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Die Lebenserinnerungen der „Zeitzeugin“ Erika Albrecht erzählen in berührender Weise eine Lebensgeschichte, die authentisch und mit erstaunlicher Detailtreue ein aufgewühltes und ereignisreiches Leben nachzeichnet. So erfährt der Leser nicht nur etwas über die Biografie der Autorin, sondern auch von den Wirren nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, den Nöten der Eltern in der Weltwirtschaftskrise sowie von den Demütigungen durch die Siegermächte. Im Bewusstsein des Wohlstandes der heutigen Zeit sollte der ungebeugte Wille zum Leben der Kriegsgeneration nicht vergessen werden! Dieses Buch schenkt dem Leser ein Stück bedeutender Zeitgeschichte.
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Seitenzahl: 247
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Erika Albrecht
Auch ich war einmal jung!
AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG
FRANKFURT A.M. • WEIMAR • LONDON • NEW YORK
Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.
©2013 FRANKFURTER LITERATURVERLAG FRANKFURT AM MAIN
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Medien- und Buchverlage
DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN
seit 1987
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Lektorat: Susann Harring
ISBN 978-3-8372-5140-1
Die Autoren des Verlags unterstützen den Bund Deutscher Schriftsteller e.V., der gemeinnützig neue Autoren bei der Verlagssuche berät. Wenn Sie sich als Leser an dieser Förderung beteiligen möchten, überweisen Sie bitte einen – auch gern geringen – Beitrag an die Volksbank Dreieich, Kto. 7305192, BLZ 505 922 00, mit dem Stichwort „Literatur fördern“. Die Autoren und der Verlag danken Ihnen dafür!
Inhaltsverzeichnis
Glückliche Kindheit
Veränderung
Bittere Zeiten
Wir haben die Hoffnung nicht verloren,sie ist nur leiser geworden.
Ungeahnte Schwierigkeiten
Ein Herz das schlägt,
will leben!
Wir haben den Mut für ein Leben zu zweit!
Die Hoffnung lässt uns mehr Verstandund Glück übrig als die Furcht.
Vertrauen auf die Kraft
für ein Leben allein!
Für meine Enkel
Sven-Frederik
Sebastian
Franziska
Ein Rückblick auf mein bewegtes, intensiv gelebtes Leben mit Höhen und Tiefen, mit Freude und Glück, mit Leid und Bitterkeit, das ich zu jeder Zeit aufrecht und mit offenem Blick angenommen habe.
Ich bin dankbar dafür!
Auch ich bin noch eine „Zeitzeugin“!
Ich habe das „1000-jährige Reich“, das „Nazi-Reich“, das „Hitler-Deutschland“ erlebt.
Ich war dabei!
Heute irritieren mich die anklagenden Emotionen, die „die Alten“ vorwurfsvoll fragen:
„Warum seid ihr dabei gewesen?
Warum habt ihr das mitgemacht?“
Wir waren damals jung, wir hatten Ideale, wir ließen uns beeinflussen, wir wollten mitmachen, alles sollte besser werden! Wir waren keine Ausgeflippten! Wir wollten in der Gemeinschaft aufbauen, nicht zerstören!
Wer das heute nicht glaubt, ist wie wir, beeinflusst, denn alle
Überlieferungen sind manipulierbar. Als wir imstande waren zu begreifen, waren wir längst schon Opfer geworden.
Unsere ehrlichen Absichten, unsere Begeisterung wurden zertreten von den Stiefeln, die wir so blank geputzt hatten.
Was wussten wir schon?
Wir ließen uns mitreißen, wir waren dabei.
Sonntag!
Dieser Tag hat für mich eine andere Bedeutung bekommen.
Länger schon.
Ich bin am ersten Tag der Woche oder am siebenten Tag ebenso allein wie an allen anderen Tagen auch.
Gerade marschierte ich, wie jeden Tag und schon seit Wochen, bei Regen und Wind durch Felder, Wiesen und Wald.
Der Schirm machte Mühe, ihn zu halten, und die Füße wussten kaum noch, den tiefen Pfützen auszuweichen. Keine Menschenseele unterwegs!
Nur von der Brücke herunter ein „Hallo“, vom Wind fast verschluckt.
„Bobby-Vater“, der ist auch jeden Tag draußen mit seinem kleinen Jack Russel-Terrier.
„Hallo“, das war das einzige Wort, das ich seit Stunden hörte und sagte.
In der Frühe kam der Herr mit dem jungen Schäferhund am Haus vorbei. Er winkte zum Fenster herein und ich beeilte mich hinaus zu laufen, um den kleinen Berry zu streicheln.
„Kommen Sie schon vom Morgenspaziergang zurück?“
„Ja, bei dem Wetter weiß man nicht, wo man noch gehen soll.“
Berry freut sich, wedelt mit dem Schwanz, weil ich sein nasses Fell tätschele, und will gleich spielen. Die scharfen Baby-Zähnchen spürt man unangenehm, aber das weiß der junge Hund nicht.
„Groß ist er schon, ein hübscher Kerl!“
Herr und Hund gehen weiter.
„Einen Gruß zu Hause“, sage ich. Das war‘s.
Ein paar Telefonate versuchte ich, aber nur einer war erfolgreich: Sylvia.
Eine beruhigende Auskunft, Gott sei Dank!
Die Operation ist überstanden und das Befinden der Tochter zufriedenstellend.
Ein Glück!
Es wäre unvorstellbar, wenn die junge Frau nicht mehr auf die Beine käme.
Ich denke über die Problematik eines künstlichen Darmausgangs nach. Wie könnte ein junger Mensch mit 40 Jahren damit zurechtkommen?
Zum Glück kann jetzt alles gut werden.
Was werde ich heute tun?
Lernen, ein bisschen wenigstens. Seit ich mich dazu entschlossen habe, mein Englisch aufzufrischen, mit Energie und System, jeden Tag ein, zwei Stunden, macht es mir sogar Spaß. Und ein wenig Spanisch auch noch.
55 Jahre nach dem Abitur!
Man glaubt gar nicht, was da alles wieder ins Gedächtnis zurückkommt. Das bringt Abwechslung und drängt das Alleinsein in den Hintergrund und das Verlassensein, das sich an so grauen Tagen in die Seele einzugraben versucht.
Ich muss mich dagegen wehren mit aller Gewalt.
Ein halbes Jahr ist es nun schon her, dass mein treues Hundchen nicht mehr bei mir ist. Fridolin, der kleine schwarze Mischling. Fast 17 Jahre ist er alt geworden. Immer war er für mich da. Unzertrennlich waren wir. Überall war er dabei, auf allen Reisen, schlief natürlich mit mir im Bett, saß morgens und abends neben der Dusche im Bad, wich nicht von meiner Seite, treu und anhänglich.
Sein hohes Alter nahm ihm die Sehkraft, Rheuma und Gliederschmerzen machten ihn zu einem knurrigen Brummbär, den ich kaum noch 2 Stunden allein lassen konnte, und das Autofahren wurde immer beschwerlicher. Schließlich konnte er keine Treppe mehr überwinden.
Das war das Ende!
Im Garten liegt er begraben, bei seinen Vorgängern.
Und ich wusste, nun bin ich ganz allein!
Ich habe mir Tee gemacht, Früchtetee. Der duftet und vermittelt ein Wohlgefühl. Es stürmt draußen, die Haselkätzchen werden hin und her geschüttelt. Aber der Frühling scheint noch endlos weit fort zu sein. Der Garten sieht grau und trostlos aus. Die Schneeglöckchen scheinen zu frieren. Mein Herz friert auch, meine Seele zieht sich zusammen, als wolle sie nicht von der Einsamkeit erschreckt werden, und meine Gedanken erreichen ihr Ziel nicht, auch wenn ich sie zu lenken versuche.
Geduld!
Ich muss mich zwingen, Geduld zu lernen, Besonnenheit.
Warten können, habe ich das nicht in all den Jahren lernen müssen?
Leicht war es nicht, bei meinem Temperament. Aber ich versuchte es immer wieder und die Erinnerung half mir manchmal.Wie war das doch?
„Wenn auch die Freude eilig ist,
so geht doch vor ihr eine lange Hoffnung her,
und ihr folgt eine längere Erinnerung“ (Jean Paul)
Wie wahr!
Da fällt mir noch etwas ein, das ich gerade las: „Weine nicht, solange du Hoffnung hast, aber danach kannst du weinen.“
Um mein Hundchen habe ich sehr geweint. Sehr, aus tiefstem Herzen.
Er fehlt mir!
Glückliche Kindheit
Es ist noch immer Sonntag. Etwas länger werden die Tage schon, Ende Februar.
Wie oft war schon Ende Februar in meinem Leben?
Wo war ich jedes Mal, wenn wieder Ende Februar war?
Ich sollte mich erinnern.
Vielleicht kann ich diesen langen Weg, der nicht nur mit Rosen bedeckt, der manchmal auch steinig und unbequem war, der nicht immer eben und doch leuchtend voller Sonne in Gedanken vor mir liegt, nachzeichnen. Wenn mir das gelingt, könnte daraus die Lebensgeschichte eurer Großmutter werden.
Ich will es versuchen.
Ende Februar 1925.
Ja, Ende Februar war es, wenn ich rechnen kann, als meine Eltern, jungvermählt, weit ab von der geliebten Heimat Österreich, den Grundstein für eine Familie legten.
Eine kleine Stadt in Mitteldeutschland nahe Magdeburg, mit einer chemischen Fabrik, beheimatete jetzt den jungen Chemiker, den es nach dem Studium in Wien in die Wirtschaft gedrängt hatte. Für ihn war es Ausland, dieses Deutschland, aber für den Naturwissenschaftler ein Sprungbrett für den Beruf.
So weit nach Nordosten war auch die werdende Mutter noch nie zuvor gereist. Aber es gab unter den jungen Akademikern bald nette Freundschaften, sogar Österreicher waren unter ihnen.
Im Oktober, am 15., einem Donnerstag, kam ich auf die Welt.
Kugelrund, dunkelhaarig mit großen, braunen Kulleraugen, so hörte ich es aus allen Erzählungen. Winzig klein! Nur 49 cm lang.
Das sollte sich mein ganzes Leben lang nicht ändern. Winzig klein!
Aber das ganze Glück meiner Eltern und der übrigen Familie, die mich lange Zeit nur auf Fotos sehen konnten.
Eine Reise in die Heimat, „nach Hause“, war zu jener Zeit eine anstrengende, gefahrvolle Unternehmung und kostspielig dazu.
Selbst das Fotografieren war damals mit allerlei Umständen verbunden. Schnappschüsse konnte man mit den Glasplatten-Fotoapparaten nicht machen. Es gehörten zeitraubende Vorbereitungen dazu, bis sich unter dem schwarzen Tuch die Hand hob und der Ausruf „Achtung“ die Blitzlichtzündung ankündigte. Mein Vater betrieb mit großer Freude dieses Hobby. Eigens dafür hatte er in einem WC, das auf halber Treppe unseres Hauses existierte, eine Dunkelkammer eingerichtet, worin er seine Fotoplatten selbst entwickeln und abziehen konnte. Damals waren viele Häuser mit den Toiletten auf „halber Treppe“ ausgestattet. Eine deutliche Verbesserung gegenüber den hölzernen „Klo-Häuschen“ auf dem Hof.
In einem solchen Haus bewohnten wir die obere Etage mit Herrenzimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer mit eingebautem Bad, Diele, von der aus man in die Küche kam.
In meiner Erinnerung war diese recht groß.
Im Dachgeschoß des Hauses befand sich ein Mädchenzimmer, das als Gästezimmer genutzt wurde, da unsere Zugehfrau nur am Tage bei uns war. Ich erinnere mich an ein schrecklich dunkles Herrenzimmer mit großen dunkelblau-goldenen Rosen auf der Tapete und düsteren Übergardinen mit Fransen und Quasten. In dieses Zimmer ging ich selten.
Erst einmal lag ich in einem Korbbettchen mit zartem Himmel und war das Prinzesschen.
Der von Glück und Seligkeit, von Überschwang zeugende Brief meines Großvaters an meine Eltern beweist, dass meine Geburt ein ganz großes Ereignis gewesen sein muss!
Erika Pischof, Ekalein, das Mädi, wie mein Vater mich zärtlich nannte, wie wird dein Leben verlaufen?
Lange schon denke ich daran, meine Geschichte aufzuschreiben.
Die Geschichte eines Lebens, das gelebt worden ist mit Höhen und Tiefen, mit frohen und traurigen Erfahrungen, voller Hoffnungen, Enttäuschungen, Verzweiflungen und doch immer wieder voll Mut und Zuversicht.
So soll es nun geschehen.
Ich werde bemüht sein, Begebenheiten aus der Erinnerung niederzuschreiben, festzuhalten und aufleben zu lassen, und hoffe, dass es mir gelingen wird.
„Was ich Euch noch sagen wollte.“
Nun war sie also da, die winzig kleine Erika.
Das kleine Ekalein, das Mädi.
Innig geliebt, behütet und sorgsam betreut.
Mutter und Vater waren glücklich.
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