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Kein Buch wurde häufiger übersetzt als die Bibel; sie existiert in 2817 Sprachen. Karl-Heinz Göttert erzählt in seinem unglaublich spannenden Buch ›Luthers Bibel. Geschichte einer feindlichen Übernahme‹ nun die Geschichte dieser Übersetzungen. Von den Fragen nach den hebräischen und griechischen »Originalen« über die Septuaginta und die Vulgata zeigt er, wie die Bibelübersetzungen die Sprachen prägten, die Kultur beeinflussten und mit welchen Strategien die Übersetzer ihre Theologie durchzusetzen versuchten – bis zur Jahrtausendübersetzung Luthers, die den Prozess der christlichen Vereinnahmung der heiligen Schriften der Juden auf den Gipfel treibt. Nebenbei zeigt sich, wie die Übersetzung der Bibel unsere Vorstellungen von Kritik und Aufklärung, Treue und Fälschung, Rationalität und dem, was Sprache leisten kann, entscheidend geprägt hat.
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Seitenzahl: 677
Prof. Dr. Karl-Heinz Göttert
Luthers Bibel
Geschichte einer feindlichen Übernahme
FISCHER E-Books
Zur Erinnerung an Pfarrer Fritz Göttert (1928–1997)
Er (Luther) ists, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgeweckt und losgebunden hat.
Johann Gottfried Herder
Es ist wahr, was Gott im Koran sagt: ›Wir haben keinem Volk einen Propheten geschickt als in seiner Sprache.‹ Und so sind denn die Deutschen erst ein Volk durch Luthern geworden.
Johann Wolfgang von Goethe
Den deutschen Christen das Buch ihres Glaubens in ihre Muttersprache übersetzt zu haben ist eine der größten Revolutionen, die geschehen konnte.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Man darf das Neuhochdeutsche in der Tat als den protestantischen Dialekt bezeichnen.
Jacob Grimm
Die Luthersche Bibel war die entscheidende That zur Begründung einer einheitlichen deutschen Cultur und Sprache … Wir knüpfen an Luther unsere nationale Einheit wie Italien die seinige an Dante.
Wilhelm Scherer
Die Bibel war bisher das beste deutsche Buch. Gegen Luthers Bibel gehalten ist fast alles übrige nur ›Literatur‹.
Friedrich Nietzsche
Man eroberte damals, wenn man übersetzte.
Friedrich Nietzsche
Luther, Voß, Hölderlin, George haben die Grenzen des Deutschen erweitert.
Walter Benjamin
Sage mir, wie du übersetzt, und ich sage dir, wer du bist.
Martin Heidegger
Every language is a translation.
George Steiner
Der Bund [im Alten Testament] hat die Form eines Nicht-Vermischungsvertrags und eines Nicht-Übersetzungsgelöbnisses in Verbindung mit höchsten Heilszusagen. Wer sich vermischt, scheidet aus, wer übersetzt, verliert die Gnade.
Peter Sloterdijk
Die westliche Kultur, so kann man immer wieder lesen, steht auf zwei Säulen: Athen und Jerusalem. Man weiß, wie dies gemeint ist: Es gibt nicht nur Homer und Platon, es gibt auch Abraham und Paulus, nicht nur die Ilias und das Höhlengleichnis, sondern auch das Alte und das Neue Testament. Wohl wahr. Aber man könnte dabei leicht etwas übersehen, eine scheinbare Nebensächlichkeit, deren wahres Gewicht Thema dieses Buches ist. Es ist das Problem der Übersetzung. Weder Athen noch Jerusalem sind zu uns in originaler Gestalt gekommen. In beiden Fällen liegt Aneignung vor, sprachliche Aneignung. Das aber bedeutet: Interpretation. Was gerade die Geschichte vom Turmbau zu Babel eher verdeckt, ist die Tatsache, dass die vielen Sprachen einen Vorteil boten, den Vorteil der intellektuellen Herausforderung. Denn ohne den auf Übersetzung beruhenden Transfer wäre vielleicht sehr viel weniger aus Europa geworden. Was aber erst recht übersehen werden könnte: Gerade hinsichtlich der Übersetzung besteht zwischen Athen und Jerusalem ein fundamentaler Unterschied.
Dabei hat Jerusalem Athen etwas voraus, auch wenn es auf den ersten Blick wie ein Handicap erscheint. Denn Jerusalem bedeutet letztlich ein einziges Buch, die Bibel. Was ist dies gegen die Bücherflut aus Athen? Nur löste dieses eine Buch etwas aus, was es in der Kulturgeschichte zuvor noch nicht gegeben hat. Verschiedenste Völker mit ihren verschiedensten Sprachen stützten bzw. stürzten sich auf dieses Buch, machten die Übersetzung zum Kampfplatz immer neuer Deutungen. Während sich die Römer die griechische Kultur teils direkt auf Griechisch aneigneten und Übersetzungen eher als Einstieg für Anfänger betrachteten, begann das Ringen um die Bibel als Ringen um die Übersetzung. Und dies sogleich mit einem veritablen Paradox. Die Ersten, die die hebräische Bibel übersetzten, waren die Eigentümer selbst. Noch harmlos die aramäische Fassung, die dem Hebräischen eng verwandt ist. Das hellenisierte Judentum der letzten beiden Jahrhunderte v. Chr. aber konnte weder Hebräisch noch Aramäisch und stellte stattdessen eine griechische Version her. Das noch größere Paradox besteht dann darin, dass die ältesten erhaltenen Ausgaben der hebräischen Bibel nicht das Original bieten, sondern dessen Übersetzung. So gesehen sind die Kopien tatsächlich älter als das Original.
Und dies ist nur der Anfang eines kulturgeschichtlichen Sonderwegs ohnegleichen. Als die Christen die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel als Altes Testament übernahmen und ihm das Neue als Fortsetzung zur Seite stellten, verwarfen die Juden ihre eigene Übersetzung. Teils kehrten sie zum Hebräischen zurück, teils fertigten sie neue Übersetzungen ins Griechische an, die die Eigenständigkeit sichern sollten. Es gab auf jeden Fall nun zwei Versionen der Bibel, die um die Gültigkeit stritten, um Richtigkeit oder Wahrheit der Übersetzung.
Und der nächste Paukenschlag folgte alsbald. Mit dem Aufstieg des Christentums zur römischen Staatsreligion geht die nächste Übersetzung einher, ins Lateinische. In ihr aber vollzieht sich endgültig die Aneignung der hebräischen Bibel als eine Übernahme im Rahmen der christlichen Gesamtbibel – mit durchaus feindlichen Zügen. Wenn die Autoren des Neuen Testaments davon sprachen, dass Abraham, Moses, die Propheten immer nur Christus verkündet hätten, las sich dies in der lateinischen Gesamtbibel als eine zusammenhängende Erlösungsgeschichte, die überhaupt nur so Sinn mache. In dieser Form aber bildete das lateinische Alte und Neue Testament den Ausgangspunkt für all die weiteren Übersetzungen, in denen sich die christlichen Völker Europas die Gesamtbibel aneigneten. Und wie schon die erste Übersetzung in die erste Krise führte, so führten die weiteren Übersetzungen in weitere Krisen. Die Reformation, die Europa eine seiner tiefsten Spaltungen überhaupt bescherte, ging einher mit einer Übersetzung der Bibel – diesmal ausgerechnet beim Rückgang auf die Urtexte.
Wie auch immer man die Einzelheiten beurteilt: Man kann auf jeden Fall von der Übersetzung als einem Motor der kulturellen Entwicklung in Europa sprechen. Europäische Kultur entsteht wesentlich im Vorgang der sprachlichen Aneignung. Dies zeigt sich schon an rein technischen Aspekten. Alle modernen Philologien bedienen sich bis zum heutigen Tage einer Form von Textkritik, die bei der Aneignung der Bibel entwickelt wurde. Von keinem anderen Buch existieren in dieser Fülle Zeugnisse, die es abzugleichen galt – der Umfang der Lesarten soll beim Neuen Testament den Umfang des Textes insgesamt übertreffen. Schon der Begriff des Originals ist undenkbar ohne die Erfahrung der Bibel, bei der ja tatsächlich nach Bekundung der Überlieferer ein einziger Mund am Anfang steht: Gott selbst mit einem Wort, das keinem Menschen zu ändern freiwillig eingefallen wäre. Dass Texte wie die homerische Ilias oder Vergils Aeneis »heilig« wurden, haben sie der Bibel zu verdanken. Denn in der Antike trugen Sänger Texte vor und wandelten sie dabei ab. Noch im Mittelalter ist der Begriff des Originals, wie die moderne Wissenschaft neuerdings mit Mühe wieder zur Geltung brachte, sinnlos. Die Suche nach dem Original beruht eben auf falscher Übertragung von den Verhältnissen der Bibel her. Man kann es aber auch anders ausdrücken: Wesentliche Vorstellungen von Kritik und Aufklärung, von Treue und Fälschung wurzeln in den Erfahrungen der Bibelübersetzung. Sollte man da nicht weitergehen und sagen, dass der moderne Begriff der Rationalität überhaupt etwas mit den Erfahrungen der Übersetzung zu tun hat – mit denen der Bibelübersetzung?
Und es geht noch weiter. Schon die Gründlichkeit dieser Aneigung, die reine Quantität, ist beispiellos, sprengt jede Vorstellungskraft. Kein Buch der Welt wurde über einen derart langen Zeitraum öfter abgeschrieben, gedruckt, verbreitet, kommentiert. Die Ilias verkümmert dagegen trotz alexandrinischer Gelehrsamkeit zur Randnotiz, alle griechischen Philosophen zusammen erscheinen im Vergleich mit ihr als bloße Spezialistentruppe. Bei Griechen und Römern gibt es im Übrigen Wellenbewegungen, griechische Texte verschwanden für Jahrhunderte und wurden dann neu entdeckt, über Umwege wie etwa über die arabischen Übersetzungen des Aristoteles. Die Bibel dagegen war immer präsent. Kein Jahrhundert, wohl kein Jahr der Weltgeschichte ohne neue Bibelpräsentation. Und es war nicht mit der Übersetzung in eine neue Sprache getan. Mit jeder neuen Generation verband sich die Forderung nach einer neuen Übersetzung, die Übersetzung der Bibel kam bislang niemals zum Erliegen. Was ein Buch leisten kann, hat dieses Buch ausgeschöpft. Die Überbietung ist kein Buch, sondern allenfalls eine Bibliothek, wobei ironischerweise der Begriff der Bibliothek an den der Bibel anknüpft, ja zuerst die Sammlung von Bibelhandschriften bezeichnete.
Schließlich gibt es Großleistungen unserer Kultur, die in besonderem Maße auf der Aneignung der Bibel beruhen. An Kalligraphie und Design etwa kann es der Okzident mit dem Orient, sei es in den arabischen Ländern oder im fernen China, nur auf dem Gebiet der Bibel aufnehmen. Die Jahrtausenderfindung des Buchdrucks durch Gutenberg hatte ihr erstes großes Objekt in der Herausgabe der lateinischen Bibel. Die bedeutendsten Nachfolger Gutenbergs, John Baskerville im England des 18. Jahrhunderts zum Beispiel, legten mit einem Bibeldruck ihr Meisterstück vor. Und Kunst- sowie Musikgeschichte? Ohne die Bibel undenkbar, wie jeder Besuch in einem Museum, jedes Programm einer Konzertsaison belegen kann. Eine Leistung aber, die gerade in diesem Buch im Vordergrund steht, überbietet alle anderen: Immer wieder ist die Bibelübersetzung mit einem Schub hinsichtlich der Sprachentwicklung verbunden. Wiederum in England, das seit der normannischen Eroberung zweisprachig war und mit dem Französischen der Oberschicht das Englische zu ersticken drohte, war es die englische Bibel von John Wyclif, die zur mächtigen Initialzündung eines englischsprachigen Erneuerungsprozesses wurde. Bei uns gilt mit Recht die Luther’sche Bibelübersetzung als eine entscheidende Beförderung sprachlicher Einheit.
Was Sprache leisten kann, wie Sprache gefordert und gefördert wird, belegt jahrhundertelang kein Text besser als die Bibel. Fügen wir noch hinzu, dass kein Text in derartigem Maße eine Welt von Bildern zur Verfügung stellte, die über alle Sprachen hinweg die Völker Europas eint. Der »Auszug aus Ägypten« steht noch hinter den modernen Befreiungsbewegungen, der »Bund mit Gott« prägt ein politisches Denken neben und gegen das aristotelische zoon politikon, den auf sich selbst gestellten Bürger. Jeder kennt das »Gelobte Land«, die »Sehnsucht nach Erlösung«, den »Abfall vom Glauben«, die Erwartung von »Strafe und Belohnung«. Selbst Redewendungen wie der »Dorn im Auge« sind ebenso Gemeingut wie das »Licht unterm Scheffel«, das »Erstarren zur Salzsäule«, der »Stachel im Fleisch« – das »Löcken wider den Stachel« übrigens ohne Wissen, was Löcken eigentlich bedeutet (nämlich »springen«: dazu später mehr). Der am meisten übersetzte Text ist mit seinen Bildern auch noch der allen am meisten gemeinsame, als wolle die Bibel ihre eigene Geschichte von Babel zum Besten halten.
Es spricht jedenfalls alles dafür, den anfangs zitierten Slogan ernst zu nehmen: Athen und Jerusalem sind die beiden Säulen unserer westlichen Kultur. Athen mit seiner Bücherflut verdanken wir Aufklärung, Demokratie, Freiheit. Aus Jerusalem mit diesem einen Buch stammen Interpretation, Sinn, Bilderreichtum. Es ist weder notwendig noch zweckmäßig, die Errungenschaften zu gewichten. Aber man sollte über ihre unterschiedliche Genese Bescheid wissen.
Im Juli 2014 hat die Weltpresse ein Topthema. Der Konflikt im Nahen Osten ist erneut eskaliert. Nachdem Partisanen aus Palästina drei israelische Schüler umgebracht haben, wird ein Palästinenserkind massakriert aufgefunden. Radikale jüdische Siedler stehen im Verdacht, Rache genommen zu haben. Seither fliegen im Stundentakt Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel, erreichen Tel Aviv. Israelische Militärjets bombardieren im Gegenzug Abschussrampen und palästinensische Stellungen. Es ist der Anfang eines Krieges, der bald zum Einmarsch von israelischen Bodentruppen in den Gazastreifen führt. Der Nahe Osten droht einmal mehr im Chaos zu versinken.
Was die Weltpresse in diesem Zusammenhang kaum interessiert: Wir sprechen über Territorien uralter, unsäglich verworrener, unsäglich leidvoller Geschichte. Es geht um das Land der Bibel, der biblischen Erzählungen sowohl des Alten wie des Neuen Testamentes. Nichts ist hier klar, nicht einmal die Namen ergeben ein übersichtliches Bild. »Palästina« geht zurück auf einen Volksstamm, der einmal die Küstenregionen der südlichen Levante, des Sonnenaufgangslandes, bewohnte und im Alten Testament eine wichtige Rolle spielt: die Philister. Sie waren es, auf die die frühen Israeliten stießen, als sie sich von ihren östlichen Bergregionen nach Westen ausdehnten, zum Meer hin, in die fruchtbarere Ebene. Man kennt den dramatischen Höhepunkt, der rein legendenhaft ist: David legt sein Gesellenstück ab, indem er den riesenhaften Goliath besiegt – mit der Steinschleuder des Hirtenjungen gegen einen Hochgerüsteten. Die Philister sind damit erledigt, denn man hatte statt einer Schlacht diesen Stellvertreterkampf ausgemacht.
Die Wirklichkeit sah anders aus, aber nicht ganz anders. Die Israeliten traten tatsächlich in dieser Phase der Geschichte am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. ins Rampenlicht, wurden ein eigener Staat in Verbindung mit dessen Behauptung gegen einen bislang dominierenden Feind. Er war nicht der einzige, und es handelte sich auch nicht nur um Feinde. Die Bibel nennt das Land Kanaan, und mit diesen Kanaanäern stritt man sich wie mit den Philistern um jeden Quadratmeter Boden, übernahm aber auch Wissen, Frauen, Götter. So entstand ein Volk von zwölf Stämmen, das sich nach einer ersten Einigung zweiteilte: in das Nordreich und das Südreich, in »Israel« und »Juda«. Das Problem waren dann nicht die unmittelbaren Nachbarn, sondern die angrenzenden Großmächte im Osten und Westen. Im Osten saßen die Assyrer, im Westen die Ägypter, dazwischen war Durchgangsland, Aufmarschgebiet. In Zeiten ägyptischer Großmacht wurde dieses Land ägyptisch besetzt und ausgepresst, in Zeiten assyrischer Dominanz assyrisch.
So kam es zum ersten Untergang. 720 v. Chr. fiel das Nordreich unter dem Ansturm der Assyrer und gab den Namen »Israel« ans Südreich mit dem Zentrum Jerusalem und seinem Tempel ab. 597 und 587 fiel der Reststaat an die nächste Supermacht, die Babylonier, die auch den Tempel zerstörten. Aber es folgte der überraschende Wiederaufbau mit Hilfe einer wieder neuen Supermacht, der Perser, die die Exilierten zurückschickten und das Land zur Provinz mit dem persischen Namen Jehud machten, in der nun die »Juden« wohnten. Nur hielten sich auch die Perser nicht, unterlagen dem makedonischen Griechen Alexander dem Großen, unter dessen Nachfolgern es zur Teilung des neuen Riesenreichs an die Ptolemäer (in Ägypten) und die Seleukiden (in Kleinasien) kam. Die jüdische Provinz hieß nun Judäa, wozu im Norden noch Galiläa gehörte. 129 v. Chr. erlebte die Jerusalemer Tempelgemeinde eine gewisse Aufwertung als von Ägypten abhängiges Königreich. Dann kamen die Römer mit Pompejus, der 63 v. Chr. das wenig bedeutende Territorium der Provinz Syrien (mit fernem Anklang an die mittlerweile aus der Geschichte ausgeschiedenen Assyrer) angliederte. Das trotz aller widrigen Erfahrungen weiter nach Unabhängigkeit strebende Land verzehrte sich in Rebellionen gegen seinen Unterdrücker. Im Jahre 70 n. Chr. wird auch der zweite Tempel durch Titus zerstört. 135 n. Chr. wirft Hadrian einen letzten Aufstand nieder und nennt das Land Syrien-Palästina, um die letzte Erinnerung an Israel und Juda auszulöschen.
Damit ist ein gewisser Endpunkt erreicht. Israel existiert nur noch in der Erinnerung, wird von den Juden als Staat ohne Staat in der einstigen Heimat und in der Diaspora aufrechterhalten – mit (einem Leben nach) der Bibel. Bis zum Jahr 1948, als im britischen Mandatsgebiet im sogenannten »Nahen Osten« ein neuer Staat der Juden entsteht, der sich wieder Israel nennt und das Hebräische der Bibel als Hewritt zur Staatssprache macht – einer der ganz seltenen Vorgänge der Wiederbelebung einer »ausgestorbenen« Sprache. Aber die gelungene staatliche wie sprachliche Wiederbelebung hat ihre Grenzen in der alsbald einsetzenden Auseinandersetzung mit den mittlerweile schon seit Jahrhunderten dort ansässigen arabischen Palästinensern. Womit wir wieder einmal bei Kriegen, Zerstörungen, Landbesetzungen sind. Raketen auf Tel Aviv, Bomben auf Gaza sind in diesem Land so gesehen nichts Überraschendes. Es ist ein gewaltgewohntes, von Gewalt buchstäblich zerfurchtes Land. Und es ist ein rätselhaftes Land. Wieso entstand hier die Bibel, die wie kein anderes Buch Furore machte?
Die Bibel ist nach unabhängigen statistischen Angaben das am meisten verbreitete Buch der Welt. Nach der letzten Zählung des Weltverbandes der Bibelgesellschaften (United Bible Societies) aus dem Jahre 2013 gibt es Teilübersetzungen in 2817 Sprachen, Gesamtübersetzungen des Neuen Testamentes in 1294, des Alten Testamentes und Neuen Testamentes zusammen in 513. Andere Veröffentlichungen bieten andere Zahlen, immer schwindelerregende. Zur Orientierung: Insgesamt rechnet man in der Welt mit über 6000 Sprachen, muss aber berücksichtigen, dass dazu Klein- und Kleinstsprachen gehören, die gerade einmal 1000 Sprecher besitzen. Manchmal sind es sogar weniger als zehn, und in einigen Fällen lebt nur noch ein einziger, nach dessen Tod die Gesamtzahl also wieder einmal zurückgeht – Pessimisten rechnen mit 90 Prozent binnen dieses Jahrhunderts, was hoffentlich zu hoch angesetzt ist. Dennoch: Die 2817 Sprachen, in die die Bibel heute wenigstens teilübersetzt ist, kommt der Gesamtzahl der wirklich von einer nennenswerten Zahl von Menschen gesprochenen Sprachen durchaus nahe. Oder um es anders auszudrücken: Die Bibel dürfte das bislang einzige Buch der Welt sein, das man praktisch in »allen« Sprachen lesen kann.
Entsprechend groß ist die Zahl der Exemplare. Schon die bloßen Abschriften vor dem Zeitalter des Buchdrucks sind gigantische Mengen. Dabei galt es jeweils knapp 800000 Wörter zu bewältigen. Wer es genau wissen will: Für die englische King James Bible hat man 773692 Wörter und 3566480 Buchstaben ausgezählt (und nebenbei festgestellt, dass Vers 21 im Buch Esra alle Buchstaben des Alphabets enthält). Die ersten erhaltenen Zeugnisse des Alten Testaments, wovon noch näher die Rede sein wird, reichen ins 2. vorchristliche Jahrhundert, also nahe an die Entstehungszeit. Vom Neuen Testament gibt es ebenfalls erste Belege im 2. Jahrhundert n. Chr., wieder kurz nach Abfassung der Texte. Aus der Zeit des 4. bis 10. Jahrhunderts sind nach Otto Mazal 241 Handschriften in Großbuchstaben (Majuskeln) erhalten, 2533 in Kleinbuchstaben (Minuskeln), weiter 1838 Lektionare für den Gebrauch im Gottesdienst, wovon 50 den vollständigen Bibeltext enthalten. Sogenannte Vollbibeln, also Bibeln mit Altem und Neuen Testament zusammen, erschienen überwiegend in mehrbändigen Ausgaben, die Bibel Cassiodors (gest. um 580) in seinem Kloster Vivarium zählte neun Bände.
Die Klöster des Mittelalters waren überhaupt die Kopieranstalten des Heiligen Geistes, nachdem der gleiche Cassiodor das Abschreiben der Bibel zusammen mit weiteren Literaturwerken der Antike zu einer Hauptaufgabe gemacht hatte – in einer eigenen Schrift Institutiones divinarum et saecularium litterarum (»Anweisungen über die göttlichen und weltlichen Schriften«) sind dazu die entsprechenden Richtlinien ausgearbeitet. Im französischen Tours, einem Vorzeigekloster der Karolinger, betrug der Output pro Jahr zwei Vollbibeln, wovon bis heute 46 Bibeln und 18 Evangeliare erhalten sind: jeweils 450 Pergamentblätter, also 900 Seiten zu 480 × 357 Millimeter, wozu man die Häute von 210 bis 215 Schafen benötigte. Die insgesamt 85000 Zeilen bewältigten jeweils 2 bis 16 Schreiber. Die Bibeln von Tours leben übrigens in Pariser Bibeln des 13. Jahrhunderts fort, die selbst wieder als Vorlage für Gutenbergs Druck dienten.
Dabei konnte auch das Format Rekorde erreichen. Der Codex Amiatinus misst 505 × 340 Millimeter bei 1029 Blättern, ist 200 Millimeter dick und wiegt 35 Kilogramm. Er entstand 629 in England und wurde als Geschenk nach Rom gebracht, von wo er ins Kloster San Salvator di Monte Amiata (daher sein Name) in der Toskana gelangte (heute liegt er in Florenz). Dabei ist er nicht einmal das größte Exemplar. Die älteste Bibel aus der Produktion in Tours hatte das Gardemaß von 540 × 395 Millimeter. Da kommt die Meldung gerade recht, dass es auch rekordverdächtige Untergrenzen gab. Der in der Kölner Universitätsbibliothek aufbewahrte Manicodex mit 192 Seiten misst gerade einmal 45 × 38 Millimeter – vielleicht das erste Taschenbuch der Geschichte.
Und dann beginnt das Druckzeitalter. Als Gutenberg seine beweglichen Lettern in Marsch setzte, legte er die lateinische Bibel des Alten und Neuen Testaments in zwei Bänden vor mit Seiten zu 42 Zeilen in jeweils zwei Kolumnen [Abb. 1]. Die heute noch existierenden 49 Exemplare aus der Zeit zwischen 1450 und 1455 zählen zu den teuersten Büchern der Welt. Das Land Baden-Württemberg musste 1978 für den Erwerb bei Christie’s in New York 2,4 Millionen Dollar hinblättern. 1987 ging ein anderes Exemplar für das Doppelte über den Tisch. Bei den Bänden, die 1996 die Keio-Universität in Tokio erwarb, weiß man, dass der Händler sie zuvor für 5,49 Millionen Dollar erworben hatte. Selbst einzelne Blätter, die gelegentlich auftauchen, erzielen Höchstpreise. 2013 lag die Forderung bei 100000 Dollar.
Gutenberg-Bibel. Anfangsseite des Buches Genesis, Mainz 1455. Exemplar der Staatsbibliothek Berlin.
Mit Gutenbergs Bibeldruck ist allerdings in erster Linie drucktechnische Qualität, nicht Quantität verbunden. Insgesamt waren nur wenige Exemplare zustande gekommen, man rechnet mit 150 auf Papier und weiteren 50 auf Pergament. Auch Luthers deutsche Bibel, zunächst das Neue Testament von 1522, dann die Vollbibel ab 1534, besaß eine Auflagenhöhe von 3000 bis höchstens 5000 Exemplaren. Trotzdem kam es zu einem ersten regelrechten Hype. Auf die genauen Abläufe ist noch einzugehen, sagen wir hier nur, dass zur Lebenszeit Luthers 430 Gesamt- und Teilausgaben erschienen, insgesamt mindestens eine halbe Million Exemplare. Oder in anderer Formulierung: Für viele Menschen des Reformationszeitalters war die Bibel das einzige Buch, das sie besaßen.
Und auch das ist nur der Start zu einem Unternehmen, dessen wahres Ausmaß niemand kennt. Luthers Vorbild wirkte in ganz Europa, es gibt noch im Jahr von Luthers erster Vollbibel 1534 eine englische Bibel, die eine ähnliche Welle erzeugte bis zur King James Bible im frühen 17. Jahrhundert. Für Frankreich, Italien, Spanien oder Skandinavien: überall die gleiche Entwicklung. Die größte Beschleunigung aber kam durch eine neue Technologie zustande, die wieder einmal von Deutschland ausging. 1710 erfand Baron Carl Hildebrand von Canstein im Bibelzentrum Halle den Druck mit »stehenden Schriften«, den sogenannten Stehsatz. Man musste also nach wenigen Bögen nicht mehr die Lettern aus ihren Rahmen lösen, um Material für neue Bögen zur Verfügung zu haben, sondern ließ die Bögen in ihren Rahmen »stehen«. Dies bedeutete eine erhebliche Investition in Bleimaterial, das sich bei entsprechenden Nachdrucken jedoch rasch bezahlt machte. Canstein setzte für seinen Vorrat an Drucktypen 3 bis 4000 Taler an, was er sich nur deshalb leisten konnte, weil er auch mit anderen Gütern handelte: mit Edelmetallen, Kaffee, Wein, Teppichen, Kaviar – Spötter sprachen angesichts der Bibelanstalt vom »Kaufhaus zu Halle«.
Es war nicht der letzte technologische Sprung. 1819 wurde der Stehsatz von der Stereotypie abgelöst, die noch viel effektiver arbeitete. Verbesserung folgte auf Verbesserung, dem Bleidruck folgte der Lichtdruck. Die mittlerweile weltweit agierenden Bibelgesellschaften geben viel Geld aus für die Bereitstellung dieses Buches aller Bücher. Die 1946 gegründeten United Bible Societies, eine Alliance von 135 nationalen Bibelgesellschaften, arbeitet in mehr als 200 Staaten, also auf der ganzen Welt. Die Gideon Society bringt 60 Millionen Bibeln pro Jahr in über 181 Ländern zur Verbreitung. Der heutige Haupthersteller von Bibeldrucken, die seit 1988 betriebene Amity-Press, hat ihren Sitz in Nanjing, China, ausgerechnet dem Land, in dem bis zu diesem Zeitpunkt der Druck der Bibel verboten war. Beim Start legte man zuerst einmal 500000 Bibeln vor, im Jahre 2012 waren es 12 Millionen, seit 2013 ist die 100-Millionen-Grenze erreicht bzw. überschritten. Dabei druckt man mittlerweile in 90 Sprachen, versorgt also den Weltmarkt, da ca. ein Drittel der Exemplare in den Export gehen. Der zuletzt genannte Preis lag bei 1,5 US-Dollar.
Abnehmer dieser ungeheuren Menge von Bibeln sind in erster Linie die Christen. Sie hatten im Jahre 2010 einen Anteil von 32 Prozent der Weltbevölkerung (damals 6,9 Milliarden), neben 23 Prozent Moslems, 15 Prozent Hindus, 7 Prozent Buddhisten und 0,2 Prozent Juden. In 157 Ländern bilden die Christen die größte Religionsgemeinschaft (Moslems in 49 Ländern). Allerdings sind diese Zahlen mittlerweile wohl überholt, weil das bedeutendste Wachstum die neuen Evangelikalen erreichen, die sich in besonders kompromissloser Weise auf die Bibel stützen, in wörtlicher Auslegung gegen jeden wissenschaftlichen Erkenntnisanspruch, wie ihn die Evolutionstheorie oder die Astrophysik bieten.
In Brasilien etwa machen die Evangelikalen den dortigen Katholiken erhebliche Konkurrenz, aber auch in Ländern, an die man wohl kaum denkt, verzeichnen sie eine vor Jahren für ganz unwahrscheinlich gehaltene Verbreitung: in der Ukraine zum Beispiel. Und neben die Evangelikalen tritt etwa die Pfingstbewegung mit ganz ähnlichen Formen und Ansprüchen. Vor allem steht auch dort im Zentrum die Bibel. Sie muss also viel aushalten bei ihrer immer neuen Verbreitung. Romtreue Christen legen sie der Missionierung ebenso zugrunde wie Protestanten, Orthodoxe oder US-amerikanische Evangelikale. Eine letzte zusammenfassende Zahl aller vorhandenen Bibeln ist nicht auszumachen. Sie dürfte im mehrfachen Milliarden-Bereich liegen (also die eine Milliarde seinerzeit gedruckte Mao-Bibeln auf jeden Fall schlagen).
Neben diesen gigantischen Zahlen sind auch einmal viel kleinere erwähnenswert, die auf andere Weise den Gigantismus der Bibelverbreitung dokumentieren. Ich meine damit die Erscheinung der Bibel in Klein- und Kleinstsprachen. 1661 und 1663 übersetzte John Eliot, ein englischer Missionar, das Neue und das Alte Testament in die Indianersprache Algonkin, nachdem die von seinem König angeordnete Missionspredigt kläglich an der Sprachbarriere gescheitert war. Der Titel lautet: Mamusse Wunneetupanatamwe Up-Biblum God, verteilt wurden 1500 Exemplare des Neuen und 1000 Exemplare des Alten Testamentes. Weil es Probleme mit dem Verb »sein« gab, übersetzte Eliot Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde dem Sinne nach schlicht mit: »Gott sprach zu Mose: Ich lebe, ich lebe.«
Mittlerweile werden immer neue Sprachen versorgt, es existiert beispielsweise eine Bibelübersetzung in Tok Pigin, einen Dialekt aus dem sprachenreichen Papua-Neuguinea. In Indien erschien die Bibel bislang in 15 verschiedenen Sprachen: von Sanskrit bis Hindustani. Für die Bewohner in Sansibar hatte der Schotte Alexander Mackay 1876 das Matthäusevangelium übersetzt. Immer wieder ist die Rede von Problemen beim religösen Vokabular. In einer Sprache in Nigeria benutzen Katholiken ein Wort für »Beter«, das von englisch chant (»singen«) abgeleitet ist, Protestanten eines, dem beg (»bitten«) zugrunde liegt.
Auch wenn der Bibeldruck insgesamt seine Bedeutung mittlerweile stark eingebüßt hat, Bestseller aller Art mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Auch bei uns ist die Bibel noch da, findet sich als Neues Testament (plus alttestamentlicher Psalmen) in fast jedem Hotelzimmer auf dem Nachttisch. Wer dafür womöglich die immer noch große Macht der Religionen verantwortlich macht, auch in Privat- oder Halbprivatsphären einzudringen, irrt. Die Präsenz geht auf die private Aktion eines Jesuiten zurück, der in den 1960er und 1970er Jahren in der damaligen Bundesrepublik mit seinen Predigten vor einem Massenpublikum viel Aufmerksamkeit hervorrief, vor allem wenn er sich dabei auf die Hamburger Reeperbahn stellte. Es war Johannes Leppich, »Pater Leppich«, auch als »Maschinengewehr Gottes« bezeichnet. Der überredete zusammen mit dem evangelischen Gideonbund (einer ursprünglich amerikanischen Vereinigung christlicher Geschäftsleute, die kostenlos Bibeln verteilten) die Hotelführungen in Deutschland dazu, das Neue Testament samt Psalmen den Gästen in Griffweite hinzulegen. Es gibt also keine Initiative der Amtskirchen, auch keine Verordnung der EU oder einer sonstigen Autorität. Es war einfach nicht schwer, die Bibel ins Hotel zu bringen. Denn die Bibel ist noch da.
Das deutsche Wort »Bibel« ist weniger alt, als man vielleicht denken würde. Es erscheint erst im sehr hohen Hochmittelalter (oder auch frühen Spätmittelalter). Vorher sprach man jedenfalls von der alden und der niuwen ê, was durchaus für Heiterkeit sorgen kann, wenn Germanistikstudenten es als »alte und neue Ehe« übersetzen. In Wirklichkeit ist der »alte und neue Bund« gemeint, mit dem nämlich die beiden Testamente bezeichnet wurden. Es gab also einmal eine deutsche Bezeichnung, der jedoch ein Fremdwort für immer den Rang ablaufen sollte. Denn bei der »Bibel« liegt im Gegensatz zur einfach zu kurzen ê die Ableitung vom Lateinischen auf der Hand: biblia gibt das griechische ta biblia, »die Bücher«, wieder, und zwar nach dem syrischen Hafen Byblos (heute Dschebel), aus dem der Papyrus als Schreibstoff eingeführt wurde. Daraus wurde dann das Buch der Bücher auch im Lateinischen. Weil das Lateinische keine Artikel kennt, erschien biblia als ein »weibliches« (feminines) Substantiv Singular, wie femina (»Frau«) oder fenestra (»Fenster«). Und so nahm das Schicksal seinen grammatisch falschen Lauf, machte »die Bücher« zu »dem Buch«, das dann weiblich war, also »die Bibel« wurde, im Deutschen bibel neben biblie.
Nach so viel Wirrwarr mag es hilfreich sein, den ersten klaren Beleg für »Bibel« namhaft zu machen. Das Wort begegnet (vielleicht nicht wirklich zum ersten Mal, wer weiß das schon genau?) in einem mittelalterlichen Lehrwerk über Moral am Leitfaden der sieben Todsünden mit dem seltsamen Namen Der Renner. Der Verfasser war Lehrer an einer Schule in Bamberg und hieß Hugo von Trimberg. Sein Buch, dessen Fertigstellung er selbst auf genau 1300 datiert, nannte er so, weil er durch alle Lande »gerannt« sei, um Wissen einzusammeln. Übrigens handelte es sich um einen einigermaßen frustrierten Lehrer, wie er nach vierzig Jahren Praxis selbst angab. Die Schüler seien faul und aufsässig, liest man, die Eltern Nervlinge mit ihrem inkompetenten Hineinreden. So schrieb er sich lieber die Finger wund. Der Renner, neben acht weiteren Büchern entstanden, ist ein voluminöses Werk von 24611 Versen, in heutiger Druckausgabe umfasst es drei Bände. Zweimal ist dort von der »Bibel« die Rede, in Vers 17312 und in Vers 23487, wo die wichtigste Handschrift jeweils bibeln wiedergibt, also (noch) Plural, während jüngere Handschriften teils biblie, teils bibel im Singular bieten. Weil Kinder in der Schule Stücke aus der Bibel beim Lese- und Schreibunterricht benutzten, entstand übrigens um 1400 die »Fibel«, die später auch für kleinere Druckerzeugnisse verwandt wurde.
Natürlich ist das Wort »Bibel« nicht aufs Deutsche beschränkt, sondern drang in so gut wie alle europäischen Sprachen ein. Ich zähle nach dem Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm auf: spanisch biblia, französisch bible, englische bible, niederländisch bijbel, isländisch biflja, russisch und litauisch biblija, polnisch biblia und so weiter und so fort. Dabei kann man das Wort »Bibel« nicht nur für die christliche oder jüdische verwenden. Der Koran etwa gilt als die »Bibel« der Muslime. Es lassen sich weitere religiöse Schriften aufzählen, die ebenfalls als »Bibeln« gelten: die Veda der alten Inder, die Ching der chinesischen Reichsreligion, die Siddhanta des Jainismus, das Tipitakam des Theravada-Buddhismus, die Dharma des indischen Mahayana-Buddhismus, das Tripitakam des tibetischen Buddhismus, das Tao-tê-ching der taoistischen Mönche, das Avesta des persischen Mazdaismus. Diese Beispiele führt Karlheinz Deschner in seinem äußerst bibelfeindlichen Buch Kriminalgeschichte des Christentums auf. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen, von der Mao-Bibel war schon die Rede.
Jede Übersetzung geht von einer Vorlage aus, von einem Original. Die hebräische Bibel bietet in diesem Punkt ungewöhnliche Schwierigkeiten. Bei Büchern aus dieser frühen Zeit rechnet man mit Überarbeitungen, Glättungen, Angleichungen an einen späteren Sprachstand. Man weiß immer, dass man zum wirklichen Ursprung kaum gelangt. Homers Ilias und Odyssee aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. gehen auf eine mündliche Tradition zurück, die ein Unbekannter auf letztlich undurchschaubare Weise zusammengefasst und auf den Punkt gebracht hat. Auch das rund 1000 Jahre ältere Gilgameschepos aus Mesopotamien verdankt sich einem solchen Prozess.
In der hebräischen Bibel aber ist all dies viel komplizierter. Sie stellt nicht ein Epos dar, das mit seiner Handlung immer wieder etwas anders erzählt wurde. Die hebräische Bibel enthält das Gesetz, nach dem das Judentum sein Leben ausrichtete. Dabei aber kam es auf sehr feine Unterschiede an, ja führten feinste Unterschiede zu Auseinandersetzungen, gelegentlich Zerreißproben. Die hebräische Bibel ist so gesehen schon als Gattung einmalig. Ein Buch, das rein äußerlich noch am ehesten mit geschichtlichen Darstellungen verglichen werden kann, begründet eine Weltreligion. Die hebräische Bibel war aber keine Geschichtsdarstellung, sie konstruierte die Geschichte dieses Volkes mit erheblichen Anknüpfungen an die historische Realität. Das Verwirrende an der hebräischen Bibel ist so gesehen zunächst einmal die Verbindung von Geschichtlichkeit und Fiktion. Gut möglich, dass an Homers Epen historisch etwas dran ist, dass es einen Kampf um Troja und Helden wie Agamemnon oder Odysseus gegeben hat, wie zum Beispiel Heinrich Schliemann glaubte. Aber das Interessante an diesen Epen ist trotzdem die Fiktion, die Geschichte ist nur Beiwerk. Bei der hebräischen Bibel ist es genau umgekehrt.
Die frühen Übersetzer haben dieses Problem nicht vor Augen gehabt. Noch für Luther war die hebräische Bibel, für ihn: das Alte Testament, im Wesentlichen ein Werk aus einem Guss. Aber genau dies trifft nicht zu, wie als Erste die Aufklärer erkannten. 1771 erschien die Abhandlung von freier Untersuchung des Kanons des protestantischen Theologen Salomo Semler, womit die historisch-kritische Bibelarbeit beginnt. Seither wurde Steinchen für Steinchen umgedreht und die Bibel als Puzzle erkannt. Dies aber hat nicht nur Folgen für die Theologie, sondern auch für die Übersetzung. Denn es gehört zu den großen Herausforderungen jeder Übersetzung, mit der komplizierten Entstehung zurechtzukommen. Jeder Übersetzer schafft ja etwas, was die hebräische Bibel nicht ist: ein Original – sein Original. Die hebräische Bibel wird in Übersetzungen zum Original. Was das Kollektiv der vielen Autoren des »Originals« nicht leisten konnte, ist für den Übersetzer etwas Unvermeidbares. Selbst Kollektive, die immer wieder in der Geschichte der Übersetzung angesichts des Riesentextes eine Rolle gespielt haben, verhielten sich ja wie Autoren, wollten nur Wissen bündeln oder optimieren, um in der Vielheit stärker zu sein, als es einer allein sein konnte. An der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, der Septuaginta, waren (wie der Name sagt) 70 Übersetzer beteiligt, an der englischen King James Bible47, und auch Luther übersetzte auf Dauer nicht allein, sondern schuf sich ein kleines Team, in dem es Abstimmung gab.
Vergleichbares ist bei einem Original nicht üblich, wenigstens tritt irgendwann eine Einzelperson auf, die Vorliegendes zusammenfasst. Auch dies war bei der Bibel anders. Wir wissen heute, dass am Anfang der hebräischen Bibel »Geschichten« stehen, die bei den Israeliten erzählt wurden wie bei anderen Völkern auch. Die Geschichten der Patriarchen gehören dazu, also die Erzählungen über Abraham, Isaak und Jakob, die sich zur Familiensaga mit wichtigen Themen wie der Erbfolge oder der unfruchtbaren Frau entwickelten. Es hat weiterhin ätiologische Geschichten gegeben, Geschichten, die den Namen eines Ortes oder eines Volkes aus einem mehr oder weniger spektakulären Ereignis erklären. Im Buch Josua etwa wird auf diese Weise der Name des Ortes Gilgal als »Wälzplatz« erklärt: Um seine Männer fit zu machen zur Eroberung des Heiligen Landes, beschnitt sie Josua ein zweites Mal mit einem Steinmesser. In der anschließend dringend nötigen Erholungspause suchte man sich einen ruhigen Ort, wo Josua seinen Leuten erklärte, nun sei die »ägyptische Schande« der Versklavung nach der Flucht endgültig von ihnen »abgewälzt«.
Als überhaupt ältester Text der hebräischen Bibel gilt heute das sogenannte Siegeslied der Debora, schriftlich bezeugt erstmals im 9. Jahrhundert. Das Ereignis selbst lag damals gut 200 Jahre zurück in der Richterzeit, als »Israel« einen Sieg über die Kanaanäer errang, wobei Debora alle tadelte, die nicht mitgemacht hatten. Es sind aber auch Übernahmen von Geschichten viel späterer Zeit möglich. Die Jonaerzählung mit dem Motiv des vom Fisch verschlungenen Helden gibt es in der griechischen Perseussage als Rettung durch einen Delphin. Die Geschichte von Jeftas Tochter, die sterben muss, weil ihr Vater ein entsprechendes Gelübde geleistet hat, klingt sehr nach Euripides’ Tragödie Iphigenie in Aulis.
Mit all diesen Geschichten hätte es so gehen können wie mit den homerischen Geschichten oder dem Gilgameschepos auch – sie hätten in eine einheitliche Konzeption eines einzelnen Verfassers münden können. Stattdessen entstand die hebräische Bibel mit dem Entwurf eines Masterplans für das jüdische Leben. Darin erhielten die Geschichten eine neue Funktion. Sie wurden nach und nach auf drei Teile verteilt. Den ersten bildet die Tora mit den fünf Büchern Moses, dem eigentlichen Gesetz. Das Buch Genesis liefert den Schöpfungsbericht mit den ersten Ereignissen. Im Buch Exodos werden die Zehn Gebote verkündet, in Leviticus, Numeri und Deuteronomium sind die Einzelheiten ausbuchstabiert. Dem folgen als zweiter Teil die Propheten. Am Anfang stehen Führer der Israeliten wie Josua, zum Schluss die Könige – es geht also um die Geschichte der Israeliten seit ihrem Einzug ins Gelobte Land. Dann folgen die »eigentlichen« Propheten, die großen drei: Jesaja, Jeremia, Ezechiel, weiter die zwölf kleinen Propheten. Daran schließen sich die sogenannten Schriften an: die Psalmen, Hiob, die Spruchliteratur, die letzten Propheten. Den Abschluss bilden die Chroniken, die die Geschichte der Israeliten noch einmal in anderer Perspektive erzählen. Nur muss man wissen: Diese hebräische Bibel ist ein Endpunkt, Ergebnis von Bearbeitungen, die die vielen Ereignisse ganz unterschiedlich darstellen.
Die Einzelheiten sind trotz unendlich sorgfältiger Bemühungen der Wissenschaft nicht wirklich entwirrbar. Fest steht, dass es schon früh eine Aufzeichnung von Sagen der Vorzeit am Königshof Davids und seiner Nachfolger gegeben hat. Nicht alles konnten die späteren Bearbeiter selbst erfinden, dankbar werden sie diese Texte aufgenommen und eingearbeitet haben. Die Geschichte der Patriarchen gehört dazu. Auch die Erzählung von Joseph und seinen Brüdern muss zum ältesten Stoff gehört haben, zumal gerade sie auf fremder Übernahme beruhen dürfte – es gibt einen ägyptischen Papyrus aus dem 13. Jahrhundert, der schon Rahmen und Einzelheiten bietet. Weiter ist von einer frühen Annalistik an den Königshöfen auszugehen (bezeugt im zweiten Buch Samuel 8,16ff.), worauf sich als Rahmen oder Anhaltspunkt zurückgreifen ließ – hier gibt es außerbiblische Bestätigungen, wovon wir noch hören werden. Auch die Bekundungen der Propheten müssen festgehalten worden sein, auch sie lassen sich außerbiblisch fassen. Nur blieb eben nichts ohne Bearbeitung, Einarbeitung in ein Gesamtkonzept, das sich mehrmals grundlegend änderte. Jedenfalls gibt es auch in diesem Punkt keinen Endzustand. Nicht nur, dass sich die Entstehung der biblischen Texte über Jahrhunderte hinzog, ihre Zusammenfassung tat dies auch. Selbst die hebräische Bibel des 7. Jahrhunderts wird heute auf etwa ein Zehntel des Zustands im 2. Jahrhundert geschätzt. Die großen Übersetzungen, beginnend mit der Übersetzung der Siebzig, stützten sich also auf ein ausgesprochenes Spätprodukt.
In sehr groben Umrissen stellt man sich heute die Entstehung der hebräischen Bibel als Abfolge von großen Bearbeitungsphasen in Krisensituationen vor. Letztlich ging es immer wieder um das Schicksal der Bedrohung in feindlicher Umwelt, um einen Überlebenskampf, bei dem man auf Jahwe setzte, auf den Bund mit ihm. Die erste Bearbeitungsphase könnte noch in die Zeit vor dem Untergang von Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem fallen, also ins 6. Jahrhundert. Denn man weiß, dass König Josia Reformen einleitete, um sein Reich gegen den Ansturm der Assyrer zu festigen. Der Kern dieser Reform aber lautete: Unterstellung des jüdischen Volkes unter den einen Gott Jahwe – unter »Jahwe allein«, wie es zum regelrechten Schlachtruf wurde.
Im Zentrum stand dabei das fünfte Buch der Tora, das Deuteronomium: das Vermächtnis von Mose, das angeblich verlorengegangen war und durch Zufall bei einer Tempelrenovierung 622 von Hiskija entdeckt wurde. Jedenfalls liegt die gleiche Grundidee den folgenden Geschichtsbüchern von Josua bis zu den Königen zugrunde, so dass man insgesamt von einem deuteronomistischen Geschichtswerk gesprochen hat. Dazu gehört vor allem die Kultzentralisation im Jerusalemer Tempel, weshalb allerdings auch spekuliert wurde, dass dies auf eine noch etwas spätere Entstehung im Exil deute, wo man sich nach diesem Kultzentrum (zurück)sehnte. Wie auch immer die Datierung zu entscheiden ist, es gibt Merkmale, die zumindest die Redaktion als solche belegen. So wird der Bund in diesen Texten stets »geschlossen«.
In einer noch etwas späteren Bearbeitungsphase nämlich wird er stets »aufgerichtet«. Dabei handelt es sich um die sogenannte Priesterschrift, die auf jeden Fall frühestens im Babylonischen Exil, eher noch später bei der Rückkehr nach Jerusalem und im Zusammenhang der Errichtung des zweiten Tempels abgefasst wurde. Ihr Kennzeichen ist eine Neuerzählung der Geschichte Israels, beginnend mit der Erschaffung der Welt (Genesis 1,1ff.), von der her sich die Geschichte der »Kinder Israels« (wie es jetzt programmatisch heißt) als des Gottesvolkes entwickelt – nun ohne Könige. Die Erzählungen der Genesis werden damit zu Lehrerzählungen über die Folgen des Abfalls von Gott. Die Erzählungen von Exodus dagegen zeigen, wie mit dem Auszug aus Ägypten und der Gesetzgebung am Sinai die von Anfang an beschlossene Zuteilung des Heiligen Landes mit dem Führer Mose Gestalt annahm. Gerade dabei konnte man auf Vorhandenes zurückgreifen, vor allem auf die Propheten, die nun so in den Gesamttext eingebaut wurden, dass sich ihre Weissagungen erfüllten. Aber auch Einzelheiten aus den Propheten wurden gewissermaßen in die frühen Erzählungen regelrecht hineinkopiert. Die Zehn Gebote, die Mose nach dem Buch Exodus am Sinai verkündet, lassen sich sämtlich bei dem Propheten Jeremia finden (Stehlen, morden und ehebrechen und Lüge schwören und dem Baal räuchern und anderen Göttern nachlaufen, die ihr nicht kennt: Jeremia 7,9).
Zwei Propheten spielen dabei eine herausragende Rolle. Es ist einmal Ezechiel, der nach eigenem Wort im Exil eine Vision hatte, in der Gott ihm erstens das ganze Elend des Volkes als Folge seines Abfalls zur Vielgötterei darstellt und ihm zweitens die Entstehung eines neuen Jerusalems mit einem neuen Tempel zeigt. Man nimmt heute an, dass die Schrift erst in Jerusalem entstand, die Vision also zurückverlegt wurde. Auf jeden Fall ist die Bundestheologie zentral: Und ich werde einen Friedensbund mit ihnen schließen … und werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein (Ezechiel 37,26f.).
Der zweite Prophet ist der Prophet der hebräischen Bibel schlechthin, Jesaja. Schon Luther war klar, dass das überlieferte Bibelbuch eine Bearbeitung darstellen muss, zwei Teile enthält: Jesaja und Deuterojesaja (mit dem Schnitt bei Jesaja 40). Grundlegend ist dabei das Zionmotiv mit der Ankündigung einer völlig neuartigen Königsherrschaft, nämlich der Gottes, dem unbedingt vertraut werden muss: Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht (Jesaja 7,9). Die David-Dynastie wird also wiedererstehen, aber nicht mit einem Davididen an der Spitze, sondern mit der Herrschaft der Gerechtigkeit selbst: Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern … (Jesaja 11,6ff.). Das Ende markiert das Danklied dessen, der den Völkern die Wundertaten verkündet, die Jahwe vollbringen wird. Die Erlösten werden zum Zion heimkehren, der das Paradies geworden ist, wo sich die Gerechten zum endzeitlichen Mahl versammeln. In Deuterojesaja ist dann die Rede vom »Menschensohn«, der das Heil bringen wird, was von den Christen als besonders klare Vorausdeutung auf die Ereignisse des Neuen Testamentes gelesen wurde.
Die Tora mit den fünf Büchern Moses und die Propheten bilden den wesentlichen Teil der hebräischen Bibel. Aber damit war die hebräische Bibel nicht abgeschlossen. Es folgen Lehrbücher, die in verschiedenen Gruppierungen entstanden. Der Psalter gilt als Buch der Pharisäer und erreichte seinen heutigen Umfang sehr spät, möglicherweise erst im 1. Jahrhundert v. Chr. Das Buch der Sprüche wird den Sadduzäern zugeschrieben. Das Buch Daniel (übrigens das letzte in den Kanon aufgenommene Buch überhaupt) begründete die Apokalyptik mit ihrer Vision vom Weltende und seinen fürchterlichen kosmischen Katastrophen. Ganz ans Ende gestellt sind die Geschichtsbücher, die als »Chroniken« bezeichnet wurden. Sie erzählen noch einmal die Geschichte der Israeliten, aber in ganz eigener Perspektive. Alle Probleme der Vergangenheit habe sich Israel selbst zuzuschreiben, weil es immer wieder den Bund mit Gott verriet. Umgekehrt ist die Zukunft völlig klar: Sie liegt in einer unbedingten Befolgung des Bundes, wozu die Voraussetzungen mit dem zentralen Kultzentrum des zweiten Tempels gegeben sind.
Die Schilderung des jüdischen Aufstandes gegen die ptolemäische Besatzungsmacht in der Makkabäerzeit, geschrieben um 104 v. Chr., wurde von den jüdischen Schriftgelehrten schon nicht mehr in den Kanon aufgenommen, sondern als apokryph betrachtet. Dies gilt auch für immer neue Fortsetzungen wie das 4. Buch Esra und angebliche Testamente der zwölf Patriarchen. Die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel in der Übersetzung der Siebzig hat einige dieser Bücher dagegen akzeptiert, auch das Christentum nahm sie in den Kanon auf.
Um es noch einmal in noch gröberen Strichen zusammenzufassen: Die hebräische Bibel entstand zunächst in unzusammenhängenden »Geschichten«. Unter dem Druck der Umwelt verbanden verschiedene Redaktoren diese Geschichten zur Einheit. Eine entscheidende Phase lag dabei möglicherweise schon vor dem Babylonischen Exil, eine weitere auf jeden Fall im Exil. Die Bibel ist in wesentlichen Stücken Ergebnis und nicht zuletzt Verarbeitung der Exilserfahrung. Als letzte große Figur in diesem Umarbeitungsprozess gilt der Priester Esra um 400 v. Chr., über den ein eigenes Bibelbuch unterrichtet, wie er in Jerusalem das Leben seines Volkes ohne selbständigen Staat organisiert – übrigens zunächst auf Aramäisch geschrieben und dann mitten im Text ins Hebräische übergehend. Allerdings endet damit nach rabbinischer Auffassung die Phase der göttlichen Inspiriertheit. Alle weiteren Schriften: die Psalmen und die Weisheitsliteratur nebst der späten Chronistik, wurden noch in den Kanon aufgenommen, galten aber nicht mehr als heilige Texte. Noch spätere Zeugnisse wurden als apokryph ausgeschieden.
Einen wirklichen Abschluss der hebräischen Bibel hat es also sehr lange Zeit nicht gegeben. In den immer neuen politischen Entwicklungen hat man weiter umgearbeitet und hinzugefügt. Die hebräische Bibel war, wenn man es salopp ausdrücken darf, eine einzige Baustelle. Als sie nicht zufällig in der Zeit des Untergangs jeder politischen Bedeutung ihre endgültige Gestalt angenommen hatte, war sie eine Unvollendete, die schlicht nur dadurch vollendet werden konnte, dass man jede weitere Arbeit liegenließ. Seit dem 2. nachchristlichen Jahrhundert heißt Arbeit an der Bibel nicht Überarbeitung und schon gar nicht Hinzufügung, sondern Sicherung des Bestehenden. Die Bibel war in oder trotz ihrer Unvollendetheit zum heiligen Buch geworden. Wie man vorher an jedem Buchstaben gefeilt hatte, wurde nun fieberhaft nach jedem alten Buchstaben gesucht. Die Arbeit wandelt sich von der Textherstellung zur Textkritik. Gleichzeitig beginnen die großen Übersetzungen.
Aber um es noch einmal zu betonen: Textkritik wie Übersetzungen bezogen sich zwangsläufig auf einen Text, der die Spuren seiner Entstehung nie verloren hatte. Wer auch immer wann genau die Traditionen sammelte und zusammenfügte: Er verwandte wenig Sorgfalt darauf, die Spuren der Entstehung zu verwischen – musste sie vielleicht in der Auseinandersetzung mit anderen Bearbeitern bestehen lassen. Zum Bekanntesten in diesem Punkt gehören die berühmten Dubletten, die auch dann stehen blieben, wenn es sich nicht um bloße Wiederholungen, sondern um glatte Widersprüche handelte.
So beginnt die Genesis mit einem doppelten Schöpfungsbericht, in dem Eva einmal aus der Rippe Adams, das andere Mal aus Lehm geformt ist. In Kapitel 11 der Genesis liest man, die Entstehung der vielen Sprachen gehe auf den Turmbau in Babel zurück, in Kapitel 10 war aber bereits davon die Rede, dass die 70 Völker, die nach der Sintflut entstanden, von Anfang an ihre je eigenen Sprache besaßen, eine Verwirrung also überflüssig gewesen wäre. Schlichter sind Dubletten, wenn die Söhne Jakobs ihren Bruder Joseph einmal einer Karawane aus Ismaelitern, dann von Midianitern verkaufen. Oder wenn David den »Riesen« Goliath zweimal mit der Steinschleuder besiegt und Goliath an wieder anderer Stelle gegen einen Mann namens Elhanan ben Ja’re fällt – mit einem Speer, so groß wie ein Weberbaum. In anderen Fällen sind Doppelungen gewissermaßen ineinandergeschoben. Bei der Sintflut ist einmal die Rede von 40 Tagen Regen als Ursache, daneben aber heißt es, der Urozean sei 150 Tage lang über die Erde hereingebrochen. Übrigens gibt es auch Tribletten: David wird ganze drei Mal zum König gesalbt.
Zur Erklärung solcher Widersprüche wurde vorgebracht, dass den Redakteuren die Bewahrung der Quellen wichtiger gewesen sei als die Herstellung einer künstlichen Einheit. Auch war die Rede davon, dass gegensätzliche Darstellungen »dasselbe« in unterschiedlicher Perspektive zeigten. Belassen wir es bei der Feststellung, dass die Endgestalt der Bibel keine Endgestalt im gewöhnlichen Sinne ist, nichts wirklich Abgeschlossenes bietet. Aber dies ist letztlich kein Wunder: Die Bibel ist eben keine historische Darstellung der Geschichte, sondern deren theologische Konstruktion. Diese Konstruktion gilt es, »für sich selbst« zu begreifen, in ihrer Eigenart und in ihrem eigenen Anspruch. Dies aber ist erst recht von Bedeutung für die Übersetzung. Denn jede Übersetzung hat diesen Anspruch später auf eigene Weise eingelöst.
Es gibt wenige Erzählungen des Alten Testaments, die es zu derartiger symbolischer Bedeutung gebracht haben wie der Auszug der Israeliten aus Ägypten, der Exodus. Die puritanischen Revolutionäre unter Oliver Cromwell im England des 17. Jahrhunderts beriefen sich genauso darauf wie die Pilgerväter der Mayflower, die bei der Landung in Amerika auf die Knie fielen, weil sie glaubten, das Gelobte Land erreicht zu haben. Auch die ihnen nachfolgenden Siedler fühlten sich nach der Befreiung von der englischen Krone von der biblischen Erzählung getragen (und gaben ihren Kindern alttestamentliche Namen). Nach dem Wunsch von Benjamin Franklin sollte das Amtssiegel der Vereinigten Staaten Mose mit erhobenem Stab und das im Meer ertrinkende ägyptische Heer zeigen. Gerade dieses Detail, der Durchzug durch das Rote Meer, blieb den meisten in Erinnerung allein schon wegen des spektakulären Zusammenschlagens der Wassermassen über den Ägyptern. Aus der Sicht eines braven Nachlesens des entsprechenden Kapitels 13 ergibt sich freilich ein Problem: Es muss keinen Marsch zwischen den Wasserbergen links und rechts gegeben haben und deshalb auch kein anschließendes Zusammenschlagen der Wellen. Die Israeliten könnten auch ganz einfach durch einen vom Wind ausgetrockneten See gelaufen sein, unbeobachtet und unverfolgt von den Ägyptern. Denn die Bibel bietet einmal mehr eine doppelte Lesart, in diesem Fall so ineinander verschnitten, dass auch dem aufmerksamsten Leser der Kopf verdreht wird.
Die Verwirrung beginnt bei Vers 13,17 mit einer Begründung. Warum wenden sich die Israeliten bei ihrer Flucht aus Ägypten nicht nach Norden in Richtung ihres eigentlichen Zieles, des Gelobten Landes Kanaan am Mittelmeer? Antwort: Weil dort die Philister sitzen und es Kämpfe gegeben hätte, die manche Israeliten wieder nach Ägypten zurückgetrieben haben könnten. Der Marsch in die Wüste erfolgte also, um Kämpfen auszuweichen.
Aber daneben wird auch ein ganz anderer Grund genannt. Die Ägypter sollten glauben, die Israeliten hätten sich mit der Wendung nach Süden in der Wüste verlaufen, sie sollten die Israeliten entsprechend verfolgen und dabei in einem schönen Exempel für die Macht Gottes vernichtet werden. Womit das Heil bzw. Unheil zunächst einmal seinen Lauf nimmt. Die Israeliten ziehen also in die Wüste, und der Pharao galoppiert mit seinem Heer hinterher. Als die Israeliten das Rote Meer erreicht haben, sehen sie das Unheil kommen und beschweren sich bei Mose, dass die Flucht ja nun im Debakel ende, während sie ohne diese Flucht zwar unterdrückt, aber wenigstens lebend in Ägypten sitzen könnten. Mose erzählt ihnen darauf von Gottes verschwörerischer Idee und mahnt zur Ruhe. Kurz darauf scheint sich jedoch niemand an die Idee zu erinnern, das Volk schreit wieder Moses an und der sogar Gott. Worauf dieser mit einem Befehl reagiert: Mose soll seinen Stab heben und damit das Meer spalten, um den Marsch durch die rechts und links aufgetürmten Fluten zu ermöglichen. Bis es so weit ist, legt Gott vorsorglich noch eine Wolkensäule zwischen Israeliten und Ägypter.
Dann aber kommt es zum Countdown, die Israeliten marschieren auf das Meer zu. Das ist jedoch keineswegs gespalten, Mose hob auch nicht seinen Stab, sondern seinen Arm, worauf sich ein starker Ostwind erhob, der das Meer über Nacht komplett austrocknete. Nur bleibt es nicht bei dieser Version, vielmehr liest der willige Leser: Er (Mose) ließ das Meer austrocknen, und das Wasser spaltete sich. Die Israeliten zogen auf trockenem Boden ins Meer hinein, während rechts und links von ihnen das Wasser wie eine Mauer stand. Aber nun wächst die Verwirrung immer mehr. Denn weiter heißt es: Die Ägypter setzten ihnen nach, zogen hinter ihnen ins Meer hinein – in welches Meer eigentlich, das doch ausgetrocknet war? Es kommt noch viel verwirrender. Denn in den nächsten Versen ist davon die Rede, dass die Ägypter immer noch in ihrem Lager saßen und den Israeliten nicht näher kamen, weil Gott ihre Wagenräder blockierte und sie nur schwer vorankommen konnten. Sie erkennen dies als Eingriff dieses doch etwas zu starken Gottes und wollen nun selbst fliehen. Da kommt wieder Gottes Trick ins Spiel. Denn Gott befiehlt Mose nun, seine Hand über das Meer auszustrecken, damit das Wasser zurückflutet und den Ägypter, seine Wagen und Reiter zudeckt. Moses tut dies, worauf die Ägypter dem Meer auf ihrer Flucht entgegenliefen, um darin elendiglich zu versinken.
Und immer noch ist es mit der Verwirrung nicht vorbei. Das zurückkehrende Wasser bedeckt zunächst einmal die ihm entgegenlaufenden Ägypter, so dass keiner überlebte. Noch einmal ist die Rede davon, dass die Israeliten dagegen mitten durch das Meer zogen, während rechts und links von ihnen das Wasser wie eine Mauer stand. Als dann alles beendet ist und sämtliche Ägypter tot sind, liest man zum letzten Mal erstaunt: Israel sah die Ägypter tot am Strand liegen. Sie waren also in den Wogen nicht versunken, sondern irgendwie an den Strand geworfen worden, um das eigentliche Happy End der Geschichte zu ermöglichen: Als Israel sah, daß der Herr mit mächtiger Hand an den Ägyptern gehandelt hatte, fürchtete das Volk den Herrn. Sie glaubten an den Herrn und an Mose, seinen Knecht. Die Israeliten sahen also das Wunder der Vernichtung, weshalb die Ägypter nicht in den Wogen versinken durften.
War der biblische Erzähler schlicht geistig verwirrt? Gnädiger ist die folgende Erklärung: Der letzte Redaktor hatte es offenbar mit zwei Erzählversionen zu tun, eine mit dem Zug zwischen den Wassermauern, die andere mit dem ausgetrockneten Meer. Aber auch die Rolle Moses ist in diesen Versionen leicht anders aufgefasst. Zwar handelt in beiden Fällen letztlich Gott: Er teilt das Meer oder er schickt den Wind, »natürlich« ist weder das eine noch das andere. Aber beim Teilen des Meeres steht Gott mehr im Vordergrund, beim Wind sieht es mehr nach einem »Handeln« Moses aus. Und nun saß der Erzähler vor den beiden Versionen und musste sich entweder für eine einzige entscheiden oder für ihre Verquickung. Er entschied sich für die Verquickung, bei der er die Stücke gewissermaßen ausschnitt und anschließend zusammenlegte. Augustin Rudolf Müller hat die Schnipsel folgendermaßen angeordnet: Erster Erzählfaden: 14,1–4. 8–10. 15–18–21a. 21d. 22. 23. 26. 27a. 28. 29. Zweiter Erzählfaden: 13,21. 22. 14, 5c-7. 11–14. 19c-20. 21b.c. 24. 25. 27b-d. Ich lasse dies auf sich beruhen und gehe zu einer anderen Frage über: Wie verhält sich unter solchen Umständen ein Übersetzer? Kann er irgendwie harmonisierend eingreifen oder verfehlt er damit die Treue?
Die eben angeführten Zitate folgen der modernen Einheitsübersetzung, die keinerlei Anstalten macht, das Gewirr zu entflechten, weil sie offenbar darin eine Überschreitung der Aufgabe des Übersetzers sieht. Tatsächlich wäre eine Harmonisierung nur um den Preis einer Entscheidung gegen den Text möglich: als Version mit Stab und Wogen oder als Version mit Arm und Ostwind. Übersetzer aber sind offenbar der Versuchung des Glättens ausgesetzt, weil sie einen lesbaren Text bieten wollen. Als Franz Rosenzweig und Martin Buber in ihren Fünf Büchern der Weisung (dazu später mehr) an die Stelle kamen, halfen sie sich, indem sie das Wehen des Windes als Spalten der Wellen wiedergaben: Mosche streckte seine Hand übers Meer, / und zurückgehen ließ ER das Meer / durch einen heftigen Ostwind all die Nacht / und machte das Meer zum Sandgrund, / so spalteten sich die Wasser. Ob da nicht die Brüche besser klingen, weil sie wenigstens als Brüche erkennbar sind, während die Glättung das Ganze unfreiwillig witzig aussehen lässt?
Einer der Gradmesser für die Aktualität des Bibelstoffes dürfte der Film sein. Tatsächlich herrscht an Geschichten des Alten wie des Neuen Testaments in diesem attraktiven Medium kein Mangel. Ob das eine Fortsetzung mittelalterlicher Traditionen ist, der Film als Erbe des Mysterienspiels – mit Oberammergau als Zwischenglied? Dann läge eine Überraschung darin, dass mittlerweile das Alte Testament das Neue in den Schatten stellt. Man muss sich bei den Jesus-Geschichten schon an Nebenlinien halten, um auf ganz großen Erfolg zu stoßen. Bei Ben Hur zum Beispiel, wo das kurze Auftauchen des Messias eine Art Gastrolle neben dem Wagenrennen mit den zerstörerischen Sicheln einnimmt.
Nein, wirkliches Format für die filmische Umsetzung garantiert nicht das Neue, sondern das Alte Testament. Die TV-Serie The Bible lief 2013 auf dem amerikanischen History channel mit bis zu 15 Millionen Zuschauern pro Folge. Bei uns war die amerikanisch-italienische Koproduktion Die Bibel aus dem Jahre 1966 sehr erfolgreich – mit dem Regisseur John Huston als Noah. Aber nicht diese Überblicke, sondern mehr noch die dramatischen Einzelstoffe machten Furore. Dies gilt auf jeden Fall für die 1956 gedrehten Die Zehn Gebote mit Charlton Heston als Mose, einer der opulentesten und teuersten Spielfilme, die sich Paramount je geleistet hat (mit 14000 Statisten und 15000 Tieren). Bei der 1959 abgelieferten Produktion Salomon und die Köngin von Saba mit einer atemberaubenden Gina Lollobrigida war es allerdings eher die Dramatik der Herstellung, die einmalig blieb. Der Salomon-Darsteller Tyrone Power erlitt während einer wohl zu oft wiederholten Fechtszene einen Herzinfarkt und wurde anschließend durch Yul Brynner ersetzt, mit dem dann auch alle vorangegangenen Szenen neu gedreht werden mussten.
Den Stoff der Stoffe aber bildet der Auszug aus Ägypten wiederum mit Mose im Zentrum. Siebenmal war das Thema schon gedreht worden, als Ridley Scott sich der Geschichte annahm, die bei uns Weihnachten 2014 in die Kinos kam. Wer die Hoffnung gehabt haben sollte, hier werde Bibelstoff in Erinnerung gerufen, dürfte schon bei der Betrachtung des Plakats ins Grübeln gekommen sein: Mose alias Christian Bale ist in Gladiatorenpose zu sehen, und der Werbetext sagt es noch unverhohlener: »Vom Regisseur von Gladiator«. Es geht also um einen Schwertkämpfer, der dann – getreu dem Untertitel: »Götter und Könige« – für seinen Gott gegen einen König als Gott kämpft: gegen Ramses II. Dazu wird zunächst einmal die Hethiterschlacht bei Kadesch zweckentfremdet: Mose rettet dort Ramses das Leben – eine schöne Voraussetzung für die nachfolgende Auseinandersetzung, die den Exodus zum Kräftemessen zwischen einem immer tyrannischeren Pharao und einem immer sensibleren Mose macht, der erfahren hat, dass er ein im Binsenkörbchen ausgesetztes Hebräerkind war.
Es ist nicht alles falsch an der Darstellung, Mose floh nach der Bibel wirklich nach Midian und fand dort seine Frau, wenn auch kaum eine so schön geschminkte wie im Film. Aber man merkt dann, dass es den Regisseur zu den filmischen Herausforderungen zieht, die noch nie in 3D gedreht worden waren. So erlebt der Zuschauer die ägyptischen Plagen, durchaus korrekt nach der Bibel über einen halsstarrigen Pharao dafür verhängt, dass er die hebräischen Sklaven nicht ziehen lassen will. Wundervoll eklig also die zigtausend Frösche und gar die Abermillionen Heuschrecken, von denen sich der bebrillte Zuschauer betatscht oder umflattert findet. Oder das blutgefärbte Wasser und die heranziehende dunkle Wolke, in deren Schatten die ägyptischen Erstgeborenen sterben – des Pharaos Kind in dessen kräftigen Armen und unter Tränen, die man ihm kaum zutraut.
Und doch ist dies wiederum nichts gegenüber dem Durchzug durch das Rote Meer. Denn während die Hebräer durchs immer seichtere Wasser ziehen, werden die herangaloppierenden Ägypter mit einem Ramses gezeigt, dessen finstere Absichten mehr als klar erkennbar sind. Aber er kann nichts davon verwirklichen, denn als er die Hebräer im Meer schon in der Hand zu haben glaubt, rollt eine Tsunamiwelle an, deren meterhohe Wand wohl den kaltblütigsten Zuschauer in Panik versetzt. Noch einmal aber zeigt der Regisseur, was er mit dem Exodus eigentlich im Sinn hatte. Denn von allen Hebräern wendet sich nur Mose noch einmal zurück, und nur Ramses ist so dickschädelig, trotz Welle weiterzureiten. Aber es kommt dann doch nicht mehr zum Kampf, denn eine solche Welle wirbelt selbst die unerschrockensten Helden durcheinander, wirft sie beide an ihren Strand – Mose hüben, Ramses zwischen seinen ertrunkenen Ägyptern drüben.
Darf man das – den Exodus zum Männerdrama machen? Der in 3D untergehende Bibelstoff kann sich jedenfalls nicht wehren. Nur darf man nicht erwarten, dass es dem Bibelstoff nützt. Tatsächlich überlebt dieser viel besser als in seiner Wiedererzählung in seiner neuzeitlichen Wiederholung. Der Film Exodus von Otto Preminger aus dem Jahre 1960, mit Paul Newman als Schiffskommandant, der in nervenzerfetzender Situation Verantwortung zeigt und die geflüchteten Juden an Land lässt, ist ohne das biblische Vorbild nicht nur nicht zu denken: Es ist als Wiederholung des Mythos jeder Wiedererzählung unendlich überlegen. Ob die Bibel also noch immer filmtauglich ist? Der Fall Exodus zeigt jedenfalls beide Varianten. Wir werden wohl auch in Zukunft beide wiederfinden.
Als der deutsche Journalist Kurt Wilhelm Marek, besser bekannt unter dem Pseudonym C.W. Ceram, 1949 sein Buch Götter, Gräber und Gelehrte als »Roman der Archäologie« veröffentlichte, konzentrierte er sich auf vier Helden und ihre Großtaten: auf Heinrich Schliemanns Ausgrabung von Troja 1870–1873, auf Flinders Petries Vermessung der ägyptischen Pyramiden 1880, auf Robert Koldeweys Entdeckung des Ischtar-Tores in Babylon 1897/98 und auf Edward Herbert Thompsons Freilegung der Mayastadt Chichén Itzá ab 1885. Noch taucht die Bibel nur in einer Randnotiz zu Babylon auf.