Aus Rhoihesse un vum Land -  - E-Book

Aus Rhoihesse un vum Land E-Book

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Beschreibung

"Das Leben schreibt die besten Geschichten". Unter diesem Motto begann im Frühjahr 2015 an der Volkshochschule in Alsheim ein biografischer Erzähl- und Schreibkurs. Entstanden ist eine solche Vielzahl lebendiger Geschichten, dass wir inzwischen unter dem Titel "Aus Rhoihesse un vum Land" den dritten Teil der Alltagsgeschichten aus Rheinhessen veröffentlichen. Sie berichten vom Leben auf dem Land vor etwa 40 bis 60 Jahren, von Kindheitserinnerungen und Dingen, die es einmal gab - ein Stück Zeitgeschichte, das uns verdeutlicht, wie vieles sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Maria Schmitz (Hg.)

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Aus Rhoihesse un vum Land

Rheinhessen

Der feine Unterschied

Es is Herbscht

Tante Ottilie

Der Laden

So war des sellemols

Weltspartag

Rheinhessische Kinderspiele

Ein Geburtstagsgeschenk erzählt aus seinem Leben

Am Samstag werd die Gass gekehrt!

Nudele un Kersche un die Dreschmaschine

Do wird jo Mensch und Vieh verrickt

Die Muttersau Uschi

Rabe Hansi

Schlachtfeste

Die Sache mit der Ente

Rheinhessische Ökumene

Die Mine Tante

Der evangelische Lutscher

Was bleibt

Meine Erinnerungskiste

Das classische Vergissmeinnicht

Was ich einmal werden wollte

Das Alter

Zauber der Weihnachtszeit

Wir warten aufs Christkind

Mein erstes Bügeleisen

Bescherungen

Kommt das Christkind?

Vorwort

„Das Leben schreibt die besten Geschichten.“ Unter diesem Motto begann im Frühjahr 2015 an der Volkshochschule in Alsheim ein biografischer Erzähl- und Schreibkurs. Im Zentrum standen dabei elementare Fragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Warum sind wir, wie wir sind? Was hat uns geprägt? Dazu gehören die Umgebung, das Dorf, in dem wir aufgewachsen sind, sowie Menschen, die für uns wichtig waren.

Entstanden ist inzwischen eine Vielzahl lebendiger Geschichten aus Rheinhessen. Sie berichten vom Zusammenleben auf dem Dorf und von Dingen, die es einmal gab und die heute bereits Geschichte sind. Es sind lebendige Kindheitserinnerungen und heitere Anekdoten, aber auch Nachdenkliches und Ernstes. Vor allem sind es wahre Geschichten aus dem Alltagsleben in Rheinhessen, ein Stück Zeitgeschichte, das uns verdeutlicht, wie vieles sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat.

„Das müsstest Du eigentlich mal aufschreiben!“ Wie oft fällt dieser Satz, wenn Menschen aus ihrem Leben erzählen. Die vorliegenden Texte wollen Sie dazu ermutigen!

Maria Schmitz

Aus Rhoihesse un vum Land

Rheinhessen

„Mir sin die Leid vom Rhoi seim Knie…“ so singen in einem Lied die Dautenheimer Bembelsänger. Das bezeichnet schon einmal die Lage meiner Heimat und sagt aber auch etwas über die Herkunft aus.

Seit Jahrhunderten ist das Land der Reben und der Rüben geprägt von Landwirtschaft und Viehzucht, dem Weinbau und dem Wein. Hier lebten fleißige, gottesfürchtige Menschen. Sie waren abhängig vom Wetter, der Bodengüte, der wechselnden Obrigkeit und der Kirche, die den Zehnten beanspruchte und das Leben der Menschen im Alltag prägte. Regelmäßiger Kirchgang am Sonntag war selbstverständlich und „Des Gesangbuch muss basse, sunscht klapps net mim heirade“ sagte man früher bei uns.

So is der Rhoihess! Er sagt, was er denkt, spricht, wie ihm der Schnabbel gewachsen ist, tritt ein für seine Überzeugung, auch wenn er damit mal aneckt. Die Familie hält zusammen, egal was kommt.

In unseren kleinen Dörfern hat die Kirchengemeinde und Ortsgemeinschaft immer noch einen hohen Stellenwert, auch die Vereine und die langjährige Mitgliedschaft dort werden geschätzt und bewertet. „Roigerutschte“ haben es manchmal schwer, bis sie wirklich dazu gehören.

In Rheinhessen isst man gerne gut und deftig. Sterneköche haben es hier schwer. Nach dem Motto: „Mer essen gern rhoihessisch viel, net vornehm wenig.“ Wie z.B. Hausmacherworscht, Handkäs mit Musik, Spundekäs und Quellde, Kartoffelsupp un Schweinefüssjer, Dampnudele un Quetschekuche und bitte von allem reichlich, denn „Mer strunzen net, mer hun!!!“, sagt der Rhoihesse.

Gastfreundschaft wird großgeschrieben in der Region. „Hol e mol ruff“, war die erste Anweisung meines Großvaters, wenn Besuch kam, ich ging dann mit dem Steinkrug in den Keller und zapfte Wein. Auch in unseren vielen Straußwirtschaften kann man das fröhliche Miteinander beim Wein noch hautnah erleben. „Wann's eng werd, do ricke mer zusamme, un wer bei uns en (A..) Hinnern hot, der find ach en Platz. Un wann oner, one ausgewe will, halt en bloss net uff!“

Inzwischen hat die neue touristische Vermarktung von Rheinhessen Fahrt aufgenommen. Wir punkten mit den gepflegten Weinbergen und ihren Wingertsheisjern, den Streuobstwiesen und den vielen kleinen Teichen und Seen, die durch den Kies- und Sandabbau entstanden sind.

Die Kultur- und Weinbotschafter mit ihren Führungen haben Rheinhessen erlebbar und bekannt gemacht. Das gute Wetter mit viel Sonnenschein rundet das Gesamtbild ab. Der Name Wonnegau für unsere Region könnte passender nicht sein.

Marlies Uhrig

Stefanie Böger ist eine „Roigerutschde“ und schildert im folgenden Text aus der Außensicht ihre ersten Eindrücke von der Region Rheinhessen und ihren Menschen.

Der feine Unterschied

Wissen Sie, ich bin eine Zugezogene. Das ist hier fast so etwas wie eine Ausländerin, aber nur fast. Ich bin vor jetzt gut fünf Jahren aus Hessen ins wunderschöne Rheinland-Pfalz gezogen. Genauer gesagt in einen Vorort der heimlichen Hauptstadt Rheinhessens, Alzey. Außerhalb von Alzey konnte mir diesen Status bisher niemand bestätigen, aber im Sinne der persönlichen Integration tradiere ich ihn als Fakt getreulich weiter. Heimlich besagt ja gerade, dass nicht jeder um diesen Umstand weiß. Ich bin also quasi immerhin auf dieser Ebene bereits einheimisch. Auf allen anderen relevanten Ebenen nicht. Ich darf hier wohnen und arbeiten, aber den wirklich saftigen Tratsch verrät man mir nicht. Ich darf den Wein kosten und kaufen, aber solange ich noch instinktiv Weinberg und nicht Wingert sage, gehöre ich einfach nicht dazu. Hätte ich Kinder, könnten meine Enkel es vielleicht beizeiten schaffen.

Und ich muss zugeben, für eine Ostwestfälin (Hessen hatte sich nur als kleines Intermezzo der Liebe halber ergeben) ist das Leben in Rheinhessen auch wirklich ein Kulturschock. Ich meine das gar nicht unbedingt negativ. Hier gibt es sonnige Sommer, milde Winter, Berge haben in der Regel mit Wein zu tun, und Menschen lächeln einen häufiger mal einfach so an – ganz ohne Grund. Gehen Sie mal in Paderborn durch die Fußgängerzone. Da ist nicht nur der Regen eiskalt.

Der Rheinhesse ist stolz auf seine Tradition und die malerischen kleinen Dörfer mit teilweise jahrhundertealtem Baubestand. Hier werden Häuser abgerissen, für deren Erhaltung man in Niedersachsen wahrscheinlich mit Zuschüssen vom Denkmalsamt zugeschüttet würde. Es gibt hier einfach so viele davon, eines mehr oder weniger fällt kaum auf. Ich habe mit der Zeit die Theorie entwickelt, dass die unterschwellig scheinbar dauerhaft vorhandene gute Laune der Rheinhessen in direkter Relation zu den zig Generationen des Weinanbaus steht. Wenn man hier Blutspenden sammelt, muss man vom Bruttoertrag einen ordentlichen Reb-Anteil abziehen.

Wie gesagt, das ist alles gar nicht so schlimm. Meist schmunzele ich einfach nur, wenn mir mal wieder eine urige Eigenheit des Rheinhessen auffällt. Sie sind ja auch grundsätzlich freundlich, was soll ich mich also beschweren. Manchmal ist es aber dann doch etwas … nun ja… kompliziert, wenn man als Alien in direkten Kontakt mit den Einheimischen kommt. So wie an meinem allerersten Tag als Einwohnerin.

Am Freitag zuvor hatte ich den Wohnungsschlüssel bekommen, Sonntag war ich mit Matratze, Mikrowelle und Reisetasche zur provisorischen Übernachtung angetreten, und am Montag stand das erste Pendeln zur Arbeit auf dem Plan. Normalerweise habe ich meinen getreuen Alice Cooper, der mich von A nach B bringt. Aber just in dieser ersten Woche brauchte mein damaliger Lebensgefährte den Mini kurzfristig. Wie gut, dass es eine online recherchierbare Busverbindung gab. Ich habe mir Linien und Haltestellen eingeprägt, und bin tatsächlich auch unbeschadet zur Arbeit gelangt. Das Problem ergab sich erst auf der Rückfahrt. Dann aber auch gleich so richtig.

Kennen Sie das, wenn die Haltestellen-Ansagen in den Öffis, über uralte Lautsprecher genuschelt, auch dem geneigtesten Zuhörer völlig unverständlich bleiben? Und wenn man sich darüber hinaus im Zielgebiet noch nicht so recht auskennt, kann man schon mal Mainzer Straße und Alzeyer Straße verwechseln. Was soll ich sagen, es war natürlich die falsche Haltestelle, an der ich abrupt aus Gedanken gerissen übereilt ausgestiegen bin. Ohne Handynetz stand mir Google Maps freundlicherweise nicht zur Verfügung. Na toll. Die Qualität der deutschen Infrastruktur ist auch nicht mehr das, was sie nie war. Ich blickte mich um, konnte aber keinen bekannten Orientierungspunkt entdecken. Läuft!

Immerhin war ich in einem Wohngebiet gestrandet. Gepflegte Reihenhäuser mit noch gepflegteren Vorgärten. Und weil ein Quäntchen Glück im Unglück das Salz in der Suppe einer jeden Anekdote ist, schien mir die Rettung nahe: Eine Dame in den späten Siebzigern war gerade dabei, den Pflegezustand ihres Vorgartens weiter zu verbessern. Ich also hin. „Einen wunderschönen guten Tag“ strahlte ich sie an. Sie hob den Kopf und lächelte freundlich. „Können Sie mir vielleicht weiterhelfen? Ich bin neu hier, und scheinbar an der falschen Haltestelle ausgestiegen.“ Sie wischte sich die erdigen Hände an der Schürze ab, und kam ans Gartentor. „Ich wohne in der Vorstadt 7a. Wo muss ich denn da lang?“

Ich war in diesem Moment noch fest davon überzeugt, in wenigen Augenblicken vollkommen orientiert wackeren Schrittes gen Mikrowelle starten zu können. Bis ich die Fragezeichen in den Augen der guten Frau erblickte. „Mi displâs, ce?“ Okay, dachte ich, sie ist nicht mehr die jüngste. Ich wiederholte also meinen kleinen Vortrag, nur eben etwas lauter. „No la capissi“ bedauerte sie. „In der Vorstadt“ sagte ich, und hob übertrieben fragend die Arme. „No lu so che“ schüttelte sie den Kopf.

Wenn einem spontan nichts einfällt, erstmal weiter Lächeln, dachte ich bei mir. „Chest al à di jessi inte gnove aree di disvilup. Tu âs dal dut tort culì!“ sagte sie nicht unfreundlich, aber eben leider für mich völlig unverständlich. Üblicherweise würde ich an dieser Stelle Englisch oder Französisch probieren. Ich hörte aber auf die kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die diesbezüglich keinerlei Hoffnung auf Erfolg bescheinigte. „Na, ich werde es schon finden. Danke trotzdem!“ verabschiedete ich mich mit einer beschwichtigenden Geste.

Im Umdrehen sah ich den älteren Herren, der vom Nachbargrundstück zu uns herübersah. Ob er wohl sicherstellen wollte, dass ich keine brutale Trickdiebin bin? „Cemût?“ rief er. „O pensi che e sedi pierdude“, antwortete sie. Er blickte zu mir. „Kennen Sie die Straße ‚In der Vorstadt‘?“ fragte ich ihn laut, in deutlich artikuliertem Hochdeutsch. „No lu so che.“ Aha, er bedauerte also auch. Wir blickten in die Runde, jeder mit einem unterschiedlich stark ausgeprägten Lächeln der Ratlosigkeit.

„Es tut mir leid, ich verstehe Sie nicht. Ich bin nicht von hier“, erklärte ich das offensichtliche. „Mi displâs ancje jo. No cognossi la strade. Ise chê a Gau-Odernheim?“ fragte sie. Immerhin, Gau-Odernheim verstand ich. Mit Mut zur Interpretation nickte ich. „Ja, genau, hier in Gau-Odernheim. In-der-Vor-stadt. In der Nähe ist ein LIDL“, fiel mir noch ein. „Ah!“ Die Gesichtszüge beider Eingeborenen hellten sich auf. „Lidl al è dongje dal cemeteri, no?“, meinte sie zu ihm. „LIDL? No lu so che.“ Wusste er also nicht. Ich dummerweise auch nicht. Gab es einen Friedhof bei mir in der Nähe? Gott, wie peinlich. Für wie dumm mussten die beiden mich wohl halten?

„Indovine ce? O clami cumò il me fi. Lui al lu sa cence dubi.“ Sie öffnete das Gartentor, und bedeutete mir, ihr zu folgen. Sie ging zur Haustür, wechselte aus den Garten- in die Haus-Schlappen, und wies mich hinein. Meine Mutter hat mich ganz gut erzogen, also schubberte ich meine sauberen Büro-Schuhe an der Fußmatte steril. Dann trat ich in den Flur, und dachte so bei mir, dass ich die alte Dame schon bezwingen könnte, sollte sie auf die Idee kommen, mich einzuschließen und als Geisel da zu behalten. Allein dieser Gedanke ist schon Beweis dafür, dass ich aus der rauen Fremde stamme. Rheinhessen sind innerhalb Deutschlands so etwas wie die Kanadier in Nordamerika. Man kann im Prinzip die Türen offenstehen lassen, es wird schon nichts passieren. Es sei denn, man hat nicht aufgeräumt und der Spendensammler vom Heimatpflegeverein streckt den Kopf hinein. Dann ist der gute Ruf passe.

Aber ich schweife ab. Meine Integrationshelferin griff jedenfalls nach dem Telefon, und mir dämmerte ihr Plan, während sie wählte. „Si, ciao Micheal. Eco une femine che e no cognos cemût lâ ator e e vûl savê cemût lâ par strade ‚In der Vorstadt‘. Savês dulà che al è?“ Er wusste! Ich konnte zwar die Antwort nicht hören, aber der Gesichtsausdruck der Dame ließ vermuten, dass Michael sich auskannte. Sie nickte und wechselte noch ein paar Sätze mit ihm, lachte dann, und übergab mir den Hörer.