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Karl August Varnhagens bisher unveröffentlichtes Reisejournal Ein denkwürdiges Zeugnis der romantischen Kunstbegeisterung und politischen Opposition gegen die napoleonische Besatzungspolitik - aber auch der Liebessehnsucht eines jungen Mannes, der sich zwischen zwei Frauen lange nicht zu entscheiden vermochte. Als der Diplomat und Offizier, historische Schriftsteller und spätere Rahel-Gatte Karl August Varnhagen am Ende seiner medizinischen Ausbildung stand, trat er mit Nikolaus Harscher eine Reise an, die wie die Wanderungen im Bildungsroman zunächst wie ein Irrweg aussah. Von Berlin ging es mit der Kutsche nach Dresden, zur Besichtigung der Museen und Pflege künstlerischer Kontakte in ganzen drei Wochen, und danach teils zu Fuß nach Nürnberg, wo man sich der reichsstädtischen Vergangenheit zuwandte. Als die Freunde Anfang November 1808 in Tübingen eintrafen, war die Enttäuschung über die bescheidenen Verhältnisse von Stadt und Universität groß. Harscher reiste weiter, Varnhagen vergrub sich auf Kosten seiner ärztlichen Weiterbildung in literarische Studien und verfasste das hier erstmals veröffentlichte Reisejournal, in dessen Rundbriefen er engen Kontakt zu Freunden in Hamburg und Berlin hielt, auch zu den miteinander konkurrierenden Freundinnen Fanny Hertz und Rahel Levin.
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Seitenzahl: 306
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Karl August Varnhagen von Ense
Aufbruch nach Tübingen
Reiseblätter 1808
Herausgegeben von Peter Sprengel
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte
bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Wallstein Verlag, Göttingen 2024
www.wallstein-verlag.de
Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf
unter Verwendung der Zeichnung »Tübingen um 1790« von
Johann Christian Partzschefeld, (Inventarnummer 03294),
bereitgestellt vom Stadtmuseum Tübingen
ISBN (Print) 978-3-8353-5620-7
ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-8660-0
ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-8661-7
[Lieferung 1: 9 Blätter]
Gestern Abend gegen zehn Uhr erst haben wir Berlin verlassen. Ich hatte mich lange darauf gefreut, in der lezten Zeit recht ungeduldig darnach gesehnt, und war ganz entzückt durch die gefundene Gelegenheit Harscher seinem ungewissen Zögern entrückt zu sehen. Jezt da wir abfuhren, und unsre lieben Freunde,[1] recht wackre, ernste Gestalten in der halberhellten Straße da standen, nach der lezten Umarmung noch Lebewohl rufend, und dann, wie wir so im Dunkeln durch die weiten, freundlichen Straßen, die noch regen Linden[2] und die laute Friedrichsstraße hineilten, Licht in den meisten Häusern, die Gesellschaften eben recht beisammen, da wurde doch meine Fröhlichkeit von wehmütiger Angst durchbrochen. All die unzähligen Gänge, besonders die des lezten Sommers, die vielen späten Nächte, wo Berlin in seinen herrlichen Straßen frische Waldgerüche hegte, die wir froh einathmeten bei süßem, ernsten Gespräch; das wirrte sich schnell ineinander, und regte jedes, nicht verweilend, doch zu unruhigen Gefühlen die Seele mit seinem schnellwechselnden Eindrucke auf. Bald mußte sich dies verlieren in dem Gespräch, das sich zwischen unseren Gefährten, zweien Kurländern,[3] die nach Heidelberg gehen, und uns erhob. Die kleinen Interesse’s, die man in solchen Fällen an einander nimt, wenn man auf gutmütige Leute trifft, die zugleich auf einer wenigstens äußerlich hohen Stufe der Bildung stehn. Sie erzählten viel von ihrem Lande, dem uns ziemlich unbekannten Kurland, den dortigen Sitten, und von der Art des Bodens, und es kamen genug Dinge vor, die durch ihre Fremdheit ergözten, wie andere dadurch, daß man sie nicht in dem abgelegenen Lande gesucht hätte, z. B. manche Bekanntschaft mit literarischen Dingen und dgl. Unsre beiden Studenten sind übrigens recht neugierige Reisende, die im Passagier von Reichard[4] sorgfältig nachschlagen, und sich nicht gern eine Merkwürdigkeit abziehen lassen, die ihnen übrigens alle gleich dünken, und sie werden wohl die Dresdner Gallerie mit gleichem Gefühl betrachten, als eine hübsche Dorfkirche, die der Passagier anführt, nur daß jene mehr Einzelnes zu betrachten giebt. Ihr Sinn ist sonst grad und offen, und scheint bei beiden ziemlich in gleichem Grade entwickelt, nur daß der eine etwas älter, erfahrener, und phlegmatischer ist. – Das Schleppen im Sande ließ mich das Schlafen vorziehen, und fast die ganze Nacht lag ich in einem halben Schlummer, der mich nicht ganz abschloß von dem Bewußtsein meiner Lage, Gesellschaft, und den bisweiligen Worten derselben.
Morgens kamen wir nach Zossen, einem schändlichen Ort, aber mit einer neuen hübschen Kirche, an deren statt ich unchristlicher Reisende lieber ein Wirthhaus hätte, das leztere, das gar nicht taugte, hätte meinetwegen immerhin die Kirche sein mögen. Ich war damals in der besten Laune, und konnte durch mancherlei lokale Wize auch Harscher, der seine Krankheit wenig spürte, in ein behagliches Lachen bringen. Mein Humor ist einzig die Folge meiner größern innern Freiheit und Sicherheit, die sich äußerlich abbilden wollen, ich fühle darin eine Leichtigkeit und Anmut des Lebens, die mir vor einem halben Jahre noch durchaus fremd waren, und jezt die damals mir widrigen Vorfälle des gewöhnlichen Lebens zu scherzhaften Anschauungen oder zu unbedeutenden, kaum als störend bemerkten Übergängen umschaffen.
Von Zossen bis Baruth ist der ärgste Sandweg, von Baruth bis fast hieher, Dahme, ein artiges Städtchen, wo wir übernachten, nicht besser. Nur einmal erblickt man rechts einen blauen, langen See, der sich zwischen Gebüsch hinkrümmt, und mir die Augen herrlich erfrischte. Das Land ist arm und elend, kaum daß einmal von einem mit Mühe, die in Anschlag kommt, erstiegenen Hügel aus, eine kahle, wenig geschweifte Fläche einem nach solcher Öde noch wohlthun konnte, weil es doch etwas, und das einzige war. – Ich weiß nicht, wie so die Rede darauf kam, Harscher tadelte als übereilt und unsinnig die neuen Preußischen Einrichtungen wegen des Adels und der allgemeinen Konskription zum Militairdienst.[5] Mir fiel dieses schwer aufs Herz, um so mehr, da ich auch wieder an seine vernünftige Mißbilligung der spanischen Bewegungen[6] dachte, und an seine Meinung, daß die deutschen Völker nicht von der monarchischen Form der Regierung abweichen dürften. Genug es empörte mich sein Reden so, daß ich ihm die bittersten Dinge sagte, und eigentlich noch wenig that, indem ich deutlich fühlte, daß bei etwaiger Revoluzion, falls er einer Gegenparthei zustimmte, ich [unleserlich gemacht]. Mich ärgert bei ihm zumeist die unlautere Quelle dieser Ansichten. Ein produzirender Filosof kann fast nie mit seiner Einseitigkeit so aufbringen, eben weil die Liebenswürdigkeit des Produzirens so milde macht. Aber ein Mann wie Harscher, der ohne zu Schaffen sich lediglich dem Erkennen ergiebt, und so ganz ohne Begeisterung sein möchte, daß er meistens ohne dieselbe bleibt, sollte wenigstens eine lebendige Fülle reicher Lebens-Anschauungen im Hintergrunde haben, wie sie ihm gänzlich abgeht, nicht sowohl aus Mangel an Sinn, als aus Mangel an Kraft und einer eiteln Zurückgezogenheit, die leider mit seinem Kranksein zusammenstehn. Ihn ärgert jede kräftige, gesunde Anschauung, die nicht in seinem wissenschaftlichen Schulwesen auftritt, gleichsam als fühlte er, wie gefährlich jene diesem werden könne, das bei aller Weite doch noch eng, ach sehr eng ist, und da eilt er, vor allen Dingen nur das System aufzustellen und zu retten, so leise und fein freilich, wie es seinem aus[ge]zeichneten Talente gebührt. Hierin scheint mir auch Schleiermacher nicht rein, und geben sich bei beiden durch eine ungewöhnliche böse Heftigkeit, die weder ihnen sonst eigen noch sokratisch ist, diese unsichern Punkte zu erkennen. Wie anders ist dies alles bei Steffens![7] Dieser ist über die oben berührten Gegenstände ganz auf meiner Seite, der ich mich hierin der Natur näher fühle, als Harscher bei aller Gewalt des Studiums. Schleiermacher wäre wohl auch auf meiner Seite, und wenn nicht, so hat er und Marwiz,[8] den Harscher als Auktorität anführen wollte, so ungeheure Verirrungen in politischen Profezeihungen sich zu Schulden kommen lassen, und auch anderswo, wo es das wirkliche Staatsleben betrift (z. B. in den theologischen Gutachten, der Universität in Berlin etc.[9]) daß bei allem historischen Sinne, und aller Kenntniß der Historie das Urtheil von beiden federleicht in die Luft fliegt. Durch Harschers greuelhafte Vernünftigkeit könnte mir wieder die Vernunft, mir gerettet durch Schleiermachers Ansicht, so eklig werden, als sie mir vorher durch Friedrich Nicolai’s[10] Repräsentazion war. Ob er wohl durchkommt? Im Fall er krank bleibt, zweifle ich sehr, denn es nistet ein System gar tief in der frühen Jugend, und seinen großen, reichen Geist hat er ja recht gebraucht, um es zu schmücken, zu stüzen, zu erfüllen. So ungeheure Mühen und Studien mag man nicht umsonst gemacht haben, die Unfertigkeit selbst zu produziren steht dem Bewußtsein klar vor, und so bleibt das Gemüt, aber, wie Harschers, hin und her geängstigt, in seinen Schranken, die ein frisches, thätiges, und vor allem leichtes, unbefangenes Leben von selbst durchbräche. War doch im vorigen Winter, freilich durch das Entgegengesezte, durch das Maximum langwieriges Krankseins, in seinem Geiste los geworden, und alles wieder zweifelhaft, was die Filosofie festgestellt hatte, so daß er selber nicht wußte, was daraus wunderbares Neues entstehn würde; allein seine Gesundheit entschied sich nicht, so blieb auch sein innerer Zustand, Bücher, Freunde, und der Mangel an Kraft, den sein Körper hatte, ließen alles sich zum Alten kehren, ohne daß eine neue, originelle Darstellung der Filosofie, also ein Kunstwerk, aus ihm hervorgegangen wäre.
Unser Fuhrmann, ein lächerlicher, guter Kerl, der seine Pferde immer mit dem Worte »Hier!« antreibt, welches, weil es sich an alles anfügt, immerfort lustig zwischen den andern Reden eingeht, führt uns unglücklicherweise nicht den gewöhnlichen Postweg, der über Mittenwalde und Luckau geht, sondern hat ersteres durch Zossen, und lezteres durch Dahme vermieden. Ich wäre für mein Leben gern über jene Orte gereist. Nicht nur kommen beide in Tiecks Straußfedern sehr anmutig vor,[11] und ließe sich an Ort und Stelle die Stelle des Dichters mit eben solchem Entzücken goutiren, als auf dem klassischen Boden Roms eine horazische vom Kapitol und der Tiber. Dann aber noch vorzüglich ist Luckau interessant wegen einer Vorstadt, in welcher lauter Leineweber wohnen, mit denen folgendes sich zugetragen hat. Rahel Levin reisete vor einigen Jahren mit einem Bedienten nach Dresden, und kam bei schmuzigem Regenwetter Abends, wie es schon dunkel war, in dieser Vorstadt von Luckau an. Alle Häuser waren sehr hell, an den Fenstern hie und da ein Licht, während Männer und Frauen mit großem Eifer und vielem Geschrei durch den Regen auf der Straße gingen, nach dem entferntern Theil der Stadt, woher ein vielfacher Lermen, höhnendes Geschrei, Zischen und Gelächter schallte. Rahel gab erst ihrem Bedienten den Auftrag, sich bei den Vorübergehenden, die zum Theil mit Stocklaternen versehn waren, zu erkundigen, was das alles bedeute, aber vergebens, sie gingen alle, als ob sie gar nicht hörten, eilends vorüber. Inzwischen vermehrten sich die Lichter, das wundervolle Schreien und Ausätschen, und Rahel legte sich selber zum Kutschenschlag hinaus, und rief die Vorübergehenden an, um wenigstens zu erfragen, wo sie fahren könnte. Endlich kam einer heran mit einer Laterne, und erzählte, gleichsam aus Mitleid für die Fremde, in seinem singenden sächsischen Dialekt eilig, hier habe ein armer Leineweber gewohnt, der seine Frau und fünf Kinder nicht mehr ernähren gekonnt, und sich daher endlich aus Verzweiflung den Hals abgeschnitten habe. »Der wird nun begraben, sezte er hinzu, und weil er doch ein Selbstmörder ist, so wollen wir ihm eine Schand’ anthun.« Damit eilte er fort und half der Leiche eine Schand’ anthun. – Ich möchte kaum, daß Rahel dieses läse, ich habe schlecht wiedererzählt, und gewiß viele individuelle Züge vergessen, aber es ist schwer, ihr etwas nachzuerzählen, das nicht verlöre in jedem fremden Mund.
Wir sizen in einer schlechten Schenke, in Lichtensee, einem Dorfe zwischen Cosdorf und Großenhain, wo wir durch die Schuld unseres Fuhrmanns, der die Wege nicht weiß, und täglich etwas umfährt, und durch die Schuld der Regendunkelheit, die das Weiterfahren unsicher macht, die Nacht bleiben müssen. Harscher ist sehr munter, der Regen hat ihn etwas getroffen, aber hoffentlich ohne ihm zu schaden, er befindet sich wohl durch die Reise, und zeigt mehr seine ursprüngliche Leichtigkeit im Leben. Uns amüsiert sehr das sächsische Singen, das wir nun überall hören, und neben dem kurländischen Singen unserer Gefährten, das lächerlichste Gewirre macht. Beide sind einander entgegengesezt, Harscher war gleich frisch dahinter her, und hat die Unterscheidungsmerkmale schon weg, ich weiß noch nicht recht, wie sichs verhält, aber ich höre es vortreflich. Mit den sächsischen Wirthsleuten sing ich aufs Beste, und ohne zu lachen. Die Leute sind überaus höflich und freundlich, was gegen die Preußen äußerst absticht, vor deren verdrießlicher Gleichgültigkeit ich immer wahre Furcht habe. So dumme Bauern, wie ich in der Mark oft gefunden habe, die einen weder verstehn, noch einen Weg zu zeigen im Stande sind, scheint es hier nicht zu geben. Das Land schwingt sich sachte auf, ist aber im Ganzen für den Anblick nicht sehr verändert. Ein Paar Hügel sahen wir doch am Horizont blau schimmern, und Birken ersezten die Tannen, die früher alles Gehölz ausmachten, auch einige helle Bäche erinnerten an südlicheren Boden. Die Wege waren großenteils vortreflich, von Dahme auf Herzberg noch etwas sandig, von lezterm Ort an aber bis hieher besser als Chaussee. In Herzberg trafen wir mit dem Russischen Kaiser[12] zusammen. Er reiste nach Leipzig, begleitet von sächsischen Dragonern und französischen Husaren, welche leztere sehr vortheilhaft sich an militairischer Haltung auszeichneten, obgleich sie gegen die Sachsen genommen sehr schlecht zu Pferde saßen, aber eben wenn diese Reiter waren, so waren jene Soldaten. Von dem Kaiser ist wahrhaftig nichts mehr zu sagen. Desto mehr von den Bürgern, die vor dem Rathhause paradirten, in grünen Röcken und weißen Strümpfen, mit Grenadiermüzen und ungeheuern Kokarden, die Offiziere waren noch uneins, zu welchem Zeitpunkt presentirt werden sollte, als schon der Kaiser vor ihnen fuhr, und zerrten sich und gestikulirten aufs heftigste, ohne zu sprechen, denn sie wollten es den Kaiser nicht merken lassen! Die drei Musikanten bliesen, einige Fahnen wurden geschwungen, und da war der Herr fort, und die Bürger standen in Reih und Glied, und sperrten die Mäuler auf, die Augen nach dem Wagen gerichtet.
Von hieraus bekamen wir rechten Regen, der die ganze Nacht fortdauerte; ungeachtet des guten Weges mußten wir die Nacht in diesem Dorfe bleiben, wo wir auf schlechter Streu nach einem schlechten Abendbrod schlecht geschlafen haben. Unser Humor war ziemlich verdorben, einige Zeilen zu schreiben war mir ein großes Erweckungsmittel, aus Mangel an Licht mußte ich aber früh aufhören, und mich auf das Stroh niederstrecken. Wenn man sich nur in einige Gemeinheit finden könnte, so ginge das alles an, und man fände manches Fünkchen Leben in diesen Verhältnissen, das in der ganzen Reihe der Lebensarten eine weite Stelle einnimmt, und viele Individuazionen darstellt, die uns leicht entgehen, wenn sie nicht früher ein Dichter uns zugänglich gemacht hat. Für diesen sind die gemeinen, armen, schlechten Leute ein unergründliches Studium, sie geben in ihrer ganzen Masse, durch die ungeheure Vielheit der Glieder, eine ebenso reiche Ausbeute, als die größten Genies und Talente, Helden und Künstler, der dichterischen Betrachtung nur immer geben mögen. Shakspear giebt beiden ihr Recht, Fallstaff giebt dem Heinrich,[13] Hans Cade[14] dem Heißsporn[15] als Lebensgestalt nichts nach. Indessen mir sind diese Naturen schwer, nicht zu verstehen, dazu interessiren sie mich zu sehr, sondern zu ertragen in der Nähe, weil ihre Existenz fast immer im Schmuz und Gestank ist. Drum thu ich lieber auf sie Verzicht, und begnüge mich am Hörensagen von ihrer Armseligkeit, ihrer jedesmal anders gearteten Beschränkung, und ihrem unvernünftigen Gebrauch der Sprache, wenn sie irgend eine allgemeinere Ansicht an den Tag legen wollen. Wie froh, wie unendlich froh bin ich, von hier wegzufahren, wo ein Frühstück zu nehmen mich anekelt!
Heute Morgen fuhren wir früh aus, es war kalt, und regnete unaufhörlich, da nur zwei im Grunde der Chaise sizen konnten, so wurden immer zwei ganz naß, doch ging es die erste Zeit noch ziemlich gut, da unsere Mäntel viel abhielten, nach und nach wurden aber auch diese durchweicht. Glücklicherweise hatte Harscher den ganzen vorigen Tag den Rücksiz behalten, und konnte daher mit allem Recht hinten sizen bleiben, welches mir seinetwegen ungemein lieb war, denn obgleich er sich seit der Reise ganz vortreflich befindet, und sein Gesicht sogar mit Röthe sich unterzieht,[16] so fürchte ich doch sehr für seine Konstituzion die nasse Kälte. Gerade in solchem Wetter wird man oft, durch den Gegensaz, recht aufgeregt, und führt erwärmende Gespräche voll Munterkeit. Harscher war überaus liebenswürdig, was er immer ist, wenn feine Worte aus mildem Gesicht kommen, das er aber nur zu leicht mit feindseliger Kälte zur Eisrinde macht, die weder von Sonnenschein merklich zerschmelzt wird, noch von Eisen tief genug durchhauen werden kann. Sehr schön sprach er über Deutschland, und seine Verfassung, die durchaus eine föderative sein müsse, indem wir zu einig wären, um Fremde zu sein, und zu uneins und verschieden um Ein ungetheiltes Reich zu bilden. Wir müssen zusammengehören, und nicht, mit einem von beiden ist uns nicht gedient. Die verschiedensten Verfassungen in Eins verbunden. »Eine Schweiz im Großen« sagte ich, welchem Harscher beistimmte. Auch gab er gern zu, daß die deutsche Nazion, wo ihre Verfassung monarchisch sei, doch nicht einen suveränen Regenten vertrage, sondern die Stände sich heraufarbeiten müßten, um an der Regierung wenigstens mittelbar Theil zu nehmen. Viele gute Worte dieser Art wurden gewechselt, und unsere Kurländer zeigten guten Sinn, sie schienen wenigstens angeflogen von einer Art Begeisterung für Deutschlands Zukunft. Recht artig, daß sie eben so Russen sind wie ich ein Franzose jezt, nämlich Deutsche beiderseits. Harscher sprach sehr gut und treffend, derselbe Mensch, der vor einigen Tagen Dinge aus derselben Sfäre vorbrachte, die mir entschiedene Unsinnigkeiten sind, und damals durch die übermächtige Weise und die scharfe Kälte, womit er sie sagte, noch zu wahren Einschnitten ins Herz wurden. Seine Feinheit im Sehen und Darstellen der Dinge ist bewundernswürdig, nicht großes allein, sondern unaufhörlich auch artiges und niedliches, wohlgefühltes spricht er, und meist Dinge, die ganz ihm gehören, denn ihm wachsen immerfort neue Gedankenblüthen auf dem reichen Boden. Wenn ich dieß betrachte, muß ich mir oft vorwerfen, zu schnell und unerforscht diese feine Natur zu tadeln, man könnte doch nicht wissen, wie es eigentlich in ihr begründet ist, was ich verwerfen möchte. Aber er selber hat erst heute mich darüber ruhig gemacht, indem er sagte, wie vieles ihm weniger am Herzen liege von seinen Ansichten, so daß er es anhören könne, wie man sie schelte, ohne sich gedrungen zu fühlen sie zu vertheidigen; wie aber doch einiges aus seiner Wissenschaft ihm wie Heimat und Vaterland wäre, wie Glaubensartikel, wo er keine Art Angriff zugeben dürfe. Gilt mir doch das gleiche von meinen Gefühlen, unter denen mir die Liebe zur Demokratie und für republikanische Verfassung eines der eingewurzeltesten ist. Die Kurländer, die im Sinne haben, ihre ausheimischen Jahre recht zu benuzen, und auszusaugen an Nuzen, damit sie den alle mit nach Kurland schleppen können, die unfruchtbaren Seelen zu düngen, fragten Harscher vieles von der Schweiz, die sie noch zu sehen hofften, und er erzählte vielerlei, lebhaft, anschaulich, freudig seines Volks und Landes, wobei er sich sehr zu mir wandte und auf unsere oft besprochenen Vorsäze und Hofnungen zu Fußreisen hinblickte.
Unterdessen waren wir durch anmutige Gegend bis nach Großenhain gekommen, ein Ort, der uns durch seine hübsche Enge und sein wohlhabendes, gebildetes Aussehen sehr überraschte. Die Stadt hat eine große, schöne Kirche, die Berlin Ehre machte, ein tüchtiges Rathhaus, breite Straßen, und meist wohlgebaute Häuser. Auch fanden wir ein vortrefliches Wirthshaus, eine artige Wirthin, ordentliche Bedienung, alles hatte seine Art und Schicklichkeit, es war ordentlich, als wenn man jezt erst wieder zu Menschen käme. Die Sachsen gefallen mir sehr gut. Dieser kernhafte Volksstamm [unleserlich gemacht] ist jezt neben den Rheinländern gewiß der höflichste und wohlgezogenste unter allen deutschen. Es fehlt ihnen gar nicht an Verstand und Gewandtheit, nur sind beide in eine ziemlich enge Sfäre beschränkt, und ihre Bildung fixirt, wodurch sie den Franzosen etwas ähnlich werden; Gellert, Rabener, Weiße[17] sind rechte sächsische Nazionalschriftsteller, und in Adelung[18] hat sich ihre Fixirung recht herausgethan. Das Volk mag ziemlich unvermischt geblieben sein, sie litten die Wenden und Slawen weniger unter sich als andere Deutsche sie gelitten, die in Mecklenburg, Pommern u. a. näher mit ihnen zusammen lebten. Der sächsische Dialekt ist arm gegen den hessischen und schwäbischen, aber die auf ihn zumeist gebaute neuere Büchersprache geschulter, aus den beiden anderen aufzunehmen, als eine auf einen von diesen gebaute gewesen wäre. Die oberdeutsche prosaische Schriftsprache, die des Simplicissimus,[19] des Filander von Sittewald,[20] diese auch die im Buche der Liebe[21] herrscht, die wohl zumeist aus dem schwäbischen erwachsen ist (wie denn z. B. im unvergleichlichen Filander hie und da der Übergang aus der schwäbischen Poesie zu sehn ist) ließe sich jezt, ohne daß man unerhörte Kühnheit besäße, fast ganz mit ihren schöngefügten Wendungen und inhaltvollen Wortformen in unsere jezige Schriftsprache herüberziehen. – Das Singen gibt uns noch immer viel zu lachen, ich rede gar gern so, und finde es bei den Weibern gar nicht so unangenehm, wie Harscher, dem es bei Männern mit Recht ein Greuel ist, auch noch bei jenen es findet. In einem einzigen »Ja« bringen sie eine ordentliche Leiter an, die wenn sie nun vollends »Cha« aussprechen, nicht besser ist, als wenn man darauf zum Galgen steigen sollte. Für Ai sagen sie A mit einem Jota subskriptum,[22] wenn man will, z. B. Getrąde, Kąser, Großenhąn u. s. w. wogegen unsere Kurländer Getreide, Weizen u. s. w. lesen und schreiben. Doch alles, was dahin gehört, überlasse ich besser an Harscher, der mit eigenem Scharfsinn und sicherem Erfolg in die unermeßliche Sprachnatur eindringt, und die feinsten Dinge entdeckt, die, wenn er sie zeigt, nun jeder sehn kann, vorher aber niemand bemerkt hat. Man könnte wie ein Botaniker herumreisen, und die ungeheuer verbreiteten Wortgeschlechter nach Art und Gattung beschreiben, dieselbe Pflanze unter anderem Klima suchen aufzufinden, um eine große Naturhistorie der Sprache zu liefern. Einem solchen Forscher wäre Harschers Sinn und Treue mit Vossens[23] Gelehrsamkeit zu wünschen, und diesem würde unmöglich sein, jemals ein so ekelhaftes Zeug zu liefern, wie Wilh. Schlegel in dem Prometheus über die deutschen Mundarten geschrieben hat.[24] – Die Leute scheinen doch zu merken, daß ich ihnen nachspreche, um sie zu verhöhnen, ich muß es noch sehr schlecht können, oder es geschieht auch wohl, weil Harscher immer lacht. Darüber ärgern sie sich eben nicht sehr, scheinen aber sonst sehr leicht zu ärgern, besonders durch Schimpfworte, die an einem Brandenburger noch glatt abglitschen. Bei Halle kriegten wir einmal in einem Dorfe nichts, weil ein Student, der mit uns war, im Wirthshaus gefragt hatte, ob hier die Kneipe sei. Hier müßte das noch besser gewirkt haben; auch kann man in den kleinen Städten fragen, ob der Ort eine Stadt, oder ein Dorf sei, da ärgern sich die Bürger entsezlich, und was dergleichen alte, aber in der Anwendung stets neue, Wize mehr sind, für deren Niederlage[25] die preußischen Schirrmeister gelten können.
Es regnete immerfort, in kleinen Tropfen, die am Ende aber durchdrangen. Der Weg war aber vortreflich, und so fuhren wir ziemlich rasch durch Felder, die zur Wintersaat umgepflügt worden waren, durch Waldparthieen, in denen Nadelholz mit anderen Baumarten gemischt standen, und die wieder durch Felder und durch Viehweiden unterbrochen wurden, durch große wohlgebaute Dörfer, die von Gärten, Bäumen und anderen Anlagen umgeben, die Anschauung einer bessern Cultur des Bodens und eines umsichtigern Sinns der Bewohner erweckten, wie beides im südlichen Deutschland gefunden wird. Der Boden macht immer mehr Schwingungen, es gibt schon ziemliche Hügel zu sehen und ordentliche Thäler, überall Bäume, Gesträuch, Gras, die den Boden bekleiden. Einige Felsen, von denen man Steine bricht, kommen einem, der so lange nichts der Art gesehen, ungeachtet ihrer Kleinheit, doch bedeutend vor. Endlich nachdem man auf der Höhe einen Wald zurückgelegt hat, öffnet sich nun mit einmal das schöne Thal, aus dem Dresden mit seinen Thürmen hervorsteigt. Rings umher sieht man Hügel, von denen die nächsten grün bekräutert erschienen, die entfernteren aber durch den Nebel des Regens undeutlich wurden, und größer und entfernter schienen, als sie wirklich waren. Viele Dörfer liegen in der feuchtreichen Ebene, und schmiegen sich an den Fuß der Berge. Wie schön muß der Anblick bei heiterm Wetter sein! wir hatten das ungünstigste von der Welt.
Der Eindruck, den mir Dresden machte, war der angenehmste von der Welt. Die vielen Prachtgebäude, aber in engen Straßen und nicht recht auseinander gewirrt, die modern und fest gebauten aber hohen Häuser, der Fluß, aber mit einer Brücke, die dem Bilde der Schifffahrt zuwider ist, die Eleganz aber dabei mit großer Betriebsamkeit ließen mich an eine Vereinigung Hamburgs und Berlins denken, der beiden Orte, wo ich am meisten erfahren, am längsten gewohnt, und an die sich fast alle meine Freuden und Schmerzen in der Erinnerung angeschlossen haben. Wie ich in Berlin fast immer Hamburg, in Hamburg wieder einen Theil Berlins ungern mißte, so ist mir nun hier der Aufenthalt beruhigter, indem mich die Elemente von beiden liebreich ansprechen. Ich habe mich heute fast ganz in Hamburg geglaubt, vorzüglich durch die belebte Straße verführt, in der ich gar teuer wohne,[26] dann durch die geschäftigen Leute, das gute Essen und Trinken, das laute Schlagen der Glockenuhren! Wie rührend haben mich die Bilder jener schönen Vergangenheit umwogt, in die ich fast nie ohne Thränen denken kann, und kaum dadurch bin ich für ihr Dahinsein getröstet, daß ich sie aufraffe, und neubelebend, von blühender Hofnung beflügelt, in eine schönere Zukunft sie verseze. Nichts anderes kann mir jemals diese heilige Innigkeit geben, als das Hineinschauen in jene Zeit, und die ihr entsprossenen Verhältnisse, an welche die zartesten Freundschaftsgefühle sich willig anschließen, und verherrlichend um die hohe Säule als kleinere Säulen eine schöne Halle bilden. Mich freut es von Tage zu Tage mehr, nach jener Stadt zurückzukehren, an deren Steinen selbst meine wildesten Tage mitwissende Zeugen und Freunde ihrer vielen Schmerzen und mannigfachen süßen Freuden haben. Wie ich dort am glücklichsten leben könnte, so würde aber auch dort mir der fürchterlichste Aufenthalt sein, wenn irgend eine Umwälzung mich aus jenen Andenken herausreißen wollte.
Vergebens habe ich mich heute nach den Herausgebern des Föbus umgethan, oder wie wir sie in Berlin scherzweise nannten,[27] nach den Föbusrittern. Adam Müller,[28] der vor einigen Tagen Hofrath geworden ist, und dafür schon unter uns beiden nach dem Zerbino der Hofrath heißt,[29] war nicht zu Hause; an ihm ist mir weniger gelegen, als an Heinrich von Kleist, der zwar auch etwas toll, aber doch nicht feig und augendienerisch, wie jener, sondern vielmehr ein sehr guthmütiger, lieber Mann, von nicht geringem Talent, das nur durch Müllers tolle Leitung leiden muß. Die Novelle von der Marquise,[30] die in der Zeitung ihre Schwangerschaft bekannt macht, und den unbekannten Vater auffordert sich einzufinden ist in der That sehr gut geschrieben, und mit großer Schicklichkeit; nur nicht, wie ich schon früher sagte, nicht mit der Bildung eines Dichters, sondern mit der eines Weltmanns. Diesen habe ich auf seinem Zimmer, das wieder den Dichter herauskehrte, denn es sah sehr übel und schlecht ausgestattet aus, wohl eine halbe Stunde vergebens erwartet.
Nachmittags haben wir die Bildergallerie im Fluge besehn. Der Erklärer[31] war von der Art, daß ich das Ende kaum erwarten konnte. Jezt können wir hingehen, wann wir wollen, und nach unserer Auswahl mit Muße jedes betrachten. Der Maler Meier aus Rathenau,[32] ein braver, geistreicher junger Mann, der an seiner Kunst fast zu Grunde geht, weil er sich bewußt ist, mit dem redlichsten Eifer und reichsten Sinn es zu nichts rechtem bringen zu können, eben weil es mit der Mahlerei zu unserer Zeit längst vorbei ist, kopirt oben recht fleißig, und wird uns, da er Harschers Universitätsfreund ist, und diesen sehr liebt, in der Folge von vielem Nuzen sein. Auch zwei Herren von Gerlach[33] fanden wir oben, die wir schon in Berlin gekannt, zulezt sprach ich noch unverhoft Jonas Veit[34] aus Berlin, der mir unter anderen sagte, daß seine Mutter[35] hier ist, während Friedrich Schlegel sich in Wien festzusezen sucht. Am Abend gingen wir mit Meier und den Gerlachs in das Linksche Bad, das nahe bei der Stadt ist, wo wir das Theater besuchten.[36] Etwas schrecklicheres habe ich nie gesehen, leichter hat man noch nie ein Publikum abgefunden. Die Schauspieler sezten sich dem Soufleur so nahe, daß ihnen die Beine fast in sein Soufleurloch hineinhingen. Ein Ballet, der Kaiser von China, sezte mich in wahres Erstarren, und ließ mich meinen ganzen Vorrat von Fluchworten in oft wiederholter Folge rein verbrauchen. Die Chinesinnen haben die kleinste Füße von der Welt: hier aber deutete mans durch den Gegensaz an, die rasendsten Füße waren zu sehen, und besonders eine Tänzerin war da, die schien auf Schenkeln zu tanzen. Ich seze mich diesem Leidwesen nie wieder aus. Wir aßen noch draußen etwas, ich ärgerte einen Doktor, der mitaß, kam nach Hause, schrieb dieses, und finde am besten, dem Schlafe mich zu überliefern, der mich zugleich in die Arme der süßesten, liebevollsten Träume wirft, die er mir immer gewährt, wenn meine Seele mit dem Andenken holdseliger Liebesgestalt erfüllt ist.
Abb. 1 Das Johanneum in Dresden, von 1747 bis 1855 Sitz der Gemäldegalerie
Gestern eilte ich sehr, Madam Schlegel zu besuchen, deren Hiersein ich den Tag vorher durch ihren Sohn Jonas Veit auf der Gallerie erfahren hatte. Sie war nicht zu Hause, aber auf der Gallerie, wo ich sie zufällig traf, und eine Reihe Gemälde mit ihr besah. Daß diese gute Dame häßlich ist, hatte ich früher oftmals gehört, ich fand sie aber auch noch plump, was ich nicht erwartet hatte, und ihre Augen, von deren Eifer und Tiefe die Herz[37] viel zu rühmen wußte, dünkten mir starr und steif zu sein, was bei dem Organ des Sehens, diesem beweglichsten aller Sinne, vielleicht nach der völligen Blindheit das bedeutendste Übel ist, wie sie denn auch wirklich sehr wenig mit ihren Augen sieht, und dies wenige wegen ihrer Kurzsichtigkeit, die größer noch ist als meine, noch sehr in der Nähe haben muß. Ich erzählte ihr mancherlei von ihren Bekannten, unter andern, daß ich von ihrer Arbeit eine feine Börse besize, die sie an Fanny und diese mir, als einem, bei dem alle und jede Schlegelsche Sachen am besten aufgehoben gewesen wären damals, geschenkt habe. Sie entgegnete, es würde mit meinem Schlegelschen Wesen doch hoffentlich noch eben so stehen, ich aber schwieg. Dann freute sie sich aber sehr der guten Fanny, und besonders daß diese ihr Geschenk so lange in Ehren gehalten, sie ließ sich viel von derselben erzählen. Diese Gespräche wurden oft unterbrochen, durch die Aufmerksamkeit, die von Zeit zu Zeit ausgezeichnetere Gemälde von uns begehrten. Ihre Urtheile waren wie ihre Augen, starr und steif, nicht ursprünglich, sondern durch eine gewisse Fremdheit und Unsicherheit verdächtig, aus fremder Quelle zu sein, die denn auch nicht schwer zu erforschen ist, Friedrich Schlegel, den man durch sie, wie durch ein geschliffenes Glas, im Hintergrunde erblicken kann. Von diesem, der selber jezt so arg fixirt ist in seinen Ideen, ist sie wiederum ganz fixirt, völlig überlassen seiner Autorität, seinem Geiste blind unterwürfig, in seine Worte auf unangenehme Weise heftig und plump verbissen, die eine Seite der Einseitigkeit. Dadurch wird ihr Umgang sehr hart, und gar nicht wünschenswerth, indem man jeden Augenblick nach ihrem Manne verlangen muß, theils um seine Gründe, die sie nicht weiß, hervorzufordern, theils um ihm gerechte Einwürfe zu machen, die sie nicht beantworten kann, und theils um ihm Milderung abzulocken, die sie nicht zu geben wagt, und ihm Derbheiten zu sagen und Kämpfe anzubieten, die sich für eine Frau nicht schicken. Wenn sie doch einige Lieblichkeit, ja nur einige eigenthümliche Wendung im Innern hätte! Aber einzig Friedrich treibt und zügelt diese sonst gutmüthige, talentreiche Frau! Er ist jezt in Wien, vielleicht um dort zu bleiben, während sie hier in Dresden bei ihrem Schwager, dem Hofsekretär Ernst[38] lebt, dessen Frau Schlegels Schwester[39] ist. Diese leztere ist eine unschöne, trockene, in Gewöhnlichkeit einheimische Natur, voller Härten, die wie Gemeinheiten aussehen, der Mann ein weichlich-hagerer närrischer, höflicher Sachse, der wie seine Frau Französisch kann, und nicht nur mit ihr, sondern auch mit seiner zehnjährigen Tochter,[40] einem mir ganz widrigen Geschöpf, in dieser Sprache bisweilen schlechte Brocken aus der Grammaire herauswürgt. Daß Friedrich seine Frau in die Nothwendigkeit sezt, mit diesen Leuten zu leben, und für den Schuz, den sie ihr gewähren, sich ängstlich und wunderfreundlich gegen sie stets unterzuordnen, wo sie selbst anderen Sinnes ist, wovon ich Zeuge war: dieses ist ein Zug in seinem Gemüthe, den ihm seine Frau selbst zwar vergiebt, oder in thörichter Ansicht noch gar als Güte hoch anrechnet, ich aber lieber wegwischen möchte. Ein Mann wie dieser, von solchen Talenten und solcher Kraft, soll seine ernsten Verhältnisse berechnen, oder keine haben, und wenn eines von beiden aufzugeben ist, das feste eingebürgerte Leben einer Hausfrau, die in ihrem Kreise selbst regiert, und das freie Studentenleben, das er führt, so soll er lieber, und nicht er allein, sondern jeder andere in diesem Falle, das Herumstreichen im Lande bleiben lassen, das ihm jezt, und wäre es auch lediglich der Kunst und deren Studium zu lieb erwählt, sehr schlecht ansteht, und den gerechten Tadel seiner alten wohlmeinenden Freunde zuzieht. – Die Schlegel erzählte mir auf meine Nachfrage nach einem Onkel von mir,[41] der in Kölln Lizenziat und dann Professor war, daß derselbe allerdings noch dort [unleserlich gemacht] sei, und daß meine zwei Kusinen,[42] seine Töchter, allerliebst sängen und tanzten. Wenn ich einmal, fügte sie nachher hinzu, meine dortige Familie besuchte, möchte ich doch auch die dasigen Gemälde[43] in Augenschein nehmen.[Unleserlich gemacht]. – Wir verabredeten beim Herausgehn aus der Galerie, getroffen von dem schönen, blauen Wetter, auf den Nachmittag einen Spaziergang, wozu sich die Ernsts und der jüngste Veit[44] auch einfanden. –
Abb. 2 Dorothea Schlegel. Anonyme Bleistiftzeichnung, 1798
Vor dem Thore verweilten wir in einem Garten um Kaffe zu trinken, nach welchem die Ernsts zurück, die Schlegel, deren Sohn und ich aber weiter gingen auf dem Wege nach Tharand. An dem lieblichen Ufer der Weiseriz,[45] die sich hier in die Elbe ergießt, und bald breit, bald schmal zwischen Gras und großen Steinen hinfließt, gingen wir sachte fort, und kamen unvermerkt zum Plauenschen Grunde, einem schönen kleinen Stromthale, das auf der einen Seite hohe steile Felswände hat, an deren Fuße sich die Weiseriz hindrängt, und gekrümmt zu einer Mühle fließt, die vor dem Anfange des Thals liegt. Auf der andern Seite aber erheben sich hohe Hügel, die man wohl Berge nennen könnte, höher als die gegenüberstehende[n] Felsen, weniger steil, und recht im Gegensaz zu den nackten, kahlen Massen, die kaum einiges Moos ernähren, mit vielem Grün, sowohl Gras, als Gesträuch und Bäumen, besonders jungen Birken, bekleidet; oben weideten ganz in der Höhe einige Ziegen; unten dringen noch viele einzelne Felsstücke nackt hervor, und verraten das Innere des Berges. Grad aus sieht man auf einen nicht minder hohen Berg, der sich an die Felsenmassen links anschließt, aber selber mit der reichsten üppigsten Vegetation prangt, daß man in ein grünes Wipfelnez und Laubgewirre blickt, dem der nahe Herbst noch nichts scheint gethan zu haben. Unten steht, jenseits der Weiseriz, ein kleines Landhaus, das allerliebst aussieht und unsern Neid sehr aufregte, noch diesseits aber eine Mühle mit ihren Gebäuden. So ist das Thal von drei Seiten umschlossen, während man von seinem Eingang noch auf die Dresdner Gegend zurückschauen kann. Wir kehrten am anderen Ende, wo der Fluß einströmt, wieder um, und hatten auf dem Rückwege die nicht minder reizende Ansicht der bergumgränzten Fläche, worin Dresden an seinem Elbestrom aufragt. Der Genuß dieser herrlichen Natur wurde mir vielfach verbittert durch die unseligen Gespräche, die ich weder vermeiden noch führen konnte, ohne der Dame unangenehm zu werden. Was ich oben über sie gesagt habe, ist eigentlich das Resultat dieser Gespräche, die sie mit der größten Heftigkeit führte, und deren Gegenstände, Literatur, Politik, Religion, und sogar Personen waren. Ich habe nie so viele Vorurtheile beisammen gesehn, die Verstocktheit war auf dem höchsten Punkte. Daß ein etwas ordentlicher Mensch katholisch sein müsse, wurde vorausgesezt, daß Gott einem Einseitigkeit geben möge, innigst erfleht, und blinder Glaube als das beste anempfohlen. Kurz, man kann mit dieser eingefleischten Katholikin gar nicht reden, mir war es Qual. Was mir aber diese Reden ganz ekelhaft machte, war dieses, daß deutlich zu sehen war, wie überall der größte Egoismus ihren Ansichten zum Grunde liegt, und wie sich diese nach ihren Aussichten ändern. So hatte Friedrich Hofnung in Göttingen Professor zu werden, und nun wird schnell eine Wissenschaft darüber gemacht, wie Göttingen die vortreflichste Universität sei, wo wir alle gelernt hätten, welches gar nicht wahr ist, denn die größten unserer Männer sind gar nicht dort gewesen, außer Wolf, von dem man es aber gedruckt lesen kann, daß er der Universität gar nichts verdankt.[46] So mit tausend anderem, man begreift lange nicht, warum dieser gelobt wird, diese Ansicht ergriffen, bis man, vielleicht spät, erfährt, daß er in persönlicher Beziehung mit Schlegel steht, und die Ansicht seine schwachen Seiten zudeckt, oder als starke zeigen will. Das ist doch wohl ein gänzlicher Verfall! Und ich verhehlte nicht meine Meinung, sondern sagte sogar auf Wilhelm Schlegel, was ich nur auf dem Herzen hatte, auch nannte ich ihn, mit Bernhardi’s[47] Ausdruck, einen abgetriebenen Hecht. Das mag allerdings seiner Schwägerin wehe gethan haben, allein was konnt’ ich der Dummheit anders entgegen sezen als Grobheit? Übrigens habe ich gesagt, wie ich Friedrichs Geist und Kraft erkenne und schäze, das wird aber nicht hindern, daß sie mich verachten und verabscheuen muß, so oft sie an meine Urtheile über Franzosen, und meine Unchristlichkeit sich erinnert. Was ich über die erstern sagte, bestand so wenig gegen diesen tölpelhaften Deutschheits-Enthusiasmus, daß ich nicht davon entfernt war, für einen innerlich Französisch-gesinnten und Verräther angesehn zu werden.[48] Ich werde mich hüten, mir wieder die geringste Mühe mit fixirten Leuten zu geben! Den ganzen Abend war ich nachher unglücklich über solche Wesen, und Harscher mit mir, nachdem ich ihm, was ich gehört, mitgetheilt hatte. Indessen glaub’ ich doch auch gesehen zu haben, daß in dieser Frau ein Element zur einfachen, sorgsamen, deutschen Hausfrau liegt, das nur jezt bei ihrer kinderlosen und von Friedrich nachlässig behandelten Ehe gänzlich untergeduckt bleibt.