Arrogant, reich und verführerisch - Katy Evans - E-Book + Hörbuch

Arrogant, reich und verführerisch Hörbuch

Katy Evans

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Beschreibung

Nie wieder wird sie für diesen arroganten Tyrannen arbeiten! India Crowley fühlt sich großartig, als sie ihrem Boss William Walker die Kündigung vor die Füße wirft. Doch dann bittet er sie, als Nanny für seine kleine Nichte einzuspringen. Ein Nein ist unmöglich, schließlich kann sie das Kind doch nicht mit diesem Egoisten allein lassen! In der Villa des Womanizers knistert es bald heiß zwischen ihnen, und William als zärtlicher Dad macht India sprachlos. Sie ist sicher: Der sonst so unnahbare Workaholic verbirgt noch weitaus mehr vor ihr …

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Zeit:5 Std. 29 min

Sprecher:Marie Graeve
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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by Katy Evans Originaltitel: „BIG SHOT“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2134 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Ute Augstein

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733726195

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

India

Es gibt drei Dinge in meinem Leben, die mich wirklich nerven. Als Allererstes wäre da meine Schlafstörung, die mich mit schöner Regelmäßigkeit jeden Morgen um fünf Uhr aufwachen lässt – auch an den Wochenenden. Als Zweites die Tatsache, dass nicht jeder Mensch von diesem Problem betroffen ist. Beispielsweise schwebt meine Mitbewohnerin Montana jeden Morgen ausgeruht, frisch und im Gegensatz zu mir gänzlich ohne Augenringe in die Küche, um zu frühstücken. Ich hingegen bin zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Stunden wach und fühle mich angesichts dieser unverschämten Vitalität noch miserabler. Das Schlimmste für mich ist allerdings die Tatsache, dass ich meinen Boss aus tiefstem Herzen hasse.

Meinen fordernden, arroganten Boss, der anstelle eines menschlichen Herzens einen Stein in der Brust sitzen hat.

Kennen Sie diese Typen, die fieberhaft auf den Türöffnungsknopf des Fahrstuhls drücken, wenn sie jemanden sehen, um nicht mit ihm sprechen zu müssen? Wissen Sie was?

Genau so ist mein Boss. Nur schlimmer.

Es ist gerade mal kurz nach fünf Uhr morgens.

Obwohl ich bereits seit mehreren Minuten wach bin, habe ich noch keinen Versuch unternommen aufzustehen. Meine Gedanken kreisen unentwegt darum, dass mir ein weiterer langer Tag mit dem aufgeblasenen Schönling William Walker bevorsteht. Seit ich vor einem Jahr seine Assistentin geworden bin, macht er mir das Leben zur Hölle. Seither wache ich jeden Morgen zu dieser unseligen Zeit auf und zerbreche mir den Kopf, wie ich mich vor der Arbeit drücken kann, ohne meinen Job zu verlieren.

Soll ich mich krankmelden?

Eine Schramme auf meine Stirn malen und behaupten, dass ich gefallen bin?

Erklären, dass mein Hund nicht meine Hausaufgaben, sondern mich gefressen hat?

Gewagt – zumal ich nicht einmal einen Hund habe und auch nicht mehr auf dem College bin.

Außerdem ist William Walker schlimmer als jeder Unidozent, den ich je hatte.

Schlimmer als überhaupt jemand, dem ich je begegnet bin.

Wie Voldemort, aber ziemlich sexy.

Die Minuten verstreichen. Seufzend stehe ich endlich auf und ziehe wie üblich einen grauen Hosenanzug an, der sozusagen meine Standarduniform für einen Tag bei Walker Industries ist. Schließlich will ich meinen Boss nicht mit meiner Kleidung, sondern vielmehr mit meinen Fähigkeiten und meiner Arbeitsmoral beeindrucken. Zumindest wollte ich das einmal, bis mir bewusst wurde, dass das meinen Chef nicht interessiert.

Nachdem ich mich angezogen, mir das Gesicht gewaschen und die Zähne geputzt habe, gehe ich in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuschalten. Die Küche ist der schönste Raum in unserem Apartment, weil meine Mitbewohnerin Montana wahnsinnig gern backt. Sehnsüchtig blicke ich zu ihrer Zimmertür und wünsche mir lächelnd, dass sie aufwacht und etwas Köstliches aus dem Backofen zaubert.

Da ich allerdings weiß, dass dies innerhalb der nächsten vier Stunden nicht geschehen wird, nehme ich meinen Kaffeebecher und mache es mir mit dem Laptop auf einem der Barhocker bequem, um an meinem Roman weiterzuarbeiten. Es kann Fluch und Segen zugleich sein, morgens so früh aufzuwachen, aber es ist jedenfalls die perfekte Gelegenheit, in Ruhe zu schreiben.

An diesem Morgen spüre ich meinen kreativen Flow ganz besonders intensiv, denn ich versinke förmlich in der Geschichte. Meine Finger machen sich selbstständig und berühren die Tasten kaum, während ich schreibe. Und schon habe ich fünfhundert neue Wörter auf meinem Bildschirm.

Dabei habe ich keine Ahnung, ob das, was ich geschrieben habe, auch gut ist. Die Perfektionistin in mir sehnt sich danach, noch einmal zurück an den Anfang zu gehen und meine Fehler zu korrigieren. Doch schon vor langer Zeit habe ich gelernt, die zweifelnden Stimmen in meinem Kopf zu ignorieren. Wenn ich meinen Roman jemals zu Ende bringen möchte, dann muss ich die Wörter einfach fließen lassen, wie sie kommen. Später kann ich immer noch alles in Ruhe durchgehen und den Sätzen den perfekten Schliff verleihen.

Das ist der Teil, den ich bei der ganzen Sache am meisten liebe.

Wenn ich schreibe, fällt es mir leicht, meine Arbeit und albtraumhafte Chefs zu vergessen. In dem Moment jedoch, indem ich Montanas Wecker höre, weiß ich, dass meine friedvolle Zeit beendet ist. Zwar habe ich an diesem Morgen viel geschafft, doch ich sehne mich danach, weiterzuschreiben. Auf gar keinen Fall möchte ich daran erinnert werden, dass es heute wieder an der Zeit ist, William Walker zu treffen.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, sagt Montana mit einem strahlenden Lächeln, als sie die Küche betritt und geradewegs auf den Kühlschrank zugeht, um die Zutaten für ihren frühmorgendlichen Smoothie zusammenzusuchen. Wie immer sieht sie beneidenswert frisch aus, obwohl sie gerade erst aufgestanden ist. Ihr schwarzes Haar hat sie zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihr zarter Teint ist makellos, obwohl sie keine Spur Make-up trägt.

„Guten Morgen, Süße“, erwidere ich lächelnd und schließe meinen Laptop. „Du bist selbst so schön wie die Sonne.“

Lachend wirft mir Montana einen Blick über die Schulter zu. „Und?“, fragt sie hoffnungsvoll. „Hast du ein bisschen schreiben können?“

„Massenweise. Nur zu schade, dass ich jetzt aufhören muss. Willst du noch joggen?“, erkundige ich mich.

Sie blickt auf ihre Armbanduhr. „Wenn ich es vorher noch hinbekomme. Ich muss heute um acht Uhr in der Bäckerei sein.“

Seit fast einem Jahr arbeitet Montana in der angesagtesten Konditorei der Stadt. Die backen dort nicht etwa Bienenstich und Brötchen, sondern die ausgefallensten Hochzeitstorten und Ausstellungsbackwaren, die man sich nur vorstellen kann. Obwohl die Sachen höllisch teuer sind, können die Leute in Chicago nicht genug davon bekommen, und die Geschäfte laufen gut.

Auch ich stehe auf die süßen Delikatessen, die Montana von der Arbeit mit nach Hause bringt.

Meine Mitbewohnerin ist wirklich eine beneidenswerte Person: Sie ist erfolgreich in ihrem Traumjob, hat den Körper einer Göttin und den besten Charakter, den man sich vorstellen kann. Insgesamt hat sie also alles, wovon normale Frauen nur träumen, trotzdem muss man sie einfach gernhaben, denn sie ist außerdem die reizendste Person, die ich kenne. Sie ist wie eine Schwester für mich, und ich wünsche ihr alles Glück auf Erden.

„Ich bin ziemlich sicher, dass dein Körper es dir verzeihen würde, wenn du mal auf ein Workout verzichtest“, sage ich und strecke scherzhaft die Zunge heraus.

Montana lacht. „Oh, nein, das kann ich nicht tun. Wenn ich erst mal damit anfange, nichts zu tun, hat mein innerer Schweinehund gewonnen. Wenn ich es jetzt nicht schaffe, trainiere ich heute Abend. Willst du mich dabei begleiten?“

Abwehrend halte ich die Hände hoch. „Nein, vielen Dank. Mein Training besteht darin, zum Kaffeeautomaten zu rennen.“

„Weißt du“, sagt Montana, während sie die Zutaten in den Mixer schüttet. „Ich finde es schrecklich, dass du für diesen Typen arbeiten musst. Weißt du, was ich neulich im Business Insider gelesen habe? Man nennt ihn auch den Mann aus Stein. Lächelt der Kerl eigentlich jemals?“

„Niemals“, erwidere ich verächtlich.

Plötzlich wird Montana ernst. „India, wirklich, ich liebe dich wie eine Schwester. Aber ich glaube, dass dieser Job nicht das Richtige für dich ist. Wann hat dich dieser Kerl neulich angerufen? Mitten in der Nacht, oder? Ich glaube, es ist drei Uhr morgens gewesen, als ich gehört habe, wie dein Handy geklingelt hat.“

„William ist ein Workaholic. Er weiß nicht, wann Schluss ist, und denkt, dass alle wach sind, wenn er wach ist“, entgegne ich und habe keine Ahnung, warum ich ihn überhaupt verteidige, denn ich hasse diesen Typen. Wirklich.

„Ich dachte nur, vielleicht … Also, wie auch immer, ich will einfach nicht mehr diese dunklen Ringe unter deinen Augen sehen, Indy.“

Schwach lächelnd verstaue ich meinen Laptop. „Glaub mir, mir gefallen sie auch nicht. Aber dieser Job ist nun mal notwendig. Durch ihn kann ich mich über Wasser halten, während ich an meinem Roman schreibe. Und genau aus diesem Grund halte ich durch, selbst wenn ich diesen Job hasse“, erkläre ich optimistischer, als ich mich fühle. „Dieses Buch wird ein Bestseller, dass spüre ich.“

„Trotzdem …“ Konzentriert schüttet Montana ihren Smoothie in ein Glas. „Du solltest dir nicht alles von diesem Typen gefallen lassen. Sag ihm deine Meinung, wenn’s nötig ist, und erinnere dich immer daran, wer dein wirklicher Boss ist. Das bist nämlich du selbst, Indy.“

Ich habe das Gefühl, mein Lächeln wirkt so gezwungen, dass meine Mitbewohnerin es bestimmt merkt. „Tja, danke für den großartigen Ratschlag, Mon. Wir sehen uns nachher, okay?“

„In Ordnung, Sweety. Ich wünsche dir einen tollen Tag. Bye.“

„Bye.“ Während ich den Raum verlasse, wird mir bewusst, dass mich jeder Schritt näher zum Büro bringt. Näher zu William Walker, dem Mann, dem man nachsagt, er hätte ein Herz aus Stein. Oh, ja. Alles an diesem Typen ist steinhart, auch sein Herz.

Unwillkürlich erschauere ich, als ich ihn mir in seinem maßgeschneiderten Anzug vorstelle. Moment mal, was mache ich denn da? Das war doch bestimmt ein Gefühl der Angst, das ich eben gespürt habe, oder? Klar, ich bin bestimmt nicht so masochistisch, dass mein Zittern einen anderen Grund haben könnte.

Nachdem ich das Apartment verlassen habe, gehe ich zur Haltestelle. Es ist nicht weit bis zu meiner Arbeit – leider. Ich bin viel schneller in der Hölle, als mir lieb ist.

Wollen Sie mal etwas Lustiges hören? Während meiner Arbeitszeit denke ich meistens an nichts anderes als daran, wie ich meinen Boss loswerden und meinen Job trotzdem behalten könnte. Das ist nicht ganz einfach, aber ich bin ziemlich geschickt darin. Schließlich habe ich nichts Besseres zu tun mit meiner Zeit, wenn ich Formulare ausfülle, Telefonate entgegennehme und versuche, alles perfekt zu machen für einen Mann, dem man nichts recht machen kann.

In den wenigen freien Minuten, die ich jeden Tag habe, hänge ich Tagträumen nach. So stelle ich mir beispielsweise vor, eine Prise Salz in seinen Kaffee zu schütten oder all seine Ordner am falschen Platz abzulegen. Natürlich bin ich viel zu perfektionistisch, als dass ich so etwas wirklich tun würde. Aber man wird ja wohl noch mal träumen dürfen, oder?

Meine Mutter hat mich schon oft über meine Arbeit ausgefragt. Wenn ich ihr Williams Verhalten beschreibe, glaubt sie immer, dass ich überreagiere. Anstatt mit mir mitzufühlen, erzählt sie mir immer, dass sie ihn im Business Insider gesehen hat und wie attraktiv er aussieht. Außerdem behauptet sie, dass ernstes Auftreten das Markenzeichen eines guten Chefs sei. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte sie für einen Tag mit zu meiner Arbeit nehmen. Dann würde sie es selbst sehen und mich verstehen.

Aber vermutlich würde sie immer noch behaupten, dass er einen fantastischen Ehemann abgäbe.

Dass ich nicht lache! Die Frau, die ihn eines Tages abbekommt, bedauere ich jetzt schon.

Okay, er mag Millionär sein, aber er hat auch Millionen von Mauern um sich herum errichtet. Ein ganzes Frauenleben würde nicht ausreichen, auch nur ein paar von ihnen einzureißen.

Als ich nach der Fahrt die U-Bahn-Station verlasse, werde ich von dem für Chicago üblichen kalten Wind begrüßt und stehe vor dem Gebäude, in dem ich den ganzen Tag verbringen werde. Es ist der Hauptsitz von Walker Industries, eines der landesweit größten Unternehmen im Bereich Online-Gaming. Mom sagt, ich kann stolz darauf sein, unter Hunderten von hoffnungsvollen Bewerberinnen als William Walkers Assistentin ausgewählt worden zu sein. Doch während ich auf das gigantische Gebäude starre, würde ich lieber sanitäre Einrichtungen reinigen, als jetzt hier reinzugehen.

Warum? Was ist bloß mit mir los?

Dabei war ich so aufgeregt, als mich die Personalabteilung von Walker Industries eingestellt hat. Ich war wissbegierig und wollte nur von den Besten lernen. William Walker hatte den Ruf, ein Genie zu sein. Ganz allein hat er das Unternehmen aufgebaut und zum Erfolg geführt. Doch als ich ihn am ersten Tag hinter seinem Schreibtisch sitzen sah, wurde mir beim durchdringenden Blick seiner blauen Augen ganz schwindelig vor Angst. Ich befürchtete, keinen besonders guten ersten Eindruck zu hinterlassen.

Also versuchte ich zu retten, was zu retten war, und begrüßte ihn. Meine Stimme klang jedoch ganz zittrig, und ich wurde immer nervöser, je durchdringender er mich anstarrte. Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, wie wenig er von mir hielt. Von diesem Tag an hat er sich mir gegenüber wie ein Mistkerl verhalten, und ich hasse meinen Job täglich ein bisschen mehr.

Trotzdem sammle ich all meinen Mut zusammen, gehe weiter und nicke den Kollegen am Schreibtisch zu. Ihr Lächeln wirkt ein wenig mitleidig, als sie meinen Gruß erwidern. Sie wissen, für wen ich arbeite, und als sie ihre Gespräche fortsetzen, wirken sie nicht so, als ob sie mit mir tauschen wollten.

Vor dem Aufzug wartet niemand. Alle glauben, einen guten Eindruck zu machen, wenn sie statt des Fahrstuhls die Treppen nehmen – im Gegensatz zu mir. Mein Arbeitsplatz befindet sich ganz oben im zweiunddreißigsten Stockwerk im Büro des CEO und Eigentümers des Unternehmens. Des Alphatiers, größten Blödmanns, des Mannes aus Stein.

Na, wenigstens wartet William heute nicht vor dem Fahrstuhl und drückt in aller Seelenruhe den Knopf zum Schließen der Türen, während ich armwedelnd auf ihn zulaufe, damit er noch auf mich wartet.

In der obersten Etage ist es relativ still. Alle wichtigen Leute des Unternehmens arbeiten hier, und wenn sie wissen, was gut für sie ist, verhalten sie sich so ruhig wie möglich. William hasst es nämlich, gestört zu werden. Das macht es umso verlockender, für eine Störung zu sorgen, aber heute gehe auch ich ganz leise in mein Büro, weil ich nicht in der Stimmung bin, unnötigen Ärger zu verursachen. Mein Arbeitsplatz gleicht einer Glasschachtel, und mittlerweile habe ich mich an meinen leistungsstarken Computer, den ultramodernen Schreibtisch und die atemberaubende Aussicht auf Chicago gewöhnt. In jedem anderen Job hätte ich mich über diese Annehmlichkeiten gefreut, hier aber erinnern sie mich nur daran, dass ich für die nächsten acht Stunden in diesem Raum eingesperrt bin.

Ich bemerke, dass Williams noch nicht da ist. Dabei zählt er zu den Menschen, die täglich viel zu früh mit der Arbeit beginnen. Vermutlich liegt es daran, dass er kein Sozialleben hat – er ist ein einsamer Wolf, wie meine Mutter mir verraten hat. Für mich klingt das jedoch nur, als ob er ein großer Mistkerl ist, mit dem niemand etwas tun haben will und der deswegen keine echten Freunde hat. Und ich muss es schließlich wissen, denn ich führe auch seinen Kalender für private Verabredungen, und davon gibt es nicht viele.

Aber wo steckt er heute nur? Wenn er nicht vor uns anderen da ist, dann ist das schon eine Art Verspätung. Bevor er eintrifft, habe ich wenig zu tun, weswegen ich zum Kaffeeautomaten gehe, um mir eine Tasse zuzubereiten. Gerade als die Maschine die Kaffeebohnen mahlt, öffnet sich die Fahrstuhltür, und William tritt ein.

Zugegeben, er hat etwas an sich, das mir jedes Mal ein bisschen den Atem raubt. Energisch kommt er mit drei weiteren Leuten im Schlepptau auf mich zu. Sein Haar ist perfekt gestylt, sein markantes Kinn glatt rasiert. Wie immer sind seine Augen von einem durchdringenden Blau, und ich kann ihn mir ausgezeichnet auf der Titelseite des Business Insider vorstellen – als das personifizierte Selbstvertrauen. Doch heute wirkt er sehr verärgert.

Alle Kollegen im Büro sehen zu, wie er mit einem Stapel Papieren unter dem Arm auf mich zumarschiert. Seine Eskorte kann dabei kaum Schritt mit ihm halten. Nun bekomme ich es doch ein bisschen mit der Angst zu tun und vergesse meinen Kaffee. Habe ich etwas falsch gemacht?

„Guten Morgen, Mr. Walker …“

„Nur dass es kein guter Morgen ist, oder, India?“, stößt er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und drückt mir den Papierstapel in die Hand. „Beseitigen Sie dieses Chaos! Und ich möchte nichts von Ihnen hören, bevor Sie damit fertig sind.“

Dann dreht er sich um und stapft wortlos davon. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die ganze Zeit über den Atem angehalten habe.

Und genau das ist der Grund, weswegen ich diesen Mann trotz seines guten Aussehens, trotz seines Geldes und trotz seiner energischen Ausstrahlung nicht im Geringsten ausstehen kann.

2. KAPITEL

William

Haben Sie jemals einen Fehler in dem Moment bereut, in dem Sie ihn begangen haben? Mir passiert das ständig. Gerade eben zum Beispiel, vor einigen Sekunden, als ich so unfreundlich zu meiner Assistentin gewesen bin. In dem Augenblick, als ich ihr die Dokumente in die Hand drückte, wusste ich, dass ich mich wie ein Mistkerl benehme. Als ich dann noch weggegangen bin, ohne meinen Fehler zuzugeben, wusste ich, dass ich mich wieder einmal unverzeihlich benommen habe.

Aber wen kümmert das schon? So bin ich nun mal. Mit hoch erhobenem Kopf schreite ich davon, und niemand ist ansatzweise schockiert oder enttäuscht. Die Leute, die für mich arbeiten, erwarten auch nichts anderes von mir. In all den Jahren, in denen ich mich so mies benommen habe, bin ich stets gut weggekommen. Mein schlechtes Verhalten ist für alle anderen so normal geworden, dass sie sich daran gewöhnt haben.

So sind die Dinge nun mal.

Ich betrete mein Büro und schließe die Tür, bevor mir jemand folgen kann. Ich muss unbedingt allein sein, aber das ist schwierig, wenn fast das gesamte Gebäude aus Glas besteht. Dieses Design geht auf einen Vorschlag meines Vaters zurück, den er mir in der Gründungsphase von Walker Industries unterbreitet hat. Zu jener Zeit habe ich nicht viel auf Ästhetik gegeben, weswegen ich zugestimmt habe. Mein Vater behauptete, dass auf diese Weise eine gesunde Arbeitsatmosphäre geschaffen werden würde. Er meinte, meine Angestellten würden mich als positives Vorbild betrachten, wenn sie mir bei meiner Arbeit im Büro zusehen können. Stattdessen fühle ich mich eher wie in einem riesigen Aquarium, in das man von allen Seiten hineinstarren kann.

Leise seufzend setze ich mich an meinen Schreibtisch und hoffe inständig, dass ich nicht so gestresst wirke, wie ich mich fühle. Wenn ich nach links schaue, sehe ich India, die sich in ihr Büro zurückgezogen hat, um mit dem Papierchaos fertig zu werden, das ich ihr aufgebürdet habe. Als sie flüchtig in meine Richtung sieht, lächelt sie mir etwas gezwungen zu, bevor sie ihren Stuhl so herumdreht, dass ich ihr Gesicht nicht mehr sehen kann.

India ist die Einzige, die aus ihrer Abneigung mir gegenüber keinen Hehl macht. Keine Ahnung, ob sie das absichtlich tut, aber bei ihr weiß ich stets, woran ich bin. Das wirkt auf gewisse Weise befreiend, denn alle anderen nehmen mein unfreundliches Verhalten stillschweigend hin, während sie bestimmt denkt: William Walker ist ein richtiger Mistkerl.

Lange Zeit sitze ich an meinem Schreibtisch, ohne etwas zu tun. Ich kann einfach nicht klar denken. Nicht nach den Neuigkeiten, die ich heute Morgen erhalten habe. Mein kleiner Bruder Kit, das schwarze Schaf der Familie, ist vor einigen Monaten Vater geworden, was ich immer noch nicht so richtig glauben kann. Doch die von ihm eingeführten Verbesserungen bei Cupid’s Arrow, einem der weltweit größten Datingportale, haben Kit jetzt zum Milliardär gemacht.

Eigentlich weiß ich gar nicht, warum mich das kümmert. Vielleicht weil ich es gewohnt bin, der Erfolgreichere von uns beiden zu sein – oder weil es mir gefallen hat, stets mit meinem Bruder Kit verglichen zu werden. Seine Fehler ließen mich bisher immer in einem besseren Licht dastehen. Doch das hat sich jetzt geändert. Mittlerweile befinden wir uns auf Augenhöhe, und ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.

Vermutlich bin ich ziemlich egoistisch, wenn ich mich nicht über den Erfolg meines Bruders freuen kann, oder? Dann erkenne ich, was mich so stört. Er hat alles erreicht, was mir auch gelungen ist, nur in wesentlich kürzerer Zeit: Macht, Prestige und Geld.

Selbst seine Ehefrau hat er bei der Arbeit für Cupid’s Arrow kennengelernt. Jetzt besitzt er wirklich alles – inklusive einer perfekten Familie.

Familie.

Das, wonach ich mich immer am meisten gesehnt habe. Mein Vater und ich haben uns nie besonders nahgestanden. Wie Kit ist er Brite. Kit und ich haben verschiedene Mütter. Meine ist eine kultivierte Amerikanerin, die meines Bruders Britin mit einem chaotischen Lebenslauf. Als mein Vater seine erste Frau, meine Mutter, kennenlernte, ist er in den USA sesshaft geworden. Bei einem Familienbesuch in Großbritannien hatte er eine Affäre mit Kits Mutter. Nach zwei Scheidungen lebte er schließlich wieder in Amerika und zog Kit und mich allein auf. Mein Vater und ich verbringen viel Zeit miteinander, aber wenn ich genau darüber nachdenke, haben wir eigentlich eher so etwas wie eine Geschäftsbeziehung. Wir reden über die Firma, Geld, Aktien und andere Investitionen, bevor wir uns die Hände schütteln und wieder getrennter Wege gehen.

Zu Kit hatte mein Vater schon immer eine engere Beziehung. Vielleicht liegt das daran, dass Kit ihm in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich ist. Er ist unbekümmert und unbeschwert und hat seine Zwanziger nicht damit zugebracht, immer alles richtig machen zu wollen. Arbeit, Liebe, Abstinenz. Nichts davon interessierte ihn, und während ich weiter damit beschäftigt war, die Karriereleiter emporzuklettern, hätte ich beinahe den Moment verpasst, in dem er sich veränderte und Alex, seine Frau, kennenlernte. Jetzt hat er wirklich alles, ich hingegen bin immer noch Single und frage mich, ob ich auch jemals eine Chance bekomme, mich zu verändern.

Es fällt mir nicht schwer, Frauen für mich zu interessieren, aber die Beziehungen halten nie besonders lange. In den Augen meiner Partnerinnen bin ich arrogant, unhöflich und schwierig. Vermutlich liegen sie da gar nicht so falsch. Bei meinem Kampf für den Aufbau und Erfolg von Walker Industries ist mein Herz zu Stein geworden. Das ist zumindest das, was die Leute glauben.

Natürlich mache ich ihnen deswegen keinen Vorwurf und verstehe ihre Bedenken sogar. Alles, worüber ich reden kann, ist meine Firma, mit der ich verheiratet bin. Da helfen auch mein attraktives Äußeres und mein Geld nichts.

Mein Temperament ist übrigens auch nicht besonders hilfreich.

Meistens warte ich, bis mein Stresslevel so hoch ist, dass ich einfach Dampf ablassen und meine schlechte Laune an jemandem abreagieren muss wie vorhin an India. Doch im Grunde bin ich kein schlechter Mensch. Das hoffe ich zumindest. Ich bin lediglich vom rechten Weg abgekommen und habe vergessen, wie das ist, gut zu sein. Alles, was ich brauche, um wieder auf den richtigen Kurs zu gelangen, ist die Hilfe einer Frau.

Flüchtig sehe ich zu India hinüber, die an ihrem Computer sitzt und schreibt und dabei sehr konzentriert wirkt. Mit ihrem leicht gebräunten Teint und den Sommersprossen auf der Nase ist sie eine sehr hübsche Frau. Ihre Augen haben dieselbe Farbe wie der Kaffee, den sie so gern trinkt. Große, ungebändigte Locken fallen ihr über die zarte Schulter. Dass sie sich immer in tristen Farben kleidet, spielt keine Rolle, weil sie sowieso gut aussieht.

Als mir auffällt, dass ich sie immer noch anstarre, blicke ich schnell auf meinen Monitor. Ich sollte mir wirklich nicht anmerken lassen, dass ich über meine Assistentin nachdenke, aber das macht viel mehr Spaß, als meinen trüben Gedanken über Kit nachzuhängen.

Unwillkürlich frage ich mich, wie es wohl wäre, eine Frau wie India in meinem Leben zu haben. Auf jeden Fall würde sie mich auf Trab halten, da bin ich mir ziemlich sicher. Auch wenn man es ihr bei der Arbeit nicht anmerkt, bin ich davon überzeugt, dass sie eine temperamentvolle Frau ist. Sie ist höllisch intelligent, strukturiert und ehrgeizig. Eine gute Mitarbeiterin. Außerdem hat sie Humor, und ihre witzigen Bemerkungen bringen die Kollegen am Kaffeeautomaten stets zum Lachen.

Aber ich frage mich auch, wie sie wohl in einer Beziehung wäre. In jeder Hinsicht leidenschaftlich und im Bett natürlich heiß wie ein Vulkan. Ich glaube, dass sie wegen Kleinigkeiten nachtragend und eifersüchtig sein kann, wenn eine andere Frau Interesse an ihrem Partner zeigt – ich kann mich jedoch auch irren. Immerhin hatte ich bisher keine Gelegenheit, sie besonders gut kennenzulernen.