Bleib bei mir - Axel Fischer - E-Book

Bleib bei mir E-Book

Axel Fischer

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Beschreibung

Bleib bei mir Der Facharzt für Frauenheilkunde Dr. Johannes Steinhauer lebt bereits seit einer ganzen Weile als Single. Zu groß waren die Interessenunterschiede, wenn er mit Claudia das Thema Zukunftsplanung kontrovers diskutierte. Er wünschte sich eine Familie mit Kindern, während Claudia eine Karriere als Zahnärztin bevorzugte. Als Johannes an einem Freitagnachmittag in der Tiefgarage des Supermarktes einen Schlüsselbund findet, bringt er diesen zur Polizeiwache. Dort lernt er zufällig die Syrerin Alia kennen, die gerade mit ihren beiden Kindern und nur wenigen Habseligkeiten aus ihrem Heimatland geflohen war, um bei zwischenzeitlich verstorbenen Bekannten unterzukommen. Weil in der näheren Umgebung keine Notunterkunftsplätze verfügbar sind, nimmt er die kleine Familie auf. Eine humorvolle Geschichte, begleitet von gefühlvoller Zuneigung, nimmt ihren Lauf, doch schon bald wird bei Alia eine schwere Erkrankung diagnostiziert, die eine gefährliche Operation nach sich zieht. Wird Alia den Tod besiegen oder Johannes mit den beiden Kindern alleine zurückbleiben?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 1

Es hatte schon die ganze Woche an einem Stück geregnet. Doch empfand ich das Wetter heute als besonders unerträglich. Ich hatte mich schon daran gewöhnt, beim Verlassen meiner Praxis täglich an der Türe nach meinem Stockschirm zu greifen. Ob ich nun mittags für den Abend einkaufen ging oder aber zum Feierabend zu meinem Parkplatz hastete, war der Regenschirm stets mein ständiger Begleiter. War dies normal Mitte Juli? Ich dachte darüber nach, wie das Wetter wohl letztes Jahr zur gleichen Zeit gewesen war, doch irgendwie fehlte mir dazu die Erinnerung. Eigentlich war dies auch ja völlig egal: Ändern konnte ich das Wetter ohnehin nicht, doch ein wenig darüber fluchen, half den Frust zu verdrängen. Meine Mädels hatte ich bereits gegen vierzehn Uhr ins Wochenende verabschiedet. Ich genoss die ruhige Zeit in meiner Praxis ohne ein ständig läutendes Telefon zu hören. Endlich fand ich Zeit zum Verfassen von Arztberichten, zum Auswerten von Blutuntersuchungsergebnissen und zum Ausstellen von Privatrechnungen. Gegen halb fünf verließ mich dann aber doch die Lust, weiter zu arbeiten. Ich fuhr den PC herunter und tauschte meine weiße Arzthose gegen eine dunkelblaue Jeans. Das weiße Hemd behielt ich an. Zum guten Schluss kontrollierte ich noch den Safe, indem ich alle Medikamente und Rezeptblocks aufbewahrte, ob dieser richtig verschlossen war, bevor ich nach meinem Regenmantel griff. Irgendwie fühlte der sich schwerer an, als ich ihn heute Morgen an den Garderobenhaken gehangen hatte. Und weil mich mein Gefühl selten täuschte, schaute ich in die Manteltaschen hinein und fand dort zwei gut verschlossene Minieinweckgläser. Eines war mit feiner Gutsleberwurst und das andere mit selbst gemachter Blutwurst gefüllt. Gudrun, meine älteste Helferin, die einer alten Landwirtsdynastie mit großem Bauernhof entstammte, hatte einmal mehr große Sorge, ich würde am Wochenende einen grausamen Hungertod sterben. Gudrun habe ich noch von meinem mittlerweile verstorbenen Vater übernommen, der unsere Praxis vor etwa fünfzig Jahren in Siegburg gründete. Sie absolvierte bei ihm die Lehre zur Arzthelferin und avancierte mit den Jahren zur guten Seele der Praxis. Sie ist stets für unsere Auszubildende Sarah da, wenn sie mal wieder Liebeskummer plagt, genauso wie sie immer ein offenes Ohr für alle Probleme ihrer Kolleginnen Aicha und Monika hat. Und weil sie nun einmal mit achtundvierzig Jahren die Mutter der Praxis darstellt, versucht sie stets, auch mich zu bemuttern, wo sie nur gerade kann, und ich lasse sie gern gewähren.

Gudrun entgeht einfach nichts und so ist ihr auch nicht verborgen geblieben, dass mich Claudia nach sechs Jahren wilder Ehe, wie Gudrun meine Beziehung zu Claudia immer zu bezeichnen pflegte, verlassen hatte. Wahrscheinlich sollten mich ihre selbst gemachten Wurstspezialitäten auf den Beinen halten und meinen Speisezettel für ein einsames Wochenende bereichern. Egal, beide Sorten aß ich gern und schließlich hatte es Gudrun ja nur gut gemeint. Entgegen meiner Befürchtung hatte der Starkregen aufgehört. Lediglich winzig kleine Tröpfchen fielen noch aus dem dunkel verhangenen Himmel, die jedoch jeden Spalt in der Regenbekleidung eines unbeschirmten Spaziergängers ausnutzten, um sich durch zunehmende Feuchtigkeit am Körper bemerkbar zu machen. Fazit: Ein einsames Wochenende mit Scheißwetter einhergehend lag vor mir. Da meine Wochenendprognose nicht gerade auf rosige Aussichten stand, wollte ich mir doch wenigstens die lieben, kleinen Wassertröpfchen vom Leibe halten. Kurz entschlossen drückte ich auf den Knopf an meinem Stockschirm und ließ den wasserabweisenden Stoffbezug, befestigt an den spinnenförmigen Leichtmetallstäben, aufspringen. Gut gerüstet und in der Hoffnung einigermaßen trockenen Fußes meinen Parkplatz zu erreichen, wo mein Auto sicher schon auf mich wartete, trabte ich los. Da nun auch noch erschwerend ein leichter Wind meinen Schirm ständig aus der Fassung brachte, war ich heilfroh, nach wenigen Minuten des Kampfes gegen die Urgewalten des Sommerwetters im Rhein-Sieg-Kreis nicht untergegangen zu sein und unbeschadet meinen Parkplatz erreicht zu haben. Mein weißer C-Kombi, den ich heute in der Früh auf meinem Dauermietparkplatz abgestellt hatte, streckte mir schon von weitem seine besternte Frontpartie entgegen und schien mich tatsächlich ein wenig grinsend zu erwarten. Das ich die metallische Frontpartie meiner C-Klasse mit einer verschmitzt lächelnden, menschlichen Grimasse verglich, lag eigentlich daran, dass das Chrom glänzende Mittelteil der Frontschürze von weitem aussah, als würde mich mein Auto anlachen, und weil ich ohnehin häufig mit ihm kommunizierte, war diese Assoziation für mich keinesfalls ungewöhnlich. Als dann auch noch auf Knopfdruck die Scheinwerfer aufleuchteten, meine Außenspiegel automatisch nach außen klappten und sich die Türverriegelungen öffneten, war meine Freude ob des Besitzes von überwältigender Technik einfach riesig. Wenigstens lachte mich noch mein Auto an. Ich schüttelte meinen Schirm sowie auch meinen Trenchcoat aus und warf beides, obwohl sie mir doch beide gerade noch treue Dienste geleistet hatte, achtlos ins Gepäckabteil. Auch wenn mein Lebensalter bereits fernab der Mitte zwanzig lag, schwang ich mich mit jugendlichem Elan hinter mein Lenkrad und steckte den Zündschlüssel ins Zündschloss. Zuckende Lämpchen aus dem Armaturenbrett spendeten ein diffuses Licht, nachdem ich den Schlüssel zwei Klicks weitergedreht hatte. Ich wollte gerade den Motor starten, als sich mein Handy aus der Freisprechstation im Fahrzeug meldete. Verschreckt schaute ich auf das Display. Ich muss gestehen, dass ich nicht unbedingt der Technikfreak bin und immer noch nicht den Unterschied zwischen iPhone und iPod kenne. Dafür kann ich mit meinem Handy weder fotografieren noch im Internet mein Unwesen treiben. Mit meinem Mobiltelefon lässt sich, nachdem mir Claudia dies so eingerichtet hatte, vorzüglich telefonieren und SMS-Nachrichten verschicken sowie empfangen. „Ach Claudia, was mache ich nur ohne dich, wenn mein Notebook von Viren zerfressen abstürzt oder eventuell mein Fernseher seine Sender verliert, weil der Sat-Receiver schwächelt?“, ließ ich ein Stoßgebet gen Himmel folgen. Ein wenig liebte Claudia mich immer noch. Dessen war ich mir sicher und die Gründe, warum sie sich von mir getrennt hat, sind für mich eigentlich völlig gegenstandslos. Gut, ich habe sie in den sechs zurück liegenden Jahren nicht ein einziges Mal gefragt, ob sie meine Frau werden wollte. Sie hat sich immer gewünscht zu heiraten und zwei Kinder zu bekommen. „Jeder anderen Frau, die in deine Praxis kommt, rätst du sich den Kinderwunsch zu erfüllen, und mir soll dieser Wunsch auf ewig versagt bleiben?“, hatte sie mir während unserer letzten Diskussionsrunde mehr als deutlich ins Gesicht geschrien. Doch jeder Versuch, Claudia bezüglich des Kinderwunsches zu beruhigen, um noch ein wenig Zeit zu gewinnen, scheiterte und selbst mein Hinweis, dass sie ohne Sorge sein soll, dass ihre biologische Zeituhr ticke, brachte sie nicht von ihrem Entschluss ab, mich zu verlassen. Und dann war ja da noch dieser Immobilienhai mit Namen Ferdinand Schulz. Was für ein beschissener Name, Ferdinand Schulz und ausgerechnet mit dem hat sie mich dann noch betrogen. Ich habe ihr zum Abschied noch nachgerufen, dass, wenn dieser Typ mit ihr zwei Kinder haben wolle, sie mich auch Ferdinand rufen könne. Egal, jetzt ist sie bei Ferdinand und ich kommuniziere mit meinem Kombi.

„Sie haben eine neue Nachricht“, tönte es plötzlich krächzend aus den Lautsprechern meiner Stereoanlage und holte mich in die Realität zurück. Vielleicht sollte ich noch einmal mit Claudia darüber reden, gegebenenfalls ihren Entschluss doch noch zu revidieren. Auch wenn ich in solch offiziellen Dingen stets ein wenig schüchtern wirke, wollte ich ihr dann als besonderes Zugeständnis und natürlich aus Liebe einen Heiratsantrag machen, jedoch mit einem anhängigen Ehevertrag, der vorsah, dass sie mir bis zu meinem Lebensende all meine elektronischen Geräte funktionstüchtig hält. Man konnte mir keineswegs nachsagen, nicht pragmatisch zu denken. Ich liebe sie nach wie vor abgöttisch, und dass ihre Gefühle mir gegenüber plötzlich gänzlich abhanden gekommen sein sollen, konnte ich nun gar nicht glauben. Nie zuvor hatte ich eine Frau erlebt, die Probleme so wie sie anging, um sie schnellstens zu lösen. Ob sie mir nun eine professionelle Zahnreinigung zuteil werden ließ, halbjährlich meinen Zahnstatus kontrollierte und dabei das eine oder andere kleine Löchlein verschloss, oder mein Laptop mal wieder von einem Virenbefall befreite: Claudia nahm alle Dinge mit einer Leichtigkeit an, die ich einfach nur bewundernswert finde. Manchmal, wenn ihr etwas nicht so einfach von der Hand ging, funkelten ihre sonst so samtweichen, braunen Augen, und sie warf ihren Kopf hin und her, der sogleich ihre zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare, die ihr bis zu den Schulterblättern reichten, zum Tanzen brachte. Und wenn sie so richtig wütend wurde, sah sie noch hübscher aus. Ich nahm mir vor, sie von zu Hause aus anzurufen. Sicherlich machte auch sie jetzt gleich ihre Zahnarztpraxis zu, um sich ins Wochenende zu verabschieden. Vielleicht wollte sie ja auch mal wieder mit mir essen gehen. Mir gingen noch so viele Dinge durch den Kopf, was Claudia betraf. Ich wusste eigentlich gar nicht, wo ich anfangen sollte, nur wirklich verlieren wollte ich sie irgendwie nicht und der Gedanke, dass sie gleich in die Armen von Ferdinand sinken würde, trieb mir wie einer hochschwangeren Frau die Magensäure in die Speiseröhre. Ach, was soll das ganze Jammern! Soll sie sich doch von Ferdinand, dieser Küchenschabe, den Nacken streicheln lassen. Ich beschloss den Anruf bei Claudia ersatzlos zu streichen. Dafür nahm ich mir fest vor, ab jetzt nur noch lächelnd durch die Straßen zu laufen in der Hoffnung, bald Ersatz für Claudia zu finden.

Kapitel 2

Etwas umständlich loggte ich mich in mein Fahrzeugkommunikationssystem ein, um nach zu hören, wer mich da wohl angerufen hatte. Wie nicht anders zu erwarten, stellte diese Problembewältigung für mich eine technische Höchstleistung dar. Erschrocken erkannte ich die Rufnummer des Teilnehmers, der es gewagt hatte, meine Ruhe zu stören. Also wenn mein Tag bisher schon ohne besondere Highlights auskommen musste, so sank mein Gefühlslevel jetzt erst recht auf ein Minimum. Mutter hatte angerufen. Zaghaft gewährte ich meinem System die Wiedergabe ihrer hoffentlich wohlwollenden Worte. „Hallo, mein Sohn, ich habe nun drei Tage nichts mehr von dir gehört. Es ist beschämend, wie du deine Mutter vernachlässigst.“ Ich stellte mir vor, dass in etwa gleicher Tonlage unser Außenminister zu einem Botschafter eines anderen Landes spricht, den er zum Rapport ins Außenministerium einbestellt hatte. Mutter ist wirklich eine Seele von einem Menschen. Doch wenn es darum ging, dass ich mich bei ihr turnusmäßig melden sollte und dies versäumte, verstand sie nicht im geringsten Spaß. Wie schon gesagt: Mutter ist im Grunde ihres Herzens eine wahrlich liebe Frau. Sie hatte schon eine Menge in ihrem Leben mitgemacht. Gute Fünfzig Jahre lang war sie meinem Vater, der es mit der Treue nicht immer ganz genau nahm, eine wirklich sehr gute Ehefrau. Sie hat mit ihm gemeinsam unsere Praxis aufgebaut, meine Schwester und mich zur Welt gebracht, wenn sie dies im Fall meiner Schwester auch besser gelassen hätte und immer ein offenes Ohr für ihre Lieben bereit gehalten. Als Vater vor drei Jahren verstarb, begann sie ein völlig neues Leben. Sie verkaufte unser wirklich schönes Elternhaus mit dem ganzen Anwesen drum herum für ein Vermögen und kaufte sich anschließend in einer Seniorenresidenz in Bad Godesberg ein, der man mit Verlaub nachsagte, der Upperclass vorbehalten zu sein. Mutter bezog dort eine Suite und gestaltete sich ihre Räumlichkeiten ganz nach ihrem Gusto. Als sie dort so richtig Fuß gefasst hatte, lernte Mutter Professor Doktor Otto von Schleswig kennen, mit dem sie seitdem unzertrennlich verbandelt ist, selbstverständlich laut eigener Aussage ausschließlich auf platonischer Ebene. Mutter ist eine absolut integere Frau, doch das glauben weder meine Schwester noch ich ihr, dass sie mit Otto einfach nur Händchen hält.

Als Mutter uns ihren Hausfreund vor etwa eineinhalb Jahren präsentierte, fiel meiner Schwester Jennifer, der ach so kühlen Emanzenurologin, auch besser bekannt als Doktor Jennifer Steinhauer, das Kinn herunter. Nicht nur das Otto bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand als Urologe in Bonn praktizierte: Er dozierte auch noch an der Bonner Universität und war der Doktorvater von meinem lieben Schwesterlein. Anfangs hatte sie zu ihm ein eher geteiltes Verhältnis. Heute können es die beiden eigentlich ganz gut miteinander, wobei Otto auch einen wirklich liebenswerten Vertreter seiner Gattung darstellt. Mutter jedenfalls tut Otto richtig gut. Sie reisen viel gemeinsam durch die Welt und genießen ihre Freiheit. Mit Vater hätte Mutter ganz sicher nicht so einen gelösten und ereignisreichen Ruhestand erlebt. Er wäre mit ihr in seine Jagdhütte nach Österreich gereist und hätte sie lediglich mit den kulinarischen Köstlichkeiten der Umgebung verwöhnt, denen sie nur noch das Fell hätte abziehen müssen, um daraus ein köstliches Wildbret zu zaubern, was ihr allerdings auch nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitet hätte. Der Anruf von Mutter bedeutete ganz sicher wieder die Erfüllung ihres Wunsches nach meiner Teilnahme an einen gemütlichen Kaffeeklatsch im Kreise der Familie. Mutter werde ich von zu Hause aus anrufen. Für ein solches Gespräch stellte mein Wagen, auch wenn es ein Mercedes ist, nicht den rechten Rahmen dar. Das konnte wieder ein langer Abend werden, wenn Mutter nichts Besseres vorhatte, als sich mit mir zu unterhalten. Vielleicht sollte ich vorher Otto anrufen und ihm einen Besuch der Bonner Oper schmackhaft machen. Zwei Karten könnte ich noch an der Abendkasse hinterlegen lassen. Oder waren gerade Theaterferien? Dann eben Kino oder vielleicht Schauspiel. Nein, ich werde mich heldenhaft der Situation stellen und mit Mama klönen und beichten müssen, dass mich Claudia endgültig verlassen hat. Ich hoffe nicht, dass sie nach dem Grund fragt. Das Thema Verehelichung geistert schon eine ganze Weile durch die Köpfe meiner Damen. Ich möchte sogar behaupten, es handelte sich um ein Komplott. Aber das Claudia dann tatsächlich gegangen ist und mich schließlich sogar betrogen hat, traf mich schon verdammt hart. Sie rufe ich nicht mehr an. Nein. Vielleicht erhalte ich von Mutter noch besondere Instruktionen für ein Gespräch mit Claudia. Nein, Claudia war passé, die Beziehung aus und vorbei.

Jetzt kennen sie schon fast meine ganze Familie, deren Umfeld und auch meine Exfreundin. Nur ich habe mich ihnen noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Steinhauer, Johannes Steinhauer. Ja gut, ich gebe zu, Bond hört sich da markanter an, aber leider kann man sich seine Verwandtschaft bekanntlich nicht aussuchen. Zweiundvierzig Lenze sind bereits seit meiner Geburt durchs Land gezogen und viele Menschen behaupten, dies würde man mir keinesfalls ansehen und leider auch nicht so recht anmerken. Ich pflege halt einen lockeren Umgangston mit meinen Helferinnen wie auch mit meinen Patientinnen, die mir das jedoch nicht übel nehmen. Im Gegenteil: Vielfach ist die Angst vor dem Gynäkologen gleich wie weg geflogen, wenn ich einen lustig, freundlichen Ton an den Tag lege. Und da sind wir auch schon bei meinem Beruf angelangt: Ich praktiziere als Frauenarzt und Geburtshelfer und das aus Passion. Sie müssen jetzt nicht glauben, dass ich keine Kinder mag. Im Gegenteil, ich half sogar schon einer ganzen Menge Babys auf die Welt. Ich fühlte mich nur bisher nicht in der Lage für ein Kind ein guter Vater zu sein. Vielleicht sollte ich Claudia doch anrufen, um ihr zu sagen, dass ich mit ihr eine Familie gründen und auf der Stelle ein eigenes Kind zeugen möchte. Ich denke den Akt der Zeugung kriegen wir problemlos hin. Das war bisher nie ein Hinderungsgrund gewesen. Im Bett haben wir uns immer gut verstanden. Liegt vielleicht auch daran, dass ich es während des zwischenmenschlichen Treibens nicht mit komplizierten, hochtechnischen Gerätschaften zu tun habe. Wer weiß das schon. Hatte ich schon erwähnt, dass ich promoviert habe und in Siegburg in meiner eigenen, vom Vater ererbten Praxis praktiziere? Falls ja, nehmen Sie es mir bitte nicht übel. Auch ein Gynäkologe kommt irgendwann in die Jahre. Ich biete einem jungen Mädel die Möglichkeit zu einer Ausbildung als Arzthelferin, und ich stelle weitere Arbeitsplätze für meine drei liebevollen Helferinnen, wovon Gudrun ein Relikt aus vergangener Zeit darstellt, die ich aber keinesfalls missen möchte. Sie ist nun einmal der ruhende Pol in der Praxis.

Ob ich nun wollte oder nicht: Das Telefonat mit Muttern musste ich so schnell als möglich in Angriff nehmen und sofort hing es wie das Schwert des Damokles über meinem Haupte. Doch zuerst galt es mal die eigenen Gedanken zu ordnen. Im Gefrierfach meines Kühlschrankes konnten meine Hausmäuse, wenn ich denn welche hätte, Schlittschuh laufen, was auch nicht heißen sollte, dass der restliche Kühlraum üppiger bestückt war. Und was bedeutete das nun für mich als Neusingle? Genau, du musst einkaufen gehen, mein lieber Johannes. Dies würde sicher wieder ein wirkliches Spießruten laufen werden, denn auch Hennef, der Ort wo ich lebe, beherbergt eine Menge meiner Patientinnen und es wäre nicht das erste Mal, dass ich im zentralen Supermarkt der Kleinstadt, im Gang zwischen Tiefkühlpizza und Frischfleischtheke, medizinische Ratschläge gegen übermäßiges Sodbrennen während der Schwangerschaft, starke Blutungen beim Beginn des Klimakteriums und was weiß ich sonst noch alles verteilen durfte. Egal, zeige dich dem Volke, Dr. Johannes Steinhauer und begebe dich auf Shoppingtour des Überlebens wegen.

Kapitel 3

Willig sprang der Motor meines Wagens an. Langsam rollte ich zur Schranke der Ausfahrt vor. Fenster herunter fahren, Chipkarte an den Scanner halten und schon war der Weg frei in ein hoffentlich erholsames Wochenende. Obwohl die Aussichten eher dürftig erschienen. Das erste Wochenende ohne Claudia, wahrscheinlich stand sogar für Sonntag ein Besuch zum Kaffee bei Mutter und Otto an. Traumhaft, da treffe ich auch wieder auf meine werte Kollegin Schwester, die feine Urologin aus der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn. Eigentlich kommen wir sehr gut miteinander aus, Jennifer und ich, doch wenn es um medizinische Dinge und Beurteilungen von Erkrankungen und gar der Vorsorge ging, waren Streitgespräche einfach vorprogrammiert. So vermieden wir es tunlichst, bei unseren eher seltenen Treffen über solcherlei Dinge zu sprechen. Da kam auch schon die erste gute Nachricht zum Wochenende aus dem Radio: Der Wetterbericht sagte bereits für morgen strahlenden Sonnenschein und knapp dreißig Grad Celsius voraus. Sofort übermannten meine bis dato eher trübe wirkenden Gesichtszüge ein freudiges Schmunzeln. Sollte ich morgen wirklich meine großen Schiebetüren vom Schwimmbad weit aufstellen können und ein wenig Urlaubsatmosphäre schnuppern. Urlaub, das wäre es doch mal wieder. Die letzten traumhaften Ferientage habe ich noch gemeinsam mit Claudia über den Jahreswechsel auf Mallorca erlebt. Wir hatten strahlend blauen Himmel und Temperaturen um die zwanzig Grad. Einfach mal Zeit für sich zu haben, ein wenig bummeln, gut Essen in versteckt liegenden kleinen Restaurants, Hand in Hand durch malerisch gelegene Ortschaften schlendern, shoppen in Palma und anschließend im Cappuccino relaxen und von der beruhigenden Chillmusik berieseln lassen und dabei die Menschen beobachten. Es war einfach wunderschön, und wenn ich weiter so vor mich hin träume, wird meine Fahrt nach Hennef wohl im Heck meines Vordermannes enden. Das war knapp, und deshalb erzähle ich wohl besser erst dann weiter, wenn ich in die Tiefgarage des Supermarktes meines Vertrauens eingebogen bin und mich in eine Parktasche gequetscht habe.

Erfreulicherweise war nicht viel los in Downtown von Hennef. So konnte ich staufrei in die Tiefgarage rollen. Ein Parkplatz war schnell gefunden. Doch mein größter Fehler vor Betreten des Lebensmitteltempels war wohl, keine Aufzeichnungen bezüglich meines Bedarfes erstellt zu haben. Ganz sicher würde ich gleich vom vielfältigen Angebot erschlagen werden und schon bald davor kapitulieren. Doch ich nahm mir vor tapfer zu sein und entstieg meinem Wagen. Als kurze, sportliche Einlage des Tages wählte ich den Aufgang durchs Treppenhaus und verzichtete damit auf den Gebrauch des Aufzuges. Plärrende Musik und ständige Durchsagen über die neuesten Sonderangebote empfingen mich im Konsumtempel. Ich wollte auf lässig machen und schlenderte seelenruhig dem Parkplatz der Einkaufswagen entgegen, die schon aneinander gekettet auf mich warteten, wie hungrige Löwen, deren Gier einfach unermesslich schien und die der Ladenkette zu guten Umsätzen verhalfen. Claudia trug immer einen Chip in ihrer Geldbörse bei sich, um die Raubtiere von der Kette zu lassen. Mein einziger Chip steckte im unteren Teil meiner Parkscheibe, und diese lag jungfräulich unberührt im Wagen. Ich ließ mir nicht anmerken, dass es mir gerade an einem dieser blöden, kleinen Plastikchips mangelte. Erfahren in der Bewältigung von Problemen zog ich meine Geldbörse aus der rechten Potasche meiner Hose. Als ich dann das Hartgeldfach des ledernen Geldbehältnisses öffnete, bemerkte ich sofort, dass sich die Zahl meiner Probleme zu häufen begannen. Außer einigen wenigen Kupfermünzen, die seit der Einführung des Euros eigentlich überhaupt kein Kupfer mehr enthielten, sondern nur noch so aussahen, konnte ich meine Hartgeldbestände getrost vernachlässigen. Mit den achtundzwanzig Cent war gewiss kein Staat zu machen. Da es mir ganz sicher auch an schmackhafter Unterlage für meine noch zu erstehenden Wurst- und Käsespezialitäten mangelte, entschied ich mich, ein richtig kräftiges Körnerbrot an der Theke des Bäckers im Hause zu erstehen. Anständig wie ich nun einmal war, stellte ich mich als Dritter in die kleine Schlange an der Theke an. Als sich die hübsche, kleine Auszubildende herumdrehte und sich aus antrainierter Gewohnheit nach meinen Wünschen erkundigte, erkannte sie mich gleich. Sofort bekam sie einen roten Kopf. „Hallo, Doktor Steinbach“, stammelte sie ein wenig hilflos. „Was kann ich für Sie tun?“ Doch auch sie bemerkte schnell, dass ich ein wenig unsicher wirkte und lächelte mich an.

Schließlich hatte sich mir die junge Frau noch vor wenigen Tagen berufsbedingt halb nackt offenbaren müssen und um die Verschreibung eines Verhütungsmittels gebeten. „Hallo, Frau Morbach“, versuchte ich die Situation mit einem Gegenlächeln zu entkrampfen und war froh, ihren Namen von ihrem Namensschild ablesen zu können. Das Merken aller Namen meiner Patientinnen gehörte nun überhaupt nicht zu meinen besonderen Fähigkeiten. Es wäre jedoch nach meinem Dafürhalten sehr unhöflich gewesen, sie nicht als Frau Morbach erkannt zu haben. Schließlich konnte sie als meine Patientin ja nichts dafür, dass ich mir keine Namen merken konnte. „Ein Mehrkornbrot hätte ich gern.“ „Geschnitten?“ Da ich trotz des fortgeschrittenen Alters immer noch mit einer ruhigen Hand aufwarten konnte, lehnte ich ihr Angebot, mir das Brot aufzuschneiden, ab. Ich legte ihr zum Ausgleich meiner Zeche einen zehn Euroschein auf die Theke. Während ich das Wechselgeld nachzählte und erfreut feststellte, dass sich darunter ein Fünfzig Cent Stück befand, mit dem ich den Einkaufswagen von der Kette lassen konnte, sprach sie mich wieder an: „Ich vertrage das von Ihnen verschriebene Medikament sehr gut. Es gab bisher keine Nebenwirkungen.“ „Das freut mich sehr zu hören. Wenn es Probleme gibt, schauen Sie einfach bei mir in der Praxis vorbei. Dann finden wir ganz sicher eine andere Lösung.“ Die Röte in ihrem Gesicht war verschwunden und ihr herzerfrischendes Lächeln wirkte ansteckend. „Danke, Herr Doktor, schönes Wochenende.“ „Ihnen auch, Frau Morbach.“ Ich hoffte sehr, dass dem auch so sein würde, wie mir die freundliche Auszubildende wünschte. Doch vor der Ruhe sowie dem angekündigten Sonnenschein mit in Aussicht stehendem Badevergnügen hatten die Götter noch meinen Wochenendeinkauf gesetzt, und den galt es nun endgültig tapfer anzugehen.

Ich ging systematisch vor. Frauen neigen da eher zum: Och, dass könnte ich noch mitnehmen und das auch noch. Doch da bin ich anders. Stück für Stück hakte ich im Kopf ab, welches Lebensmittel zu welcher Mahlzeit am Besten passt und schon bald füllte sich mein Einkaufswagen bis zur Oberkante des Korbes. Einen Fehler hatte ich bereits im Vorfeld gemacht, der fatale Folgen nach sich zog: Ich hatte richtig Hunger. Dieses körperliche Verlangen verhinderte einen objektiven Einkauf und so fand ich später Dinge in meinen Tragetaschen, von deren eher merkwürdiger Zusammensetzung mir häufig meine schwangeren Patientinnen berichten, die unter Heißhungerattacken litten. Da ich jedoch weder schwanger war noch sonst nicht krankheitsbedingt unter ähnlichen Symptomen litt, musste es der große Hunger sein, der mich zum Erwerb unterschiedlichster Süßigkeiten und Lebensmittel verführt hatte. Da ich auch noch zum Metzger wollte, forcierte ich nun meine Einkaufsgebaren. Normalerweise erstand ich meine Fleischspezialitäten immer beim Metzger meines Vertrauens in Siegburg, doch irgendwie war nichts mehr wie es war. In der Rekordzeit von knapp dreißig Minuten hatte ich es dann doch geschafft. Unter Einsatz meiner aller letzten Kräfte schob ich den Einkaufwagen zur Kasse. Dank der Hilfe eines kleinen, pfiffigen Jungen, der ebenfalls mit seiner Mutter einkaufen ging und dies offensichtlich auch nicht zu seiner besonderen Passion werden lassen wollte, zeigte mir noch, dass man aus meinem Einkaufswagen ein Gestell heraus klappen konnte, um darauf einen Getränkekasten zu positionieren, was mich sofort veranlasste, noch einen Kasten Wasser zu erstehen.

Die Kassiererin, die in Atem beraubender Geschwindigkeit alle von mir ausgesuchten und sorgsam aufs Band sortierten Lebensmittel über ihren Scanner zog, war erfreulicherweise keine Patientin, grinste mich deshalb aber nicht weniger frech an. Ich tat es ihr gleich. Ihre nächste Aktion galt meiner EC-Karte, die sie blitzschnell ins Lesegerät steckte. Kaum hatte ich mich versehen, waren hundertsiebzig Euro von meinem Konto abgebucht. Mehr in Trance ob der Summe meines Einkaufs zückte ich auf ihr Geheiß hin meinen Parkschein aus meiner Hemdtasche und ließ ihn von ihr abstempeln. Ich gab mir nun rasch Mühe, so schnell als möglich alle Utensilien zurück in den Wagen zu räumen, was die freundlichen Damen in der Schlange hinter mir nur zum Schmunzeln animierte. Von Claudia hatte ich gelernt, dass man nach dem Einkauf an der Kasse den Kassenzettel kontrollieren sollte, um eventuellen Fehlern gleich auf die Spur zu kommen. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass mein Kassenzettel fast meine eigene Körperlänge übertraf, regte er mich dazu an, aus gegebenem Anlass auf eine Überprüfung zu verzichten. Mehr als begeistert schob ich diesmal den Wagen in Richtung Aufzug und ließ mich von der Hydraulik unterstützt ins Parkgeschoss herabsinken. Dank der gewaltigen Kapazität des Gepäckraumes meines Kombis bereitete mir das Verstauen der vielen Tüten im Wagen nicht die geringsten Probleme.

Der Gang zum Metzger stellte gegen meinen Haupteinkauf eine wahre Erholung dar. Vielleicht lag es aber auch daran, dass zwischenzeitlich etwas eingetreten war, wonach viele meiner Zeitgenossen und auch ich regelrecht lechzten: Die Sonne zeigte sich am Firmament. Jetzt war mein Trenchcoat schon beinahe zu warm. Doch da latent immer noch die Gefahr bestand, dass es sich beim Heraustreten der Sonne aus den Wolken nur um eine Fata Morgana handelte, behielt ich ihn an. Metzgermeister Schmitt verstand nicht nur etwas von Wurst- und Fleischspezialitäten, sondern auch diese an die Hausfrau oder den Hausmann zu bringen. Als passioniertem Hobbykoch lief mir stets das Wasser im Munde zusammen, als mir Meister Schmitt erklärte, was man alles mit seinen Fleischspezialitäten anstellen konnte. Die Qualität der Produkte stand meinem Lieblingsmetzger in Siegburg jedenfalls in nichts nach. Ich war schon heilfroh, dass in Hennef kein eigenständiges Fischfachgeschäft existierte. Würde mich mein Hungeranfall auch noch dorthin treiben, bestünde ganz sicher die Gefahr, dass mein Kühlschrank wie auch die Tiefkühltruhe die Grätsche machen würde. Wieder mit zwei ordentlich gefüllten Plastiktüten bepackt, trat ich den Rückweg über die kleine Treppe neben dem Fotostudio in die Tiefgarage an. Meinen weißen C-Kombi, von dem Mutter stets behauptete, er könne eine Ähnlichkeit mit einem Krankentransporter nicht verleugnen, konnte ich bereits von der letzten Stufe des Treppenhauses aus sehen. Was ich nicht erkannte, war das lederne Schlüsseletui, auf das ich nach gerade einmal zehn Schritten auf dem Tiefgaragenboden trat und beinahe mit dem rechten Fuß umknickte. Laut fluchend blieb ich stehen und setzte erst mal mal beiden Tüten ab. Der stechende Schmerz in der rechten Fessel ließ erfreulicherweise rasch nach. Wie es schien, würde ich den Vorfall rein körperlich schadlos überstehen. Ich hob den Schlüsselbund auf und ebenfalls meine Tüten und lief vorsichtig weiter zu meinem Wagen. Ich stellte die beiden Tüten aus der Metzgerei noch zu den anderen Einkaufsbehältnissen und warf die Heckklappe zu. Was sollte ich jetzt mit dem Schlüsselbund anstellen? Ich öffnete das Lederetui und schaute nach, ob eventuell ein Zettel mit der Anschrift zu finden war. Doch wer war schon so blöd, seinen Schlüssel mit Name und Anschrift zu versehen. Jeder Spitzbub hätte doch sofort gewusst, wo er auf Beutezug gehen konnte. Neben einfachen Hausschlüsseln und einem offensichtlich dazu gehörigen Briefkastenschlüssel, hing noch ein Safeschlüssel am Ring des Schlüsselbundes. Mir wurde sofort klar, dass mir mit dem Fund dieses Schlüsselbundes eine besondere Verantwortung zugefallen war, der ich mich umgehend stellen musste. Ich verschloss meinen Wagen und marschierte damit zur Polizeistation von Hennef.

Kapitel 4

Mittlerweile hatte sich die Sonne gänzlich aus ihrem Wolkenvorhang befreit und erwärmte sofort kräftig die noch leicht feuchte Luft. Nach nur wenigen hundert Metern erreichte ich die Polizeistation und trat dort ein. Ich war nicht der einzige Bittsteller, der sich um die Hilfe der Ordnungskräfte bemühte. Eine junge Frau, ganz sicher arabischer Herkunft mit zwei kleinen Kindern an der Hand, stand vor mir an der Theke. Eine Polizistin sowie ihr männlicher Kollege redeten auf Deutsch, mit Schulenglisch und Händen und Füßen auf die Frau ein. Doch wie es schien, fand man keine Übereinstimmung, obwohl die junge Frau auch Deutsch zu reden in der Lage war. Der Geduldsfaden der Polizisten wie auch der der jungen Frau schien sich ständig zu verdünnen und schon fast dem Reißen nah. Nur die beiden kleinen Kinder, ein hübsches Mädel und ein pfiffig aussehender kleiner Junge standen teilnahmslos neben ihrer Mutter. Die Frau drehte sich einmal kurz zur Seite und gewährte mir so einen Blick auf ihr bildhübsches Antlitz. Die Kleidung der Kinder war eindeutig Markenware und auch der bis zum Boden reichende Mantel wie auch das Tuch der Frau, dass ihre tiefschwarzen Haare bis auf wenige Ausnahmen verhüllte, konnte ohne weiteres einer vornehmen Boutique entstammen. Irgendwann im Verlauf der Diskussion zappelte das kleine Mädchen hin und her und zupfte am Ärmel von Mutters Mantel. Die junge Frau wand sich dem Mädel zu und unterhielt sich mit ihr in einer gurrenden Sprache, deren Herkunft mir fremd war. Als ihre Mutter die Polizisten nach dem Ort der Toilette fragten, wies man sie auf die Türe mit der Aufschrift WC neben dem Eingang hin. Wie es schien versuchte die Mutter ihrem Sohn gerade beizubringen, dass er hier warten sollte damit sie mit ihrer Tochter die Toilette aufsuchen konnte. Mürrisch vor sich hin schauend, blieb der Kleine mit den schwarzen Locken und den tiefschwarzen Augen an der Theke stehen und schaute mich an. Ich lächelte ihm gleich zu. Doch er verzog keine Miene.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte mich die junge Beamtin sehr freundlich mit einem Lächeln im Gesicht, dass ich mir auch von dem kleinen Mann gewünscht hätte. „Guten Tag, mein Name ist Steinhauer, ich habe gerade in der Tiefgarage des Supermarktes am Marktplatz diesen Schlüsselbund gefunden.“ Etwas ungelenk wühlte ich das Lederetui hervor und legte es den Beamten auf ihre Theke. Die Beamtin tat das gleiche, das ich auch zuerst mit dem Schlüssel angestellt hatte: Sie suchte nach einem Hinweis auf den Eigentümer. „Soweit war ich auch schon“, mischte ich mich frech in die beginnenden Ermittlungsarbeiten der Ordnungshüterin ein. „Ich habe auch nichts gefunden.“ „Dann lassen Sie uns kurz einen Bericht zum Fund des Schlüsselbundes erstellen.“ Ohne Murren folgte ich der jungen Beamtin zu einer kleinen Sitzgruppe, wo sie meine persönlichen Daten aufnahm. Es dauerte keine fünf Minuten, und schon hatte sie in einer mehr als freundlichen Art und Weise das erforderliche Protokoll erstellt. Mit einem Lächeln auf ihren Gesichtszügen beendete sie das Frage- und Antwortspiel. Ihr Kollege unterhielt sich derweil weiter mit der jungen Frau, die zwischenzeitlich von der Exkursion zur Damentoilette zurückgekehrt war. „Was ist mit der Frau und den Kindern?“, erkundigte ich mich bei der Polizeibeamtin. Die Frau stammt aus Syrien und ist wegen der Kriegswehen von dort geflohen. Sie ist Christin und wurde mit einem Flugzeug wie viele andere christliche Flüchtlinge auch aus Syrien ausgeflogen und nach Köln/Bonn gebracht. Von hier aus verteilte das Vikariat die Menschen im Bistum auf. Da sie wohl in Köln angegeben hat, hier einmal im Rhein Sieg Kreis in Hennef gelebt zu haben, brachte man sie hierher. Doch wie es scheint, sind die ehemaligen Freunde oder Verwandten verstorben oder bereits weggezogen. Wir haben hier gar nicht die Möglichkeit, sie in der Umgebung unterzubringen. Wir werden sie nach Siegburg oder gar nach Bonn bringen müssen.“ „Das ist aber eine furchtbare Geschichte“, war auf die Schnelle das einzige, was mir dazu einfiel.“ Welcher Teufel mich dann unerwartet geritten hatte, konnte ich im nach hinein nicht mehr beantworten. Vielleicht war es ja auch meine besonders gutherzige Ader oder der Drang, jeden Tag etwas Gutes tun zu müssen. Jedenfalls bedankte ich mich bei der freundlichen Polizistin und ging zu der jungen Syrerin herüber, die mit traurigen Augen dem Polizisten dabei zusah, wie dieser händeringend versuchte, für sie und die Kinder eine Unterkunft in der Nähe ausfindig zu machen. Doch auch nach mehreren Telefonaten blieben alle seine Bestrebungen erfolglos. Peinlich berührt schaute er die Frau an, der Tränen die Wangen herunter rollten.

„Darf ich mich Ihnen vorstellen? Mein Name ist Johannes Steinhauer. Ich arbeite als Arzt in Siegburg, lebe jedoch hier in Hennef. Ich möchte Ihnen und den Kindern Unterkunft und Verpflegung anbieten, bis Sie Ihre Freunde oder Verwandten oder sonst eine andere Lösung gefunden haben.“ Dieser Satz klingt auf Deutsch ganz sicher gut. In der Weise jedoch, in der ich ihn mit meinem Schulenglisch vortrug, wies er arge Mängel auf. Ungläubig und verängstigt schaute mich die Frau an. Ich wusste zwar nicht, ob sie von meinen blauen Augen genau so begeistert war, wie ich von ihren wunderschönen tiefschwarzen, die leuchteten wie zwei auf Hochglanz polierte Magnetitsteine. Ihre weichen Gesichtszüge, die auf ein sanftes Wesen schließen ließen, wirkten leicht verhärmt. Rasch wischte sie sich ihre Tränen von ihren Wangen. „Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann“, antwortete sie in gebrochenem und doch gut verständlichem Deutsch, jedoch mit einem Unterton, der zu hinterfragen gedachte, in welche Situation sie sich und die Kinder wohl bringen würde, nähme sie mein Angebot an. Da mir ihre Bedenken wohl bewusst waren, versuchte ich mit einem weiteren Angebot ihre Bedenken zu zerstreuen. „Wenn Ihnen mein Angebot ein wenig suspekt erscheint, und Sie sich um Ihre und die Sicherheit Ihrer Kinder sorgen, schalten wir die beiden Polizeibeamten ein.“ Ich wand mich der Polizistin zu. „Sie haben meine Anschrift, meine Rufnummer und auch sonst alle meine persönlichen Daten?“ Die Polizistin nickte zustimmend. „Zwar wird Ihnen diese Tatsache, dass ich nun bei der hiesigen Polizeibehörde positiv aktenkundig bin, keinen besonderen Schutz bieten können, aber vielleicht beruhigt es Sie ja doch etwas“, sprach ich nun mehr als freundlich und lächelnd zu der syrischen Frau. „Ok. Bevor ich mit meinen Kindern auf der Straße stehe, folge ich Ihnen zu Ihrem Haus.“ „Haben Sie Gepäck?“ „Nur die drei Rucksäcke, die dort an der Türe stehen. Das ist alles, was uns an Hab und Gut geblieben ist.“ „Die kriegen wir sicher noch in meinen Wagen. Ich hole eben mein Auto aus der Tiefgarage und nehme Sie hier auf.“ Fünf Augenpaare sahen mich daraufhin mit Erleichterung und wohlwollend nickend an.

Um die in mich gesetzten Erwartungen möglichst rasch zu erfüllen, eilte ich zurück zur Tiefgarage und bestieg meinen Wagen. Eigentlich wurde mir erst jetzt wirklich klar, was ich da eben gemacht hatte. Ich holte mir eine völlig fremde Frau mit zwei Kindern ins Haus, die weder meine Sprache richtig sprach und verstand, noch unserer Mentalität ausreichend kundig war. Was wäre wohl, wenn die Frau einfach gelogen hatte und auf diesem Wege nur ein Opfer suchte, das sie ausrauben konnte? Mutter wäre außer sich, wenn eines ihrer so beliebten Porzellantiere oder gar ihr Silberbesteck mit den vergoldeten Griffen, dass ich ohne ihr Wissen im Keller in einem Karton aufbewahrte, eine Diebin entwendete, die ich mir auch noch freiwillig ins Haus geholt hatte. Nicht auszudenken, was sie mir für Vorwürfe machen würde! Es war davon auszugehen, dass sie Tage lang, ach, vielleicht sogar Wochen nicht mehr mit mir reden wollte, mich wahrscheinlich sogar enterben würde und ihr gesamtes Vermögen meiner lieben Schwester in den Schoß zu fallen drohte. Würde dies mein Leben wirklich gravierend verändern? Ich musste grinsen, während ich langsam die Auffahrt aus