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Wie klingt Liebe? Und was, wenn man sie nicht hören kann... oder will? Andere Stadt, andere Wohnung, andere Abteilung: Polizist Jordan Waters will nach einer Schussverletzung einen kompletten Neuanfang. Was er dabei nicht bedacht hat, sind die Erinnerungen, die er nicht so einfach zurücklassen kann wie sein altes Leben. Jordan hält seine Mitmenschen konsequent auf Abstand, bis unverhofft der taube Sebastian in sein Leben stolpert, dessen unbeschwerte Art so gar nicht zu seinem Handicap passen will. Denn Sebastian hört deutlich mehr, als Jordan lieb ist… Buch 1 der "Senses and Sensations"-Serie
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Seitenzahl: 412
Deutsche Erstausgabe (ePub) März 2013
Für die Originalausgabe:
©2012 by Susan Laine
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Sounds of Love«
Originalverlag:
Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2013 by Cursed Verlag
Julia Schwenk, Fürstenfeldbruck
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Umschlagillustration: Marek Purzycki
Bildrechte Umschlagillustration: FXQuadro; Yuri Arcurs;
vermittelt durch Shutterstock LLC
Satz & Layout: Cursed Verlag
ISBN ePub: 978-3-95823-585-4
Besuchen Sie uns im Internet:
www.cursed-verlag.de
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Klappentext:
Buch 1 der »Senses and Sensations«-SerieWie klingt Liebe? Und was, wenn man sie nicht hören kann... oder will?Andere Stadt, andere Wohnung, andere Abteilung: Polizist Jordan Waters will nach einer Schussverletzung einen kompletten Neuanfang. Was er dabei nicht bedacht hat, sind die Erinnerungen, die er nicht so einfach zurücklassen kann wie sein altes Leben. Jordan hält seine Mitmenschen konsequent auf Abstand, bis unverhofft der taube Sebastian in sein Leben stolpert, dessen unbeschwerte Art so gar nicht zu seinem Handicap passen will. Denn Sebastian hört deutlich mehr, als Jordan lieb ist…
Aus dem Englischen
von Kathrin Weisenfels
Widmung
Ich widme dieses Buch den vier Generationen meiner mütterli-
chen Abstammungslinie, die mir am Herzen liegen – meiner lie-
bevollne Großmutter, meiner weisen Mutter, meiner frechen Schwester
und meiner noch ungeborenen Nichte.
Danke für eure Liebe, dass ihr immer zu mir steht und mich und
meine frischgebackene Autorenkarriere unterstützt. Ich bin wirk-
lich gesegnet, euch in meinem Leben zu haben.
Danke.
Es war nicht immer leicht, neue Freunde zu finden, wenn man in einer neuen Stadt in eine neue Abteilung kam. Das Polizeidezernat gehörte allerdings nicht in die Kategorie schwer. Zum Einen war da dein Partner, dessen Präsenz eine verlässliche Konstante bedeutete und dessen Familie auch irgendwie zu deiner eigenen wurde. Sie mischten sich in dein Privatleben ein und betrachteten dich als eine neue Art von Hobby oder Haustier. Eins, um dass sie sich kümmern und für das sie ein Leben ganz nach ihren Wünschen erschaffen konnten.
Zum Anderen war das die Polizei als Institution. Eigentlich war es schwachsinnig, mir da so sicher zu sein, aber gerade brauchte ich das. Es war gut, wenn man irgendwo gern gesehen war.
Kevin Thompson, mein neuer Partner in der Abteilung für Steuerdelikte und Betrug im Polizeidezernat von Washington, DC, war ein Riese von einem Kerl. Ich fand das witzig, weil er für mich nicht wirklich nach einem Thompson aussah. Ich assoziierte den Namen mit etwas Weichem, Kuschligem ‒ wie einem Teddy. Aber dieser Thompson hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Grizzly.
Seine großen Hände hätten ganze Kontinente zermalmen können. Sein ziemlich schlampiges Äußeres war das Ergebnis von den Jahren oder vielleicht auch Jahrzehnten, die er in irgendeiner Kneipe verbracht hatte, mit Klamotten, die ihm immer mindestens zwei Nummern zu klein waren. Sein dichter Dreitagebart verursachte vermutlich genug Reibung, um ein ganzes Haus in Brand zu setzen, und seine grauen Augen stachen aus seinem Gesicht hervor. Ihr Blick konnte einen Menschen problemlos in zwei Teile schneiden.
Aber abgesehen von seiner irreführenden Erscheinung und seinem unpassenden Nachnamen, war mein neuer Partner ein netter Kerl. Im Verlauf des letzten Monats hatte ich ihn ziemlich gut kennengelernt. Nicht, dass da besonders viel zu holen war.
Er war nicht gerade der tiefgründige Typ. Außen und innen passten da gut zusammen. Wenn er sein schiefes Lächeln aufsetzte, zog er alle anderen in seiner Umgebung mit sich. Ich mochte ihn.
Auch wenn als er mich zuerst Jordy genannt hatte – um mich zu ärgern – und dann Detective Waters, völlig ungeachtet meiner Reaktion dem gegenüber. Er hatte noch nie meinen Vornamen, Jordan, benutzt.
Jordy war ein Name für einen Schoßhund oder ein Kaninchen. Detective war eine Dienstbezeichnung, die Polizisten in ihrer Freizeit im Umgang miteinander nicht benutzten. Er machte das nur, um mich aus der Reserve zu locken. Was ich irgendwie mochte. Außerdem war es schwer, ihn nicht gern zu haben.
Und nein, ich meine damit nicht, ihn so zu mögen, obwohl ich schwul war. Ich mochte ihn einfach. Er war ein guter Freund und Partner und ich wusste, dass ich mich hundertprozentig auf ihn verlassen konnte, wenn es hart auf hart kam.
Nicht, dass wir bei der Steuer so oft in brenzlige Situationen kommen würden. Die meiste Zeit über glichen wir Daten ab, überprüften Informationen, gingen Hinweisen nach und hatten einen nicht enden wollenden Papierwust zu bearbeiten.
Das war mir nach so vielen Jahren beim Raub- und Morddezernat in New York allerdings auch ganz recht. Nachdem ich angeschossen worden war – zum Glück nur ins Schulterblatt –, hatte ich einen Tapetenwechsel gebraucht. Das hier war eine willkommene Abwechslung.
Und apropos willkommen: Als ich in einem der Vororte aus meinem protzigen, schwarzen SUV kletterte und zur Haustür meines Partners ging, lief mir unwillkürlich ein kalter Schauer über den Rücken.
Ich hatte mich schon immer schwer mit den zwischenmenschlichen Fähigkeiten getan, die man benötigte, um schnell Anschluss zu finden. Es hatte nichts mit Nervosität zu tun. Es war mehr die Abneigung, anderen etwas vorzuspielen, und gegen Smalltalk im Allgemeinen.
Ich hasste diesen beschissenen Smalltalk. Ich verabscheute zielgerichteten Schwachsinn. Es war so Gang und Gäbe, dass es einfach jeder machte. Die Leute ignorierten unangenehme Wahrheiten, um sich besser in ihrem Selbstbetrug suhlen zu können.
Aber ich hatte mir vorgenommen, das Beste aus dem heutigen Abend zu machen. Immerhin war es kein Familienpicknick oder sowas. Nur mein Partner, ein paar andere Polizeikollegen und ein nettes Pokerspiel an einem Freitagabend. Das würde ich mit Sicherheit schaffen – und meine Gedanken dabei für mich behalten können.
Darin war ich in den letzten Jahren ein wahrer Meister geworden. Niemanden interessierte meine Meinung und das war auch okay für mich, solange man nicht versuchte, mich zu diesem In-jedem-Menschen-steckt-ein-guter-Kern-Zeug zu bekehren.
Als Ausgleich für diese Unzulänglichkeit, einen leichten Umgang mit anderen Menschen zu pflegen, hatte ich normalerweise ein ziemlich ruhiges Temperament. War schon immer so gewesen. Fest in meiner Persönlichkeit verankert. Ausgeglichen war, glaub' ich, das richtige Wort, zumindest benutzten es die Leute oft, um mich zu beschreiben.
Ja, ich war immer ausgeglichen. Unbeherrschtes oder wichtigtuerisches Verhalten lag mir nicht. Und da ich keinen Alkohol trank, machte das einige Situationen für mich – vor allem bei sozialen Zusammenkünften – nicht nur anstrengend, sondern oft auch nur schwer zu ertragen. Ich hatte gelernt, den Mund zu halten, wenn meine Kollegen mich damit aufzogen und Witze darüber rissen. Ich wusste ja, dass sie es nicht böse meinten. Eine Menge Polizisten waren Alkoholiker und über die machte niemand Witze, also ließ ich es an mir abprallen.
Mal ganz abgesehen davon, dass ich aus Prinzip keinen Alkohol trank – die einzige Ausnahme machte ich für meinen kleinen Bruder Jack –, konnte ich auch einfach so vollkommen ausgeglichen sein. Ich blieb kühl, ruhig und beherrscht, wenn man mich emotional und/oder körperlich provozierte.
Ich distanzierte mich von meinen eigenen emotionalen und körperlichen Reaktionen. Natürlich hatte ich sie trotzdem, ich ließ nur nicht zu, dass sie mein Verhalten bestimmten.
Ich war gnadenlos ausgeglichen, was bedeutete, dass ich meinem Gegner wenn möglich sofort einen verbalen Todesstoß verpasste. Ich warf meinem Widersacher die kalte, harte Wahrheit vor die Füße, ohne jeglichen Filter. Naja, zumindest meine Version der Wahrheit, aber ich hatte die ärgerliche Angewohnheit, meistens ins Schwarze zu treffen durch ein gutes Gespür für versteckte Dinge, die unter der Oberfläche brodelten. Und ich war jemand, der selten – wenn überhaupt – vor einer Herausforderung zurückschreckte.
Ich muss wohl nicht extra darauf hinweisen, dass meine Art mich nicht gerade zum Liebling meiner Umwelt machte. Eigentlich hatte ich auch erwartet, dass meine Homosexualität früher oder später zum Thema werden würde und zwar auf eine wenig wünschenswerte Weise.
Aber ich nahm an, dass das Dezernat noch andere schwule Polizisten außer mir beherbergen musste, nachdem die meisten nur die Schultern gezuckt oder mich dezent darauf hingewiesen hatten, sie nicht zu lange in den Duschräumen anzustarren. Oder sie machten Witze darüber, dass ich sie niemals so betrunken machen könnte.
Na schön, es war keine Wir-empfangen-unseren-schwulen-Kollegen-mit-offenen-Armen-Begrüßung, aber zumindest war sie freundlich gewesen. Ich hatte weiß Gott schon Schlimmeres erlebt als das.
Alles in allem hatten sie es gut aufgenommen und ich tat mein Bestes, es ihnen nicht ständig unter die Nase zu reiben. Ich meine, schwul zu sein war sowieso nicht meine herausragendste Charaktereigenschaft. Natürlich war es ein wichtiger Teil meines Lebens und meiner Person, aber eben nicht alles.
Es gab Tage, an denen ich fest davon überzeugt war, ohne Sex leben zu können, wenn ich es müsste; im Zölibat zu leben, nur ohne den Priesterquatsch.
Manchmal fühlte es sich sowieso an, als wäre ich allein im Bett – auch wenn ich mit einem Kerl drin lag. Da war das Gefühl von Haut und Wärme und ein Schwanz, aber One-Night-Stands ließen wenig Raum für Beziehungen oder eine persönliche Bindung. Den wenigen Männern, mit denen ich mich in meiner Freizeit traf, erlaubte ich nie, mich im Büro abzuholen, und ich beschränkte meine homosexuellen Interaktionen auf einschlägige Clubs abseits der Polizeikneipen, die ich ebenso besuchte.
Meiner Ansicht nach funktionierte das gut. Es gab eine gewisse Balance zwischen meinen Kollegen und meinen One-Night-Stands, zwischen meiner Arbeit und meinem Privatleben. Sofern es denn vorhanden war.
Was mich gedanklich wieder zu meiner momentanen Situation brachte. Ein netter Abend mit Poker, Bier, Pizza und Gesprächen über Frauen, Sex, Football und dergleichen. Ein Abend, den ich für gewöhnlich in allen sieben Sprachen, die ich beherrschte, verfluchte und mit all den schönen Schimpfwörtern belegte, die ich kannte. Aber diesmal gab es kein Entkommen. Ich seufzte und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, in dem ich um Geduld und starke Nerven bat. Davon konnte man heutzutage sowieso nie genug haben.
Mein hünenhafter Partner öffnete die Tür mit einem gewinnenden Grinsen – und nannte mich wieder Jordy. Arschloch. Ich ließ mich ins Haus bitten, das wirklich hübsch war. Hatte den typischen Vorort-Charme. Naja, wem's gefiel... Mir nicht, aber ich lächelte trotzdem.
In New York hatte ich ein stylisches Loft-Apartment gehabt und das war auch das Einzige, was ich seit dem Umzug wirklich vermisste. Meine jetzige Mietwohnung war in Ordnung, aber lange nicht so toll wie meine vorherige. Ich schwöre, wenn ich hier irgendwo einen Kerl mit einem netten Loft und einem hübschen Schwanz auftrieb, würde ich ihm mit Begeisterung dafür bis in alle Ewigkeit den Arsch hinhalten. Und immerhin musste ich so auch nie sein Gesicht ertragen.
Ich vertrieb den Gedanken, da ich gerade den anderen Männern der Runde vorgestellt wurde. Ich versuchte, mir ihre Namen und Gesichter zu merken. Klar, keiner von ihnen war in meiner Abteilung und es war unwahrscheinlich, dass ich ihnen täglich oder auch nur wöchentlich über den Weg laufen würde, zumal sich das Washingtoner Polizeidezernat in verschiedenen Gebäuden befand, die über die ganze Stadt verteilt waren.
Aber ich fand es höflich, zumindest zu versuchen, mich an sie zu erinnern, vor allem da Pokern eine wöchentliche Konstante zu sein schien. Und mir gefiel der Gedanke, zumindest einmal die Woche etwas ganz anderes als gewöhnlich zu tun.
Mein Partner war größer als alle anderen und er nahm in dem kleinen Esszimmer, das im hinteren Teil des Hauses lag und mit der offenen Küche verbunden war, auch wesentlich mehr Raum für sich ein. Ein blankgescheuerter, runder Holztisch stand in der Mitte des Zimmers und in der Luft hing der Geruch nach Fastfood. Die feminin wirkende Deckenlampe mit ihrem Blumenmuster spendete warmes Licht und musste wohl ein Überbleibsel der Ex-Frau meines Partners sein.
Auf dem Tisch standen eiskalte Getränke, ein paar Kartendecks warteten noch unausgeteilt und vor jedem der Männer, die um den Tisch saßen, lag ein Bündel kleiner Scheine. Also spielten sie mit richtigem Geld. Na schön. Ich zuckte die Schultern und wappnete mich innerlich schon mal für den unvermeidlichen Ausgang des Abends.
Thompson platzierte sich mir gegenüber, sodass auf beiden Seiten jeweils zwei Männer zwischen uns saßen. Zu seiner Rechten saß ein Kerl aus der Sexuellen Belästigung – besser bekannt als die Sitte –, der ein billig wirkendes, dunkelblaues Seidenhemd anhatte. Jim. Zu groß für meinen Geschmack und außerdem sowieso ein Top, sofern er schwul war.
Neben ihm saß ein kleinerer Typ aus dem Drogendezernat. Er hatte braune Haare, ein bisschen Bart am Kinn und eine noch deutlich sichtbare, hellere Linie am Finger, wo vor kurzem noch ein Ehering gewesen sein musste. Steven.
Hatte noch nie was für Bärte übrig gehabt. Fühlte sich komisch an, wenn man einen geblasen bekam. Geschieden, könnte aber auch ein Spätzünder sein, keine Ahnung. Zu anstrengend für einen One-Night-Stand.
Auf meiner rechten Seite sah ich einen Kerl vom Raub/Zeugenschutz, der ziemlich starke Ähnlichkeit mit einem Wrestler hatte. Er trug seine lockigen, roten Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und hatte überall Tattoos, die praktisch nach US-Army schrien. Ben. Der Typ Mann, der jede Nacht mit einer anderen leichten Frau schläft und sich am nächsten Tag im Büro mit seinen tollen Eroberungen brüstet.
Der Mann zwischen Thompson und Ben erhob sich und streckte mir zur Begrüßung die Hand entgegen. Und ich hatte plötzlich das Gefühl, eins dieser Finde-den-Fehler-Rätsel zu sehen. Er war jung, vielleicht Mitte zwanzig und ziemlich blass. Ich war ja schon ein ziemlich heller Hauttyp, aber er war so bleich, dass er beinahe durchscheinend wirkte.
Seine weiße Haut schimmerte, als würde er von innen heraus leuchten, was seine rabenschwarzen Haare seltsam deplatziert wirken ließ. Als wenn seine Haare und seine Haut nicht zusammengehörten, sondern das Universum sie zusammengemischt hatte, nur um zu sehen, was dabei herauskam.
Blaue Augen. Eisblau. Oh Scheiße, ich liebe Winter. Er war schlank, aber sportlich, wenn man von den nicht besonders ausgeprägten, aber durchaus vorhandenen Muskeln unter der Haut ausgehen konnte. Wie ein Windhund.
Sein Gesicht hatte eine erstaunlich offene Mimik, bei der sich in jedem Ausdruck Gefühle widerspiegelten – was definitiv ungewöhnlich für einen Cop war, die von Anfang an beigebracht bekamen, ihre Emotionen zu verstecken. Er trug Stoffhosen und ein beigefarbenes T-Shirt, auf dessen Vorderseite die Aufschrift Du hast vielleicht Ohren, aber du hörst nichts prangte. Seltsam. Vielleicht war er ja Jude. Ich zuckte innerlich die Achseln.
Im Moment lächelte er mich an. Ich wünschte mir, dass ich ihm gefiel. Dass er sich meine grünen Augen und meine platinblonden Haare mit den selbstgefärbten, violetten Strähnen genau ansah. Dass er von meinem schlanken, muskulösen Körper und meinen einladenden Grübchen fasziniert war.
Dass er die vielen Tribal-Tattoos bewunderte, die meine Arme und den Hals zierten und die weder von den ausgebleichten, schwarzen Jeans noch von meinem dunkelgrauen, kurzärmeligen Hemd verborgen wurden. Die obersten Knöpfe standen offen und das Hemd saß wie eine zweite Haut an mir. Wünschte mir, dass er die vielen Ringe und Ohrringe anziehend fand, die ich anlegte, wenn ich nicht im Dienst war, um ein bisschen furchteinflößender auszusehen, was durch die Haare und Grübchen immer ein bisschen schiefging – und ja, ich musste mir oft was wegen meines Äußeren anhören.
Ich schüttelte seine Hand, ließ sie aber nicht gleich wieder los. Das hier eröffnete ganz neue Möglichkeiten. Und dann machte er den Mund auf.
»Sebastian Sumner, freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Detective Waters.«
Ich blinzelte ein paar Mal, ziemlich perplex. Seine Stimme klang seltsam. So, als würde sie tief aus seiner Brust kommen, ohne den Umweg über seinen Kehlkopf zu gehen. Keinerlei harte Laute. Keine Satzmelodie oder Betonung. Es klang eher wie das Echo einer Stimme unter Wasser als wie eine richtige Stimme.
Mir war nicht bewusst, dass ich ihn anstarrte, bis sein Lächeln verblasste und sich seine Stirn runzelte. »Ich bin taub, nicht blöd.« Er nickte in Richtung seiner Hand, die ich noch immer in meiner großen festhielt. Verlegenheit kroch in mir hoch – aber nur für einen kurzen Moment. Immerhin war ich kein grüner Junge mehr. Ich war schon mit allen möglichen Kerlen zusammen gewesen, von seltsam bis verdammt freakig, mit Vorlieben, über die wahrscheinlich kein normaler oder geistig gesunder Mensch im Alltag stolpern würde.
»Sorry.« Ich grinste ihn vollkommen entspannt mit einem mutwilligen Funkeln in den Augen an. »Deine Hand lässt sich so gut festhalten.« Ich beobachtete, wie sich das Stirnrunzeln in Überraschung auflöste und mein Grinsen wurde breiter. Oh, der Ausdruck gefiel mir schon deutlich besser. Ich würde ein bisschen experimentieren müssen, um zu sehen, ob ich ihn wiederholen konnte.
»Wollen wir dann?« Das Grollen der tiefen Stimme meines Partners vibrierte durch den Raum und vertrieb die angespannte Stimmung – auch wenn nur die anderen es als solche wahrzunehmen schienen, da ich eigentlich ganz zufrieden damit war. Ich wandte meinen Blick nicht von Sebastian ab, der ein paar Mal blinzelte, leicht errötete und sich über den Nacken rieb, während er sich setzte. Wir taten es ihm nach. Bier und Pizza wurden verteilt.
»Willst du auch eins, Jordan?«, fragte Jim und nickte in Richtung des Beistelltischs, auf dem die Bierflaschen standen. Seine schmierige Erscheinung wurde von dem vielsagenden Lächeln noch unterstrichen.
Ablehnend schüttelte ich den Kopf. »Nein, danke. Ich trink' nicht. Familiengeschichte.«
»Okay.« Jim zuckte die Schultern. Die Art, wie er in meine Richtung schielte und mich von oben bis unten musterte, verriet, dass er wohl sexuell in alle Richtungen offen oder metrosexuell war – oder mit welchem In-Wort man das auch immer gerade bezeichnete. War ja grundsätzlich nichts Schlechtes. Nur nicht mein Typ.
Was ich Jim auch gleich klar machte, indem ich Sebastian während der ganzen Zeit, in der das Essen und die Getränke verteilt wurden, anstarrte. Zwischendurch garniert mit ein bisschen lockerem Small Talk über Baseball oder Football oder irgendeine andere Sportart, die was mit Bällen zu tun hatte.
Ich bemerkte, dass Sebastian sorgfältig die Lippen seiner Gegenüber beobachtete. Er konnte also Lippenlesen. Noch besser, dachte ich, als ich mich fest entschloss, diesen jungen Mann ins Bett zu bekommen. Ich musste ihn nur erobern. Und ein Plan dafür formte sich bereits in meinem Kopf.
Er warf mir einen Seitenblick zu und bemerkte, dass ich ihn anstarrte. Er biss sich auf die Unterlippe. Voll und rot, wie reife Erdbeeren, mit Sicherheit köstlich. Ich hatte schon immer eine ziemliche orale Fixierung gehabt. Alles, was mit Essen zu tun hatte, war schon mal prinzipiell gut. Und all die Sachen, die mit Sex zu tun hatten... Ich hätte ihm tage- und nächtelang den Arsch lecken können, bis meine Zunge taub wurde.
Sebastians Lippen waren wie dafür geschaffen, geküsst zu werden, dass man an ihnen saugte und über sie leckte. Ich konnte es kaum erwarten, ihren Geschmack zu erforschen. Ja, ich war ziemlich aggressiv, wenn es um Sex ging. Wenn ich etwas oder jemanden sah, den ich wollte, stürzte ich mich praktisch darauf.
Aber Sebastian würde vermutlich ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl erfordern, überlegte ich, als ich sah, wie seine Stirn sich erneut nervös runzelte.
Plötzlich platzte es mit dieser tiefen Stimme aus ihm heraus: »Soll ich dir ein Foto machen? Dann hast du länger was davon.«
Totenstille breitete sich im Zimmer aus und die Blicke der anderen wanderten angespannt zwischen Sebastian und mir hin und her. Ich schloss aus ihrer Unsicherheit, wie sie auf den unerwarteten Ausbruch reagieren sollten, dass Sebastian genauso neu in der Pokerrunde war wie ich.
Ich lachte nur leise – und holte mein Handy aus der Hosentasche, richtete die kleine Kameralinse auf ihn und machte grinsend einen Schnappschuss von seinem fassungslosen Gesichtsausdruck.
»Gute Idee, Süßer.«
Zu überrascht, um irgendetwas zu sagen, starrte Sebastian auf meine lächelnden Lippen, um zu ergründen, ob er auch alle meine Worte richtig gelesen hatte. Ich lehnte mich vor, schob das Handy zurück in meine Hosentasche und sorgte dafür, dass sein Blick weiterhin auf meinen Lippen lag.
»Jepp, du hast schon richtig verstanden. Es sei denn, ich soll's nochmal wiederholen?« Entspannt lehnte ich mich zurück, wartete aber gar nicht auf eine Antwort, sondern schaute einmal in die Runde. »Also, wollten wir nicht spielen?«
Es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, der die Maschine wieder ins Rollen brachte. Plötzlich begannen alle gleichzeitig, zu reden und sich zu bewegen. Ich grinste. Ich mochte es, meine Umwelt zu überraschen. Das machte es leichter, andere Menschen richtig einzuschätzen. Ihre Reaktionen waren ehrlicher und mit weniger Hintergedanken durchsetzt, wenn sie mit etwas Neuem, Unerwartetem konfrontiert wurden. Mal ganz abgesehen von etwas, dass sie emotional durcheinander brachte.
Die meisten Menschen waren nicht daran gewöhnt, aus ihrer Routine gerissen zu werden. Nicht mal die Leute, die behaupteten, dass sie immer auf der Suche nach dem nächsten Kick waren.
Wir spielten ein paar Runden Texas Hold 'em. Nicht das erste Mal für mich. Aber zum ersten Mal seit langem spielte ich wieder um Geld – sogar mit Freunden. Wenigstens spielten sie mit einem Limit für den Pot. Wäre andernfalls auch problematisch gewesen, denn die Behörde wertete so etwas dann als Glücksspiel, was aus gutem Grund nicht gerne gesehen wurde. Cops, die Schulden machten, waren keine gute Sache, für niemanden.
Es war ziemlich schnell klar, wie jeder einzelne spielte. Mein Partner spielte zum Spaß, um sich mit seinen Kumpels einen netten Abend zu machen, und es kümmerte ihn wenig, ob er dabei gewann oder nicht. Jim spielte, um zu gewinnen, und war sich auch nicht zu fein zu schummeln. Wenn er dabei erwischt wurde, tat er es als Scherz ab.
Steven war unglaublich schlecht, was ihm allerdings nichts auszumachen schien. Es war allen klar, dass er im Kopf mit ganz anderen Dingen beschäftigt war – vermutlich mit seiner Ehe. Ben war ehrgeizig und spielte mit roher Gewalt, aber wenig Können und er war ganz offensichtlich ein schlechter Verlierer. Jedes Mal, wenn der Pot an ihm vorbeiging, warf er seine Karten über den kompletten Tisch und grollte dabei wie ein Bär.
Nach sechs Runden, die alle Sebastian gewonnen hatte, war klar, dass er der beste Spieler am Tisch war. Was mich dazu brachte, ihn noch interessanter zu finden. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lassen.
Er lachte so impulsiv und ehrlich aus dem Bauch heraus los und seine seltsame Stimme machte dabei eine tonale Jo-Jo-Bewegung von tief unten nach ganz oben. Auf seinem Gesicht spiegelte sich jede Emotion wider, er hielt nichts zurück. Er schien kein bisschen Unehrlichkeit oder Hinterlist zu besitzen – was äußerst verwirrend war, wenn man bedachte, wie gut er pokerte. Er war so süß und unschuldig, dass mein Schwanz sich pochend aufrichtete, um ihm Beifall zu klatschen.
»Erhöht auf zehn, Jordan«, sagte Thompson. Ich hörte die Warnung in seiner Stimme klar und deutlich: Lass die Finger von Sebastian. Ich musste ihn nicht ansehen, um den Beschützerinstinkt wahrzunehmen, den mein Partner gegenüber dem körperlich schwächeren, jungen Mann an den Tag legte. Thompson war eben so, immer auf der Jagd nach jemandem, den er beschützen konnte.
Sebastian beobachtete Thompsons Gesicht aus dem Augenwinkel, wie er es bei allen machte, und sah dann mich an. Ich mochte es, wie unglaublich groß die hellblauen Augen durch ihren offenen Ausdruck wirkten.
»Gehe mit«, antwortete ich ruhig und legte einen Zehn-Dollar-Schein in den Pot, während ich Sebastian weiterhin bewundernd mit Blicken maß. Der junge Mann rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her und war sich meiner Beobachtung nur zu bewusst. Er leckte sich über die Lippen und ich wurde hungrig.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal solche Lust auf einen Kerl gehabt hatte. War ja nicht so, dass ich permanent mit einem Ständer in der Hose durch die Gegend lief. Kein Kerl war so schwul – egal, was Heteros da so dachten. Nicht mal in Gay-Clubs war das die Regel, wo man prinzipiell nur hinging, um jemanden abzuschleppen.
»Hast du ein Problem mit Leuten, die taub sind?«, fragte Sebastian plötzlich und seine Stimme war lauter als normal, entweder um meine Aufmerksamkeit zu bekommen oder um besonders nachdrücklich zu klingen, was ihr aber keine andere Stimmfarbe als sonst gab. Sein Tonfall war nicht wütend. Eher verwirrt. Oder war das Enttäuschung? Oh Gott, hoffentlich nicht!
Ich lachte leise und musterte ihn gründlich von oben bis unten, während ich ihm etwas anbot, auf das er reagieren konnte. »Trägst du Kontaktlinsen?«
Sein Stirnrunzeln verschwand erneut und er konnte mich nur irritiert anstarren, also wiederholte ich meine Worte. Allerdings sprach ich dabei nicht lauter, sondern betonte lediglich die Silben deutlich mit den Lippen.
Verdutzt schüttelte Sebastian den Kopf, die schwarzen Strähnen folgten der Bewegung. »Nein, ich sehe völlig normal.« Jetzt war er an der Reihe, mich zu mustern, als ob mein Körper ihm verraten könnte, warum ich mich so verhielt. »Warum?«
Plötzlich schien er sich zu ärgern, dass er die Frage überhaupt gestellt hatte, und er kaute wieder auf der Innenseite seiner Unterlippe oder Wange. Schien eine nervöse Angewohnheit von ihm zu sein – was ich inzwischen wusste und womit ich ziemlich zufrieden war. Verdammt, das hätte ich auch machen können. Das Knabbern, meine ich. Naja, vielleicht später. Wenn ich ihn in meinen Fängen hatte.
Ich lachte wieder, diesmal mit einem breiten Grinsen im Gesicht, während ich mich vorlehnte und meine Ellenbogen auf dem Tisch abstützte. »Weil du mit Abstand die blauesten Augen hast, die ich jemals gesehen habe. Wie Eis. Wie wolkenloser Himmel im Sommer. Wie Saphire.« Ich zuckte die Schultern, wandte den Blick aber nicht ab. »Schöne Augen.«
Jepp, ich kam der Sache definitiv näher. Sebastian blinzelte ein paar Mal, als wären seine Augen trocken. Flüchtig fragte ich mich, ob er nicht vielleicht doch hetero sein könnte. War immerhin nicht völlig ausgeschlossen. Nur weil jemand rot wurde, wenn man ihn anstarrte, musste das noch lange nichts heißen, weder in die eine, noch in die andere Richtung.
Schwule Polizisten neigten in Großstädten dazu, sich zusammenzurotten, als würden sie Zuflucht vor dem Rest der Welt oder ihrem Job suchen. Der Grund dafür war nicht unbedingt Angst, sondern einfach nur die Tatsache, dass sie bei ihren Kollegen nicht sie selbst sein konnten – was verdammt schade war.
Es war zwar nicht so, dass alle Heteros uns feindlich gesinnt oder engstirnig waren, aber die meisten stellten sich auch nicht sofort mit Begeisterung hinter einen. Und manchmal war es einfach gut zu wissen, wo man stand.
Das Spiel ging weiter, während Sebastian etwas Unverständliches als eine Antwort auf meinen Kommentar murmelte. Eine ehrliche Reaktion, aber schwer einzuschätzen. Damit war immer noch nicht klar, ob er nun schwul war oder nicht. Ich hätte wahrscheinlich auch einfach fragen können, aber es machte mir Spaß, bei ihm ein bisschen zu raten. Es machte die Jagd... aufregender und zu einer Herausforderung.
Wenn er hetero war, wäre es möglich, ihn zur dunklen Seite zu bekehren? Könnte ich ihn in Versuchung führen? Scheiße, ich würde es auf jeden Fall probieren!
Ich wartete, bis er wieder unsicher in meine Richtung blickte, worauf ich nicht lange warten musste. »Aus welcher Abteilung bist du eigentlich?«
Er schaute auf meine Lippen und schien aufgrund des harmlosen Gesprächsthemas ruhiger zu werden. »Ich bin jetzt in der Beweismittelverwaltung, arbeite in der Asservatenkammer. Vorher hab' ich mich um das Archiv der ungelösten Fälle im Keller gekümmert, aber ich bin diese Woche nach oben versetzt worden.«
Oh Mann, ich stand auf diese unmelodische Stimme. So tief, so dunkel. Ein bisschen nuschelig, aber er bewegte die Lippen mehr als normale Menschen, hatte eine deutlichere Aussprache. Sein ausdrucksstarker Mund war dabei überaus hypnotisch, wenn man ihn ansah.
»Man sollte jemand so hübsches wie dich nicht in ein Kellerloch stecken. Freut mich, dass du jetzt oben bist. Dann werden wir uns ja wohl öfter sehen.« Ich unterstrich meine zweideutige Aussage mit einem ebenso zweideutigen Grinsen.
Seine Brauen zogen sich verärgert zusammen und er kaute auf seiner Unterlippe, als würde er überlegen, ob ich ihn einfach nur verarschen wollte. Und je unsicherer er war, desto mehr gefiel er mir.
Ich mochte diese zornig gerunzelte Stirn, das nervöse Knabbern, die entnervten Blicke, die er mir unter seinen dichten Wimpern hervor zuwarf. Ich würde ihm keine Chance geben, seine Aufmerksamkeit von mir abzuwenden, deswegen verpasste ich ihm die nächste Breitseite.
»Kannst du auch ASL?« Jetzt war sein Gesichtsausdruck vollkommen ratlos. Okay, ich musste also darauf achten, keine Abkürzungen zu benutzen. »American Sign Language… Gebärdensprache.«
Sebastian schnaubte abfällig, nickte aber und starrte auf meine Lippen. Er vermied es absichtlich, nach oben und mir in die Augen zu sehen. Interessant. »Ja, natürlich.«
»Du kannst verdammt gut Lippenlesen.« Das Kompliment war absolut ernst gemeint.
Ein unsicheres Lächeln huschte über seine Lippen. Eher ein Zucken. »Danke...«
Als ich nichts weiter sagte und ihn nur freundlich anlächelte, entspannte er sich ein bisschen und mein Lächeln vertiefte sich. Ich wollte gerade hinzufügen, dass es mir gefiel, wie er speziell meine Lippen las, aber mir kam der Gedanke, dass ich ihm vielleicht eine Flirtpause gönnen sollte. Gespräche über alltägliche Themen lullten ihn genug ein, dass ich an ihn herankam. Ich wollte ihm unter die Haut gehen. Auf die Haut. Ich wettete, er hatte überall weiche, haarlose Haut. Zumindest sah er danach aus.
»Wie lange bist du schon Polizist?«, fragte ich neugierig, weil ich nicht wollte, dass sein Blick zu lange von meinem Mund verschwand. Ich wusste, dass er hinsah, um zu verstehen, was ich sagte, aber das war mit Abstand die erotischste Form der Kommunikation, die ich je erlebt hatte. Eine ganz neue Erfahrung für einen Kerl wie mich, der normalerweise nur seinen Körper sprechen ließ. Harte Körper, die sich aneinander rieben. Die beide das Gleiche wollten. Kein Platz für Missverständnisse. Kein Bedarf für Worte.
Sebastian schüttelte den Kopf und das Thema schien ihm ein wenig unangenehm zu sein, so wie er sich auf seinem Stuhl wand. Mein Partner versuchte, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber ich ignorierte ihn absichtlich.
Sebastian befeuchtete sich die Lippen und biss wieder darauf. »Ich bin offiziell kein Cop. Ich bin nur ehrenamtlicher Polizist. Ich hab' die Ausbildung, aber ich kann keinen Streifendienst machen, weil ich taub bin. Ich werde bezahlt, aber... nur Schreibtischarbeit für mich.« Er schien das zu bedauern und das konnte ich durchaus verstehen. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der allein der Gedanke, dass ich vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche an einen Schreibtischstuhl gefesselt sein könnte, mir kalte Schweißausbrüche verursacht hatte. Das war allerdings gewesen, bevor ich angeschossen worden war.
»Tut mir leid«, sagte ich, bevor ich merkte, dass er mich nicht ansah, mich also gar nicht hören konnte. Es gab eine Freiwilligentruppe in New York und ich hatte ein paar Mal mit ihnen zu tun gehabt. Sie waren ausgebildet wie normale Polizisten, aber sie waren komplett ehrenamtliche Mitarbeiter, wurden auch nicht bezahlt und durften keine Waffen tragen. Soweit ich wusste, gab es das in DC nicht. Ich denke der Grund, warum Sebastian bezahlt wurde, waren seine Fähigkeiten, die er über die ehrenamtliche Tätigkeit hinaus mitbrachte – wie das Lippenlesen, das er so exzellent beherrschte.
Er sprach weiter, als wäre das Gespräch nie von mir unterbrochen worden. »Ich arbeite außerdem für die Kooperation für und mit Taubstummen. Die können immer jemand wie mich gebrauchen. Und ich kann so gut Lippenlesen, dass ich ein paar anderen Abteilungen beim Sichten von Überwachungsvideos helfen kann. Fällt mir selbst bei Videos mit schlechter Qualität leicht. Wenigstens das kann ich.«
Bei diesen Worten lächelte Sebastian ein bisschen und es war ein schöner Anblick. Aus irgendeinem Grund, den ich selbst nicht näher benennen konnte, gefiel es mir gar nicht, Sebastian so traurig zu sehen. Scheiß Regeln. Mussten immer irgendwen aus irgendeinem dummen Grund ausschließen.
Na schön, Cops mussten in der Lage sein, sich über Funk zu verständigen. Aber es musste doch möglich sein, eine Lösung für jemanden zu finden, der so fähig und begeistert bei der Sache war wie Sebastian.
Vielleicht konnte ich da ja ein bisschen recherchieren. Zumindest würde mir das einen Grund geben, ihn erneut anzusprechen und ihm zu zeigen, dass ich Interesse an ihm hatte. Oder vielleicht dachte er dann, dass ich meine Nase in Dinge steckte, die mich nichts angingen.
Aber ich war nicht der Typ, der vor so etwas zurückschreckte, also musste ich einfach abwarten, wie sich das Ganze zwischen uns entwickelte.
Als Sebastian mich das nächste Mal anschaute, um zu sehen, ob ich das Gespräch weiterführte oder vielleicht auch nur, weil er meine Reaktion abschätzen wollte, senkte ich zum ersten Mal als erster von uns beiden den Blick.
»Tut mir leid«, wiederholte ich. »Vielleicht ändern sie's ja in absehbarer Zeit...« Beschissene Antwort und am liebsten hätte ich den lahmen Kommentar sofort wieder zurückgenommen. Eine faule Ausrede. Sah mir gar nicht ähnlich, so um den heißen Brei herumzureden. Aber aus irgendeinem Grund wollte ich Sebastian nicht verletzen. Indem ich seine Hoffnungen zerstörte zum Beispiel.
Wir schwiegen eine ganze Zeit lang, während die anderen weiterspielten – und uns ab und zu vorsichtige Blicke zuwarfen. Schließlich war er es, der die Stille durchbrach.
»Regeln gibt es aus gutem Grund.«
Das weckte mein Interesse. Mit einem zweideutigen Funkeln in den Augen sah ich hoch. Ich persönlich war nie jemand gewesen, der sich groß an Regeln hielt – und das obwohl es mein Job war, dafür zu sorgen, dass andere es taten. Paradox, das war mir klar.
»Wirklich? Du hast also noch nie was Verbotenes getan? Dich immer an die Vorschriften gehalten?« Ja, das war Absicht, weil ich ihn provozieren wollte.
Die eisblauen Augen blitzten, die ausdrucksstarken Lippen zuckten kurz, als würde ein Lächeln über sie huschen.
»Verrat ich nicht.«
Oh, gute Antwort, dachte ich begeistert. Ich hätte versuchen können, ihm ein Geständnis zu entlocken, aber ich war der Meinung, dass so eine Konversation besser in einem privateren Rahmen geführt werden sollte. Also wechselte ich das Thema so gleichmütig ich konnte.
»Was bevorzugst du? ASL – ich meine, Gebärdensprache oder Lippenlesen?«, fragte ich höflich.
Wieder beruhigter zuckte Sebastian die Schultern. »Kommt drauf an, mit wem ich rede.« Er wirkte ein bisschen trotzig, als wenn er eine bestimmte Reaktion von meiner Seite aus erwartete. Ich fragte mich, welche. »Die meisten Leute können keine Gebärdensprache, wenn sie nicht taub sind oder jemanden kennen, der taub ist.« Oh, das beabsichtigte er also damit. Er wollte mich ärgern.
»Ich bin ziemlich gut in Sprachen. Ich lass es auf 'nen Versuch ankommen.« Ich hob meine großen Hände, die schwielig und narbenbedeckt von meinen früheren Jobs waren, und wedelte ziellos durch die Luft. »Sind die zu groß, um ordentliche Gebärden zu machen? Schätze, ich bin nicht grad' elegant.«
Sebastians angriffslustige Stimmung schwand und er schenkte mir sogar ein schiefes Lächeln für meine Bemühungen. »Kommt nicht auf die Größe an – wie bei so vielen Dingen.«
Oh, er fing an, mir Kontra zu geben. Ich grinste und seine Wangen röteten sich.
»Danke... oder so.« Ich machte deutlich, dass ich es nicht böse meinte, indem ich zurückgrinste, und seine Augen glitzerten. Ich schwöre, dass sie genau das taten. Ich glaube nicht, dass mir jemals zuvor der Gedanke gekommen war, dass Augen das konnten. Ich habe Glitzern immer mit Sternen am Nachthimmel assoziiert oder mit depressiven Teenager-Vampiren. Trotzdem hatten Sebastians Augen einen Glanz, der mir ganz warm werden ließ.
Als Antwort auf meine Worte biss er sich auf die zitternde Unterlippe, als hätte er Schwierigkeiten, ein Lachen zu unterdrücken. Oh Mann, er sah einfach zum Anbeißen aus. Ich fragte mich, wie er wohl reagieren würde, wenn ich einfach zu ihm hinüber ging und ihn küsste.
Na schön, das wäre vielleicht nicht der klügste Schachzug gewesen. Zumindest nicht in einer Hetero-Runde wie dieser hier, an einem Männerabend wie diesem. Vielleicht konnte ich ihn ja überreden, mit mir in eine Gay-Bar zu gehen – natürlich nur um als Freunde einen trinken zu gehen. Man musste ja klein anfangen.
Für eine ganze Weile ließ ich die Stimmung vor sich hin köcheln und wir konzentrierten uns alle auf das Spiel. Inzwischen waren wir von Texas Hold 'em zum normalen Poker übergegangen. Ich hatte eine Pechsträhne. Was vorhin noch ein Haufen Geld gewesen war, schrumpfte zu ein paar Scheinen zusammen, von denen keiner höher als ein Fünfer oder Zehner war. Ich konnte spüren, wie das Spielende für mich rapide näherkam. Zeit, etwas dagegen zu tun.
Ich peilte Sebastian kurz an und sah, wie viel Spaß er hatte. Er hatte auch allen Grund dazu, immerhin gewann er die ganze Zeit. Das mit Abstand meiste Geld lag vor ihm. Er bemerkte meinen Blick, zwinkerte mir spielerisch zu und streckte mir sogar die Zunge raus. Kindisch, aber so unglaublich niedlich. Eine winzige Geste und ich wollte ihn hier und jetzt bespringen.
»Freut mich zu sehen, dass du beim Poker nicht beeinträchtigt bist.«
Da er mich anschaute, sah er deutlich, was ich sagte. Sein Lächeln verblasste. Vermutlich war er es gewöhnt, dumme Kommentare von Fremden zu bekommen, aber von einem Freund und Kollegen...
»Nein, aber du bist sozial beeinträchtigt.« In seinen Augen loderte es. Also konnte er ohne Probleme für sich selbst einstehen. Gut zu wissen. Immerhin wusste ich jetzt, dass ich bei ihm austeilen konnte.
»Du hast ein ganz schön vorlautes Mundwerk, Süßer.« Ich lachte und spielte unbeeindruckt weiter, beobachtete dabei aber weiter Sebastian, der erneut auf seiner Unterlippe kaute. Sein Blick huschte zwischen den Karten und mir hin und her.
»Und dein Mundwerk könnte ein bisschen Seife vertragen.« Auch er spielte weiter. »Oder einen Knebel.«
Ich lachte laut über den Konter und meine Fantasie übernahm den Rest für mich.
Als wollte er seine Siegessicherheit noch unterstreichen, setzte Sebastian dieses Mal ziemlich viel Geld auf seine Karten. So viel, dass ich nicht mitgehen konnte, so pleite wie ich war.
»Leute, kann mir jemand aushelfen? Geb's euch auch sofort beim nächsten Gehalt wieder.«
Thompson schmunzelte und seine breiten Schultern zuckten wie unter einem Erdbeben. »Klar. Ich krieg' mein Geld von dir zurück, Jordy, so oder so!«
Ich grinste und versicherte mich mit einem Blick in die Runde, dass das für die anderen auch in Ordnung war. Als ich bei Sebastian angelangt war, musste er praktisch zustimmen, nachdem keiner vor ihm abgelehnt hatte. Also nickte er nur. Aber er hatte ein schiefes, selbstzufriedenes Grinsen auf den Lippen.
Einer nach dem anderen war raus, bis nur noch Sebastian und ich übrig waren – und ein großer Haufen Knete zwischen uns auf dem Tisch. Er war dran mit Aufdecken und breitete sein exzellentes Blatt – ein Full House mit Buben und Fünfern – mit seinen langen, schlanken Fingern vor sich aus. Finger, an denen ich zu gerne mal gesaugt hätte.
»Ich gewinne!«, brüllte Sebastian vollkommen begeistert und klatschte wie ein Kind entzückt in die Hände, bevor er nach den Geldscheinen langte.
Meine Hand landete so schnell auf seiner, dass er erschrocken Luft einsog. Egal, wo mich das Leben noch hintreiben, und egal, was ich dabei noch erleben würde, dieses kleine Vorort-Esszimmer im Haus meines Partners war für mich ab jetzt ein Ort der Wunder. Ein magischer Ort, weil ich hier zum ersten Mal Sebastians Hand berührte. Wo ich zum ersten Mal seine Haut spürte, samtig und weich, haarlos und weiß. Wo die Wärme seines Körpers direkt in meinen zu strömen schien. Wo ich zum ersten Mal die versteckte Kraft dieser langen, eleganten Finger fühlte, deren eigene Stimme ich kaum abwarten konnte zu sehen und zu verstehen. Wo der simple Kontakt zweier Hände ein unausgesprochenes Versprechen verhieß.
Irritiert runzelte er die Stirn, war jedoch überrascht, als er mein durchtriebenes Grinsen sah. Wortlos präsentierte ich mit der freien Hand meine Karten. Vier Neunen.
Ich drückte seine Hand leicht, um seinen vollkommen perplexen Blick wieder auf mich zu ziehen, legte den Kopf schief und genoß diesen Moment des Triumphs, auf den ich von Anfang an gespannt gewartet hatte.
»Nein, ich gewinne.« Ich löste seine Hand sanft von den Geldscheinen und hielt sie noch einen Moment fest – bis sein Schock in Frustration umschlug, als er erkannte, dass ich ihn anstatt der Karten ausgespielt hatte. Er riss seine Hand aus meinem Griff.
»Du hast geschummelt!«, knurrte Sebastian aufgebracht und starrte mich unter seinen langen, schwarzen Wimpern heraus wütend an.
Ich lachte amüsiert, während ich aufstand und begann, langsam die Geldscheine von der Tischmitte einzusammeln. Ich nahm mir die Zeit, mich zu erklären.
»Nein, ich habe getrickst.«
Nervös biss er sich auf die Unterlippe und antwortete dann leise: »Das heißt, die ganze Zeit, als du mich angestarrt und dumme Kommentare gemacht hast...«
Ich grinste und zwinkerte ihm zu, spiegelte damit seine Geste von vorhin. »Du bist der beste Spieler der Runde. Als ich dich aus dem Konzept gebracht habe, galt das auch für die anderen. Hat deine Aufmerksamkeit vom Spielen abgelenkt. Und deswegen stecke ich jetzt dein Geld ein.«
Ich sah in die Runde. Alle anderen hatten den gleichen, überfahrenen Gesichtsausdruck – mit Ausnahme meines Partners, der nicht mal halb so überrascht zu sein schien, wie ich erwartet hatte. Ich zwinkerte auch ihnen zu.
»Und euer Geld genauso. Vielen Dank, Jungs.«
»Du gibst uns wohl nicht die Chance, die Kohle zurückzugewinnen?«, fragte Ben neben mir, genauso knurrig – nicht weil ich gewonnen, sondern weil er verloren hatte. Nicht das Gleiche für jemanden, der so spielte wie er. Nämlich schlecht.
»Nope.« Ich lachte und stopfte die Scheine in meine Hosentasche.
»Du Arschloch! Nächstes Mal nehmen wir dich bis aufs Letzte aus!« Jim lachte und grinste mich auf eine Art an, die mir ein ganz deutliches Signal gab. Verdorbener, schmutziger Sex.
Ja klar, den Kerl könnte ich sofort haben – aber ich wollte Sebastian. Leider spielte das Leben nicht immer so mit, wie man es gerne hätte und nicht alle Anziehung traf auch auf Gegenseitigkeit.
Ich wandte mich demonstrativ meinem Partner zu und sendete damit meinerseits eine stumme Botschaft an Jim: Kein Interesse.
»Ich werd' dann mal langsam abhauen. Danke, Leute, hat echt Spaß gemacht.«
Thompson nickte mir mit einem zufriedenen Grinsen zu. »Wenn du das nächste Mal trickst, Jordy, sorg' ich dafür, dass sie deine Leiche nie finden werden.«
Ich schenkte ihm ein Lächeln und die international gültige Geste für Fick dich. Während die anderen noch über diesen Teil der nonverbalen Kommunikation lachten, schaute ich in die Runde.
»Da ich nicht trinke, bin ich mit dem Auto da. Wenn jemand ein Taxi braucht, stehe ich gern zur Verfügung. Fahr auch 'nen Umweg, kein Problem.«
Jim gähnte – gefühlt mit seinem kompletten Körper – und schüttelte den Kopf. »Nee, ich werd' noch einen Abstecher in eine Bar die Straße runter machen.«
»Du meinst wohl den Block runter, oder? Idiot...« Ben verzog das Gesicht, bevor er mich ansah. »Ich brauch' auch keins, danke. Geh' noch eine Runde in meine Stammkneipe.« Er langte an mir vorbei und versetzte Steven einen Schlag auf die Schulter.
Der zuckte unter der groben Behandlung zusammen und rieb sich die schmerzende Stelle mit einem tiefen, wütenden Grollen. »Und unser Stevie wird hier pennen, nachdem seine Wohnung von seiner Ex-Frau besetzt ist und –«
»Wir sind noch nicht geschieden, du Wichser! Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß!«, brüllte Steven ihn an. Es war klar, dass er zu viel getrunken hatte. Neben seinem Stuhl lagen leere Bierflaschen herum und in seinem Glas konnte man noch den Schaum vom letzten sehen.
Oh Mann, Cops mit kaputten oder bröckelnden Ehen und einem ernsthaften Alkohol-Problem. Immer das gleiche. Immer. Ein paar Dinge änderten sich nie, egal, wo man hinkam.
»Okay, okay! Ganz ruhig!« Ben hob beschwichtigend die Hände und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
Ganz offensichtlich fühlte sich Ben ein bisschen für Steven verantwortlich. Es kümmerte ihn, obwohl der Kerl nicht mal sein Partner war. Sie mussten schon seit geraumer Zeit befreundet sein, zumindest sah es von außen danach aus.
Persönliche Probleme wirkten sich tendenziell auch auf den Job aus und auch auf die wenigen langjährigen Freundschaften, die Polizisten pflegten. Wenn es nicht die langen Schichten waren, die die Leute vertrieben, waren es die zahllosen Gefahren, denen man jeden Tag aufs Neue ausgesetzt war.
Bei einigen Einheiten war es schlimmer als bei anderen: Das Rauschgiftdezernat hielt die Versuchung durch Drogen und Alkohol bereit, die Sitte die Verlockung von Sex und der sexuellen Verdorbenheit vieler Menschen und die Mordkommission sah die Menschheit in ihrer schlimmsten Form.
Und alle brachten es irgendwie mit nach Hause – auch ohne Worte. Der Job konnte tatsächlich alles zerstören, was dir etwas bedeutete, weil nur die, denen es genauso ging, es auch wirklich verstehen konnten.
Okay, also kein Jordan-Taxi für sie. Ich sah zu Sebastian hinüber, dem es sichtlich unangenehm war, Zeuge von Stevens betrunkenem Ausbruch geworden zu sein. Ich sicherte mir seine Aufmerksamkeit, indem ich mit der Hand vor ihm auf und ab wedelte – was ihm offensichtlich gar nicht passte, da er mich verärgert anstarrte.
»Was ist mit dir, Sebastian? Lust, mit dem Feind mitzufahren?«
Erst dachte ich, dass er ablehnen würde, weil er mich so stocksauer ansah. Aber dann schielte er in Stevens Richtung, der inzwischen begonnen hatte, in sein Bierglas zu heulen, während die anderen ihn mit äußerst männlichem Schulterklopfen aus sicherer Entfernung trösteten.
Sebastian nickte stumm in meine Richtung, was ich an meinen Partner weitergab. Ein ganzes Gespräch mit so wenigen Gesten. Sebastian erhob sich und wir verließen die Runde.
Mein großer, schwarzer SUV hatte getönte Scheiben und ein schlichtes Innendesign aus schwarzem Leder. Sonderausstattung. Aufgemotzt bis zum Gehtnichtmehr. Ich liebte mein Auto und ich kümmerte mich jeden Tag vorbildlich darum. Ich nahm selten einen meiner One-Night-Stands darin mit und anders als bei dem Fahrzeug davor hatte ich auch nie Sex darin. Aber das war auch billig genug für diese Art von schnellem, schmutzigem Fick gewesen.
Als ich hinter dem Steuer Platz nahm, glitt Sebastian auf den Beifahrersitz und schnallte sich umgehend an. Wahrscheinlich ein Ergebnis von vielen, tollen Sicherheitsermahnungen in seiner Kindheit, dachte ich, während ich es ihm gleichtat. Ich wandte mich ihm zu, um ihn ansehen zu können, und startete gleichzeitig den Motor.
Er wirkte ruhig und entspannt. In seinem Gesicht war keine Spur von Ärger mehr zu sehen, als hätte er all das beim Verlassen des Hauses komplett an der Türschwelle zurückgelassen.
Blind berührte ich das Touchpad des Navigationssystems, den Blick immer noch auf Sebastian gerichtet, der schließlich bemerkte, dass ich ihn ansah, weil der Motor lief, wir uns aber nicht bewegten.
»Wo wohnst du?«, fragte ich und machte als Erklärung eine kleine Geste in Richtung des Navis.
Er gab mir seine Adresse und ich tippte sie ein. Geplante Ankunftszeit in etwa vierzig Minuten. Ich grinste in mich hinein und entschied, dass ich daraus mindestens eine Stunde machen konnte. Ich wollte Sebastians Gesellschaft – und jetzt saß er hier mit mir im Auto fest. Ich würde mein Möglichstes tun, um die Situation auszunutzen.
Als ich den Wagen durch die dunklen, menschenleeren Straßen des Vororts lenkte, wo sich Haus an Haus und Hecke an Hecke reihte, blickte ich durch die Frontscheibe nach oben. Am Nachthimmel waren dunkle, tief hängende Wolken zu sehen, die das Versprechen auf Regen gaben und es sicher auch bald einlösen würden. Kein einziger Stern.
Die Straßenlaternen verströmten ihr gedämpftes Licht in diffusen Lichtkegeln auf den Asphalt, der bereits feucht glänzte. Es musste schon ein bisschen geregnet haben, bevor wir rausgekommen waren, denn die Luft roch nach regennasser Erde.
Eine Weile fuhren wir schweigend, bis Sebastian die Hand nach dem Radio ausstreckte und begann, sich durch die Sender zu tippen. Er drehte die Lautstärke so weit hoch, dass das statische Rauschen zwischen den Radiosendern meine Nerven zucken und die Haare in meinem Nacken sich aufrichten ließ.
Ich packte seine Hand, um ihn aufzuhalten, und sein Blick ruckte zu mir hoch.
»Rock?«, fragte ich und seine Brauen zogen sich ein wenig zusammen. Ich wusste nicht, warum, vielleicht hatte er mich nicht verstanden. Es war ziemlich dunkel im Auto. »Du suchst nach Rockmusik, oder? Etwas mit Rhythmus, Schlagzeug und Bass, ja?«
Sein Gesichtsausdruck entspannte sich wieder und er nickte. »Ich kann die Musik fühlen.« Er zuckte gleichmütig die Schultern. »Wenn sie laut genug ist.«
Ich grinste, auch wenn er mich nicht ansah und deswegen weder meinen Ausdruck sehen konnte, noch ob ich etwas sagte – was ich nicht tat.
Ich hatte einen Rocksender im Radio programmiert, wählte ihn an und drehte die Lautstärke bis zur Schmerzgrenze hoch. Für eine Weile war das Wummern und Kreischen der Musik so durchdringend und lärmend, dass der Rückspiegel zitterte. Ich war nicht taub – aber ich würde es mit Sicherheit bald werden, wenn das noch lange so weiterging –, aber sogar ich fühlte den treibenden Rhythmus in der Karosserie des Autos. Er hallte in meinem Körper wider, ging mir durch Mark und Bein. In Gay-Clubs ging ich so gut wie jedes Mal auf die Tanzfläche, aber heute war das erste Mal, dass ich darüber nachdachte, Musik zu fühlen. Und das nur wegen Sebastian.
Ich warf meinem hübschen, stummen Passagier einen Seitenblick zu und bemerkte, dass er sich auf seinem Sitz im Rhythmus der Musik bewegte.
Es sah aus wie eine Mischung aus Tanzen im Sitzen und Aerobic. Seine Bewegungen waren nicht so fließend wie meine, wenn ich Musik hörte und fühlte, und wirkten manchmal abgehackt, als er sich den Vibrationen anpasste, die durchs Auto hämmerten. Ich fragte mich flüchtig, wie er wohl aussehen würde, wenn er auf den Beinen war und wirklich tanzte und ob er sich dann mit derselben Eleganz bewegen würde, die ich unter seiner Oberfläche vermutete. Mit derselben Anmut, die ich in ihm wahrnahm.
Ich wollte wieder diese Stimme hören. Sebastians seltsame, monotone Stimme. Also machte ich das Radio aus. Das überraschte ihn, obwohl er die tatsächliche Musik nicht hören konnte. Irritiert starrte er mich an – und ein bisschen trotzig.
In diesem Moment traf mich die Erkenntnis. Er wollte die Musik fühlen, weil das gleichzeitig bedeutete, dass wir uns nicht unterhalten mussten. Ungewollt versetzte mir das einen kleinen Stich.