Augen ohne Gesicht - Axel Fischer - E-Book

Augen ohne Gesicht E-Book

Axel Fischer

4,5

Beschreibung

Karin Weber, die toughe Leiterin der Kölner Mordkommission, schaut stolz auf eine Menge gelöster Fälle zurück. Keiner ihrer männlichen Kollegen hatte ihr zugetraut, dass sie sich als Kommissariatsleiterin lange auf diesem Posten würde halten können. Doch Karin suchte sich gute Mitarbeiter und schlug stets gnadenlos zu, wenn es um die Aufklärung von Mordfällen ging. Einzig ihr Privatleben litt ständig unter den vielen Überstunden. Während eines Kneipenbesuchs lernt Karin den Arzt Dr. Udo Stein kennen. Karin weiß ihr Glück kaum zu fassen. Doch ein psychopathischer Serienkiller findet ebenfalls Gefallen an seiner Jägerin und beginnt mit ihr zu spielen. In abartigen Botschaften fleht er Karin förmlich an, ihn doch endlich zu finden und zu verhaften. Irgendwann stößt Karin an ihre psychische Grenze, während der Mörder weiter sein Unwesen treibt.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 1

Schmunzelnd betrachtete Karin das postkartengroße Foto, das sie sanft wie ein rohes Ei in ihren Händen hielt. Das Portrait, das einen freundlich lächelnden Mann mit strahlend weißen Zähnen abbildete, stellte für sie zurzeit das einzig Positive in ihrem Leben dar. Seine tiefblauen Augen hatten sie gleich beim ersten Hinsehen in ihren Bann gezogen. Wenn sie jedoch ihren Blick über den Rand des Bilderrahmens zum Flipchart gegenüber ihrem Schreibtisch schweifen ließ, starrte sie ungeschönt dem Grauen ins Gesicht. Mehrere mahnende Augenpaare aus tiefen Augenhöhlen flehten sie mit gebrochenem Blick aus grässlich bleichen Schädeln an, doch schnellstens dem sinnlosen Töten des Serienkillers ein Ende zu bereiten. Der Täter hatte den ehemals bildhübschen Frauen jegliche Würde genommen, indem er akribisch deren zarte und wohl gepflegte Gesichtshäute abpräparierte und nur das fleischige, sehnige Unterhautgewebe auf dem nackten Schädelknochen zurückließ. Karin Weber lief es eiskalt den Rücken herunter und ein Würgereiz, ausgehend von ihrer Magengrube, mahnte zum schnellen Wegschauen. Rasch sah zurück auf das Foto und wartete, bis sich die grässlichen Fratzen des Todes verflüchtigt hatten. Sie musste sich irgendwie ablenken. Zu gewaltig war die Belastung, die ihre Psyche in diesem Fall zu ertragen hatte, und schlimmer noch die Tatsache, dass sie bereits davor stand, einfach an dem Erlebten und Gesehenen zu zerbrechen. Fünfundzwanzig Jahre arbeitete sie nun als Polizeibeamtin. Die entsprechende Urkunde, die sie vor drei Jahren verliehen bekommen hatte, hing gleich rechts neben ihr in einem schlichten Glasrahmen an der weiß gestrichenen Wand. Sie war sich nie für irgendeinen Job bei der Polizei zu schade gewesen. Bei der Sitte hatte sie sich mit diversen Zuhältern herumgeprügelt. Einer davon hatte ihr, während einer Festnahme, in den linken Oberschenkel geschossen. Drei Wochen später saß Karin Weber wieder hinter ihrem Schreibtisch und bereitete schon den nächsten Einsatz vor. Kurz bevor sie die Leitung des Kommissariats Mord in Köln übernahm, sprengte sie als stellvertretende Leiterin des Sittendezernats mit ihrem Team einen Mädchenschlepperring aus Osteuropa und sorgte damit für eine Menge Aufsehen. Doch das, was sie bisher in vielen Mordfällen mit ansehen musste, stand in keinem Verhältnis zu ihrem jetzigen Fall. Die Kaltblütigkeit, mit der der Serienmörder vorging, war einfach unbeschreiblich, nein, menschlich gesehen einfach unglaublich. Mehrfach hatte sie schon darüber nachgedacht, wie ein Mensch nur so brutal, so gefühllos sein konnte, andere Menschen unter grauenvollen Schmerzen derart zu misshandeln und letztendlich zu töten.

Karin legte sich zur Entspannung ganz in ihrem Schreibtischsessel zurück. Sie schlüpfte aus den kurzen Cowboystiefeln und legte ihre nackten Füße auf die Schreibtischplatte. Die Gefahr, bei diesem frevelhaften Verhalten ertappt zu werden, schien ihr gering, da sich die meisten Kollegen bereits ins Wochenende verabschiedet hatten. Immer wieder musste sie in das lächelnde Gesicht von Dr. Udo Stein blicken. Letzte Woche hatte sie ihn im Schlösschen kennen gelernt. Es war reiner Zufall gewesen, als sie ihn im Freitagabendgetümmel in der gemütlichen Kneipe unvermittelt angerempelt hatte. Sogleich waren ihr seine dunkelblauen Augen aufgefallen, aus denen er sie freundlich anblickte. Udo war so ganz nach Karins Geschmack. Er trug sein dunkelblondes Haar kurz geschnitten. Seine Hände schienen professionell gepflegt zu sein. Sein ganzer Körper strotzte vor Kraft, jedoch nicht prollig auffallend. Er schien wie sie selbst ein Faible für Cowboystiefel zu haben, denn auch seine Füße steckten in dunkelbraunen Wildlederboots. Sie waren sich sehr sympathisch gewesen und hatten den ganzen Abend verquatscht. Was sie sehr gefreut hatte war die Tatsache, dass Udo sie nicht gleich am ersten Abend abschleppen wollte. Auf diese One-Night-Stands stand sie schon lange nicht mehr. Irgendwie fühlte sie sich mit achtundvierzig zu mittlerweile zu alt dafür. In der ersten Zeit nach ihrer Scheidung von Herbert vor fünf Jahren meinte sie etwas im Leben verpasst zu haben, gerade was den Sex anbetraf. Einige Monate lang tobte sie sich aus und ließ garantiert nichts anbrennen. Doch schon bald hasste sie diese Leere nach jeder durchlebten Nacht, wenn sie sich am nächsten Morgen leise aus der Wohnung ihres jeweiligen Beischlafpartners schlich, ohne glückliche Gefühle erlebt zu haben. Als sie eines Samstags morgens nach wenig erfüllter Nacht von ihrer Eroberung aufgeweckt und daraufhin gebeten wurde, rasch zu verschwinden, weil sich dessen Ehefrau von der Nachtschicht auf dem Heimweg befand und wohl gleich in Erscheinung treten würde, entschied sie, ein anderes Leben zu beginnen.

Udo hatte sie für heute Abend zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Wahrscheinlich ein Wink mit dem Zaunpfahl oder doch nicht? Sie konnte ihn noch nicht so richtig einschätzen. Attraktiv genug war er allemal, um sich in seine kräftigen Arme zu legen. Doch ob er das auch von ihr wollte, konnte sie nicht ermitteln. Sie musste lächeln: Der Begriff ermitteln war ja mal wieder typisch für sie. Als gestandener Weiberbulle konnte sie einfach nicht aus ihrer Haut. Udo hatte vier Jahre weniger als sie auf dem Buckel und selbst seine vierundvierzig sah man dem Kerl nicht an. Aber auch sie selbst konnte sich nicht beklagen. Mit einer Körperlänge von knapp unter einsachtzig und einem Gewicht von um die siebzig Kilogramm befand sie sich für richtig griffig. Da kaum eine Woche verging, in der sie nicht etwas Kampf- oder Ausdauersport betrieb, widersetzte sich auch ihre ordentliche Oberweite jeglicher Schwerkraft.

Das Klingeln ihres Telefons riss Karin aus ihren Gedanken. „Weber? Ach, hallo, Ernst. Du bist noch nicht nach Hause gegangen?“ „Hallo, Karin. Nein, ich habe gerade deine letzte Leiche obduziert.“ „Und?“ „Auch diesmal hat unser Täter der jungen Frau bei lebendigem Leib die Gesichtshaut herunter präpariert. Und wieder hat er ein Medikament dazu verwendet, das sein Opfer willenlos machte. In wie weit auch eine gewisse Schmerzfreiheit damit erzielt wird, kann ich noch nicht sagen. Ich komme immer noch nicht hinter die Herkunft der Mixtur.“ „Das bedeutet, die arme Frau musste genau wie ihre drei Vorgängerinnen auch erleben, wie unser Täter ihr gemächlich die Haut vom Gesicht entfernt hat?“ „So ist es.“ „Wie viele kranke, paranoide Irre haben wir schon gemeinsam geschnappt, Ernst?“ „Es waren schon eine ganze Menge, Karin.“ „Aber so ein perverses Schwein hatten wir noch nicht darunter. Was hast du sonst noch?“ „Das Ejakulat, das wir auf ihrem rechten Fuß gefunden haben, hat die gleiche DNA wie bei unseren übrigen Opfern auch.“ „Was heißen könnte, dass unser Täter gefunden werden möchte.“ „Davon kannst du ausgehen.“ „Aber ohne eine Gegenprobe können wir seine DNA nicht zuordnen.“ „Auch das ist richtig und soll ich dir etwas sagen, Karin: Der Täter weiß das ganz genau. Er neckt dich, will dich provozieren und wartet, bis du ausrastest.“ „Wenn ich den zu fassen bekomme ….“ „Was dann, Karin?“ „Ach, ich weiß auch nicht. Ich fühle mich ausgebrannt, niedergeschlagen und finde einfach keinen Ausweg aus dieser Tretmühle.“

„Gönn dir einfach mal ein ruhiges Wochenende, Karin. Fahr mal in so ein Wellnesshotel und lass dich nach Strich und Faden durchkneten und verwöhnen.“ „Ach, Ernst, du kennst mich doch lange genug. Ich geb doch nichts um stinkende Schlamm-packungen und grünes Algenzeugs im Gesicht.“ „Das war auch nur ein Vorschlag. Du solltest nur einfach mal zur Ruhe kommen.“ „Ich werde deinen Rat berücksichtigen, Ernst. Hast du sonst noch etwas gefunden?“ „Keine Fesselspuren an Hand und Fußgelenken. Keine Penetration im Genital- oder Analbereich.“ „Kein Wunder, er spielt ja immer mit den Füßen seiner Opfer und spritzt sein Sperma stets auf deren Zehen am rechten Fuß.“ „Ja, richtig, die Zehnägel waren wieder sehr sorgfältig pedikürt und lackiert.“ „Alles wie bei den übrigen Opfern auch?“ „So ist es, Karin.“ „Dann lass uns Feierabend machen, Ernst. Wir sprechen uns Montag. Schönes Wochenende.“ „Dir auch.“

Sie ließ sich wieder in ihren Stuhl zurückfallen. Unbehagen überkam sie und ein leichter Kopfschmerz zog sich von den Schläfen herunter zum Hals in den Nackenbereich hinein. „Du hast eigentlich Recht, Ernst, ich sollte mal so eine Massagefarm aufsuchen und mich von oben bis unten durchkneten lassen“, flüsterte sie leise vor sich hin und rieb sich dabei mit den Fingerspitzen ihre Schläfen. Sie blicke hinüber zu ihrer Schreibtischuhr. „Ist ja erst kurz nach fünf. Hast ja noch massig Zeit, Frau Hauptkommissarin“, sprach sie wieder zu sich selbst. „Los, fahr Heim und mach mal wieder sauber. Duschen möchtest du dich ja auch noch und eine Maschine Wäsche ist auch wieder fällig. Dein Kühlschrank arbeitet zurzeit auch nur just for fun. Jedenfalls gibt es nicht viel an Inhalt, welchen er kühlen muss. Also kauf mal wieder ein, Karin“, befahl sie sich. Ihre rechte Hand fuhr bereits den PC herunter. Rasch schlüpfte sie wieder in ihre Stiefel und erhob sich aus ihrem Sessel. Sie tat drei Schritte und öffnete ihren Kleiderschrank, dem sie den schwarzen Integralhelm, ihre Handschuhe und ihre schwere Lederjacke entnahm. Obwohl das Thermometer immer noch gute achtundzwanzig Grad anzeigte, zog sie die Jacke an und den Reißverschluss zu. Der metallisch, kühle Druck an ihrer rechten Hüfte signalisierte ihr ein gewisses Maß an Sicherheit, denn dort fühlte sie ihre Dienstwaffe mit den zwei Reservemagazinen im Holster. Kurz ließ sie noch ihren Blick umher schweifen, ob alles ihren Wünschen entsprach. Sie fand nichts, dass einem schönen Wochenende jetzt noch im Wege stand. Dafür hatte sie sich extra mit dem Rücken zu ihrem Flipchart gestellt, um sich den Anblick der gebrochenen Augen der vier toten Frauen zu ersparen, denen die Freude an schönen Stunden während der freien Tage am Wochenende für immer genommen wurde.

Kapitel 2

Die Kälte der Glasscheibe, die die Brustspitzen der jungen Frau zu harten, kleinen Kirschkernen anschwellen ließ, bemerkte sie schon länger nicht mehr. Wie ein Lurch, der gleich mit seinen Saugnäpfen daran hochzuklettern gedachte, stand sie an die kalte Glaswand gepresst und stierte hindurch in eine andere, angenehme Welt. Auf ihrer Seite herrschte Dunkelheit, feuchte Kälte und Mangel, während es hinter der Glasscheibe Wärme und Komfort im Überfluss zu genießen gab. Zwei starke Scheinwerfer, deren Temperaturen jedoch nicht durch die Dicke des Glases hindurch drang, beleuchteten eine hübsch drapierte Pflanzenwelt mit einem kleinen Pool, eine breite, bequeme Liege, einen Tisch, auf dem eine prall gefüllte Obstschale und ein gewaltiger Schinken in einem Holzgestell präsentiert standen und zum Zugreifen einluden. Einen Sektkühler, in dem eine Flasche Mineralwasser zum Durstlöschen animierte, konnte sie ebenfalls erkennen. Beate wusste nicht, wo sie sich befand. Sie hatte auch schon beinahe vergessen, wer und was sie war, doch zwei Dinge sorgten bei ihr für ein unbändiges Verlangen: Sie hatte Durst, gewaltigen Durst und Hunger und gleich vor ihr, zum Greifen nah und doch unerreichbar, erblickte sie die Obstschale, den Schinken und die Flasche Wasser. Wann er sie wieder trinken und essen ließ, wusste sie nicht. Überhaupt hatte sie bereits jedes Zeitgefühl verloren, denn da, wo sie sich befand, herrschte ausnahmslos Dunkelheit. Lediglich die beiden Punktstrahler, die automatisch in ungleichen Intervallen ein- und ausgeschaltet wurden und Licht auf die Objekte ihrer Begierde warfen, sorgten hin und wieder für Helligkeit. Wenn er sie jedoch holte, schaltete er zusätzlich die Deckenbeleuchtung ein. Dann führte er sie ins Paradies hinter der Scheibe, und wenn sie dann tat, wonach es ihn gelüstete, durfte sie essen und trinken. Das Procedere war stets das Gleiche: Er holte sie, gewährte ihr den Gang zur Toilette und ein kurzes Duschbad. Sie musste sich im Anschluss abtrocknen, sich mit einer Bodylotion eincremen und ihre Haare fönen und kämmen. Dann kontrollierte er den Nagellack an ihren Händen und vor allem an ihren Füßen. Während sie dann endlich etwas essen und trinken durfte, entfernte ihr der Unbekannte mit der venezianischen Maske den Lack von ihren Fußnägeln und trug gleich neuen auf. Gleichzeitig entfernte er mit einer Feile jegliche Schrunden oder verhärtete Haut. Mit großem Aufwand salbte er sodann ihre Füße. Eigentlich gefiel ihr diese Prozedur sogar. Doch sie befand sich ohnehin außer Stande, sich gegen sein Tun zur Wehr zu setzen. Sie fühlte auch keine Schmerzen, selbst wenn er ihr wieder eine Injektion verabreichte. Nur der Drang, Essen und Trinken zu können, verfolgte sie ständig.

Gerade fühlte sie wieder diese extreme Gier nach Wasser und etwas Essbarem, die unaufhaltsam in ihr hochstieg. Jeder Tropfen Kondenswasser, der am Rand des Sektkühlers herab lief und ungetrunken auf dem Tischtuch vertrocknete, brannte sich in ihr Bewusstsein und bereitete ihr schwerste Entbehrungsschmerzen. „Wann kommst du wieder? Bitte, bitte, komm schnell wieder“, hauchte sie gegen die Glasscheibe. Ihre rechte Wange drückte sie fest gegen das kühle Glas wie auch ihre Zunge, in der Hoffnung etwas von der Feuchtigkeit zu erhaschen, die in Form einer Träne ihr rechtes Auge verließ. Urplötzlich verloschen die Scheinwerfer wieder und tiefe Dunkelheit umgab sie. Leise begann sie ein Kinderlied zu summen. Weil ihre Blase drückte, ließ sie sich an der Scheibe auf den Boden gleiten. Auf allen Vieren kriechend tastete sie sich dem Eimer entgegen, in den sie sich entleeren konnte. In Zeitlupe, sich wie ein Chamäleon vor und zurück tastend, kroch sie über den rauen Betonboden. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis ihre linke Hand endlich den großen Eimer ertastete. Ermattet und völlig dehydriert sackte sie neben ihrer Ersatzlatrine zusammen. Wie lange sie dort gelegen hatte, konnte sie nicht sagen. Ganz sicher hatte sie der Druck auf ihre Blase zurück in die Wirklichkeit geholt. Verzweifelt versuchte Beate Müller, sich auf den Eimerrand aufzustützen. Ihre linke Hand drückte einen Hauch zu früh auf den Rand des Gummibehältnisses auf, was dazu führte, dass der Eimer umschlug, sie zu Boden fiel, währenddessen der harte Rand ihr ungehemmt gegen den Kopf schlug. Benommen sackte sie in einer Lache aus Urin, die von ihrer letzten Notdurft stammte, in sich zusammen, während sich unkontrolliert ihre Blase entleerte. Von einem Weinkrampf geschüttelt, blieb Beate Müller auf dem kalten Betonboden liegen. Eine ganze Zeit später raffte sie sich noch einmal auf und suchte nach ihrem Schlaflager, das aus einer einfachen Matratze mit einer Decke bestand. Sie schaffte es gerade noch, sich auf ihre Schlafstadt zu ziehen und unter die Decke zu schlüpfen. Kurz darauf fiel sie in tiefe Agonie.

Kapitel 3

Karin Weber drehte rechts am Gasgriff ihrer schweren BMW-Enduro. Wieder und wieder war es ihr ein Genuss, die Kraft ihrer Maschine zu spüren. Der durchzugsstarke Motor der Geländemaschine schnurrte wie ein Uhrwerk und beschleunigte in wenigen Sekunden auf Tempo neunzig. Sofort nahm Karin das Gas zurück, da auf der Zoobrücke nur Tempo achtzig erlaubt war. Ohne Hast schwamm sie im Freitagnachmittagsverkehr mit und erreichte schon nach kurzer Zeit auf der Inneren Kanalstraße den Zubringer am Gleisdreieck auf die A 57. Als sie endlich den Autobahnabschnitt ohne Geschwindigkeitsbeschränkung erreichte, gab sie Gas. Die 1000-er BMW reagierte sofort und nahm Fahrt auf. Leider lagen nur knapp sechs Kilometer Fahrstrecke vor ihr. Schon hatte sie die Abfahrt nach Pesch erreicht. Gefühlvoll legte sich Karin in die Kurve und verließ die Autobahn. Bei Edeka erstand sie noch das Nötigste als Futter für ihren leeren Kühlschrank und stopfte alles in ihre beiden Satteltaschen. Zweimal musste sie nun noch links abbiegen, bevor sie langsam in ihre Garage rollte. Eigentlich war das Fünfzigerjahre Häuschen, das sie von ihren Eltern geerbt hatte, viel zu groß für sie alleine. Jedes Jahr nahm sie sich aufs Neue vor, wegen der bestehenden Wohnungsnot die untere Etage an Studenten zu vermieten und jedes Mal kam ihr irgendetwas dazwischen. Karin verschloss per Knopfdruck das Garagentor. Langsam schleppte sie ihre beiden Einkauftüten die Treppe hoch in ihre gemütliche Behausung. Als sie ihren Einkauf sortiert und verstaut hatte, stieg sie aus ihren Stiefeln und befreite sich von ihrer Jeans. Karin goss sich ein Glas Mineral-wasser ein und pflanzte sich damit auf ihrer hübsch gestylten Terrasse in einen Gartenstuhl. Als Alibi und um wenigstens eines ihrer hauswirtschaftlichen Vorhaben für den Nachmittag in die Tat umgesetzt zu haben, stopfte sie ihre Buntwäsche in die Waschmaschine und schaltete diese ein. Damit hatte sich auch schon ihr Arbeitseifer verflüchtigt. Irgendwie beruhigt nahm sie wieder auf ihrer Terrasse Platz. Sie legte den Kopf zurück und gewährte den letzten Abendsonnenstrahlen ihre Gesichtshaut zu pieksen.

Urplötzlich schreckte Karin hoch. Sie musste eingenickt sein. Als sie sich verwundert und verschlafen umschaute, war die Sonne bereits am Horizont verschwunden. Ein Blick auf ihre Armbanduhr riet ein wenig zur Eile. Wenn sie auf die Minute pünktlich sein wollte, verblieben ihr jetzt noch genau dreiunddreißig Minuten fürs Wäsche aufhängen, duschen, anziehen und die Anfahrt nach Bayenthal. „Eins nach dem anderen“, sprach sie, sich selbst beruhigend, vor sich hin und erhob sich gemächlich von ihrem bequemen Terrassenstuhl. Zuerst verschaffte sie ihrer Wäsche einen Ausflug auf das Wäschereck. Ihr nächster Weg führte Karin in ihr Bad und dort unter die Dusche. Die Haare sparte sie aus, weil sie diese bereits am Morgen gewaschen hatte. Nur in ein Handtuch gewickelt und mit einer schweren Haarklammer auf dem Kopf tänzelte sie vor ihrem Kleiderschrank hin und her um abzuwägen, was wohl dem Anlass entsprechend die richtige Bekleidung für den Abend darstellen könnte. Weil sie aus Zeitgründen auf ihren Mustang-Cabrio Oldtimer verzichten wollte, blieb ihr nicht viel Auswahl für die Abendgarderobe. Sie griff sich eine hellblaue Jeans und ein weißes Leinenhemd aus dem Schrank. Bei der Unterwäsche ging sie ebenfalls keine Kompromisse ein. Der feine Markenslip formte gleichzeitig noch einen flachen Bauch und der Sport-BH vom gleichen Hersteller verhalf ihr zu einer makellos sitzenden Oberweite, ohne das jede Bodenwelle ihre Brüste in ungewollte Schwingungen versetzte. Ohne Strümpfe rutsche sie wieder in die Cowboystiefel. Weil ein Handtäschchen weder zu ihr noch zu ihrer Motorradkluft passte, wählte sie den kleinen, nietenbesetzten Rucksack für den Abend. Jetzt noch eben die Lederjacke, den Helm und ihre Handschuhe und fertig war Karin Weber für das Rendezvous. Wenig später summte der Anlasser ihrer schweren BMW-Maschine und startete den Motor. Hart klackte es, als sie den ersten Gang einlegte. Gefühlvoll ließ sie die Kupplung kommen und rauschte aus dem Kölner Stadtteil Pesch hinaus auf den Militärring. Karin fuhr hart am Limit der Geschwindigkeitsbegrenzung von Tempo siebzig. Sie bremste kurz vor der Abfahrt zum Containerterminal wegen eines fest installierten Starenkastens ab und brauste weiter vorbei am Heeresamt zum Köln/Bonner Verteiler. Als dort die Ampel auf grün sprang, fädelte sie sich ganz links ein und verließ den Verteiler in Richtung Rheinufer. Hart legte sie sich in die Kurve. Es war ihr ein Genuss zu spüren, wie die schwere Maschine artig ihren Lenkbewegungen folgte, um dann kraftvoll die Kehre zu verlassen. Eigentlich wäre sie jetzt gern noch ein halbes Stündchen gefahren, doch sie wollte ihren Gastgeber nicht über Gebühr warten lassen. Noch gut in der Karenz des akademischen Viertels drückte sie auf den Klingelknopf von Dr. Udo Stein.

Krächzend vernahm sie die Stimme von Udo aus der Gegensprechanlage. „Karin? Bist du`s?“ „Kripo Köln. Ich komme, um Sie zu verhaften“, antworte sie mit einem verschmitzten Lächeln und hielt ihr Gesicht ganz nah vor die Kamera. Der Türsummer gab ihr den Zugang gleich frei. Karin drückte die schwere Glastür auf und betrat einen äußerst gepflegten Hausflur, den Blumenkübel und mehrere Kunstdrucke an den Wänden wohnlich aussehen ließen. Die Wohneinheiten schienen ziemlich groß zu sein, da Karin an Hand der sechs Klingelknöpfe nur sechs Wohnungen ausmachen konnte. Udo Steins Behausung lag auf der dritten Etage, und weil sie Aufzüge wie der Teufel das Weihwasser mied, machte sie sich zu Fuß auf den Weg ins dritte Obergeschoss. Die weißen Marmorstufen hinterließen einen sehr gediegenen Eindruck. Karin bereiteten die vielen Stufen nach oben keine Probleme. Wenn es ihre Zeit erlaubte, joggte sie täglich durch den Grüngürtel und erhielt so ihre Top-Kondition. „Du scheinst etwas gegen meinen Aufzug zu haben, sonst wärst du nicht zu Fuß hier herauf gelaufen. Hallo, Karin.“ „Hi, Udo. Damit könntest du Recht haben. Ich mag diese Enge in den Kabinen nicht, und schneller als er bin ich alle Male“, erwiderte sie grinsend. Sie hatte gleich erkannt, dass Udo heute noch besser aussah als bei ihren letzten Treffen. Seine mittelblonden Haare waren ganz frisch gewaschen und ohne Kamm oder Bürste nur vom Fön getrocknet, wenn er überhaupt einen benutzt hatte. Seine wachen, blauen Augen schienen seinem Hirn zu signalisieren, dass sie mit ihrem Outfit seinen Geschmack getroffen hatte. Jedenfalls lächelte er sie sehr erfreut an. Udo trug ein naturfarbenes Leinenhemd lässig über einer leichten, weißen Baumwollhose. Seine Füße steckten in ledernen Zehensandalen. Irgendwie standen sie sich unschlüssig gegenüber. „Möchtest du im Hausflur essen oder kommst du rein?“, fragte er frech nach, sicher auch, um ein wenig seine Verlegenheit zu überspielen. „Ich wurde noch nicht hereingebeten, Herr Doktor“, konterte Karin gespielt zickig. Udo trat lächelnd einen Schritt vor und fasste mit seinen kräftigen Händen an ihre Schultern. Sanft, beinahe unbemerkt küssten seine Lippen ihre Stirn. „Komm doch herein. Herzlich willkommen. Ich freue mich sehr, dass du gekommen bist.“ Karins Nase konnte sich beim Betreten der Wohnung nicht entscheiden, ob der Duft nach Knoblauch und frischen Kräutern ihr mehr zusagte, als der seines Eau de Toilette, das ebenfalls sehr würzig, nur halt anders, ihre Geruchsrezeptoren verwöhnte. Udo half ihr erst mal aus der schweren Lederjacke. Karin warf ihre Handschuhe in den Helm und legte diesen auf eine kleine Kommode.

Kapitel 4

Karin war von dem Ambiente seiner Wohnung mehr als überrascht. Überall erinnerten geschnitzte, afrikanische Masken, die manches Mal drohend von den Wänden herab-schauten, und das Mobiliar an den Innenraum einer afrikanischen Lodge. Zwei gekreuzte Speere und ein lederner Schild hingen gleich über der breiten Terrassentüre. Verschiedene hölzerne Raumteiler wie auch ein leichter Schreibtisch hätten auch einer Buschklinik gut gestanden. Die Polstergarnitur war mit schwarzem, schweren Leder bezogen, dass sich jedoch ganz weich anfühlte. Auch die riesige Dachterrasse war ausschließlich in afrikanischem Stil gestaltet. In Holzgestellen schwebende, gut gepolsterte breite Sessel luden zum Chillen ein. Karin beeindruckte der fest gemauerte Grill auf der linken Seite der Terrasse ganz besonders, da sie richtig Hunger verspürte. Riesige Garnelen brutzelten auf dem Rost, genauso wie ein ordentliches Stück dunklen Fleisches. Udo beobachtete sie ganz genau, und es blieb ihm nicht verborgen, dass es Karin hier zu gefallen schien.

Der Hausherr hatte den für acht Personen ausgelegten, grob gehauenen, schweren Holztisch fein eingedeckt. „Möchtest du Wein, Bier oder etwas Antialkoholisches zum Essen trinken?“ „Weißwein.“ Das Udos Gesicht jetzt einen freudigen Ausdruck annahm, lag ganz sicher daran, dass sich Karin offensichtlich auf eine Übernachtung bei ihm eingestellt hatte. Er schloss dies daraus, da sie ihm schon bei ihrem letzten Treffen erzählt hatte, dass sie keinen Tropfen Alkohol anrührte, wenn sie noch fahren musste. „Grins nicht so, Udo, ich kann mir auch ein Taxi nehmen“, konterte sie lächelnd. Sie schien seine Gedanken erraten zu haben. „Jetzt setz dich erst mal hin und mach es dir gemütlich.“ Karin ließ sich dies nicht zweimal sagen und pflanzte sich auf einen der beiden eingedeckten Essplätze. Ungeniert schlüpfte sie aus ihren Stiefeln und stellte sie unter ihren Stuhl. Karin fühlte sich ohne ihre Stiefel gleich besser. „Darf ich zuerst ein paar Meeresfrüchte als Vorspeise servieren?“ „Ja, gern.“ Karin sprang auf und lief zum Grill. Udo griff gerade mit einer gewaltigen Zange nach zwei Riesengambas, die er auf einen Teller drapierte. Dazu legte er kurz angebratene Jakobsmuscheln und Stücke vom Seeteufel. „Das sieht aber lecker aus.“ „Ich hoffe, es schmeckt auch so wie es aussieht.“ Udo balancierte ihre beiden Vorspeisenteller zum Tisch herüber. Er nahm Karin gegenüber Platz und goss gut gekühlten Frascati in ihre Weingläser. Karin schlemmte begeistert alles weg, was Udo ihr aufgetischt hatte. Nie zuvor hatte sie ein Mann kulinarisch so verwöhnt. Sie musste kurz an Herbert, ihren Exmann denken, dem das Braten eines Spiegeleis für sie schon zu viel Mühe bereitet hatte. Einmal richtete er eine Platte mit Broten für sie an, die soweit 0k waren. Doch dies war alles lange her und gerade jetzt wollte sie nur den Moment genießen. „Schmeckt es dir?“, wurde sie von Udo zurück in die Realität gerufen. „Und wie, vorzüglich sogar. Du solltest ein Restaurant eröffnen.“ „Ach, ich weiß nicht. Ich koche ja sehr gern. Aber immer nur für andere Leute kochen würde mir dann auch nicht gefallen.“

Weil ihre Hauptspeise noch etwas Garzeit benötigte, legten sie sich in ihren Stühlen zurück und schauten sich an. „Warum ist eigentlich so viel Afrika in deiner Wohnung?“ „Ich habe nach meiner Facharztausbildung mehrere Jahre als plastischer Chirurg für verschiedene Institutionen in Afrika gearbeitet.“ „Und wo überall?“ „In beinahe jedem Krisengebiet. Meine fachärztliche Spezialität liegt in der Rekonstruktion von zerstörten Gesichtern und Schädelverletzungen. Und glaub mir, Arbeit in dieser Richtung gab es reichlich in allen Kriegsgebieten. Alleine die Operationen unter äußerst schwierigen Bedingungen stellten jedes Mal eine gewaltige Herausforderung dar. Meine ganzen Möbel stammen aus Afrika und wurden dort, natürlich gegen Honorar, für mich angefertigt. Noch heute fahre ich manchmal in verschiedene Regionen und besuche meine ehemaligen Patienten, von denen leider schon eine Menge in folgenden Auseinandersetzungen getötet worden sind. Am schlimmsten waren für mich immer die begangenen Grausamkeiten und Gräueltaten, wenn nicht einmal vor Frauen und Kindern halt gemacht wurde. Oder Minenopfer, denen neben ihren Extremitäten häufig das ganze Gesicht fehlte. Es war oft furchtbar und dann doch wieder schön, wenn meine dankbaren Patienten nach überstandener OP geheilt zu Besuch erschienen. Udo starrte eine Zeit lang ins Leere und Karin fühlte, dass er mit seinen Gedanken weit weg war.

Kapitel 5

Sie erwachte wieder mit dem Gefühl unbändigen Durstes. Stark dehydriert erhob sie sich vorsichtig und setzte sich auf den Matratzenrand. Schwindel überfiel sie und ihr Magen stieß Magensäure nach oben. Sie schluckte heftig und vermied so, sich übergeben zu müssen. Doch der ekelig, saure Geschmack in ihrem Mund nahm wieder zu. Wieder musste sie würgen, und wieder kämpfte sie gegen den aufkeimenden Brechreiz an. Unerwartet flackerte die Deckenlampe auf, die in unregelmäßigen Abständen für eine kurze Dauer ihr Gefängnis erhellte. Es benötigte stets eine kurze Zeit, bis sich ihre Augen an das diffuse Licht gewöhnt hatten. Unsicher blickte sie sich um. Ihre Lethargie wandelte sich gleich in Euphorie um, als sie auf dem kleinen Tischchen neben der Zellentüre eine volle Flasche Mineralwasser und einen Teller mit Broten erblickte. Sie interessierte nun nicht mehr, dass sich der Inhalt ihres Toiletteneimers über dem Boden verteilte, genauso wenig wie die Tatsache, dass sie ihre Tage bekommen hatte und ihr das Blut an den Beinen herunter lief. Sie wollte jetzt nur noch essen und trinken. Langsam kam sie auf ihre Füße, doch diese trugen sie nicht mehr. Torkelnd brach sie zusammen. Nach kurzer Zeit kam sie wieder zu sich. Dann verlosch das Licht. Die totale Dunkelheit raubte ihr jede Orientierung. Vorsichtig ging sie auf die Knie. Wie ein Faultier, das sich in den Baumwipfeln nach Nahrung suchend bewegte, krabbelte sie auf allen Vieren los. Nach nur einer Minute, die ihr wie Stunden vorkam, schlug sie mit ihrem Kopf gegen eine der Wände ihrer Zelle. Der Schmerz war erträglich, da sie sich nur sehr langsam fortbewegte. Sie kroch nun weiter immer an der Wand entlang, bis sie wirklich irgendwann den kleinen Tisch erreichte. Gierig griff sie nach dem Teller mit den Broten, der gleich herunter fiel und dem Geräusch nach zerbrach. Doch die Brote rettete sie und verschlang sie beinahe ohne zu kauen. Mit dem stillen Wasser spülte sie ihre Mahlzeit herunter. Vorsichtig und mit dem Rücken gegen die Wand gepresst, schob sie sich hoch auf ihre Füße. Die Haut auf ihrem Rücken schmerzte dabei stark.

Sie fühlte sich gestärkt, wenn sie auch nicht wusste, wohin sie nun zu gehen hatte, um ihre Matratze zu erreichen. Mit beiden Händen tastete sie sich an der Wand entlang, bis sie irgendwann die große Glasscheibe fühlte. Von hier aus musste sie jetzt nur noch schnurstracks geradeaus gehen und nach wenigen Schritten würde sie ihr Lager wieder finden. Mit beiden Händen umklammerte sie ihre halbleere Wasserflasche wie einen eben ausgegrabenen Goldschatz. Doch sie war wackelig auf den Beinen, und schon nach zwei Schritten glitt sie auf den Überresten aus ihrem Toiletteneimer aus. Unglücklich fiel sie dabei auf ihr rechtes Knie und den Ellenbogen. Körperliche Schmerzen verspürte sie keine, der Verlust der Wasserflasche, die ihr beim Sturz aus der Hand gefallen war, tat ihr viel mehr weh. Wieder tastete sie sich auf allen Vieren voran und schnell war ihr Flüssigkeitsspender gefunden. Ein Seufzer der Freude entfuhr ihr, während sie sich weiter zu ihrem Schlaflager vortastete. Mit ihrer Flasche im Arm wickelte sie sich in ihre Decke ein und versank in einen traumlosen Tiefschlaf.

Kapitel 6

„Unser Braten ist jetzt soweit. Ich habe Folienkartoffel mit Kräutersauerrahm und Salat dazu vorgesehen.“ „Was hast du für Fleisch?“ „Antilope. Ist sehr kalorienarm, äußerst zart und sehr schmackhaft.“ „Hab ich noch nie gegessen.“ „Dann lass dich einfach überraschen.“ Udo behielt Recht: Karin schmeckte der Antilopenbraten vorzüglich. Doch nach einer Scheibe Fleisch und einer Kartoffel ging einfach nichts mehr. „Das war verdammt lecker, aber ich glaube, ich platze gleich.“ „Mal den Teufel nicht an die Wand. Ich habe kein Nahtmaterial im Haus, damit ich dich wieder zunähen kann.“ Sie mussten beide über seine Äußerung lachen. „Komm, lass uns abräumen und die Kühle des Abends genießen.“ Rasch hatten sie in seiner Küche wieder Ordnung geschaffen und die Spülmaschine befüllt. Zur Belohnung ließ Udo leckere, heiße Espressi durch seine Maschine sprudeln. „Magst du einen Cognac dazu?“ „Nein danke, ich steh nicht so auf harte Spirituosen.“ Sie genehmigten sich jeder drei der knapp siebzig Grad heißen Starkkaffeegetränke und schlenderten zurück auf die Terrasse. Ganz in einer Ecke, ein wenig abgeschottet vom restlichen Terrassengelände, warfen sie sich auf eine breite Liege. Udo öffnete die nächste Flasche Wein und schenkte wieder ein. „Was für eine Maschine fährst du eigentlich?“ „Eine 1000-er BMW-Enduro, warum?“ „Weil ich auch Motorrad fahre. Ich habe eine Harley Chopper in der Garage stehen. Leider komme ich nur noch selten zum Fahren.“ Karin war gleich Feuer und Flamme. Einen Typen, der auch Motorrad fuhr, gleichzeitig gut aussah und sich nicht aufführte wie die Axt im Walde, hatte sie noch nie kennen gelernt. „Das ist ja super. Wir können nächstes Wochenende bei schönem Wetter eine Tour machen. Was meinst du?“ „Das ist eine tolle Idee. Wohin fahren wir?“ „Ich liebe das Meer. Wir könnten nach Holland an die See fahren. Noordwijk wäre da ein schönes Ziel.“ „Ja, das machen wir. Wenn wir Freitagnachmittag losdüsen, sind wir zum Abendessen an der See und können den Sonnenuntergang am Strand genießen.“

Karin kuschelte sich fest an Udo heran. Hier in der abgetrennten Ecke der Terrasse wärmte sie noch die Resthitze, die vom Mauerwerk abstrahlte. Sie hatte sich tatsächlich ein wenig in ihn verliebt, Motorradfahrer war er auch und schließlich sorgte auch der Wein für eine wohlige Stimmung. Schon bald berührten sich ihre Lippen. Als sie dann seine Zunge an der ihren spürte und diese mit dem Liebesspiel begannen, erhöhten sich ihr Blutdruck sowie ihre Atemfrequenz überproportional. Ob Udo sie auf sich gezogen hatte oder sie sich auf ihn legte, war ihnen letztendlich völlig egal. Karin öffnete seine Hemdknöpfe und drückte ihm mit den Fingern die Brustwarzen. Leise stöhnend zog er ihr das Hemd und den BH aus. Seine Hände umfassten ihre festen Brüste. Auch er beschäftigte sich gleich mit ihren Brustwarzen, die vor Lust zu zerplatzen drohten. Dann ging alles sehr schnell. Sie befreiten sich gegenseitig von den Resten ihrer Bekleidung. Beruhigt sah Karin im Augenwinkel, dass sich Udo ein Kondom überstreifte, bevor er mit ziemlich viel Schwung in sie eindrang. Karin schrie leise auf, doch der Schmerz steigerte nur noch mehr ihre Lust. Fest schwang sie ihre Schenkel um seinen Leib, während er stoßweise vor und zurück glitt. Noch bevor beide zum Orgasmus kamen, griff er fest nach ihren Schenkeln und legte sich diese zusammen gegen seine rechte Schulter. Diese Verengung steigerte nur noch ihr Vergnügen, und als er sich ihren rechten Fuß nahm und an ihrem großen Zeh saugte, explodierte Karin förmlich. Udo folgte ihr in kurzem Abstand. „Das war einfach grandios, Udo. Ich bin ein wenig aus der Übung und hatte dem Sex schon abgeschworen, aber daran könnte ich mich wieder gewöhnen.“ Udo schmunzelte nur und nahm Karin in seinen kräftigen, rechten Arm. Mit der linken Hand angelte er nach der Decke mit dem Leopardenmuster, die neben der großen Liege auf dem Boden lag und deckte sie beide damit zu. Irgendwann schliefen sie unter der wärmenden Decke ein.

Von den kitzelnden Strahlen der Sonne geweckt, erwachte Karin als erste gegen kurz nach acht am nächsten Morgen. Sie rieb sich die noch etwas müden Augen, deren Blick sich als nächstes auf ihren völlig nackt daliegenden Helden richtete. Sanft streichelte sie seine unbehaarte Brust, bis auch er seine Augen öffnete. „Morgen, Karin, bin ich verhaftet?“ „Morgen, Udo. Ja, die Delinquenten, die ich früh morgens als erste verhafte, müssen mir ein Frühstück bereiten, sonst werfe ich sie für immer in den tiefen Kerker.“ „Oh, welch grausam Weib ich mir da eingefangen habe. Was hältst du denn davon, wenn wir in die Innenstadt zum Kaffee Reichert fahren und dort auf der Terrasse speisen?“ „Nicht übel, deine Idee, aber nur, wenn ich dich dazu einladen darf.“ „Damit kann ich wohl leben. Fahren wir mit den Mopeds?“ „Au ja. Obwohl, dann sehe ich mal wieder einen von diesen Sonntagsfahrern auf ihren teuren Maschinen herumeiern, die mit lebensgefährlichen Manövern andere Verkehrsteilnehmer gefährden.“ Udo sprang urplötzlich auf und kitzelte Karin durch. „Das werden wir ja noch sehen. Mädchen auf Motorrädern. Na ja, brauchen sie sich wenigstens nicht mit den Mühen des Einparkens abzuquälen.“ Wenn Karin bisher still gehalten hatte, wendete sie nun einen ihrer Judogriffe an und legte Udo damit rücklings flach auf die Matratze. „Ich geb dir gleich Mädchen und nicht einparken können.“ Blitzschnell setzte sie sich auf ihn. „Das war nicht deine schlechteste Idee“, kommentierte er ihre Reaktion, und als sie etwas auf ihm zu seinen Füßen herunter rutschte, spürte sie auch warum. Es folgte eine kurze Fortsetzung des Liebesspiels der letzten Nacht und doch schafften sie es noch so gerade, kurz vor Buffetschluss auf der Terrasse des Nobelcafes in der Kölner Innenstadt einen Platz zu finden.

Kapitel 7

„Und? Fahre ich nun wie ein Anfänger?“ „Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte weder Angst um den Straßenverkehr im Allgemeinen noch um dich.“ „Das ist ja beruhigend, dass du erst einmal Angst um die Allgemeinheit hast und dann um mich.“ Sie blödelten eine ganze Zeit herum und ließen sich die frischen Brötchen mit allerlei Aufschnitt, Eierspezialitäten und leckeren Marmeladen schmecken. Als Karin gerade ihre zweite Tasse Kaffee schlürfte, summte ihr Handy. „Hallo, Ernst, warum störst du mich beim Frühstück?“ „Hallo, Karin, eigentlich wollte ich dir diesen Anruf ersparen, aber wir haben wieder eine Leiche, wahrscheinlich von unserem Serientäter.“ „Scheiße. Wo liegt sie?“ „In einem Bootshaus in Worringen, Hansekai.“ „Ich komme vorbei. Bis gleich.“ „Lass dir Zeit, Karin, unser Täter hat wie gewöhnlich eine Riesensauerei hinterlassen. Bis die Spusi und ich da durch sind, ist ohnehin Abend.“ „Ja, dann bis später, Ernst.“ Nachdenklich drückte Karin auf die rote Taste ihres Handys und beendete das Telefonat. „Du siehst aus, als ob es Ärger gegeben hat, Karin. Ist es so?“ „Ärger ist die falsche Bezeichnung. Wir haben wieder eine Tote.“ „Von diesem Frauenmörder?“ „Ja.“ „Ich habe davon in der Zeitung gelesen.“ „Ich muss leider los, Udo.“ „Das kann ich verstehen. Du bist plötzlich ganz blass im Gesicht. Geht es dir gut?“ „Doch, doch, keine Sorge.“ „Sehen wir uns heute Abend?“ „Kann ich dir noch nicht sagen. Ich weiß nicht, wie lange ich am Tatort zu tun habe, aber wenn es nicht zu spät wird, warum nicht. Ich rufe dich an.“ Karin winkte bereits der Zahlkellnerin zu. „Geht es dir wirklich gut?“ „Was soll deine Fragerei, Udo? Das ist halt mein Job und ich weiß damit umzugehen. Es ist nicht die erste Tote, die mir unter die Augen kommt und ganz sicher nicht meine letzte. Ich brauche keinen Aufpasser.“ Karin drückte der Kellnerin das Geld für die Rechnung und ein anständiges Trinkgeld in die Hand und stand gleich auf. „Ich melde mich bei dir, Udo.“ Ohne einen Abschiedskuss oder weitere Erklärungen abzugeben, stiefelte Karin zu ihrem Motorrad herüber. Sie zog nur noch den Helm und ihre Handschuhe an und rauschte mit ordentlich viel Gas davon.

Licht flammte hinter der Glasscheibe auf und gab wieder den Blick auf die kulinarischen Köstlichkeiten und das Kleinod frei, worauf Beate schon mehr als sehnsüchtig wartete. Sie hatte nicht sofort reagiert, da sie ihren Kopf unter der Decke versteckt hatte. Als sie sich jedoch umdrehte, sah sie, dass es wohl wieder Zeit für ihre Erholungsphase war. Schon wurde die Türe geöffnet und der Mann mit der Maske betrat ihr Gefängnis. „Hallo, Beate, willst du nicht zur Oase gehen?“ Sie nickte nur kurz und lief ein wenig torkelnd und schweigend dem Eingang entgegen. Wie in Trance ging sie erst zur Toilette und trat dann in die Duschkabine, wo sie sich ausgiebig duschte. Der Mann mit der Maske hatte kein Auge von ihr gelassen. Wie jedes Mal, wenn sie ihre Erholungsphase zum Reinigen ihres Körpers und zum Essen und Trinken nutzte, saß er ihr schräg gegenüber in einem Sessel und beobachtete sie. Sie genoss diese Momente, weil sie dann das Gefühl hatte, ihren Peiniger endlich einmal unter Kontrolle zu haben, obwohl dem keineswegs so war. Gierig fiel sie über die Früchte und den Schinken her. Eine weitere Portion drapierte sie auf einen Teller und nahm diesen mit in den kleinen Pool. Entspannt fläzte sie sich in den aufblasbaren Schwimmsessel. Vergessen schienen all die Qualen, die sie bisher erleiden musste. Ihre pedikürten Füße plätscherten im Wasser und spielten mit den Tropfen, die sie hoch schleuderte. Sie schien einfach zu ignorieren, dass ihr gegenüber am Beckenrand des kleinen Pools ein Mann saß, der sie unentwegt betrachtete. Weil er jedoch diese