einen immer in diesem Hauptfeldwebelton zur Schnecke machen mußte! Strachan mit seiner Biederkeit und Korrektheit und seinem Einfluß im Ort steckte eigentlich hinter allem Übel, wenn man sich’s recht überlegte. Nach außen hin sagte er nie ein Wort, aber hintenherum streute er Gerüchte und Verleumdungen aus und hetzte den ganzen Ort gegen einen auf. Und dann war Strachan auch noch mit diesem Farren befreundet. Farren würde es erfahren und die Geschichte zum Vorwand nehmen, um noch ekliger gegen ihn zu sein. Diesen dämlichen Krach heute abend hätte es gar nicht gegeben, wenn Farren nicht gewesen wäre. Diese widerliche Szene vor dem Abendessen! Das war es doch überhaupt, was ihn, Campbell, in die McClellan Arms getrieben hatte. Seine Hand zögerte am Lenkrad. Warum nicht gleich umkehren und dieses Hühnchen mit Farren zu Ende rupfen?

Aber wozu das Ganze schließlich? Er hielt den Wagen an und steckte sich eine Zigarette in den Mund, die er schnell und wütend rauchte. Und wenn sie alle gegen ihn waren, er haßte sie ja auch. Nur einen einzigen anständigen Menschen gab es hier, und ausgerechnet sie war an diesen Grobian von Farren gekettet. Das Schlimme war ja, daß sie auch noch an ihm hing. Sie kümmerte sich nicht für zwei Pfennige um irgend jemand andern, wenn Farren das doch nur sähe. Er, Campbell, wußte es so gut wie jeder andere. Er wollte nichts Unrechtes. Er wollte nur, wenn er müde und verbittert und seiner eigenen, ungemütlichen vier Wände überdrüssig war, hingehen können und sich zwischen dem kühlen Grün und Blau in Gilda Farrens Wohnzimmer vom Anblick ihrer schlanken Schönheit, vom wohltuenden Klang ihrer Stimme trösten lassen. Und Farren, mit nicht mehr Verstand und Phantasie als ein Bulle, mußte da hereinplatzen, den Zauber zerstören, seine eigenen schmutzigen Schlüsse aus der Situation ziehen, die Lilien in Campbells Garten der Zuflucht zertrampeln. Kein Wunder, wenn Farrens Landschaften aussahen wie mit der Axt gemalt. Feingefühl besaß dieser Mensch ja überhaupt keins. Seine Rot- und Blautöne taten einem in den Augen weh, und er sah das Leben nur in Rot und Blau. Wenn Farren sterben würde, jetzt, wenn jemand seinen Stiernacken zwischen die Hände nähme und zudrückte, bis seine starren blauen Bullenaugen so groß waren wie – er lachte – wie Bullaugen – ein herrlicher Witz. Wie gern würde er den jetzt bei Farren anbringen und sehen, wie er darauf reagierte!

Farren war ein Teufel, ein Vieh, ein Tyrann, dessen «Künstlertemperament» nur rohe Unbeherrschtheit war! In Farrens Nähe gab es keinen Frieden. Frieden gab es überhaupt nirgendwo. Wenn er jetzt nach Gatehouse kam, wußte er schon, was ihn dort erwartete. Er brauchte nur aus dem Schlafzimmerfenster zu sehen, wo Jock Graham direkt vor seinem Haus wieder die Angel auswerfen würde – einzig und allein, um ihn zu ärgern. Warum konnte Graham ihn nicht in Ruhe lassen? Oben bei den Dämmen angelt sich’s viel besser. Nichts als Schikane, das Ganze. Und es hatte auch keinen Zweck, zu Bett zu gehen und einfach keine Notiz davon zu nehmen. Sie würden ihn im frühen Morgengrauen wecken, an sein Fenster hämmern und ihm zubrüllen, wieviel sie gefangen hatten – manchmal verhöhnten sie ihn sogar noch, indem sie eine Forelle als «Geschenk» auf der Fensterbank zurückließen, ein mickriges Fischlein, nicht größer als eine Elritze, das sie von Rechts wegen wieder ins Wasser hätten werfen müssen. Er hoffte nur, Graham würde eines Nachts auf den Steinen ausrutschen, Wasser in die Stiefel bekommen und mitten zwischen seinen infernalischen Fischen ersaufen. Was ihn dabei am meisten wurmte war, daß diese allnächtliche Komödie sich unter den ergötzten Augen seines Nachbarn Ferguson abspielte. Seit dem Theater mit der Gartenmauer war dieser Ferguson einfach nicht mehr zu ertragen.

Gewiß, es stimmte ja, daß er beim Zurücksetzen gegen Fergusons Mauer gefahren war und ein Steinchen oder auch zwei gelockert hatte, aber wenn Ferguson seine Mauer anständig in Schuß gehalten hätte, wäre überhaupt nichts passiert. Dieser große Baum in Fergusons Garten hatte sein Wurzeln unter der Mauer durchgeschoben und das Fundament zerstört, und obendrein ließ er auch noch seine Schößlinge in Campbells Garten sprießen. Andauernd mußte er diese widerlichen langen Dinger ausreißen. Es hatte einfach niemand das Recht, Bäume unter Mauern anzupflanzen, daß sie schon umfielen, wenn man sie nur antippte, und dann für die Reparatur auch noch solch horrende Summe zu verlangen. Er würde Fergusons Mauer nicht reparieren! Da konnte Ferguson eher schwarz werden.

Er knirschte mit den Zähnen. Wenn er doch nur herauskönnte aus diesem erstickenden Kleingezänk, nur einmal einen von ihnen so richtig vor die Fäuste bekäme! Hätte er doch wenigstens diesem Waters das Gesicht zu Brei geschlagen – sich gehenlassen –, einmal alle Wut herausgelassen, er würde sich jetzt besser fühlen. Er konnte ja auch jetzt noch zurückfahren – oder weiterfahren –, das war egal, und sich irgend jemanden so recht nach Herzenslust vorknöpfen.

Er war so tief in Gedanken gewesen, daß er das Nahen des Wagens nicht gehört, seine auf- und abblinkenden, den Windungen der Straße folgenden Lichter nicht gesehen hatte. Das erste, was er hörte, war das Quietschen der Bremsen, dann eine wütende Stimme:

«Was machen Sie da, Sie Hornochse! Mitten auf der Straße stehenzubleiben, und direkt in der Kurve!» Und als er sich umdrehte, die Augen zusammengekniffen im grellen Licht der Scheinwerfer, um sich dieser neuen Attacke zu stellen, hörte er dieselbe aufgebrachte Stimme, jetzt fast triumphierend, sagen:

«Campbell! Natürlich. Das hätte ja auch gar niemand anders sein können.»

Campbell †

«Haben Sie wohl schon von Mr. Campbell gehört?» fragte Mr. Murdoch, der Wirt der McClellan Arms, indem er liebevoll ein Glas polierte, das er gleich mit Bier füllen würde.

«Wieso, was hat er sich denn seit gestern abend schon wieder für neuen Ärger eingebrockt?» fragte Wimsey zurück. Er stützte einen Ellbogen auf die Bar, empfangsbereit für alles, was man ihm bieten mochte.

«Er ist tot», sagte Mr. Murdoch.

«Tot?» konnte Wimsey vor Schreck nur wiederholen.

Mr. Murdoch nickte.

«Ganz recht. McAdam ist eben mit der Nachricht aus Gatehouse gekommen. Heute um zwei haben sie in den Bergen bei Newton Stewart die Leiche gefunden.»

«Gütiger Himmel!» rief Wimsey. «Aber woran ist er denn gestorben?»

«In den Bach ist er gefallen», antwortete Mr. Murdoch, «und ertrunken, wie sie sagen. Die Polizei wird jetzt oben sein, um ihn runterzuholen.»

«Ein Unfall, nehme ich an?»

«Na klar. Die Leute vom Borgan haben ihn heute früh um zehn noch da malen sehen, auf dem kleinen Buckel bei der Brücke, und um zwei ist Major Dougal mit seinem Angelzeug vorbeigegangen und hat die Leiche im Bach liegen sehen. Ist ziemlich glitschig da oben und jede Menge Geröll. Ich vermute, er ist da hinuntergeklettert, vielleicht um Wasser zum Malen zu holen, und ist auf den Steinen ausgerutscht.»

«Für Ölfarben braucht man kein Wasser», meinte Wimsey nachdenklich, «aber vielleicht wollte er Mostrich für seine Sandwiches anrühren oder Teewasser kochen oder seinen Whisky verdünnen. Hören Sie, Murdoch, ich glaube, ich fahr da mal hin und seh mir das an. Sie kennen ja meine Schwäche für Leichen. Wo ist denn das genau?»

«Sie müssen die Küstenstraße durch Creetown bis Newton Stewart nehmen», sagte Murdoch, «und dann rechts über die Brücke und wieder nach rechts, dem Wegweiser nach, Richtung Bargrennan, und dieser Straße immer nach, bis Sie nach rechts auf die kleine Brücke über den Cree abbiegen, und dahinter wieder nach rechts.»

«Also immer nach rechts abbiegen», sagte Wimsey. «Ich glaube, ich weiß schon, wo das ist. Da kommt man an eine Brücke und noch ein Gatter und ein Flüßchen mit Lachsen drin.»

«Ja, das ist der Minnoch, wo Mr. Dennison voriges Jahr diesen großen Brocken gefangen hat. Also, und kurz vor dem Gatter nach links ab zur Brücke.»

Wimsey nickte.

«Bin schon weg», sagte er. «Den Spaß will ich mir nicht entgehen lassen. Bis später, mein Alter. Wissen Sie was – ich wette, Campbell hat sich noch nie so beliebt gemacht. Die beste Tat in seinem Leben war, aus demselben zu scheiden, wie?»

 

Es war ein herrlicher Augusttag, und Wimseys Seele schnurrte vor Vergnügen, als er seinen Wagen durch die Gegend kutschierte. Die Strecke zwischen Kirkcudbright und Newton Stewart ist von einer abwechslungsreichen, schwer zu übersehenden Schönheit, und mit einem Himmel voll strahlendem Sonnenschein und aufgetürmten Wolkenbänken, den blühenden Hecken, einer gut ausgebauten Straße, einem temperamentvollen Motor und der Aussicht auf eine schöne Leiche am Ende der Reise fehlte Lord Peter nichts zu seinem Glück. Er war ein Mensch, der sich an kleinen Dingen freuen konnte.

Er kam durch Gatehouse, wo er dem Besitzer des Anwoth Hotel fröhlich zuwinkte, stieg unter dem schwarzdräuenden Schloß Cardoness in die Berge empor, sog zum tausendstenmal die fremdartige japanische Schönheit der Mossyard-Farm in sich hinein, die wie ein rotes Juwel unter büscheligen Bäumen am blauen Meer stand, genoß die italienische Lieblichkeit von Kirkdale mit seinen malerisch verbogenen, schlanken Bäumen, die blaue Küste von Wigtownshire, die über die Bucht herüberleuchtete. Dann das alte Grenzhaus von Barholm, umgeben von weißgekalkten Bauernhäusern; plötzlich ein leuchtender Fleck grünen Grases, wie der Rasen von Avalon, unter dem Schatten dichter Bäume. Für den wilden Knoblauch war die Zeit vorbei, aber sein Geruch hing noch wie zum Andenken in der Luft und füllte sie mit dem Schauder von Vampirflügeln und Erinnerungen an die dunklere Seite der Geschichte dieses Grenzlandes. Dann die alte Granitmühle auf dem weißen Felsvorsprung, eingehüllt in dichte Wolken von Steinstaub, den Ladebaum in den Himmel gereckt, darunter ein Schlepper vor Anker. Dann die Lachsnetze und der weite, halbkreisförmige Bogen der Bucht, wie jeden Sommer rosarot von Strandlichtnelken und rötlichbraun vom Schlick der Flußmündung, ein majestätischer Anblick, und darüber das gewaltige Cairnsmuir, das sich finster über Creetown erhob. Dann wieder die offene Landstraße voller Steigungen und Windungen – zur Linken die weiße Jagdhütte mit den darüberziehenden Wolkenschatten, die Sommerhäuschen mit dichten Rosen- und Asternbeeten vor weißen und gelben Mauern; dann Newton Stewart, ein graues Dach neben dem andern bis hinunter zum steinigen Flußbett des Cree, mit schlanken Türmchen vor dem Horizont. Über die Brücke und am Friedhof ab nach rechts, auf die Straße nach Bargrennan, windungsreich wie eine Achterbahn, und immer wieder blitzte der Cree zwischen den Baumstämmen und den großen Blüten und goldenen Farnen am Straßenrand auf. Dann die Jagdhütte und die lange Rhododendronallee – darauf ein Silberbirkenwäldchen, immer höher und höher hinauf, bis vor die Sonne. Ein paar steinige Häuschen – und dann die Brücke, das Gatter und die steinige Bergstraße, die sich dahinwand zwischen Erdhügeln so rund wie der Berg des Königs vom Elfenland, bedeckt von grünem Gras und rötlicher Heide und langgezogenen Schatten.

Wimsey bremste, als er an die zweite Brücke mit dem rostigen Gatter kam, und lenkte den Wagen ins Gras. Es standen schon andere Autos dort, und links sah er ein Grüppchen von Männern am Bachrand stehen, vierzig bis fünfzig Schritt neben der Straße. Er näherte sich ihnen über einen kleinen Viehpfad und fand sich oberhalb einer steil abfallenden Granitwand wieder, die in Stufen zu den tosenden Wassern des Minnoch hinunterführte. Gleich neben ihm, dicht am Abgrund, stand eine Staffelei mit Schemel und Palette. Und unten am Rand eines klaren braunen Tümpels, der von dichtem Weißdorngestrüpp umstanden war, lag ein armseliges Bündel, über das sich ein paar Leute beugten.

Ein Mann, vielleicht ein Kätner, sprach Wimsey mit verhaltener Erregung in der Stimme an.

«Da unten liegt er, Sir. Klar, ist ausgerutscht und runter. Da hinten ist Sergeant Dalziel mit Konstabler Ross; die untersuchen jetzt alles.»

Der Unfallhergang erschien kaum zweifelhaft. Auf der Staffelei stand ein mehr als zur Hälfte fertiges Gemälde, dessen Farben noch feucht glänzten. Wimsey konnte sich vorstellen, wie der Künstler aufgestanden und ein Stück zurückgetreten war, um sein Werk zu begutachten – und immer weiter zurück auf den tückischen Felshang zu. Dann ein ausgleitender Absatz auf dem glitschigen Granit, ein verzweifelter Kampf ums Gleichgewicht, rutschende Ledersohlen auf kurzem, trockenem Gras, Taumeln, Überkippen, und holterdipolter die Felswand hinunter in die Schlucht, wo die spitzen Steine wie Zähne aus dem schäumenden Wasser grinsten.

«Ich kenne den Mann», sagte Wimsey. «Dumme Geschichte, wie? Ich glaube, ich geh mal runter und seh mir das an.»

«Aber passen Sie gut auf», warnte der Kätner.

«Ganz bestimmt», sagte Wimsey und kletterte im Krebsgang zwischen den Steinen und Farnen hinunter. «Ich will der Polizei ja nicht noch mehr Arbeit machen.»

Der Sergeant sah auf, als er Wimsey nahen hörte. Die beiden kannten sich, und Wimseys Interesse an Leichen, mochten die Umstände noch so gewöhnlich sein, war Dalziel nicht neu.

«Sieh an, Seine Lordschaft!» rief er gutgelaunt. «Hab mir schon gedacht, daß Sie bald aufkreuzen würden. Kennen Sie Dr. Cameron?»

Wimsey begrüßte den Arzt, einen schlaksigen Menschen mit nichtssagendem Gesicht, und fragte, wie sie vorankämen.

«Nun ja, ich hab ihn untersucht», sagte der Arzt. «Tot ist er jedenfalls – und zwar schon ein paar Stunden. Die Totenstarre ist nämlich weit fortgeschritten.»

«Ist er ertrunken?»

«Das kann ich noch nicht sicher sagen. Aber nach meiner Meinung – meiner vorläufigen Meinung, wohlgemerkt – ist er nicht ertrunken. Hier an der Schläfe ist der Schädelknochen zertrümmert, und ich würde eher sagen, er ist schon beim Sturz oder beim Aufschlag auf die Steine hier unten im Bach gestorben. Aber etwas Endgültiges kann ich natürlich erst sagen, wenn ich eine Autopsie gemacht und festgestellt habe, ob Wasser in der Lunge ist.»

«Ganz recht», sagte Wimsey. «Die Schädelverletzung könnte ihn auch nur betäubt haben, und die eigentliche Todesursache wäre dann doch Ertrinken.»

«So ist es. Als wir ihn zuerst sahen, lag er mit dem Mund unter Wasser, aber die Strömung kann ihn ebensogut umhergewälzt haben. Er hat Abschürfungen an Kopf und Händen, die zum Teil – aber das ist auch wieder nur meine vorläufige Meinung – erst nach seinem Ableben entstanden sind. Sehen Sie mal, hier – und hier.»

Der Doktor drehte die Leiche um, damit man die fraglichen Stellen sehen konnte. Der Körper ließ sich an einem Stück drehen, obwohl er so verrenkt und zusammengekrümmt war, als ob er mitten in dem Versuch erstarrt wäre, das Gesicht vor den grausamen Zähnen der Felsbrocken zu schützen.

«Aber der eigentliche Schlag war hier», fuhr der Arzt fort und führte Wimseys Hand an Campbells linke Schläfe, wo der Knochen unter dem sanften Druck von Wimseys Fingern nachgab.

«Die Natur hat das Gehirn an dieser Stelle schlecht geschützt», bemerkte Dr. Cameron. «Der Schädelknochen ist hier so dünn, daß ihn schon ein leichter Schlag zerbrechen kann wie eine Eierschale.»

Wimsey nickte. Seine langen, feinen Finger tasteten behutsam Kopf und Glieder des Toten ab. Der Arzt sah ihm anerkennend zu.

«Mann», sagte er. «Sie wären ein guter Chirurg geworden. Die Vorsehung hat Ihnen die Hände dafür gegeben.»

«Aber nicht den Kopf», lachte Wimsey. «Ja, er hat ganz schön was abgekriegt – was mich nicht wundert, wenn einer so mit Volldampf hier heruntersaust.»

«Das ist eine gefährliche Stelle», meinte der Sergeant. «Nun, Doktor, ich glaube, wir haben hier unten alles gesehen. Bringen wir jetzt die Leiche zum Wagen rauf.»

«Ich gehe wieder nach oben und schau mir mal das Bild an», sagte Wimsey. «Oder kann ich vielleicht tragen helfen? Ich will nur nicht im Weg stehen.»

«Nee, nee», meinte der Sergeant. «Vielen Dank für das Angebot, Mylord, aber wir schaffen’s schon allein.»

Der Sergeant und ein Konstabler bückten sich und packten die Leiche. Wimsey wartete noch kurz, um zu sehen, ob sie wirklich keine Hilfe brauchten, dann stieg er wieder den Felsen hinauf.

Oben sah er sich das Bild zum erstenmal genauer an. Es war mit rascher Hand gemalt, noch ohne die letzten Feinheiten, doch auch so schon recht eindrucksvoll, kühn in der Flächenaufteilung und im Wechsel von Licht und Schatten, die Farben dick mit dem Spachtel aufgetragen. Es zeigte eine sonnige Morgenlandschaft – Wimsey erinnerte sich, daß Campbell kurz nach zehn beim Malen gesehen worden war. Die steinerne Brücke lag kühl und grau im goldenen Licht, davor die gelben und roten Beeren einer Eberesche – ein gutes Mittel gegen Hexerei –, sich spiegelnd als bunte Tupfer im Braun und Weiß des tosenden Wassers. Links stiegen die Berge in nebligen Blautönen zum dunstigen Himmel empor, und vor dem Blau leuchteten prächtige goldene Farne, in dicken Klecksen von reinem Rot und Gelb auf die Leinwand geworfen.

Ohne bestimmte Absicht nahm Wimsey Palette und Spachtel von dem Schemel, auf dem sie lagen. Campbell kam beim Malen offenbar mit wenigen Farben aus, und das gefiel ihm, denn er sah es gern, wenn mit ökonomischem Einsatz der Mittel ein reiches Resultat erzielt wurde. Auf dem Boden lag eine alte Tasche, die offenbar schon lange im Dienst war. Mehr aus Gewohnheit denn in Erwartung eines interessanten Fundes nahm er sich den Inhalt dieser Tasche vor.

Im Hauptfach fand er ein kleines, noch halbvolles Fläschen Whisky, dazu ein dickes Glas und ein Päckchen Käsebrote, acht Pinsel, eingewickelt in ein ausgefranstes Leinentuch, das einmal ein Taschentuch gewesen war und nun ein schmachvolles Dasein als Farblumpen fristete, ein Dutzend lose Pinsel, noch zwei Spachtel und einen Schaber, alles im trauten Verein mit einer Anzahl Farbtuben. Wimsey breitete sie nebeneinander auf dem Granitboden aus wie eine Reihe kleiner Leichen.

Es waren: eine Halbpfundtube Zinnoberrot, neu, sauber und fast unbenutzt; eine Ateliertube Ultramarin Nr. 2, halbvoll; eine Ateliertube Chromgelb, fast voll, und eine zweite, fast leer; eine Halbpfundtube Chromgrün, halbvoll; eine Ateliertube Kobaltblau, dreiviertel leer; eine sehr schmutzige Tube ohne Etikett, die schon manche Schlacht hinter sich zu haben schien, ohne viel von ihrem Inhalt verloren zu haben. Wimsey schraubte den Verschluß ab und identifizierte den Inhalt als Karmesinrot. Schließlich fanden sich noch eine fast leere Ateliertube Krapprosa und eine Halbpfundtube Zitronengelb, halb aufgebraucht und sehr schmutzig.

Wimsey betrachtete die Kollektion ein Weilchen, dann griff er voll Zuversicht erneut in die Tasche. Aus dem Hauptfach kam jedoch außer ein paar verdorrten Stengeln Heidekraut und ein paar Tabak- und Brotkrümeln nichts mehr zum Vorschein, und so nahm er sich die beiden Nebenfächer vor.

Im ersten fand er zunächst eine Rolle Ölpapier, an dem Pinsel abgewischt worden waren; dann eine kleine Dose, eklig verklebt um den Schraubdeckel herum und gefüllt mit Harzbinder; drittens schließlich noch einen verbogenen Spachtel, ähnlich dem, der bei der Palette gelegen hatte.

Das dritte und letzte Fach hatte mehr Abwechslung zu bieten. Zum Vorschein kamen eine Streichholzschachtel mit Zeichenkohle, eine Zigarettenschachtel, ebenfalls mit Zeichenkohle, ein paar Stückchen rote Kreide, ein kleiner Skizzenblock, reichlich ölverschmiert, ein paar Leinwandschneider, an denen Wimsey sich prompt in den Finger stach, ein paar Korken und ein Päckchen Zigaretten, Marke Gold Flakes.

Wimseys scheinbarer Gleichmut war verflogen. Seine lange, neugierige Nase zuckte wie bei einem Karnickel, als er die Tasche umdrehte und schüttelte, ob nicht doch noch etwas aus ihren verborgenen Tiefen ans Licht käme, aber vergebens. Er stand auf und suchte um Staffelei und Schemel herum aufmerksam den Boden ab.

Neben der Staffelei lag ein geschmacklos karierter Mantel. Er hob ihn auf und durchsuchte gründlich die Taschen. Er fand ein Taschenmesser mit abgebrochener Klinge, einen halben Zwieback, noch ein Päckchen Zigaretten, eine Schachtel Streichhölzer, ein Taschentuch, zwei Forellenhaken in durchsichtiger Tüte und ein Stück Schnur.

Er schüttelte den Kopf. Was er suchte war nicht dabei. Er versuchte es noch einmal, die Nase am Boden wie ein Spürhund, dann glitt er, immer noch unzufrieden, die glatten Felsen hinunter. In der Wand waren lauter Spalten und Ritzen, in die leicht etwas hineingefallen sein konnte. Farn, Heidekraut und stachliger Stechginster wuchsen darin. Er tastete in jeden Winkel hinein, stach sich dabei jedesmal in die Finger und fluchte lästerlich. Stechginsterzweige krochen ihm die Hosenbeine hinauf und in die Schuhe. Die Hitze war zum Ersticken. Kurz bevor er unten war, glitt er aus und legte die letzten Meter auf dem Hosenboden zurück, was ihn fuchste. Ein Ruf von oben ließ ihn aufblicken. Der Sergeant grinste zu ihm herunter.

«Seine Lordschaft rekonstruieren den Unfall?»

«Nicht direkt», sagte Wimsey. «Moment, warten Sie mal bitte.»

Er kraxelte wieder nach oben. Die Leiche lag inzwischen so schicklich, wie es ging, auf einer Tragbahre und wartete auf ihren Abtransport.

«Haben Sie schon seine Taschen durchsucht?» keuchte Wimsey.

«Noch nicht, Mylord. Dazu ist auf dem Revier noch Zeit. Reine Formsache, Sie verstehen?»

«Ganz im Gegenteil», sagte Wimsey. Er schob seinen Hut zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. «An der Geschichte ist etwas komisch, Dalziel. Sieht zumindest so aus. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mir seine Habseligkeiten gleich einmal vornehme?»

«Aber natürlich nicht», antwortete Dalziel im Brustton der Überzeugung. «So eilig haben wir’s auch wieder nicht. Ob wir das jetzt gleich machen oder hinterher …»

Wimsey setzte sich neben der Bahre auf den Boden, und der Sergeant stellte sich mit seinem Notizblock daneben, um den Befund schriftlich festzuhalten.

Die rechte Rocktasche enthielt noch ein Taschentuch, einen Hardy-Katalog, zwei zerknüllte Rechnungen und einen Gegenstand, bei dessen Anblick der Sergeant lachend rief: «Was ist denn das? Ein Lippenstift?»

«Leider nichts derart Pikantes», meinte Wimsey betrübt. «Das ist ein Bleistifthalter – auch noch Made in Germany. Aber immerhin – wo der ist, da finden wir vielleicht auch noch etwas anderes.»

Die linke Tasche gab jedoch nichts Aufregenderes preis als einen Korkenzieher und etwas Schmutz; in der Brusttasche fanden sich eine Ingersoll-Uhr, ein Kamm und ein halbleeres Briefmarkenheftchen; Wimsey nahm sich ohne große Hoffnung die Hosentaschen vor, denn eine Weste hatte der Tote nicht an.

Hier nun fand er in der rechten Tasche eine Handvoll loses Geld, Scheine und Münzen achtlos durcheinander, sowie einen Schlüsselring mit Schlüsseln. Links eine leere Streichholzschachtel und eine zusammenklappbare Nagelschere. In der Gesäßtasche ein paar zerfledderte Briefe, Zeitungsausschnitte und ein kleines Notizbuch mit nichts drin.

Wimsey richtete sich auf und sah den Sergeant an.

«Es ist nicht da», sagte er, «und das will mir überhaupt nicht gefallen, Dalziel. Passen Sie mal auf, es gibt noch eine Möglichkeit. Das Ding könnte in den Bach gerollt sein. Holen Sie um Himmels willen Ihre Leute zusammen und suchen Sie es – sofort. Verlieren Sie keine Sekunde.»

Dalziel sah den aufgeregten Engländer mit einiger Verwunderung an, und der Konstabler schob die Mütze in den Nacken und kratzte sich am Kopf.

«Und wonach suchen wir, bitte schön?» stellte er die naheliegende Frage.

(An dieser Stelle erklärt nun Lord Peter Wimsey dem Sergeant, wonach er suchen soll und warum, doch da der intelligente Leser dieses kleine Detail sicher selbst beisteuern kann, bleibt es auf dieser Seite unerwähnt.)

«Das ist also wichtig, meinen Sie?» fragte Dalziel und machte ein Gesicht wie einer, der hoffnungsvoll durch einen Wald von Finsternis den ersten fernen Schimmer des Offenkundigen erblickt.

«Wichtig?» rief Wimsey. «Und ob das wichtig ist! Unvorstellbar und über alle Maßen ungeheuer wichtig. Oder glauben Sie, ich rutsche auf diesem infernalischen Felsen herum und mache mich zum Nadelkissen, wenn es nicht wichtig ist?»

Das Argument schien dem Sergeant einzuleuchten. Er rief seine Streitmacht zusammen, damit sie den Pfad, das Ufer und den Bach nach dem vermißten Gegenstand absuchten. Wimsey spazierte indessen zu dem alten, verbeulten Morris-Viersitzer hinüber, der an der Einmündung des Viehpfades auf der Wiese stand.

«Ach ja», sagte Konstabler Ross, indem er sich aufrichtete und den Finger zum Mund führte, bevor er ihn wieder in die Dornen steckte, «das ist sein Wagen. Vielleicht finden Sie da, worauf Sie so scharf sind.»

«Glauben Sie das bitte nicht, mein Lieber», antwortete Wimsey. Dennoch unterzog er den Wagen einer gründlichen Durchsuchung, vor allem die Rücksitze. Ganz besonders interessierte ihn ein schwarzer Teerfleck auf den hinteren Sitzkissen. Er betrachtete ihn aufmerksam durch die Lupe, wobei er fortwährend leise vor sich hin pfiff. Beim Weitersuchen entdeckte er einen zweiten Fleck an der Karosserie, dicht hinterm Fahrersitz. Auf dem Wagenboden fand er eine zusammengelegte Plane. Er schüttelte sie aus und nahm sie Stückchen für Stückchen unter die Lupe. Noch ein Teerfleck und etwas Sand waren der Lohn für seine Mühe.

Wimsey zückte seine Pfeife und zündete sie nachdenklich an. Dann suchte er weiter, bis er eine Straßenkarte von dieser Gegend fand. Er setzte sich auf den Fahrersitz, breitete die Karte auf dem Lenkrad aus und versank in tiefe Meditation.

Nach einem Weilchen kam der Sergeant zu ihm, erhitzt und ganz rot im Gesicht, die Ärmel hochgekrempelt.

«Wir haben das Unterste nach oben gekehrt», sagte er, indem er sich bückte, um das Wasser aus den Hosenbeinen zu wringen, «aber wir finden das Ding nicht. Vielleicht sagen Sie uns jetzt mal, warum es so wichtig ist.»

«Oh», machte Wimsey. «Sie wirken echauffiert, Dalziel. Ich hab mich hier inzwischen ein wenig abgekühlt. Es ist also nicht zu finden?»

«So ist es», antwortete der Sergeant mit Betonung.

«In diesem Fall», meinte Wimsey, «sollten Sie lieber gleich den Untersuchungsrichter einschalten – halt, nein, ihr habt ja hier oben keine Untersuchungsrichter. Bei euch heißt der zuständige Mann Staatsanwalt. Also, gehen Sie zum Staatsanwalt und sagen Sie ihm, daß der Mann ermordet wurde.»

«Errrmorrrdet?» rief der Sergeant.

«Jawohl», sagte Wimsey. «Ganz recht. Errrmorrrdet ist genau das rrrichtige Worrrt.»

«Ross!» rief der Sergeant. «Hierher!»

Der Konstabler nahte in verhaltenem Galopp.

«Seine Lordschaft», sagte der Sergeant, «ist der Meinung, daß der Mann ermordet wurde.»

«Ach nee», fand Ross. «Na so was aber auch. Und wie kommen Seine Lordschaft wohl darauf?»

«Wegen der Leichenstarre», sagte Wimsey, «und weil ihr nicht findet, wonach ihr sucht. Dazu diese Teerflecken am Wagen und der Charakter des Verblichenen. Ihn hätte doch jeder mit dem größten Vergnügen umgebracht.»

«So, so, die Leichenstarre», sagte Dalziel. «Das ist aber doch eher Dr. Camerons Sache.»

«Ich muß zugeben», sagte der Arzt, der soeben hinzukam, «daß ich mich darüber auch schon gewundert habe. Wenn man den Mann nicht nach zehn Uhr heute morgen noch lebend gesehen hätte, würde ich nämlich sagen, daß er eher schon an die zwölf Stunden tot ist.»

«Ganz meine Meinung», sagte Wimsey. «Andererseits werden Sie gesehen haben, daß die Farbe auf dem Bild, obwohl sie mit schnelltrocknendem Kopalharz aufgetragen wurde, noch ziemlich feucht ist, trotz heißer Sonne und trockener Luft.»

«Eben», sagte der Doktor. «Das zwingt mich zu der Annahme, daß die Wassertemperatur eine vorzeitige Starre herbeigeführt hat.»

«So leicht lasse ich mich nicht bezwingen», erwiderte Wimsey. «Ich gehe lieber davon aus, daß der Mann gegen Mitternacht getötet wurde. An das Bild hier glaube ich nicht.ch glaube nicht, daß es die Wahrheit sagt. Es ist unmöglich, daß Campbell heute morgen an dem Bild gearbeitet hat. Das weiß ich.»

«Und wieso?» fragte der Sergeant.

«Aus den Gründen, die ich Ihnen eben genannt habe», sagte Wimsey. «Und da ist noch ein Punkt, ein kleiner – an sich nicht sehr bedeutend, aber er weist in dieselbe Richtung. Das Ganze sieht ja so aus – und soll wohl so aussehen –, als ob Campbell vom Malen aufgestanden und ein paar Schritte zurückgetreten wäre, um das Bild besser begutachten zu können, wobei er dann ausgeglitten und gestürzt wäre. Aber Palette und Spachtel lagen auf dem Schemel. Dabei wäre es doch sehr viel wahrscheinlicher, daß er beim Aufstehen und Zurücktreten die Palette auf dem Daumen und den Spachtel in der Hand behalten hätte, um eventuell kleine Korrekturen sofort anbringen zu können. Ich will nicht sagen, daß er die Sachen auf keinen Fall hingelegt hätte. Mir wäre es nur natürlicher vorgekommen, wenn wir die Palette neben der Leiche und den Spachtel irgendwo in der Felswand entdeckt hätten.»

«Stimmt», meldete sich Ross. «Das hab ich bei Malern schon gesehen. Ein paar Schritte zurück, die Augen halb zu, und dann mit einem Satz wieder vor, als wenn sie das Bild mit dem Pinsel aufspießen wollten.»

Wimsey nickte.

«Nach meiner Theorie», sagte er, «hat der Mörder die Leiche heute früh in Campbells Wagen hierhergebracht. Er hatte Campbells Schlapphut auf und hier diesen häßlichen Tartanmantel an, so daß ein Vorüberkommender ihn für Campbell halten würde. Die Leiche hatte er vor der Rückbank liegen und darüber ein Fahrrad, das diese Teerflecken auf dem Polster hinterlassen hat. Über das Ganze hatte er diese Plane gedeckt, die ebenfalls Teerspuren aufweist. Dann hat er wohl die Leiche aus dem Wagen genommen, auf den Schultern den Viehpfad hinaufgetragen und in den Bach geworfen. Vielleicht hat er sie aber auch oben liegen lassen und mit der Plane zugedeckt. Dann hat er sich, immer noch in Campbells Mantel und Hut, hingesetzt und das Bild gefälscht. Nachdem er genug gemalt hatte, um den Eindruck zu erwecken, daß Campbell hier gewesen war und gemalt hatte, hat er Mantel und Hut ausgezogen, Palette und Spachtel auf den Schemel gelegt und ist mit dem Fahrrad weggefahren. Es ist einsam hier oben. Hier könnte man ein Dutzend Morde begehen, man muß nur den richtigen Zeitpunkt wählen.»

«Eine sehrrr interrressante Theorrrie», fand Dalziel.

«Sie können die Probe aufs Exempel machen», sagte Wimsey. «Wenn jemand heute morgen Campbell hier gesehen und mit ihm gesprochen hat oder wenigstens nah genug war, um sein Gesicht zu erkennen, dann ist natürlich nichts damit. Wenn man aber nur den Hut und Mantel gesehen hat, und wenn vor allem etwas Umfangreiches im Wagen lag und mit einer Plane zugedeckt war, dann steht meine Theorie. Das Fahrrad ist übrigens für diese Theorie nicht entbehrlich, nur wenn ich der Mörder wäre, hätte ich eines benutzt. Und wenn man die Teerflecken unter der Lupe betrachtet, erkennt man meines Erachtens die Spuren eines Reifenprofils.»

«Man kann nicht sagen, daß Sie unrecht hätten», meinte Dalziel.

«Sehr schön», sagte Wimsey. «Dann sehen wir uns also jetzt mal an, was unser Mörder als nächstes tun muß.» Er breitete großspurig die Landkarte aus, und die beiden Polizisten beugten sich darüber.

«Hier ist er also», sagte Wimsey, «nur mit einem Fahrrad als Hilfe oder Hemmnis, und nun muß er sich irgendwoher ein Alibi beschaffen. Vielleicht hat er sich gar nicht erst lange etwas besonders Kompliziertes ausgedacht, sondern sich nur beeilt, so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Und ich glaube nicht, daß er sich unbedingt in Newton Stewart oder Creetown blicken lassen wollte. Im Norden hat er nicht viel Auswahl – da sind nur die Berge um Larg und die Rhinns of Kells. Er könnte nach Glen Trool hinauf, aber das hätte auch nicht viel Sinn; da müßte er nur denselben Weg wieder zurückkommen. Natürlich könnte er auch auf dem Ostufer des Cree bis nach Minnigaff fahren und auf diese Weise Newton Stewart meiden, um sich dann querfeldein in Richtung New Galloway zu halten, aber das ist ein weiter Weg, und er bliebe zu lange zu nah am Tatort. In meinen Augen führe er am besten zur Straße zurück und dann nach Nordwesten, über Bargrennan, Cairnderry, Creeside und Drumbain, dann könnte er in Barrhill den Zug nehmen. Das sind neun bis zehn Meilen Straße. Wenn er schnell fährt, kann er sie in einer Stunde schaffen, oder in eineinhalb Stunden, weil die Straße schlecht ist. Sagen wir, er hat um elf mit Malen aufgehört, dann war er um halb eins in Barrhill. Von dort kann er einen Zug nach Stranraer und Port Patrick oder auch nach Glasgow genommen haben; oder falls er sich des Fahrrads entledigt hätte, könnte er auch irgendwohin mit dem Bus gefahren sein. Ich an Ihrer Stelle würde mal in dieser Richtung suchen lassen.»

Der Sergeant sah seine Kollegen an und las Zustimmung in ihren Blicken.

«Und wer käme Ihrer Ansicht nach, Mylord, am ehesten für die Tat in Frage?» erkundigte er sich.

«Nun», meinte Wimsey, «ich wüßte ein halbes Dutzend Leute mit erstklassigen Motiven. Aber der Mörder muß ein Künstler sein, und zwar ein gescheiter, denn das Gemälde hier muß ja als ein Campbell durchgehen können. Er muß Auto fahren können und ein Fahrrad besitzen, oder zumindest wissen, wie er an eines herankommt. Er muß ziemlich kräftig sein, sonst hätte er die Leiche nicht dort hinaufschleppen können, und Schleifspuren kann ich nirgends sehen. Er muß gestern abend später als Viertel nach neun mit Campbell zusammen gewesen sein, denn um diese Zeit habe ich selbst ihn noch quicklebendig in den McClellan Arms gesehen. Er muß Land und Leute ziemlich gut kennen, denn offenbar hat er gewußt, daß Campbell für sich allein lebt und nur eine Zugehfrau hat, so daß sein Verschwinden heute früh niemandem auffiel. Entweder führt er selbst so ein Leben, oder er hatte einen guten Vorwand, heute schon vor dem Frühstück auszugehen. Wenn Sie einen finden, auf den das alles paßt, haben Sie wahrscheinlich den richtigen. Seine Eisenbahnfahrkarte – falls er mit der Eisenbahn gefahren ist – müßte sich zurückverfolgen lassen. Möglicherweise komme ich ihm aber auch noch selbst auf die Schliche, und zwar auf einem ganz anderen Weg und sehr viel müheloser.»

«Ach nee», meinte der Sergeant. «Aber wenn Sie ihn haben, sagen Sie uns Bescheid, ja?»

«Abgemacht», sagte Wimsey. «Obwohl das ziemlich unerfreulich für mich sein wird, denn ich wette zehn gegen eins, daß es einer ist, den ich kenne und viel besser leiden kann als Campbell. Aber es gehört sich nun einmal nicht, Leute zu ermorden, und wenn sie noch so widerlich sind. Ich will mich bemühen, ihn in Fesseln zu schlagen – sofern er mir nicht vorher den Schädel einschlägt.»

Ferguson

Auf dem Rückweg nach Kirkcudbright fiel Wimsey ein, daß es allerhöchste Zeit zum Tee war und es außerdem keine schlechte Idee wäre, Campbells Cottage einen Besuch abzustatten. Er fuhr also am Anwoth Hotel vor, und während er sich gierig mit Kartoffelplätzchen und Ingwerkuchen vollstopfte, stellte er eine provisorische Liste der Verdächtigen zusammen.

Nach dem Essen sah die Liste folgendermaßen aus:

Wohnhaft in Kirkcudbright:

1. Michael Waters, 28 Jahre, 1,78 groß, ledig, möbliert wohnend. Landschaftsmaler – gibt an, Campbells Stil fälschen zu können. Am Abend zuvor Streit mit Campbell – hat gedroht, ihm das Genick zu brechen.

2. Hugh Farren, 35 Jahre, 1,75 groß, Figuren- und Landschaftsmaler, sehr kräftig gebaut, verheiratet, bekanntlich auf Campbell eifersüchtig. Lebt allein mit Ehefrau, die offenbar sehr an ihm hängt.

3. Matthew Gowan, 46 Jahre, 1,85 groß, Figuren- und Landschaftsmaler, auch Kupferstecher, ledig, bewohnt Haus mit Dienerschaft, wohlhabend. Ist von Campbell in aller Öffentlichkeit beleidigt worden; spricht nicht mehr mit ihm.

Wohnhaft in Gatehouse-of-Fleet:

4. Jock Graham, 36 Jahre, 1,80 groß, ledig, wohnhaft im Anwoth Hotel, Porträtmaler, begeisterter Angler, Luftikus. Fehde mit Campbell ortsbekannt; soll ihn bei einem Handgemenge in den Fleet getaucht haben.

5. Henry Strachan, 38 Jahre, 1,88 groß, verheiratet, ein Kind, ein Dienstmädchen. Porträtmaler und Illustrator, Vorsitzender des Golfclubs. Hat Campbell nach Streit vom Golfgelände gewiesen.

 

Bis hierher war die Liste gediehen, als der Wirt des Anwoth Hotel hereinkam. Wimsey berichtete ihm das Neueste über den Fall Campbell, ohne allerdings die Mordtheorie zu erwähnen, und ließ die Bemerkung fallen, daß er zu Campbells Haus fahren und sich mal erkundigen wolle, ob dort jemand über seine Pläne Bescheid gewußt habe.

«Glaub nicht, daß Sie da viel erfahren», sagte der Wirt. «Mrs. Green, die ihm den Haushalt führt, ist wieder nach Hause gegangen, aber sie weiß so gut wie nichts, nur daß Campbell schon weg war, wie sie heute früh um acht gekommen ist, um Ordnung zu machen. Und Mr. Ferguson, der nebenan wohnt, war schon mit dem ersten Zug nach Glasgow gefahren.»

«Ferguson?» fragte Wimsey. «Ich glaube, den kenne ich. Hat er nicht irgendwo Wandgemälde für ein Rathaus gemacht?»

«Ja, ja, und ein sehrrr guter Maler ist er. Sie haben ihn sicher schon in seinem kleinen Austin rumflitzen sehen. Hat sein Atelier gleich neben Campbell, jeden Sommer.»

«Ist er verheiratet?»

«Ja, aber seine Frau ist gerade zu Besuch bei Freunden in Edinburgh. Ich glaube, die beiden verstehen sich nicht besonders.»

«Wer – Ferguson und Campbell?»

«Nein – Mr. und Mrs. Ferguson. Aber das andere stimmt auch. Er und Campbell haben sich mal schrrrecklich in den Haaren gelegen, weil Campbell Fergusons Gartenmauer mit dem Wagen umgefahren hat.»

Ich frage mich langsam, ob’s im ganzen Landkreis noch einen einzigen Menschen gibt, mit dem er keinen Krach hatte, dachte Wimsey und ergänzte seine Liste:

6. John Ferguson, ca. 36 Jahre, ca. 1,78 groß, Strohwitwer. Landschaften und Figuren. Streit wegen Mauer.

«Übrigens», fragte er weiter, «ist Jock Graham irgendwo in der Gegend?»

«Jock – nee, der ist weg. Letzte Nacht ist er überhaupt nicht nach Hause gekommen. Hat gesagt, er will zum Angeln rauf nach Loch Trool.»

«Oho!» rief Wimsey. «Zum Loch Trool ist er? Wie ist er da denn hingekommen?»

«Keine Ahnung. Der Verwalter wird ihn eingeladen haben. Vielleicht ist er über Nacht in Newton Stewart geblieben und morgens mit dem Verwalter hingefahren. Vielleicht hat er aber auch die ganze Nacht dort geangelt.»

«So, so, hat er das?» meinte Wimsey. Das gab dem Fall ja wieder einen völlig neuen Aspekt. Ein gesunder und kräftiger Mann konnte die Leiche zum Minnoch gefahren haben und dann zu Fuß nach Newton Stewart zurückgekehrt sein, um seine Verabredung einzuhalten, falls der Zeitpunkt dafür nicht zu früh lag. Aber das ging natürlich nur bei einer Angelpartie bei Tag, und Jock Graham arbeitete gern bei Nacht.

«Kommt er heute abend wieder, Joe?»

«Da hab ich nun gar keine Ahnung», sagte der Wirt und machte Wimseys Hoffnungen so mit einem Schlag zunichte. «Die bleiben vielleicht auch zwei Nächte oben, wenn die Fische gut beißen.»

«Hm», machte Wimsey. «Wie schön für die beiden. Na ja, aber ich muß jetzt weiter.»

Er bezahlte, und der Wirt begleitete ihn nach unten.

«Wie geht’s Andy?» fragte er beiläufig.

«Ach, ganz gut», antwortete der Wirt. «Nur heute ist er fuchsteufelswild. Hat ihm doch irgend so ein Kerl sein Fahrrad geklaut. Und zu allem Unglück hatte er eben erst neue Reifen auf beide Räder montiert.»

Wimsey, den Daumen schon am Anlasser, hielt wie elektrisiert inne.

«Wie denn das?»

«Selber schuld. Immer läßt er es einfach herumstehen. Wahrscheinlich hat so ein Tippelbruder oder Teppichhändler es mitgehen lassen. In Gatehouse würde so was keiner machen.»

«Wann hat er es denn vermißt?»

«Heute früh, als er zur Schule wollte. Ein Glück, daß es nicht das Motorrad war, das er immer von mir gekauft haben will.»

«Ich wette, das hat sich nur jemand ausgeliehen», sagte Wimsey.

«Wird wohl so sein. Vielleicht taucht es wieder auf. Also dann, einen schönen Tag noch, Mylord.»

Wimsey fuhr nicht über die Brücke, sondern die Straße hinauf zum Bahnhof. Er passierte die Abzweigung nach links, die an der Alten Kirche von Anwoth vorbei zur Straße nach Creetown führt, und folgte dem Lauf des Fleet bis zu einem schmalen Weg, der nach rechts abbog. Der Weg endete vor zwei kleinen, einzeln nebeneinanderstehenden Sommerhäusern, die auf einen tiefen kleinen Tümpel blickten – den berühmten Tümpel des Anstoßes, in den Jock Graham den verblichenen Campbell getaucht haben sollte.

Normalerweise hätte Wimsey erwartet, beide Haustüren vertrauensselig unverschlossen vorzufinden, aber heute war das untere Cottage, in dem Campbell wohnte, zugeschlossen, wahrscheinlich von der Polizei. Wimsey sah nacheinander durch alle Fenster des Erdgeschosses. Alles wirkte friedlich und ordentlich, wie die Zugehfrau es morgens zurückgelassen hatte. Vorn befand sich ein Wohnzimmer im Junggesellenstil, hinten eine Küche – das Übliche, mit einem Schlafzimmer darüber. An die Küche war ein Atelier mit Glasdach angebaut worden. Rechts der Schuppen, in dem Morris gestanden hatte, war leer, und zwei frische Reifenspuren im Staub zeigten, wo der Wagen morgens hinausgefahren worden war. Gleich dahinter führte ein Holzgatter in einen verwilderten kleinen Garten. An das Atelier schloß sich eine Gartenmauer aus rohen Steinen an, die Hof und Garten vom Nachbargrundstück trennte, und Wimsey sah die Bresche in der Mauer und den Schutthaufen, wo Campbell beim Einfahren in die Garage so ungeschickt zurückgesetzt und Anlaß zu solch unnachbarlichen Gefühlen gegeben hatte.

Fergusons Cottage war mit Campbells genau identisch, nur daß der Garten gepflegt und die nagelneue Garage – o Schande – aus Wellblech war. Wimsey stieß die Garagentür auf und stand vor einem blitzenden neuen Zweisitzer einer beliebten Marke.

Das wunderte ihn im ersten Augenblick. Ferguson war mit dem Frühzug nach Glasgow gefahren, und der Bahnhof von Gatehouse lag sechseinhalb Meilen außerhalb des Orts. Warum war Ferguson nicht mit dem Wagen gefahren? Er hätte ihn ohne weiteres bis zu seiner Rückkehr am Bahnhof stehen lassen können. Aber der Wagen schien ein neues Spielzeug zu sein; vielleicht wollte er ihn nicht gern in fremder Obhut wissen. Oder hatte er vielleicht die Absicht, länger fortzubleiben? Oder –?

Wimsey klappte nachdenklich die Motorhaube auf. Ja, das war die Erklärung. Eine Lücke und ein paar lose Anschlüsse zeigten, daß der Magnetzünder herausgenommen worden war. Ziemlich wahrscheinlich hatte Ferguson ihn zur Reparatur mit nach Glasgow genommen. Aber wie war Ferguson dann zum Bahnhof gekommen? Hatte ihn jemand mitgenommen? War er mit dem Bus gefahren? Mit dem Fahrrad? Das einfachste wäre, hinauszugehen und zu fragen. Auf einem kleinen ländlichen Bahnhof bleibt kein Fahrgast unbemerkt, und es konnte sowieso nicht schaden, wenn Lord Peter sich vergewisserte, ob Ferguson wirklich diesen Zug genommen hatte.

Wimsey klappte die Haube zu und schloß die Garagentür fest hinter sich. Die Haustür war unverschlossen, also ging er hinein und sah sich um. Alles war ordentlich und so unpersönlich wie nur eben möglich. Mrs. Green hatte überall gefegt, abgestaubt und aufgeräumt, sogar im Atelier, denn wenn der Künstler nicht im Hause ist, stürzt die Zugehfrau sich stets auf seine Farbtöpfe, und keine Zurechtweisung oder Belehrung kann das verhindern. Wim