ATLAN Monolith 6: Sprung ins Jenseits - Achim Mehnert - E-Book

ATLAN Monolith 6: Sprung ins Jenseits E-Book

Achim Mehnert

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Beschreibung

April 3112 alter Terranischer Zeitrechnung: In dieser Zeit geht die United Stars Organisation - kurz USO - gegen das organisierte Verbrechen vor. An ihrer Spitze steht der Arkonide Atlan, Perry Rhodans bester Freund. Ein Zellaktivator verleiht dem mehr als zehntausend Jahre alten einstigen Imperator des arkonidischen Imperiums die relative Unsterblichkeit. Auch Chonosso, der Hauptwelt der Tarey-Bruderschaft, setzen Lordadmiral Atlan und Risiko-Spezialist Santjun alles auf eine Karte. Es gilt, ihr Leben zu retten und Malcher aufzuhalten, denn der Chef der Silberherren ist nur noch einen Schritt von seinem großen Ziel entfernt: Beherrscht er die Monolithen, dann beherrscht er auch die Milchstraße. So sehr sich Perry Rhodan, Reginald Bull, Gucky und die Posbis auch bemühen, das Unheil abzuwenden - am Ende bleibt nur eine Möglichkeit. Einer muss ihn wagen, den Sprung ins Jenseits. Folgende Romane sind Teil des Monolith-Zyklus: 1. "Planet der Silberherren" von Uwe Anton 2. "Todeszone Zartiryt" von Rüdiger Schäfer 3. "Echo der Verlorenen" von Hans Kneifel 4. "Der Silbermann" von Marc A. Herren 5. "Ceres am Abgrund" von Manfred H. Rückert 6. "Sprung ins Jenseits" von Achim Mehnert

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Sechster Band des Monolith-Zyklus

Sprung ins Jenseits

von Achim Mehnert

Kleines Who is Who

Atlan - der Lordadmiral der USO im Wettlauf mit dem Tod

Calipher-SIM - der Roboter ist für manche Überraschung gut

Christina Gabrielle - ein »Wunderkind« sucht nach Erklärungen

Deirdre Chrus - die TLD-Agentin lädt Atlan zu einer Reise ein

Dermit Dawson - ein General der USO gerät ins Zwielicht

Gucky - der Mausbiber kann nicht immer so, wie er will

Hichtor - ein Ferrone steht unter Verdacht

Iasana Weiland - »der Smutje« kehrt ins Leben zurück

Ingram Kobyaleinen - der Kommandant der RASTATT fliegt Chonosso an

Malcher - der Silberherr geht über Leichen und wagt den entscheidenden Schritt

Maxxel - ein Matten-Willy trifft sein Idol

Monani Thersus - der Silberherr ist Malcher treu ergeben

Naileth Simmers - Santjuns Geliebte hofft bis zum Schluss

Perry Rhodan — der Großadministrator wagt eine politische Gratwanderung

Reginald Bull - der Staatsmarschall geht auf diplomatische Mission

Ronald Tekener - der USO-Spezialist sucht nach dem Verräter

Santjun - der Silbermann will die Entscheidung um jeden Preis

Silvia Croux - eine Silberherrin erlebt, wie Liebe in Hass umschlägt

Tipa Riordan - die Piraten-Lady verdient sich endlich ihre Positronik

Tro Schikel - für den Chanmeister bricht eine Welt zusammen

Tuman-Kal - ein Ara hat seine liebe Mühe mit einer ungeduldigen Patientin

Wake Finnegan - der Captain ist Atlans Stütze beim Vorstoß in den Monolithen

Zabuzet - der Botschafter der Hundertsonnenwelt empfängt Gäste

In Liebe und Dankbarkeit.

Für meine Eltern, Rosemarie und Gerhard Mehnert.

Kapitel 1Ein Splitter aus der Vergangenheit

Mai 1337 Neue Galaktische Zeitrechnung (NGZ)

Ich führte den Pokal an die Lippen und nippte an seinem blutroten Inhalt. Der Wein wurde von einem thermischen Eindämmungsfeld permanent auf gleich bleibender Temperatur gehalten. Er perlte über meine Zunge und benetzte meinen Gaumen. Zusammen mit der Stille über dem See und den Temperaturen von über zwanzig Grad Celsius sorgten Aroma und Geschmack dafür, dass ich mich so richtig behaglich fühlte. In einem nach Jahrtausenden zählenden Lebensalter erwischten einen hin und wieder Momente, denen ein Empfinden vollkommener Glückseligkeit anhaftete. Oder die sich einem solchen Zustand zumindest annäherten.

Dies war ein solcher Augenblick.

Ich ließ mich von ihm gefangen nehmen und kostete ihn mit allen Sinnen aus, solange er anhielt. Zu gut wusste ich, wie rasch er vergehen und sich ins Gegenteil verkehren konnte. Das Universum hatte eine unangenehme Methode gefunden, die Phasen des Friedens nicht zu lange andauern zu lassen. Es schien einen Abwehrmechanismus dagegen entwickelt zu haben, der die Sterblichen nicht zur Ruhe kommen ließ. War eine kosmische Gefahr abgewehrt, stand die nächste bereits in den Startlöchern und scharrte mit den Hufen.

Wenigstens bei uns relativ Unsterblichen hätte das Universum gelegentlich von diesem zwanghaften Trieb abweichen können, fand ich. Schließlich hatten wir uns oft genug in seinem Sinne bis zum Letzten verausgabt und würden es in Zukunft weiterhin tun.

Bei dir scheinen seine Bestrebungen, euch ständig in einem gewissen Alarmzustand zu halten, auf fruchtbaren Boden zu fallen, meldete sich der Extrasinn. Du weigerst dich beharrlich, deinen Frieden zu genießen.

Ich seufzte und nippte an meinem Wein. Was wusste das Produkt der ARK SUMMIA schon von den Annehmlichkeiten des Lebens? Ich genieße ihn sogar sehr.

Wäre das so, würdest du dich nicht in einem fort mit möglichen negativen Entwicklungen beschäftigen.

Vernahm ich da einen spöttischen Unterton meines stummen Dialogpartners? Es wäre dumm, sie zu leugnen. Sie kommen so bestimmt wie der nächste Wetterumschwung, hielt ich ihm entgegen.

Weil intergalaktische Krisen und Universen übergreifende Bedrohungen für dich, Rhodan und ein paar Handvoll weiterer Zellaktivatorchipträger bestimmende Elemente ihrer Existenz darstellen. Ihr sehnt die nächste Krise geradezu herbei, denn ohne sie wäre euch der Sinn eures Daseins genommen und ihr selbst wärt nur noch überholte Artefakte vergangener Zeiten.

Ich war zu gut gelaunt, um mir vom Extrasinn die Stimmung vermiesen zu lassen. Dann können Perry und ich ja froh sein, dass wir noch kein Allheilmittel gegen die die Machenschaften der Kosmokraten und der Mächte des Chaos gefunden haben.

Zyniker!

Was das angeht, habe ich einen hervorragenden Lehrmeister.

Der Logiksektor schwieg, und ich grinste in mich hinein. Dabei hatte er so Unrecht nicht. Trotz des hervorragenden Weins wollte es mir nicht gelingen, vollständig abzuschalten. Vier Jahre waren seit den Ereignissen um Gon-Orbhon und den Sternenozean von Jamondi und seit der entscheidenden Schlacht gegen die Kybb-Titanen vergangen. Ich blinzelte in die Sonne. Was waren schon lächerliche vier Jahre im Leben eines Unsterblichen, was gar in kosmischen Zeitdimensionen? Ein annäherndes Nichts, doch sie genügten, um einen entspannten USO-Lordadmiral außer Dienst an der Ruhe, die ihn umgab, zweifeln zu lassen. Es ließ sich halt, wie sich meine terranischen Barbarenfreunde auszudrücken pflegten, immer ein Haar in der Suppe finden, das Alarmglocken schrillen ließ.

Weibliche Gesellschaft hätte diesbezüglich durchaus positive Abhilfe geschaffen. Der Gedanke an Zephyda, die vor fast zwei Jahren mit den Jamondivölkern in die Unendlichkeit aufgebrochen war, versetzte mir sekundenlang einen schmerzhaften Stich.

Ich leerte den Pokal, ließ den Blick über die im Sonnenlicht wie Howalgonium funkelnde Oberfläche des künstlichen Sees gleiten und spielte mit dem Gedanken an einen Abstecher ins Vergnügungsviertel des nahe gelegenen Raumhafens. Doch dazu hätte ich Maske machen müssen, um kein Aufsehen zu erregen.

Offiziell hielt ich mich gar nicht auf Luna auf, nicht einmal im Solsystem, sondern war auf einer streng geheimen Mission unterwegs, und zwar dermaßen geheim, dass ich nicht einmal meine engsten Mitarbeiter unterrichtet hatte, wohin sie mich führte. Ich hatte nur ein paar gute Freunde wie Perry, Bully und Gucky über meinen Aufenthaltsort informiert, um nicht mit Nebensächlichkeiten belästigt zu werden.

Ich erwartete einen bissigen Kommentar des Extrasinns. Er schwieg weiterhin. Hätte ich ihn nicht gekannt wie mein zweites Ich, wäre ich glatt auf die Idee gekommen, er sei beleidigt. Wie mein zweites Ich … Ich grinste.

Deine Scherze werden flacher.

Na also!

Ich sah auf, als die Türpositronik einen Besucher anmeldete.

»Identifikation?«, verlangte ich.

»TLD-Agentin Deirdre Chrus wünscht Atlan da Gonozal in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen, die keinen Aufschub duldet«, verkündete die wohlmodulierte Kunststimme.

Keinen Aufschub? Ich war zu perplex, um direkt zu antworten. Woher kannte der Terranische Liga-Dienst meinen Aufenthaltsort? Hatte etwa Gucky wieder einmal geplaudert? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Und selbst wenn, erklärte das nicht, was der TLD ausgerechnet von mir wollte.

»Hat die Agentin sich ausgewiesen?«

»Positiv. ID-Kennung und Abtastung der Individualschwingungen geben keinen Anlass zur Beanstandung.«

Mein persönlicher Status brachte seine Vorzüge mit sich. Die Sicherheitsüberprüfung der Besucherin wurde so anstandslos durchgeführt wie die Auskunft der Zeitansage. Der holographische Datenimprint der TLD-Ausweise war fälschungssicher. Es bestand keine Gefahr, dass ich einem Attentäter aufsaß.

Vielleicht will das Universum etwas an dir gutmachen und schickt dir die weibliche Gesellschaft, nach der es dich verlangt, spöttelte der Extrasinn.

Ich glaubte nicht, dass es etwas gebracht hätte, mich verleugnen zu lassen. Die Agenten des TLD waren hartnäckig. Sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten, ließen sie so schnell nicht wieder locker. Außerdem ich musste zugeben, dass meine Neugier geweckt war. Vielleicht stand die nächste kosmische Krise bevor, die meine persönliche Beteiligung erforderte. Es wäre Wasser auf die Mühlen des Extrasinns gewesen.

Ich erhob mich von der Konturliege, durchmaß den Garten und ging ums Haus herum, um selbst zu öffnen. Draußen stand eine hoch gewachsene, dunkelhaarige Frau, die ich auf Ende Dreißig schätzte. Ihre herben Züge und die markanten Wangenknochen passten nicht recht zu der schmalen Nase und den fein geschnittenen Lippen, die kaum merklich zitterten. Zumindest schien meine ungebetene Besucherin einen Anflug von schlechtem Gewissen zu haben. Sie setzte zum Sprechen an, doch ich kam ihr zuvor.

»Sind dem Liga-Dienst die Kommunikationseinrichtungen ausgegangen?«, fragte ich anstelle einer Begrüßung.

»Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass du nicht vorab benachrichtigt wurdest.« Deirdre Chrus sprach mit glockenheller Stimme, in der das sanfte Timbre einer Melodie mitschwang. »Der Resident war sicher, dass der Grund meines Besuchs eine Anmeldung überflüssig macht. Du seiest in jedem Fall an dem Fund, den wir gemacht haben und der in Zusammenhang mit einem alten Rätsel steht, interessiert, meint er.«

»Meint er? So, so.« Zuweilen wünschte ich mir die alten Zeiten zurück, in denen ich gesiezt und mit »Sir« angesprochen worden war. »Ein altes Rätsel?«

»Eins sehr altes sogar.«

»Rhodan persönlich schickt dich zu mir?«

»Es ist der Wunsch der LFT-Regierung und des Residenten, dass du an der Aufklärung der Angelegenheit mitwirkst.«

Ihre ausweichende Antwort verriet ein gewisses diplomatisches Geschick, eine Fähigkeit, die längst nicht alle Agenten ihr Eigen nannten. Das nahm mich für sie ein, und die Geheimniskrämerei schürte mein Interesse. Hinzu kam Perrys Beteiligung. Er würde die streng gehütete Adresse meines Urlaubsdomizils nicht wegen einer Nichtigkeit herausgeben. Ich machte eine einladende Geste und ging voraus, zurück in den Garten.

»Etwas zu trinken?«

»Nein, danke.«

»Na dann, heraus mit der Sprache. Mit was für einem Fund will der TLD mich ködern?«

»Ködern?« Chrus zögerte einen Moment. Sie wölbte eine Augenbraue, zog ein kleines Objekt aus einer Tasche ihrer schlichten Kombi und reichte es mir.

Unbewusst zuckte ich zusammen, als ich den Gegenstand betrachtete. Dank meines photographischen Gedächtnisses erkannte ich ihn auf Anhieb. Es handelte sich um den Kristallsplitter eines Monolithen, wie sie vor 1812 Jahren auf Thanaton, Lumbagoo, Chonosso und anderen Welten für Aufregung gesorgt hatten. Ich hatte nicht erwartet, noch einmal mit den damaligen Ereignissen konfrontiert zu werden. Umso größer war meine Überraschung über das Mitbringsel.

»Anscheinend hat der Resident dein Interesse richtig vorausgesehen, Atlan.« Deirdre Chrus betrachtete mich aufmerksam.

Das hatte Perry Rhodan in der Tat. Die damaligen Ereignisse, in deren Mittelpunkt ich bei meinen Nachforschungen gestanden hatte, waren als Monolith-Krise in die Geschichte eingegangen. Sie hatten mich in ihren Strudel gezogen und an den Rand des Todes gebracht. Es war kein Wunder, dass Perry mich umgehend mit dem Fund konfrontierte. Im Jahre 3112, damals als es noch keine Neue Galaktische Zeitrechnung gegeben hatte, waren viele Fragen offen geblieben, auf die ich nie eine Antwort erhalten hatte.

Vor meinem inneren Auge entstand das Abbild Santjuns, dessen und mein Schicksal durch gewisse Umstände so eng miteinander verflochten gewesen waren, dass wir hatten davon ausgehen müssen, nur einer von uns beiden hätte die Aussicht zu überleben. Wie so oft, war es zu einem Wettlauf gegen die Zeit gekommen, und die einzige Chance, die Santjun und ich seinerzeit gehabt hatten, war gewesen, die Monolithen, von denen das ganze Unheil ausging, rechtzeitig auszuschalten.

»Woher stammt dieses Artefakt?«

»Von einem namenlosen Planeten. Das System ist unter einer schlichten Kennung in den Sternkatalogen verzeichnet.«

»Du hast es gefunden?«

»Ein Kollege aus unserem wissenschaftlichen Team. Das und noch viel mehr wurde bei archäologischen Untersuchungen entdeckt.«

Ein wissenschaftliches Team? Mir entging nicht, dass die Agentin mit Bedacht vage blieb.

Ich unterzog den Splitter einer eingehenden Begutachtung. Das silbrige, leicht nachgiebige Metall, in Wahrheit ein organisches Gitter mit eingelagerten, ultraschweren Atomen mit einem durchschnittlichen Atomgewicht von über 1000, war durchscheinend und gestattete mir einen Blick ins Innere des Bruchstücks. So war es auch bei den aus tausenden parallel angeordneten, etwa einhundert Meter starken Strängen gewesen, aus denen die Monolithen bestanden hatten. Durch das durchscheinende Material war Außenlicht ins Innere der Anlagen gedrungen. Ich erinnerte mich, dass darin angenehme Wärme geherrscht hatte. Und nun hielt ich den Splitter einer solchen Anlage in Händen.

Feine Zeichnungen in seinem Inneren erregten meine Aufmerksamkeit, die Umrisse von Lebewesen, deren Körperbau sich am ehesten mit dem von Kerbtieren vergleichen ließ. Die Darstellung war zu klein, um viele Einzelheiten erkennen zu lassen, doch ich wusste auch so, wen die Darstellungen abbildeten. Verlorene. Angehörige einer längst ausgestorbenen galaktischen Hochzivilisation, die für die Errichtung der Monolithen verantwortlich war.

Der Erinnerungsschub versetzte mich in die Vergangenheit.

Kapitel 2Malcher

7. Mai 3112

Der über zwei Meter große Mann blickte in die Abstrahlmündungen von drei Desintegratoren und zeigte sich zufrieden. Die Wachposten, die die Waffen vor der Brust erhoben hielten und seiner Gefolgschaft aus Silberherren angehörten, nahmen ihre Aufgabe ernst. Wäre an seiner statt jemand anderes durch das Transportfeld gekommen, hätten sie ihn ohne Vorwarnung zu verwehenden Molekülketten aufgelöst.

»Nicht schießen!«, herrschte Malcher seine Untergebenen an. »Oder wollt ihr euren Herrn umbringen?«

Er trat aus dem silbrig-trüben Feld und sog die leicht modrig riechende Luft ein. Obwohl ein Drittel des Monolithen trockengelegt war und Aufbereitungsanlagen die Luft umwälzten, filterten und mit frischem Sauerstoff anreicherten, hielt sich der Geruch hartnäckig. In vielen Jahrtausenden unter der Meeresoberfläche war der Monolith vollgelaufen, hatte sich das Wasser einen Weg durch die Korridore und Kriechgänge gesucht, Galerien überschwemmt und Hallen geflutet. Dem positronischen Steuergehirn der Transporteinrichtung und dem mehrfach gesicherten System für die Verteidigungsanlage des Monolithen hatte die Überflutung nichts anhaben können. Das galt sowohl für das ursprüngliche Bauwerk der Verlorenen als auch für die nachträglich eingebauten Arsenale der Lemurer, allen voran dem hermetisch abriegelbaren, würfelförmigen Bunker von dreißig Metern Kantenlänge.

Malcher stellte sich vor das Steuerpult und unterzog die Bedienungselemente einer flüchtigen Inspektion. Er erwartete keinen Fehler, und es trat auch keiner auf. Nach anfänglichen Verständnisschwierigkeiten beherrschte er die Steuerung der Anlage immer besser.

»Mussten Sie fliehen?« Die Frage kam von Monani Thersus, einem gedrungenen Burschen Anfang Fünfzig, der dank des Silbermetalls, das er trug, mindestens zehn Jahre jünger aussah. Der auf Chonosso geborene Glatzkopf mit dem kantigen Schädel und den buschigen Augenbrauen, die sich über der Nasenwurzel vereinigten, zählte zu den Vertrauten Malchers. Wie seine beiden Begleiter trug er einen einteiligen, wasserabweisenden Arbeitsanzug.

»Fliehen?« Malcher hob die Stimme an. »Ich habe mich in der Hoffnung zurückgezogen, dass Atlan mir folgt.«

»Er kommt?«

»Das weiß ich nicht, du Dummkopf. Haltet die Augen auf. Sobald der Arkonide seine Nase aus dem Feld streckt, erschießt ihr ihn.«

Insgeheim hoffte Malcher sogar, dass der Unsterbliche ebenfalls die Pforte des Ceres-Monolithen benutzte und ihm nach Chonosso folgte, doch der Lordadmiral der USO war kein Dummkopf. Er konnte sich ausrechnen, dass nach dem Durchgang in eine von Malcher gewählte Station der Tod auf ihn wartete. Er würde seine USO-Schergen durch die Pforte jagen, statt sich selbst in Gefahr zu bringen.

Nein, dachte Malcher. Ich würde das tun, aber dieser Gutmensch, der noch nicht einmal ein Mensch ist, schickt seine Leute nicht voreilig in den Tod.

Genau das war die Schwäche Atlans und der Unsterblichen um Perry Rhodan. Sie scheuten vor erforderlichen Opfern zurück, die zwangsläufig gebracht werden mussten, wollte man die eigene Unsterblichkeit konservieren.

Mit der Entsendung von Kampfrobotern täte sich der Arkonide hingegen nicht schwer, auch wenn er die Maschinen zunächst zusammenziehen und zur Pforte beordern musste. Das Risiko war zu groß, um es außer Acht zu lassen, entschied Malcher.

Er blickte in das silbrige Feld, das seine lang gestreckte, ausgemergelte Figur mit den filigranen Gliedmaßen grau und düster spiegelte. Grenzenlose Selbstsicherheit zeichnete sich in seinem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht ab, in dem die Hakennase und die kräftigen dunklen Augenbrauen markante Kontrapunkte zu seinen stechend grünen Augen bildeten. Durch den permanenten Kontakt mit großen Mengen des Silbermetalls hatte seine Haut einen silbrigen Schimmer angenommen und wirkte eingeschrumpft, auf unnatürliche Weise verzerrt beinahe.

Ein Respekt gebietender Anblick, dachte Malcher mit einem kalten Lächeln und strich sich die dichten, dunklen Haare in den Nacken. Würde ich mir auf der Straße begegnen, wäre ich nicht wenig beeindruckt.

Mit sicheren Handgriffen desaktivierte er das Portal. Die Gefahr, dass es seinen Gegnern gelang, die Verbindung von Ceres aus wieder herzustellen, bestand nicht. Nach Wochen der Untersuchung des lemurischen Bunkers und der Steuereinrichtungen für die Durchgangspforte war sein Informationsvorsprung den Terranern gegenüber enorm. Außerdem hatten die Dummköpfe auf Ceres andere Probleme. Als Abschiedsgeschenk hatte Malcher die Selbstzerstörungseinrichtung des dortigen Bunkers aktiviert. Die USO-Spezialisten mochten die Sprengung verhindern, doch das erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.

»Wo sind unsere Leute?«, fragte Monani Thersus.

»Tot, sonst hätte ich sie nicht zurückgelassen. Die verdammten Terraner haben sie ohne Gnade umgebracht.«

»Einfach so?«

»Einfach so, ganz recht.« Malcher gefiel Thersus’ Frage nicht. Sie klang misstrauisch. »Zweifelst du an meinen Worten?«

Der Glatzkopf zögerte für einen Moment, dann beeilte er sich zu sagen: »Natürlich nicht, Herr. Sie haben uns die Rücksichtslosigkeit der Unsterblichenclique um den Großadministrator des Solaren Imperiums deutlich vor Augen geführt.«

»Weil ich sie aus eigenem Ansehen kenne. Vergesst das nie.«

In Wirklichkeit war Malchers Bedauern über den Verlust seiner Leute gespielt, war es für ihn einerlei, ob sie tot oder in Gefangenschaft geraten waren. Er hatte es stets vermieden, eine persönliche Beziehung zu den Männern und Frauen, die ihm folgten, aufzubauen. Der Tod jedes einzelnen von ihnen war ihm gleichgültig. Wichtig war allein der Bestand der Organisation, für die Atlan die Bezeichnung »Silberherren« verwendete.

Ursprünglich waren damit die heimlichen Herrscher Thanatons gemeint gewesen. Aber der Begriff passte recht gut für die »Herren der Monolithen«, und so hatte Malcher es sich angewöhnt, ihn ebenfalls zu benutzen, weil er keinen eigenen geprägt hatte. Die Organisation hatte in seinem Sinne zu funktionieren und brauchte keinen Namen, und wenn doch, war »Silberherren« wertfrei und zutreffend.

»Wie schreiten die Arbeiten voran?«

Monani Thersus verstaute seinen Strahler im Holster eines Gürtels, den er über seinem Arbeitsanzug trug. »Es wurden weitere lemurische Einrichtungen trockengelegt. Unsere Wissenschaftler haben ihre Untersuchungen darauf ausgeweitet.«

»Es traten keine automatischen Einrichtungen der Lemurer in Aktion?«

»Nein, Herr.«

»Gut. Ich wünsche, dass die fortschreitenden Arbeiten an jedem Aggregat genau protokolliert werden.«

»Das geschieht bereits. Soll ich Sie umherführen?«

Die Frage war töricht, wenn nicht sogar anmaßend. Malcher hatte sich das Innere der Anlage eingehend eingeprägt, den zentralen Hohlraum im Inneren des Monolithen, den darin eingebetteten Bunker aus grauem, widerstandsfähigen Metallplastik, der in ein dreistöckiges System aus Innenräumen mit Energieanlagen, den umfangreichen Steuereinrichtungen und einem Antigravschacht unterteilt war. Die zentrale Pforte war von Maschinenanlagen umrahmt, deren Geheimnisse zum überwiegenden Teil er selbst herausgefunden hatte, und von Wucherungen aus dem silbrigen Metall.

Malcher glaubte nicht, dass die jüngst dem Wasser entrissenen Anlagen neue Überraschungen für ihn bereithielten. Thersus, dieser Dummkopf, wollte sich wichtig machen. Er war ein Speichellecker wie alle anderen. Genauer, er war begierig darauf, weiteres seine Langlebigkeit sicherndes Silbermetall zu erhalten, das nur Malcher in großen Mengen gehortet hatte. Es gab kein besseres Druckmittel, um sich der Loyalität seiner Leute zu versichern.

»Ich werde mir morgen alles ansehen«, kündigte er an. »Jetzt bin ich müde und werde mich ausruhen.«

Und dann, dachte er,

Kapitel 3Vom Tod ins Leben

8. Mai 3112

Sie fiel, zu entsetzt, um zu schreien. Um sie herum drehte die Welt sich, verwandelte sich oben in unten und unten in oben, wurden die Schlaglichter Shenzens zu erratischen Eindrücken bar jeglichen Zusammenhangs. Abwechselnd gewahrte sie den Himmel, Felswände mit zerklüfteten Klippen und tief unten die Stadt, die im Dunst aus Industrieabgasen und der warmen, feuchten Luft aus planetaren Sauerstoffaufbereitungsanlagen mehr zu erahnen als zu erkennen war. Ihr Verstand weigerte sich zu akzeptieren, dass alles zusammengehörte.

Sie zappelte, schlug wild um sich und tastete verzweifelt nach Bedienungseinrichtungen eines Mikrogravitators, Flugaggregats oder Prallfeldgenerators. Ihre zitternden Finger griffen ins Leere. Nichts von alledem war vorhanden. Sämtliche ein Überleben versprechende Anker waren gehoben. Geblieben waren letzte Sekunden vor dem Tod, in denen nicht einmal ihr bisheriges Leben an ihr vorbeiziehen wollte.

Aus und vorbei! Schwärze umgab sie, bevor sie am Boden aufschlug.

Sie stöhnte – was unmöglich war. Einen Sturz aus dieser Höhe konnte sie nicht überlebt haben. Folglich war sie tot, doch dann hätte sie nicht stöhnen können. Ein fahler Lichtschein drang durch ihre geschlossenen Lider, und sie fürchtete sich davor, die Augen zu öffnen und mit einer Realität konfrontiert zu werden, die sie nur hassen konnte. An ihren Schläfen und in den Armbeugen spürte sie die Berührung von etwas Kaltem.

Wach auf, Smutje. Ihre Kameraden von der IMASO? Das Schiff existierte nicht mehr.

Vor ihrem inneren Auge sah sie ein Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen, umrahmt von schulterlangen, weißblonden Haaren, die leicht rötlichen Augen, deren Iris nicht von dem gleichen intensiven Rot war wie bei anderen Arkoniden. Atlan! Der Lordadmiral, ihr Chef, in dem sie vorrangig einen interessanten Mann sah. Ein Wachtraum?

Sich einfach davonzumachen ist nicht die feine englische Art, Leutnant. Das war seine, Atlans Stimme.

Sie schlug die Augen auf, starrte in den Himmel empor und stieß einen heiseren Schrei aus. Schrie gegen den Sturz an, der sie vermeintlich zu Tode brachte.

»Aber …«, Iasana Weilands Lippen bebten, »… wie kann das sein?«

Sie schloss die Augen, zu überwältigt von den Eindrücken, die auf sie einstürzten. Denn sie fiel nicht, sondern lag, obwohl sie hätte tot sein müssen, in einem warmen, weichen Bett, offenbar in einem Medozentrum. Die Erkenntnis, auf eine ihr unbekannte Weise vom Tod ins Leben zurückgefunden zu haben, erforderte ein paar Sekunden, in denen sich die Plophoserin zu gleichmäßigem Atmen zwang und ihre Gedanken sortierte.

Es gelang leichter als erwartet, und die Erinnerung bildete eine kausale Kette. Weiland sah sich auf Shenzen, oben auf der Klippe stehen und dann von Onjar Marik in die Tiefe gestürzt. Er war ein gewissenloses, kaltblütiges Schwein, hatte sie mit einem Tamasoori-Halsband gefoltert, und doch hatte sein rigoroses Vorgehen sie überrascht.

Sie hatte überlebt. Wie es dazu gekommen war, daran besaß sie allerdings keine Erinnerung. Noch bevor sie aufgeschlagen war, musste sie das Bewusstsein verloren haben. Und durch ihr unbekannte Umstände davor bewahrt worden sein, am Grund zerschmettert zu werden.

Wieder öffnete sie die Augen, und das Krankenzimmer war noch da. Ihre Kameraden nicht, und auch nicht Lordadmiral Atlan. Sie war allein. Vergeblich versuchte sie einen Blick nach draußen zu erhaschen. Polarisation dunkelte die dem Krankenbett gegenüberliegende Fensterfront ab. Medizinische Geräte, durch Schläuche und Messsonden mit ihrem Körper verbunden, umgaben Iasana Weiland. In ihrer Armbeuge steckte eine Kanüle.

»Es scheint eng gewesen zu sein.« Zu ihrer Verwunderung bereitete es ihr keine Mühe, die Worte auszusprechen. Unwillkürlich musste sie lächeln. Natürlich war es eng, wenn man ohne technische Hilfsmittel einen Berghang hinabstürzte.

Sie stützte sich auf die Unterarme, drückte den Oberkörper in die Höhe, streckte sich und drehte vorsichtig den Kopf. Die Bewegungen bereiteten ihr weder Schmerzen noch Übelkeit. Daten- und Zahlenkolonnen, mit denen sie nichts anfangen konnte, liefen über mehrere Monitoren. Eine Sinuskurve dokumentierte ihren Herzrhythmus. Sie tastete nach ihren Schläfen, an denen Elektroden befestigt waren.

Weg damit? Nein, besser nicht. Obwohl sie sich gesund und kräftig fühlte, war es ratsam, auf einen Arzt zu warten. Weiland bettete sich auf den Rücken und ließ den Blick über die Einrichtung wandern. Es gab keinen Hinweis darauf, wo sie untergebracht war. Von der verchromten Oberfläche eines medizinischen Geräts sah ihr Spiegelbild sie an. Ihre blauen Augen schauten so aufmerksam und durchdringend wie immer. Kein Anzeichen von Erschöpfung war darin zu lesen. Die langen, roten Haare waren hingegen verfilzt, wie nach mehreren Tagen fehlender Pflege.

Wie lange liege ich schon hier?

Die Tür öffnete sich, und ein Medoroboter glitt in den Raum. Er schwebte zu den Instrumenten und las die Werte von den Monitoren ab, ohne ein Wort an die Plophoserin zu richten.

»Zufrieden?«, wollte Weiland wissen.

Schweigend setzte der Roboter seine Tätigkeit fort. Er nahm mit seinen tentakelförmigen Handlungsarmen eine Reihe von Schaltungen vor, kontrollierte Schläuche und überprüfte den Sitz der Sonden. Weiland ließ ihn eine Weile gewähren, bis ihr sein Verhalten zu dumm wurde.

»Wenn du nicht mit mir redest, suche ich mir jemanden, der dazu in der Lage ist.« Sie richtete sich auf. »Gibt es hier keinen Arzt, der für mich verantwortlich ist?«

»Das würde ich bleiben lassen, Leutnant«, drang eine dünne Stimme an ihr Ohr. Ein Ara in einem weißen Kittel, der um seine hagere Gestalt schlotterte, hatte das Krankenzimmer betreten. »Sie sind soeben aus einem Koma erwacht. Ihr Zustand dürfte höchst instabil sein.«

Weiland betrachtete den Galaktischen Mediziner, der den Medoroboter verscheuchte und an ihr Bett trat. Er inspizierte die Anzeigen der Überwachungsgeräte und wiederholte die Handgriffe, die die Maschine vorgenommen hatte.

»Die Körperfunktionen der Patientin sind stabil«, plärrte der Roboter. »Es gibt keine Hinweise auf eine vorangegangene Bewusstseinsstörung.«

»Du musst dich irren.« Der Ara beugte sich über die Frau und nahm verschiedene Untersuchungen vor. »Oder etwa doch nicht? Höchst ungewöhnlich.«

»Wollen Sie mir nicht endlich verraten, was geschehen ist, Doktor?«, fragte Weiland. »Sie sprachen von einem Koma.«

»Tuman-Kal, Leutnant. Den Doktor können Sie sich sparen.« Der Ara verschränkte die dürren Arme vor der Brust. In seinen albinotisch roten Augen lag ein Ausdruck von Erstaunen. »Sie wurden mit einer ausgeprägten Störung der Großhirnfunktion eingeliefert. Sie haben auf keine Behandlungsmethode angesprochen. Ihr Bewusstsein reagierte auf keinerlei Stimuli.«

Oh ja, es war eng gewesen. »Wie lange war ich weggetreten? Welches Datum haben wir?«

»Wir schreiben den 8. Mai.«

Iasana Weiland stieß die Luft aus. Zehn Tage waren vergangen seit den dramatischen Ereignissen auf Shenzen. Zehn Tage lang hatte sie im Koma gelegen, seit dem 28. April. Allein das war ein Aufschub, den es nicht hätte geben dürfen. Sie hätte eigentlich tot sein müssen.

»Wieso bin ich bei dem Sturz nicht gestorben?«

»Ich weiß von keinem Sturz, Leutnant. Sie wurden komatös eingeliefert, ohne äußere Verletzungen.«

Die wirklichen Wunden hatte Onjar Marik ihr innerlich zugefügt. Weiland war froh, dass man nicht sah, was er ihr angetan hatte. Wie er sie gezwungen hatte, sich ihm zu unterwerfen, und sie nahe daran gebracht hatte, ihre Würde einzubüßen. Sie hoffte, dass das sadistische Schwein tot war.

Hass ist ein schlechter Ratgeber. Beruhige dich.

»Wo bin ich?«

»In einem Medozentrum des Flottenraumhafens von Terrania.«

Auf der Erde also. Die Information entlockte Weiland ein Lächeln. »Wo hält sich die Besatzung der IMASO auf?«

»In einem benachbarten Gebäude.«

»Geht es meinen Kameraden gut?«

»Denen, die den Absturz der IMASO überlebt haben – ja.« Tuman-Kals Worte klangen beinahe zynisch. »Die Verletzten haben ihre größeren und kleineren Wehwehchen überstanden. Alle sind einsatzbereit, worauf ich mich in Ihrem Fall nicht festlegen möchte.«

»Nun, letztendlich ist es Ihnen gelungen, mich aus dem Koma aufzuwecken.«

Der Ara schlackerte mit seinem spitz zulaufenden Kahlkopf. »Diesen Erfolg kann ich mir nicht ans Revers heften«, bedauerte er, wobei er ein paar Notizen in ein Schreibpad tippte. »Ich kann keine konkreten medizinischen Gründe für Ihr verspätetes Aufwachen nennen. Meine Kollegen und ich haben eine Überlastung Ihres Nervensystems durch die Ereignisse auf Zartiryt, Lumbagoo und Shenzen diagnostiziert. Ja, ich bin über die Geschehnisse informiert. Wie man mir berichtete, war Zartiryt Ihre erste echte Außenmission, der, ohne dass Sie die Ereignisse verarbeiten konnten, weitere persönliche Einsätze folgten, die ausnahmslos weit über Standardmissionen hinausgingen.«

»Ich habe keine besondere Belastung verspürt.«

»Ihr Unterbewusstsein womöglich schon. Sie waren mehrfach der starken Strahlung dieser geheimnisvollen Monolithen ausgesetzt, von denen Wissenschaftsoffizier Christina Gabrielle mir berichtete. Wir haben keine Erfahrungen mit einer solchen Kombination, doch ich halte sie für ursächlich für Ihren Zusammenbruch.«

»Ja, für einen körperlichen Zusammenbruch.« Das konnte die Plophoserin sich vorstellen. »Aber für ein Koma?« Sie schüttelte entschieden den Kopf und versetzte ärgerlich: »Ich erwarte, dass Sie mir konkrete medizinische Gründe für mein Aufwachen nennen, … Doktor.«

»Verärgert? Ihre Reaktion zeigt mir eine weiterhin vorhandene nervliche Anspannung«, wechselte Tuman-Kal das Thema.

Weiland beobachtete den Ara-Mediziner genau. Er ließ die Arme sinken, entknotete sie auf eine gewisse Weise, was geradezu skurril wirkte, und legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander. Weiland wertete seine ausweichende Antwort als Ausdruck von Ratlosigkeit. Sie horchte in sich hinein und pflichtete dem Spitzkopf bei. Sie war durchaus nervlich angespannt. Und wenn schon! Wer wollte es ihr verdenken?

»Mein physischer Zustand ist stabil? Sie können die Diagnose des Medoroboters bestätigen?«

»Ja, dennoch möchte ich Sie für weitere Beobachtungen hier behalten. Ich schließe Nachwirkungen im neuronalen Bereich nicht aus.«

»Gibt es diesbezügliche Befehle der Flottenadmiralität?«

»Nein, aber …«

Weiland richtete sich auf und streifte die Elektroden von ihren Schläfen. »Dann tut es mir leid, Tuman-Kal. Nach zehn Tagen Tiefschlaf bin ich begierig darauf, mich mit meinen Kameraden zu unterhalten. Keine Widerrede.«

»Auf eigene Gefahr, Leutnant.«

»Was denn sonst?« Weiland war verwundert über ihre entschiedene Haltung dem Arzt gegenüber. Vor den Ereignissen um die Monolithen wäre sie weitaus weniger forsch aufgetreten.

Seufzend entfernte der Ara-Mediziner die Kanüle aus ihrer Armbeuge. »Ihr Bett steht für Sie bereit, Leutnant – nur für den Fall, dass Sie es sich anders überlegen.«

Kapitel 4Malcher

8. Mai 3112

»Chanmeister Tro Schikel ist mit den Fortschritten der Arbeit zufrieden. Er ist wissbegierig zu erfahren, wann sämtliche Einrichtungen des Monolithen unter unserer Kontrolle stehen und die Bruderschaft gefahrlos über die Anlage verfügen kann.«

»Die Bruderschaft? Er meint sich. Er will dem Solaren Imperium seine Stärke und Unnachgiebigkeit beweisen, doch er ist der falsche Mann am falschen Ort, in der falschen Position.« Malcher taxierte Trecht, den gebückt gehenden Mann in der bunten Freizeitkleidung, der an seiner Seite durch einen geräumigen Korridor ging und gemeinsam mit ihm die Tätigkeiten der Silberherren inspizierte.

Etwa einhundert Männer und Frauen waren damit beschäftigt, die Umgebung der zentralen Kammer in einen begehbaren Zustand zu versetzen. Mit der Hilfe von Prallfeldern hatten sie das eingedrungene Wasser aus dem Bunker verbannt und die umliegenden, von den Lemurern erweiterten ehemaligen Kriechgänge begehbar gemacht.

»Er erkundigt sich, wann die Waffenanlage des Monolithen gegen unrechtmäßige Eindringlinge einsatzbereit ist.«

Malcher grunzte. »Was hast du ihm geantwortet?« Das sonore Summen der Belüftung drang an seine Ohren. Er war stolz auf das Erreichte, das der Chanmeister offenkundig als seinen eigenen Erfolg betrachtete. Dabei hatte er nichts dazu beigetragen, außer Malcher freie Hand zu lassen, und das nutzte der Anführer der Silberherren aus. All seine Materialanforderungen waren umgehend erfüllt worden, und längst waren die entwässerten Bereiche mit frischer Atemluft geflutet.

»Dass sein Verbündeter Malcher Tag und Nacht unermüdlich daran arbeitet, den Wünschen des Chanmeisters gerecht zu werden.«

»Gut. Es ist schön zu sehen, dass ich mich auf dich verlassen kann.«

Trecht war eine unbezahlbare Informationsquelle. Jedes Stück Silbermetall in seinem Besitz hatte er sich redlich verdient. In leitender Funktion in der Cardmanosch tätig, versorgte er Malcher, der ihn als Strohmann in den Geheimdienst der Bruderschaft eingeschleust hatte, mit jeder wichtigen Neuigkeit.

Bei der Erforschung und Nutzbarmachung des Monolithen und seiner Systeme handelte es sich um eine von Tro Schikel offiziell angeordnete Sicherungsmission. Der Chanmeister fürchtete, der Monolith könne sich auf eine unbekannte Weise selbständig machen und seine Waffen gegen Chonosso richten. Da eine solche Gefahr tatsächlich nicht auszuschließen war, war es Malcher nicht schwergefallen, den Regierungschef in diese Richtung zu manipulieren.

Vom Doppelleben seines angeblich so verlässlichen Verbündeten hatte Tro Schikel keine Ahnung; die Cardmanosch war in weitem Umfang unterwandert und bestand teilweise aus Silberherren.

Trecht blieb stehen und betrachtete die Korridorwand, auf der sich schattenrissartige Darstellungen aus dem Leben der Verlorenen abzeichneten. »Diese Insektoiden sind mir unheimlich. Es ist, als würden ihre Geister durch den Monolithen spuken. Es kommt mir so vor, als ginge die Wärme von ihren Seelen aus.«

Malcher machte eine abschätzige Handbewegung. »Die Verlorenen sind seit einer Million Jahren oder länger ausgestorben. Das Metall, aus dem der Monolith erbaut wurde, emittiert die Wärmestrahlung.«

»Es wäre mir angenehmer, es würde Licht emittieren.«

Bei den anderen Monolithen drang Außenlicht durch das transparente Material ins Innere der Anlagen und machte künstliche Beleuchtung überflüssig. Auf Chonosso lagen die Dinge anders, denn der Monolith war von undurchdringlicher Dunkelheit umgeben. Er ruhte 6185 Meter unter dem Meeresspiegel auf dem Grund eines Tiefseegrabens und damit etwa vier Kilometer unterhalb des umliegenden Meeresbodens.

»Vergeude deine Überlegungen nicht mit Nebensächlichkeiten«, polterte Malcher aus einem Impuls heraus. »Denk über unsere Feinde nach. Ich habe Atlan und die USO düpiert, wodurch sich zweifellos auch Perry Rhodan herausgefordert fühlt. Die Unsterblichen werden die erlittene Schlappe nicht hinnehmen. Ich rechne damit, dass sie auf Chonosso auftauchen.«

»Trotz der Warnungen, die sie erhalten haben?«

»Sie werden entsprechend vorsichtig vorgehen, doch sie lassen sich nicht abhalten. Das haben Rhodan und Atlan nie getan.«

Malcher fragte sich, wie es Khonnat ging. Von dem USO-Mann, dem er noch von Ceres aus spezielle Anweisungen gegeben hatte, war ein Rafferimpuls eingegangen, eine kurze Mitteilung, die besagte, dass Plan C ausgeführt werde. Khonnat fürchtete, über kurz oder lang aufzufliegen. Einem käuflichen Verräter wie ihm war nicht zu trauen. Wer einmal die Seiten wechselte, tat es immer wieder, wenn der Preis stimmte.

Sollte ihn sein Weg nach Chonosso führen, wovon auszugehen ist, und er sich zur Gefahr entwickeln, werde ich ihn töten, machte sich Malcher eine gedankliche Notiz. Sofern ich dann überhaupt noch hier bin.

»Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass das Silbermetall und seine Auswirkungen den Aktivatorträgern, der Solaren Abwehr und der USO so lange verborgen geblieben sind.«

Malcher stimmte Trecht zu. Er hatte viel Zeit gehabt, seine Organisation im Verborgenen aufzubauen. Begonnen hatte er damit, nachdem er 2960 die Wirkung des Silbermetalls am eigenen Leib entdeckt hatte. Anfangs ohne Rückendeckung und jegliche organisatorische Struktur, hatte er durch Gewalt, Verrat und Intrige eine Basis geschaffen, bis es ihm 2972 gelungen war, zum Chanbruder aufzusteigen. Allerdings hatte er bewusst keines der großen Ressorts angestrebt. Die für Wirtschaft, Verteidigung oder gar Außenpolitik verantwortlichen Chanbrüder standen im Licht der Öffentlichkeit, und Malcher hatte nicht das geringste Interesse daran, dass die Bevölkerung Chonossos oder gar das Solare Imperium oder andere stellare Mächte auf ihn aufmerksam wurden.

Nein, Malcher war im Hintergrund geblieben und hatte nach und nach die Rolle eines geheimen Beraters der Chanmeisters übernommen. In dieser Funktion war es ihm nicht schwergefallen, wachsenden Einfluss auf die Cardmanosch auszuüben, ohne dass er offizieller Geheimdienstchef sein musste, und er verfügte über ungeahnte Machtmittel, die er rücksichtslos einsetzte.

Von nun an war er vor jeglicher Verfolgung durch die Mächtigen Chonossos’ sicher. Ein paar von ihnen, die ihm und seinen Geschäften zu nahe gekommen waren, waren tödlichen Unfällen zum Opfer gefallen, die man nie gründlich untersucht hatte. Dafür hatte Malcher gesorgt.

Es war um das Jahr 3000 herum gewesen, als er begonnen hatte, die Chancen, die ihm das Silbermetall eröffnete, in ihrer ganzen Dimension zu erkennen. Von da an hatte er sich als Unsterblichen angesehen, wie es die Aktivatorträger waren. Sie, die Clique um Perry Rhodan und Atlan, waren damit zwangsläufig zu seinen Hauptfeinden geworden, die es zu bekämpfen galt.

Malcher war klar gewesen, dass er eine straff geführte Organisation schaffen musste, um seine Existenz langfristig zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, hielt er die besten Argumente in Händen, nämlich das lebensverlängernde Silbermetall, mit dem sich so ziemlich jeder ködern ließ.

Systematisch hatte er eine stetig wachsende Gefolgschaft Abhängiger um sich geschart, die seinem Wohlwollen ausgeliefert waren. Nur durch ihn gelangten sie in den Besitz von Silbermetall. Er hatte damit angefangen, die Nachkommen seiner Untergebenen, speziell diejenigen, die auf Thanaton geboren wurden, einem rigiden Auswahl- und Trainingsprogramm zu unterziehen und sie nach seinen Wünschen zu formen. Zu den Produkten dieses Programms hatten Thalia Lacroix und Onjar Marik gehört.

Marik hatte sich letztlich als Narr erwiesen, weil er sich auf einen offenen Kampf mit Atlan und der USO eingelassen hatte, doch zumindest war er im entscheidenden Augenblick nicht so dumm gewesen, Chonosso anzufliegen und die Verfolger dadurch zu Malchers Heimat zu locken. Das war das eine, was Malcher Onjar Marik hoch anrechnete. Das andere war, dass er tot war und nie wieder einen Fehler begehen konnte, der die gesamte Organisation und besonders den Chef der Silberherren gefährdete.

»Fast hätte dieser Dummkopf alles zunichte gemacht«, entfuhr es Malcher.

»Von wem reden Sie?«, fragte Trecht.

Sofort bereute Malcher seine unvorsichtigen Worte. »Von allen, die neugierige Fragen stellen«, wies er seinen Begleiter zurecht. »Ich habe genug gesehen. Kehren wir um.«

In den letzten Tagen machte sich Unruhe in ihm breit. Dabei war sein ursprünglicher Plan gewesen, seine Organisation über einige Jahrhunderte reifen zu lassen, ehe er sich den Aktivatorträgern zum Kampf stellen wollte. Entsprechend hatte er eine Organisationsstruktur aus kleinen Zellen aufgebaut, deren Kontakt auf das wesentliche beschränkt war und in der jedes einzelne Mitglied, falls es dem Feind in die Finger fiele, möglichst wenig verraten konnte.

Ebenfalls um 3000 herum hatten sich seine Chanbrüder allmählich über sein Lebensalter sowie die an ihm einsetzenden Veränderungen durch das Silbermetall gewundert. Malcher hatte schnell und entschlossen reagiert und die allzu Neugierigen zu seinen Verbündeten gemacht. Silbermetall wirkte Wunder, und niemand entzog sich seinen Verlockungen.

Aber er war vorsichtiger geworden, noch mehr als zuvor aus dem Rampenlicht getreten. So zog Malcher seine Fäden aus dem Hintergrund, und hundert Jahre waren vergangen, in denen er seine Organisation festigen und unbemerkt im politischen System der Tarey-Bruderschaft etablieren konnte, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hätte.

Dann hatte ihm der Zufall scheinbar ein gigantisches Machtmittel in die Hand gespielt. Die Monolithen-Anlage war plötzlich aktiviert worden, und sofort hatte er alle Anstrengungen unternommen, sie unter seine Kontrolle zu bekommen. Doch ehe er sich versehen hatte, war er in eine Konfrontation mit der USO und dem Solaren Imperium geraten. Eine kurze Zeitlang hatte er geglaubt, der Galaxis mit den Monolithen seine Bedingungen diktieren zu können.

Inzwischen wusste er es besser.

Die Monolithen waren ein Danaergeschenk. Ihretwegen hatte er seine sorgfältig aufgebaute Deckung verlassen, doch aufgrund ihrer mangelhaften Verteidigungsanlagen erwiesen sie sich als nutzlos. Weitgehend kannte er ihre Funktionsweise, ohne Vorteil daraus schöpfen zu können. Es gelang ihm nicht, das Gesamtsystem zu kontrollieren.

Viel schlimmer – er fürchtete es.

Er fürchtete den Tag, an dem es vollständig aktiviert war, wie er in seinem Leben selten etwas gefürchtet hatte. Vielleicht war Chonosso dann nicht mehr sicher. Vielleicht gab es dann in der ganzen Milchstraße keinen sicheren Ort mehr.

Kapitel 5Iasana Weiland

Das Wiedersehen fiel herzlicher aus, als Iasana Weiland jedes frühere Zusammentreffen in Erinnerung hatte. Der Absturz der IMASO, die Toten und der Marsch durch den Dschungel von Lumbagoo hatten die ehemalige Besatzung des Schnellen Kreuzers zusammengeschweißt. Weiland sah in lächelnde Gesichter. Kameradschaft und Freundschaft mochten sich in guten Zeiten entwickeln, sie verdichteten sich jedoch in Situationen, in denen man zum Überleben aufeinander angewiesen war.

»Eine Weile hielten wir Sie für tot, Kollegin«, wurde die Plophoserin von dem epsalischen Piloten Ramit Claudrin begrüßt.

»Das ging mir nicht anders«, gestand Weiland. »Bisher hat mir niemand erklärt, weshalb ich den Sturz auf Shenzen überlebt habe.«

»Calipher-SIM hat dich vor dem Aufprall mit seinen Prallfeldgeneratoren aufgefangen, Smutje.« Die großen braunen Augen in Christina Gabrielles rundem Gesicht flackerten. »Als er deinen Sturz beendete, warst du bereits ins Koma gefallen. Calipher-SIM war untröstlich, weil er lediglich körperliche Schäden hatte abwehren können. Er nannte dich die Frau, die ihm ein zweites Leben geschenkt hat.«

»Der Roboter hat mich aufgefangen?«

»Und er hat dir das schwarze Halsband abgenommen, das du trugst.«

Das Tamasoori-Halsband, mit dem Onjar Marik sie unterworfen hatte. »Erinnere mich nicht daran«, zischte Weiland.

Es war erstaunlich. Der Roboter hatte sich ungleich menschlicher verhalten als Marik. Sie hatte bei dem spinnenhaften Original-Calipher, dessen Speicher nach fünfzigtausend Jahren korrumpiert waren, eine positronische Teilabtastung vorgenommen und Teile seiner Basisprogrammierung in geschützte Speicher ihres Kampfanzugs übertragen. Deswegen sah er Iasana Weiland nun anscheinend als seine Lebensretterin an. Diese Schuld hatte er auszugleichen versucht, indem er seinerseits ihr Leben rettete.

»Wo ist er?«

Der muskulöse Cheforter der IMASO, Torben Santorin, zuckte die Achseln. Wie meistens trug der Terraner afrikanischer Abstammung die schwarzen Haare im Nacken zusammengebunden. »Wir wissen es nicht. Er ist verschwunden und reagiert auf keinen Kontaktversuch.«

»Du siehst gut aus«, fand Gabrielle. »Spürst du keine Nachwirkungen?«

Weiland schüttelte den Kopf.

»Nicht einmal Kopfschmerzen?«

»Gar nichts. Die Ärzte können weder schlüssig erklären, weshalb ich ins Koma gefallen bin, noch weshalb ich unversehens wieder aufgewacht bin. Ich fühle mich topfit und könnte in den nächsten Einsatz gehen.«

»Nun mal halblang«, warnte Claudrin. »Die Mediziner sind ratlos? Dann sollten Sie sich für eine Weile zurückhalten, Kollegin. Willkommen in unserem Kreis. Wir wollen Sie kein zweites Mal verlieren.«

»Sentimentalität steht Ihnen nicht.« Weiland lächelte.

»Von wegen Sentimentalität. Ich habe nur keine Lust, mich demnächst schon wieder an ein neues Gesicht gewöhnen zu müssen.«

»Die Gefahr durch die Monolithen ist ausgeschaltet?«, brachte Weiland die Rede auf das Thema, das sie nicht losließ. Sie fragte sich, warum sie sich nicht bei Tuman-Kal danach erkundigt hatte. Die Sehnsucht nach ihren Kameraden hatte alles andere überwogen, und das sprach nicht gerade für den kühlen Kopf, der einem USO-Leutnant angemessen gewesen wäre, tadelte sie sich.

Versorgungsoffizier, dachte sie amüsiert. Ich bin nur der Koch.

»Im Gegenteil, die Krise hat sich zugespitzt.« Claudrin fuhr sich mit seinen Pranken durch die grau gefärbten, bürstenkurz geschnittenen Haare. »Die Galaxis befindet sich im Aufruhr. Rund um die aktivierten Monolithen breitet sich die Todesstrahlung aus.«

»Gibt es neue Erkenntnisse über das Monolithen-System?«

»Keine, die uns dabei helfen könnten, das System abzuschalten«, bedauerte Gabrielle. »Wir wissen, dass sie als potentielles Waffensystem gegen die Horden eines übermächtigen Gegners dienten. Die zentrale Einrichtung war Zartiryt im Heimatsystem der Verlorenen.«

Weiland nickte. Nur dank ihres Hobbys, der Archäologie, hatte sie an dem Einsatz in der Ergosphäre von Zartiryt teilgenommen. Später war ihr keine Zeit geblieben, die gewonnenen Erkenntnisse zusammenzufassen und zu ordnen. Sie nahm sich vor, das umgehend nachzuholen. »Fassen wir zunächst zusammen, was wir haben. Danach brauchen wir Zugriff auf sämtliche verfügbaren Quellen, am besten auf NATHAN.«

»Kaum aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht und schon wieder voller Tatendrang.« Santorin grinste. »NATHAN, na klar. Warum klein anfangen, wenn es auch groß geht?«

»Haben Sie Ihre Frau und die Kinder nach der Rückkehr auf die Erde schon gesehen?«

Die blauen Augen des Ortungsspezialisten strahlten noch eine Spur heller als gewohnt. Ihnen hatte Santorin die Witzeleien seiner Kollegen zu verdanken, man bräuchte keine Taschenlampe, wenn man mit ihm in einer dunklen Höhle war. »Es geht Ihnen bestens, Kollegin. Danke der Nachfrage. Ohne die NELSON MANDELA wäre ich längst bei ihnen zu Hause.«

»Die NELSON MANDELA?«

»Das baugleiche Nachfolgeschiff der IMASO, ein hundert Meter durchmessender schneller Aufklärungskreuzer der STAATEN-Klasse«, erklärte Claudrin. »Wir bereiten ihn für die Übernahme vor.«

»Ehre, wem Ehre gebührt.«

»Um auf Ihre Anregung mit NATHAN zurückzukommen«, sagte Santorin. »Das ist leichter gesagt als getan. Es ist nicht einfach, eine Zugriffsgenehmigung für die Hyperinpotronik zu bekommen.«

Weiland dachte an Lordadmiral Atlan. »Das …«, begann sie und stöhnte, von einem plötzlichen Schwindelgefühl ergriffen, auf. Dann wurde es schwarz vor ihren Augen.

Das Bild, das sich durch den verwehenden Nebel ihrer Bewusstlosigkeit schob, stellte nicht, wie sie einen Moment lang dachte, den weltberühmten Zuckerhut von Rio de Janeiro dar. Vielmehr war es der Kopf eines Aras, der sich über sie beugte.

»Tuman-Kal«, krächzte Iasana Weiland.

»Dieser Ausdruck in Ihrem Gesicht gefällt mir gar nicht, Leutnant«, sagte der galaktische Mediziner. Er trat einen Schritt von dem Bett zurück, in dem sie wieder lag. »Ich frage weder, woran Sie eben dachten, noch erinnere ich Sie daran, Sie gewarnt zu haben.«

»Danke.« Weiland griff nach einem gefüllten Wasserglas und trank einen Schluck.

»Immer auf den Rat des Arztes hören, Smutje.«

»Christina.«

Gabrielle lächelte. »Du bist umgekippt. Kreislaufschwäche, sagt der Arzt. Nichts Schlimmes. Du bist einfach zu früh aufgestanden.«

»Stimmt.« Tuman-Kal steckte eine Medosonde in eine Tasche seines Kittels. »Das passiert nicht noch einmal. Sie bleiben liegen, bis ich entscheide, dass Sie aufstehen dürfen. Sie verlangten entsprechende Direktiven der Flottenadmiralität, Leutnant? Nun, Lordadmiral Atlan hat sich nach Ihrem Zustand erkundigt. Er war verärgert, als er von Ihren Eskapaden hörte, und legte die Entscheidungsgewalt über Ihre Bewegungsfreiheit in meine Hände. Er hat übrigens seinen Besuch angekündigt.«

»Atlan?«, entfuhr es der Plophoserin. Er hatte verärgert reagiert? Das hieß, er sorgte sich um sie. Sicher nicht mehr als um jeden anderen seiner Untergebenen in einer vergleichbaren Lage, du Dummchen. Bilde dir bloß nichts ein.

»Genau, der Lordadmiral«, bestätigte Tuman-Kal mit gehässigem Grinsen. »Ich lasse Sie allein, damit Sie sich Ihren Studien widmen können. Und nicht vergessen, Sie sind meinen Launen und meiner Willkür ausgeliefert, Leutnant. Verhalten Sie sich entsprechend, sonst kommen Sie aus diesem Krankenzimmer so schnell nicht raus.«

»Ihr Fürsorge ist wirklich rührend.« Weiland sah dem Arzt nach, als er den Raum verließ, und wandte sich an Gabrielle. »Von welchen Studien sprach er?«

»Wir müssen immer noch das Mosaik um die Monolithen zusammensetzen.« Gabrielle deutete hinter sich. Auf einem Antigravsockel ruhten miteinander verbundene positronische Bauelemente. »Ich war so frei, die entsprechende Ausstattung herschaffen zu lassen. Da Tuman-Kal dich zu keinem Positronikanschluss gehen lässt, musste die Positronik eben zu dir kommen.«

»Gute Idee. Da Tuman-Kal den Lordadmiral ansprach – wie geht es ihm und Santjun?«

»Unverändert. Nein, wenn ich ehrlich sein soll, verschlechtert sich ihr Zustand von Tag zu Tag. Diese merkwürdige Vitalenergiekopplung bringt beide langsam aber sicher um.«

»Das darf nicht geschehen. Wir müssen einen Weg finden, den Prozess aufzuhalten.«

»Theoretisch kennen wir ihn. Das gesamte Monolithen-System muss abgeschaltet werden. Inzwischen sind sämtliche noch existierenden Monolithen aktiviert, das System in seiner Gesamtheit wird spätestens Ende August seine Arbeit aufnehmen, wie immer die auch aussehen mag. Bis dahin wird es für Atlan und Santjun längst zu spät sein.«

Iasana Weiland wusste, wovon die Rede war. Sie hatte die Auswirkungen des tödlichen Effekts noch beobachten können, bevor sie auf Shenzen ins Koma gefallen war. Zweifellos war es nicht besser geworden.

»Nein«, wisperte sie. »Er darf nicht sterben.«

»Atlan, hm? Mir ist das Leuchten in deinen Augen nicht entgangen, als Tuman-Kal eben auf ihn zu sprechen kam.« Christina Gabrielle zog das Antigravpolster heran und aktivierte die mobile Anlage. »Gibt es etwas, das mich interessieren könnte?«

»Du meinst, so richtigen Klatsch unter Frauen?«

»Unsere männlichen Kollegen sind viel größere Klatschtanten als wir. Männer verbergen das nur geschickter. Also – Atlan?«

Weiland winkte ab. Sie gab sich keinen Illusionen hin, obwohl sie nach dem Absturz der IMASO ein paar Mal den Eindruck gehabt hatte, dass er mit ihr flirtete. »Er ist interessant, kein Zweifel. Du liebe Güte, welche Frau würde einen zehntausendjährigen Lenker von Sternenreichen nicht interessant finden? Er hat Charme, ist klug, witzig und schlagfertig und …«

»… er sieht gut aus.«

»Blendend war das Wort, das mir vorschwebte. Dennoch bin ich mir sicher, dass er in mir nicht mehr sieht als eine Untergebene, für die er die Verantwortung trägt.« Iasana Weiland glaubte nicht an die Mär vom strahlenden Ritter auf einem weißen Pferd. Das Mädchen kriegte stets den Jungen, nicht den Prinzen. Und wenn sie sich etwas vormachte, weil sie nicht wagte sich auszumalen, was sein könnte? »Außerdem ist der Lordadmiral dem Vernehmen nach mit Decaree Farou liiert.«

»Ich dachte, sie sei seine engste Mitarbeiterin in der USO.«

»Eng – eine praktische Konstellation.« Weiland war die Richtung, in die das Gespräch abdriftete, unangenehm. »Ich habe über die Verlorenen von Shakon’Ar nachgedacht. Wozu haben sie die Monolithen erbaut?«

»Als Waffe«, resümierte Gabrielle die Erkenntnisse der vergangenen Tage. »Offensiv oder defensiv? Die Monolithen entstanden infolge des galaxisumspannenden Krieges vor einer bis 1,5 Millionen Jahren, der zwischen den vielgestaltigen Horden und der Koalition der Verteidiger in der Milchstraße tobte.«

»Weil die Verlorenen nach einer Alternative zwischen den Kriegsgegnern suchten«, spann die Plophoserin den Gedankenfaden weiter. »Nach einem dritten Weg. Sie erbauten die Monolithen als eine Art Abwehrmaßnahme, von der wir nicht wissen, ob es sich um ein offensives Waffensystem oder ein Fluchtsystem handelte. Wenn wir in diesem Punkt Klarheit erlangen, davon bin ich überzeugt, stoßen wir auch auf einen Hinweis, wie man das System steuert – und abschaltet.«

»Sofern diese Option überhaupt besteht.«

»Denk nicht so negativ. Immer positiv in die Einsätze gehen. Das hast du während deiner Ausbildung gelernt.«

Christina Gabrielle verschränkte die Arme vor der Brust, wodurch ihre kräftige Statur sie beinahe massig erscheinen ließ. »Ich spiele mit dem Gedanken, meinen Dienst zu quittieren und die USO zu verlassen.«

»Was? Aber wieso?«

»Die vergangenen Tage waren ernüchternd. Ich bin vielleicht die falsche Frau an der falschen Stelle. Ich zweifle an meiner Eignung. Ich komme mit den Toten, die ich gesehen habe, nicht klar. Dabei gehören sie zum täglichen Brot der USO.«

Das klang verbittert, fand Weiland. »Deine Empfindungen sprechen für dich. Schließlich geht es nicht um Sachschäden, die sich durch finanziellen Aufwand kompensieren lassen. Jeder Tote bedeutet einen tragischen Verlust, für seine Familie, für Freunde. Du solltest froh sein, dass du nicht so abgestumpft bist, darüber hinweg zur Tagesordnung übergehen zu können.«

»Ich bin Wissenschaftlerin. Ich fühle mich in einem Labor am wohlsten, und das muss nicht an Bord eines Raumschiffs sein. Ich erwäge, an ein Institut der Akademie von Terrania zu wechseln. Man würde mich mit offenen Armen aufnehmen.«

Kein Wunder, dachte Iasana Weiland. Christina hatte schon im Alter von fünf Jahren als Wunderkind gegolten und später den Crest-Gedächtnispreis für herausragende junge Wissenschaftler und zweimal die Waringer-Ehrenmedaille in Empfang genommen. Sie besaß nicht nur Doktortitel in Physik, Chemie und Exobiologie, sondern beherrschte auch acht Sprachen, darunter Altarkonidisch und Lemurisch. Ihre wissenschaftlichen Fachartikel füllten mehrere Bücher.

Jede Universität würde sie mit Kusshand nehmen, für die USO hingegen hätte ihr Abschied einen schmerzlichen Verlust bedeutet. Weiland wurde einer Antwort enthoben, denn der Summer schlug an, und die Tür öffnete sich.

Kapitel 6Ein Krankenbesuch ohne Hintergedanken

Ich war überrascht, Christina Gabrielle bei Iasana Weiland anzutreffen. Gabrielle gehörte zu den Offizieren, die ich zur Übernahme der NELSON MANDELA abkommandiert hatte. Auf meinem Weg in das Medozentrum war ich mit einem Gleiter an dem Schnellen Kreuzer vorbeigeflogen. Er machte einen prächtigen Eindruck und stand der IMASO in nichts nach. Im Gegenteil, er entstammte einer neuen Baureihe und hatte nicht über 150 Jahre auf dem Buckel wie sein Vorgänger.