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Der hartgesottene Privatdetektiv Cain Noble hat auf den Straßen von Los Angeles schon alles erlebt. Als er von einer wohlhabenden Frau beauftragt wird, ihren Ehemann und ein unbezahlbares Kunstwerk wiederzufinden, erwartet er deshalb auch keine Überraschungen. Im Nachtclub des verschwundenen Mannes trifft Cain allerdings auf die faszinierende Lily Lavender – der eigentlich Riley heißt und ständig mehr oder weniger unverschuldet in Schwierigkeiten gerät. Cain muss mit Riley zusammenarbeiten, um den mysteriösen Vorfällen auf die Spur zu kommen, und kann sich der sinnlichen Anziehungskraft des jungen Mannes nicht lange entziehen. Dabei ahnen die beiden nicht, dass hinter diesem Fall ein ausgeklügelter Plan steckt und sie aufpassen müssen, sich im Strudel der Ereignisse nicht zu verlieren… Band 57 der BELOVED-Romantikreihe. Buch ist in sich abgeschlossen.
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Seitenzahl: 296
Deutsche Erstausgabe (ePub) Januar 2022
Für die Originalausgabe:
© 2018 by Susan Laine
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Femme faux fatale«
Originalverlag:
Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2022 by Cursed Verlag, Inh. Julia Schwenk
beloved ist ein Imprint des Cursed Verlags
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
Lektorat: Bernd Frielingsdorf
ISBN-13: 978-3-95823-929-6
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www.cursed-verlag.de
Aus dem Englischen von Vanessa Tockner
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Klappentext:
Der hartgesottene Privatdetektiv Cain Noble hat auf den Straßen von Los Angeles schon alles erlebt. Als er von einer wohlhabenden Frau beauftragt wird, ihren Ehemann und ein unbezahlbares Kunstwerk wiederzufinden, erwartet er deshalb auch keine Überraschungen. Im Nachtclub des verschwundenen Mannes trifft Cain allerdings auf die faszinierende Lily Lavender – der eigentlich Riley heißt und ständig mehr oder weniger unverschuldet in Schwierigkeiten gerät. Cain muss mit Riley zusammenarbeiten, um den mysteriösen Vorfällen auf die Spur zu kommen, und kann sich der sinnlichen Anziehungskraft des jungen Mannes nicht lange entziehen. Dabei ahnen die beiden nicht, dass hinter diesem Fall ein ausgeklügelter Plan steckt und sie aufpassen müssen, sich im Strudel der Ereignisse nicht zu verlieren…
Es war ein heller und sonniger Tag. So war es in Los Angeles immer. Es war nie dunkel und stürmisch.
Gereizt von der Hitze und Helligkeit schloss Cain Noble die Rollläden.
Er pflanzte seinen Hintern in seinen klapprigen, knarzenden Kunstleder-Bürosessel. Das Pistolenholster drückte gegen seine Rippen und er drehte den Riemen irritiert knurrend weiter zur Seite.
Da er gestern Abend enthaltsam gewesen war, pochte sein Kopf jetzt schmerzhaft. Er verzog das Gesicht und riss seine Schreibtischschublade auf, holte ein gelbes Glas heraus und schraubte es auf. Er tunkte einen Löffel in den dickflüssigen Inhalt, während der zuckrige Duft aus dem Glas hochwaberte, und steckte sich den Löffel in den Mund. Der süße Honig linderte die dumpfen Kopfschmerzen sofort, als der bernsteinfarbene Nektar sich auf seine Zunge ergoss.
Verdammte Hypoglykämie. Er war zwar nicht diabetisch, litt aber unter lästigen Anfällen niedrigen Blutzuckers, die ihn bestenfalls mürrisch machten. Die Observierung gestern Abend hatte weit länger gedauert als erwartet. Er hatte seine goldene Droge zu schnell aufgebraucht und war danach kalt und verbittert zurückgeblieben.
Andererseits war Cain als jemand, der sich ständig wie ein antiquiertes Relikt vergangener Zeiten fühlte, immer kalt und verbittert. Wortkarg und mürrisch, wie seine Sekretärin Tess sagen würde. Allerdings war sie seine persönliche Assistentin, keine Sekretärin, wie sie ebenfalls sagen würde. Hochnäsig, würde er hinter ihrem Rücken flüstern. Sie übte Krav Maga und hatte einen gemeinen rechten Kick.
Cain Noble war ein Privatschnüffler. Auch außerhalb seiner Arbeit machte er dem schlechten Ruf seiner Branche alle Ehre, wie seine Exfreunde bezeugen konnten. Ja, er war ein Herzensbrecher. In Wahrheit hatte er eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, was Sexualpartner betraf. Niemand hatte es je geschafft, sein Interesse länger als ein, zwei Nächte zu fesseln.
In dem Glas wurde Cains Gesicht nur unzureichend gespiegelt: die blauen Augen, die allerdings eher trüb grau als richtig blau waren; die unvorteilhaft gekämmten und unregelmäßig geschnittenen hellroten Haare; allerdings hatte er keine Stoppeln auf dem Kinn mit dem tiefen Grübchen und war weit hagerer und weniger muskulös, als ihm lieb war.
Grauer Rauch hing im Raum. Das Gebäude war alt – nicht baufällig, aber heruntergekommen. Roch so alt, wie es war. Daher die Wolken der Räucherstäbchen: heute mit Pfefferminz- und Apfelduft. Die Klienten hielten ihn für einen Buddhisten. Cain machte sich nicht die Mühe, sie eines Besseren zu belehren.
Die Gegensprechanlage summte, ein elektrisches Störgeräusch, das er verabscheute. »Spontane Klientin«, sagte Tess. Ihr Ton war höflich, aber darunter lag eine gewisse Härte. Irgendetwas machte sie nervös.
»Schick sie rein.«
Zuerst erschien eine Silhouette vor dem Milchglasfenster.
Die Tür ging einen Spalt auf. Eine schwarz behandschuhte Hand schob sie weiter auf.
Dann trat sie ein.
Sein Herz setzte einen Schlag aus. Was seltsam war, da nichts in ihm Interesse an Frauen hatte.
Das Erste, was ihm auffiel, war der lange Schlitz in ihrem langen, schwarzen, figurumschmeichelnden Kleid, das beinahe unanständig viel von einem hinreißenden, schlanken Bein enthüllte. Tatsächlich schienen beide Beine – das sichtbare und das bekleidete, aber nicht wirklich verhüllte – einfach nicht enden zu wollen. Cains Blick wanderte langsam von den schwarzen High Heels nach oben und er bewunderte, wie die Seidenstrümpfe ihre straffen, kurvigen Waden umschmiegten. War sie vielleicht eine Joggerin?
Cain warf sich ein Gummibärchen in den Mund und kaute langsam auf der Süßigkeit herum. Er hätte nichts dagegen, noch etwas anderes in Sichtweite zu verschlingen – ein seltsamer Impuls, den er nicht gewöhnt war.
Das schwarze Kleid der Frau hatte einen Rollkragen. Ihre langen schwarzen Haare flossen wie ein Wasserfall über ihre Schultern und ihr Gesicht war hinter einem durchscheinenden, schwarzen Schleier verborgen, wie Cain ihn seit seinem letzten schwarz-weiß-Noirfilm vor mehreren Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie hatte eine schlanke Figur mit kleinen Brüsten, die Cain aus irgendeinem Grund unbedingt berühren wollte. Sein Schwanz zuckte in der Hose, was ihn noch mehr verwirrte.
»Mr. Noble?« Ihre Stimme war weich und leise, konnte wohl rauchig genannt werden. Auf jeden Fall sexy. Sie kam langsam herein und schloss die Tür hinter sich.
»Jepp. Treten Sie nur ein, Miss…?« Cain deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Sie setzte sich geziert, jede Bewegung war anmutig. Alles an ihr schrie Reichtum und Eleganz. Eine so seltene Kombination heutzutage. Da sie sich so in Szene setzte, nahm Cain an, sie war Schauspielerin. Ob dramatisch oder melodramatisch, das konnte Cain nicht entscheiden.
»Oh. Ja. Verzeihung. Mein Name ist… Camille. Camille Astor.«
»Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Astor?«
Sie senkte den Blick und verbarg das Gesicht, entweder aus Scheu oder Scham. »Eigentlich wäre es Mrs. Es ist mein Mann, über den ich sprechen möchte.« Cain nickte, um zu zeigen, dass sie fortfahren sollte. Er war leicht enttäuscht und wollte nicht näher analysieren warum. »Sehen Sie, Mr. Noble, mein Mann Sheridan Astor ist der Inhaber des Nachtclubs Iris. Kennen Sie den?«
Cain nickte. »Am Santa Monica Boulevard?« Er hatte gehört, der Laden wäre nach einer Lady benannt. Aber wer konnte das mit Sicherheit sagen, da die Farbe Irisblau ein so großer Teil des Logos war? Natürlich zeigte das Logo auch die Blume, um die Sache noch verwirrender zu machen.
Camille nickte. »Ja.«
Sie verlagerte das Gewicht auf dem Stuhl. Die Bewegung übertrug sich auf ihre Brüste und Beine. Cain versuchte, nicht zu eifrig zu starren. Klienten gaben die besten und schlimmsten Bettgefährten ab. Er konnte sich im Moment keine Komplikationen leisten. Scheinbar zögerlich leckte sie sich über die Lippen. Der durchscheinende Schleier verbarg zwar ihre Züge, aber die dunkelroten Lippen waren voll und üppig und fuck, um seinen Schwanz geschlossen würden sie absolut göttlich aussehen.
Diesmal war es Cain, der sein Gewicht verlagern musste.
»Sheridan und ich sind jetzt seit drei Jahren zusammen.«
Das überraschte Cain. Camille war zwar sehr weiblich, wirkte aber trotzdem recht jung. Ihre kleine Größe und schlanke Figur deuteten Jugendlichkeit an.
»Was ist das Geheimnis Ihrer langen Beziehung?«, fragte Cain, konnte seine Neugier nicht zurückhalten.
Sie schauderte leicht und warf ihm unter den langen, schwarzen Wimpern einen scheuen Blick zu. »Wissen Sie, ich glaube, es ist der Masochismus.«
Cain zog eine Augenbraue hoch. Er hätte eher auf Bequemlichkeit oder Angst vor Veränderungen getippt. Männliche Ausreden. Oder vielleicht war er da der Einzige.
Wie auch immer, sie hatte nichts von Liebe gesagt.
»Ihrer oder seiner?«, fragte er der Vollständigkeit halber.
Diesmal war ihr Lächeln alles andere als schüchtern. Das boshafte Funkeln in ihren Augen – welche Farbe hatten sie nur? – verriet eine Frau mit Erfahrung. Diese vornehme Dame hatte verborgene Tiefen. War sie ein Promi? Cain hatte ein gutes Gedächtnis für Gesichter. Hollywood und L.A. im Allgemeinen war voller Leute, die er auf den ersten Blick erkennen musste.
Aber Camille? Sie war ein Rätsel.
»Also… Was ist mit Ihrem Mann?« Cain betete, dass das nicht noch ein Vorspiel einer hässlichen Scheidung war. Diese Fälle hasste er. Leute, die sich einst inbrünstig geliebt hatten, verwandelten sich in abscheuliche Monster voller Hass, Rachedurst und Gier, kehrten die schlimmsten Seiten der Menschheit heraus. Anwälte waren da auch keine große Hilfe.
»Sheridan…« Ihre Stimme brach. Sie hob eine bebende Hand an den Mund. »Er wird vermisst. Ich fürchte, er wurde entführt. Gegen Lösegeld, verstehen Sie.«
Cain runzelte die Stirn. Ein vermisster Nachtclub-Besitzer? Die gab es doch zuhauf. Sie waren hier in L.A. Leute verschwanden ständig. Die meisten kehrten mit Katern, Geschlechtskrankheiten, unehelichen Kindern, Geliebten oder einfach nur pleite zurück. Manche kehrten natürlich auch niemals zurück. Das waren die dunkleren Geschichten.
»Warum glauben Sie, er wurde entführt?«
»Als ich vor zwei Tagen nach der Arbeit nach Hause kam…«
»Wo arbeiten Sie?«
Ihre Wangen röteten sich tief. »Im Club. Ich… ich singe dort.«
Camille war eine Loungesängerin? Wie drollig. Er hatte nicht gedacht, dass solche Lokale noch existierten, nicht im 21. Jahrhundert. Sie schienen so altmodisch wie klassische Etablissements aus der goldenen Hollywood-Ära. Andererseits hätte sich Cain in jenen vergangenen Tagen ebenfalls wie zu Hause gefühlt. Manchmal kam er sich vor wie ein lebendiger Anachronismus.
»Wie auch immer, ich bin spät nachts in unser Haus in den Hollywood Hills zurückgekommen – und er war nicht da. Mir fiel auf, dass ich ihn seit einer ganzen Woche nicht mehr gesehen hatte. Sein Zimmer wurde geplündert, glaube ich…«
»Sie glauben?«
Wieder wurde ihr Gesicht röter. Diesmal war Cain sicher, dass Bestürzung der Grund war. »Sheridan ist nicht der sauberste Mann der Welt. Er ist ein… ein Schmutzfink, wenn Sie es unbedingt wissen müssen. Das ist einer der Gründe, warum er und ich getrennte Schlafzimmer haben.«
Einer der Gründe? Als er überlegte, was das bedeuten könnte, wurde Cains Schritt heiß. Eheleute, die nicht im selben Bett schliefen? Vielleicht konnte Camille… verführt werden.
Cain musste sich innerlich ohrfeigen. Was dachte er da nur? Zum einen hatte die Frau gerade ihren Mann verloren. Und zum anderen stand Cain nicht auf Frauen. Warum ging ihm diese Vision von Schönheit so sehr unter die Haut?
»Wurde nur sein Zimmer durchwühlt oder das ganze Haus?«
Camille schüttelte den Kopf. »Nur sein Zimmer.«
»Ist Ihnen aufgefallen, dass irgendetwas gefehlt hätte? Abgesehen von Ihrem Mann?«
Camille zögerte. Cain verstand nicht, warum sie das tun würde. Schließlich sagte sie nervös: »Ja, ich glaube, ein Kunstwerk wurde gestohlen.« Als Cain nichts sagte, fügte sie hinzu: »Es ist eine kleine Skulptur von Auguste Rodin.«
»Der Schöpfer von Der Denker und Der Kuss?«
»Ja. Aber, ähm, diese Statuette ist… erotischer Natur, sie stammt vom Beginn seiner Karriere.« Cain hatte nicht gewusst, dass Rodin erotische Kunst geschaffen hatte. Das war mal eine Neuigkeit. Camille fuhr fort und ihre sinnliche Stimme schickte heiße Blitze durch Cains Hoden. »Sie heißt Inamorata in Sepia. Sie ist unbezahlbar, weil sie aus Holz besteht. Rodin hat üblicherweise Marmor verwendet.«
Diebstahl eines wertvollen Kunstwerks könnte ein Motiv für welches Verbrechen auch immer sein. Um fair zu sein, war Cain allerdings nicht sicher, ob es überhaupt ein Verbrechen gab. Warum sollten die mutmaßlichen Täter auch den Mann mitnehmen, wenn sie bereits die Statuette hatten?
»Könnte Ihr Mann das Werk einfach genommen und verkauft haben?« Was Cain nicht aussprach, war, dass Sheridan Astor möglicherweise so weit gegangen war, seine Frau zu verlassen und die Statuette als Kriegsbeute oder Schlüssel zu schnellem Geld mitzunehmen. So etwas passierte ständig.
»Nein, das würde er nicht tun. Sehen Sie, die Statuette gehört mir. Er hat sie zu unserem dreijährigen Jubiläum für mich gekauft.«
»Warum war sie dann in seinem Zimmer?«
Anstatt sich über die neugierige Frage zu ärgern, lächelte Camille leicht. »Die Statuette erinnert Sheridan an mich, deshalb hat er sie gern neben seinem Bett.«
Cain dachte über die Antwort nach. Klang zwar vielversprechend, aber auch recht vage und uneindeutig. Also fischte er sein iPhone aus der Tasche und suchte das Werk im Internet. Die Holzstatuette Inamorata in Sepia war verglichen mit Rodins anderen Arbeiten tatsächlich recht klein. Anders als Der Kuss zeigte dieses Kunstwerk eine einzelne Frauengestalt – in leidenschaftlicher Verrenkung verewigt. Rodin war der Holzmaserung gefolgt, um ihre lockigen Haare, langen Glieder, runden Brüste, den gestreckten Rücken und die schönen Züge zu formen. Jedenfalls war die Statuette so klein, dass sie in der Hand getragen oder am Körper versteckt werden konnte.
»Ist diese Statue versichert?«
»Ja, für drei Millionen Dollar.«
Das war selbst in der heutigen Zeit, in der alles Unsummen kostete, eine Menge Geld. »Haben Sie oder Ihr Mann finanzielle Probleme?«
Camille entspannte sich sichtlich, bewegte leicht die übergeschlagenen Beine und fing Cains Blick auf. »Nein. Wir sind mehr als wohlhabend, Mr. Noble.«
Cain musterte sie sorgfältig. »Sind Sie glücklich verheiratet?«
Ihr gerissenes Lächeln und erhobenes Kinn warnten ihn, misstrauisch zu bleiben. »Keine zwei Ehen sind gleich. Unsere… sollte an anderen Maßstäben gemessen werden als die meisten. Aber wenn Sie fragen wollen, ob ich Anlass dazu habe, mir eine Scheidung zu wünschen, die Antwort lautet Nein. Und nein, Mr. Noble, es gibt keinen Ehevertrag. Wenn eine Partei die Scheidung einleitet, bekommen wir beide gleiche Anteile im Wert von mehreren Millionen.«
Ihr Parfüm – der schwere Blumenduft von schwarzen Orchideen – hing in der geladenen, zwischen ihnen knisternden Luft. Woher kam nur dieser sinnliche Reiz? Und warum war Cain so empfänglich dafür, obwohl er sich noch nie von Frauen angezogen gefühlt hatte?
»Hat Ihr Mann irgendwelche Feinde?« Die Ehe der Astors mochte unüblich sein, aber Privatdetektive hatten gewisse Fragen und Perspektiven, die sie immer erforschten.
»Abgesehen von mir, meinen Sie?«
Camille hob ihren Schleier. Faszinierende Augen, grün wie perfekte Smaragde, waren auf Cain gerichtet und funkelten belustigt. Sein Büro war in jeder Hinsicht düster und es gab wenig Licht, das ihr liebliches Gesicht erhellen könnte. Aber der volle Schmollmund, die rabenschwarzen Haare wie gesponnene Seide und die makellose, elfenbeinblasse Haut leuchteten so klar, als herrschte helles Tageslicht. Alles war echt und direkt vor ihm, lud ihn zu… niederträchtigen Taten ein.
Ihr leises Lachen war ebenso tief wie ihre Stimme. Es hallte in seinem Brustkorb wider. Sie verstand sich auf weibliche List. Cain sehnte sich danach, sich ihr zu unterwerfen.
»Auf dem Weg kann ich Ihnen mehr erzählen«, sagte Camille dann und die Verführung war aus ihrem Ton verschwunden. »Kommen Sie mit mir und untersuchen das Haus auf Hinweise?«
Cain traute der ganzen Sache zwar nicht, aber über die Antwort auf diese Frage musste er trotzdem nicht lange nachdenken. »Gehen Sie voran, Schätzchen.«
»Haben Sie die Polizei gerufen und eine Vermisstenanzeige aufgegeben?«
Sie hatten nicht offiziell über Geld oder Cains Raten gesprochen. Aber so oder so war sie bereits seine Klientin. Camille Astor war ein einziges Rätsel und Cain wollte sie unbedingt lösen. Nein, Moment. Ihn lösen. Den Fall natürlich.
»Nein.« Camille saß auf der Beifahrerseite von Cains Pick-up und wippte auf den schlechten Federn des Ledersitzes auf und ab. Cain wollte sie mit beiden Händen ruhig halten – und dann dazu bringen, sich gemeinsam mit ihm zu bewegen.
»Warum nicht?«, verlangte er zu wissen.
»Was, wenn er nicht… entführt wurde?«, fragte sie und das tiefe Schnurren kitzelte Cains Nervenenden. »Wenn er mich einfach… verlassen hätte, würde ich wie eine Närrin dastehen.«
Cain widerstand dem Verlangen, die Augen zu verdrehen. Welcher Mann, der noch bei klarem Verstand war, würde eine Frau wie sie verlassen? Sie war erhaben, eine Göttin der Sinnlichkeit. Er wollte sie leidenschaftlich.
Logisch gesehen ließen ihre Erklärungen zu wünschen übrig. Sie klangen wie ein Haufen Ausreden. Es war doch immer besser, auf Nummer sicher zu gehen? Wenn sich alles in Wohlgefallen auflöste, konnte sie immer noch zur Polizei gehen und die Anzeige zurückziehen. Erklärungen im Nachhinein waren den Behörden weit schwieriger zu verkaufen. Das Gesetz bot nicht gerade großen Spielraum – obwohl es das manchmal nötig hätte.
Die Seele des Gesetzes hatte Los Angeles vor langer Zeit verlassen. Das System war korrupt, es gab immer einen Cop oder Beamten, der käuflich war, weder Unschuld noch Schuld hatten Einfluss auf die Strafe – nur Geld und Macht – und Verbrecher lauerten in jeder dunklen Ecke und auch unter den meisten Lichtern.
So viel Sünde unter der Sonne. Cains Pick-up brummte auf und ruckte unter ihm, wie um zu bestätigen, was sein Besitzer bereits wusste. Oder vielleicht spürte der alte Schrotthaufen einfach, dass er im Schoße des Luxus, den die glitzernde Fassade von L.A. darstellte, fehl am Platz war.
In den Hollywood Hills, wo die Hitzewellen nicht ganz so unerträglich waren, gab es luxuriöse Villen und Anwesen. Dort sahen die Reichen und Berühmten von oben verächtlich auf das gewöhnliche Volk herab. In vergangenen Zeiten hätten Schlösser und Paläste auf den Hügeln des Alten Kontinents dieselbe Funktion erfüllt. Jetzt waren es Hochsicherheitsvillen und Anlagen hinter Mauern in der Neuen Welt.
Das Astor-Anwesen wurde den Erwartungen gerecht. Das weiße Gebäude, opulent bis hin zum Exzess, hatte drei Stockwerke und zwei Flügel, eine Garage für drei Autos und einen Pool mit angrenzendem Whirlpool, ein Poolhaus und einen frei stehenden Gartenpavillon. Bei dem Anblick verzog Cain das Gesicht. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er Prunksucht zu Gesicht bekam, aber sie gefiel ihm nie und ebenso wenig wollte er sie für sich selbst. Gier war nicht, was ihn antrieb.
Drinnen war es kühl und frisch. Blumenduft hing überall in der Luft. Die Sohlen ihrer Schuhe klackerten auf den makellosen, spiegelnden Marmorböden. Kronleuchter klirrten leise in der leichten, kühlen Brise der Klimaanlage.
Camille führte Cain in den ersten Stock und nach rechts. Der dunkleren, maskulineren Einrichtung nach zu schließen, befanden sie sich in Sheridan Astors Flügel. Das dunkelblaue Schlafzimmer war ein weiterer Hinweis. Nicht, dass Frauen nicht auch dunklere Blauschattierungen mögen könnten. Es schien allerdings wie eine natürliche Schlussfolgerung.
Cain pfiff, als er eintrat. Schmutzwäsche lag verstreut auf dem Boden, Schubladen und Schranktüren waren halb geöffnet und das Bettzeug war zerknittert und durcheinander. Von einem Schmutzfink war das zu erwarten gewesen.
Aber dann waren da andere Details. Zeichen einer Störung. Eine zerbrochene Vase auf dem Boden, daneben ein Fenster mit eingedellten Rollläden, nachlässig verstreute Papierstapel auf dem Tisch und der gesprungene Spiegel im offenen Badezimmer mit Scherben im Waschbecken und auf der Matte davor. Allerdings keine Blutspritzer, nicht ein einziger Tropfen.
Es sah tatsächlich so aus, als hätte jemand etwas gesucht. Hatte er oder sie es gefunden?
»Trinkt Ihr Mann? Ist er aufbrausend?«
Camille stand neben der Tür, die Arme um den Körper geschlungen. »Nein. Er hat ein gemäßigtes Temperament. Er trinkt nicht und raucht nicht.«
Da verdrehte Cain doch die Augen. Wenn Sheridan Astor so tugendhaft war, konnte er nicht in der Stadt der Engel geboren worden sein. Hier hatten alle ein Laster. Manche waren weniger offensichtlich als andere. Dieser Ort hatte es an sich, selbst die glänzendsten Dinge zu beflecken, selbst unschuldige Seelen.
Andererseits war es nicht diese Stadt gewesen, die Cain verdorben hatte. Ja, es war nicht einmal dieses Land gewesen. Jedenfalls nicht direkt. Fremder Boden, aber vertraute heimische Anführer mit kaltherzigen Befehlen.
Also hatte der Zustand des Orts vielleicht doch nichts mit dem Hergang zu tun.
»Welche Laster hat dieser Heilige dann? Und sagen Sie nicht, gar keine.«
Camille stieß einen ungeduldigen Atemzug aus. »Er… spielt. Aber er verliert fast nie.«
Das war eine dreiste Lüge. Letztendlich verloren sie alle. Das Haus gewann immer.
In dieser Hinsicht glichen sich Casinos, Frauen und das Leben. Sie nahmen sich immer ihren Anteil und stellten das Glück eines Mannes auf die Probe. Ganz zu schweigen von seiner Geduld, seiner Ausdauer und seinem Erfindungsgeist.
Nicht, dass Cain besonders viel Wissen oder Erfahrung mit Frauen hatte. Mobster und Casinos waren da schon etwas anderes. Cain und das Leben hatten reiche Erfahrung mit Raufereien in Seitengassen, blauen Flecken und gebrochenen Knochen.
»Könnte er die Statuette beim Spielen verloren haben?« Cain blieb mitten im Raum stehen, um zu sehen, wie Camille reagieren würde.
Sie blinzelte. Der Ausdruck sah nach Unglaube aus. Stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf. »Nein, das würde er nicht tun. Er weiß, was mir Inamorata in Sepia bedeutet. Er würde sie nie als Spieleinsatz verwenden oder verkaufen. Würde sich nie wissentlich oder absichtlich davon trennen.«
»Aber er ist der rechtmäßige Eigentümer, oder?«
Camille biss die Zähne zusammen und wandte den Blick ab, bevor sie mit finsterem Gesicht nickte. »Ja. Aber ich sage Ihnen, er würde das nicht tun. Nicht mit mir.«
Cain beschloss, ihr diesen Vertrauensbonus zu gestatten. Sie wirkte besonders abwehrend, was das Kunstwerk betraf. Das bedeutete nicht, dass sie es am besten wusste, nur dass es nicht gerade klug war, sie zu verärgern. Also fuhr er fort.
»Das ist ein ziemlich großes Haus. Ich nehme an, Sie haben alles durchsuchen lassen, um sicher zu sein, dass er sich nicht in irgendeinem dunklen Winkel versteckt oder verletzt oder bewusstlos dort liegt, ohne sich bemerkbar machen zu können?«
Camille neigte anmutig den Kopf – allein der Vorschlag schien sie zu schockieren. Hatte sie wirklich nicht daran gedacht? Das erschien unwahrscheinlich. »Ich… ich bin sicher, wir – also, ich hätte etwas gemerkt.« Dann sah sie besorgt über die Schulter.
Also stand eine gründliche Suche an, schloss Cain. »Haben Sie Bedienstete hier?«
»Ja, haben wir. Einen Chauffeur, eine Köchin und ein Dienstmädchen. Aber am Abend von Sheridans Verschwinden hatten alle frei. Nur Dirk Renner war hier, er hat mich zum Club und später nach Hause gefahren und ist während meines Auftritts in der Bar im Club geblieben. Er ist unser Chauffeur.«
Cain speicherte diese Information in den dunklen Tiefen seines Gedächtnisses. Die Wärme in Camilles Ton war unverkennbar. Mehr als Arbeitgeberin und Arbeitnehmer also, vielleicht sogar mehr als flüchtige Bekannte. Noch eine offene Frage.
»Und die anderen Angestellten?«
»Bianca Banks, die Köchin, und Mirabel Martinez, das Dienstmädchen. Bianca ist schon seit Ewigkeiten bei uns und wird langsam alt. Mirabel ist jung, eine Immigrantin aus Kuba, verstehen Sie, und sie hat andere Ambitionen. Das hier ist nicht ihre Endhaltestelle. Sie hat ein Auge für Schmuckdesign und entwirft in ihrer Freizeit selbst welchen. Keine teuren Teile, aber sie bedeuten ihr viel.«
Cain war sehr beeindruckt. Die meisten reichen Leute konnten ihre Angestellten nicht einmal beim Namen nennen, wenn ihr Leben davon abhinge. Aber Camille schien Interesse an ihrem Personal zu zeigen. Vielleicht war sie doch keine schwachköpfige Trophäenfrau.
Hatte Sheridan sie auf ein Podest gehoben? Cain konnte verstehen, warum es einen Mann danach verlangen würde, dieses göttliche Wesen anzubeten. Sie hatte etwas Mystisches an sich, das er nicht erklären konnte und das ihm unter die Haut ging. Und unter die Gürtellinie.
»Dann wird es höchste Zeit, das Haus und das Grundstück gründlich zu durchsuchen.«
Cain musste sich wieder sammeln. Seine abgelenkten Gedanken verliehen dem Wort Wanderlust eine ganz neue Bedeutung. Camilles Schönheit zu erkunden, würde jeden Mann zu einem glücklichen Entdecker machen.
»Ich würde gerne helfen.« Camilles Angebot kam überraschend, als Cain an ihr vorbei zur Tür ging. Er hatte nicht erwartet, dass sie ihm auf den Fersen folgte. Eher, dass sie sich mit einem Glas Wein in der Hand in die Lounge oder ins Esszimmer zurückzog und wartete, wie es träge Damen der Muße nun mal taten, während andere arbeiteten.
Cain willigte mit einem knappen Nicken ein. »Klar. Aber wir bleiben zusammen.«
»Vertrauen Sie mir nicht?«
»Ich vertraue niemandem.«
»Das ist weise, wenn auch etwas traurig.«
Danach sagte Camille nichts mehr und Cain war nicht geneigt, sich mehr anzuhören. Also machten sie sich an die Arbeit.
Das Anwesen und das Grundstück waren ausgedehnt und mussten mindestens zehn Millionen gekostet haben. Sowohl die äußere als auch die Innenarchitektur sahen nach Spezialanfertigung aus. Das Haus hatte vier Schlafzimmer, sechs Badezimmer, zwei Terrassen und eine Veranda, einen Whirlpool und Pool, ein frei stehendes Poolhaus und Gästehaus und einen beinahe viertausend Quadratmeter großen Garten mit einem tadellosen Rasen und gut gepflegten Blumenbeeten. Ja, das alles musste ein verdammtes Vermögen gekostet haben. Vielleicht war Astor ein ältester Sohn, der eine Menge Zaster geerbt hatte, oder ein alter Raubritter, der wusste, an wem er sich eine goldene Nase verdienen konnte.
Nachdem er geräumige Zimmer mit Glaswänden, einen unterirdischen Weinkeller, riesige begehbare Kleiderschränke, den labyrinthischen Versorgungstunnel unter dem Anwesen und jeden Busch im Garten durchstöbert hatte, war Cain mehr oder weniger sicher, dass Sheridan Astor sich nicht auf dem Anwesen versteckte, ob nun absichtlich oder nicht.
Camille kehrte in die Lounge zurück, nachdem sie sich im ebenerdigen Badezimmer frisch gemacht hatte. »Ich muss schon zugeben, Mr. Noble, ich bin sehr erleichtert, meinen Mann nicht hier gefunden zu haben. Der Gedanke, dass er verletzt oder tot irgendwo hier wäre, war schrecklich beunruhigend.«
Ihre fast britische Redensart zusammen mit dieser rauchigen Stimme ließ Cain gleichzeitig schaudern und schwitzen. Und doch war ihr Akzent nicht ganz englisch. Vielleicht stammte sie aus der Wiege des Jazz?
»Sie haben mir vorhin keine richtige Antwort gegeben. Hatte Ihr Mann Feinde?«
Camille seufzte und ordnete mit einigen vorsichtigen Bewegungen ihre Frisur. »Ehrlich gesagt, Mr. Noble, habe ich keine Ahnung. Ich arbeite zwar in seinem Lokal, aber ich weiß nichts Genaues über seine Geschäfte. Ich weiß nur, dass der Club finanziell stabil ist und wir keine Schulden haben.«
»Wenn der Club so erfolgreich ist, hat irgendjemand Interesse daran gezeigt, ihn zu kaufen?«
Camille neigte scheinbar verwirrt den Kopf. »Wenn ja, hat Sheridan es nie für nötig befunden, diese Information mit mir zu teilen.«
Cain drehte sich zu dem hohen Fenster um und starrte auf den opulenten grünen Garten hinaus. Warum wirkte Camille Astors Verhalten gelegentlich so… widersprüchlich? Zuerst war sie subtil verführerisch gewesen, dann besorgt, abwehrend und jetzt verwirrt. Und doch spürte er unter der kühlen Fassade einen scharfen Verstand. Da war vieles, das sie für sich behielt, schloss Cain, hauptsächlich auf seinem Bauchgefühl basierend.
»Sheridan hat einen Geschäftspartner im Club, William Woolrich. Er ist an den meisten Abenden vor Ort und arbeitet in seinem Büro. Ich sehe ihn manchmal, sogar von der Bühne aus. Sein Bürofenster im zweiten Stock blickt auf den Hauptbereich des Clubs hinaus.«
»Sind die beiden befreundet?«
Camille zuckte mit desinteressierter Miene die Schultern. »Ich habe sie abseits des Clubs noch nie zusammen gesehen, falls es das ist, was Sie meinen. Ich glaube nicht, dass sie neben der Arbeit Zeit miteinander verbringen.«
Cain musste einfach fragen, also platzte er heraus: »Könnte Ihr Mann eine Geliebte haben?«
Als Camille herumwirbelte und den Blick abwandte, wusste Cain sofort, dass er auf der richtigen Spur war. Sheridan, du Hund.
»Wer ist es?«, drängte Cain nicht gerade behutsam.
Camille stand vor dem Fenster: eine Silhouette im Gegenlicht, hinreißend mit ihren Kurven und ihrer Anmut. Sie glich selbst einer feinen Statuette. Schließlich murmelte sie: »Ich… ich kenne ihren Namen nicht. Aber ich weiß, dass es da… jemanden gab. Vielleicht weibliche Intuition.« Sie drehte sich halb zu ihm und zeigte ihm ein perfektes Profil. »Ich glaube, sie ist aus dem Club.«
Cain musste weit mehr über diesen Club Iris herausfinden, als er bisher nach einer flüchtigen Google-Suche und dem vagen Wissen um seine Existenz hatte. Wenn dort allerdings schöne Frauen wie Camille beschäftigt waren, lag sie mit ihrer Vermutung vielleicht nicht falsch. Die meisten Männer waren geile Böcke, vor allem in Gegenwart schöner Frauen.
»Ich nehme den Fall.« Praktisch hatte Cain das schon getan, allerdings ohne es mit Worten zu bestätigen. »Ich werde etwas Startkapital brauchen.«
Sie seufzte wieder, als würde er sie bereits langweilen, und wandte sich ab. »Ja, natürlich. Ich schicke Ihnen bis morgen Früh einen Bankscheck. Einen guten Abend, Mr. Noble.«
Scheinbar war das Treffen vorbei. Die Königin der Nacht hatte ihren zwielichtigen Diener entlassen. Mit verborgenem Hohn ging Cain hinaus.
Während er aus den Hills zurückfuhr, ging Cain in Gedanken durch, was er bisher hatte: nicht gerade viel.
Erstens, es gab nicht nur einen vermissten Gatten, sondern auch eine vermisste Statuette. Natürlich musste beides nicht unbedingt zusammenhängen.
Zweitens, Sheridan und Camille hatten… eine unkonventionelle Ehe? Sie hatte etwas Ausgefallenes angedeutet, vielleicht sexuelle Fetische oder Dom-/Sub-Spielchen? Aber das hier war Los Angeles. Alle trieben irgendetwas Seltsames im Bett; kurios war zur neuen Normalität geworden.
Drittens, es gab keine direkten Beweise für Camilles Behauptung, dass Sheridan für Lösegeld entführt worden war. Die Astors und der Club schienen finanziell auf festem Boden zu stehen, aber Cain hatte noch nicht alle Fakten. Und bisher war zwar keine Lösegeldforderung gekommen, aber das konnte ja noch passieren. Aber wenn ja, warum der Aufschub? Je mehr Zeit verstrich und je unsicherer alles wurde, desto wahrscheinlicher könnten die Behörden einschreiten.
Viertens, Sheridan hatte offenbar einen stillen Geschäftspartner, Woolrich, dessen wahre Beziehung zu Sheridan ein großes Fragezeichen darstellte. Obwohl sie vielleicht nichts mit seinem Verschwinden zu tun hatte. So oder so musste Cain mehr über Sheridans Geschäfte und Kontakte herausfinden.
Fünftens, der Mann hatte vielleicht eine ehebrecherische Affäre mit einer unbekannten Geliebten. Waren die Turteltäubchen durchgebrannt? Bestimmt nicht ohne einen beträchtlichen Notgroschen… in Form der Statue? Natürlich musste eine Summe in einem Versicherungsdokument nicht unbedingt den wahren Geldwert darstellen, den ein Gegenstand zum Beispiel für private Sammler hatte.
Was zu Option sechs führte. Konnte es sich dabei um einen aufwendigen Versicherungsbetrug handeln?
Cain brummte, wurde mit jeder Minute mürrischer. Sein Blutzucker musste niedrig sein. Er angelte ein Bonbon aus seiner Tasche, wickelte es vorsichtig und mit einer Hand auf dem Lenkrad aus und steckte sich die Leckerei in den Mund. Als der Zucker seinen Blutkreislauf erreichte, hellte seine mürrische Stimmung sich auf und seine Kopfschmerzen verringerten sich zu einem dumpfen Pochen.
Vorerst hatte er nur einige unbestätigte Informationsfetzen. Bisher war noch nichts belegt. Aber er wusste genau, wen er auf die Spur ansetzte, ob nun heiß oder kalt.
Er drückte die Ziffer Zwei auf seinem Handy und eine Kurzwahlnummer wurde gewählt. Es piepte nur zweimal, bevor eine muntere Frauenstimme erklang: »Was willst du?«
Cain lächelte schief. »Hab ein paar Fakten, die du checken kannst, Tess.«
Sie schnaubte. »Also hat sie dich angeheuert?«
»Gab es daran irgendwelche Zweifel? Hier sind die Infos.« Cain berichtete davon, was er erfahren hatte, und trug ihr auf herauszufinden, wer die Darsteller in diesem Hollywood-Drama waren. »Ich sehe mir jetzt diesen Club Iris an.«
»Klar, Boss.« Tess' Gelnägel klackerten rapide auf der Tastatur herum, Cain hörte das Geräusch sogar durch die Leitung. »Ich kann dir schon ein paar Dinge berichten.«
»Schieß los.«
»Diese Astor tritt im Club unter dem Künstlernamen Glam Vamp auf. Es ist ein Burlesque-Club mit Burlesque-Shows und die Kunden sind so wohlhabend und lasterhaft, wie zu erwarten ist. Camille Astor singt und tanzt, aber sie ist nicht der Hauptakt.«
Cain hob überrascht eine Braue und pfiff. »Wer ist es dann?«
»Eine Frau mit dem Künstlernamen Dark Lily. Anscheinend ist sie der Star der Show und hat unter Burlesque-Fans eine treue Anhängerschaft.«
Wenn Cain den Santa Monica Boulevard und den Club erreichte, würde gerade die Dunkelheit hereinbrechen, also hatte er vielleicht Gelegenheit, das Lokal und die Hauptdarstellerin in diesem Stück, das hoffentlich weder Thriller noch Tragödie wurde, unter die Lupe zu nehmen.
Wie auch immer, es war merkwürdig, dass Camille als Frau des Clubbesitzers nicht der Star der Show war. Konnte die beliebtere, talentiertere Frau Sheridans Aufmerksamkeit erregt haben, woraufhin die zwei eine Beziehung begonnen hatten? Camille glaubte, dass es eine andere Frau gab. Vielleicht war diese andere Frau ja Dark Lily.
»Treten die zwei Damen heute auf?«
»Ja, Glam Vamp in ungefähr einer Stunde um zehn und Dark Lily um Mitternacht.«
Genug Zeit, um sich beide anzusehen, dachte Cain, während er in Richtung Club fuhr – wenn schon nicht als Frauen, dann als Darstellerinnen, um ihren Reiz einzuschätzen. Vielleicht würde eine von beiden etwas verraten…
***
Das Blau des Neonschilds über dem Art-déco-Clubeingang erinnerte Cain nicht sofort an das Blau der Iris. Er wusste gar nicht, welche Farbe diese Blumen normalerweise hatten. Er war kein Botaniker oder Florist. Weder seine Karriere noch sein Leben hatten auch nur einmal davon abgehangen, wie viel er über Blumen wusste.
Wer war Iris? Gab es überhaupt eine Iris? Das leuchtende und summende blaue Neonschild verriet seine Geheimnisse nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick. Es gab zwar zwei Blumen, die den Namen einrahmten, aber weit an den Rändern, als sollten sie getrennt von der Farbe und der möglichen Anspielung auf eine geheimnisvolle Frau bleiben.
Eine lange Schlange zog sich über den Gehweg, Leute standen in kleinen Gruppen zusammen und redeten aufgeregt und lebhaft gestikulierend. Das waren definitiv Fans. Ihre Kleider, Schminke und Frisuren waren im Burlesque-Stil gehalten und wurden dabei zu eigenen Modestatements. War ja nichts dabei, sich für einen Abend in der Stadt aufzutakeln, fand Cain schulterzuckend.
Der Türsteher war ein kräftiger dunkelhäutiger Mann mit rasiertem Kopf und einem Anzug, der ihm nicht passte. Cain konnte deutlich die Beule einer Pistolentasche an seiner Seite sehen. Er hatte direkt in der winzigen, engen Seitengasse geparkt, war aber trotzdem einige Minuten zu spät für Glam Vamps Show, weil er noch hatte tanken müssen. Er wog seine Optionen ab: in der Schlange warten, sich durch Bestechung einkaufen oder reinschleichen. Der Glamour des Clubs deutete auf Geld und hohe Sicherheit hin, also konnte er die dritte Option streichen.
Der schwarze Mann sah Cain da stehen und winkte ihn näher. Cain näherte sich vorsichtig. Der Blick des Türstehers wanderte über Cains langen, abgenutzten Mantel und seine zerknitterten Kleider hinweg und er zog amüsiert eine Augenbraue hoch.
»Noble?«, fragte er plötzlich mit schroffer Stimme. Cain nickte langsam. Der Mann zeigte seine perlweißen Zähne. »Was geht? Ich bin Honoré.« Cain wartete auf mehr. Das schrie geradezu nach Tess. Der große Kerl bestätigte seine Vermutung schnell. »Tess hat gesagt, du würdest vorbeikommen.«
»Ah.« Während er Honorés New-Orleans-Akzent bewunderte, der geschmeidig war wie Sirup, fischte Cain ein paar Scheine heraus, um sich auf die übliche Art bei ihm zu bedanken.
Honoré lachte ein wenig und schob Cains Hand weg. »Ach nee, lass ma, Chef. Tess und ich, wir sind uns schon einig geworden.«
Cain nahm an, dass ihre Einigung überhaupt nichts mit Sex zu tun hatte. Tess hatte die unheimliche Fähigkeit, die wahren Wünsche anderer abseits von Sex herauszubekommen. Wie die beherzte Frau in diesem alten Film, Sein Mädchen für besondere Fälle. »Danke.« Er spähte an Honorés Schulter vorbei zu den Doppeltüren aus Glas. »Hat Glam Vamps Show schon angefangen?«
»Ja, gerade eben. Bist du Fan?«
Cain schauderte. Der sinnliche Anblick von Camille, wie sie mit diesen herrlichen Beinen in den schwarzen Seidenstrümpfen in sein Büro gekommen war, hatte sein Blut zum Kochen gebracht. »Hab sie noch nie auftreten gesehen.«
Honoré kicherte. »Dann kannst du dich auf was gefasst machen. Scharf wie das Jambalaya meiner Ma.«
Die Einschätzung war vermutlich zutreffend. »Und Dark Lily?«
»Ihre Show ist erst um Mitternacht.« Honoré zwinkerte ihm keck zu. »Charmeur.«
Sein starker Akzent verriet Cain, dass er behaglich, entspannt und in seinem Element war. Es gefiel Cain, wie das Wort Charmeur von seiner Zunge rollte wie eine Saxofon-Melodie. Und der Cajun-Mann flirtete definitiv mit ihm, woraufhin Cain zurückgrinste, dankend nickte und an ihm vorbei in den Club ging.