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Ein Bekenntnis zum Leben
Der Tod seiner Frau im Jahr 2016 verändert für Jürgen Moltmann nicht allein auf radikale Weise sein Dasein. Der selbst schon hoch betagte, der so viel über die Hoffnungen für das menschliche Leben in der Zeit und in der Ewigkeit nachgedacht und geschrieben hat, muss prüfen, ob all dies nun wirklich trägt. Ihn trägt. Was fragen wir, wenn wir nach einem Leben nach dem Tod fragen? Was bedeutet es, wenn Christen von einem ewigen Leben sprechen? In diesem Essay konzentriert Jürgen Moltmann sein Denken über den Anfang, der im Ende jedes menschlichen Lebens liegt. Eine Ermutigung.
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Seitenzahl: 106
Jürgen Moltmann
AUFERSTANDENIN DAS EWIGE LEBEN
Über das Sterben und Erwacheneiner lebendigen Seele
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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Umschlagmotiv: Fresko »Die Auferstehung Christi«, Chora-Kirche (ehemalige byzantinische Kirche, heute Kariye-Museum, früher Kariye-Moschee), gelegen im Istanbuler Stadtteil Fatih/Türkei, Abbildung nach einer Vorlage vom Autor
ISBN 978-3-641-25954-9V001
www.gtvh.de
INHALT
Vorwort
I. ZWEI FRAGEN:
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Ewiges Leben – Wonach fragen wir?
II. DIE AUFERSTEHUNG JESU CHRISTI
III. UNSERE AUFERWECKUNG IN DER TODESSTUNDE
IV. DAS STERBEN UND ERWACHEN EINER LEBENDIGEN SEELE
V. AUFERSTEHUNG: DAS UNERSCHAFFENE LICHT STRAHLT IN DER MITTE DER FINSTERNIS
Literatur
Vorwort
Ich habe mich, seit ich 1964 mein Buch »Theologie der Hoffnung« veröffentlicht habe, oft theologisch mit der Bedeutung der Auferstehung Christi für unser Leben hier und unsere Hoffnung auf das ewige Leben dort beschäftigt, so z.B. in dem kleinen Werk »Im Ende – der Anfang. Eine kleine Hoffnungslehre«, das 1995 in erster Auflage erschienen ist. Aber seit meine Frau Elisabeth 2016 gestorben ist, hat sich meine Perspektive verändert, ist das Thema für mich auch ein persönliches Problem geworden. Ich musste es darum noch einmal neu theologisch durchdenken.
Ziel dieser Veröffentlichung ist es nicht, eine ars moriendi, eine Bereitung zum Sterben, vorzulegen, sondern eine Bereitung zur Auferstehung in die Fülle des Lebens, das wir das ewige Leben nennen, eine ars resurgendi also. Die ars moriendi können wir nur einmal üben, die ars resurgendi aber in unserem ganzen gelebten Leben. Jeder neue Anfang ist eine »Auferstehung«. Ich möchte mit diesem Essay Trost und Hoffnung stiften und Gewissheit in den Trauergottesdiensten.
Ich habe den Stil eines Essays gewählt, um Gedanken mit persönlichen Geschichten und die Zeugnisse der Bibel mit eigenen Erfahrungen verbinden zu können, was in einer wissenschaftlichen Abhandlung so nicht möglich ist. Dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Ich habe darum auch auf theologische Fachausdrücke und gelehrte Fußnoten verzichtet. Die Fundorte der Zitate finden sich in den Werken, die in der Literaturliste am Schluss des Buches aufgeführt sind, werden aber nicht eigens ausgewiesen.
Ich habe versucht zu lernen, was Trauer ist. Ich habe auch versucht zu lernen, was das gemeinsame Glück ist, das nicht vergeht, und ich habe versucht, mir vorzustellen, wie die Auferweckung des ganzen gelebten Lebens nach dem Sterben aussieht. Ich habe dem Sterben und Erwachen einer lebendigen Seele nachgedacht. Wir sterben in die Auferstehung hinein und das ewige Leben ist das Leben der kommenden Welt.
Tübingen, Ostern 2019
Jürgen Moltmann
I. ZWEI FRAGEN:
Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Nachfrage: Nach wessen Tod?
Viele Menschen, die die Frage stellen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, denken unwillkürlich an ihren eigenen Tod. Was kommt danach oder kommt da nichts mehr? Wer diese Fragen stellt, muss sich vor Augen halten: Wir erleben unseren Tod gar nicht. Wir erleben das eigene Sterben, nicht aber unseren Tod. Streng genommen, können wir nicht einmal sagen, dass die Gestorbenen »tot« sind, sondern nur, dass sie gestorben sind. Den eigenen Tod hat noch niemand erlebt und Nahtoderfahrungen gehören zu dem Leben vor dem Tod.
Was für den Tod gilt, gilt auch für das »Nichts«, von dem viele Menschen denken, dass es sie nach dem Sterben erwartet. Niemand hat es je gesehen.
Wie aber verhält es sich mit dem Tod der anderen in unserem Leben? Gibt es ein Leben nach dem Tod eines geliebten Kindes oder der geliebten Frau oder des geliebten Mannes?
Das ist für viele Menschen eine Lebensfrage. Das eigene Sterben erfahren wir, den eigenen Tod nicht. Den Tod erfahren wir nur an anderen Menschen, die wir lieben. Ihren Tod erfahren wir an unserer Liebe zu ihnen und zu ihrem Leben.
Wie soll man nach den Todeserfahrungen unserer Liebe weiterleben und dieses Leben ohne sie leben? Welche Zukunftsaussichten haben »Hinterbliebene«? Ihnen hat der Tod des geliebten Menschen die Lebensfreude geraubt und oft auch den Lebenswillen. Das ist eine echte Todeserfahrung.
Es hilft zum Weiterleben nach dem Tod der Liebe, wenn wir ihre zweite Gegenwart in der unsichtbaren Welt, die unsere sichtbare Welt umgibt, glauben und spüren. Aber die Trauer vergeht darum nicht. Sie ist so tief, wie die Liebe war. Trauer ist dabei kein Selbstmitleid. Das Selbstmitleid hat in der Trauer um einen geliebten Menschen keinen Platz. In der Trauer sind die geliebten Menschen bei uns. Darum hört auch die Trauer »nimmer auf«, wie Paulus es von der Liebe sagt. Ist die Liebe zum geliebten Menschen, der gestorben ist, »stark wie der Tod«, wie es im Hohelied Salomos heißt? Oder ist der Tod doch stärker als die menschliche Liebe?
Das Glück der Liebe reicht über den Tod der Geliebten hinaus, denn im Glück der Liebe erreicht uns ein Klang des ewigen Lebens. Das wusste Goethe, wenn er schreibt:
»O welch’ ein Glück, geliebt zu werden
und lieben, Götter, welch’ ein Glück«
(J. W. Goethe)
Und Glaubende wissen:
»Wo die Liebe wohnt, da ist Gott« –
»Ubi caritas et amor, Deus ibi est«
[EG 571])
Unsere menschliche Liebe zu geliebten Menschen ist auch eine Resonanz der göttlichen Liebe. Darum ist im Glück der Liebe auch ein Funke der Freude Gottes.
Ewiges Leben – Wonach fragen wir?
Bevor wir nach Antwort suchen, müssen wir die Frage genauer fassen und ausscheiden, wonach wir nicht fragen wollen.
Mit »ewigem Leben« kann nicht gut die endlose Verlängerung dieses Lebens gemeint sein. Die heutige medizinische und biogenetische Arbeit an der Lebensverlängerung hat nichts mit dem zu tun, was in der Religion »ewiges Leben« genannt wird, denn Ewigkeit bedeutet nicht Endlosigkeit. Das »Unsterblichsein«, nach dem die so genannten Transhumanisten streben, wäre das Ende der Menschheit. Ein endloses Leben, wie wir es hier auf der Erde haben, wäre inhaltslos und gähnend langweilig.
»Ewiges Leben« kann auch nicht in der »Verewigung« des hier nur kurz gelebten Lebens bestehen. Wenn in Traueranzeigen von »Verewigten« die Rede ist, liegt genau dieser Irrtum vor. Denn dann könnte von der Ewigkeit ja nichts Neues erwartet werden, sondern nur das abgeschlossene Ende dieses Lebens und – wie es oft heißt – die »ewige Ruhe«. Ist »ewige Ruhe« aber etwas anderes als der ewige Tod?
Es hilft weiter, wenn wir nicht nur vom »ewigen Leben«, sondern auch von einer ewigen Lebendigkeit sprechen, um nicht länger an Langlebigkeit, sondern an die Intensität des Erlebens zu denken. Nicht die zeitliche Länge des Lebens, sondern die augenblickliche Tiefe des erlebten Lebens reicht an jene Ursprünglichkeit heran, die wir »Ewigkeit« nennen.
Die chronologische Zeit hat nichts mit dieser Ewigkeit des Erlebens zu tun, sondern nur mit dem Sterben des Lebens. Der erfüllte Augenblick aber ist wie ein Atom der Ewigkeit und seine Erleuchtung ist wie ein Funke des ewigen Lichtes. »Dem Glücklichen schlägt weder Zeit noch Stunde«, sagt man. Es ist die Liebe, die das Leben aus seinem Ursprung lebendig macht und Freude am Leben entzündet. Aus der Freude am geliebten und gelebten Leben fragen wir nach der »Fülle des Lebens« und nennen sie »ewiges Leben«.
Das Leben hier und jetzt ist ein Leben in der Zeit. Wenn wir auf die Vergangenheit blicken, sprechen wir von vergänglicher Zeit. Wenn wir auf unseren Tod blicken, erscheint uns dieses Leben in der Zeit als sterbliches Leben. Zeitliches Leben ist jedoch in jedem Augenblick anfängliches Leben, sofern wir auf die Zukunft schauen und uns an unsere Geburt erinnern. Jeder Augenblick der Zeit ist ein Anfang der Zukunft, und Vergangenheit ist eigentlich vergangene Zukunft. Wie die Geburt dem Tod vorausgeht, geht die Zukunft der Vergangenheit voraus.
Vergängliche Zeit ist todgeweihtes Leben, anfängliche Zeit ist ein mit Zukunft begabtes Leben. Sehen wir durch den dunklen Horizont des Sterbens hindurch in die Morgenröte des neuen Tages Gottes, dann macht uns die Anfänglichkeit aller Dinge, die wir lieben, lebensvoll. Wir begrüßen jeden neuen Morgen im »Morgenglanz der Ewigkeit«, wie das Kirchenlied sagt. Die Lebendigkeit des Anfangs hat die Verheißung des erfüllten Lebens in sich. Erfülltes Leben nennen wir ein Leben, das mit sich selbst ganz einig und vom Ja zum Leben so durchdrungen ist, dass es die giftigen Keime des Negativen ausschließt. Es muss ein Leben in ewiger Gegenwart sein ohne Nicht-mehr-sein und ohne Noch-nicht-sein. Es muss ein ganz gegenwärtiges Leben sein ohne versäumtes oder nur erträumtes Leben. Im mystischen nunc aeternum haben Menschen das gesucht und im Schweigen erfahren.
II. DIE AUFERSTEHUNG JESU CHRISTI
Ohne das, was die Frauen und die Jünger nach dem Tod Jesu mit Jesus erlebten, wüssten wir nichts von Jesus und gäbe es das Christentum nicht. Also muss der christliche Glaube seinen Ursprung in dem Ereignis haben, das die Jünger und die Frauen »Auferstehung Jesu von den Toten« nannten. Es ereignete sich an dem gestorbenen und begrabenen Jesus von Nazareth und setzte ihn für sie als »Sohn Gottes« ein, »durch die Auferstehung von den Toten«, wie Paulus nach einem urchristlichen Bekenntnis sagt (Röm 1, 4). Sie erinnerten die Geschichte Jesu im Licht seiner Auferstehung und erzählten und verkündeten sie als gegenwärtig relevante Christusgeschichte. Sie hofften, dass sie mit Christus in das ewige Leben auferweckt werden und verstanden ihr Leben in der Christusgemeinschaft als Teilnahme an der Neuschöpfung der Welt (2 Kor 5, 17).
Wie ist es dazu gekommen? Was ist und was bedeutet die »Auferstehung Jesu Christi von den Toten«? Was folgt daraus für unser Leben und Sterben?
1. Die gekreuzigte Hoffnung der Jünger
Die Flucht der Jünger von der Kreuzigung ihres Meisters und die Verleugnung des Petrus sind in den Evangelien gut bezeugt. Die Gethsemanegeschichte ist der Schlüssel zu dem, was auf Golgatha mit Jesus und den Jüngern geschah. Jesu Gebet: »Lass diesen Kelch an mir vorübergehen«, gerichtet an »Abba, lieber Vater« (Mk 14, 36), wird nicht erhört. Jesus stirbt in tiefer Gottverlassenheit. Sterbend fragt er: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Judas »verriet« ihn an die Römer (Mk 14, 44); Petrus, von dem wir das erste Christusbekenntnis haben (Mk 8, 29), verleugnete ihn dreimal (Mk 14, 66–72); alle Jünger verließen ihn und flohen. Jesus starb einen einsamen Tod am Kreuz der Römer, verurteilt als »Terrorist« gegen das Römerreich. Kein Wunder geschah. Er starb ohnmächtig. »Verraten«, »verleugnet«, »verlassen«. Das sind nicht nur Worte, die menschliche Schwachheit und Treulosigkeit, sondern auch tiefe Enttäuschung ausdrücken.
Denn »Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt« (Mk 11, 10) jubelte das unterdrückte Volk beim Einzug Jesu in Jerusalem. »Wir hatten gehofft, er würde Israel erlösen«, jammerten die fliehenden Jünger in Emmaus (Lk 24, 21). Für diejenigen, die alles verließen und Jesus nachfolgten, wurde ihre messianische Hoffnung auf die Erlösung Israels von der römischen Besatzungsmacht und auf die Wiederherstellung des Reiches Davids durch die Ohnmacht Jesu und das Schweigen Gottes auf Golgatha grausam enttäuscht. Sie verraten, verleugnen und verlassen den, der sie verraten, verleugnet und verlassen hatte. Die Kreuzigung Jesu und das Schweigen Gottes sind das Ende ihrer Jesus-Hoffnung. Sie kehren zurück nach Galilea, von wo sie aufgebrochen waren, und nahmen ihre Arbeit als Fischer wieder auf.
2. Das gestörte Weltvertrauen der Frauen
Die Männer unter denen, die Jesus folgten, verließen ihn, aber die Frauen blieben treu bei dem sterbenden Jesus und blickten »von ferne«, d.h. sie behielten Augenkontakt zu ihrem Freund. Die Frauen werden mit Namen genannt (Mk 15, 40). Der Tod war ihnen offensichtlich nicht fremd und er war nicht das Ende ihrer Liebe zu Jesus. Maria Magdalena, Maria, die Mutter Jakobs, und Salome gingen, als der Sabbat vorüber war, an das Grab ihres Freundes und hörten eine Engelsstimme: »Er ist auferstanden, er ist nicht hier« (Mk 16, 6). Erst am leeren Grab erschrecken sie in Furcht und Zittern.
Am leeren Grab gab es keinen Osterjubel, sondern namenloses Entsetzen. Wie die Geburt, so gehört auch der Tod zur endlichen, menschlichen Existenz. Vertrauen in das natürliche Leben schließt Vertrauen in den Tod ein. »Wir müssen alle einmal sterben«, sagen die Leute. Was die Frauen am leeren Grab und an der Engelsstimme zutiefst erschreckte, war der Zusammenbruch der Weltordnung von Leben und Tod. Ist der Tod nicht mehr gewiss, dann können wir über unsere Toten nicht mehr gewiss sein, dass sie tot sind. Im Ursprung war das Geheimnis der Auferstehung Jesu ein furchterregendes Geheimnis, ein mysterium tremendum. Der Schluss des Markusevangeliums zeigt das eindrücklich.
3. Maria aus Magdala