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Wohl jeder hat beim Zahnarzt oder Friseur schon in Illustrierten geblättert und dabei verstohlen die Horoskope begutachtet – ob die Sterne wirklich etwas über unser Leben wissen? Wer dies glaubt, hat jedenfalls prominente Vorgänger, denn selbst der berühmte Goethe ließ sich ein ausführliches Geburtshoroskop erstellen. – Die Geschichte der Astrologie als prägender Bestandteil unserer Kultur reicht bis weit in die Antike zurück. Karl-Heinz Göttert entwirrt die Fäden eines langen, verschlungenen Weges voller spannender Fakten, offener Fragen und Widerstände. Und er führt sogar vor, wie man sein eigenes Horoskop ermittelt.
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Seitenzahl: 110
Karl-Heinz Göttert
Astrologie. 100 Seiten
Reclam
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2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung nach einem Konzept von zero-media.net
Infografiken: annodare GmbH, Agentur für Marketing
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
www.reclam.de/100Seiten
ISBN 978-3-15-961724-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020572-3
www.reclam.de
Die beliebtesten Horoskope hat die Bild-Zeitung. Jeden Tag versorgt sie ihr Publikum mit Trost, mit Hoffnung, mit dem Vergnügen, dass es in dieser Welt geordnet zugeht. Man ist im Februar geboren, im Sternzeichen der Fische, und kann in der entsprechenden Rubrik die Nachricht finden, was einem in aller Regel an Gutem bevorsteht. Und das ganz ohne sein Zutun, ohne Anstrengung, nur deshalb, weil die Sterne sich etwas ausgedacht haben. Oder der Redakteur der Zeitung. Klar, man traut der Zeitung letztlich nicht wirklich. Aber was heißt das schon? Sind »Fische« nicht doch irgendwie so, wie sie sind? Schwimmen zum Beispiel durch alles durch. Oder was man sonst so von diesem oder jenem Exemplar aus langer Erfahrung weiß. Und an diesem Tag, sagen wir: Mittwoch, dem soundsovielten, stehen die Sterne auf eine Weise, dass »Fische« eben dies und das erleben werden.
Wer das kritisiert, hält sich in der Regel für »aufgeklärt«. Aber er übersieht etwas. Was die Bild-Zeitung bietet, ist so interessant denn doch nicht. Es ist schlicht zu einfach. An solcherlei Prognosen haben auch unsere Voreltern nicht geglaubt. Ich soll mich auf eine interessante Begegnung einstellen? Oder auf eine Schwierigkeit im Beruf, die sich bei etwas Einsatz lösen lässt? Und meine Millionen und Abermillionen Mitfische auch, wenn man davon ausgeht, dass jeder zwölfte Mensch in diesem Lande, unter diesem Himmel, statistisch ein »Fisch« ist? Sagen wir es etwas deutlicher: Was die Leser solcher Zeitungen lesen, ist schlicht der schäbige Rest einer Tradition, die man sich nicht kompliziert genug vorstellen kann. Es mag »aufgeklärt« sein, nicht an ein Horoskop der Bild-Zeitung zu glauben. Aber das reicht nicht, um über Horoskope zu urteilen.
Wie wäre es zum Beispiel mit Goethe? In seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit beginnt das »Erste Buch« mit folgender Bemerkung: »Am 28. August, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sich freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins umso mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.« Worauf der Dichter hinzufügt, die Astrologen hätten »diese guten Aspekte« später als glückbringend gedeutet, denn die Hebamme war ungeschickt gewesen und hätte fast den Tod des Neugeborenen bewirkt. Aber eben nicht unter diesen Sternen.
Was ist bei Goethe anders als in der Bild-Zeitung? Es geht um die genaue Geburtsstunde, nicht um den Monat, sondern um Tag und Uhrzeit, um Glockenschlag zwölf. Und es geht auch nicht um die Sonne im Sternkreis allein, sondern um ihre Stellung ganz genau, ihre »Kulmination«, ihren Höhepunkt an diesem Tag. Weiter um den Mond und die Planeten. Die »sahen sich an«, nicht irgendwie, sondern in bestimmten Winkeln. Da gibt es also jede Menge Zeichen am Himmel, deren Deutung nur Experten mit langer Erfahrung wagen können. Anders ausgedrückt: die die Bedeutung (genauer noch: Vorbedeutung) dessen erkennen, was zu genau dieser Stunde für den Neuankömmling am Himmel zu sehen war.
Gesehen? Klar, hier liegt eine Schwierigkeit. Sehr unwahrscheinlich, dass der kleine Johann Wolfgang, der in diesem Moment noch nicht einmal Johann Wolfgang hieß, mit seinen vermutlich fest geschlossenen Augen etwas »gesehen« hat. Wo sich das Ganze auch noch in einem geschlossenen Zimmer abspielte, in dem allenfalls etwas zu hören war, die Schmerzensschreie der Mutter zum Beispiel. Da kommen wir der Sache mit der »Aufklärung« schon näher, denn wer an diese Art von Horoskop »glaubt«, muss jetzt sehr über seinen rationalistischen Schatten springen. Er muss nämlich glauben, dass dieses Sehen nichts mit den Augen zu tun hat, sondern mit der Seele.
Mit was, bitte? Ja, mit der Seele. Man glaubte seit der Antike – der sehr rational denkenden, nebenbei bemerkt, das Folgende sagt nämlich Platon –, dass der Mensch eine »Ähnlichkeit« mit dem Kosmos hat. Sein Kopf ist so rund wie die Welt, und beide haben gleichermaßen eine Seele, ja diese Seelen sind aufeinander bezogen. Noch wichtiger: Die menschliche Seele »sieht«, sie sieht den Kosmos. Sonne, Mond, Sterne, Planeten zeigen sich in genau dieser, kaum jemals wiederholter Weise, denn das »Planetenjahr« mit Rückkehr all der Himmelskörper an die gleiche Stelle währt Jahrtausende. Das ist der »Witz« am Horoskop. Jeder Mensch hat sein eigenes, festgelegt in der Stunde der Geburt, in der die Seele zum ersten Mal den Kosmos erblickt und diesen überwältigenden Moment nie mehr vergisst. Übrigens bedeutet »Horoskop« ja nichts anders als »die Stunde schauen«.
Auch der kleine und dann immer größere Johann Wolfgang hat diese Stunde also nicht vergessen. Wie niemand sie vergisst, weil die Seele so ist, wie sie ist, und jeder Mensch mit ihr am Himmel »hängt«. Der sich natürlich weiterdreht und immer neue Bilder zeigt, die der Seele etwas verkünden können, wenn man denn die Zeichen zu deuten weiß. Dem Geburtshoroskop folgt das Elektionshoroskop, das die richtige Stunde für irgendein Vorhaben festlegt. Man kann immer weiter in diesem Kosmos »lesen«, denn er steht mit der Seele in unkündbarer Beziehung. Wer es nicht tut oder nicht glaubt oder sonst wie ignorant ist, ist selbst schuld. Der Schöpfer des Himmels und des Menschen hat sich jedenfalls etwas bei seiner Schöpfung gedacht. Er wollte seine Geschöpfe nicht völlig allein lassen. Er gab ihnen Zeichen zur Orientierung. Zuerst einmal hat er sie »geprägt«, ihnen einen ganz speziellen »Charakter« gegeben. Und dann können diese Geschöpfe selbst weitermachen und sich orientieren. Oder eben nicht. Dann sind sie eben arm dran.
Ist das Astrologie? Das Horoskop bzw. das Horoskopieren ist auf jeden Fall ein zentraler Teil von ihr. Generationen und ganze Völker haben sich daran abgearbeitet, von der Antike bis in die Frühe Neuzeit gibt es das Nebeneinander von Gläubigen und Ungläubigen nicht etwa nur im »Volk«, sondern auch unter den Intellektuellen. Und es ist bis heute viel davon übriggeblieben, auch bei denen, die nicht mehr daran glauben. Man spricht zum Beispiel von einem »jovialen« Charakter und meint damit einen irgendwie gutmütigen Menschen, keinen Nerfling. Warum? Weil er von Jupiter (Jovis) geprägt wurde. Und was ist, wenn Börsenleute von »Konjunktur« reden, normale Menschen von »Aspekten« oder davon, dass jemand im »Zenit« seines Wirkens steht? Eben, alles Ausdrücke, die in der Astrologie eine Rolle spielen, wie wir bald sehen werden.
Was das besagt? Dass die Astrologie einmal »große« Wissenschaft war, die mit big data arbeitete und damit zeitweise zum Modell von Wissenschaftlichkeit überhaupt wurde. Ihre Äußerungen und die Kritik daran waren seit dem Buchdruck regelmäßig »Medienereignisse«. Und ganz nebenbei: In der Kunstgeschichte haben wir die grandiosen Bilder des Himmels mit seinen Sternen und Planeten in den Kirchen und Palazzi, von zahllosen Kalenderblättern nicht zu reden. Astrologie – darauf kommt es hier an – gehörte einmal zu unserer Kultur. Bis sich die Zweifel im entscheidenden Punkt häuften: dass wir Menschen mit dem Himmel über uns wirklich »zusammenhängen«.
Bekanntlich hatte und hat die Astrologie eine Schwester, viele würden vielleicht lieber von einer Stiefschwester sprechen: die Astronomie. Das familiäre Verhältnis ist durchaus klar: Beide gehören zur Sternkunde, die eine beschränkt sich aufs Beobachten und Rechnen, die andere – die hier im Vordergrund steht – zieht daraus ihre deutenden Schlüsse. Lange Zeit hat man die beiden nicht streng getrennt, so wie man Schwestern manchmal nur an ihrer Kleidung unterscheiden kann. Denn am Anfang steht schlicht der Blick nach oben und der Wille, in dieser überwältigenden Fülle, die wir heute nur noch in buchstäblich ungetrübten Gegenden erleben, Ordnung zu schaffen.
Ohne die Sterne gäbe es zum Beispiel etwas nicht, was unser Leben definitiv und ohne jeden Zweifel beherrscht: die Zeit, besser gesagt die regelmäßige Abfolge von Tag und Nacht, von Sommer und Winter, wovon schlicht das Überleben abhing. Man weiß, dass die Ägypter sehnlichst die jährliche Nilflut erwarteten, weshalb sie eine Vorstellung davon haben mussten, was ein Jahr ist. In der gleichen frühen Ära befassten sich damit ihre Nachbarn im Zweistromland, in Babylon. Und man weiß auch, wie schwierig es war, die Zusammenhänge zu durchschauen, herauszufinden, wie genau man ein Jahr abgrenzt. Denn der wichtigste Taktgeber, der Mond mit seinem so gut zu beobachtenden Wechsel von Fülle und Verschwinden, hatte die unangenehme Eigenschaft, dass er nur ungefähr zwölfmal ins Jahr passt, dass es diesen dummen Überschuss gibt, der dazu zwingt, das Jahr nach weiteren Kennzeichen abzusuchen, um kein zu langes oder zu kurzes zu bekommen, mit dem sich nach einiger Zeit die tatsächlichen Jahreszeiten verschoben.
Diagonalsternuhr in Särgen des Mittleren Reiches im Alten Ägypten. Sarg des Nacht, wohl aus Assiut, 11./12. Dynastie
Der Sternenhimmel, so ungeheuer eindrucksvoll er mit seiner Regelmäßigkeit war, machte also genaues Hinsehen, Aufzeichnen, Berechnen nötig. Sehr rasch aber kam auch die Vermutung auf, dass das alles da oben etwas zu tun haben müsse mit dem Geschehen hier unten, dass alles in den Sternen geschrieben steht, dass das Schicksal von ihnen vorherbestimmt ist. Wie die anfangs spärlichen Quellen zeigen, beziehen sich erste Prognosen noch eher auf Wettererscheinungen und politische Großereignisse. Am Verschwinden und Wiederauftauchen der Venus zu bestimmten Zeiten wurde auf gute oder schlechte Ernte geschlossen, bei besonderer Stellung zur Sonne auf den Untergang einer Dynastie. Man hat deshalb von »Omen-Astrologie« gesprochen, also einer Lehre von guten oder schlechten Vorzeichen am Himmel, wonach bestimmte Zeitpunkte entsprechend als gut oder schlecht für bestimmte Vorhaben galten – diese »Tagewählerei« wurde übrigens bereits von Mose im Alten Testament verboten (5 Mose 18,10).
Eine erste Systematik der Astrologie fällt in die Zeit des Hellenismus, also in die Zeit nach der Aufteilung des Alexanderreiches mit der Entstehung der großen Machtgebilde in Ägypten, im Vorderen Orient und dem griechischen Mutterland. Vor allem die noch von Alexander dem Großen selbst gegründete Stadt im Nildelta, Alexandria, entwickelte sich zu einem Zentrum der damaligen Wissenschaft, allein schon mit ihrer legendären Bibliothek. Hier entstand im 2. Jahrhundert v. Chr. ein erstes Kompendium der Astrologie, das angeblich auf den Pharao Nechepso und seinen Priester Petosiris in längst vergangenen Zeiten zurückging – bekannt als Nechepso-Petosiris. Danach entwickelten sich rasch weitere Werke, ohne die eine anspruchsvolle Astrologie nicht mehr zu betreiben war. Zu ihrem Grundriss gehören fünf Lehrstücke, die mit Abwandlungen für immer die Grundlage der Astrologie bilden sollten.
1. Die Himmelspunkte: Wer den Himmel beobachtet und Regelmäßigkeiten erkennen will, braucht feste Punkte. Sie beziehen sich auf die Ekliptik, die Bahn, die die Sonne jeden Tag durchläuft, genau wie nachts der Mond und die Planeten. Diese Bahn muss relativ breit angelegt sein, als eine Art Band, denn die Himmelskörper stehen mal höher, mal tiefer über dem Horizont – die Sonne selbst im Sommer wesentlich höher als im Winter. Der oberste Punkt bildet die Kulmination. In der Astrologie hat immer der Aufgang die wichtigste Rolle gespielt, der Aszendent. Welches Gestirn zeigt sich bei der Geburt gerade im äußersten Osten? Genau gegenüber liegt im Westen der Ort des Untergangs, der Deszendent.
2. Die Tierkreisbilder: Mit der Entscheidung, das Jahr in zwölf Monate zu teilen, ergab sich eine Aufteilung der Sonnenbahn in zwölf gleiche Abschnitte, die zur leichteren Orientierung mit Namen benannt wurden. Sie gehen fast vollständig auf die babylonischen zurück, nur die Jungfrau war ursprünglich die Ähre, der Steinbock der Ziegenfisch. Am Beginn der Reihe steht der Widder, mit dessen »Aufgehen« der Frühling beginnt. Die folgenden Sternzeichen lassen sich in Gruppen zusammenfassen: in männliche und weibliche (Wassermann und Jungfrau), doppelte (wie die Fische und die Zwillinge) und einfache, wässrige wie die Fische oder luftige wie der Schütze. Allen Zeichen aber wurden Eigenschafen zugeschrieben. Nach dem Babylonier Teukros etwa sind Widder-Menschen großnasig, schwarzäugig, kahlköpfig, vornehm tuend, mager, wohlgewachsen, dünnschenklig, von schöner Stirne und edler Gesinnung.
3. Die Planeten: Mindestens ebenso große Bedeutung wie die Tierkreisbilder haben die Planeten, die Wandelsterne, Auch sie besitzen feste Eigenschaften bzw. Naturen, die sie auf die in ihrem Zeichen Geborenen entsprechend übertragen. Beim Mars etwa ist es die Kampflust, bei Jupiter genau umgekehrt die Verträglichkeit, bei Venus die Liebe. Dabei ergibt sich die genauere Wirkungsweise in Abhängigkeit von demjenigen Tierkreiszeichen, in dem sie sich gerade aufhalten. Alle Planeten haben »Wohnungen«, in denen sie ihre größte Wirkung ausüben.
Die Planeten in ihren Wohnungen. Titelholzschnitt von Georg Peuerbach zu Leonhard Reymanns Nativität-Kalender von 1515
4. Von besonderer Bedeutung sind weiter die »Aspekte«, die Winkel, in denen die Planeten zueinander stehen bzw. in denen sie sich gegenseitig »ansehen«. Bei einem Winkel von 180 Grad befinden sie sich in Opposition, treffen sie auf ihrer Bahn zusammen, in Konjunktion. Bei 90 Grad stehen sie im Quadrat, bei 60 im Sextil, bei 120