Atlantika - Annika Kastner - E-Book

Atlantika E-Book

Annika Kastner

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Beschreibung

Neve und Ayden haben den ersten tödlichen Wettkampf überlebt, doch der Kampf um ihre Liebe und ihr Leben hat gerade erst begonnen. Getrennt durch die bedrohlichen Tiefen des Dschungels von Atlantika, kämpft Neve ums Überleben, während Ayden von der Angst gequält wird, sie für immer zu verlieren. In einer Welt, die von Verrat, dunkler Magie und tödlichen Gefahren durchzogen ist, bleibt ihre Liebe der einzige Anker inmitten des Chaos. Doch als die Bedrohungen um sie herum immer dichter werden, beginnt die Verzweiflung an ihnen zu nagen. Wem können sie noch vertrauen? Während sie sich durch die Dunkelheit kämpfen, wird ihr Mut auf die ultimative Probe gestellt. Dunkle Mächte versuchen, sie auseinanderzureißen und die Grenze zwischen Freund und Feind verschwimmt immer mehr. Das Schicksal fordert seinen Tribut und Neve und Ayden stehen vor der härtesten Prüfung ihres Lebens. Der Kampf um ihr Überleben wird zum Kampf um ihr Vertrauen - und das Feuer ihrer Liebe ist vielleicht das Einzige, das sie vor der völligen Dunkelheit retten kann.

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Seitenzahl: 276

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Liebe Leser und Leserinnen,

dieses Werk enthält potenziell triggernde Inhalte. Am Ende des Buches findest du eine Übersicht mit möglichen Themen, die bei manchen Menschen eine Reaktion auslösen könnten.

Bitte entscheide für dich selbst, ob du diese Warnung lesen möchtest, denn sie könnte Spoiler für die Geschichte enthalten.

Ich wünsche dir wundervolle Lesestunden.

Playlist

Running Up That Hill – Kate Bush

Let her go - Passenger

She is a Warrior - Alita

Heroes are Calling – Smash Into Pieces

Hold on – Chord Overstreet

Lost Boy – Ruth B.

Alone – Alan Walker

Me and my Broken Heart - Rixton

Burn it to the Ground – Nickelback

Queen of the Kings - Alessandra

Stand by you – Rachel Platten

Warrior (Remix) – Beth Crowley

Love Story (Taylors Version) – Taylor Swift

If you love her - Blakk

All for you – Cian Ducrot, Ella Henderson

Stay with me – Sam Smith

See you Again – Wiz Khalifa, Charlie Puth

You and me – Lifehouse

Monsters – Katie Sky

Monsters in my Head – Lizot, Bronsn

Breathe me -Sia

Like I´m Gonna Lose you – Jasmine Thompson

Echo – Jason Walker

Liebe gibt uns die Kraft. durchzuhalten. und Hoffnung zeigt uns den Weg, wenn alles dunkel erscheint.

Verfasser Unbekannt

Inhaltsverzeichnis

Neve

Ayden

Neve

Ayden

Neve

Ayden

Neve

Ayden

Neve

Ayden

Neve

Ayden

Neve

Ayden

Neve

Ayden

Neve

Neve

Abscheuliche Kopfschmerzen zwingen mich aufzuwachen. Desorientiert versuche ich mich daran zu erinnern, was geschehen ist. Es fühlt sich fast an wie ein Déjà-vu und erinnert mich an den Moment des Aufwachens, als Ayden mich entführt und auf sein Schiff gebracht hatte. Nur, dass dieses Mal zarte Grashalme meine Nase kitzeln und Vögel über mir fröhlich ihre Lieder zwitschern.

Ich kann ihren Frohsinn in diesem Moment jedoch weder teilen noch ertragen. Meine Nase nimmt den erdigen und modrigen Duft des Urwaldbodens unter mir wahr und ich spüre die leichte Feuchtigkeit, die in meine Kleider eingezogen ist. Seit wann liege ich hier? Ich fühle mich erschöpft und meine Augen fallen immer wieder zu. Die Müdigkeit will einfach nicht weichen. Dabei ist es so wichtig, dass ich einen klaren Kopf bekomme. Also noch einmal: Warum bin ich hier?

Ich war bei Ayden, wir haben gegessen, gemeinsam gelacht und dann … nichts. Mein Schädel ist wie leergefegt. Wo ist …?

Plötzlich dämmert es mir. Ich zähle eins und eins zusammen und presse säuerlich die Lippen aufeinander. Die nächste Prüfung. Ich stecke bereits mitten drin. Das ist die Antwort auf meine Frage.

Er muss mich betäubt haben. Ayden – der Mann, den ich liebe und dem ich über alle Maßen vertraue. Grimmig spucke ich auf die Erde. Wieder dieser abscheuliche Geschmack in meinem Mund. Wie damals. Unverkennbar: Snickkraut. Kurz empfinde ich einen Hauch von Verrat, doch das ist nicht fair von mir. Ayden hatte keine Wahl – wie ich. Warum auch immer Ayden mich betäubt hat, er wird keinen anderen Ausweg gesehen haben. Trotzdem sticht dieses Wissen, dass er es gewesen ist, der mein Essen mit dem Gift bestückt hat, tief in mein Herz. Zwar habe ich noch keine Aufgabe erhalten, aber es kann nur die nächste Prüfung sein. Ich schließe die Augen für einen Moment. Ich brauche diesen Augenblick für mich, um mich zu sammeln. Fünfzehn Anwärterinnen werden sich dieser Aufgabe stellen. Aber wie viele werden sie meistern? Und vor allem: Was genau wird von mir erwartet? Ein paar Informationen wären schon hilfreich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns hier draußen ohne jegliche Hinweise aussetzen.

Ich benötige meine ganze Kraft, um meinen Körper in eine sitzende Position zu bringen und blinzele angestrengt gegen das grelle Sonnenlicht. Übelkeit wallt kurz in mir auf, verebbt aber ebenso schnell wieder. Eine Nachwirkung des Snickkrautes. Oh, wie ich dieses Zeug hasse. Es ist auch einfach mit so unglaublich vielen negativen Erinnerungen verbunden. Ich frage mich, wie lange ich wohl bewusstlos war. Welchen Tag haben wir heute? Sind Stunden vergangen oder ein längerer Zeitraum? Das letzte Mal – gut, Sky hatte es überdosiert – war ich fast eine ganze Woche ausgeschaltet. Aber ich bin mir sicher, dass Ayden deutlich behutsamer und bewusster mit den Kräutern umgeht. Ich versuche, den Stand der Sonne abzuschätzen, was schwer ist, ohne den Horizont zu sehen. Wenn ich ihn sehen könnte, müsste ich nur meine Handfläche hochhalten, denn man sagt, eine Handbreite entspricht einer Stunde. Ist der Abstand zum Horizont zur Sonne also eine Hand breit, bliebe mir eine Stunde, bis die Sonne untergeht, doch das hilft mir jetzt nicht weiter. Das war etwas, das Adan mit mir geübt hat, ebenso, wie ich anhand des Mooses die Himmelsrichtung herausfinden kann. Moos wächst dort, wo der Baum am feuchtesten ist und am wenigsten Sonne bekommt – auf der Seite des Mooses liegen Westen und Nordwesten. Jeder von Aydens Freunden hat seine speziellen Stärken und sie alle haben sich bemüht, mich so gut es geht zu trainieren. Zwischen der Neve, die einst entführt wurde, und der Neve, die ich heute bin, liegen Welten. Und das nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin jedem von ihnen unheimlich dankbar und traue mir durchaus zu, in diesem Urwald eine Überlebenschance zu haben. Mir ist bewusst, dass nicht alle Anwärterinnen so ein Glück haben wie ich. Ohne sie, meine Freunde, wäre ich vermutlich schon längst tot. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich am Anfang keinem auch nur ansatzweise vertraut. Am wenigsten jedoch Ayden, in dem ich mich so unsagbar getäuscht habe.

Meine Augen werden feucht und ich blinzle die Tränen fort. Ich darf jetzt nicht an Ayden denken. Ich muss fokussiert bleiben, damit ich das hier überlebe.

Müde schaue ich mich um und bemerke in meiner Hand eine kleine Kugel, die mir bis jetzt nicht aufgefallen ist. Wahrscheinlich wegen der leichten Benommenheit, die noch immer auf mir lastet. Ich hebe sie an und betrachte sie von allen Seiten, drehe sie neugierig zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie ist braun, nicht glatt, sondern besteht aus deutlich fühlbaren, zusammengepressten Pflanzenfasern. Behutsam übe ich leichten Druck aus. Sie lässt sich zusammendrücken. Ich schnuppere vorsichtig, aber die kleine Kugel ist geruchslos. Ayden. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich abermals an ihn denke. Es ist einfach unmöglich, nicht an ihn zu denken. Ich liebe ihn so unglaublich, aus tiefster Seele, wie ich es bei unserer ersten Begegnung nicht für möglich gehalten hätte.

Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem schmerzlichen Lächeln. Er hat gesagt, dass er versuchen wird, einen Weg zu finden, mir zu helfen. Das ist er wohl. Ich bin mir sicher, dass diese Kugel von ihm stammt. Das Einzige, was er in diesem Augenblick tun konnte, um mir zu helfen und mein Leid zu lindern. Ohne zu zögern, stecke ich sie mir in den Mund und beiße drauf. Mein Gesicht verzieht sich zu einer angewiderten Grimasse – die kleine Kugel schmeckt unglaublich bitter und erdig. Mühsam kaue ich und zwinge sie widerstrebend hinunter. Pfui, absolut abscheulich. Doch die bestialischen Kopfschmerzen lassen fast augenblicklich nach und mein Verstand klärt sich auf. Das ist gut, denn wenn ich eins benötige, dann ist es ein wacher Geist. Ich muss mein Problem von allen Seiten betrachten können.

In meinem Kopf krame ich nach Informationen, die mir helfen können, die Gegend zu analysieren. Ich habe alle Bücher, die Ayden mir gegeben hat, ausgiebig gelesen. Habe mit Bluette sämtliche Landkarten studiert und den anderen aufmerksam gelauscht, wenn sie von ihren Abenteuern berichtet haben. Es muss etwas in meinem Kopf geben, was mir helfen kann, also schaue ich mich konzentriert um. Doch ich entdecke nur üppiges Grün und die wilde Vegetation des Urwaldes in ihrer ganzen undurchdringlichen Pracht. Wie es scheint, bin ich völlig alleine. Der Lärm der Stadt ist nicht zu hören. Der Rasen um mich herum ist weder plattgedrückt, noch sehe ich Spuren von anderen Elementarinnen, die hier gelegen haben könnten. Nein, ich bin alleine. Nur wie lange noch? Wo sind die anderen Anwärterinnen? Haben wir alle die gleiche Aufgabe bekommen oder bin ich die Einzige, die hier im Dschungel erwacht ist?

Die ganze Situation ist verwirrend und ich fühle mich verletzlich und auch ein bisschen entkräftet, während ich sämtliche möglichen Szenarien in meinem Kopf abspiele. Ich bin nicht gerne im Unklaren darüber, was passiert. Was für eine Prüfung soll das hier darstellen? Ich atme tief ein, versuche mich zu beruhigen und lausche, was um mich herum passiert. Ich höre die Klänge des Urwaldes: den fröhlichen Vogelgesang, das beruhigende Rauschen der Blätter im Wind und das leise, warnende Knacken von kleinen Tieren, die durch das Unterholz flitzen. Ein Summen dringt an mein Ohr und ich wende den Kopf, lege ihn leicht schief, während ich das kleine Insekt beobachte, das an mir vorbei zu einer tiefroten Blüte fliegt und sich darauf niederlässt. Es ist eine schöne Pflanze, mit großen farbenprächtigen Blättern und einer blutroten Farbe. Ich neige den Kopf in die andere Richtung und beobachte, wie das Insekt sich langsam zur Mitte der Blüte vortastet, auf der Suche nach Blütenstaub, wo der Nektar am nährstoffreichsten ist. Im nächsten Moment schließt sich die Blume und das Insekt ist gefangen. Ich zucke entrüstet zusammen und fühle einen Schauer über meinen Rücken laufen. Eine perfekte Metapher für Atlantika, wie es leibt und lebt: Nicht einmal diese schöne Blume ist seelengut, sie ist ebenso blutrünstig wie der Rest dieses Ortes. Aber anders als das bemitleidenswerte Insekt, befinde ich mich in keiner akuten Bedrohung durch andere Anwärterinnen. Das ist für den Moment erfreulich. Auch wenn Hestia nur darauf wartet, mich zu verschlingen, dessen bin ich mir ziemlich sicher. Allerdings gibt es hier draußen, abseits der Kuppel im Dschungel, noch genügend andere Gefahren, denen ich aus dem Weg gehen sollte. Da stellt Hestia meine kleinste Sorge dar.

Ein Problem nach dem anderen, rufe ich mir in Erinnerung. Also beginne ich, den Boden um mich herum mit den Augen abzusuchen, zwinge mich, nicht auf die Blume zu achten, aus welcher ein aufgebrachtes Brummen ertönt und siehe da, nicht weit von mir entfernt werde ich fündig.

Etwas versteckt durch die hohen Halme des Grases entdecke ich eine lederne Tasche, die scheinbar für mich platziert wurde. Sie ist alt und abgegriffen, das Leder weich und nachgiebig. Mit flinken Fingern ziehe ich sie zu mir heran und breite den Inhalt vor mir auf dem Boden aus.

Ich drücke das Gras mit den Händen ein wenig nach unten, um besser sehen zu können, was diese Tasche ans Licht befördert.

Einen Trinkschlauch. Dem Himmel sei Dank! Ich verdurste fast und habe noch immer diesen grässlichen Geschmack in meinem Mund. Ich ziehe den Stöpsel heraus und rieche vorsichtig am Inhalt. Eine gesunde Portion Vorsicht hat in dieser Welt noch keinem geschadet. Es riecht nach nichts, deshalb tippe ich auf Wasser. Ayden würde mir nichts mitgeben, was mir schaden würde. Das weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit. Ein kleiner, faseriger Beutel, gefüllt mit Nüssen, getrockneten Beeren und Körnern erfreut mich ebenso wie das Wasser. Dann entdecke ich ein Seil und ein kleines Gefäß mit einer hellen Creme.

Ich drehe auch hier den Verschluss auf und schnuppere an dem Inhalt. Erfreut stelle ich fest, dass dieser Geruch mir vertraut ist. Diese Salbe wirkt antibakteriell bei Wunden. Adam hat sie schon einmal mit mir aus Mondschillerkraut hergestellt. Sie brennt abscheulich, aber beugt einer Blutvergiftung vor. Und dafür kann man das Brennen wahrlich in Kauf nehmen. Sie wird mir auf jeden Fall gute Dienste leisten. Auch wenn ich mir die Daumen drücke, dass ich sie nie benötigen werde.

Zu guter Letzt finde ich auf einem brüchigen Stück Pergamentpapier eine handgeschriebene Notiz – ohne Namen darunter. Doch ich würde die Schrift unter Hunderten erkennen: Ayden.

Finde den Weg zurück. Nur die ersten zehn werden weiter an den Wettkämpfen teilnehmen.

Kurz schließe ich die Augen, um mich zu sammeln und zerquetsche das Pergament in meiner Hand. Die Nachricht ist wahnsinnig kurz und doch gibt sie neue Kraft. Mehr konnte Ayden nicht schreiben, zu groß ist die Gefahr, dass jemand dieses Stück Papier findet. Ich lese es abermals mit Bedacht und Fassungslosigkeit. Nur die ersten Zehn. Das ist nicht besonders viel. Das sind sogar überaus beunruhigende Nachrichten, die mir erneut den Ernst der Lage zeigen. Fünf weitere Elementarinnen werden ausscheiden und ich will keine von ihnen sein. Ich bin schon so weit gekommen. Also muss ich den Weg zurück finden und das so schnell wie möglich. Durch diesen dichten Dschungel mit seiner wilden Vegetation wird es kein Vergnügen, doch ich habe keine Wahl. Weder kann ich mich in diesem Moment an Sternen noch am Sonnenlauf orientieren, da das Blätterdach über mir alles verdeckt. Ich muss aber meinen Verstand gebrauchen und darf nicht blindlings loslaufen. Was hat Ayden gesagt? Die Nächte werden kalt. Nächte. Mehrzahl. Also wird es mir nicht möglich sein, innerhalb eines Tages zurückzufinden. Das bedeutet, ich werde mir über Nahrung und Flüssigkeit Gedanken machen müssen, vor allem über Flüssigkeit. Wie viele Meilen liegen zwischen mir und der Kuppel? Das muss ich dringend herausfinden. Und dann, welche Strecke ich an einem Tag bewältigen kann. Auf jeden Fall bedeutet es, dass ich keine Zeit verlieren darf. Angespannt erhebe ich mich. Meine Beine zittern noch leicht, aber sie tragen mich. So schnell ich kann, sammle ich die Gegenstände wieder ein, von denen Ayden dachte, dass sie mir helfen würden, und versuche mich zu orientieren. Du schaffst das, ermutige ich mich selbst. Ich bin eine Kriegerin. Ich bin Aydens Gefährtin und mit ihm verbunden, einem der stärksten Ignis von Atlantika. Das macht auch mich stark. Mich selbst anzufeuern, ist ein guter Weg, mich abzulenken.

Währenddessen fahren meine Hände über den rauen Stamm eines Baumes.

Ich fühle jede Erhebung in den Fingerspitzen. Als sie auf Moos treffen, weiß ich, hier liegt Westen. Adan sei Dank. Der Terra ist ein großartiger Lehrer. Doch ich muss nicht in diese Richtung, sondern nach Osten. Also in die andere Richtung.

Grob geschätzt jedenfalls. Wenn doch nur Morgen wäre, dann könnte ich auf Nummer sicher gehen. Mit der Morgensonne im Gesicht wüsste ich, dass vor mir Osten liegt. Aber dafür müsste ich auch erstmal einen geeigneten Platz finden, an dem die Sonne den Boden berührt.

Ich komme nicht darum herum, mir einen Überblick zu verschaffen. Langsam schlage ich den Weg Richtung Osten ein, die Bäume immer im Blick, bis ich gefunden habe, was ich suche: Einen Baum, bei dem die Äste so tief hängen, dass ich hinaufklettern kann.

Ich lockere meine Arme, dehne sie kurz und schüttle sie wieder aus. Versuche, die restliche Wirkung des Giftes zu vertreiben.

Meine Hände schließen sich um einen Ast und mit einem Ächzen ziehe ich mich langsam in die Höhe. Mein Körper meistert dies dank des harten Trainings eigentlich ohne große Probleme, aber die Reste des Giftstoffes in meinem Organismus lassen meine Muskeln bei der kleinsten Anstrengung unglaublich zittern. Es wird noch ein paar Stunden dauern, ehe ich körperlich wieder vollständig hergestellt bin. Dank Aydens Hilfe schneller als üblich.

Aber es klappt besser, als erwartet, auch wenn die Äste von den Pflanzen und der hohen Luftfeuchtigkeit rutschig sind. Stück für Stück ziehe ich mich hinauf, schiebe Lianen beiseite, bis ich wie ein kleiner Vogel in der Spitze hocke. Es ist eine überaus wackelige Angelegenheit und ich befürchte, gleich einen Abflug nach unten zu machen, doch ich schaffe es, die Balance zu finden. Meine Beine zittern wie Espenlaub und es hat mich viel Kraft gekostet, hier oben anzukommen. Kurz blicke ich nach unten und schlucke. Sollte ich fallen, wird es eine schmerzhafte Erfahrung, so viel ist sicher.

Ich greife nach einer Liane, teste, ob sie fest am Baum hängt und wickle sie mir um den Arm. Es ist eine kleine Sicherheitsleine, die mich vielleicht nicht retten wird, aber mir zumindest helfen könnte.

Langsam, mein Gewicht ausbalancierend, richte ich mich auf und spähe blinzelnd aus dem Blätterdach. Ein Hochgefühl durchströmt meinen Körper und ich strahle vor Glück, dass ich es geschafft habe. Ich werde es bis zum Ende schaffen, ganz sicher. Die Hoffnung stirbt zuletzt, oder wie heißt es so schön?

Meine Augen wandern über den wolkenlosen Himmel. Dieser Anblick freut mich gleich doppelt. Wenn ich etwas absolut nicht gebrauchen kann, sind es Wolken, die Regen oder gar einen Sturm ankündigen. Ich bestimme den Stand der Sonne und in weiter, verflucht weiter Ferne erspähe ich die Kuppel von Atlantikas Hauptstadt. Ist das ihr Ernst? Sie ist kaum zu sehen und nur ein kleiner Punkt am Horizont. Ich werde etliche Meilen überwinden müssen und zwischen mir und meinem Ziel liegt sogar ein kleines Gebirge. Eine Strecke voller tödlicher Gefahren.

Mal ganz abgesehen davon, dass es mit Sicherheit auch etliche Kreaturen geben wird, die nur darauf warten, dass sie mich als Snack verspeisen dürfen. Plötzlich scheint es gar nicht mehr so unrealistisch, unter die ersten Zehn zu kommen – denn es müssen erst einmal so viele von uns ins Ziel kommen!

Das wird nicht einfach. Alles andere als einfach. Josias hat wirklich großartige Ideen, was seine blöden Prüfungen angeht, denke ich zähneknirschend. Was wird es über mich und meine Qualitäten aussagen, wenn ich rechtzeitig ins Ziel komme? Aber egal. Eines Tages wird ihm jemand, Ayden so hoffe ich, in den arroganten Hintern treten. Wie viele Tage wird es dauern, bis ich die Kuppel erreichen könnte? Zwei, drei oder gar vier Tage? Ich kann die Strecke nicht wirklich einschätzen, auch nicht die Beschaffenheit des Gebirges. Das bedeutet, ich muss wirklich erst Trinkwasser und Nahrung finden. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. Beides sollte mir leichtfallen. Dank meines Dolches und der Trinkflasche kann ich mir genügend Flüssigkeit aus dem Wasserspeicher der Bäume schöpfen. Ein Loch an der richtigen Stelle des Yumabaumes und süßes Wasser sprudelt nur so heraus. Und Beeren sollte es zu dieser Jahreszeit ebenfalls ausreichend geben. Wenn nicht, finde ich sicher einige wilde Wurzeln, Klee, Brennnesseln und Löwenzahn. Etwas, das Adam und ich schon oft zusammen geübt haben. Mein Lächeln wird breiter.

Gerade will ich voller Motivation den Abstieg beginnen, als ich plötzlich das Knacken von Zweigen im Unterholz höre. Etwas Großes bewegt sich durch den Dschungel.

Reflexartig hocke ich mich hin und verharre reglos auf meinem Ast. Er biegt sich leicht unter meinem Gewicht, bricht aber zum Glück nicht. Ich bete, dass es so bleibt. Die Blätter verbergen mich, so gut es geht und bieten mir einen minimalen Schutz vor dem, was da unter mir herumschleicht. Was auch immer es ist – es müsste erst einmal diesen Baum erklimmen, um mich zu erreichen. Und ich habe einen Dolch und bin bereit, alles zu geben, um das zu verhindern.

Meine Augen suchen das Unterholz ab und ich lausche mit gespitzten Ohren angestrengt auf die Laute um mich herum.

Knack. Mein Kopf fährt in die Richtung, aus der das Geräusch an mein Ohr gedrungen ist.

Von links sehe ich eine Elementarin durchs Unterholz stolpern. Fieberhaft überlege ich, wie sie hieß. Aril … Ell… Aella! Das wars. Eine Aeria wie Sky.

Mein Blick wandert neugierig über die grüne Fläche unter mir, während ich beschließe, mich nicht zu zeigen. Stattdessen beobachte ich, wie sie unbeholfen an einer knorrigen Wurzel hängen bleibt und kurz ins Straucheln gerät. Meine Augen bleiben an ihr haften, während sie sich ungelenk wieder aufrappelt. Fast hätte ich das Aufblitzen von Metall in einem Sonnenstrahl, der sich durch das Blätterdach stiehlt, übersehen. Mein Körper beginnt zu kribbeln, als eine unangenehme Vorahnung sich in mir breitmacht.

Angestrengt kneife ich die Augen zusammen, versuche, etwas mehr zu erkennen. Eine innere, unerklärliche Anspannung durchzieht mich und wie ein siebter Sinn drängt sie mich, mich noch fester an den Baumstamm zu pressen. Vor wenigen Minuten habe ich genau dort unten gelegen.

Aella hält genau auf die Stelle zu, an der ich eben das Aufblitzen erspäht habe. Ich bin hin und her gerissen. Warne ich sie? Aber damit würde ich mein Versteck verraten. Vielleicht ist es auch eine Falle und sie wollen mich so herauslocken? Ehe ich handeln kann, tritt Askja, Hestias Verbündete, in den Weg der Aeria.

„Dein Weg endet hier, Aella.“

„Verschwinde, ich habe keine Zeit für sowas Askja. Und du solltest auch deine Beine in die Hand nehmen, wenn …“

Weiter kommt sie nicht, denn hinter ihr ist Hestia lautlos aus dem Gebüsch gestiegen und hat ihr mit einem Dolch von hinten die Kehle durchgeschnitten. Dunkles Blut sprudelt hervor und ich starre auf den tiefen Schnitt am hellen Hals der Aeria. Das Ganze passierte unglaublich schnell.

Meine Augen weiten sich vor Entsetzen und für einen Herzschlag habe ich das beängstigende Gefühl, den Halt unter meinen Füßen zu verlieren.

Ich presse mir die Hände vor den Mund, um nicht zu schreien. Adrenalin pulsiert in meinen Adern und versetzt meinen Körper in einen Zustand der nervösen Anspannung. Die Aeria gibt ein gurgelndes Geräusch von sich und sinkt auf die Knie, die Hände fest um ihren Hals gelegt, als könnte sie damit das Blut aufhalten, das aus ihrem Körper fließt und ihre Hände bereits rot gefärbt hat. Diese Wunde ist tödlich, selbst für Wesen wie uns. Nichts und Niemand wird sie noch retten können. Es ist nur eine Frage von Augenblicken, ehe sie sterben wird.

Wären Hestia und Askja wahre Kriegerinnen, würden sie Aella von ihrem Leid erlösen und ihr einen ehrenhaften, gnädigen Tod schenken. Stattdessen wischt Hestia ihren Dolch am Rasen ab und schnaubt nur belustigt auf ihr Opfer herab, was mich vor Zorn zittern lässt. Es ist nicht fair. Nichts davon. Ihr Tod ist sinnlos. Dieser ganze Wettkampf ist es.

„Und wieder eine weniger.“

Hestias Stimme klingt belustigt und ich empfinde für diese Elemantarin nur Abscheu.

Mein Magen rebelliert angesichts dessen, was ich mitansehen musste, und Schweißperlen bilden sich vor Anstrengung, hier zu hocken, auf meiner Stirn. Vor wenigen Minuten lag ich noch da unten auf dem Boden und es hätte mich treffen können, hallt das Echo meiner Gedanken abermals durch meinen Kopf. Ich glaube, ich habe einen Schock. Denn dieses Mantra wiederholt sich immer und immer wieder. Ich mache mir nichts vor: Hestia hätte mich ebenfalls kaltblütig ermordet.

Aella sinkt vollends zu Boden. Noch immer sprudelt das Blut unter ihren Fingern hindurch, doch sie ist noch nicht bereit aufzugeben. Dabei war dieser Kampf verloren, bevor er begonnen hatte. Es war feige. Unglaublich feige, ihr Leben auf so unwürdige Weise zu beenden. Es ist nicht der Tod, der eines Kriegers würdig ist. Hestia ist ein Monster. Sollte sie siegen, wird sie niemals eine gute und gerechte Herrscherin sein. Aber sie bildet das perfekte Gegenstück zu Josias. Sie sind beide ehrlose Scheusale.

Das Rauschen meines Blutes in den Ohren übertönt jedes andere Geräusch, sodass ich nicht mehr verstehe, was sie sagen. Wie kann man so erbarmungslos und abgestumpft sein. Sie löschen hier ein Leben aus, als wäre es unwichtig. Als wäre es alltäglich. Angeekelt empfinde ich nur eins für diese beiden Elementarinnen – Abscheu. Ich muss mich vor ihnen in Acht nehmen. Hestia wird alles dafür tun zu siegen. Warum Askja ihr hilft, ist mir hingegen ein Rätsel. Es kann schließlich nur eine siegreich neben Josias sitzen. Wahrscheinlich ist es nur ein Bündnis auf Zeit.

So leise wie möglich, bewege ich mich auf dem Ast vorwärts, steige vorsichtig auf einen dicken Ast des Nachbarbaumes. Jedes Knarren lässt mich zusammenzucken und mein Herz hämmert vor Angst. Es ist eine wackelige Angelegenheit. Bei jedem Blatt, das Richtung Boden fällt, fürchte ich, entdeckt zu werden. Und so bewege ich mich fort – achtsam wie ein Eichhörnchen. Von Baum zu Baum, von Ast zu Ast. Mit der ständigen Angst im Nacken, dass einer der Äste unter mir brechen könnte. Ich bewege mich unglaublich langsam, aber zum Glück unsichtbar. Hauptsache weg von dem Geruch des Blutes und der sterbenden Aella. Es wird nicht lange dauern, dann wird der Geruch auch andere Bewohner des Dschungels zu sich rufen und Aellas Körper wird den Boden nähren. Der Kreislauf des Lebens – und doch ist der Gedanke, sie einfach zurückzulassen, schrecklich, auch wenn ich sie nicht kannte. Was war sie für eine Frau? War sie wie Hestia oder wie Sky? Oder so sanft wie Bluette? Hat sie freiwillig teilgenommen oder wurde es von ihr erwartet? Ich hasse diesen Wettkampf. All das ist mir zu wider. Bin ich in der Lage, ebenso ein Monster zu sein, wie sie es sind? Was, wenn ich ihnen gegenüberstehe und es heißt: sie oder ich? Werde ich stark genug sein, um bis ans Äußerste zu gehen?

Spätestens wenn es dazu kommt, weiß ich, ob ich bereit bin, noch einmal jemanden zu töten. Noch immer raubt es mir nachts den Schlaf, dass ich den Ignis ermordet habe, der mich angegriffen hatte. Auch wenn es Selbstverteidigung war. Ayden meinte zwar, mit jedem Tod wird es leichter, doch ich bezweifle es stark. Dieser Tod hat einen dunklen Fleck auf meiner Seele hinterlassen, der nun für immer dort verbleiben wird. Sind wir alle auf eine Art und Weise Monster oder werden wir erst zu welchen? Eine Frage, deren Antwort mir Sorge bereitet. Diese Welt formt uns nach ihren Maßstäben.

Als ich nicht mehr weiterkomme und kein Ast mehr breit genug für mein Gewicht ist, halte ich inne und klammere mich an den dicken Stamm des Baumes. Ich bin völlig ausgelaugt, das Klettern verlangt viel Kraft.

Der Himmel verdunkelt sich merklich und erschwert mir die Sicht. Die Nacht bricht herein und mit ihr die Kälte.

Das ist ideal für mich, denn ich spüre sie nicht wie die anderen. Wenn sie möglicherweise Schutz suchen, werde ich Kilometer gutmachen und laufen, bis meine Beine mich nicht mehr tragen. Ich muss so weit es geht von Hestia und ihrer Freundin fort. Die Nächte hier können frostig werden, vor allem so nah am Montes Glaciei, dem Eisberg dieses Landes. Das Gebirge, das ich überwinden muss, geht in den Eisberg über. Es sind kleine Ausläufer des großen Gebirges, das sich weiter oben mit Schnee und Eis überzieht. Vielleicht ist dies genau mein Weg. Wir werden sehen.

Langsam lasse ich mich die Äste hinabgleiten und komme schließlich mit einem dumpfen Ton auf dem Erdreich auf.

Der Geruch des Dschungels steigt in meine Nase - der feuchte Boden, die Pflanzen und verrottende Bäume.

Ich schrecke einige Tiere auf, die sich rasch ins Unterholz verziehen und setze meinen Weg entschlossen fort. So lautlos wie möglich, husche ich durch das Dickicht, denn hier im Dschungel lauern weit schlimmere Ungeheuer als Hestia. Alleine der Gedanke an all die Kreaturen, die hier in der Dunkelheit lauern, treibt mir die Schweißperlen auf die Stirn. Ich stolpere über eine Wurzel und fluche leise. Je dunkler es wird, desto schwerer fällt es mir weiterzugehen. Ich habe unterschätzt, wie undurchdringlich die Finsternis im Urwald sein kann und sie macht mir zunehmend zu schaffen. Feuer machen steht außer Frage. Unwillkürlich denke ich an Ayden. Ich sehne mich danach, mit ihm zu sprechen und ihm zu erzählen, was ich eben erlebt habe. Den Anblick, wie Hestia ohne zu zögern die unschuldige Aeria ermordet hat, werde ich so schnell nicht vergessen. Ohne einen Hauch Gewissensbisse. Ich weiß, hier gilt das Gesetz des Stärkeren, aber dennoch … Sollte nicht jeder von uns ein gewisses Maß an Mitgefühl besitzen? An Ehrgefühl? Das Wissen um richtig und falsch? Wir sind doch keine gefühllosen Kreaturen. Niemand wird so geboren, oder? Ich bin es gewohnt, mit Ayden über alles zu reden. Auf wunderbare Weise ist er zur wichtigsten Person in meiner Welt geworden, was auch nicht anders zu erwarten war, nachdem sich unsere Elemente und Seelen miteinander verbunden haben. Von ihm getrennt zu sein, bereitet meinem Herzen Schmerzen.

Ich laufe, trotz meiner Schwierigkeiten, durch die Dunkelheit, die ganze Nacht hindurch, bis weit in den nächsten Morgen hinein. Meine Füße fühlen sich an, als würden sie nur noch aus Blasen bestehen, die wiederum Blasen haben. Nicht mehr lange und mein Körper ist am Ende seiner Kräfte angelangt. Allerdings mache ich kein Auge zu, sondern kämpfe gegen die lähmende Müdigkeit an, die Stück für Stück Besitz von meinem Körper ergreift. Schlafen kann ich später noch. Es ist zu gefährlich. Ich wage es nicht, auch nur einen Augenblick die Augen zu schließen. Nicht, solange Hestia und die anderen Anwärterinnen auf der Jagd sind. Auch nach mir. Meine Angst ist größer, als das Verlangen zu rasten. Die Furcht ist der Treibstoff, der mich am Laufen hält.

Keine weiteren Elementarinnen kreuzen in dieser Nacht oder am Morgen meinen Weg. Das kann von mir aus so bleiben. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Auch wenn ich erschöpft bin, habe ich noch längst nicht die Grenze meiner Belastbarkeit erreicht. Das weiß ich genau. Ich musste diese Nacht einmal einem Dschungeldrachen ausweichen, der sich zuvor ein anderes Tier gerissen hatte und es ruhig verspeiste. Er nahm, zufrieden mit seiner Beute, keine Notiz von mir. Anders als seine Verwandten in den Bergen, sind seine Flügel im Laufe der Jahrtausende verkümmert und er wurde zu einem Bodenläufer, mit kräftigen Beinen und langen Klauen, die sich ins Erdreich graben. Zweimal habe ich den Blick auf friedliche Anthropoiden erhascht, die denen der Erde ähneln. Dort werden sie Menschenaffen genannt. Sie leben in Kolonien hoch oben in den Bäumen und sind meine geringste Sorge. Solange man sie nicht stört, lassen sie einen in Frieden. Ayden hat mir sogar einmal eine Ansiedelung von ihnen in der Nähe der Kuppel gezeigt, um sicherzustellen, dass ich die harmlosen von den gefährlichen Wesen unterscheiden kann.

Schnaufend bleibe ich einen Augenblick stehen, stütze meine Hände auf die Oberschenkel. Meine Muskeln brennen. So lange bin ich noch nie am Stück gelaufen. Wie viele Meilen habe ich wohl zurückgelegt? Seufzend richte ich mich wieder auf und strecke den Rücken durch. Er knackt laut und ich verziehe mein Gesicht.

In der Ferne steigt in diesem Augenblick Rauch in den Himmel auf und ich frage mich, ob jemand ernsthaft so dumm gewesen sein kann, ein Feuer zu entzünden. Das würde schon an Dämlichkeit grenzen.

Nicht nur ich werde davon angezogen, sondern jedes Leben im Umkreis. Egal ob Anwärterin oder Ungeheuer. Wer auch immer diese Idiotin ist, könnte auch gleich ein Schild aufstellen mit Hier bin ich, kommt und holt mich.

Langsam nähere ich mich dennoch der kleinen Lichtung. Angetrieben von meiner überaus dämlichen Neugier, will ich genauer wissen, wer oder was dort ein Feuer entfacht hat. Vielleicht macht es mich zu ebenso einer Idiotin. Ganz bestimmt sogar. Dort im Schein des Feuers erkennte ich drei Gotratores.

Üble Wesen, wenn ich den Geschichten glauben darf, denn es sind die ersten, die ich in meinem Leben in Wirklichkeit zu Gesicht bekomme. Von mir aus auch die letzten. Angewidert weiche ich zurück.

Ihre grüne, ledrige Haut spannt über dem hässlichen Antlitz. Große scharfe Hauer ragen aus ihren Schnauzen, während der muskulöse, massige Körper auf der Erde sitzt und sie irgendetwas oder irgendwen über ihrem Feuer rösten. Der Gestank von verbrannten Haaren weht zu mir herüber und ich rümpfe die Nase.

Neben ihnen entdecke ich einen Kleiderhaufen, meinen Gewändern nicht unähnlich und das ist mein Stichwort, unhörbar zu verschwinden. Ich möchte vielleicht nicht genau wissen, was oder wen sie dort gleich verspeisen werden. Mir ist aber hundertprozentig klar, dass nur noch dreizehn Anwärterinnen im Rennen sind. Mein Magen rumort vor Ekel und ich unterdrücke eine aufwallende Übelkeit. Ich bete für die Kriegerin, die dort ihr Ende gefunden hat, dass es schnell und schmerzlos gewesen ist. Hier gilt das Gesetz des Stärkeren, wohl wahr. Mein Blick scannt achtsam die Fläche. Ich schaue, ob es etwas gibt, was mir helfen könnte.

Ihre mit spitzen Steinen bestückten Keulen ruhen neben ihnen im Gras. Kurz bin ich versucht, mir eine zu stehlen, doch ich verwerfe diesen Gedanken schnell wieder. Es ist zu gewagt, egal wie gut sie mir vielleicht nützen würde.

Sollten sie mich erwischen, bin ich ebenfalls nicht mehr als ein Kleiderhaufen im Gras und eine warme Mahlzeit. Es schaudert mich und eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus.

Also schleiche ich, so leise ich kann, zurück in die Tiefen des Dickichts, lasse die Lichtung und die Ungetüme hinter mir. Sie sind beschäftigt.

Nur wenige Augenblicke später höre ich einen lauten Schrei. Ich zucke erschrocken zusammen und kauere mich reflexartig auf die Erde, um Schutz zu suchen.

Über mir fliegen etliche Vögel aufgeschreckt in den Himmel und kreischen laut.

Es ertönt kein weiterer Schrei, also erhebe ich mich langsam wieder, begutachte wachsam meine Umgebung.

Unruhig versuche ich mich zu orientieren, während mein Blick umherwandert, um herauszufinden, wo der Schrei hergekommen sein könnte. Ich drehe mich im Kreis um meine eigene Achse und lausche angestrengt. Ein unüberhörbares Brüllen folgt einem weiteren ängstlichen Schrei, so qualvoll, dass sich meine Nackenhaare aufstellen. Mein Puls schießt in die Höhe. Sofort bin ich in höchster Alarmbereitschaft. Angestrengt runzle ich die Stirn. Mir ist bewusst, dass Furcht ein schlechter Begleiter ist und doch kann ich nichts gegen diese Urangst in meinem Inneren unternehmen. Ich versuche, trotz meines rasenden Herzens, ruhig zu bleiben und nicht kopflos zu handeln.

Ein Surren, welches die Blätter um mich herum in Schwingung versetzt, kommt immer näher. Zitternd blicke ich mich um, unentschlossen, was ich tun soll oder wohin ich gehen kann. Ich zermartere mir mein Hirn, trete von einem Fuß auf den anderen und die Sorge, einen Fehler zu machen, ist gigantisch. Denn jeder Fehler könnte mit dem Tod enden.