Atomvulkan Golkonda - Arkadi Strugatzki - E-Book

Atomvulkan Golkonda E-Book

Arkadi Strugatzki

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Beschreibung

Atomvulkan Golkonda erschien erstmals 1959 und erzählt nach zeittypischer Schilderung der Flugvorbereitungen von einer gefahrvollen Expedition auf die Venus, die vor allem dank der realistischen Charakterzeichnung in tragischen Situationen noch heute fasziniert. Der Debütroman der Brüder Strugatzki ist zugleich der Beginn eines vielfältigen, weit ausgreifenden Weltentwurfs, der bis ins 23. Jahrhundert reicht und als Welt des Mittags bekannt geworden ist. In den sechziger Jahren sehr erfolgreich, stand der Roman anschließend lange Zeit im Schatten neuerer Werke der Strugatzkis; er hat aber eine Renaissance erlebt, nachdem 1993 eine anhand der Manuskripte rekonstruierte, unzensierte und unbearbeitete Fassung erschien (von der in Russland inzwischen über eine Viertelmillion Exemplare verkauft wurden). Die vorliegende deutsche Ausgabe ist mit dieser Fassung abgeglichen; sie wird komplettiert durch ein Kapitel aus einer frühen Arbeitsfassung des Romans, Kommentare Boris Strugatzkis sowie ein Nachwort und Anmerkungen von Erik Simon. Weltweit über eine Million verkaufte Exemplare!

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Seitenzahl: 552

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Arkadi & Boris Strugatzki

Atomvulkan Golkonda

[ Das Land der Purpurwolken ]

Aus dem Russischen übersetzt

von Willi Berger

und Erik Simon

Die Welt des Mittags

Band 1

Herausgegeben von

IMPRESSUM

Die Originalausgabe Странабагровыхтуч erschien 1959.

Die vorliegende Neuausgabe folgt der rekonstruierten, unzensierten und ungekürzten Fassung der Werkausgabe im Verlag »Stalker«, Donezk 2000.

Die erstmals 1961 im Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin, erschienene Übersetzung von Willi Berger wurde von Erik Simon angeglichen und ergänzt.

Erik Simon übersetzte das separat erschienene Kapitel ›Die Kantine der Raumfahrer‹ und den Kommentar Boris Strugatzkis, verfasste das Nachwort, die Anmerkungen und den Großteil der Nachdichtungen.

Bei der Vorbereitung dieser Neuausgabe konnten nicht alle Rechteinhaber kontaktiert werden. Bitte wenden Sie sich mit eventuellen Fragen an den Verlag.

© 2000 by Arkadi & Boris Strugatzki

Zu den Einzeltexten des Anhangs siehe die Quellen- und Rechtsvermerke am Schluss des Bandes.

© dieser Ausgabe 2012 by Golkonda Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Hannes Riffel

Korrektur: Harun Raffael

Gestaltung: s.BENeš [www.benswerk.de]

Satz: Hardy Kettlitz

Druck: Schaltungsdienst Lange

EPUB: Karlheinz Schlögl

Golkonda Verlag

Charlottenstraße 36

12683 Berlin

[email protected]

Atomvulkan Golkonda

Erster Teil

Das Siebente Testgelände

Ein ernstes Gespräch

Der einäugige Sekretär hob langsam den Kopf und schaute Bykow scharf an.

»Aus Mittelasien?«

»Jawohl.«

»Die Papiere ...«

Er streckte seine dunkle, an eine Krebsschere erinnernde Hand mit dem überlangen Zeigefinger aus; drei Finger und die Hälfte der Hand fehlten. Bykow gab ihm seinen Ausweis und den Dienstreiseauftrag.

Ohne Eile faltete der Sekretär das Schreiben auseinander und las: Der Ingenieur der sowjetisch-chinesischen Expeditionsbasis Gobi, Alexej Petrowitsch Bykow, wird vom Ministerium für Geologie zur Klärung seines weiteren Einsatzes abkommandiert. Begründung: Anforderung des SKIPV vom ...

Dann blickte der Sekretär flüchtig auf den Ausweis, reichte ihn zurück und zeigte auf die schwarze ledergepolsterte Tür. »Bitte. Genosse Krajuchin erwartet Sie.«

Bykow fragte: »Der Dienstreiseauftrag bleibt bei Ihnen?«

»Ja, er bleibt hier.«

In den Sesseln entlang der Wände des Vorzimmers saßen mehrere Leute, die offensichtlich warteten, dass sie an die Reihe kämen. Keiner von ihnen beachtete Alexej Petrowitsch im Geringsten. Das wunderte ihn – von den Gebräuchen in den Vorzimmern der Hauptstadt hatte er ganz andere Dinge gehört. Doch sowohl den einäugigen Sekretär als auch die Besucher vergaß er sofort, als er die Schwelle zum Arbeitszimmer überschritt.

In dem geräumigen Arbeitszimmer herrschte Halbdunkel: Die Bambusrouleaus waren heruntergelassen. Matt schimmerten die kahlen Wände aus Kunststoff. Ein weicher roter Teppich dämpfte den Schritt. Bykow blickte sich suchend um und gewahrte an dem wuchtigen Schreibtisch zwei Glatzen. Die eine – blass, sogar etwas grau – thronte reglos über der Rückenlehne des Besuchersessels. Die andere – safrangelb und glänzend – hatte sich hinter dem Tisch über eine aufgeschlagene Mappe mit Pauspapieren und Blaudrucken gebeugt und pendelte hin und her, als beschnuppere ihr Besitzer die vor ihm liegenden blauen Lichtpausen von technischen Zeichnungen.

Dann bemerkte Bykow eine dritte Glatze. Sie gehörte einer unförmig dicken, mit grauer Kombination bekleideten Gestalt, die auf dem Teppich lag und den grauen kahlen Kopf zwischen Wand und Safe gesteckt hatte. Vom Hals bis unter den Tisch zog sich eine helle Leine ...

Freilich, jeder Chef hat seine eigenen Angewohnheiten, aber ging das nicht doch zu weit? Verwirrt trat Bykow von einem Fuß auf den anderen. Er zupfte an dem Reißverschluss seiner Jacke und warf einen unruhigen Blick zur Tür. Die safrangelbe Glatze verschwand. Ein Schnaufen wurde hörbar, und eine dumpfe, raue Stimme sagte befriedigt: »Hält ausgezeichnet! Wirklich ausgezeichnet!« Über dem Tisch wuchs eine ungefüge Gestalt in Nylonkombination empor.

Der Mann war ungeheuer groß, außerordentlich breit in den Schultern und sicherlich sehr schwer. Sein narbiges fahles Gesicht glich einer Maske, der schmallippige, zusammengekniffene Mund bildete eine gerade Linie, und die runden wimpernlosen Augen unter der mächtigen gewölbten Stirn hefteten sich kalt und eindringlich auf Bykow.

»Was wünschen Sie?«, fragte der Mann heiser.

»Ich möchte den Genossen Krajuchin sprechen«, sagte Bykow und schielte ängstlich auf die am Boden liegende Gestalt.

»Bin ich selbst.« Die runden Augen des Mannes glitten ebenfalls über die Gestalt am Boden und blieben von Neuem auf Bykow haften.

Die Glatze im Sessel bewegte sich nicht. Zögernd machte Bykow einige Schritte vorwärts und stellte sich vor. Den Kopf zur Seite geneigt, hörte ihm Krajuchin zu.

»Bin sehr erfreut«, sagte er dann zurückhaltend. »Ich hatte Sie schon gestern erwartet, Genosse Bykow. Bitte, nehmen Sie Platz.« Er wies mit seiner riesigen, spatenähnlichen Hand auf den Sessel. »Dort, bitte. Machen Sie erst den Platz frei.«

Verständnislos trat Bykow an den Sessel. Kaum konnte er ein nervöses Lachen unterdrücken. Auf dem Sitz lag ein seltsam aussehender Skaphander aus grauem Gewebe, dessen runder, silbrig schimmernder Helm über die Lehne ragte.

»Legen Sie ihn einfach auf den Fußboden«, sagte Krajuchin.

Bykow schaute fragend zu dem dicken Balg neben dem Safe. »Das ist ebenfalls ein Spezialanzug.« In Krajuchins Stimme schwang Ungeduld. »Setzen Sie sich doch!«

Hastig machte Bykow den Sessel frei und nahm Platz. Ihm war nicht ganz wohl zumute.

Krajuchin musterte ihn mit starrem Blick. »So ...« Seine blassen Finger trommelten auf der Tischplatte. »Na denn, Genosse Bykow, machen wir uns bekannt. Nennen Sie mich Nikolai Sacharowitsch. Arbeiten müssen werden Sie unter meiner Leitung. Natürlich, wenn ...«

Das durchdringende Klingeln des Telefons unterbrach ihn. Er griff nach dem Hörer. »Einen Augenblick, Genosse Bykow ... Ja ... Ich höre.«

Er sagte kein Wort mehr, doch bei dem bläulichen Schein des Videophonschirms sah Bykow, wie sich sein Gesicht jäh rötete und wie an den kahlen Schläfen die Adern schwollen. Offenbar handelte es sich um unerquickliche Dinge. Taktvoll senkte Bykow den Blick und begann eingehend den neben ihm liegenden Skaphander zu betrachten. Der Kragen war offen, und er konnte das Innere des Helms sehen. Er glaubte durch das Material das grobe Teppichmuster unterscheiden zu können, obgleich die silbrige Kugel von außen vollkommen undurchsichtig war. Bykow bückte sich, um den Helm besser in Augenschein zu nehmen, doch im selben Moment legte Krajuchin den Hörer auf und drückte auf den Umschalter.

»Pokatilow soll kommen«, befahl er in heiserem Flüsterton.

»Jawohl!«, antwortete eine Stimme.

»In einer Stunde!«

»Jawohl, in einer Stunde ...«

Wieder knackte der Umschalter, und es wurde still. Bykow hob den Blick und sah, wie sich Krajuchin das Gesicht kräftig mit den Händen massierte.

»So«, sagte dieser ruhig, als er Bykows Blick bemerkte. »Verdammte Sturheit! Ein hoffnungsloser Fall ... Bitte um Entschuldigung, Genosse Bykow. Wo waren wir gerade ... Ach ja ... Also, wir müssen uns sehr ernsthaft miteinander unterhalten, doch leider habe ich nur wenig Zeit. Überhaupt keine Zeit. Kommen wir gleich zur Sache ... Zunächst hätte ich Sie gern näher kennengelernt. Erzählen Sie etwas über sich.«

»Was möchten Sie hören?«

»In erster Linie Ihren Lebenslauf.«

»Lebenslauf?« Der Ingenieur überlegte. »Mein Lebenslauf ist sehr einfach. Ich bin im Jahre 19.. bei Gorki geboren. Mein Vater war Bordmechaniker auf Wolgaschiffen und starb früh, ich war noch nicht drei Jahre alt. Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr wurde ich in einer Internatsschule erzogen. Danach arbeitete ich vier Jahre als Mechanikergehilfe und dann als Mechaniker auf Amphibiengleitschiffen mit Düsenantrieb. Bin Hockeyspieler, nahm in der Auswahl ›Wolga‹ an zwei Olympiaden teil. Besuchte die Ingenieurschule für erdgebundenen Transport. Es ist die ehemalige Panzerschule der Armee.« Warum rede ich nur so viel?, regte sich in ihm der unangenehme Gedanke. »Mein Fachgebiet sind atombetriebene Expeditionsfahrzeuge. Tja ... Nach dem Studium wurde ich in die Berge geschickt, in das Gebiet des Tienschan. Später in die Wüste Gobi. Dort arbeitete ich bis jetzt. Dort trat ich auch der Partei bei. Was noch? Das ist alles.«

»Ja, in der Tat, der Lebenslauf ist einfach«, pflichtete Krajuchin bei. »Sie sind also jetzt dreiunddreißig?«

»In einem Monat vierunddreißig.«

»Und natürlich noch ledig?«

Eine solche Frage vonseiten eines Vorgesetzten fand Bykow taktlos. Er liebte keine Anspielungen auf sein Äußeres, und dieses »natürlich« kränkte ihn. Außerdem schien ihm auch Krajuchins Gesicht keineswegs dem Ideal männlicher Schönheit zu entsprechen. Er wollte das sogar sagen, verkniff es sich aber. Jedenfalls konnte das Äußere für Krajuchin kaum von entscheidender Bedeutung sein, und Bykow kannte mindestens eine Frau, für die sein sonnengerötetes Gesicht, die entenschnabelförmige Nase und das rotblonde Haar zumindest keine entscheidende Rolle spielten.

»Ich will damit sagen«, fuhr Krajuchin fort, »dass Sie meines Wissens noch vor einem halben Jahr ledig waren.«

»Ja«, erwiderte Bykow trocken. »Ich bin es auch jetzt noch. Vorläufig.«

Er begriff plötzlich, dass Krajuchin bereits vieles über ihn wusste und seine Fragen nicht deshalb stellte, weil er sich für die Antworten interessierte, sondern um einen persönlichen Eindruck zu gewinnen oder aber aus irgendeinem anderen Grunde, den er, Bykow, nicht kannte. Das behagte ihm nicht.

»Vorläufig bin ich noch ledig«, wiederholte er.

»Und haben folglich keine näheren Angehörigen?«

»Folglich nein.«

»Sie sind, sozusagen, vollkommen alleinstehend und unabhängig?«

»Jawohl. Vorläufig ...«

»Wo, sagten Sie, haben Sie zuletzt gearbeitet?«

»In der Gobi ...«

»Lange?«

»Drei Jahre ...«

»Drei Jahre! Und die ganze Zeit in der Wüste?«

»Ja. Gewiss, es gab kurze Unterbrechungen. Dienstreisen, Lehrgänge ... Aber im Wesentlichen in der Wüste ...«

»Ist es Ihnen nicht über geworden?«

Bykow überlegte.

»Die erste Zeit war es schwer«, sagte er vorsichtig. »Doch dann habe ich mich daran gewöhnt. Die Arbeit dort ist natürlich nicht leicht.« Der glühende Himmel und der schwarze Sandozean fielen ihm ein. »Aber auch die Wüste kann man liebgewinnen ...«

»So? Die Wüste liebgewinnen? Und haben Sie sie liebgewonnen?«

»Alles eine Frage der Gewohnheit.«

»Ihre letzte Stellung?«

»Leiter der Abteilung atombetriebener Geländewagen beim Expeditionsstützpunkt Gobi.«

»Mit Maschinen kennen Sie sich also aus?«

»Kommt darauf an, was es für welche sind ...«

»Nun, zum Beispiel Ihre atombetriebenen Geländewagen.«

Die Frage erschien Bykow müßig, und er schwieg.

»Sagen Sie, waren Sie das, der im vergangenen Jahr die Rettungsaktion für die Expedition Dauge geleitet hat?«

»Jawohl.«

»Sie sind ausgezeichnet damit fertig geworden! Ohne Sie wäre die Expedition umgekommen.«

Bykow zuckte mit den Achseln. »Für uns war es ein gewöhnlicher Eilmarsch, nichts weiter.«

Krajuchins Augen wurden schmal. »Aber für Ihre Leute ist doch auch nicht alles glatt abgegangen, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt.«

Bykow stieg das Blut in den Kopf – bei seiner an sich schon roten Gesichtsfarbe sah es beängstigend aus –, und er sagte mit deutlich spürbarem Unwillen in der Stimme: »Es tobte ein Schwarzer Sturm! Ich will nicht renommieren, Genosse Krajuchin. Märsche mit Musik gibt es nur bei Paraden. In der Wüste ist es komplizierter.«

Es war ihm peinlich. Krajuchin musterte ihn mit einem leicht spöttischen Blick.

»Soso ... Komplizierter ... Drei Jahre Wüste. Das ist beachtlich. Das ist gut. Sagen Sie, Genosse Bykow, haben Sie irgendwelche Passionen?«

Bykow blickte ihn verdutzt an. »Wie meinen Sie das?«

»Was tun Sie in Ihrer Freizeit?«

»Hm ... Ich lese, natürlich. Spiele Schach.«

»Sie haben, glaube ich, einige Arbeiten verfasst.«

»Jawohl.«

»Viel?«

»Nein. Zwei Artikel in der Zeitschrift ›Raupentransport‹.«

»Worüber haben Sie geschrieben?«

»Die Reparatur von Reaktormotoren unter Einsatzbedingungen. Persönliche Erfahrungen.«

»Die Reparatur von Reaktormotoren ... Sehr interessant. Übrigens, interessieren Sie sich noch für irgendwelche Sportarten, außer Hockey?«

»Ich bin Judoka ... Trainer.«

»Das ist gut. So. Und für Astronomie haben Sie sich niemals interessiert?«

Bykow kam es vor, als mache sich Krajuchin über ihn lustig. Er antwortete: »Nein, für Astronomie habe ich mich noch nicht interessiert.«

»Schade!«

»Mag sein ...«

»Es handelt sich nämlich darum, Alexej Petrowitsch, dass Ihre Arbeit bei uns in gewisser Hinsicht mit dieser Wissenschaft eng verknüpft sein wird.«

Der Ingenieur zog die Augenbrauen zusammen. »Entschuldigen Sie, ich verstehe nicht ganz ...«

»Was hat man Ihnen gesagt, als Sie zu uns abkommandiert wurden?«

»Man hat mir gesagt, dass ich hergeschickt werde, um über meine Teilnahme an einer wissenschaftlichen Expedition zu verhandeln. Zeitweise ...«

»An was für einer Expedition, das hat man Ihnen nicht gesagt?«

»Irgendwo in einer Wüste, um seltene Erze zu suchen.«

Krajuchin knackte mit den Fingern und legte die Hände auf den Tisch.

»Ja, versteht sich«, murmelte er. »Vollkommen natürlich. Das konnte man dort nicht wissen ... Also dann, Alexej Petrowitsch«, sagte er mit einem Seufzer. »Selbstverständlich hat die Astronomie nichts damit zu tun. Genauer gesagt, fast nichts. Noch genauer, für Sie hat sie nichts damit zu tun. Unwichtig, dass Sie sich für die Astronomie nicht interessieren. Sie werden sie kaum benötigen. Notfalls werden Sie etwas darüber lesen, einiges wird man Ihnen erzählen. Die Sache ist nämlich die, dass Sie nicht hier arbeiten werden, nicht auf der Erde, sozusagen.«

Bykow blinzelte nervös. Von Neuem beschlich ihn ein unbehagliches Gefühl, wie schon eine halbe Stunde zuvor, als er über die Schwelle dieses Zimmers getreten war.

»Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz«, brachte er stockend hervor. »Nicht auf der Erde? Auf dem Mond vielleicht?«

»Nein. Viel weiter.«

Das glich einem wunderlichen Traum.

Krajuchin legte das Kinn auf die gefalteten Hände und fuhr fort: »Worüber sind Sie so erstaunt, Alexej Petrowitsch? Bereits dreißig Jahre fliegen die Menschen zu anderen Planeten. Sie glauben wohl, es seien irgendwelche besonderen Menschen? Nichts dergleichen. Gewöhnliche Menschen wie Sie und ich. Menschen verschiedener Berufe. Aus Ihnen, zum Beispiel, würde ein guter Raumfahrer werden. Davon bin ich überzeugt. Viele Raumfahrer sind sozusagen von außerhalb zu uns gekommen – beispielsweise aus dem Flugwesen. Ich verstehe, dass Ihnen – einem Ingenieur mit höchst irdischem Fach – die Möglichkeit, an einem Weltraumflug teilzunehmen, einfach nicht in den Sinn gekommen ist. Doch nun hat es sich so gefügt, dass wir eine Expedition zur Venus entsenden, und wir brauchen jemanden, der mit den Arbeitsverhältnissen im Wüstensand ausgezeichnet vertraut ist. Die Landschaft auf der Venus wird sich kaum von Ihrer geliebten Gobi unterscheiden. Allerdings werden Sie es dort etwas schwerer haben ...«

Plötzlich fiel es Bykow ein. »Die Urangolkonda!«

Krajuchin streifte ihn mit einem schnellen, aufmerksamen Blick.

»Ja, die Urangolkonda. Sehen Sie, nun wissen Sie beinahe schon alles.«

»Die Venus...«, sagte Bykow versonnen. »Die Urangolkonda ...« Er schüttelte den Kopf. »Ich und in den Himmel! Unfassbar!«

»Na, ein so großer Sünder sind Sie ja wohl auch wieder nicht. Und außerdem, wir schicken Sie nicht in paradiesische Gefilde. Aber vielleicht ...« Krajuchin schob den Oberkörper vor und senkte die Stimme. »Vielleicht haben Sie Angst?«

Bykow überlegte.

»Natürlich ist mir unbehaglich bei dem Gedanken«, gestand er. »Ja, ich hab sogar Angst. Vielleicht ... vielleicht bin ich den Anforderungen nicht gewachsen. Freilich, wenn nur das von mir verlangt wird, was ich weiß und worauf ich mich verstehe – warum nicht?« Er blickte Krajuchin an und lächelte. »Nein, so viel Angst, um abzulehnen, habe ich wiederum nicht. Sie begreifen doch, alles kam so unerwartet. Und dann, wieso sind Sie ... sind Sie überzeugt, dass ich Sie nicht enttäuschen werde?«

»Ich bin völlig davon überzeugt. Natürlich wird es schwer sein, sehr schwer, wahrscheinlich werden sich Ihnen Gefahren entgegenstellen, von denen wir nicht einmal etwas ahnen. Aber Sie werden es schaffen.«

»Sie können es besser beurteilen, Genosse Krajuchin.«

»Ja, das meine ich auch. Nun, Alexej Petrowitsch, ich nehme also an, dass Sie nicht gleich zu Ihrem Ministerium laufen und darauf dringen, dass man Sie Ihres Gesundheitszustandes oder Ihrer Familienverhältnisse wegen von dieser Aufgabe entbindet?«

»Genosse Krajuchin!«

»Was glauben Sie denn?« Krajuchins Gesicht wurde ernst. »Ganz andere als Sie, die hier in diesem Sessel saßen, haben sich auf die betrüblichste Weise kleinmütig zurückgezogen.« Er strich sich mit der Hand über das Gesicht. »Offen gesagt, habe ich Sie schon lange im Auge und bin froh, dass ich mich nicht getäuscht habe.«

Bykow räusperte sich verlegen und wandte den Blick zur Seite. Dann stutzte er und fragte: »Woher kennen Sie mich, Genosse Krajuchin?«

»Von der Suche nach der Expedition Dauge. Es war eine von uns ausgeschickte Expedition, seitdem habe ich Sie mir vorgemerkt. Nach der Rückkehr forderte ich Ihre Charakteristik et cetera an. Nun ist die Zeit gekommen, und wir haben Sie vorgeladen.«

»Ich verstehe.«

»Allgemein ist es üblich, dem Betreffenden eine gewisse Bedenkzeit zu lassen. Eine Woche, manchmal auch einen Monat. Doch in diesem Falle können wir nicht warten. Entscheiden Sie sich, Alexej Petrowitsch. Ich mache Sie darauf aufmerksam: Wenn Sie auch nur im Geringsten schwanken, lehnen Sie lieber gleich ab. Wir werden es Ihnen nicht übelnehmen.«

Bykow lachte. »Nein, Genosse Krajuchin, ich lehne nicht ab. Wenn Sie meinen, dass ich den Anforderungen gewachsen bin, nehme ich an. Natürlich, es kam überraschend, aber das macht nichts, ich werde mich schon an den Gedanken gewöhnen. Ich bin einverstanden.«

»Na, dann ist ja alles in Ordnung.« Krajuchin nickte bedächtig und sah auf die Uhr. »Und jetzt noch eins. Die Expedition wird nur eine verhältnismäßig kurze Zeit dauern. Nicht länger als anderthalb Monate. Zufrieden?«

»Durchaus.«

»Auf die bevorstehende Arbeit möchte ich im Augenblick nicht eingehen. Einzelheiten erfahren Sie später. Meine Zeit ist bemessen. Bitte richten Sie sich darauf ein, dass wir morgen abfliegen.«

»Morgen? Zur Venus?«

»Nein. Zur Venus noch nicht. Einstweilen werden wir noch ein wenig auf der Erde arbeiten. Aber nicht in Moskau, sondern woanders. Übrigens, wo haben Sie Ihr Gepäck?«

»Unten in der Garderobe. Ich habe nicht viel mit – einen Koffer und eine Tasche. Ich ahnte ja nicht ...«

»Das ist unwichtig. Wo wollen Sie übernachten? Ich würde Ihnen das ›Praha‹ empfehlen. Es ist gleich in der Nähe.«

Bykow nickte. »Ich weiß, ein gutes Hotel.«

»Ein sehr gutes. Und nun will ich Sie nicht länger aufhalten, Genosse Kosmonaut, in ...« – er warf einen Blick auf die Uhr – »in gut zwei Stunden, Punkt siebzehn Uhr, kommen Sie wieder hierher. Dann werden Sie einiges mehr erfahren. Haben Sie schon gegessen? Natürlich nicht. Der Speiseraum befindet sich in der dreizehnten Etage. Essen Sie, ruhen Sie sich in der Bibliothek oder im Klubraum ein wenig aus – das ist auch hier, Sie brauchen nicht aus dem Haus zu gehen –, und Punkt siebzehn Uhr sind Sie wieder hier. Also, bis dann. Und ich werde gleich jemandem den Kopf waschen.«

Bykow, immer noch ziemlich erregt, erhob sich, zögerte einen Augenblick und stellte eine ihn schon lange bewegende Frage: »Genosse Krajuchin, wie heißt Ihre Institution eigentlich in vollem Wortlaut? In meinen Papieren steht SKIPV. Aber ich glaube, ich habe es nicht richtig entziffert.«

»Das SKIPV ist das Staatliche Komitee für Interplanetaren Verkehr beim Ministerrat. Ich bin stellvertretender Vorsitzender.«

Bykow bedankte sich.

»Komitee für Interplanetaren Verkehr«, murmelte er kaum hörbar, während er zur Tür schritt. »Ja, natürlich ... Und ich dachte – Staatliches Komitee für Internationale Polytechnische Verbindungen ... dieselbe Abkürzung ...«

In der Tür wäre Bykow beinahe mit einem hoch aufgeschossenen Mann zusammengeprallt, der ungestüm an ihm vorbeieilte. Bykow sah nur, dass der Mann eine große schwarzgeränderte Hornbrille trug und auffallend blass war. Er schenkte dem hinaustretenden Besucher nicht die geringste Beachtung und rief gleich von der Schwelle aus: »Nikolai Sacharowitsch!«

»Wo ist der sechste Reaktor?«, hörte Bykow Krajuchins unheilvollen heiseren Bass.

»Aber erlauben Sie, Nikolai ...«

»Ich frage, wo ist der sechste Reaktor?«

Bykow zog die Tür hinter sich ins Schloss und steuerte dem Ausgang zu. Der dunkelhäutige Sekretär sah ihm mit seinem einzigen Auge nach und beugte sich dann wieder über die vor ihm liegenden Papiere.

Die Besatzung der Chius

Die Venus ist der Reihenfolge nach der zweite Planet im Sonnensystem. Ihre mittlere Entfernung von der Sonne beträgt 0,723 Astronomische Einheiten gleich 108 Millionen Kilometer. Der volle Umlauf um die Sonne dauert 224 Tage 16 Stunden 49 Minuten 8 Sekunden ... Die mittlere Bahngeschwindigkeit beträgt 35 km/s ... Die Venus ist der erdnächste Planet. Beim Durchgang zwischen Erde und Sonne nähert sie sich der Erde bis auf 39 Millionen Kilometer. Wenn ihre Bahn hinter der Sonne verläuft, entfernt sie sich von der Erde bis zu 258 Millionen Kilometer ... Der Durchmesser der Venus beträgt 12 400 Kilometer. Abplattung an den Polen unmerklich. Nimmt man die Daten für die Erde als eins an, so gelten für die Venus folgende Verhältniszahlen: Durchmesser 0,973, Oberfläche 0,95, Rauminhalt 0,92, Schwerkraft an der Oberfläche 0,85, Dichte 0,88 (oder 4,86 g/cm³), Masse 0,81 ... Die Umdrehungszeit um die Achse beträgt etwa 57 Stunden ... Die Venus ist mit einer außerordentlich dichten Atmosphäre aus Kohlensäure und Kohlenmonoxid umgeben, in der Wolken kristallisierten Ammoniaks schwimmen. Zurzeit wird dieser Planet von einigen provisorischen und ständigen künstlichen Satelliten aus erforscht, davon gehören zwei der Akademie der Wissenschaften der UdKSR. Eine Reihe von Versuchen, auf der Venus zu landen und ihre Oberfläche unmittelbar zu erforschen – Abrossimow, Nishijima, Sokolowski, Shi Fenyu u.a. –, sind erfolglos verlaufen.«

Bykow warf einen Blick auf die farbige Fotografie der Venus – eine gelbe, mit bläulichen und orangeroten Schatten überhauchte Scheibe auf samtschwarzem Grund – und klappte den schweren Band zu. »Eine Reihe von Versuchen, zu landen und die Oberfläche unmittelbar zu erforschen ..., sind erfolglos verlaufen.« Kurz und bündig! Ja, Versuche hatte es gegeben. Bykow erinnerte sich allmählich an alles, was er aus Büchern und Zeitschriften, aus Fernsehvorträgen und den trockenen Kurzberichten der TASS wusste.

Gegen Ende des dritten Jahrzehnts nach den ersten Mondflügen waren den Menschen fast alle kosmischen Objekte in anderthalb Milliarden Kilometer Umkreis von der Erde bekannt gewesen. Neue Wissenschaften waren entstanden – die Planetologie und Planetografie des Mondes, des Mars, des Merkurs sowie der wichtigsten Trabanten der großen Planeten und einiger Asteroiden. Die Weltraumfahrer, besonders diejenigen, die monate- und sogar jahrelang fern von der Erde arbeiten mussten, hatten sich schon an die nachgiebigen Ablagerungen des uralten Staubs in den Mondtälern gewöhnt, an die roten Marswüsten und die spärlichen Haine des marsianischen Saksauls, an die eisigen Abgründe und die bis zur Weißglut erhitzten Bergplateaus auf dem Merkur, an den fremden Himmel mit mehreren Monden, an die Sonne, die einem kleinen hellen Stern glich. Hunderte von kosmischen Schiffen kreuzten im Sonnensystem in allen Richtungen. Eine neue Etappe der Eroberung des Weltraums durch den Menschen brach an – die Zeit der Eroberung der »schwierigen« Planeten: des Jupiters, des Saturns, des Uranus, des Neptuns und der Venus.

Die Venus war eines der ersten Objekte, denen die Aufmerksamkeit der irdischen Forscher galt. Ihre Erd- und Sonnennähe, die Ähnlichkeit einiger ihrer physikalischen Eigenschaften mit denen der Erde und zugleich das völlige Fehlen halbwegs zuverlässiger Daten über ihre Struktur übten auf die Weltraumfahrer eine besondere Anziehungskraft aus.

Anfangs wurden wie üblich unbemannte Sonden eingesetzt. Die Ergebnisse waren entmutigend. Die dichte Wolkendecke gestattete nicht den geringsten Einblick. Hunderte von Kilometern gewöhnlichen und infraroten Films zeigten immer das gleiche Bild: den eintönigen grauen Vorhang einer undurchdringlichen, offensichtlich sehr dicken Nebelschicht. Auch die Radiooptik versagte hier. Die Radiostrahlen wurden von der Venusatmosphäre entweder verschluckt oder von ihren obersten Schichten reflektiert. Die Bildschirme der Radargeräte blieben schwarz oder strahlten ein gleichmäßiges Licht aus, das nichts besagte. Von den telemechanischen und kybernetischen Selbstfahrlaboratorien, die sich so glänzend bei der Erforschung des Mondes und des Mars bewährt hatten, kamen keinerlei Nachrichten. Sie waren auf dem Grund dieses Ozeans dichter rosagrauer Wolken spurlos verschwunden.

Dann machten sich beherzte Männer auf, um die Venus zu erstürmen. Drei Expeditionen, technisch auf das Modernste ausgerüstet, tauchten mit den besten Raumschiffen nacheinander in die Atmosphäre des rätselhaften Planeten. Das erste Schiff verbrannte, ohne auch nur ein einziges Zeichen gegeben zu haben – die Beobachter hatten ein mattes Aufleuchten an jener Stelle fixiert, wo das Schiff hinuntergegangen war. Die zweite Expedition meldete, sie setze zur Landung an, und das Schiff sei in atmosphärische Strömungen von ungeheurer Stärke geraten. Danach verstummte sie für immer. Der dritten Expedition gelang es, wohlbehalten auf dem Planeten zu landen. Irgendwelche Launen der unberechenbaren venusianischen Atmosphäre ermöglichten es auch, die Verbindung mit den Gelandeten einen ganzen Tag lang aufrechtzuerhalten. Der Expeditionsleiter berichtete über Sandstürme und Windhosen, die ganze Felsen hinwegfegten, und über eine purpurrote Finsternis, die alles ringsum verhülle. Doch nach vierundzwanzig Stunden schwiegen auch diese Tapferen, und einige Tage später hörte man im Lautsprecher ein hektisches Geflüster: »Fieber, Fieber, Fieber ...« Damit riss die Verbindung ab.

Binnen Kurzem scheiterten also drei Expeditionen. Das war zu viel! Die Misserfolge zeigten deutlich, dass der Sturm auf die Venus erst nach einer neuen, äußerst gewissenhaften Vorbereitung erfolgen konnte. Zunächst war eine weitgehende, allseitige und genaue Aufklärung erforderlich. Der Internationale Astronautische Kongress arbeitete zur Erforschung der Venus einen Fünfzehnjahresplan aus. Das ganze reichhaltige Arsenal der Wissenschaft und der Technik wurde eingesetzt. Die Venus erhielt mehrere künstliche Satelliten; sie trugen Observatorien mit unzähligen automatischen Einrichtungen. Selbstfahrende Erkundungslote, Infrarot- und Elektronenoptiken, ionoskopische Anlagen und viele andere Spezialgeräte kamen zur Anwendung. Die größten und genauesten elektronischen Rechenmaschinen der Welt werteten die von diesen Automaten gelieferten Daten aus. Die Stratosphäre der Venus wurde so gründlich erforscht, dass die Gelehrten selbst überrascht waren. Es gelang endlich, mit der erforderlichen Genauigkeit die Umdrehungszeit der Venus um ihre Achse zu ermitteln, und es konnten auch in groben Umrissen die Gebirgszüge kartographiert und die Magnetfelder gemessen werden. Man arbeitete methodisch und zielstrebig.

Die Besatzung eines französischen künstlichen Satelliten stellte auf der Venus ein Gebiet erhöhter Ionisation fest. Einige Zeit später wurde diese Entdeckung von sowjetischen, chinesischen und japanischen Forschern bestätigt. Das Gebiet überstarker Ionisation wurde periodisch über ein und demselben Abschnitt der Venusoberfläche fixiert und umfasste ungefähr eine halbe Million Quadratkilometer. Wie es sich erwies, stand es nicht mit der dichten Wolkenschicht in Zusammenhang und konnte daher unmöglich atmosphärischen Ursprungs sein. Die Annahme lag nahe, dass die Ionisation von radioaktiver Strahlung herrührte, die ihre Quelle auf der Venusoberfläche hatte. War dies der Fall, so mussten dort unten radioaktive Erze von ungeheuer hoher Konzentration liegen. Der Name »Urangolkonda« drängte sich von selbst auf.

Jetzt bekam die Sache ein anderes Gesicht. In Bezug auf schwere aktive Elemente saß die Menschheit immer noch wie auf Hungerration. Die Technologie der Gewinnung von Spurenelementen entwickelte sich langsam, während die Nachfrage nach Aktiniden bei Weitem die Produktion der Anreicherungsbetriebe überstieg und ihre künstliche Herstellung zu teuer war. Zu dem rein wissenschaftlichen Interesse für die Venus gesellte sich also auch das wirtschaftliche.

Abermals wurde eine Serie von Expeditionen gestartet. Sokolowski, der Vizepräsident des Internationalen Astronautischen Kongresses, kam dabei ums Leben. Als erblindeter Krüppel kehrte der furchtlose Nishijima zurück. Verschollen blieb der beste Weltraumpilot Chinas, Shi Fenyu. Der Planet schien aller Bemühungen der Menschen zu spotten. Eine Analyse der spärlichen Daten über die Ursache der Katastrophen zeigte, dass eine erfolgreiche Landung auf der Venus nur möglich war, wenn man von den früheren Formen und Prinzipien der interplanetaren Flugtechnik abrückte. Der Internationale Kongress rief alle astronautischen Institutionen auf, von neuen Versuchen mit den bisherigen Mitteln abzusehen, und setzte eine hohe Prämie für die Konstruktion neuartiger interplanetarer Schiffe aus, die dem brodelnden Panzer der Venusatmosphäre trotzen konnten. In der UdSSR waren die Arbeiten an der Entwicklung einer Photonenrakete in vollem Gange. Andere Länder suchten ebenfalls neue Wege.

Vor zwei Jahren war in den Zeitungen die Nachricht erschienen, dass auf dem größten künstlichen Erdsatelliten Weidadi Youyi, »Große Freundschaft«, sowjetische und chinesische Spezialisten für schwereloses Gießen mit dem Guss der Hülle für die erste Photonenrakete begonnen hatten. Vielleicht war es gerade die Rakete, mit der Bykow und seine Kameraden zu den venusianischen Wüsten vorstoßen sollten, die sich – wie Krajuchin sagte – kaum von Bykows geliebter Gobi unterschieden.

Ob eine Photonen- oder eine Atomrakete, ob sich der venusianische Wüstensand von dem irdischen unterschied oder nicht – jedenfalls war es eine Expedition ins Ungewisse. Die interplanetaren Flüge, besonders aber die Arbeit auf anderen Planeten, waren ungeheuer schwierig. Zur Eroberung der Venus und der Schätze der fast sagenhaften Urangolkonda waren überdurchschnittliche Kenntnisse, eiserne Gesundheit und eine zähe Ausdauer erforderlich. Dazu musste man schon ein wahrer Raumfahrer sein, einer von jenen Helden, die gefilmt und mit Blumen empfangen wurden oder ... in den finsteren Abgründen des endlosen Raumes ihre letzte Ruhestätte fanden. Würde der einfache Ingenieur Bykow die Kenntnisse, die Gesundheit und die Ausdauer aufzuweisen haben? Im Übrigen ...

Im Übrigen konnte es Krajuchin besser beurteilen. Krajuchin war der stellvertretende Vorsitzende des SKIPV, des Staatlichen Komitees für Interplanetaren Verkehr. Und wenn Krajuchin überzeugt war, dass Bykow es schaffen würde, so würde er es auch schaffen. Wirklich, diese Raumfahrer waren Menschen wie alle anderen. Was sie konnten, konnte er auch.

Alexej Petrowitsch stellte sich orangefarbene Dünen vor, einen von reglosen schwarzen Wolken bedeckten Himmel und ein Häuflein Menschen mit Sauerstoffmasken, die durch die Treibsande irrten. Vorneweg er ... Ja. Aber wo blieben dabei die Geländewagen? Vielleicht würde die Expedition Fahrzeuge benutzen? Wie würde man die vor Ort bringen?

Bykow ertappte sich dabei, dass er unverwandt die hübsche junge Bibliothekarin hinter dem Tisch gegenüber anstarrte. Das Mädchen zog die Stirn kraus, konnte sich aber dann doch eines Lächelns nicht erwehren. Bykow setzte sofort eine abweisende Miene auf. Ja, er musste nach Aschchabad telegrafieren, dass die Dienstreise länger dauern werde. Schade, dass man sich vor Antritt der Reise nicht mehr sehen konnte. Aber was hätte es auch für einen Sinn gehabt? Ließ sich denn in ein paar Minuten das aussprechen, was man Jahre hindurch nicht zu sagen gewagt hatte? Am besten, man vertraute alles dem Schicksal an. Wenn er zurückkehrte (ein Bild aus einer Illustrierten tauchte in seinem Gedächtnis auf: Die Helden des kosmischen Raumes sind von einem gefahrvollen Flug zurückgekehrt – Blumen, strahlende Gesichter, winkende Hände ...), wenn er zurückkehrte, würde er sich Urlaub nehmen und nach Aschchabad fahren. Er würde zu dem bekannten Haus gehen, auf den Klingelknopf drücken, und dann ...

Bykow blickte auf die Uhr. Bis fünf fehlten noch einige Minuten. Er erhob sich, gab dem lächelnden Mädchen mit einer leichten Verbeugung den Enzyklopädieband zurück und ging zu Krajuchin.

Im Empfangszimmer nickte ihm der einäugige Sekretär wie einem alten Bekannten zu. Bykow blickte noch einmal auf die Uhr – es war eine Minute vor fünf –, fuhr sich mit der Hand über das Haar, zog seine Jacke zurecht und öffnete entschlossen die Tür zum Arbeitszimmer.

Im ersten Augenblick dachte er, er sei in einen falschen Raum geraten. Die Rouleaus waren hochgezogen, durch die geöffneten Fenster strömte helles Sonnenlicht und übergoss die samtigen Kunststoffwände mit warmem Schein. Der Sessel vor dem Tisch war zur Seite gerückt, über der Lehne hing noch immer der Spezialanzug mit dem silbrigen Helm. Der Teppich lag zusammengerollt an der Wand. Auf dem glänzenden Parkett inmitten des Zimmers stand ein seltsamer Gegenstand, der entfernt an eine große graue Schildkröte auf fünf klobigen Beinen erinnerte. Der glatte halbkugelförmige Schild erhob sich etwa einen Meter über dem Fußboden. Um die Schildkröte herum hockten mehrere Männer.

Einer von ihnen, ein breitschultriger, etwas vorgebeugter Hüne mit schwarzgeränderter Brille, die zur Hälfte sein Gesicht verdeckte, hob den Kopf mit der im Sonnenlicht gelblich glänzenden Glatze, und Bykow vernahm Krajuchins heisere Stimme: »Da ist er! Genossen, ich darf Ihnen das sechste Mitglied der Expedition vorstellen, Ingenieur Alexej Petrowitsch Bykow.«

Alle wandten sich ihm zu – ein großgewachsener, sehr schöner Mensch in leichtem eleganten Anzug, ein dicker gutmütig dreinschauender Mann mit glattrasiertem Kopf und hitzegerötetem Gesicht, ein freundlicher schwarzhaariger Bursche, der die sehnigen Hände mit einem Ölläppchen abwischte, und – Dauge, der gute alte Freund Grigori Johannowitsch Dauge, ebenso hager und schlaksig wie im vorigen Jahr in der Gobi, nur nicht wie damals in Pluderhosen und Kopftuch, sondern in gewöhnlichem Straßenanzug; er sah Bykow breit lächelnd an und nickte ihm zu.

»Machen Sie sich bekannt, Genosse Bykow«, sagte Krajuchin und nahm die Brille ab. »Wladimir Sergejewitsch Jurkowski, ein hervorragender Geologe und erfahrener Raumreisender ...«

Der Schönling in dem eleganten Anzug drückte schwach, gleichsam widerwillig Bykows Hand und wandte sich mit gleichgültiger Miene ab. Bykow warf einen Seitenblick auf Krajuchin. Es kam ihm vor, als ob in dessen runden Augen lustige Fünkchen aufblitzten und sogleich wieder erloschen.

»Bogdan Bogdanowitsch Spizyn, Pilot, einer der weltbesten Kosmonauten. Hat an den ersten Expeditionen in den Asteroidengürtel teilgenommen.«

Der schwarzhaarige Bursche entblößte seine prachtvollen Zähne. Seine Hand war heiß und hart wie Eisen.

»Michail Antonowitsch Krutikow«, fuhr Krajuchin fort. »Navigator. Der Stolz unserer sowjetischen Raumfahrt.«

»Aber was reden Sie da, Nikolai Sacharowitsch!«, murmelte der Dicke verlegen und blickte Bykow freundschaftlich von unten her an. »Genosse Bykow könnte tatsächlich annehmen ... Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Genosse Bykow, sehr angenehm ...«

»Und das hier ... Na, ich glaube, hier erübrigt sich das Vorstellen ...«

Bykow und Dauge umarmten einander.

»Traue meinen Augen nicht! Johannytsch, bist du es wirklich?«

»Ich bin es, Alexej!«

Krajuchin berührte Bykow am Ellbogen. »Schiffskommandant und Expeditionsleiter ...«

Bykow drehte sich um. In der Tür stand ein mittelgroßer schlanker Mann mit blassem Gesicht; sein Haar war völlig ergraut, obwohl seine klaren, regelmäßigen Züge ihn nicht älter als fünfunddreißig Jahre erscheinen ließen. Offenbar war er hinter Bykow eingetreten und hatte die einfache Vorstellungszeremonie von der Schwelle aus beobachtet.

»Anatoli Borissowitsch Jermakow.«

Als Bykow den Namen hörte, der vor einigen Monaten Tag für Tag die Zeitungsspalten beherrscht hatte, nahm er unwillkürlich Haltung an. Es gibt Menschen, deren absolute Überlegenheit man gleich vom ersten Augenblick an spürt. Jermakow war eine solche Persönlichkeit. Beinahe physisch spürte Bykow in ihm die ungeheure Willenskraft, die unbeirrbare, fast grausame Zielstrebigkeit, einen wendigen, allseitig entwickelten Geist. Jermakows scharf gezeichneter Mund war zu einem höflichen Lächeln halb geöffnet, doch die dunklen Augen tasteten prüfend und abschätzend das Gesicht des neuen Expeditionsmitglieds ab.

Einige unerträglich lange Sekunden verstrichen. Endlich sagte Jermakow mit weich klingender Stimme: »Sehr erfreut, Genosse Bykow.«

Der Ingenieur drückte ihm die schmale warme Hand und gesellte sich eilig wieder zu Dauge. Er sah, dass Grigori Johannowitschs Stirn feucht war. Im Zimmer war es übrigens ziemlich heiß.

»So, Genossen ...«, sagte Krajuchin. »Jetzt, da wir alle beisammen sind, können wir mit unserer Besprechung beginnen – der letzten in Moskau.«

Er trat zum Tisch und drückte auf einen der Knöpfe an dem Ebonitschild neben dem Videophon. Ein leises Brummen ertönte. Bykow wich unwillkürlich zurück, als die graue Schildkröte langsam im Fußboden versank und sich über dem breiten quadratischen Schacht die Parkettklappen schlossen. Dauge und Spizyn rollten den Teppich darüber, und der dicke Krutikow schob den Sessel an den Tisch.

»Bitte, setzen Sie sich, Genossen!«, sagte Krajuchin. Alle nahmen auf den weichen Polsterstühlen Platz. Es wurde still.

»Ich bin froh, Ihnen mitteilen zu können, Freunde«, begann Krajuchin, »dass der Befehl unterzeichnet ist. Es geschah vor zwei Stunden, und der Personalbestand der Expedition – um es einmal so zu nennen – ist ohne Vorbehalt bestätigt worden. Ich beglückwünsche Sie!«

Niemand rührte sich, nur Jurkowski hob den Kopf und sah flüchtig zu Bykow hin.

»Was aber die Aufgabe angeht ...« – Krajuchin hielt sich ein Blatt Papier vor die Brille – »was die Aufgabe angeht, so hat das Komitee einige Änderungen vorgenommen. Richtiger gesagt, Ergänzungen.«

»Es geht los ...«, murmelte Dauge unzufrieden.

Das Telefon klingelte. Krajuchin nahm den Hörer ab, legte ihn wieder auf, drückte auf den Umschalter und knurrte: »Ich habe eine Besprechung.«

»Jawohl«, ließ sich eine Stimme vernehmen.

»Fahren wir also fort, Genossen. Im Großen und Ganzen bleibt alles sozusagen beim Alten. Die Aufgabe lautet: Erprobung der neuen technischen Mittel und geologische Erkundung auf der Venus. Da sich aber jetzt ein Neuling unter uns befindet, der über die Aufgabe nicht im Bilde ist, und eingedenk dessen, dass Übung sozusagen den Meister macht ... und es überhaupt nichts schaden kann, diesen Befehlsteil Ihnen allen noch mal in Erinnerung zu rufen, lese ich den Text im Wortlaut vor. Paragraph acht. Die Expedition hat den Auftrag: erstens, die betriebstechnischen Eigenschaften des neuen interplanetaren Verkehrsmittels, der Photonenrakete Chius, allseitig zu erproben, zweitens, auf der Venus in der Nähe der radioaktiven Erzvorkommen ›Urangolkonda‹ zu landen, die vor zwei Jahren von der Expedition Tachmasib-Jermakow entdeckt wurden ...«

Bykow seufzte vernehmlich. Dauge legte ihm beschwichtigend die Hand aufs Knie ...

»... und dieses Gebiet geologisch zu erforschen. Paragraph neun. Die Aufgabe der geologischen Gruppe der Expedition besteht darin, die Grenzen der ›Urangolkonda‹ zu ermitteln, Gesteinsproben zu sammeln und annähernd die Menge der dort vorhandenen radioaktiven Bodenschätze zu berechnen. Nach der Rückkehr soll dem Komitee ein Gutachten über den ökonomischen Wert der Lagerstätte vorgelegt werden. Wie Sie sehen, ist bis hierher alles so geblieben, wie es war. Und jetzt kommt ein neuer Punkt. Hören Sie ... Paragraph zehn. Ferner hat die Expedition die Aufgabe, höchstens fünfzig Kilometer von den Grenzen der Uranvorkommen entfernt einen Landeplatz ausfindig zu machen, der für alle Arten interplanetarer Verkehrsmittel geeignet erscheint, und an diesem Platz automatische Ultrakurzwellen-Funkfeuer, Konstruktion Usmanow-Schwarz, mit Speisung aus örtlichen Ressourcen aufzustellen.«

Krajuchin legte das Papier beiseite und überflog die Anwesenden mit prüfendem Blick. Eine Weile herrschte Schweigen. Endlich sagte Jurkowski, eine seiner dichten schwarzen Brauen effektvoll in die Stirn schiebend: »Wer soll sich denn damit befassen?«

»Komische Frage, Wladimir Sergejewitsch.« Krajuchin lächelte.

»Aber natürlich werden wir den Platz ausfindig machen!«, fiel Dauge rasch ein. »Nötigenfalls werden wir ihn auch bauen. Doch was die Funkfeuer betrifft ... Die Sache ist offenbar wirklich recht kompliziert und erfordert bestimmte Fachkenntnisse ...«

»Na, das ist nun nicht mehr meine Sorge, liebe Genossen, das ist Angelegenheit des Expeditionsleiters.« Krajuchin nahm eine Zigarette aus der Schreibtischschublade und steckte sie an. »Nicht wahr, Anatoli Borissowitsch?«

Neugierig drehte sich Bykow zu Jermakow um. Jener nickte gleichmütig.

»Ich denke, wir werden auch das schaffen«, sagte er langsam. »Wenn ich mich nicht irre, stehen uns bis zum Start noch mindestens anderthalb Monate zur Verfügung. In dieser Zeit können wir uns vollauf mit der Konstruktion der Funkfeuer vertraut machen und zwei bis drei Probemontagen durchführen. Das wird wohl gar nicht so kompliziert sein ...«

»Ziehen Sie aber in Betracht, mein Guter«, unterbrach ihn Krajuchin, »dass ich Ihnen keinesfalls anderthalb Monate dafür bewillige. Nicht einmal einen Monat.«

»Na, dann müssen eben drei Wochen genügen.« Jermakow senkte den Blick und begann seine langen, schlanken Finger zu betrachten.

»Ich habe eins nicht verstanden«, mischte sich Jurkowski ein, ohne Krajuchins Antwort abzuwarten. »Was bedeutet ›mit Speisung aus örtlichen Ressourcen‹? So, glaube ich, heißt’s im Befehl?«

»Das bedeutet, Wladimir Sergejewitsch, dass Sie die Energiequelle für die Funkfeuer an Ort und Stelle suchen müssen«, sagte Krajuchin. »Übrigens, ich glaube, für unsere Techniker ist diese Frage klar, stimmt’s?«

Krutikow nickte eifrig, und Spizyn sagte lächelnd: »Gewiss ... Radioelemente, wenn die Golkonda auch nur halb so reich an aktiven Stoffen ist, wie man annimmt, oder Thermoelemente ... Aber ... Ach, was gibt’s da viel zu reden! Befehl ist Befehl!«

»Befehlen ist etwas anderes als ausführen«, murmelte Jurkowski finster. »Auf jeden Fall hätte man sich mit uns über diesen Punkt einigen müssen, ehe man ihn in den Befehl aufnahm.«

Warum weist Krajuchin diesen aufgeblasenen Fant nicht in die Schranken?, dachte Bykow ungehalten.

Krajuchins schmallippiger Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.

»Sie sind also der Ansicht, Wladimir Sergejewitsch, dass die Expedition dadurch überfordert wird?«

»Darum geht es nicht ...«

»Natürlich nicht«, sagte Krajuchin scharf. »Es geht darum, dass von acht Schiffen, die während der letzten zwanzig Jahre zur Venus ausgeschickt wurden, sechs verschollen sind. Es geht darum, dass die Chius nicht nur – und auch nicht so sehr – um Ihrer geologischen Begeisterung willen ausgeschickt wird, Wladimir Sergejewitsch. Es geht darum, dass Ihnen andere folgen werden ... Dutzende andere, Hunderte andere. Die Venus, die Golkonda kann man nicht mehr ohne Orientierungsmale lassen. Man kann’s nicht mehr, Donnerwetter noch mal! Entweder stellen wir dort verlässliche automatische Funkfeuer hin, oder wir werden die Leute bis in alle Ewigkeit in den fast sicheren Tod schicken. Ist das denn so schwer zu begreifen, Wladimir Sergejewitsch?«

Er bekam einen Hustenanfall, drückte die Zigarette aus und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Glatze. Jurkowski, der schon bei den ersten Worten Krajuchins puterrot geworden war, blickte zur Seite. Alle schwiegen. Dauge stieß Bykow mit dem Ellbogen an.

»So wird unsereiner aus den höheren Regionen auf die Erde heruntergezerrt«, sagte er leise.

»Warte, Johannytsch!«, flüsterte Bykow ungeduldig. »Lass uns zuhören.«

Er hatte immer noch eine unklare Vorstellung von der Aufgabe und von den Mitteln der Expedition. Das Häuflein Menschen, das durch die Treibsande irrte, hatte es immer schwerer. Jetzt mussten sie sperrige Metallrahmen mitschleppen, dazu noch sonderbare Apparate, die fünfbeinigen Schildkröten ähnelten ... Klar war zunächst, dass zumindest eine Landung auf der Venus erfolgreich verlaufen war, die Landung der Expedition Tachmasib-Jermakow. Die Urangolkonda war also kein Mythos.

»Ich nehme an, dass der Flugplan nicht geändert wird?«, fragte Jermakow.

»Nein, der Plan wird nicht geändert. Michail Antonowitsch hat sich auf einen Start zwischen dem fünfzehnten und achtzehnten August zu orientieren.«

Der Navigator lächelte und nickte.

»Ich habe noch eine Frage«, meldete sich Jurkowski abermals.

»Bitte sehr, Wladimir Sergejewitsch.«

»Mir ist die Rolle des Genossen ... äh, Bykow in unserer Expedition nicht ganz verständlich. Ich zweifle nicht im Geringsten an seinen äh ... vorzüglichen Qualitäten, sowohl den physischen als auch den geistigen. Aber ich hätte gern etwas über sein Fachgebiet und seine Aufgaben erfahren.«

Bykow hielt den Atem an.

»Es ist Ihnen bekannt«, sagte Krajuchin gedehnt, »dass die Expedition unter wüstenähnlichen Verhältnissen arbeiten wird. Und Genosse Bykow kennt die Wüste genau.«

»Hm ... Ich dachte, er sei Spezialist für Landeplätze. Man sollte meinen, dass Dauge die Wüste ebenso gut kennt.«

»Dauge kennt die Wüste bedeutend schlechter!«, mischte sich Grigori Johannowitsch wütend ein. »Bedeutend schlechter! Der erwähnte Dauge ist in den allergewöhnlichsten Sandhügeln der Gobi stecken geblieben, und wenn Bykow nicht gewesen wäre ... Du kennst Bykow nicht, Wolodja, du kennst auch die Wüste nicht. Nicht alle Wüsten sind so wie die Große Syrte.«

Krajuchin wartete ruhig, bis Dauge ausgesprochen hatte, und schloss: »Außerdem ist Alexej Petrowitsch ein ausgezeichneter Ingenieur, Geländewagenfahrer, Chemiker und Radiologe.«

Jurkowski zuckte die Achseln. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Ingenieur Bykow. Aber ich muss doch schließlich die Aufgaben meines Expeditionsgefährten kennen! Jetzt bin ich informiert: Er ist Wüstenspezialist.«

Bykow presste die Zähne zusammen und schwieg. Krajuchin aber heftete ärgerlich den Blick seiner runden Augen auf Jurkowski und sagte mit dröhnender Stimme: »Korrigieren Sie mich, falls ich mich irren sollte, Wladimir Sergejewitsch. Ist Ihnen nicht mal, als Sie vor fünf Jahren auf dem Mars waren, die Gleiskette an Ihrem Geländewagen gerissen? Und Sie und Chlebnikow schleppten sich zu Fuß fünfzig Kilometer weit, weil Sie es nicht verstanden, sie zu reparieren ...«

Jurkowski sprang auf und wollte etwas erwidern, doch Krajuchin fuhr fort: »Und letzten Endes handelt es sich auch gar nicht darum. Ingenieur Bykow ist, abgesehen von allem anderen, auch wegen seiner hervorragenden körperlichen und geistigen Qualitäten, an denen Sie nach Ihren eigenen Worten keineswegs zweifeln, der Expedition beigegeben worden. Er ist ein Mensch, auf den Sie sich im kritischen Moment verlassen können, Wladimir Sergejewitsch. Und solche Momente wird es dort geben, das versichere ich Ihnen!«

»Kapituliere schon!« Krutikow klopfte Jurkowski auf den Rücken. »Um so mehr, als er es gewesen ist, der deinen geliebten Dauge gerettet hat.«

»Hör auf!«, knurrte Jurkowski.

Bykow atmete auf und strich sich über den widerborstigen Schopf.

»Übrigens, die Verteilung der Pflichten«, sagte Krajuchin und holte einen vierfach zusammengefalteten Bogen Papier aus der Schreibtischlade. »Alle kennen sie, aber ... zur Wiederholung lese ich sie noch einmal vor. Jermakow – Expeditionsleiter, Schiffskommandant, Physiker, Biologe und Arzt. Spizyn – Pilot, Funker, Navigator und Bordingenieur. Krutikow – Navigator, Kybernetiker, Pilot und Bordingenieur. Jurkowski – Geologe, Funker, Biologe. Dauge – Geologe, Biologe. Bykow – Atomfahrzeugingenieur, Chemiker, Fahrer des Geländewagens, Funker.«

»Und Wüstenspezialist ...«, flüsterte Dauge.

Bykow zog ungehalten die eine Schulter hoch.

»Und jetzt noch etwas ...« Krajuchin erhob sich und stemmte die Hände auf den Tisch. »Einige Worte über das ›Rätsel Tachmasibs‹ ...«

»Ach du lieber Himmel!«, stöhnte Krutikow.

»Was sagten Sie?« Krajuchin wandte sich ihm zu.

»Nichts, Nikolai Sacharowitsch.«

»Sie wollten wahrscheinlich sagen, dass Sie den Mythos um das ›Rätsel Tachmasibs‹ bis zum Überdruss satthaben?«

»N-ein ...« Krutikow rutschte auf seinem Stuhl hin und her und blickte von der Seite auf Jermakow. »Nicht direkt ...«

»Doch in diesem Sinne. Aber kommen wir zur Sache. Jemand im Präsidium der Akademie interessiert sich sehr für diese Frage und hat gebeten, die Arbeit an der Entschlüsselung des ›Rätsels‹ in den Expeditionsplan aufzunehmen.«

»Versteht sich ...« Krutikow nickte lächelnd.

»Ich habe es abgelehnt und mich dabei auf die Überlastung der Expedition berufen. Doch da Sie ohnehin in der Nähe der Golkonda arbeiten werden, bitte ich Sie, alle Erscheinungen zu registrieren, die auch nur im entferntesten auf das hinweisen, was Tachmasib begegnet ist. Sind wir uns einig?«

Alle schwiegen. Nur Jermakow bemerkte leise: »Leider ist die Meinung, dass der merkwürdige Vorfall mit Tachmasib ein Mythos ist, sehr verbreitet. Aber sein Tod ist doch kein Mythos ...«

»Der kann tausenderlei Ursachen haben«, sagte Dauge.

»Nicht ausgeschlossen. Daher ist es ebenso wenig ausgeschlossen, dass der ›rote Ring‹, was er auch zu bedeuten haben mag, wirklich existiert und die Ursache seines Todes war.«

»Kurz gesagt, es ist kein Befehl«, sagte Krajuchin. »Obwohl ich fürchte, dass sich das ›Rätsel Tachmasibs‹ von selbst bemerkbar machen wird, unabhängig davon, ob Sie daran glauben oder nicht ... Das ist alles, was ich Ihnen über die Aufgaben der Expedition mitzuteilen habe. Jetzt zu den laufenden Angelegenheiten. Sie wissen, dass wir morgen abfliegen. Treffpunkt hier um zwölf Uhr. Wir fahren zum Wnukowo-Flughafen ... Alexej Petrowitsch!«

»Ja!« Bykow sprang auf.

»Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen. Wo übernachten Sie? Im ›Praha‹?«

»Bei mir«, sagte Dauge rasch.

»Ausgezeichnet! Also dann, Genossen, wenn niemand mehr Fragen hat, können Sie sich reisefertig machen. Sie, Anatoli Borissowitsch, bitte ich noch fünf Minuten hierzubleiben.«

Alle standen auf und verabschiedeten sich. Im Empfangszimmer hakte sich Dauge bei Bykow ein.

»Geh runter, Alexej, und warte in der Vorhalle auf mich, ich will nur schnell meinen Wagen holen. Wir werden uns einen gemütlichen Abend machen. Ich glaube, wir haben uns viel zu erzählen, stimmt’s?«

»Was bist du bloß für ein scharfsinniger Mensch, Johannytsch«, brummte Bykow.

An der Schwelle

Bykow warf die Decke beiseite und setzte sich auf. Sosehr er sich auch Mühe gab, er konnte nicht einschlafen. Im Zimmer war es dunkel, nur die auf den Fußboden gerutschten Betttücher schimmerten matt. Hinter den breiten Fenstern leuchtete der nächtliche Himmel vom Widerschein des Moskauer Lichtermeeres.

Bykow streckte die Hand nach seiner Armbanduhr aus, die vor ihm auf einem Stuhl lag. Die Uhr entglitt ihm und fiel auf den Fußboden. Bykow bückte sich und tastete suchend über den Läufer. Die Uhr war nicht zu finden. Fluchend stand er von der Couch auf und begann die Betttücher zu ordnen. Er tat es bereits zum dritten Mal, nachdem Dauge ihm gute Nacht gewünscht und sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen hatte, um – wie er sagte – noch einige Briefe zu schreiben. Bykow hatte sich hingelegt, doch der Schlaf floh ihn. Er wälzte sich hin und her, seufzte, versuchte eine bequemere Lage zu finden, zählte bis hundert. Es nutzte nichts.

Zu viele Eindrücke, dachte er, während er sich wieder auf die Couch setzte. Ich denke zu viel. Dauge hat mir manches erklärt, doch das meiste ist mir unklar geblieben. Schön wäre es, jetzt eine Zigarette zu rauchen. Aber nein, ich darf nicht: Ich muss mir das Rauchen und das Trinken von Alkohol abgewöhnen ... Am Abend hatte Johannytsch die Andeutung Bykows, in seinem Koffer warte auf sie beide eine Flasche ausgezeichneten armenischen Kognaks, ohne jeden Enthusiasmus aufgenommen und völlig gleichgültig gefragt: »Lagerung mindestens fünfzehn Jahre?«

»Zwanzig!«, trumpfte Bykow auf. »Na, dann schmeiß ihn doch raus!«, schlug Dauge vor. »Schmeiß ihn gleich in die Müllleitung oder gib ihn morgen jemandem. Und denke daran, dass du an Bord nicht rauchen darfst. So schreibt es die Dienstordnung vor. Auf der Erde – Traubenwein in kleinen Mengen, während der Fahrt – keinen Tropfen. So lautet die Satzung, Genosse Raumreisender.«

»Das reinste Kloster«, knurrte Bykow ärgerlich, während er sich bemühte, eine möglichst bequeme Lage unter der Decke zu finden. »Nichts als schlafen. Will’s noch mal versuchen.«

Er schloss die Augen, und sogleich erstand vor ihm die riesige leere Vorhalle, wo er nach der Besprechung auf Dauge gewartet hatte. Bogdan Spizyn und der dicke Krutikow waren an ihm vorbeigegangen und an den Bücherstand getreten. Soviel er verstehen konnte, sprachen sie über irgendein neu erschienenes Buch. Genauer gesagt, Spizyn schwieg mit einem einnehmenden Lächeln um den Mund, während Krutikow mit seiner hohen Tenorstimme unentwegt weiterredete und dabei dem Neuling Bykow die freundlichsten und wohlwollendsten Blicke zuwarf. Dieser merkte, dass sie ihn gern ins Gespräch gezogen hätten, doch da tauchten Dauge und Jurkowski auf. Dauge näherte sich ungestümen Schrittes, seine Lippen waren fest zusammengekniffen. Jurkowskis Wangenmuskeln zuckten vor Erregung; in der Hand hielt er eine zerknitterte Zeitung.

»Dangée ist umgekommen«, sagte Jurkowski, als er die Gefährten erreicht hatte.

Bykow sah, wie das Lächeln in Spizyns Gesicht augenblicklich erstarb.

»Verflucht!«, murmelte er.

Krutikow schob den Oberkörper vor, seine Lippen bebten. »Mein Gott – Paul?!«

»Über dem Jupiter!«, sagte Jurkowski wütend. »Ist in der Exosphäre stecken geblieben, hat an Fahrt verloren und wollte nicht umkehren.«

Er hielt den Kameraden die Zeitung hin. Bykows Blick fiel auf ein schwarzumrandetes Porträt – ein schlanker junger Mann mit schwermütigen Augen.

»Jupiter ... wieder der verfluchte Jupp!« Jurkowski ballte die Fäuste. »Schlimmer als die Venus! Schlimmer als alles auf der Welt!« Er wandte sich jäh um und ging mit langen Schritten davon.

»Paul Dangée, Paul ...«, wiederholte Krutikow und schüttelte kummervoll den Kopf.

»Und ich habe nicht mal auf seinen Brief geantwortet, bin einfach nicht dazu gekommen«, presste Dauge hervor.

Dann waren sie verstummt. Nur der Buchdeckel hatte in Michail Antonowitsch Krutikows Händen geknistert ...

Bykow öffnete die Augen und drehte sich auf den Rücken. Dieses Vorkommnis hatte einen Schatten auf den ganzen Abend geworfen. Eine gute Unterhaltung mit Johannytsch war nicht zustande gekommen. Diese Raumfahrer sind verdammt kühne Burschen, dachte Bykow. Und erstaunlich hartnäckig. Richtige Helden! Wie viele von ihnen sind auf der Venus umgekommen! In den klobigen Impulsraketen mit dem begrenzten Brennstoffvorrat sind sie zum Angriff vorgegangen. Niemand hat sie getrieben, man hat versucht, sie zurückzuhalten, und wer lebendig wiederkehrte, dem wollte man nicht erlauben, noch einmal zu fliegen.

Jetzt würde die Chius zum Sturm auf die Venus starten.

Die Photonenrakete Chius ... Wie jeder Ingenieur, der sich in der Kernphysik auskennt, war auch Bykow mit der Theorie des Photonenantriebs vertraut; interessiert verfolgte er alles Neue, was in der Presse darüber erschien. Der Photonenreaktor verwandelt den Treibstoff in Quanten elektromagnetischer Strahlung, die – als Antriebskraft verwendet – der Rakete fast Lichtgeschwindigkeit verleihen. Als Energiequelle für den Photonenantrieb können entweder thermonukleare Prozesse dienen (teilweise Umwandlung des Treibstoffs in Strahlung) oder Annihilationsprozesse von Antimaterie (vollständige Umwandlung des Treibstoffs in Strahlung). Die Vorzüge der Photonenrakete gegenüber der Atomrakete mit flüssigem Treibstoff sind gewaltig. Erstens: relativ niedriges Gewicht des Treibstoffs; zweitens: große Nutzlast; drittens: phantastisch hohe Manövrierfähigkeit; viertens ...

So lautete die Theorie. Doch Bykow wusste ebenso gut, dass bis vor Kurzem alle Versuche, die Idee des Photonenantriebs in die Praxis umzusetzen, gescheitert waren. Ein unlösbares Problem schien die Reflexion der Strahlung zu sein. Für die Erzeugung der Photonenschubkraft ist ein Strahlungsdruck von vielen Millionen Kilokalorien je Sekunde auf einen Quadratzentimeter der Reflektoroberfläche erforderlich, doch keiner der bekannten Stoffe hielt den dabei entstehenden Temperaturen von Hunderttausenden von Graden stand. Unbemannte Modelle verbrannten, ohne auch nur den hundertsten Teil des Treibstoffs verbraucht zu haben. Und nichtsdestoweniger war die Photonenrakete Chius gebaut worden!

»Man schuf einen idealen Spiegel«, hatte Dauge gesagt, »einen ›absoluten Reflektor‹! Eine Substanz, die alle Strahlenarten von beliebiger Intensität und alle Arten von Elementarteilchen mit Energien bis zu hundert und hundertfünfzig Millionen Elektronenvolt reflektiert. Außer dem Neutrino, glaube ich. Eine zauberhafte Substanz! Ihre Theorie hat ein Institut in Nowosibirsk ausgearbeitet. Freilich, dort dachte man nicht an die Photonenrakete. Man suchte nach einem Idealschutz vor den Strahlen, die aus Kernreaktoren dringen. Aber Krajuchin hat sofort erkannt, was sich daraus machen ließ.« Dauge lächelte. »Krajuchin ist ein Fanatiker der Photonenrakete. Der Aphorismus ›Die Photonenrakete bedeutet die Eroberung des Weltalls‹ stammt von ihm. Sogleich riss er den ›absoluten Reflektor‹ an sich, setzte zu seiner Herstellung zwei Drittel der Komiteelaboratorien ein, und das Ergebnis ist die Chius.«

Der »absolute Reflektor« war die erste reale Errungenschaft einer neuen, beinahe phantastischen Wissenschaft – der mesoatomaren Chemie, der Chemie der künstlichen Atome, deren Hüllenelektronen durch Mesonen ersetzt wurden. Das hatte Bykows Interesse so erregt, dass er vorübergehend alles vergaß – den unglücklichen Paul Dangée, die Venus, sogar die Expedition. Leider wusste Dauge nur wenig über den »absoluten Reflektor«, dafür konnte er aber viel Interessantes über die Chius berichten.

Die Chius war ein kombiniertes Raumschiff: Fünf gewöhnliche Atomimpulsraketen trugen einen Parabolspiegel, den »absoluten Reflektor«, in dessen Brennpunkt genau dosierte Mengen Tritiumplasma mit bestimmter Frequenz eingespritzt wurden. Die Atomraketen hatten zweierlei Bestimmung: Erstens gaben sie der Chius die Möglichkeit, auf der Erde zu starten und zu landen; der Photonenantrieb eignete sich dazu nicht, er hätte die Atmosphäre vergiftet, wie eine Explosion Dutzender von Wasserstoffbomben. Zweitens speisten die Raketenreaktoren mächtige Elektromagneten, in deren Feld das Plasma gebremst wurde und eine thermonukleare Fusion entstand.

Sehr einfach und scharfsinnig. Fünf Raketen und ein Spiegel. Übrigens, die hässliche fünfbeinige Schildkröte, die Bykow in Krajuchins Arbeitszimmer gesehen hatte, war das Modell der Chius. Offen gesagt – eleganter Formen konnte sich das Photonenschiff nicht rühmen ...

Der Ingenieur setzte sich wieder auf und lehnte seinen Rücken gegen die kühle Wand.

»Wir starten mit der Photonenrakete Chius 2. Chius 1 ist vor zwei Jahren während eines Probefluges verbrannt«, hatte Dauge widerwillig gesagt. »Kein Mensch weiß, warum. Niemand ist da, den man danach fragen könnte. Der Einzige, der etwas Näheres darüber gewusst haben mag, der gute Aschot Petrosjan, ist zusammen mit der ganzen Masse legierten Titans, woraus die Chius 1 bestand, zu Atomstaub zerfallen. Ein leichter und ehrlicher Tod ...«

Wahrscheinlich fürchtet niemand von uns den Tod, dachte Bykow. Wir wollen ihn bloß nicht ... Wer hat das gesagt?

Er erhob sich von der Couch. Es würde ihm nicht gelingen einzuschlafen, das war klar. »Absoluter Reflektor«, Dangée, die Chius, Petrosjan ... Es blieb nur noch das letzte Mittel. Wenn man nicht schlafen konnte, musste man sich gehörig abkühlen.

Er trat auf den Balkon und tastete mechanisch in der Jackentasche nach der Zigarettenpackung. Dann lehnte er sich über die Brüstung. Stille herrschte ringsum, die riesige Stadt schlief in dem trügerischen Halbdunkel der Julinacht. In der Ferne leuchtete zart rosig der Horizont, im Norden stach wie ein Pfeil die blendend weiße Spitze auf dem Palast der Sowjets in den grauen Himmel.

Es muss schon mindestens zwei sein, dachte Bykow. Wo ist bloß meine Uhr geblieben? Erstaunlich warm! Und was für ein sanfter, lauer Wind ... Chius aber – so nennen die Sibirier den Wintersturm, den Nordwind. Die Photonenrakete wurde von sibirischen Ingenieuren projektiert, und sie waren es auch, die dieses Wort als Bezeichnung für das Projekt vorschlugen. Später ging die Bezeichnung auf die Rakete über.

Seltsame, ungewohnte Namen! Chius – als Inbegriff sibirischer Kälte, »Urangolkonda« – anscheinend nach der alten Stadt, wo König Salomon einst seine Diamanten aufbewahrte ... Und dann noch – das »Rätsel Tachmasibs«.

Tachmasib Mechti, ein bekannter aserbaidshanischer Geologe, war der erste Mensch, der dem Atomvulkan Golkonda einen Besuch abstattete. Jermakow, Tachmasib und zwei weitere Geologen landeten mit einer eigens dazu ausgerüsteten Sportrakete auf der Venus. Es war ein gewaltiger Erfolg und ein glücklicher Zufall. Alle waren dieser Meinung, auch Jermakow selbst.

Sie landeten etwa zwanzig Kilometer von der Golkonda entfernt. Tachmasib ließ Jermakow in der Rakete zurück und ging mit seinen Geologen auf Erkundung aus. Nach vier Tagen kehrte er allein zurück, halbtot vor Durst, furchtbar ausgemergelt und über und über mit Strahlenwunden bedeckt. Er brachte Proben von Uran-, Radium- und Transuranerzen mit (»Die reichhaltigsten Erze, die es je gegeben hat, Alexej, wunderbare Erze!«, hatte Dauge gesagt) und in einem Behälter rötlich-grauen radioaktiven Staub. Der Ärmste war bereits halb wahnsinnig. Er hielt Jermakow den Behälter entgegen und redete rasch und eifrig etwas auf Aserbaidshanisch. Jermakow verstand Tachmasibs Muttersprache nicht und flehte den Geologen an, russisch zu sprechen, weil es sich offenbar um etwas sehr Wichtiges handelte. Aber Tachmasib sagte auf Russisch nur folgende Worte, wobei er wieder auf den Behälter zeigte: »Hütet euch vor dem Roten Ring, flieht vor dem Roten Ring!« Dann sprach er bis zu seinem Tode kein Wort mehr. Er starb beim Start, und Jermakow verbrachte fast zwei Wochen mit der Leiche in der Rakete.

Der Rote Ring – das war das Rätsel Tachmasibs, das Rätsel um den Tod dreier Geologen, das Rätsel der Golkonda. Vielleicht war es auch kein Rätsel. Vielleicht war Tachmasib, wie viele annahmen, von der Strahlenkrankheit oder vom Anblick der Todesqualen seiner Kameraden wahnsinnig geworden. Das rötlich-graue Pulver im Behälter erwies sich als eine komplizierte siliziumorganische Verbindung – auf der Erde übrigens schon seit Langem bekannt.

Weshalb Tachmasib diesen Behälter bis zum Raumschiff mitgeschleppt hatte, war unergründlich. Und unergründlich war auch, was der »rote Ring« damit zu tun hatte ...

Dauge erzählte davon mit raschen, sich überstürzenden Worten und verzog immer wieder das Gesicht, als habe er Sodbrennen. Er glaubte nicht an das »Rätsel Tachmasibs«. Dafür hätte er stundenlang über den Reichtum der Golkonda reden können. Wenn es ihm nur gelänge, dorthin zu kommen, und müsste er auch auf allen vieren kriechen!

Bykow setzte sich seitwärts auf die Balkonbrüstung; das Zigarettenpäckchen drückte ihn, und er legte es neben sich. Mit leisem Surren zog ein kleiner Hubschrauber über das Haus hinweg. Bykow folgte mit den Augen den Positionslichtern – dem roten und dem gelben –, und wieder musste er an sein Gespräch mit Dauge denken.

Tachmasib und seine Kameraden sind zu Fuß zur Golkonda gegangen. Aber unsere Expedition nimmt einen Geländewagen mit. Dauge meint, die Maschine sei ausgezeichnet. Bei Johannytsch ist alles ausgezeichnet: die Chius, der Geländewagen, Jurkowski ... Nur über den Kommandanten hat er sich merkwürdigerweise zurückhaltend geäußert. Wie es sich herausstellt, ist Jermakow Krajuchins Pflegesohn. Einer der besten Kosmonauten der Welt, aber ein Sonderling. Freilich, er hat Schweres erlebt. Dauge hat irgendwie unbestimmt von ihm gesprochen.

»Persönlich kenne ich ihn fast gar nicht ... Man sagt ... man sagt, er sei sehr mutig, sehr klug und sehr grausam. Man sagt, dass er nie lacht ...«

Jermakows Frau war der erste Mensch, der den natürlichen Trabanten der Venus betrat. Und dort geschah irgendein Unglück. Niemand weiß darüber etwas Genaues – es soll zu einem Zusammenstoß zwischen den Besatzungsmitgliedern gekommen sein. Seither werden keine Frauen mehr auf interplanetare Fernflüge mitgenommen, und Jermakow widmet sich voll und ganz der Erstürmung der Venus. Vier seiner Versuche, auf dem Planeten zu landen, verliefen erfolglos. Das fünfte Mal flog er mit Tachmasib Mechti. Und jetzt begibt er sich mit der Chius zum sechsten Mal zur Venus.

Die Hände auf dem Rücken, durchmaß Bykow den Balkon. Nein, an eine Abkühlung war gar nicht zu denken. Es war warm, sogar schwül. Vielleicht sollte er sich doch eine Zigarette anstecken? Er spürte in sich die Überzeugung wachsen, dass eine Zigarette das beste und radikalste Mittel gegen Schlaflosigkeit sei. Seine Hand streckte sich nach der Packung aus.

Das beste Mittel, über eine Versuchung hinwegzukommen, ist, ihr nachzugeben. Er lächelte sarkastisch. Teufel noch mal! Die Satzung! ... Das Päckchen flog von der elften Etage in die Tiefe. Bykow beugte sich über die Brüstung und blickte in das Dunkel hinab. Plötzlich flammten unten die Lichtkegel zweier Autoscheinwerfer auf, glitten lautlos über den Asphalt und verschwanden.

Schade um die Zigaretten!, dachte Bykow ... Ach, ihr Schwächen und Sünden! Schlafen muss man ... Er trat ins Zimmer und gelangte tastend zur Couch. Etwas knirschte unter seinem Fuß. Arme Uhr!, dachte er, bemüht, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden.

Mit einem Seufzer ließ er sich auf die Schaumgummipolsterung fallen. Nein, heute wirst du nicht einschlafen können, Genosse Ingenieur und Wüstenspezialist! Warum hat dieser stutzerhafte Jurkowski nur so einen Rochus auf mich? Jetzt habe ich meinen Spitznamen weg: Wüstenspezialist! Und wie sich sein Gesicht veränderte, als er von Paul Dangée sprach! Ja, so einer leidet selbst vor dem Start nicht an Schlaflosigkeit. »Wir fürchten den Tod nicht, wir wollen ihn bloß nicht ...« Stimmt’s, Ingenieur? Und wenn nun auf einmal ein halbes Jahr später jemand in derselben Vorhalle die Neuigkeit verbreitet: »Haben Sie schon gehört, Genossen, die Chius ist verloren, Jermakow ist umgekommen, Jurkowski und dieser, wie heißt er doch gleich ... der Wüstenspezialist ...« Unsinn, Alexej! Das kommt alles von der Schlaflosigkeit und vom Nichtstun. Wenn es nur bald hell würde! Dann geht’s zum Siebenten Testgelände, auf den Raketenflugplatz im hohen Norden, wo sich die Expedition zum Start vorbereiten und auf die Chius warten soll, die jetzt ihre Probefahrt absolviert. Heute muss ich um acht aufstehen, und ich kann nicht einschlafen, zum Kuckuck! Dauge schläft natürlich schon ...

Erst jetzt bemerkte Bykow, dass durch die spaltbreit geöffnete Tür zum Schlafzimmer ein schwacher Lichtschein an die Wand fiel. Er stand auf, schlich sich auf Zehenspitzen zur Tür und blickte durch den Spalt.

Am Tisch neben dem aufgedeckten Bett saß Dauge, den Kopf in die Hände gestützt. Der Tisch war fast leer, auf dem Fußboden stand ein riesiger praller Rucksack. Darauf lag ein Geologenhammer mit poliertem Stiel. Bykow räusperte sich verhalten.

»Komm herein«, sagte Dauge, ohne sich umzudrehen.

»Äh ...«, machte Bykow, völlig verwirrt. »Weißt du, ich habe ganz vergessen, zu fragen ...«

Dauge wandte sich um. »Komm doch herein ... Nimm Platz. Na, was hast du vergessen zu fragen?«