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»Hoffnung begeistert – Geduld ist mühsam« – so beginnt dieser kleine Band. Mit über 90 Jahren legt Jürgen Moltmann, der mit seinem Werk Theologiegeschichte schrieb, hier dar, was der Hoffnung einen langen Atem gibt. Ein Werk gegründet in der Orientierung an Christus, das Altersklugheit und Zukunftserwartung auf berührende Weise zusammenführt.
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Seitenzahl: 81
Jürgen Moltmann
Über Geduld, Barmherzigkeit und Solidarität
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
1. Auflage
Copyright © 2018 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
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Umschlagmotiv: Heinrich Stegemann, »Samariter«, 1919. Öl auf Leinwand, 134 x 83 cm. © der Vorlage: akg-images.Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-23512-3V001
www.gtvh.de
INHALT
Einstimmung auf die Geduld
Vorwort
ÜBER DIE GEDULD
I Lebenserfahrungen mit der Hoffnung und mit der Geduld
1. Sind Hoffnung und Geduld Gegensätze?
2. Ergänzen sich Hoffnung und Geduld?
3. Geduld mit anderen – Geduld mit sich selbst
II. Gott der Hoffnung – Gott der Geduld
1. Der Gott der Hoffnung
2. Der Gott der Geduld
3. Wie hilft der »Gott der Geduld«?
4. Ist das Menschengeschlecht eine missglückte Schöpfung Gottes?
III. Die Geduld Christi
IV. Der geduldige Mensch
1. Hiobs Geduld mit Gott
2. Die Geduld Christi mit Gott
3. Erfahrungen des Lebens in der Geduld Gottes
4. Geduld mit Schwachen
5. Geduld mit Feinden
6. Vergeben statt vergelten
V. Warten können
1. Ab-warten – Er-warten – Wachen
2. Das gute Leben in den Kindern erwarten
3. Den guten Tod erwarten
VI. Ist Geduld tolerant? Ist Toleranz geduldig?
1. Toleranzedikte
2. Ist Toleranz eine Tugend?
3. Interreligiöser Relativismus
4. Ist Geduld eine Tugend? Eine »Duldung« ist es nicht
BARMHERZIGKEIT UND SOLIDARITÄT
I. Von der Barmherzigkeit zur Solidarität
1. Die große Barmherzigkeit Gottes
2. Jenseits der »Goldenen Regel«
3. Der barmherzige Samariter
4. Der Heilige Martin von Tours
5. Barmherzigkeit im Islam und Buddhismus
6. Warum fällt uns Mitleid leichter als Mitfreude?
II. Von der Solidarität zur Barmherzigkeit
1. Gibt es Strukturen der Barmherzigkeit? Gütergemeinschaft und Armenpfleger
2. Barmherzigkeit ohne Erniedrigung?
3. Was ist und wie funktioniert eine menschliche Solidargemeinschaft?
4. Werden damit Barmherzigkeit und Erbarmen überflüssig?
ANMERKUNGEN
EINSTIMMUNG AUF DIE GEDULD
Über Geduld zu sprechen ist unzeitgemäß. Wir leben in ungeduldigen Zeiten. Unser Lebensstil ist schnelllebig geworden. Wir wollen immer auf dem Laufenden sein. Reich sind die vielen Möglichkeiten, aber kurz ist das Leben. Wir sind in unseren besten Jahren überbeschäftigt und haben keine Zeit für geduldiges Warten. Wir können vieles »machen« und nur weniges »wachsen lassen«. Manche junge Menschen leben gar nicht selbst, sondern werden gelebt: in den Ohren haben sie Stöpsel für Musik, vor den Augen haben sie ihren i-Pad und lassen sich unterhalten. Die Reklame berieselt sie. Die digitale Welt kontrolliert sie. Sie sind wie Kranke an Apparate angeschlossen. Statt geduldig zu schauen, fotografieren sie; statt sich auf sich selbst zu besinnen, machen sie Selfies. Manche moderne Menschen sind auf der Flucht vor sich selbst und ihrer inneren Leere, darum haben sie die Geduld mit sich selbst gar nicht kennen gelernt oder verloren.
Und doch leben wir alle von der Geduld. Neun Monate hatte unsere Mutter Geduld mit uns, bevor wir das Licht dieser ungeduldigen Welt erblickten. Wir verdanken unser Leben den Personen, die uns »aufwachsen« ließen. Wir leben beständig davon, dass andere Menschen Geduld mit uns haben, uns Zeit lassen und uns Lebensräume öffnen.
Die Erde hat Geduld mit einer Menschheit, die wie eine Krankheit auf ihr wütet. Wir beuten ihre Bodenschätze aus, holzen ihre Wälder ab, vergiften ihre Luft, und dennoch hat die Erde Geduld mit uns Menschen. Im Klimawandel der heutigen Zeit scheint die Geduld der Erde erschöpft zu Ende zu gehen.
Gott hat unendliche Geduld mit seiner Schöpfung »Mensch«, weil Gott sie liebt, obwohl ihn schon gereute, die Menschen geschaffen zu haben. Also hat Gott auch Hoffnung auf eine gottentsprechende Menschheit. Gottes Geduld schafft Lebenszeit.
Was ist Geduld und wie erlernt man sie?
VORWORT
Ich habe Geduld erfahren und gelernt während der hoffnungslosen Krankheit meiner Frau. Der Traktat über die Geduld ist während dieser Jahre entstanden.
Mit Geduld, Barmherzigkeit und Solidarität gehen andere auf uns ein und geben uns Zeit und Raum und Kräfte zum Leben.
Mit Geduld, Barmherzigkeit und Solidarität gehen wir auf andere ein und geben ihnen Zeit und Raum und Kräfte zum Leben. Geduld ist die Energie des Zusammenlebens.
Wenn wir keine Geduld mehr miteinander haben, zerbricht das Miteinander unserer Gemeinschaft.
Ich habe den Vortrag über Barmherzigkeit und Solidarität zum Jubiläum der Katholischen Universität von Mailand im Jahr 2014 gehalten.
Ich widme dieses Buch meiner Frau Elisabeth, die mir mit ihrer Liebe Zeit und Raum und das Glück des Lebens mit ihr gegeben hat: »Und ewige Freude wird über ihrem Haupte sein« (Jes 35,10).
Ich danke Herrn Diedrich Steen und dem Gütersloher Verlagshaus, dass sie diese ungewöhnliche Form eines Buches möglich gemacht haben.
Tübingen, Weihnachten 2017
Jürgen Moltmann
ÜBER DIE GEDULD1
I LEBENSERFAHRUNGEN MIT DER HOFFNUNG UND MIT DER GEDULD
1. Sind Hoffnung und Geduld Gegensätze?
Hoffnung begeistert, Geduld ist mühsam. Hoffnung macht das Leben licht, Geduld beschwert das Leben. Wer hofft, bricht zu neuen Ufern auf, wer Geduld übt, ist zum Tragen bereit. Die Hoffnung macht das Leben aktiv, das Dulden macht das Leben passiv. Wer hofft, kann handeln, wer duldet, muss etwas ertragen.
In meiner Jugend lernte ich den »Gott der Hoffnung« kennen und liebte die Anfänge des neuen Lebens mit neuen Ideen.2 In meinem Alter lerne ich den »Gott der Geduld« kennen und bleibe an meinem Platz im Leben. Jugend und Alter sind nicht nach Lebensjahren zu messen, es sind Lebenserfahrungen und Einstellungen zum Leben. Ich werde »jung« und erforsche die Abenteuer des Lebens und ich bin »alt« und lerne die Schmerzen des Abschieds zu ertragen. Ich fühle mich »jung«, wenn ich dem »Gott der Hoffnung« im auferweckten Christus nahe komme. Ich werde »alt« und lerne, die Enttäuschungen des Lebens zu ertragen, wenn ich dem »Gott der Geduld« im leidenden Christus nahe komme.
2. Ergänzen sich Hoffnung und Geduld?
Ohne Geduld wird die Hoffnung oberflächlich und verflüchtigt sich rasch, wenn die ersten Widerstände sich zeigen. In der Hoffnung fangen wir etwas Neues an, aber nur mit Geduld halten wir durch. Erst in der beharrlichen Geduld wird die Hoffnung nachhaltig. Geduld ist eine Tugend, die wir in der Hoffnung lernen. Auf der anderen Seite sinkt die Geduld in die Passivität ab, wenn die Hoffnung verloren geht. Mit der Hoffnung wird Geduld zu einer aktiven Passivität. In der Hoffnung bejahen wir die Schmerzen, die sie einbringt, und erdulden sie. Geduld ist nicht nur patientia, sondern auch perseverantia.3 Hoffnung und Geduld ergänzen sich und können nicht ohne einander sein. Geduld ist die Kehrseite der Hoffnung und Hoffnung ist die Kehrseite der Geduld. Meistens lernen wir beides zugleich.
Ich lernte die Hoffnung persönlich kennen, als ich den Zwang und die Einsamkeit eines Kriegsgefangenenlagers erdulden musste. Als 18-Jähriger lernte ich den »weiten Raum« der Hoffnung kennen und sah jedem Vogel, der über das Lager flog, mit Sehnsucht nach. So lerne ich jetzt, da ich noch immer von der Unruhe der Hoffnung getrieben werde, die Geduld kennen, die ich nicht habe, und die Ruhe des Herzens, die ich lange gesucht habe.
3. Geduld mit anderen – Geduld mit sich selbst
Unsere Selbsterfahrungen sind in Beziehungserfahrungen eingebettet, sie werden nicht nur in Selbstbezüglichkeit gemacht. Darum sind Hoffnung und Geduld keine Tugenden eines einsamen Subjektes, sondern Beziehungsgeschehen. Ich erwache zur Hoffnung, weil jemand mir etwas zutraut. Ich fange etwas Neues an, weil jemand sein Vertrauen auf mich setzt und etwas von mir erwartet. Ich erfahre die Geduld anderer mit mir und entfalte mich in dem Lebensraum, den sie mir einräumen. Ich habe Geduld mit einem oder einer anderen, weil ich Hoffnung für sie habe und lasse ihnen Zeit und warte und halte ihnen einen Platz in meinem Leben offen und freue mich auf sie.
Das geschieht von gleich zu gleich in symmetrischen Lebensverhältnissen. Wir sind voneinander abhängig und müssen uns aufeinander verlassen. Schwierig, aber lebensnotwendig werden Geduld und Hoffnung in den asymmetrischen Lebensverhältnissen wie beispielsweise zwischen Eltern und Kindern sowie im Alter, etwa im Umgang mit demenzkranken geliebten Menschen.
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