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Ein Spinner, ein Familiengeheimnis und ein uraltes Schauermärchen … Ein Fall für Herbie und Julius Es ist Sommer in der Eifel, die Zeit der Straßenbaustellen und Umleitungen. Hätte Herbie nicht den Versuch unternommen, einen Schleichweg zu benutzen, wäre ihm nicht dieses Tier vors Auto gelaufen. Die Schadenfreude bei seinem allgegenwärtigen Begleiter Julius ist groß. Das Rind gehört dem Marshal, einem Bauern, der seinen Hof zur waschechten Ranch umfunktioniert hat und Herbie dazu verdonnert, den Schaden abzuarbeiten. Herbie verstrickt sich dabei unmerklich in ein Netz von Verpflichtungen und gerät zudem in eine alte Fehde, die mindestens einer der Beteiligten gerne nach echter Wildwestmanier beenden würde. Mitten hinein in das bedrohliche Szenario platzt die Nachricht vom Verschwinden eines jungen Rucksacktouristen, der an der Grundstücksgrenze des Marshals campiert hat. Ist er womöglich ebenfalls zwischen die Fronten geraten? Oder hat ihn der Ginstermann geholt, eine finstere Eifeler Sagengestalt, die in Gewitternächten ihr Unwesen treiben soll?
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Seitenzahl: 255
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Die »Herbie Feldmann«-Krimis:
Spinner
Rabenschwarz
Der neunte Tod
Malerische Morde
Hart an der Grenze
Totentänzer
Abendlied
Aus finsterem Himmel
Außerdem gehören Herbie und Julius zu den Hauptdarstellern des Gemeinschafts-Romans Acht Leichen zum Dessert, der von den acht Autoren des Krimi-Camps verfasst wurde.
Darüber hinaus vom Autor bei KBV erschienen:
Tief unterm Laub
Still und starr
… denn sterben muss David!
Kurz vor Schluss (Kriminalgeschichten)
Ein Viertelpfund Mord (Kriminalgeschichten)
Ein kaltes Haus
Nacht zusammen (Kriminalgeschichten)
Stimmen im Wald
Voll ins Schwarze (Kriminalgeschichten)
Starker Abgang (Kriminalgeschichten)
Mord und Totlach (Kriminalgeschichten)
Totholz
Schuss mit lustig (Kriminalgeschichten)
Ihr Mord, Mylord (Kriminalgeschichten)
So tot wie nie (Kriminalgeschichten)
Ralf Kramp, geb. 1963 in Euskirchen, lebt in einem alten Bauernhaus in der Eifel. Für sein Debüt Tief unterm Laub erhielt er 1996 den Förderpreis des Eifel-Literatur-Festivals. Seither erschienen mehrere Kriminalromane und zahlreiche Kurzgeschichten. In Hillesheim in der Eifel unterhält er zusammen mit seiner Frau Monika das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-Archiv« (30.000 Bände), dem »Café Sherlock«, einem Krimi-Antiquariat und der »Buchhandlung Lesezeichen«. www.ralfkramp.de · www.kriminalhaus.de
Ralf Kramp
Ein Herbie-Feldmann-Krimi
Originalausgabe© 2018 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheimwww.kbv-verlag.deE-Mail: [email protected]: 0 65 93 - 998 96-0Fax: 0 65 93 - 998 96-20Umschlaggestaltung: Ralf Krampunter Verwendung von: © wael - Fotolia.comLektorat: Volker Maria Neumann, KölnDruck: CPI books, Ebner & Spiegel GmbH, UlmPrinted in GermanyPrint-ISBN 978-3-95441-417-8E-Book-ISBN 978-3-95441-426-0
»The sun is sinking in the westThe cattle go down to the streamThe redwing settles in the nestIt’s time for a cowboy to dream
Purple light in the canyonsThat’s where I long to beWith my three good companionsJust my rifle, pony and me«
aus: My Rifle, my Pony and Me
(Musik: Dimitri Tiomkin,Text: Paul Francis Webster / Gesang: Dean Martin)
Für meine Monika – find ich.
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
Epilog
Dankeschön
Gegen Ende des Abends waren die Blicke der Leute an der Bierbude immer häufiger zu ihm herübergewandert. Es musste mehr als eine halbe Flasche Korn sein, die er mittlerweile intus hatte. Und etliche Biere. Er hatte aufgehört zu zählen. Zwischendurch war er zum Toilettenwagen gegangen und hatte sich erleichtert. Man hatte seine würgenden Geräusche wahrscheinlich bis nach draußen hören können.
Die Live-Band hatte ihre Instrumente eingepackt und war von einem DJ abgelöst worden. Getanzt wurde jetzt nicht mehr. Die ersten Frauen zogen ihre Jacken über, weil es langsam frisch wurde. Das alles tat der Stimmung aber keinen Abbruch.
Einer der Männer hatte sich irgendwann zu ihm gesetzt und versucht, etwas aus ihm herauszubekommen. »Na, machst du Urlaub hier?« Ein kleiner, nervöser Typ mit stoppeligen Haaren und etlichen Pflastern am Kinn, der immer wieder mit spitzen Lippen an seiner Cola nippte.
Er hatte ihn nur kurz angesehen und statt einer Antwort sein Bierglas geleert.
»Oder bist du auf Montage? Sprichst du deutsch? Deutsch? Kannst du mich verstehen?«
Er wollte sich nicht unterhalten.
»Lass den doch«, rief eine dicke Frau von der Theke her. »Der will sich die Kante geben. Siehst du doch. Wird schon seine Gründe haben.«
Oh ja, er hatte seine Gründe. Er trug sie mit sich herum. Mit jedem Schritt. Sie saßen ihm tagtäglich im Genick und beugten seine Gestalt, schlimmer und unbarmherziger, als das der schwere Rucksack tat, mit dem er jetzt schon seit fast einem ganzen Monat unterwegs war. Es kam oft vor, dass er nachts wach wurde und glaubte, zu Hause zu sein, in seinem Bett. Aber es war meistens doch nur eine Koje in irgendeinem Unterschlupf, ein Wartehäuschen an der Bushaltestelle, ein Schuppen, ein Vordach, irgendetwas, wo er mit seinem Schlafsack einigermaßen trocken lag. Nein, nach Hause würde er noch nicht so schnell zurückkehren. Dazu war er noch nicht bereit.
Die Konturen um ihn herum wurden immer unschärfer. Der Lärm des Dorffests schallte blechern in seinen Ohren. Gegen elf Uhr fischte er umständlich das Portemonnaie aus seiner Hosentasche und versuchte, Geld herauszuholen, um sich noch ein paar Biermarken zu kaufen. Aber er stellte sich so ungeschickt an, dass die Scheine zu Boden flatterten und ein paar Münzen prasselnd über die Pflastersteine kullerten.
Zwei Männer halfen ihm, das Geld aufzusammeln, und ein anderer half ihm, das Portemonnaie wieder zu verstauen.
Das hatte er schon anders erlebt.
Er wollte jetzt doch kein Bier mehr. Zeit, dass er ging.
»Sollen wir dich irgendwo hinbringen?«, fragte der Nervöse, der schon vorhin versucht hatte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. »Oder ein Taxi rufen? Sieht nach einem Gewitter aus. Die sind hier im Sommer ziemlich heftig.« Das Männlein trat von einem Fuß auf den anderen.
»Geht schon«, presste er hervor. Es waren die ersten Worte, die er seit der Bestellung vorhin von sich gab. »Geht schon.«
Die Leute musterten ihn. Er erkannte verschwommen ihre skeptischen Blicke. Wahrscheinlich versuchten sie zu ergründen, was für einer er war. Kein Berber, kein Hausierer jedenfalls. In ihren Augen hatte er wohl ausreichend Geld und halbwegs saubere Kleidung. Zum Abschied winkte er schwach mit der rechten Hand. Dann verließ er den kleinen Platz. Der Wind zerrte augenblicklich an seinem langen Regenmantel.
»He, warte mal! Warte, warte, warte!«, rief einer hinter ihm her und reichte ihm den Hut, den er auf der Holzbank liegen gelassen hatte. Der Nervöse, klar.
»Danke«, sagte er knapp und stülpte ihn sich auf den Kopf.
Er hätte es wahrscheinlich erst nach den ersten Regentropfen gemerkt. Die Luft roch schon danach. Das Dorffest würde ein jähes Ende nehmen, wenn das angekündigte Gewitter erst mal losbrach.
Mit schlingernden Schritten folgte er dem leicht ansteigenden Gehweg in Richtung Dorfausgang. In der Ferne zuckte bereits das Wetterleuchten durch den Himmel.
Die Richtung, in die er gehen musste, hatte er sich gut eingeprägt. Er merkte sich immer besondere Gebäude, Straßenecken, große Bäume. Das hatte er in den letzten Wochen gelernt. Er war fremd hier, aber er musste sich zurechtfinden. Wenn er irgendwen nach dem Weg fragte, hielten die Leute das manchmal für eine Einladung zu einem kleinen Plausch. Darauf hatte er keine Lust. Er mochte seine eigene Stimme nicht mehr hören. Und sie war nicht das Einzige, was er an sich nicht mehr mochte. Er wäre gerne jemand anderes.
Als er den Waldrand erreichte, hörte er das erste Donnern. Es war noch leise, und der Abstand zum nächsten Grollen war lang, aber bei dem starken Wind würde das Gewitter schneller bei ihm sein, als ihm das lieb sein konnte.
Die Hütte, in der er am Nachmittag seine Sachen deponiert hatte, schien trocken zu sein. Ein gemauertes, kleines Steinhaus an einer Wegkreuzung. Es gab keine richtigen Fenster, nur leere Öffnungen, aber das Dach schien dicht zu sein. Das war das Wichtigste.
Wenn es morgen regnete, so wie er es am Mittag in seinem kleinen Transistorradio gehört hatte, würde er vielleicht einen Tag länger bleiben. Einfach ein bisschen im Halbdunkel liegen und den Regentropfen lauschen. Er hatte keinen Zeitplan, und er hatte kein Ziel.
Der asphaltierte Teil des Wegs endete und mit ihm die Reihe der Straßenlaternen. Linker Hand lag ein großes Feld, dessen Ende er nicht erkennen konnte, und rechts fiel das Gelände zu einem kleinen Bachlauf hin ab. Nur das gelbe Leuchten des Ginsters, der hier dicht wucherte, wehrte sich standhaft gegen die Dunkelheit. Von hier an knirschte bei jedem Schritt der trockene Schotter unter seinen Schuhen. Es waren nur noch ein paar Meter bis zum Waldrand. Als er ihn erreicht hatte, umzingelte ihn eine lauernde Schwärze mit nicht wahrnehmbaren Bewegungen, und er gab sich große Mühe, nicht vom Weg abzukommen. Hin und wieder tastete er unsicher mit dem Fuß voraus. Zwei breite Spuren waren ausgefahren, in der Mitte verlief eine bucklige Grasnarbe. Ein paarmal strauchelte er, aber er stürzte nicht.
Die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden kürzer. Wie hatte er das als Kind immer ausgerechnet? Man musste die Sekunden teilen. Durch drei? Wie war das gewesen damals?
Er zählte. Eins, zwei, drei, vier … Es ging überraschend schnell. Bei acht donnerte es gewaltig.
Hier kam kein Wind hin, die Luft war immer noch schwül, Insekten umschwirrten ihn. Grelles Licht zerriss die Schwärze über seinem Kopf. Die Spitzen der Nadelbäume beugten sich unter der Kraft des Windes, als der Blitz für eine Sekunde einen scharfen Schattenriss der Wipfel an den Himmel zeichnete.
Er hielt inne und atmete schwer. Mit einem Mal wurde ihm seine Einsamkeit bewusst. Diese Einsamkeit, die er seit Wochen und Monaten suchte – hier war sie. Aber anstatt ihm Trost zu spenden, schmerzte sie. Er wünschte, er hätte sie doch nicht kennengelernt.
Warum war er hier? Hier, im Nichts? Weit weg von allem, was er liebte?
Schutzlos stand er da, leicht schwankend, während hoch über ihm ein Unwetter all seine Kräfte sammelte, um loszuschlagen.
Der nächste Blitz kam im selben Augenblick wie der Donner. Das Gewitter war jetzt direkt über dem Wald.
Er wollte mit einem Mal nach Hause. Nur noch nach Hause. Es war vorbei. Sein Trip war jetzt zu Ende!
Morgen früh würde er sich auf den Weg machen.
Eine erneute Entladung zerriss Finsternis und Stille. Und noch eine. Und eine dritte. Die Blitze erlaubten dem Himmel nicht mehr, sich zu verfinstern. Sie gingen ineinander über und sprangen kreuz und quer duch die Nacht.
Und dann sah er mit einem Mal eine Gestalt vor sich. Mitten auf dem Weg stand sie, breitbeinig, mit geducktem Kopf.
Zuerst glaubte er, sich getäuscht zu haben. War es doch ein Ast? Hatte der Sturm einen Baum umgerissen?
Der nächste Blitz zeichnete das Bild deutlicher.
Er sah die alte Hütte weiter hinten, er sah die Wegkreuzung mit dem großen, hellen Stein. Das zuckende Licht zeigte ihm einen bizarren Schwarz-Weiß-Film. Dort stand jemand auf dem Weg. Finster, ohne Gesicht, bedrohlich. Seine Arme bewegten sich langsam. Was war das Ding, das er in den Händen hielt?
Er setzte an, um den Fremden anzusprechen, aber seine Zunge klebte schwer am Gaumen. Der Moment kam ihm wie eine Ewigkeit vor, und doch waren es wahrscheinlich nur wenige Sekunden, die alles dauerte.
Dann brandete ein weiterer mächtiger Donner durch das Labyrinth der Baumstämme ringsum. Dieses Mal ohne von einem Blitz angekündigt worden zu sein. Plötzlich kam Wind auf und ließ seine Mantelschöße flattern.
Und im nächsten Moment fühlte er, dass etwas seinen Körper zerriss.
Die Vollsperrung der B 51, einer der wichtigsten Verkehrsadern durch die Eifel, konnte man nur mit außergewöhnlicher Skrupellosigkeit begründen. Dass dazu in der näheren Umgegend ein halbes Dutzend weiterer Straßenbaustellen für ein Verkehrschaos biblischen Ausmaßes sorgten, ließ ein groß angelegtes soziologisches Experiment in den planenden Behörden vermuten. Oder ein tiefschürfendes Alkoholproblem. Dieser Sommer war der Sommer der Umleitungen.
An der Tankstelle am Ortsrand von Blankenheim strandeten in Scharen entwurzelte Verkehrsteilnehmer, orientierungslose Urlauber und natürlich Menschen, denen schlicht und ergreifend der Treibstoff ausgegangen war.
Mindestens ein Mensch war darunter, der entwurzelt, orientierungslos und ohne Sprit war: Herbie Feldmann hatte häufig das Gefühl, alles hätte sich gegen ihn verschworen, aber heute war es noch schlimmer als sonst.
Gluckernd schwappte das Benzin im Kanister in seiner Rechten. Für mehr als achteinhalb Liter hatte er nicht genug Geld gehabt. Allein der Kanister hatte schon zehn Euro gekostet. Seit die Tankanzeige des Volvo kaputt war, barg jede Fahrt durch die Eifel ein unkalkulierbares Risiko. Eigentlich war es zu erwarten gewesen, dass der Sprit für die Strecke nicht mehr reichen würde. Der Wagen hatte noch ein bisschen gebuckelt, dann wie ein angeschossenes Karnickel noch ein paar Sätze vorwärts gemacht – und schließlich keinen Mucks mehr von sich gegeben. Herbies Rechnung war wieder einmal nicht aufgegangen. Am Geldautomaten war absolut nichts mehr zu holen gewesen. Sein Konto war ebenso leer wie der Tank. In seinem Portemonnaie hatten noch zwanzig Euro gesteckt.
Wie oft hast du den jetzt eigentlich schon trockengefahren?
Herbie warf dem großen, dicken, bärtigen Mann an seiner Seite einen gequälten Blick zu.
Und wie oft hast du danach den Reservekanister am Straßenrand stehen lassen? Das Grinsen seines Begleiters Julius spiegelte eine tiefe, innere Zufriedenheit wieder, die sich hauptsächlich dann einstellte, wenn Herbie wieder von einer Katastrophe ohne Umweg in die nächste geriet.
»Na ja, jetzt schaffen wir es wenigstens bis Münstereifel«, knurrte Herbie und trat aus dem Tankstellengebäude in die Morgensonne hinaus. »Wenn Tante Hettie nicht bis elf Uhr ihre Schnittchen hat, wird sie mir die Zehennägel ausreißen lassen.«
Bei den gegenwärtig milden Temperaturen würde es mich nicht wundern, wenn die Schnittchen sich inzwischen auf eigene Faust in Richtung Münstereifel davongemacht haben.
»Blödsinn. Die sind in einer Styroporbox. Das hält eine Weile.« Er sah Julius zerknirscht an. »Mit achteinhalb Litern komme ich doch bis zu Tante Hettie, oder?«
Julius schürzte die Lippen. Riskant, riskant. Zu dumm, dass der Zottel aus Zingsheim im Urlaub ist. Sonst hättest du einen kleinen Schlenker fahren und dir von ihm ein paar Liter leihen können.
»Selbst wenn er zu Hause wäre, käme das nicht infrage!« Herbie war der Meinung, dass man das Benzin von Köbes keinem Fahrzeug zumuten durfte. Der Autoschrauber zapfte es aus den rostigen Tanks der Autos ab, deren letzter Weg in die Schrottpresse unmittelbar bevorstand. »Den Sprit von Köbes in ein Auto zu tanken, wäre so, als würde man einen Säugling Putzwasser nuckeln lassen.«
Und was wäre dagegen zu sagen?
»Hallo, Entschuldigung!«
Als Herbie sich umwandte, blickte ihn ein schlaksiger, junger Mann mit dichter, schwarzer Lockenmähne an. Herbie wurde von der Sonne geblendet und kniff ein Auge zu. An der Seite des Mannes trank ein zierliches Mädchen mit einem bunten Kopftuch aus einer altmodischen Feldflasche. Beide trugen gewaltige Rucksäcke und rochen nach Sonnenmilch. »Können Sie uns wohl ein Stückchen mitnehmen?«
Nun, du könntest zumindest einen Huckepack nehmen. Julius prustete ungehemmt, und Herbie hob mit einem entschuldigenden Lächeln den Kanister hoch. »Ich hab selbst noch einen kleinen Fußweg vor mir.«
Und am Ziel gibt es Schnittchen! Frisch im Auto aufgebacken.
Herbie warf seinem Begleiter einen grimmigen Blick zu und murmelte: »Ach, Quatsch! Sie werden in der Kühlbox schon nicht …« Er brach abrupt ab, als er registrierte, dass das junge Paar ihn irritiert ansah. Dort, wo er hingeblickt hatte, war niemand zu sehen.
»Oh, na gut, okay. Dann mal gute Reise«, sagte das Mädchen unsicher und zupfte ihren Freund am Ärmel. Ein Wagen fuhr an der Zapfsäule vor, und die beiden schickten sich an, die Fahrerin um eine Mitfahrgelegenheit zu bitten.
Herbie machte sich auf den Weg. Sein Wagen stand am Straßenrand in der Einmündung eines Feldwegs auf der anderen Seite von Blankenheim. Über die schmale Straße rollte dank der Sperrung das Zehnfache des sonst üblichen Verkehrs dahin.
Das alles wäre gar nicht passiert, wenn Tante Hettie sich nicht mit ihrem von Jahr zu Jahr eskalierenden Altersstarrsinn darauf versteift hätte, dass zu ihrem heutigen Geburtstagskaffee keine anderen Schnittchen als die eines ganz bestimmten Metzgers aus Prüm auf den Tisch zu kommen hatten. Sie nannte das natürlich canapés. »Die besten canapés und petit fours gibt es in Prüm!«, sagte sie gerne mit Nachdruck. »Und die einzig akzeptablen Koteletts in Adenau!« Manchmal hatte Herbie das Gefühl, dass die steinreiche Greisin ihre Haus- und Hoflieferanten großflächig über die Eifel verstreut hatte. Ganz wie die Queen.
Mit einem Aufdruck drauf, hatte Julius am Morgen glucksend gesagt. By Appointment to her Majesty Aunt Hettie.
Herbie hatte einen Blick auf die Rechnung erhaschen können, die der Metzger der Lieferung beilegte. Die Summe war blödsinnig hoch. Aber genau darauf kam es seiner Tante wahrscheinlich an.
Er guckte auf seine Uhr. Nein, das konnte nicht sein. Die Zeiger bewegten sich keinen Millimeter. Er schüttelte das Handgelenk. Sie verharrten in ihrer Ruhestellung. Seit zwei Wochen war sie immer mal wieder stehen geblieben, aber er hatte sie gestern mit Klopfen und Rütteln wieder in Gang bekommen. Jetzt aber tat sich gar nichts mehr. Hätte er nur eine neue Batterie gekauft. Sein Handy zeigte Viertel nach zehn an. Und einen fast leeren Akku. Auch das Ladekabel fürs Auto hatte er schon längst kaufen wollen. Eine weitere Investition, die ihn unweigerlich auf den Rand des Ruins zuschubsen würde.
Manchmal denke ich, dass ein Ding durchaus zwei Dutzend Enden haben kann und dass du zielsicher immer genau am falschen sparst. Julius schritt neben ihm her, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.
»Stimmt, ich könnte das nächste Mal, wenn ich mal wieder ein paar Euro verdiene, endlich mal in ein paar Stunden beim Psychiater investieren. Dann wäre ich dich vielleicht endlich los. Das wäre ein Anfang.«
Herbie scherte sich nicht darum, dass die Menschen in den vorbeifahrenden Autos ihm dabei zusahen, wie er mit jemandem sprach, den niemand sehen konnte. Heutzutage kommunizierten die Menschen über Knöpfe im Ohr oder über Handys, die ihnen um den Hals baumelten. Er war mit seinen vermeintlichen Selbstgesprächen längst keine Attraktion mehr. Dennoch bemühte er sich, im Alltag das Vorhandensein seines imaginären Freundes so weit es ging zu verheimlichen. Es gelang ihm nicht immer. Viele hielten ihn für einen Spinner. Er hatte gelernt, damit zu leben.
So langsam entwickelte der Sommertag eine gewisse Schwüle. Herbie hatte das Gefühl, die Schweißflecken unter seinen Armen müssten mittlerweile die Größe von Liechtenstein erreicht haben.
Er seufzte erleichtert auf, als der Wagen etwa eine halbe Stunde später gleich auf Anhieb ansprang. Unentwegt hatte er stumme Stoßgebete gen Himmel geschickt, während er auch noch das letzte Tröpfchen aus dem Kanister herausgeschüttelt hatte.
Die Styroporbox auf dem Rücksitz, die er umständlich mit den Sicherheitsgurten und einigen Spannseilen gesichert hatte, fühlte sich noch vergleichsweise kühl an. Das war gut. »Wir schaffen es vielleicht noch, Julius«, rief er und gab Gas.
In diesem Moment klingelte sein Handy.
»Wo um alles in der Welt bleibst du? Wir warten, du nichtsnutziger Versager!«, plärrte Tante Hettie am anderen Ende. Ihre Stimme hatte einen schneidend scharfen Ton, der irgendwo zwischen Kreissäge und dem Geräusch von Fingernägeln auf einer Schultafel einzuordnen war.
»Bin gleich da«, sagte Herbie knapp. »Schlechte Verbindung … Eifel … hörst … muss … Minuten …« Dann brach er das Gespräch ab und fuhr los.
Auf den Trick fällt sie schon seit Jahren nicht mehr rein.
Herbie trat das Gaspedal durch, überholte in einer besonders unübersichtlichen Kurve einen Opel mit Düsseldorfer Kennzeichen, wich nur knapp dem Gegenverkehr aus und ließ rings um sich herum die Hupen aufheulen.
»Wir schaffen es vielleicht noch, Julius«, wiederholte er sein Mantra.
Als er Blankenheim hinter sich gelassen hatte, arbeitete sein Verstand fieberhaft. Durch das Ahrtal ging es zermürbend langsam voran. Die nächste Baustelle lauerte zwischen Ahrhütte und Lommersdorf, wo die Straße bergab nur einspurig befahrbar war. So war es jedenfalls am Vortag noch gewesen. Das konnte sich in diesem Sommer jedoch stündlich ändern. Der Verkehr bergauf in Richtung Autobahn wurde daher über Reetz umgeleitet, und das bedeutete, dass sämtliche Sprudellaster aus Daun und Gerolstein mit enervierender Langsamkeit über die kleinen Sträßchen tuckerten. Wie konnte er das umgehen? Gab es da nicht einen Schleichweg am Freilinger See, der ihm weiterhalf? Wie erwartet tauchte die Sperre kurz vor Ahrhütte auf.
Ein Langholzlaster quälte sich gerade um die Kurve. Das ging jetzt bis Tondorf so, wie Herbie sein Glück kannte. Vor dem LKW kroch ein Pritschenwagen, davor ein Reisebus vom Niederrhein, und vor der nächsten Linkskurve war noch ein holländischer Van zu erkennen. Herbie hatte das Fenster heruntergekurbelt. Die Sommerluft war gesättigt mit Abgasen.
Er sah wieder auf sein Handy. Nein, das wurde nichts mehr. Außer …
»Weißt du was? Ich habe die Schnauze voll von diesen dämlichen Umleitungen! Die können mich mal!« Herbie riss ganz unvermittelt das Steuer herum und lenkte den Wagen rechterhand in die Einmündung eines Wirtschaftswegs. »Ich versuche jetzt mal was.«
Berühmte letzte Worte.
»Jede Wette, der Weg führt parallel zur Straße geradewegs den Berg rauf. Nach Norden.«
Tut er nicht, du Westentaschen-Marco-Polo. Guck mal da vorne. Julius’ Finger wies auf eine scharfe Linkskurve vor ihnen. Der Weg führte durch einen kleinen Tunnel geradewegs unter der Straße hindurch, auf der sich die Blechlawine ihren Weg in Richtung A 1 bahnte. Von einer Parallele konnte keine Rede sein. Eine Möglichkeit zu wenden gab es nicht, und sie fuhren eine Weile im Zickzack zwischen Feldern und Wiesen hindurch und schließlich durch ein kleines Wäldchen. Die Fahrbahn wurde schmaler und schmaler.
Macht dich das gar nicht stutzig, dass du der Einzige bist, der diese superschlaue Abkürzung benutzt?
»Pass auf, wenn ich jetzt da vorne links abbiege, dann …«
Ja, wenn da ein Weg wäre.
»Dann vielleicht ein Stückchen weiter.«
Irre ich mich, oder fahren wir jetzt wieder südwärts?
»Ach was, das scheint nur so.«
Achte mal auf das Moos an den Bäumen. Weck mich, wenn wir am Äquator angekommen sind.
Herbie schwieg, und seine Finger klammerten sich mit der Kraft der Verzweiflung um das Lenkrad. Der Asphalt war fast unbemerkt zu Ende gegangen, und die Spurrillen im darauf folgenden trockenen Lehm waren so tief ausgefahren, dass der Wagen immer wieder in der Mitte aufsetzte.
Sag mal, war das nicht gerade ein Durchfahrt-verboten-Schild?
Herbie warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Na großartig, er hatte es wieder einmal vermasselt! Aus der erhofften Abkürzung war unversehens ein elender Umweg geworden. Sie galoppierten durch die Walachei, und gleich würden sie wahrscheinlich wieder an der Tankstelle von vorhin ankommen.
Ich glaube, ich habe da gerade etwas von einem Privatweg gelesen.
»Hauptsache, er führt uns halbwegs um diese elenden Baustellen herum. Hier im Nirgendwo stören wir ja wohl kaum jemanden, wenn …«
Vorsicht!
Im letzten Moment wich Herbie einer entgegenkommenden, älteren Frau auf einem Fahrrad aus. Als er an ihr vorbeischoss, hörte er ihre schrille Stimme: »Pass doch auf, du verdammter Idiot!« Ihre Augen waren schreckgeweitet, das graue Haar wehte im Fahrtwind, und sie bemühte sich mit energischem Griff, das Fahrrad wieder in die Spur zu bekommen.
Als er im nächsten Moment in den Rückspiegel sah, erkannte er inmitten der gewaltigen Staubwolke, die der Volvo hinter sich herzog, nur noch undeutlich ihre drohend emporgereckte, sich rasend schnell entfernende Faust.
Jetzt klingelte wieder sein Handy. Das war Tante Hettie, kein Zweifel.
Nicht auf das Handy gucken und auch nicht in den Rückspiegel. Blick nach vorne und die Hände in Zehn-vor-drei-Haltung ans Steuer!
Das Handy hörte nicht auf zu plärren. Herbie ging rasant in eine Kurve, und dann kam plötzlich etwas von rechts. Der große, plumpe Körper eines Tieres, ein gewaltiger, schwarzbrauner Koloss. Als der Wagen mit dem rechten Kotflügel auf den riesigen Leib traf, sah Herbie undeutlich zwei Hörner, zwei weit aufgerissene Augen und ein sabberndes Maul. Er kurbelte panisch das Steuer herum, der Wagen sprang aus der Spur, machte einen Satz in die Höhe und prallte gegen einen der Bäume, die links den Weg säumten. Herbie wurde auf seinem Sitz hin und her geschüttelt. Ein grässliches Geräusch gellte durch die Sommerluft. Blech verformte sich kreischend, und als der Motor ausging, zischte es laut durch die abrupt entstehende Stille.
»Julius, das ist … das war … War das etwa eine …?« Mit zitternden Fingern tastete Herbie nach dem Türgriff und ließ sich mehr nach draußen fallen, als dass er ausstieg.
Du meine Güte, das muss dir erst mal einer nachmachen. Kröten, Igel, Karnickel … das kann ja jeder. Aber ein Rindvieh?
»Das war doch keine Kuh!«, ächzte Herbie.
Wie man’s nimmt.
»Das Tier, ist es …? Ich muss …«
Was denn? Vielleicht eine Mund-zu-Maul-Beatmung?
Das Rind lag wie ein großer, brauner Hügel auf der anderen Seite des Weges und rührte sich nicht mehr. Herbie machte ein paar wacklige Schritte auf den mächtigen Körper zu, als er spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben.
Er hauchte noch die Worte: »Ich muss nach den Schnittchen sehen, Julius«, dann brach er zusammen, und die Welt um ihn herum schien sich zu drehen, während sich langsam alles verfinsterte.
Eine erfrischende Kühle holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Etwas legte sich auf Herbies Stirn, kalte Flüssigkeit perlte ihm die Schläfen hinunter.
Er versuchte, sich an die Momente vor seiner Bewusstlosigkeit zu erinnern. Es gelang ihm nur mit Mühe. An das komische Gefühl konnte er sich erinnern, als er sich plötzlich auf der anderen Seite der Erdkugel gewähnt hatte. Mundharmonikaklänge hatte er zu hören geglaubt und das Getrappel von Pferdehufen.
»Bin ich im Wilden Westen, Julius?«, hatte er gefragt.
Nein, du bist in der Eifel. Was aber in vielerlei Hinsicht ähnlich ist.
Hoch über ihm am Himmel hatten ein paar Vögel ohne Flügelschlag ihre Runden gedreht. »Sind das Geier, Julius?«, hatte er gefragt.
Nein, das sind Schwälbchen.
Dann war ein Cowboy aufgetaucht, dessen Silhouette sich gegen das flirrende Sommerlicht abzeichnete. Ein breitkrempiger Hut, eine massige Statur, darunter ein schnaubendes Pferd.
»Ist das ein Cowboy, Julius?«, hatte Herbie noch gefragt, bevor sich die Schatten über ihm zugezogen hatten.
Ja, ist es.
Mit Sicherheit hatte er halluziniert. Dann war er ohnmächtig in der Schwärze versunken.
Als er jetzt die Augen wieder aufschlug, erblickte er über sich ein Frauengesicht. Ein zierliches, junges Gesicht, hohe Wangenknochen, ein dunkler Teint, schwarzes, zu zwei Zöpfen geflochtenes Haar und ein tiefschwarzes Augenpaar, das ihn sorgenvoll betrachtete.
War das eine Indianerin?
Hinter ihr tauchte der Cowboy auf. Groß, breitschultrig und in einem schwer einzuschätzenden, aber deutlich fortgeschrittenen Alter. Na gut, die Halluzinationen hatten sich noch nicht verflüchtigt. Er würde einfach noch mal die Augen zumachen.
»Geh mal zur Seite, Chenoa«, tönte ein tiefer Brummbass, und das Gesicht des Mannes näherte sich Herbie mit prüfendem Blick, so als betrachtete er ein erlegtes Wild. »Sag ich doch. Ist nur zusammengeklappt. Kreislauf. Der wird wieder.« Die Haut des Mannes war faltig und gebräunt wie ein trockenes Fensterleder, der dichte Schnauzbart reichte grauweiß und buschig bis zum stoppeligen Kinn hinunter. Über den kleinen, hellblauen Augen wucherten struppige Brauen mit einem rötlichen Stich. Das Haupthaar war lang und strähnig und straff zum Pferdeschwanz zurückgebunden.
»Sag mal, Gringo, kannst du mich hören?« Eine riesige Hand wedelte vor Herbies Augen herum.
»Ja, kann ich. Wo bin ich denn?«, fragte Herbie.
Der Cowboy richtete sich wieder auf und legte den Arm um die zierliche Indianersquaw an seiner Seite. »Also okay, nur der Kreislauf«, polterte er. »Der ist gleich wieder auf den Beinen.«
Herbie hätte eigentlich gerne eine Antwort auf seine Frage gehabt. Er befand sich in einem Raum, dessen Wände grob verputzt und mit allerlei Fellen behängt waren. Über sich erkannte er eine grob zusammengezimmerte Decke aus dunklem Holz.
Neben einem offenen Kamin aus Bruchsteinen lehnte Julius an der Wand und hatte die Arme vor dem voluminösen Körper verschränkt. Aha, lange genug geschlafen? Ziemlich schlappes Bild, das du abgegeben hast. Du hast keine Beule und keine Schramme, hast nicht mal was gequetscht oder gebrochen, und trotzdem lässt du dich von diesen freundlichen Menschen durch die Gegend tragen wie ein Sack Saatkartoffeln.
»Weißt du was, Chenoa, geh uns mal einen Kaffee holen«, brummte der Cowboy. »Das wird ihn wieder mobil machen.« Und während seine Squaw sich entfernte, griff er sich einen Stuhl, stellte ihn vor Herbies Liegestätte und schwang sich rittlings darauf. Er legte die stark behaarten Unterarme auf der Lehne übereinander.
Er saß so, dass aus Herbies Blickwinkel zwei im Hintergrund an der Wand aufgehängte, gekreuzte Gewehre einen bizarren Strahlenkranz um seinen Kopf bildeten.
»So, wie geht das denn nun weiter mit uns?«, fragte er.
Herbie richtete sich langsam auf. Er fühlte sich immer noch leicht benommen. Seine Hände ertasteten ein Tierfell, das zusammen mit vielen anderen über das Bett gebreitet lag.
Julius kam näher und schürzte die Lippen. Wirklich apart. Die machen hier alles aus Pelz. Sicher auch die Platzdeckchen und die Toilettenpuschelumrandung.
»Also?«, raunzte der Cowboy. »Wie stellst du dir das vor?«
Herbie versuchte sich einigermaßen zu sammeln. Ihm war eigentlich noch nicht nach der Art von ausgefeilter Konversation, die hier offenbar von ihm verlangt wurde.
»Kriegst du noch auf die Reihe, was du da vorhin angerichtet hast?« Es klang lauernd.
Herbie wusste nicht, wie er es auf der Freundlichkeitsskala einzusortieren hatte. Er tastete sich zaghaft vor. »Tja, nun, da scheint mir wohl ein kleines Missgeschick unterlaufen zu sein.«
Ein paar Sekunden herrschte Stille.
Dann lachte sein Gegenüber unvermittelt los und schlug sich dabei vor Vergnügen auf die Schenkel. »Na, du bist mir ja ’n Spaßvogel! Missgeschick!«
Herbie lächelte schwach. »Ja, ich weiß gar nicht, wie ich es sonst …«
»Missgeschick!« Der Mann brüllte vor Lachen und wischte sich Lachtränen aus den Augenwinkeln.
Plötzlich brach das Lachen abrupt ab, die Mundwinkel senkten sich, und er reckte sich über die Rückenlehne des Stuhls weit zu Herbie herüber, das Kinn angriffslustig vorgeschoben. »Missgeschick ist ein verdammt dämlicher Ausdruck für das, was du dir geleistet hast, Freundchen!«
Herbie registrierte, dass auch an der Fensterseite des Raumes ein paar Gewehre an der Wand hingen. Er räusperte sich. »Was ist denn eigentlich genau …«
»Das kann ich dir sagen! Du hast mit deiner Dreckskarre meinen Privatweg benutzt! Großer Fehler Nummer eins! Du hast mein bestes Stück Vieh überfahren! Großer Fehler Nummer zwei!«
Auch über dem Kamin hingen Gewehre. Und über dem Bett, auf dem er lag. Er zählte insgesamt zwölf Flinten. Ihre Läufe glänzten matt, ihre hölzernen Schäfte und der darauf angebrachte metallene Zierrat glänzte wie frisch poliert.
Er hätte gerne etwas gesagt wie: »Nur zwei Fehler? Da haben wir aber noch mal Glück gehabt!«, fragte aber stattdessen lieber: »Ist das Tier … ich meine, die Kuh … Ist sie …?«
»Kuh?«, brüllte der Mann und sprang so ungestüm auf, dass der Stuhl polternd umkippte. »Hast du Greenhorn überhaupt eine blasse Ahnung von Rindern? Von Viehzucht? Was bist du für ein komischer Kauz, hä? Lebst in der Eifel und kannst nicht mal eine dusselige Milchkuh von einem stolzen Bison unterscheiden?«
»Bison?«
»Oh ja, Bison! Genauer gesagt: mein bester Zuchtbulle! Und du hast ihn auf dem Gewissen, du Strolch!«
»Aber ich habe ihn gar nicht überfahren. Im Grunde genommen hat er mit voller Wucht mein Auto gerammt, und …«
»Das ist mir scheißegal!« Der Mann ballte die gewaltigen Fäuste und brüllte wie ein Bär.
Jetzt reiz ihn doch nicht noch! Julius schüttelte den Kopf. Er frisst dich sonst auf.
»Deine Rostlaube – mein Weg! Mein Bison – dein Pech!« Ein ausgestreckter Zeigefinger, so dick wie eine Bratwurst, zitterte nur wenige Zentimeter vor Herbies Nase. »Ja, genau, dein gottverdammtes Scheißpech! Das hast du nicht umsonst getan, du armseliger Wicht! Das wirst du bezahlen, hörst du?«
Wer erlaubt ihm denn, mit dir zu reden wie deine Tante?
Als sich in diesem Moment die Tür öffnete und die Squaw mit einem Tablett hereinkam, hielt der Mann abrupt in seiner Wutrede inne und atmete tief durch. Die Anwesenheit der Frau schien eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben.
Der Kaffee schwappte kohlrabenschwarz in der Tasse, die sie Herbie herüberreichte.