Armutsbekämpfung - Clemens Sedmak - E-Book

Armutsbekämpfung E-Book

Clemens Sedmak

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Beschreibung

Armut verhindert gutes Leben und gutes Zusammenleben. Armut rührt an tiefste Schichten menschlicher Identität. Wie kann Armutsbekämpfung gelingen? Um diese Frage zu beantworten, ist es erforderlich, einen Begriff von Armut, eine Gerechtigkeitstheorie (warum ist Armut ein Übel, das bekämpft werden muss?) und Umsetzungsstrategien zu entwickeln. Eben dies möchte das vorliegende Buch leisten. Anhand von guten Beispielen und best practices wird der Horizont der Armutsbekämpfung erschlossen. Dabei wird die These vertreten, dass Armutsbekämpfung nicht ohne die Bereitschaft zum Privilegienabbau erfolgen kann. Es ist nicht nur die Frage "Warum bist du arm?" zu stellen, sondern auch die Frage "Warum lebst du im Wohlstand?". Armutsforschung und Wohlstandsforschung sind miteinander zu verbinden.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

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© 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar

Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Korrektorat: Sonja Knotek, Wien

Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien

Satz: Michael Rauscher, Wien

Druck und Bindung: FINIDR s.r.o., Český Těšín

Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier

Printed in the Czech Republic

ISBN 978-3-205-79468-4 (Print)

Datenkonvertierung: Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld

ISBN für dieses eBook: 978-3-205-79308-3

Inhalt

Cover

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort

Erster Teil: Über Armut nachdenken

Wieder ein Buch über Armutsbekämpfung?

Zur Ethik des Nachdenkens über Armut

Die Frage nach der Perspektive

Die Wunde des Wissens

Zweiter Teil: Die Kernthese

Die These: Armut »von innen« denken

Armut und Identität

Armut und Integrität

Eine Innenperspektive – Carolina Maria de Jesus

Dritter Teil: Innenseiten

Die Innenseite der materiellen Welt: die Bedeutung von Dingen

Die Innenseite des Politischen

Innenwirtschaft: die Innenseite des Ökonomischen

Die Innenseite des Sozialen: die intangible Infrastruktur

Vierter Teil: Die normative Frage: Ist Armut ein Übel?

Der Status der Frage

Die Frage nach dem guten Leben

Die Frage nach der guten Gesellschaft

Liebe ohne Zögern: Ian Brown

Fünfter Teil: Armut bekämpfen

Soziale Veränderung

Privilegienabbau

Armutsbekämpfung

Hospitalität und Innerlichkeit: Georg Sporschill

Schönheit gegen Armut: Stacey Edgar

Armutsbekämpfung als Freundschaftsdienst: Martin Kämpchen

Geduldiges Kapital: Jacqueline Novogratz

Selbstdisziplin und Vertrauen: Dave und Liane Phillips

Eine Spiritualität des Gebens: Doraja Eberle

Zusammenfassende Thesen

Epilog

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Appendix

Zum Autor

Personenregister

Sachregister

Backcover

Vorwort

Armut wird nicht bekämpft werden können, wenn sich nicht Einstellungen verändern und wenn nicht notwendiges Wissen verfügbar ist. Einstellungen und Wissen deuten auf »die innere Situation« des Menschen hin. Diesem Gedanken – der Rolle der Innerlichkeit in der Armutsbekämpfung – will das vorliegende Buch nachgehen. Dabei werden die Überlegungen zur Armutsbekämpfung in Überlegungen zum guten Leben und zur guten Gesellschaft eingebettet. Das Buch arbeitet mit einer Reihe von Beispielen, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren, nicht das einzubüßen, was Wittgenstein »Reibung« genannt hat. Als Dialog zwischen philosophischen Überlegungen mit Erfahrungen in der Armutsbekämpfung ist dieses Buch gewissermaßen ein Experiment. Es möge mit Wohlwollen aufgenommen werden, wenn es auch sicherlich einige grobe Skizzen zeigt und das Risiko, den Aspekt der Innerlichkeit zu stark zu akzentuieren, mit sich bringt. Das hinter diesem Buch stehende Anliegen ist, Vorarbeiten zu ­einem »Identitäts-« oder »Integritätszugang« zu Armut und Armutsbekämpfung zu leisten. Ich greife dabei auf bereits von mir publizierte Arbeiten zurück, die im Literaturverzeichnis angeführt sind und in diesem Buch in einen systematischen Kontext gestellt werden.

Bedanken möchte ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen am King’s College London und am Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg. Herzliches Danke an Christine Zwilling für die Arbeit am Literaturverzeichnis. Ganz großer Dank an meine Frau Maria für die Hilfe bei Manuskriptkorrekturen. Mein Dank gilt auch Ursula Huber vom Böhlau Verlag, die das Projekt kompetent und freundlich begleitet hat.

Ich möchte dieses Buch mit großem Respekt und mit großer Dankbarkeit Heinrich Schmidinger widmen. Er steht nicht nur für »tiefe Politik«, sondern auch für die Kraft der Freundschaft, die zum guten Leben und in eine gute Gesellschaft gehört.

London und Salzburg, im Herbst 2013

[<<7] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe

Erster Teil: Über Armut nachdenken

Wieder ein Buch über Armutsbekämpfung?

1.1 Armut, verfestigt, gewichtig und wählerisch, soll nicht sein. Verfestigte Armut ist eine Lebensform wie eine dicke Eisdecke, die nicht aufgebrochen werden kann; gewichtige oder signifikante Armut ist das Vorkommen solcher Lebenslagen in einer im sozialen Vergleich bedeutsamen Häufigkeit und Tiefe; wählerische oder selektive Armut bedeutet, dass diese Lebenslage nur Teile eines Gemeinwesens betrifft. Das Grundanliegen dieses Buches ist dieser Gedanke: Verfestigte, signifikante und selektive Armut soll nicht sein. Das ist ein normativer Anspruch, der einzulösen ist. Armut, verfestigt, gewichtig und wählerisch, muss nicht sein, ist vermeidbar, kann bekämpft werden. Das ist ein empirischer Anspruch, der gezeigt werden muss. Diese beiden Ansprüche rechtfertigen das Buch.

1.2 Das vorliegende Buch möchte dreierlei bieten: (i) Eine Einbettung der Diskussion von Armut und Armutsbekämpfung in eine Theorie von gutem Leben und ernsthafter Gesellschaft; (ii) eine Verbindung von grundsätzlichen Überlegungen und dichten Beispielen; (iii) eine klare These und Perspektive, die Idee nämlich, Armut(sbekämpfung) von der Innerlichkeit des Menschen her zu verstehen und Armut »von innen« her, mit Blick auf die epistemische Situation des Menschen zu denken.

1.3 Das Buch arbeitet vor allem mit Beispielen (E), Mikrotheorien (MT) und Referenzdenken (RD).

(E): Ein Beispiel hat zumindest drei Funktionen: Es illustriert einen bereits geäußerten Anspruch; es erklärt eine Sichtweise; es vertieft einen Punkt, der um »Dichte« und »Frische« ergänzt wird. Beispiele »zeigen« und unterliegen Regeln. Das Beispiel ist etwas Besonderes, weist aber auf etwas Allgemeines hin. Durch das Beispiel wird die Verbindung zwischen der Regel des Sprachgebrauchs und der Anwendung der Regel hergestellt – oder auch zwischen der allgemeinen These und deren Transfer auf eine Situation. Beispiele sind gerade dort angebracht, wo keine allgemeinen Regeln zur Verfügung stehen. Wenn Armutssitua-[<<9] Seitenzahl der gedruckten Ausgabetionen in ihrer Einmaligkeit gewürdigt werden sollen, eignet sich das Mittel des Beispiels in besonderer Weise.

(MT): Eine Mikrotheorie ist die Analyse einer »dichten Beschreibung«, die als »Fenster in Fundamentales« fungiert. Eine Mikrotheorie ist eine systematische und interessengeleitete Darstellung von relevanten Punkten aus einer Erfahrungsbeschreibung. Die genaue Analyse einer besonderen Erfahrung vermittelt einerseits einen Sinn für strukturelle Faktoren, die den Einzelfall geprägt haben, andererseits erleichtert die Analyse eines besonderen Kontexts die Identifikation von relevanten Faktoren, auf die auch in anderen Kontexten und im Sinne allgemeiner Thesenbildung zu achten ist. Mikrotheorien über Armut arbeiten mit dichten Beschreibungen von Armutssituationen und Armutsdynamiken; sie vermitteln Plastizität, Polyfonie und Dringlichkeit. Plastizität bedeutet die detailreiche Beschreibung einer kontingenten und einzigartigen Situation, Polyfonie meint die vielen Schichten, Untertöne und Nuancen, die Armut annehmen kann, Dringlichkeit bezieht sich auf die Relevanz des Wissens von Armut, das zum Handeln hin drängt. Eine Mikrotheorie folgt einem Dreischritt: Mit einer Ausgangstheorie, die Schlüsselfragen und Schlüsselbegriffe liefert und das Interesse leitet, wird eine dichte Beschreibung angenähert. Aus der Beschreibung werden Beispiele für die Schlüsselfragen und Schlüsselbegriffe gewonnen; diese werden einer allgemeinen Reflexion zugeführt, mit Blick auf die Frage: Was sagt dieses besondere Beispiel Allgemeines über das Thema aus? Damit ist eine Mikrotheorie der Struktur eines hermeneutischen Zirkels unterworfen: Das Vorverständnis von relevanten Punkten aufgrund einer Vortheorie erleichtert die Identifikation von relevanten Punkten im Textmaterial, was wiederum die Vortheorie verfeinert und die Suche nach weiteren relevanten Punkten verschärft. Die Mikrotheorien sind glaubwürdigen Erfahrungen von Armutsbekämpfung entnommen.

(RD): Die Theorie wird in Auseinandersetzung mit Hintergrundtheorien, mit Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, entwickelt. Diese Quellen stellen »Referenzdenken« bereit, Reflexions- und Theorienangebote, auf die sich die Theoriebildung bezieht.

E 1.1 Die Ausgangsfrage für ein Buch über Armutsbekämpfung kann lauten: Wieder ein Buch über Armutsbekämpfung? Hier entstehen Begründungsverpflichtungen. Bücher zur Armutsforschung können etwa mit Blick auf »Wissenslücken« gerechtfertigt werden. Es gibt viele armutsrelevante Aspekte, bei [<<10]denen die Datenlage (etwa: Sklaverei im globalen Kontext, illegale Migration, Schwarzarbeit, ländliche Armut in Entwicklungsländern, lokale Umsetzung von Makrostrategien) unzureichend und unsicher ist. Wie verwenden armutsgefährdete Menschen tatsächlich ihr Geld? Wie viel an anekdotischem Wissen ist im Umlauf? Esther Duflo kommentiert, dass sich der Diskurs über Mikrofinanzierung »wie viele Armutsdiskussionen mehr aus Emotionen und Anekdoten denn aus Reflexionen und konkreten Fakten« speist.1 Anirud Krishna nennt eine Reihe von Wissenslücken für Armut in Entwicklungsländern: »Among people who are presently poor, how many were born poor and how many others have become poor within their lifetimes? We do not know. How many people have fallen into poverty anew during the past 10 or 20 years? How many previously poor people have escaped from poverty in the same period? For what reasons have only some poor people (and not others) succeeded in escaping out of poverty? We do not have reliable answers to any of these questions.«2 Bücher über Armutsbekämpfung können auch mit der Idee einer Begriffsschärfung oder eines Wörterbuchs gerechtfertigt werden. Raymond Williams hatte seinerzeit eine Kulturtheorie anhand von Schlüsselbegriffen (industry, democracy, class, art, culture) entwickelt.3 Ähnlich kann man sich dem komplexen Thema »Armut« annähern, indem man über Schlüsselbegriffe in einem »Wörterbuch der Armutsforschung« nachdenkt, Begriffe wie »Zugehörigkeit«, »Verwundbarkeit«, »Spielraum«. Ein Buch über Armutsbekämpfung kann mit Originalität gerechtfertigt werden – oder auch mit der Dienstleistung, »good practices« zusammengestellt zu haben. Das sind Beispiele für Begründungen. Das vorliegende Buch möchte von Mikrotheorien lernen und einer besonderen Perspektive (einem Fokus auf Interiorität) nachgehen.

RD 1.1 Der hier entwickelte Zugang zu Armutsbekämpfung arbeitet mit Beispielen und Mikrotheorien. Einsichten in die Theorie des Beispiels können wir dem Werk Ludwig Wittgensteins entnehmen; Wittgenstein macht sich in seinen sprachphilosophischen Untersuchungen, in denen er mit Beispielen arbeitet, selbst den Vorwurf, dass er nicht zu sagen vermag, was denn das Wesentliche des Sprachspiels sei.4 Er macht sich den Vorwurf, sich in Beispielen zu verlieren. Dabei deutet er an, dass dies in der Art des untersuchten Materials liege und Teil der Methode sei. In Wittgensteins Untersuchungen ist ein Beispiel gleichzeitig Modell für philosophische Untersuchungen und Anwendungsfall. Wenn die Vielfalt des Sprachgebrauchs in den Blick genommen werden soll, erweist sich die Analyse von Beispielen als gangbarer Weg. Das Beispiel formuliert keine all-[<<11]gemeine Marschroute, weist aber in die Richtung, in die man weitergehen kann, es schließt die »Lücke« zwischen grammatischer Regel und der Anwendung. Sprache wird durch Beispiele und Übung gelernt. Das Beispiel ist also notwendiger Bestandteil der sprachlichen Praxis und der Lernpraxis und nicht bloß eine Dekoration oder ein Accessoire. Neben der Funktion der Regeletablierung ermöglichen Beispiele auch die Überraschung, den Hinweis auf die Möglichkeit, von der gewohnten Richtung abzuweichen. Beispiele leisten etwas, was wir mit anderen Mitteln nicht leisten können. Ähnlich wie Metaphern nach einer bestimmten Metapherntheorie dort einzusetzen sind, wo die etablierten sprachlichen Mittel an Grenzen stoßen, sind Beispiele gerade in unterbestimmten Bereichen zu wählen, also etwa dort, wo keine allgemeinen Regeln zur Verfügung stehen. Dabei ist die exemplarische Darstellung nicht der Beliebigkeit überlassen. Ein Beispiel »zeigt« etwas. Und wenn »gezeigt« wird, haben wir es mit beispielgebenden Akten, mit Exemplifikation zu tun. Eine hinweisende Definition ist in der Regel eine Definition anhand eines Beispiels. Ich zeige auf eine Wand und sage: »Das ist kaminrot.« Damit wird ein Beispiel gegeben; dieses Beispiel geht von einer »Vortheorie« aus, die durch das Beispiel vertieft und konkretisiert werden kann. Beispiele und Mikrotheorien, wie sie dieses Buch durchziehen, erfüllen eine »Zeige«-Funktion.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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