Deutscher Novellenschatz 15 - Karl August Varnhagen von Ense - E-Book

Deutscher Novellenschatz 15 E-Book

Karl August Varnhagen von Ense

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Beschreibung

Der "Deutsche Novellenschatz" ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 15 von 24. Enthalten sind die Novellen: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. Kugler, Franz: Die Incantada. Schücking, Levin: Die Schwester. Wallner, Franz: Der arme Josy.

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Seitenzahl: 273

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Deutscher Novellenschatz

 

BAND 15

 

 

 

 

 

 

 

Deutscher Novellenschatz, Band 15

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661236

 

Das Korpus „Deutscher Novellenschatz“ ist lizenziert unter der Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0) Lizenz und Teil des Deutschen Textarchivs. Eine etwaige Gemeinfreiheit der reinen Texte bleibt davon unberührt. Näheres zum Korpus und ein weiterführender Link zu den Lizenzbestimmungen findet sich unter https://www.deutschestextarchiv.de/novellenschatz/. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Reiz und Liebe.1

Die Incantada.40

Der arme Josy.72

Die Schwester.82

 

 

Reiz und Liebe.

 

K. A. Varnhagen von Ense.

 

Vorwort

 

Karl August Ludwig Philipp Varnhagen, aus der alten Familie von Ense, den 21. Februar 1785 zu Düsseldorf geboren, begleitete seinen Vater, einen angesehenen Arzt, erst nach Straßburg, wo jedoch eine dauernde Niederlassung durch die Revolutionsstürme vereitelt wurde, dann nach Hamburg, wo der Vater bald starb; studierte in Berlin Medizin, Philosophie, Geschichte und Literatur; trat frühzeitig in Verbindung mit den bedeutenderen Geistern der Zeit, vor Allen mit Rahel, welche später seine Gattin wurde; vervollständigte seine Studien in Halle und hierauf in Tübingen, wo er mit den jungen schwäbischen Dichtern, vornehmlich mit Uland, Freundschaft schloss; nahm 1809, um gegen die französische Unterdrückung zu kämpfen, österreichische Dienste und zeichnete sich bei Aspern und Wagram aus, in welch letzterer Schlacht er schwer verwundet wurde; begleitete 1810 seinen Regimentschef, Reichsgrafen von Bentheim, nach Paris; 1813 trat er, der deutschen Erhebung zuvorkommend, in russische Dienste; 1814 folgte er dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg zum Kongress nach Wien, 1815 nach Paris; 1816 wurde er preußischer Ministerresident in Karlsruhe, sollte aber 1819, wegen liberaler Färbung anrüchig, den gleichen Posten in Nordamerika beziehen, worauf er seine Entlassung nahm, sich in Berlin niederließ und bis zu seinem am 10. Oktober 1858 unerwartet rasch erfolgten Tode die lebhafteste literarische Tätigkeit entwickelte. Diese Tätigkeit gehört längst der Geschichte an, und sie auch nur nach den hauptsächlichsten Seiten hin zu besprechen, würde hier ebenso überflüssig, als im engen Raume unmöglich sein. Varnhagens Verdienst, die künstlerische Form von der Dichtung auf geschichtliche Aufgaben übertragen und für die Behandlung der Geschichtserzählung, der Biographie, des Memoirengenres ein in unserer Epigonenliteratur weithin nachwirkendes Beispiel gegeben zu haben, wird selbst von Widerwilligen anerkannt; und die Gesinnung, die warm unter den glatten Formen lebt, die vaterländische, freisinnige, humane Richtung, die ihm erst gegen sein Lebensende durch die kläglichen Zustände jener Zeit versäuert werden konnte, wird ihm trotz des über seinem Grabe ausgebrochenen Streites auf die Länge unbestritten bleiben. Bedeutsam auf die Summe seines Wirkens weisen die Worte Goethes hin: „Ich zähle ihn zu Denjenigen, die zunächst unsere Nation literarisch in sich selbst zu einigen das Talent und den Willen haben.“ — Obgleich seine novellistischen Arbeiten nicht im Vordergründe seiner Leistungen stehen, darf man doch wohl sagen, dass auch sie in ähnlicher Weise, wie seine geschichtlichen, dem jüngeren Geschlecht zu Gute gekommen sind: die Goethe'sche Sprache, die, nicht bloß Nachahmung, ihm häufig wie zur anderen Natur geworden ist, hat als ein Vorbild dessen fortgewirkt, was der Formbildner bei entschiedenem Willen sich zumuten darf, und hat Manchem, der ohne dieses Vorbild vor höheren Anforderungen zurückgewichen wäre, Mut und Kraft beflügelt. Besondern Erfolg hatten die „Sterner und Psitticher“, jene Erzählung, worin der Dichter die Ausgabe, ein Geschichtsbild aus dem Mittelalter zu zeichnen, mit nacheiferungswürdig frischem Entschlüsse in Angriff nahm. Die hier ausgewählte Erzählung (so, nicht Novelle, hat er selbst sie genannt) dürfte allerdings den Vorwurf auf sich laden, dass über den Charakter der Heldin anfangs nicht bloß der Held, sondern auch der Leser etwas zu sehr sich täuschen müsse: doch ist jedenfalls die Entwicklung, wie die Tünche einer scheinbaren Bildung allmählich abfällt, sehr gut zur Anschauung gebracht; und die Form, obwohl mitunter etwas gefährlich zugespitzt, zeigt im Ganzen eine Meisterschaft, welche nicht bloß vor sechzig Jahren (die Entstehungszeit ist 1812) für Wenige erreichbar war, sondern heute noch gegenüber der mehr und mehr einreißenden Verwilderung aller Anerkennung wert erscheint.

 

***

 

 

In den Denkwürdigkeiten eines österreichischen Offiziers, der eine geraume Zeit nach dem Wiener Frieden an seinen bei Aspern erhaltenen Wunden starb und seinen Freunden ein teures Andenken in dem Buche, wovon die folgenden Blätter ein Bruchstück sind, hinterließ, findet sich unter anderen anziehenden Bildern aus seinem Leben auch folgende Erzählung, die den Leser nicht ohne Teilnahme lassen wird. Er redet mit seinen eigenen Worten und hebt das letzte Buch seiner Lebensgeschichte also an.

Die zärtliche Neigung des Herzens hat sich mir niemals liebenswürdiger offenbart, als in dem Anfang eines angenehmen Verhältnisses, das ich mit einer Schauspielerin hatte, und dessen kurzen Verlauf ich hier getreu schildern will.

Die heftige Leidenschaft, von der ich im Vorhergehenden gesprochen habe, und in deren verwickeltem Ausgang alle meine Kräfte und Wünsche wie in einem heißen Kampfe um Leben und Tod niedergeworfen waren, hatte mich einer seltsamen Ruhe überlassen, die jeden neuen Liebesreiz unmöglich zu machen schien, und so hatte ich bereits mehrere Jahre verlebt, ohne mich in der Gleichgültigkeit, mit der ich an das dachte, was ich nun noch erwarten könnte, unglücklich zu finden; mein Herz war auf seiner stolzen Fahrt gescheitert, die glücklichen Ufer mir auf ewig entrückt, meine Sorge war nur, den alten Hafen wieder zu gewinnen. Die kleine Garnison in Oberösterreich war meiner Sinnesart nun ganz gemäß, der halb städtische, halb ländliche Aufenthalt gab mir eine stille Zerstreuung, ich sah dann und wann einige benachbarte Edelleute, die mich äußerlich dann wohl etwas beschäftigten, aber in meinem Innern, so wenig wie ihre Frauen und Töchter, nicht den geringsten Eindruck hervorbrachten. Nähere Anhänglichkeit an meine Kameraden, ein vertraulicherer Umgang mit meinen Vorgesetzten und nebenher mancherlei Liebhabereien, denen ich mich ergab, füllten die Zeit genugsam aus, die mein Beruf mir übrig ließ, und ergänzten nach und nach mit einem alltäglichen Reize den Mangel, der durch die Entziehung eines so gewaltigen und gewohnten Reizes in meinem Innern entstehen musste. Die Tage kamen unvermerkt und gingen unvermerkt, eine Stunde löste die andere harmlos ab, und ich gefiel mir eine Zeitlang ganz gut in der armseligen Folge von unwichtigen Ereignissen. Hätte man mir in früherer Zeit gesagt, ich würde ein solches Dasein führen können, ohne mich höchst unglücklich zu fühlen, so würde ich es für unmöglich gehalten und die Gefahr eines solchen Absterbens verlacht haben; auf gleiche Weise ging es mir im Gegenteil auch jetzt, wenn scherzend meine Freunde behaupteten, die Liebe würde noch Ansprüche auf mich geltend machen, die ich gegenwärtig ableugnen wollte. Nichts schien mir lächerlicher, als dass ich mich wieder verlieben könnte. Dies geschah denn auch freilich nicht im eigentlichen Sinne des Wortes, denn jene Leidenschaft, deren ich fähig gewesen, war in mir bis auf die letzte Spur verschwunden; aber doch hätte ich nicht geglaubt, dass Gefühle, die ihr ähnlich sind, noch so großen Anteil in mir erwecken und mir noch so reichen Verdruss und Kummer bereiten könnten, als das Folgende dartun wird.

Die Zeit des Faschings war herangekommen, und Wien mit seinen bunten, raschen Bildern begann unsere unbefriedigte Einbildungskraft lebhafter anzuregen. Die hellen Kreise glänzender Gesellschaft, das fröhliche Gewühl und der laute Schall festlicher Tänze, die Bequemlichkeiten und Vergnügungen aller Art, die in dieser üppigen Hauptstadt mit ungeheurer Mannigfaltigkeit abwechseln, kamen jeden Abend mit Zauberstrahlen durch das traurige Schneegestöber und über die eisblinkenden Straßen in verführerischen Bildern bei unsern Versammlungen an, die wir im einsamen Wirtshause am Markte hielten und vergebens den stillen Abenden und frühen Nächten unserer langweiligen Tage entgegensetzten. Eines Abends wurde von Einigen beschlossen, nach Wien zu gehen, und einer meiner Freunde, der dort ernstlich verliebt und voller Heiratsgedanken war, beredete mich, ihn zu begleiten, welches ich endlich ihm zu Gefallen zusagte, während aus meiner Seele der flüchtige Reiz des Vergnügens, dem wir entgegengingen, mit dem ersten Aufwallen auch wieder entschwunden war. Die aufgehende Sonne fand uns schon zu Pferde, um gegen den schneidenden Ostwind auf dem harten Schnee gegen Wien zu traben, wo wir wohlbehalten anlangten.

Die Stimmung der Freude lässt sich nicht erzwingen; ich vermied die häufigen Einladungen meiner zahlreichen Bekannten und lebte sehr eingezogen. Wenn mein Freund, durch seine Angelegenheit immer beschäftigt und dem süßesten Glücke nachhängend, mich abends allein ließ, fiel meine Wahl unter allen Unterhaltungen meist auf das Schauspiel, das zu der Zeit in Wien nicht eben schlecht war. Die Bühne, wenn man sie täglich besucht, erscheint bald in einem ganz anderen Lichte, als wenn man ihr nur zufällige, von Missmut und Zerstreuung aufgelöste Stunden schenkt; die mannigfachsten Bedingnisse wirksamer Aufführung werden nach und nach deutlich, man erkennt die oft sehr verhüllten Triebfedern, welche den angenehmen Eindruck hervorbringen, der Verstand lernt genau und schnell den Anteil absondern, welchen Überlegung, Bewusstsein, Laune, Übung, Gewohnheit und Zufall an einer glücklichen Vorstellung haben, neben dem Ganzen treten zugleich die einzelnen Bestandteile deutlicher vor Augen, und indem die Gegenstände der Vergleichung in dem kürzesten Zeitraum zusammengedrängt folgen, bildet sich unmerklich der größte Scharfsinn der Beurteilung, die genaueste Übersicht des Ganzen und die leiseste Würdigung des Einzelnen, mit einem Worte, es entstehen Vertraute und Liebhaber der Bühne, wie deren die französische in Paris zu ihrem größten Vorteil so viele zählt, und wie Goethe deren einige als Serlos größten Beistand in Wilhelm Meister schildert. So ging es auch mir, ich lernte das Vergnügen begreifen, mit welchem die täglichen Schauspielfreunde auch den abgeschmacktesten und wiederholtesten Vorstellungen zusehen, und erstaunte über die zahllosen Bemerkungen und Aufschlüsse, die jeder neue Abend mir gab. Ich nahm unwillkürlich Teil an Allem, was das Schauspiel betraf, las eifrig die Berichte darüber in den öffentlichen Blättern, denen ich zuweilen Beiträge gab, und da mein Eifer in seiner Unruhe alle Gelegenheit suchte, die erlangte Kenntnis in Tätigkeit zu bringen, so war ich bald mit den vorzüglichsten Schauspielern und Schauspielerinnen in näherer Bekanntschaft, ich wurde von ihnen in ihre Heiligtümer gezogen und befand mich ebenso oft während der Vorstellung auf der Bühne und in ihren Ankleidezimmern, als unter den Zuschauern.

Zwei Frauen teilten damals die allgemeine Gunst des Publikums, beide waren schön von Gestalt, angenehm im Betragen und von ausgezeichneten Talenten für die Darstellung, doch in jedem dieser Stücke entschiedene Gegensätze voneinander. Die eine, Therese, glänzte durch feinere Bildung, Klugheit und Verstand, durch freien Sinn und glückliche Belesenheit, dabei lebte sie ihre muntern Jugendtage mit vergnügtem Herzen offen und anspruchslos dahin. Die andere, Eugenia, suchte mehr die stille Verborgenheit; ihre Handlungen zeugten von einer eigenwilligen, hartnäckigen Gemütsart, ihre Freundlichkeit verleugnete niemals einigen Ernst, welcher bewundernde Achtung dem erregtesten Wohlgefallen vorzog, Verstand hatte sie weniger, aber in jedem Tone, den sie aussprach, klang eine geheime Innigkeit des Gefühls, und diese goss über alle ihre anderen Eigenschaften eine solch sittsame Anmut, dass selbst die ungefälligen Seiten ihres Wesens den Herzen gefährlich wurden, eine Anmut, die durch den außerordentlichsten Reiz körperlicher Vollkommenheiten unwiderstehlich wurde. Hörte man Jener zu große Freiheit vorwerfen, so durfte man an Dieser wohl eine zu große Befangenheit tadeln, die ihren Umgang wie ihr Spiel mitunter etwas peinlich machte. Als ich Beide persönlich kennen lernte, war mir dieser Unterschied schon großenteils von der Bühne herab klar geworden, denn man konnte, so schien es mir, mit Recht sagen, dass Jede genau sich selber spielte, so dass man ebenso gut hatte glauben können, ihr Rollenfach habe ihre Gemütsart bestimmt, als umgekehrt. Dies hatte ich oft in Überlegung gezogen, und mir schien, als sei die Aufgabe, einen Charakter darzustellen, den man in einigen Zügen der eigenen Seele nur angedeutet besitzt, einer schöneren Lösung fähig, als diejenige, etwas zu spielen, das, weil man es ganz ist, man eher versucht ist, mit der Natur zu machen, als mit der Kunst; und weil alsdann nur das gemeine Bild des wirklichen Daseins statt des höheren eines veredelten Seins erscheint, so beklagte ich, dass diese beiden Frauen eigentlich ihren besten Vorteil nicht verstünden, und nahm mir vor, darüber, wie über manches Andere, was ihre Kunst betraf, mit ihnen gelegentlich zu reden.

Mit Theresen hatte ich eine lebhafte Unterhaltung, in welcher sie mir Recht und Unrecht gab und ihren Verstand nur anwandte, mich zu verwirren, worauf sie mit scherzender Gleichgültigkeit die Sache fallen ließ. Ich wollte nun sehen, wie es mit Eugenie gelingen würde, ob die mir auch entschlüpfen würde, und so freute ich mich des Zufalls, der noch spät an demselben Abend, als Therese fortgegangen war, Eugenie in die Theaterloge führte, wo ich sie zuvor nie gesehen hatte und wo sie sich auf denselben Platz, den Jene verlassen hatte, neben mich setzte. Eugenie antwortete gut und geläufig auf manches Schmeichelhafte, das ich über ihre bisherigen Vorstellungen sagte, und was man mit dem bloßen Gefühl wissen kann, das schien sie recht gut zu wissen, nur wo es auf etwas Erlerntes ankam, da wurde ihr Sprechen mangelhaft und gab selbst bei den notwendigsten Dingen, von denen sie hätte unterrichtet sein sollen, die ärgsten Blößen. Ganz und gar nichts aber wollte sie von meinem Vorschlage hören, statt der Weichen, traurigen Heldinnen einmal die muntern und bösen zu spielen. Ich sah mich unerwartet darüber in Scherzreden mit ihr verflochten, und weil doch einmal statt vernünftiger Gründe nur Laune und Witz den Streit führten, so kehrte ich aus Bosheit meinen Satz um, wie er denn in der Tat ziemlich zweifelhaft und in beiden Fällen gewissermaßen wahr sein mag, und sagte: Deswegen müssen Sie die bösen Rollen spielen, weil man doch am besten das spielt, was man selbst ist; warum ein Talent immer in fremdartige Form zwingen? Wie sehr dies Ihnen auch gelingt, und wie entzückend Sie uns auch die Johanna d'Arc geben würden, so möcht' ich Sie doch vor allem Anderen auch als Königin Jsabeau sehen.

Was sie zunächst antwortete, habe ich überhört; ein Wunder, dass ich nicht auch meine eigene Rede unbeendet ließ! denn ich hatte eben angefangen, der lieblichen Frau ins Gesicht zu sehen, und empfand je mehr und mehr das Feuer ihrer Anmut in meine Adern übergehen, jede ihrer Bewegungen, das Aufschlagen, Niedersenken und Wechseln des nahen Blicks, das Zittern ihrer Haare, die von beiden Seiten der Stirne in Locken wunderschön herabfielen und jedem Wurfe des allerliebsten Köpfchens nachschwankten, das zauberische Öffnen der Lippen und die sanfte Erhebung und Senkung der belebteren Züge, alles Das zog meine Aufmerksamkeit in dem Grade hin, als ob ich den feinen Wunderbau des Körpers in diesen Werkzeugen zum ersten Mal wahrnähme. Mein wie in Neugier verlorenes Zusehen muss jedoch zugleich ein freudig erstauntes Lächeln gewesen sein, denn ich sah ihr holdes Gesicht plötzlich eine Heiterkeit annehmen, wie sie von äußeren Gegenständen auf die Augen überzugehen pflegt, und noch kann ich nicht ohne Entzücken an den sanft glühenden, duftigen Schein des blühenden Antlitzes denken, das in Jugendfrische so warm und kräftig vor mir schwebte. Ich weiß nicht, wie lange dieser träumerische Zustand gedauert haben mag, genug, dass er meiner Sehnsucht zum Trotz, die gewünscht hätte, so ansehend und angesehen zum ewigen Bilde zu erstarren, in schnellem Wehen auseinander stob und ich mich mit scharfen Vorwürfen angeredet fand, die meine Anschuldigung für eine himmelschreiende ausgaben und mir alle Strafen drohten, die solcher boshaften Feindseligkeit gebührten. Woher kennen Sie mich denn schon? rief sie aus; wo haben Sie meine Seele belauscht, um ihr so voreilig auf der Bühne einen Platz anzuweisen, der zugleich den im Himmel bestimmte? Aber Sie sollen Recht haben, fügte sie hinzu, Sie sollen Ihre Behauptung, dass ich böse sei, dadurch bestätigt sehen, dass ich es gegen Sie recht sehr sein will! — Ich erinnerte sie, dass sie die Böse aber doch nur spielen dürfe, und damit, wenn es auch ein böses Spiel für mich wäre, könnte ich noch wohl zufrieden sein. Aber mein Witzeln war ohne Erfolg, sie wollte sich nicht einreden lassen, dass Alles nur Scherz gewesen, und bezeigte mir, obwohl mit vielem lebhaften Mut, einige Empfindlichkeit über das vorgefallene Gespräch. Alle nur ersinnliche Feinheit und die eindringlichste Schmeichelei, die ich anwandte, um sie zu besänftigen, brachten nur die halbe Wirkung hervor, und ich blieb untröstlich über eine Stimmung, die ich nie hervorbringen gewollt, und die ich jetzt umso mehr verwünschte, da mir indessen selbst jeder Mutwille vergangen und die sonderbarste Hinneigung voll Sehnsucht und Wehmut an dessen Stelle getreten war.

In halb rechthaberischem, halb galantem Gespräch übereilte uns das Ende des Stücks, der Vorhang fiel, und das austobende Geräusch der Menge, die sich zum Ausgang drängte, erweckte uns aus dem streitenden Eifer und erinnerte, dass es Zeit sei wegzugehen. Eugenie stand auf, schlug einen schwarzen Mantel um ihre Schultern und wünschte mir mit niedergeschlagenen Augen freundlich gute Nacht; ich aber, durch die unerwartete Freundlichkeit aufgemuntert, bot ihr höflich meinen Arm und wurde wider Verhoffen ihr glücklicher Begleiter. Ungeachtet unserer beiderseitigen genauen Bekanntschaft mit dem Schauspielhause kamen wir an einen Ausgang, der für unsern Weg nicht der rechte war, an Umkehren war nicht zu denken, und so gerieten wir mitten in das Gewirr der Wagen, die unter dem Geschrei der Kutscher und Schnauben der Pferde eilend durcheinander fuhren. Wir befanden uns in augenscheinlicher Gefahr, die blendenden Lichter machten uns irre in Rücksicht des Weges, und nur mit äußerster Mühe hatte ich Eugenie eine Strecke weit geführt, sie wollte nicht einen Augenblick warten, sondern drängte unaufhaltsam ihrer nahen Wohnung zu; schon waren wir zu der gegenüberstehenden Reihe Häuser beinahe durchgedrungen, als ein Wagen schnell einlenkte und dicht an diesen vorüberrasselnd uns in das Gedränge zurückscheuchte. Sie lachte und wollte einen zweiten Versuch wagen, es war nicht möglich, die Räder flogen vor uns, neben uns vorbei, Pferde sahen plötzlich über unsere Schultern, und indem mir selbst bange wurde, ergriff ich, der Himmel weiß, von welchem Dämon geleitet, den ersten besten Kutschenschlag, öffnete ihn, hob Eugenie hinein, und der Kutscher führte uns sogleich vor ihr Haus, wo sie mir auf das Verbindlichste für meine Hilfe dankte und dann meinen Blicken verschwand. Der Kutscher weckte mich aus dem träumerischen Sinnen, mit dem ich vor ihrer Tür wie angewurzelt stehen blieb, indem er mich erinnerte, für welche Bereitwilligkeit er belohnt zu werden erwarte, ich reichte ihm mit Freuden ein ansehnliches Trinkgeld, das er dankend empfing, und eilig trieb er die Pferde an, um seine Herrschaft, die er indes im Stich gelassen, wo möglich noch aufzunehmen. Ich weiß nicht, wieso es mich nicht befremdete, dass er von selbst ihr Haus gefunden, mir fiel dieser Umstand erst späterhin einen Augenblick auf, doch nur um gleich wieder vergessen zu sein.

Äußerst gestört und missmutig kam ich in meiner Wohnung an; ich machte mir die härtesten Vorwürfe, dass meine unselige Gemütsart mich wieder verleitet habe, die angenehmste Bekanntschaft mir durch unnötiges, neckendes Versuchen gleich anfänglich zu verderben. Ich hatte freilich nicht geahndet, wie wichtig diese Bekanntschaft mir erscheinen würde, aber desto mehr ärgerte mich nun, dass ich, der ich Alles aufzubieten im Begriff sei, um Eugenie für mich einzunehmen, nun noch lange die zweifelhafte Bemühung fortsetzen müsse, den nachteiligen Eindruck, den ihr mein Betragen gemacht hatte, auszulöschen. Ihr Bild schwebte unaufhörlich in unbeschreiblicher Anmut vor meinen Augen, und indem ich für sie Partei nahm und mich selbst mit aller Bitterkeit gereizter Eigenliebe verfolgte, suchte ich mich über das Gefühl zu täuschen, das immer deutlicher in mir wurde; ich glaubte eine Ungerechtigkeit gut machen zu müssen, und überschritt in meinen Gedanken alle Grenzen der Gerechtigkeit so weit, dass ich auf die übertriebenste und abenteuerlichste Schadloshaltung verfiel, die ich ihr zu leisten schuldig wäre.

Bei jedem anderen hätte ich keinen Augenblick angestanden, diese Stimmung, sobald sie mir sichtbar geworden wäre, für ein Verliebtsein zu halten, und doch kann ich mich noch jetzt nicht entschließen, meinem damaligen Gefühl den Namen der Liebe zu geben. Es war die sonderbarste Mischung; alle einzelnen Merkmale der Liebe schienen vorhanden zu sein, und nur ihr Wesen fehlte; der wärmste Reiz, die zarteste Innigkeit, die Gewissheit befriedigter Ruhe, die meiner Sehnsucht nach ihrer Gegenwart vorschwebte, alle erregenden Triebfedern eines getroffenen Herzens wirkten und kämpften in mir, und doch war das Herz nicht getroffen, das alte, verödete Herz war noch wie sonst, es war nur umwogt von dem glühenden Morgenröteschein, den diese himmlische Anmut umher verbreitet hatte. Dass ich damals nicht ganz aufrichtig mit mir umging und mich zu täuschen suchte, kam daher, dass ich mein Inneres nicht genau erkannte und insgeheim eine neue Liebe fürchtete; hätt' ich die feineren Abschattungen der unendlichen Mannigfaltigkeit von Gefühlen, die unter diesem Namen begriffen sind, sogleich erfasst, so würde ich mir viele Sorge haben ersparen können!

Die Misshelligkeit, die sich zwischen uns festgesetzt hatte, wollte lange nicht verschwinden; ich fand mich eifriger, als je, im Schauspiel ein, und regelmäßig erschien auch Eugenie, doch alle Gespräche, alle Bemühungen blieben lange vergebens, selbst da ich einige Güte von ihr endlich errungen hatte, kehrte noch oft ein Zug bitterer Unzufriedenheit zurück, der mir und bisweilen auch Anderen zu verstehen gab, wie sehr sie der erlittenen Kränkung, wie sie jene Neckerei nannte, eingedenk sei; allein sie litt auch wieder nicht, dass diese herbe Erinnerung in mir Wurzel fasste, unmittelbar darauf zog sie mich in ihr innerstes Vertrauen, redete leise mit mir, fragte mich um Rat, gab mir kleine Aufträge und behandelte mich in allen Stücken wie einen wohlgesinnten Freund, dessen man ganz versichert ist. Wie glücklich mir einige Abende auf diese Art vergingen, kann ich nicht aussprechen, mir schien Alles Nebensache, was diesen Stunden vorherging, ich bedurfte für den ganzen Tag keines anderen Reizes, als nur der Aussicht auf den Abend. Dass sich dieses glückliche Gefühl nicht verbarg, sondern auch Anderen sichtbar wurde, erfuhr ich nur allzu deutlich aus den scherzenden Fragen der klugen Therese, der meine Liebe ein Gegenstand der fröhlichsten Unterhaltung wurde, in die ich oft kühn genug einging, indem ich ihr zu beweisen suchte, dass ich nur sie und niemals Eugenie lieben könne.

Nach einiger Zeit, als ich mich gegen Eugenie beklagte, dass sie einen Abend weggeblieben sei und ich des Glückes, sie zu sehen, habe entbehren müssen, meinte sie, ich könne sie ja besuchen, und das würde wohl umso besser sein, als sie jetzt des rauen Wetters wegen wohl öfters zu Hause bleiben müsse. Diese Einladung setzte mich in Entzücken, ich dankte ihr auf das Lebhafteste, indem ich wiederholt ihre Hand küsste; dennoch stand ich am folgenden Abend, als ich sie lange genug erwartet hatte, in unruhigem Zweifel, ob ich den geliebten Eindruck, den sie mir bisher gemacht, durch einen Besuch aufs Spiel setzen sollte. Denn, sagte ich mir, wenn die abendliche Erregung meines Bluts und die Leichtgläubigkeit meiner Einbildungskraft beim Lichterschein der Bühne mich täuschen halfen, warum soll ich das schöne Bild in der abgespannten Häuslichkeit zu verlieren wagen? Die dichterischen Mariane und Philine haben dich schon oft zu den Töchtern Thaliens hingezogen, in der süßen Hoffnung, Das nun mit doppeltem Entzügen lebend vor dir zu sehen, was du mit unruhigem Vergnügen bisher nur gelesen hattest! Und was fand ich? Gott danken konnt' ich noch, dass meine schwärmerischen Gedanken noch nicht über die Lippen gekommen waren und ich mich noch zur rechten Zeit ohne Scham und Auslachen zurückziehen konnte! Solche Dinge hielt ich mir vor, um mich in dem Gedanken zu stärken, dass es besser sei, nicht hinzu gehen.

Ich wurde aber in meinen Selbstgesprächen gestört durch eine Tür, die sich vor mir aufmachte, dass ich ganz erschreckt in dem Hellen Lichte stand, das man mir entgegenhielt. Ich hatte, um jene Gedanken zu verfolgen, das Schauspiel verlassen, war einige Straßen auf- und abgegangen und fand mich nun zu meinem Schrecken vor Eugenies Wohnung, wo ich schon die Schelle gezogen hatte, ohne meine Gedanken in ihrer Richtung gehemmt zu haben. Ich verlachte im Stillen die stolze Anmaßung der Vernunft, war sehr zufrieden über die tolle Wendung, die nun doch gekommen war, und ging vergnügt die Treppe hinauf. Die Magd öffnete das Vorzimmer. Ich sah zwei holde Engelskinder vor mir spielen, das Mädchen lächelte mich mit muntern Augen an, während der Knabe schon seine Händchen an meinen Stock gelegt hatte. Mein Herz war gleich beruhigt durch die schönen Kinder. Die zweite Tür ging auf, ich hörte die günstige Antwort durch die Öffnung, noch ehe mir sie die Anmelderin wiederholte, und trat nicht ohne geheime Beklommenheit zu Eugenie ins Zimmer.

Sie saß ruhig an einem kleinen Tisch und nähte, sie begrüßte mich anmutig und hieß mich ihr gegenüber Platz nehmen. Ihre Umgebung war beruhigend. Alles atmete eine stille Ordnung, das Zimmer war einfach aber mit einfacher Fülle verziert. Nirgends zeigte sich herumfahrendes Flitterwerk, nirgends vernachlässigte Bühnengerätschaft. Sie besaß was nur immer eine unmutige Frau vergnügen kann; ein Kästchen mit ausgesuchten Kleinodien stand geöffnet auf dem Tische, die schönsten Ringe schmückten ihre Hände, die feinsten Spitzen lagen ausgebreitet auf dem Sofa, geschmackvolles Teegeräte wurde hereingebracht, eine Fülle ausländischer Blumen prangte an den Fenstern, englische Kupferstiche hingen an der Wand, und der schönste, geschmackvollste Hausrat enthielt zugleich einen Schrank voll Bücher in den prächtigsten Bänden. In ihrem Anzug war etwas Eigenes von zierlicher Bescheidenheit, Alles saß ihr gut und genau wie es sollte, der schönste Körperbau war sichtbar und verhüllt, ein hinreißender Anblick! Nach wenigen Worten schien unser Zusammensein schon eine lange Gewohnheit, sie war überaus gütig, ja so zuvorkommend mit vertraulichen Äußerungen, dass ich ganz wie ein alter, vieljähriger Bekannter war und mich nicht erinnere, jemals wieder ein so zufriedenes Behagen, eine so heimische Ruhe empfunden zu haben. Die Kinder kamen herein, und durch ihr vergnügtes, spielhaftes Anschmiegen erhielt unser Gespräch die munterste Bewegung, schwankend in willkommenen Störungen. Der tiefste Ernst wechselte mit kindischer Lust, und Eugenie und ich befanden uns dabei nicht schlimmer, als die Kinder, die außerordentlich zufrieden waren. Mir entfuhr dazwischen eine Redensart, die, sobald man sie mit Absicht gesprochen glaubte, einen dreisten Vorwitz auszudrücken schien; mich verdross es ungemein, den Ausdruck gebraucht zu haben, der mir doch nie entschlüpft wäre, wenn meine Seele irgendein Arg dabei gehabt hätte. Allein Eugenie befreite mich auf die liebenswürdigste Weise aus meiner Verlegenheit, indem sie meine Frage, die den Vater der schönen Kinder in Anregung brachte, mit der größten Gutmütigkeit beantwortete und durch die natürlichste Offenherzigkeit in fernere Fragen erweiterte. Sie schien vor mir kein Geheimnis haben zu wollen, und ich erfuhr an diesem Abend einen großen Teil ihrer Lebensgeschichte, deren Mitteilung in ihrem Munde einen zauberischen Reiz hatte und eine Gewalt der Wahrheit offenbarte, die nur Natur sein kann, oder, wenn Kunst, die höchste und seltenste.

Ich erfuhr, dass sie von zarter Jugend an für die Bühne und auf derselben erzogen, und lange von den Launen des Zufalls herumgeworfen worden, schon ehe sich ihr Blütenalter entwickelt habe. Dann sei aber mit sichtlichem Zunehmen ihre Schönheit aufgeblüht und zu ihrem eignen Erstaunen ihre körperliche Erscheinung mit Glanz und Reiz je mehr und mehr überschüttet worden, so dass sie sich in die überraschende Anbetung und Bewerbung kaum habe finden können, wie denn auch der kümmerliche Zustand ihrer Eltern von dieser Zeit gänzlich aufgehört und sie plötzlich in ungewohnter Sorglosigkeit und Fülle sich nicht zu lassen gewusst. Ein Jahr sei ihr auf diese Weise als die glücklichste Lebenszeit vergangen, wo ihr jeder Wunsch erfüllt gewesen, wo alle Schmeichelei und aller Beifall sie nur innerlich zufrieden und nicht eitel gemacht, sondern die Erhaltung ihres Wesens liebreich befördert habe. Mit den unschuldigsten, hinreißendsten Worten schilderte sie die frohe Jugend, sie schien sie noch nicht verloren zu haben, indem sie mit solcher sanften Wehmut den Verlust derselben beklagte. Eine schnell aufgeschossene Leidenschaft zu einem Schauspieler habe ihr das erste Leid gebracht; über die Trennung von ihm, als der besorgte Vater ihn wegzugehen gezwungen, habe sie sich schrecklich abgehärmt, doch trockne die Jugend Tränen bald, und sie sei nach einiger Zeit einem Grafen geneigt geworden, der leidenschaftlich verliebt nicht eher geruht habe, als bis er durch die Ehe zu ihrem Besitz gelangt sei. Zwei Jahre habe dieses Glück in stiller Verborgenheit gedauert, da hätte der Vater ihres Mannes das Geheimnis erfahren, sei in den fürchterlichsten Zorn ausgebrochen und habe die Ehe durch erschlichene Urteile als ungültig getrennt; seinem Sohn sei nur unter der Bedingung die Freiheit wiedergegeben, dass er sich um seine ehemalige Frau und Kinder nie bekümmere, sondern die Sorge für dieselben seinem Vater überlasse. Sie habe, da ihr Gemahl sich so schwach gezeigt, diese Bedingung einzugehen, in Alles gewilligt, aber ihr Vater, der ein entschlossener Mann gewesen, habe mit äußerster Erbitterung gegen den Grafen einen Prozess geführt, über dessen endlich doch schimpflichen Verlust er sich zu Tode gegrämt. Seitdem lebe sie wieder bei der Bühne, wo sie der angebotenen Unterstützung nicht bedürfe und ihr unglückliches Schicksal durch das Glück, das sie in ihren Kindern empfinde, täglich mehr vergesse. Sie küsste das Mädchen, das auf ihrem Schosse eingeschlafen war, dann sah sie mich mit einem Blicke der sanftmütigsten Ergebung an und lächelte freundlich durch die Tränen, die ihr in die Augen gedrungen waren.

Nicht leicht hat eine Mitteilung mich so tief ergriffen, wie diese; meine Augen konnten meine Rührung nicht verbergen; die schöne Unschuld, die menschliche Wahrheit und die von solchen Stürmen doch nicht allzu erschütterte Ruhe, mit der sie so einfach als anmutig diese Geschichte erzählt hatte, waren unwiderstehliche Zauberkräfte, denen jedes fühlende Herz hätte erliegen müssen. Ich war ihr unaussprechlich gut, niemals hatte ich solche Anmut gesehen; ja in der höchsten Glut meiner vorigen Leidenschaft hätte ich Eugenies Anmut, wenn sie mir damals begegnet wäre, meiner Einsicht nach hoch über die des angebeteten Gegenstandes setzen müssen, obgleich für mein Herz ohne Wirkung!

Ich wiederholte meine Besuche nun öfters und fand mich mehr und mehr angezogen, so dass ich in Kurzem die ganze Einrichtung meiner Stunden, deren man sich in einer solchen Zeit der Lebenslust an einem solchen Orte so leicht durch Zerstreuung beraubt sieht, lediglich aus diese Abendbesuche bezog und auch abwesend alle meine Gedanken mit den Bildern von jenen erfüllte. Bald fand ich Eugenie allein, bald traf ich sie in Gesellschaft von anderen Personen, die mir nicht immer gefielen, ja wohl gar oft beschwerlich wurden, allein sie schienen meist in einer Art von Untergebenheit gegen Eugenie zu stehen, und manche, wie besonders einige ihrer Kunstgenossen, waren, wie ich gewiss wusste, hilfsbedürftig und fanden bei ihrer edlen Großmut eine willkommene Zuflucht. Unter diesen Umständen konnte meine bessere Menschlichkeit nicht anders als den aufwallenden Unwillen und die böse Laune, die mir der Anblick solcher Umgebung unwillkürlich bereitete, geflissentlich unterdrücken wollen, und dies gelang umso mehr, als Eugenies Heiterkeit mir inmitten dieser Leute ungleich freundlicher und ausdrücklicher entgegenkam, als wenn wir allein waren. Unsre persönliche Nähe und Vertraulichkeit wuchs seltsamerweise in eben dem Grade unter dem Zwange fremder Gegenwart, als in der Freiheit des Alleinseins die geistige Mitteilung an innerem Vertrauen und Gehalt zunahm. Dieses letztere öfter zu genießen, gab bald der günstige Umstand Gelegenheit, dass ich die Erlaubnis, ich weiß nicht, ob mehr erhielt oder nahm, länger zu verweilen als die Übrigen, ein vielsagendes Vorrecht der Häuslichkeit, das meinem Sinn ungemein schmeichelte.

Mein glückliches Verhältnis vereinigte solchergestalt die bequeme, wohlzufriedene Behaglichkeit, zu der das Leben in späteren Jahren immer begehrender hinneigt, mit jenem feurigen Drange der Jugend, die mit rastloser Glut fortarbeitet, und deren schönes Bewegen ich mehr noch vor mir sah, als in mir fühlte. Die heitre junge Frau schien mir sehr wohlgesinnt zu sein und ohne irgendeine leidenschaftliche Regung an mir ein zärtliches Gefallen zu finden; ich meinerseits gab mich ohne Rückhalt der angenehmen Erwärmung hin, die in flammende Hitze gesteigert zu sehen mich nur erschreckt hätte. Wenn ich gegenwärtig über diesen Zustand nachdenke, so muss ich ihn ernstlich verdammen als eine arglistige Beschleichung, die von den edelsten und schönsten Gebilden der Menschheit den untergeschobenen Wechselbalg schwächlicher und matter Gefühle möchte hegen und pflegen lassen. Das langsame, müde Herz will mit seinen von der ersten tapferen Tat zerrüttet heimgekehrten Kräften, die dem heißen Kampfe feig entsagen, den Preis und das Glück des Siegs, ohne diesen, wenn auch nur in Scheinbildern dennoch zu gewinnen suchen, und die weichliche Empfindung bequemer Anhänglichkeit, gewohnheitssüßen Umganges, eingebildeter, dem Bedürfnis entsprechender Erfahrungsreife, stellt sich mit ihrem Alltäglichen an den Platz, wo das kräftige Herz mit unverzagter Entscheidung das Außerordentliche eines höheren Geschicks in Glück oder Unglück fordert, und seine jugendlichen Flammen mit naturfreudiger Wahrheit an diese Forderung setzt. Es ist nichts mit den zärtlichen Freundschaften, die sich alle Wärme der Gedanken und den Reiz des möglichen Gefühls erlauben, und daneben gewisse angenommene Übereinkünfte als ursprüngliche Begrenzungen desselben setzen möchten; das Beste ist alsdann, wenn die Natur durch die Sinne ihre Freiheit zurückfordert und die Vorsätze zerstört; aber auch dann wird ein unangenehmes Zerfallen des ganzen Verhältnisses kaum zu vermeiden sein! Ich liebte Eugenie wahrhaftig nicht, aber sie gefiel mir, und mit dem, was ich übrigens war, mit meinem ganzen Geiste, mit allem Reichtum nachahmender Erinnerung schmückte ich dieses Gefallen aus; wir hätten ein Bild gemächlicher, ehelicher Liebe, die ihre Sicherheit mit jedem sittlichen Schein fester begründen will, ganz füglich darstellen können. — Schon damals wurde ich in manchen Augenblicken aufmerksam, und mein Benehmen zog sich alsdann strenger zusammen, aber die unaussprechliche Anmut, die unwiderstehliche Lieblichkeit und die einnehmende Güte der schönen Frau rissen mich immer aufs Neue in andere Kreise, wo mich bald genug ein Taumel fasste, den ich tief bereuen sollte. Mein Betragen wurde nach und nach erregter, persönlicher, in unscheinbaren, gleichgültigen Handlungen bildete sich oft ein wärmerer Antrieb ab, als gewöhnliche Empfindung solchen Dingen zu geben pflegt, und meine lebhafte Einbildungskraft veranlasste mich bisweilen zu Äußerungen, die nur aus höchst erregtem Herzen schienen hervorgehen zu können. Folgende Erinnerungen sind mir aus einem Gespräch geblieben, das in dieser Rücksicht bedeutend mitwirkte.