Buch
Autorin
Susan Elizabeth Phillips ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Welt. Jeder ihrer Romane erobert auf Anhieb die Bestsellerlisten in Deutschland,
England und den USA.
Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in der Nähe von Chicago.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.susan-elizabeth-phillips.de
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Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »What I Did for Love« bei William Morrow, An Imprint of HarperCollinsPublishers, New York.
Deutsche Erstausgabe September 2009 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © Susan Elizabeth Phillips, 2009
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Blanvalet Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Covergestaltung und -motiv: www.buerosued.de
Mauricio Jordan de Souza Coelho
MD · Herstellung: RF Redaktion: Regine Kirtschig
ISBN : 978-3-641-02836-7 V004
www.blanvalet.de
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Epilog
Danksagung
Im Gedenken an Kate Fleming / Anna Fields
Es gibt nicht genügend Worte, um das Schweigen zu füllen, das ihr zurückgelassen habt.
Wir trauern um euren Verlust und vermissen euch mehr, als wir je sagen können.
Liebe Leser,
Bram Shepard und Georgie York sind das berühmteste Liebespaar des Fernsehens, aber im wirklichen
Leben hassen sie einander. Wo werden sie also landen … im Hafen der Ehe? AUS VERSEHEN VERLIEBT ist ein Buch, das ich schon lange hatte schreiben wollen, und es freut mich, dass Sie es endlich in den Händen halten.
Wie viele von Ihnen wissen werden, lebe ich in Chicago. Wenn Sie meine Website unter www.susan-elizabethphillips.com besuchen, können Sie Fotos von meinem Arbeitszimmer sehen. Jeden Tag, wenn ich an meinem Computer sitze und meine E-Mail öffne, erfahre ich etwas von meinen deutschen Leserinnen. Inzwischen habe ich das Gefühl, Sie persönlich zu kennen, und ich schätze jede Einzelne von Ihnen. Sie sind Teenager, Karrierefrauen, Mütter und Großmütter. Sie leben allein, sind verheiratet oder verwitwet. Sie lesen meine Bücher im Urlaub, während der Mittagspausen, beim Babyfüttern oder einfach entspannt auf der Couch bei einer Tasse Kaffee. (Manche von Ihnen lesen meine Bücher sogar, obwohl Sie eigentlich fürs Examen lernen sollten, und davon muss ich abraten!) Sie wünschen sich eine Liebesgeschichte mit Charakteren, für die Sie sich erwärmen können. Eine Geschichte, die Sie lachen und seufzen und vielleicht auch ein paar Tränen vergießen lässt. Sie sagen sich, das Leben ist Herausforderung genug, und wünschen sich ein Happyend.
Wird es für Bram Shepard und Georgie York ein Happyend geben? Lehnen Sie sich in einen bequemen Sessel zurück, blättern Sie und finden Sie es heraus.
Mit meinen allerbesten Wünschen,
1
Die Schakale umschwärmten sie, als sie ins Freie trat. Als Georgie in der Parfümerie am Beverly Boulevard abgetaucht war, waren ihr nur drei davon auf den Fersen gewesen, jetzt waren es schon fünfzehn – zwanzig – vielleicht auch mehr – eine heulende, wilde Meute, die man in L.A. mit gezückten Kameras losgelassen hatte und die nur darauf wartete, ihr den letzten Fetzen Fleisch von den Knochen zu reißen.
Ihre Blitzlichter blendeten sie, als sie in den späten Aprilnachmittag eintauchte. Sie redete sich ein, mit allem fertig werden zu können, was sie ihr entgegenschleuderten. Hatte sie das nicht das ganze vergangene Jahr über getan? Sie fingen an, sie mit unverschämten Fragen zu bombardieren – zu vielen Fragen, zu schnell, zu laut, Worte, die miteinander verschmolzen, bis nichts mehr einen Sinn ergab. Einer von ihnen drückte ihr etwas in die Hand – eine Illustrierte – und brüllte ihr ins Ohr. »Das wird gerade frisch ausgeliefert, Georgie. Was sagen Sie dazu?«
Automatisch warf Georgie einen Blick darauf und sah auf der Titelseite von Flash das Sonogramm eines Babys. Das Baby von Lance und Jade. Das Baby, das ihres hätte sein sollen.
Sie verlor alle Farbe im Gesicht. Die Blitzlichter blitzten, die Kameras klickten, und ihr Handrücken flog an ihren Mund. Nachdem sie sich so viele Monate lang beherrscht hatte, verlor sie jetzt die Kontrolle, ihr schossen die Tränen in die Augen.
Die Kameras fingen alles ein – die Hand an ihrem Mund, die Tränen in ihren Augen. Endlich hatte sie den Schakalen gegeben, worauf sie das ganze vergangene Jahr über gelauert hatten – Fotos der lustigen, einunddreißigjährigen Georgie York inmitten der Trümmer ihres Lebens.
Sie ließ die Illustrierte fallen und wandte sich zur Flucht, aber sie hatten sie eingekesselt. Sie versuchte, nach hinten zu entkommen, aber sie waren überall mit ihren heißen Blitzlichtern und dem herzlosen Geschrei. Ihr Geruch verstopfte ihre Nasenlöcher – Schweiß, Zigaretten, aufdringliches Eau de Cologne. Jemand trat ihr auf den Fuß. Ein Ellbogen rammte sich in ihre Seite. Sie rückten dichter an sie heran, raubten ihr den Atem, erstickten sie …
Bramwell Shepard verfolgte die widerliche Szene, die sich vor ihm abspielte, von den Stufen des nebenan gelegenen Restaurants. Er kam gerade vom Mittagessen, als das Spektakel losging, er blieb auf dem Treppenabsatz stehen, um es auf sich wirken zu lassen. Er hatte Georgie York schon ein paar Jahre lang nicht mehr gesehen, und dann auch nur im Vorbeigehen. Aber als er nun den Angriff der Paparazzi beobachtete, kehrte die Verbitterung zurück.
Von seinem erhöhten Standpunkt aus hatte er einen guten Überblick auf das Chaos. Einige der Paparazzi hielten ihre Kameras hoch über den Köpfen, andere schoben ihr die Linsen ins Gesicht. Sie hatte seit ihrer Kindheit mit der Presse zu tun gehabt, aber auf das Pandämonium dieses letzten Jahres war sie gewiss nicht vorbereitet. Nur zu schade, dass keine Helden da waren, die darauf warteten, sie retten zu dürfen.
Bram hatte acht elende Jahre damit zugebracht, Georgie aus brenzligen Situationen zu befreien, aber seine Tage in der Rolle des galanten Skip Scofield an der Seite von Georgie, alias der unerschrockenen Scooter Brown, lagen schon lange hinter ihm. Sollte Scooter Brown doch zusehen, wie sie ihren Arsch diesmal selbst rettete – oder, was wahrscheinlicher war, warten, damit Daddy das für sie erledigte.
Die Paparazzi hatten ihn nicht bemerkt. Er befand sich derzeit nicht auf deren Radarschirmen, was aber nicht heißen musste, dass er nicht sofort darauf gewesen wäre, wenn sie ihn zusammen mit Georgie hätten ablichten können. Skip und Scooter war eine der erfolgreichsten Sitcoms der Fernsehgeschichte gewesen. Acht Jahre lang ausgestrahlt, jetzt bereits seit acht Jahren nicht mehr auf Sendung, hatte die Öffentlichkeit sie dennoch nicht vergessen, vor allem nicht, wenn es um Amerikas gutes Mädchen Nummer eins ging, um Scooter Brown, im richtigen Leben gespielt von Georgie York.
Einem besseren Menschen hätte sie vielleicht in ihrem momentanen Dilemma leid getan, aber den Helden-Button hatte er nur auf der Leinwand getragen. Sein Mund zuckte, als er auf sie herabschaute. Na, wie funktioniert deine mutige Ich-schaff-das-Haltung in letzter Zeit, Scooter?
Plötzlich nahmen die Dinge eine hässliche Wendung. Zwei der Paparazzi fingen eine Rempelei an, einer von beiden schubste sie kräftig. Sie verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden, im Sturz kam ihr Kopf nach oben, und da erspähte sie ihn. Inmitten all des Wahnsinns, des wilden Gerangels und verrückten Rempelns, in all dem Krawall und Chaos gelang es ihr, ihn kaum dreißig Schritt weit entfernt zu entdecken. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich blitzartiges Entsetzen ab, nicht wegen des Sturzes – irgendwie hatte sie sich wieder aufgerappelt, ehe beide Knie aufschlugen – sondern seines Anblicks wegen. Ihre Blicke trafen sich, die Kameras rückten näher, und der in ihr Gesicht geschriebene Hilferuf ließ sie wieder wie ein Kind aussehen. Er starrte sie an – ohne sich vom Fleck zu rühren – und nahm diese weingummigrünen Augen in sich auf, die noch immer voller Hoffnung waren, es könnte doch noch ein Geschenk für sie unter dem Weihnachtsbaum liegen. Dann verschleierten sich ihre Augen, und er wurde Zeuge des exakten Augenblicks der Erkenntnis, dass er ihr nicht helfen würde – dass er derselbe selbstsüchtige Mistkerl war wie eh und je.
Was zum Teufel erwartete sie auch? Hatte sie jemals auf ihn zählen können? Ihr lustiges Mädchengesicht zuckte vor Verachtung, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kampf mit den Kameras zu.
Zu spät erkannte er, was für eine hervorragende Gelegenheit er verpasst hatte, und er fing an, die Treppe hinunterzusteigen, aber er hatte zu lang gewartet. Sie hatte bereits den ersten Schlag ausgeteilt. Kein Volltreffer, aber er erreichte sein Ziel, und ein paar der Paparazzi traten beiseite, um Platz zu machen, damit sie zu ihrem Auto gehen konnte. Sie warf sich hinein und fuhr gleich darauf los. Während sie sich ohne Rücksicht auf Verkehrsregeln in den Freitagnachmittagsverkehr von L.A. einfädelte, rasten die Paparazzi zu ihren illegal geparkten schwarzen Geländewagen und begannen mit der Verfolgungsjagd.
Hätte der Parkdienstservice des Restaurants nicht diesen Moment gewählt, um ihm seinen Audi zu bringen, hätte Bram womöglich keinen weiteren Gedanken an dieses Ereignis verschwendet, aber als er hinters Steuer rutschte, gewann die Neugier die Oberhand. Wo würde die Illustriertenprinzessin wohl ihre Wunden lecken, wenn ihr kein Versteck mehr blieb?
Das Mittagessen, das er gerade hinter sich gebracht hatte, war ein Reinfall gewesen, und da er mit seiner Zeit nichts Besseres anzufangen wusste, beschloss er, sich an die Kavalkade aus Paparazzi dranzuhängen. Obwohl er ihren Prius nicht sehen konnte, sagte ihm die schlängelnde Fahrweise der Paparazzi, dass Georgie offenbar unberechenbar fuhr. Sie bog zum Sunset ab. Er schaltete das Radio ein, schaltete es wieder aus und überdachte seine Lage. In Gedanken spielte er ein faszinierendes Szenarium durch.
Schließlich fuhr die Kavalkade auf den Pacific Coast Highway in nördlicher Richtung, und da dämmerte es ihm. Ihr wahrscheinliches Ziel. Er rieb mit seinem Daumen über sein Lenkrad.
War das Leben nicht voll interessanter Zufälle …
Georgie wünschte sich, ihre Haut abstreifen und einfach liegen lassen zu können. Sie wollte nicht mehr länger Georgie York sein. Sie wollte eine Persönlichkeit mit Würde und Selbstachtung sein.
Hinter den getönten Scheiben ihres Prius wischte sie sich mit ihrem Handrücken über die Nase. Früher hatte sie die Welt zum Lachen gebracht. Nun war sie trotz all ihrer Anstrengungen das Postergirl für Liebeskummer und Demütigung geworden. Der einzige Trost, der ihr in dem ganzen Debakel ihrer Scheidung geblieben war, war die Gewissheit, dass die Kameras der Paparazzi sie nie, niemals mit hängendem Kopf erwischt hatten. Selbst am schlimmsten Tag ihres Lebens – der Tag, an dem ihr Ehemann sie wegen Jade Gentry verließ – hatte Georgie für die Schakale, die ihr auf den Fersen waren, Scooter Browns zum Markenzeichen gewordenes Grinsen und eine dämliche Pin-up-Pose parat gehabt. Aber heute war ihr der letzte Rest ihres Stolzes gestohlen worden. Und Bram Shepard war Zeuge davon geworden.
Ihr drehte sich der Magen um. Das letzte Mal hatte sie ihn vor ein paar Jahren auf einer Party gesehen. Er war von Frauen umgeben gewesen – was keine Überraschung war. Sie war gleich wieder gegangen.
Es wurde laut gehupt. Die Aussicht, in ihr leeres Haus oder die öffentliche Mitleidsparty zurückzukehren, zu der ihr Leben geworden war, war ihr zuwider, deshalb befand sie sich nun auf dem Weg zu ihrem alten Freund Trevor Elliott, der am Strand von Malibu ein Haus hatte. Aber obwohl sie inzwischen schon fast eine Stunde unterwegs war, wollte ihr Herzschlag sich nicht beruhigen. Nach und nach hatte sie die zwei Dinge verloren, die ihr am meisten bedeuteten – ihren Ehemann und ihren Stolz. Drei Dinge, wenn sie ihre Karriere mit in die Waagschale warf, die sich in zunehmender Auflösung befand. Und jetzt das. Jade Gentry trug das Baby aus, nach dem Georgie sich gesehnt hatte.
Trevor machte ihr die Tür auf. »Bist du verrückt?« Er packte sie am Handgelenk und zog sie in die kühle Diele, bevor er den Kopf noch einmal hinausstreckte, wobei sein Eingangsbereich ihn ausreichend vor den Paparazzi abschirmte, die nun auf der Böschung des Pacific Coast Highway zum Stehen kamen.
»Alles sicher«, sagte sie ironisch, war dieser Tage doch überhaupt nichts mehr sicher.
Er strich sich mit der Hand über seinen rasierten Schädel. »Bis zu den Nachrichten heute Abend haben sie uns verheiratet, und du bist schwanger.«
Schön wär’s, dachte sie, als sie ihm ins Haus folgte.
Sie hatte Trevor vor vierzehn Jahren auf dem Set von Skip und Scooter kennen gelernt, wo er Skips etwas unterbelichteten Freund Harry gespielt hatte, aber seine kleinen Nebenrollen gehörten längst der Vergangenheit an, inzwischen hatte er in einer Reihe von erfolgreichen Gross-out-Comedys, die auf den Geschmack von jungen Männern abzielten, die Hauptrolle übernommen. Letzte Weihnachten hatte sie ihm ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Ich bremse für Furz-Scherze« geschenkt.
Trotz seiner knappen Einssiebzig hatte er einen wohlproportionierten Körper und angenehme, leicht schiefe Züge, die ihn für die Rolle des doofen Verlierers prädestinierten, der es schließlich doch schaffte, nach oben zu kommen. »Ich hätte nicht so hereinplatzen dürfen«, sagte sie wenig überzeugend.
Er stellte das Baseballspiel auf seinem Plasma-Fernseher auf stumm, und musterte sie dann stirnrunzelnd. Sie wusste, dass sie mehr Gewicht verloren hatte, als ihr ohnehin schon schlanker Tänzerinnenkörper vertrug. Mit Anorexie hatte das nichts zu tun, ihr Magen rebellierte vor Kummer.
»Gibt es einen Grund dafür, weshalb du meine beiden letzten Anrufe nicht erwidert hast?«, fragte er.
Sie wollte gerade ihre Sonnenbrille abnehmen, besann sich dann aber eines Besseren. Clownstränen wollte keiner sehen, nicht einmal der beste Freund des Clowns. »Hey, ich bin einfach viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, als mich noch um andere kümmern zu können.«
»Das stimmt nicht.« Seine Stimme wurde warm vor Mitgefühl. »Du siehst aus, als könntest du einen Drink vertragen.«
»Es gibt nicht genug Alkohol auf der Welt … Aber, ja, gern.«
»Ich höre keine Hubschrauber. Komm, wir setzen uns auf die Terrasse. Ich mache uns Margaritas.«
Als er in der Küche verschwand, nahm sie schließlich doch ihre Sonnenbrille ab und zwang sich über den gesprenkelten Terrazzoboden ins Badezimmer zu gehen, um dort den Schaden, den der Angriff der Paparazzi hinterlassen hatte, zu reparieren.
Durch ihren Gewichtsverlust war ihr rundes Gesicht unter den Wangenknochen eingefallen, ihre großen Augen hätten ihr Gesicht fast aufgefressen, wäre da nicht ihr breiter Mund gewesen. Sie schob eine Strähne ihres steckengeraden, kirschcolafarbenen Haars hinters Ohr. Im Versuch, ihre Stimmung zu heben und die neuen harten Kanten ihres Gesichts weicher zu machen, hatte sie sich die wuschelige Neuauflage eines Topfschnitts mit fedrigen Fransen machen lassen, die lang in die Stirn fielen, aber auch die Wangen umschmeichelten. In ihren Skip-und-Scooter-Tagen, war sie gezwungen gewesen, ihr dunkles Haar mit dichter Dauerwellkrause und karottenorange wie ein Clown gefärbt zu tragen, weil die Produzenten aus ihrem Megaerfolg mit der Broadway-Wiederaufnahme von Annie Kapital schlagen wollten. Dieser demütigende Haarstil hatte außerdem den Kontrast zwischen ihrem Erscheinungsbild als lustigem Mädchen und Skip Scofields traumhaft gutem Aussehen betont.
Zu ihren Babypüppchen-Wangen, den grünen Kulleraugen und einem Mund wie ein Gummiband hatte sie immer ein gespaltenes Verhältnis gehabt. Einerseits hatte sie ihrem unkonventionellen Aussehen ihren Ruhm zu verdanken, aber in einer Stadt wie Hollywood, in der selbst die Supermarktangestellten, die beim Einpacken halfen, bombig aussahen, hatte man einen harten Stand, wenn man nicht hübsch war. Nicht, dass ihr das jetzt noch etwas ausmachte. Aber als sie die Ehefrau von Lance Marks gewesen war, dem größten Action- und Abenteuer-Superstar der Stadt, hatte es ihr definitiv etwas ausgemacht.
Erschöpfung machte sich breit. Seit sechs Monaten hatte sie keine Ballettstunde mehr genommen – sie schaffte es kaum aus dem Bett.
Den Schaden an ihrem Augen-Make-up behob sie so gut es ging und kehrte dann ins Wohnzimmer zurück. Trevor war erst vor Kurzem in das Haus eingezogen, das er mit amöbenförmigen Möbeln im Stil der Fünfzigerjahre eingerichtet hatte. Offenbar hatte er gerade eine Erinnerungsreise unternommen, denn das Buch, das aufgeschlagen auf dem Kaffeetisch lag, war eine Geschichte der amerikanischen Fernseh-Sitcom. Das Foto mit der Originalbesetzung von Skip und Scooter starrte sie an. Sie wandte den Blick ab.
Auf der Terrasse sorgten weiße Stuckpflanzkübel mit hoch gewachsenen Grünpflanzen für ein gewisses Maß an Intimität vor Glotzern, die am Strand entlangliefen. Sie streifte ihre Sandalen ab und sank auf eine hellblau-braun gestreifte Liege. Hinter dem weißen Röhrengeländer erstreckte sich der Ozean. Ein paar Surfer waren hinter die Brechungslinie hinausgepaddelt, aber die See war zu ruhig für einen anständigen Ritt, deshalb hüpften ihre Surfbretter auf dem Wasser wie Föten im Fruchtwasser.
Sie spürte, wie der Schmerz in ihr aufstieg und ihr die Luft nahm. Sie und Lance waren das Traumpaar schlechthin gewesen. Er war der Machoprinz, der hinter der Fassade des hässlichen Entleins die schöne Seele erkannt hatte. Sie war das liebende Weib, das ihm die beständige Liebe schenkte, die er brauchte. Während der zwei Jahre, in denen er sie umwarb, und der ein Jahr lang dauernden Ehe war ihnen die Sensationspresse überallhin gefolgt, aber dennoch war sie nicht auf die Aufregung vorbereitet gewesen, die losbrach, als Lance sie wegen Jade Gentry verließ.
Wenn sie allein war, lag sie im Bett, kaum fähig, sich zu rühren. Für die Öffentlichkeit setzte sie ein Lächeln auf. Doch egal wie hoch sie ihren Kopf trug, die Mitleidsstorys wurden immer schlimmer.
Der Liebeskummer der tapferen Georgie, schmierten die Boulevardzeitungen.
Die tapfere Georgie dem Selbstmord nahe, als Lance erklärt: »Ehe ich Jade Gentry kennen lernte, wusste ich nicht, was wahre Liebe ist.«
Georgie wird immer weniger! Freunde fürchten um ihr Leben.
Obwohl Lance eine weitaus erfolgreichere Filmkarriere hingelegt hatte, war sie noch immer Scooter Brown, Amerikas Liebling, und die öffentliche Gefühlsaufwallung richtete sich gegen ihn, weil er eine so geliebte Fernsehikone verlassen hatte. Lance lancierte seinen Gegenangriff. »Ungenannten Quellen zufolge wünschte Lance sich verzweifelt Kinder, aber Georgie war viel zu sehr mit ihrer Karriere beschäftigt, um sich eine Auszeit für eine Familie zu nehmen.«
Diese Lüge würde sie ihm nie verzeihen.
Trevor kam mit einem weißen Ledertablett auf die Terrasse, auf dem er Margaritagläser mit einem passenden Krug balancierte. Galant übersah er die Tränen, die sich unter ihrer Sonnenbrille ihren Weg bahnten. »Die Bar ist offiziell eröffnet.«
»Danke, Kumpel.« Sie nahm das Margaritaglas mit dem Salzrand entgegen und wischte sich, während er sich abwandte, um das Tablett auf den weißen Verandatisch zu stellen, die Wangen ab. Unmöglich, mit ihm über das Sonogramm zu sprechen. Selbst ihren besten Freunden war nicht klar, wie viel es ihr bedeutet hätte, ein Baby zu haben. Dieser Schmerz war ihr Geheimnis gewesen. Ein Geheimnis, das die heutigen Fotos vor aller Welt enthüllen würden.
»Wir haben letzten Freitag Cake Walk abgeschlossen«, sagte sie. »Wird wieder ein Bombenerfolg.« Sie konnte sich keine drei Flops in Folge an den Kinokassen leisten, aber genau das würde passieren, sobald Cake Walk rauskam. Sie stellte ihren Drink auf dem Boden ab, ohne ihn angerührt zu haben. »Dad ist total sauer wegen der sechsmonatigen Ferien, die ich mir nehme.«
Er nahm auf einem Tulpenstuhl aus Formplastik Platz. »Du hast mehr oder weniger gearbeitet, seit du aus dem Mutterleib kamst. Paul muss mal ein bisschen nachsichtiger mit dir sein.«
»Ja, das wird er auch.«
»Du kennst ja meine Haltung zu der Art und Weise, wie er dich antreibt. Mehr sage ich dazu nicht.«
»Dann lass es auch.« Trevs im Allgemeinen sehr treffende Ansicht über ihre schwierige Beziehung zu ihrem Vater war ihr nur allzu vertraut. Sie schlang ihre Arme um ihre Knie und zog diese dicht an ihren Leib heran. »Zerstreu mich mit gutem Klatsch.«
»Mein Co-Star wird jeden Tag verrückter. Allein der Gedanke, mit dieser Frau noch einen weiteren Film drehen zu müssen, bringt mich um.« Er rückte seinen Stuhl so, dass sein rasierter Schädel im Schatten lag. »Wusstest du, dass sie und Bram was miteinander hatten?«
Ihr Magen krampfte sich zusammen. »Da haben sich ja die Richtigen gefunden.«
»Er hütet das Haus …«
Sie hob abwehrend die Hand. »Hör auf. Ich kann nicht über Bramwell Shepard reden. Heute schon gar nicht.« Bram hätte heute Nachmittag seelenruhig zugesehen, wie man sie zu Tode trampelte, und dazu noch gelächelt. Mein Gott, wie sehr sie ihn hasste, und das nach all den Jahren.
Gnädigerweise wechselte Trev das Thema, ohne nachzuhaken. »Du hast doch sicherlich letzte Woche in USA Today die Umfrageergebnisse gesehen, oder? Beliebteste Sitcom-Heldinnen? Scooter Brown auf dem dritten Platz hinter Lucy und Mary Tyler Moore. Du schlägst sogar Barbara Eden.«
Sie hatte die Umfrage gesehen, konnte ihr aber nichts abgewinnen. »Ich hasse Scooter Brown.«
»Da bist du aber die Einzige. Sie ist eine Ikone. Es ist antiamerikanisch, sie nicht zu lieben.«
»Die Serie läuft seit acht Jahren nicht mehr. Warum können die Leute nicht damit aufhören?«
»Vielleicht liegt es an den ständigen Wiederholungen, die überall auf dem Globus laufen?«
Sie schob die Sonnenbrille hoch auf die Stirn. »Ich war ein Kind, als die Serie gestartet wurde, gerade mal sechzehn. Und kaum vierundzwanzig, als sie zu Ende war.«
Er registrierte ihre roten Augen, enthielt sich aber jeden Kommentars. »Scooter Brown ist alterslos. Die beste Freundin aller Frauen. Und die Lieblingsjungfrau aller Männer.«
»Aber ich bin nicht Scooter Brown. Ich bin Georgie York. Mein Leben gehört mir, nicht der Welt.«
»Na dann viel Glück.«
Sie konnte das nicht länger zulassen. Dieses ständige Reagieren auf äußere Kräfte. Unfähig, ihre eigene Abwehr zu mobilisieren. Immer nur reagieren. Nie agieren. Sie zog ihre Knie noch dichter an ihren Körper und studierte die Regenbogen, die sie sich von ihrer Maniküre auf die Zehennägel hatte malen lassen, in der vergeblichen Hoffnung, dadurch aufgemuntert zu werden. Wenn sie das jetzt nicht tat, würde sie es nie tun. »Trev, was würdest du davon halten, wenn du und ich eine kleine – eine große Liebesgeschichte hätten?«
»Liebesgeschichte?«
»Wir beide.« Sie konnte ihn nicht ansehen und hielt ihren Blick auf die Regenbogen gerichtet. »Uns in aller Öffentlichkeit verliebten. Und … vielleicht …« Sie zögerte die Worte hinaus. »Trev, ich denke schon lange darüber nach … Ich weiß, dass du das verrückt finden wirst. Es ist auch verrückt. Aber … Wenn dir die Vorstellung nicht ganz zuwider ist, habe ich mir überlegt … wir könnten doch wenigstens die Möglichkeit in Betracht ziehen … zu heiraten.«
»Heiraten?« Trevor sprang auf.
Er war einer ihrer besten Freunde, ihre Wangen brannten. Aber was bedeutete schon ein weiterer kurzer demütigender Augenblick in einem Jahr, das voll davon war? Sie löste ihre Arme von den Knien. »Ich weiß, ich hätte dich damit nicht einfach so überrumpeln dürfen. Und ich weiß auch, dass es eine Spinnerei ist. Wirklich verrückt. Das habe ich auch gedacht, als mir der Gedanke kam, aber bei nüchterner Betrachtung sehe ich eigentlich nichts, was dagegen spräche.«
»Georgie, ich bin schwul.«
»Es geht das Gerücht, dass du schwul bist.«
»Ich bin aber wirklich schwul.«
»Aber du verschanzt dich so gut, dass es kaum jemand weiß.« Der frische Kratzer an ihrem Knöchel brannte, als sie ihre Beine beidseits der Liege absetzte. »Damit wäre endlich Schluss mit den Gerüchten. Mach dir das doch mal klar, Trev. Wenn die schwule Bruderschaft dahinterkommt, dass du für ihr Team spielst, ist deine Karriere im Eimer.«
»Glaubst du etwa, das weiß ich nicht?« Er rieb sich mit der Hand den rasierten Schädel. »Georgie, dein Leben ist ein Zirkus, und so sehr ich dich auch bewundere, möchte ich auf keinen Fall in die Arena gezerrt werden.«
»Darum geht es doch. Wenn du und ich zusammen wären, würde der Zirkus aufhören.« Während er sich wieder hinsetzte, ging sie zu ihm und kniete sich neben ihn. »Trev, denk doch mal darüber nach. Wir sind immer gut miteinander ausgekommen. Wir könnten jeder unser Leben so leben, wie wir wollen, ohne uns gegenseitig einzumischen. Überleg doch mal, wie viel mehr Freiheit du hättest – wir beide hätten.« Sie legte einen kurzen Moment lang ihre Wange auf sein Knie und hockte sich dann auf ihre Hacken. »Du und ich sind kein seltsames Paar wie Lance und ich das waren. Trevor und Georgie sind eine langweilige Partie, nach den ersten paar Monaten wird die Presse uns in Ruhe lassen. Wir könnten uns unterhalb des Radars einrichten. Du müsstest nicht mehr ständig mit all den Frauen ausgehen, für die du dich angeblich interessierst. Du könntest treffen, wen du willst. Unsere Ehe wäre die perfekte Tarnung für dich.« Und für sie wäre es eine Möglichkeit, die Mitleidsparty der Welt zu beenden. Sie bekäme ihre öffentliche Würde zurück und eine Art Rückversicherung, die sie davor bewahrte, sich eines Mannes wegen jemals wieder von einer Gefühlsklippe stürzen zu müssen.
»Denk darüber nach, Trev. Bitte.« Er musste sich mit dieser Idee erst anfreunden, bevor sie auf Kinder zu sprechen kam. »Überleg doch mal, wie befreiend das wäre.«
»Ich heirate dich nicht.«
»Ich dich auch nicht.« Eine schrecklich vertraute Stimme drang zu ihnen auf die Terrasse. »Da würde ich eher mit Trinken aufhören.«
Georgie kam blitzartig auf die Füße und beobachtete, wie Bramwell Shepard über die Treppe vom Strand hochgeschlendert kam. Oben blieb er stehen, und sein Mund verzog sich in berechnendem Vergnügen.
Sie atmete tief ein.
»Lasst euch nicht stören.« Er lehnte sich ans Geländer. »Wirklich interessant, das Gespräch, das ich da eben zufällig mitgekriegt habe, fast so interessant wie die Überlegung, sich die Schamhaare zu färben, über die Scooter sich damals mit ihren Freundinnen ausgetauscht hat. Warum hast du mir nicht gesagt, Trev, dass du ein Homo bist? Jetzt können wir uns nie mehr in der Öffentlichkeit zusammen sehen lassen.«
Anders als Georgie schien Trevor über diese Unterbrechung erleichtert zu sein, er gestikulierte mit seinem Margaritaglas in Richtung von Brams sonnengebadetem Kopf. »Du hast mir meinen letzten Freund verschafft.«
»Da muss ich wohl ziemlich platt gewesen sein.« Ihr früherer Serien-Partner betrachtete sie. »À propos platt … Du siehst beschissen aus.«
Sie musste hier weg. Sie schielte auf die Türen, die ins Haus führten, aber ein schwaches Glimmen ihrer Würde schlummerte noch immer in der Asche ihrer Selbstachtung, sie konnte nicht zulassen, dass er sie wegrennen sah. »Was machst du hier?«, fragte sie. »Das kann doch kein Zufall sein.«
Er nickte Richtung Krug. »Ihr beide trinkt dieses Zeug doch nicht im Ernst, oder?«
»Du wirst sicherlich noch wissen, wo ich die richtig scharfen Sachen verwahre.« Trev sah sie besorgt an.
»Später.« Bram streckte sich auf der Liege aus, die gegenüber der zuvor von Georgie belegten stand. Der an seinen Waden klebende Sand glitzerte wie winzige Diamanten. Eine leichte Brise spielte mit seinem kräftigen, goldbraunen Haar. Ihr Magen verknotete sich. Ein schöner gefallener Engel.
Dieses Bild entstammte dem Essay eines bekannten Fernsehkritikers, der bald nach dem Debakel erschienen war, das eine der erfolgreichsten Fernsehshows der Geschichte beendet hatte. Sie hatte ihn noch im Gedächtnis.
Wir können uns Bram Shepard im Himmel vorstellen mit seinem Gesicht, das so perfekt ist, dass die anderen Engel es nicht über sich bringen, ihn hinauszuwerfen, selbst wenn er den ganzen Messwein ausgetrunken, die hübschen jungfräulichen Engel verführt und eine Harfe gestohlen hätte, um damit die zu ersetzen, die er in einem himmlischen Pokerspiel verspielt hat. Wir verfolgen, wie er die ganze Schar in Gefahr bringt, weil er zu dicht an die Sonne heranfliegt und dann in einem viel zu riskanten Manöver aufs Meer zustürzt. Aber die Engelgemeinde ist verzaubert von den Lavendelfeldern in seinen Augen, den in sein Haar eingewobenen Sonnenstrahlen, so dass sie ihm seine Überschreitungen verzeihen … bis sein letzter, gefährlicher Sturz sie alle in den Schmutz zieht.
Bram legte seinen Kopf auf der Liege ab, eine Position, in der sich sein noch immer makelloses Profil wie ein Schattenriss vor dem Himmel abzeichnete. Mit seinen dreiunddreißig Jahren waren die weicheren Kanten seiner auf Vergnügen ausgerichteten Jugendlichkeit härter geworden und verliehen seiner trägen, glitzernden Schönheit einen noch destruktiveren Anstrich. Bronze mischte sich in sein blondes Haar, Zynismus färbte die lavendelblauen Chorknabenaugen und Spott lauerte in den Winkeln seines perfekt symmetrischen Munds.
Angesichts der Tatsache, dass jemand ihr Gespräch mit Trevor belauscht hatte, dem jegliche Skrupel fremd waren, wurde ihr übel. Sie konnte nicht fliehen, noch nicht, ihre Beine versagten ihr den Dienst. »Warum bist du hier?« Sie sank auf einen der Tulpenstühle.
»Ich wollte es dir längst erzählen«, sagte Trev. »Bram benutzt manchmal mein anderes Haus weiter unten am Strand, das ich zu verkaufen versuche. Da er sich als Arbeitskraft unbrauchbar gemacht hat, hat er nichts Besseres zu tun, als herumzufaulenzen und mir auf die Nerven zu gehen.«
»Na ja, ganz arbeitsunfähig bin ich ja nicht.« Bram kreuzte seine sandigen Knöchel. Die Riste seiner Füße waren so anmutig geschwungen wie die Schneide eines Krummschwerts. »Erst letzte Woche habe ich ein Angebot bekommen, mich in einer neuen Reality-Fernsehshow demütigen zu lassen. Wäre ich nicht zugedröhnt gewesen, als der Anruf kam, hätte ich wahrscheinlich zugesagt. Aber egal.« Er winkte elegant ab. »Zu viel Arbeit.«
»Sag ich doch«, erwiderte Trev.
Nervös suchte sie den Strand nach Fotografen ab. Dies war ein Privatstrand, aber für ein gemeinsames Foto von Bram und ihr würde die Presse alles tun. Skip und Scooter nach langer Zeit öffentlich wiedervereint. Ihr drehte sich der Magen um, wenn sie daran dachte, dass jemand, der so vorhersehbar boshaft war wie Bram Shephard, Teil ihres öffentlichen Albtraums werden könnte.
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen wieder. So erinnerte er an einen gelangweilten Aristokraten, der ein Sonnenbad nahm – ein trügerisches Bild, denn er war von der Highschool geflogen und von einem Versager von einem Vater im Süden Chicagos großgezogen worden. »Ich hoffe, du hast deine Rasierklingen gut versteckt, Trev. Es heißt, unsere Scooter sei von einem Todeswunsch beseelt, nachdem das Leben ihr so einen grausamen Schlag verpasst hat. Ich persönlich finde ja, sie sollte es feiern, diesen Schwachkopf, den sie geheiratet hat, endlich losgeworden zu sein. Jade Gentry scheint ihren Verstand verloren zu haben, sonst hätte sie sich doch niemals auf Mr All American eingelassen. Sag mir die Wahrheit, Scoot. Lance Marks kriegt doch keinen hoch, oder?«
»Wie ich sehe, bist du immer noch der perfekte Gentleman. Wie beruhigend.« Sie musste entkommen, ohne dass es so aussah, als würde sie weglaufen. Sie erhob sich betont langsam aus ihrem Stuhl und schlenderte dann los, um ihre Sandalen zu holen. Zu spät wurde ihr klar, dass sie sich nicht mehr erinnern konnte, wo sie sie ausgezogen hatte.
Er öffnete die Augen und bedachte sie mit dem trägen, spöttischen Lächeln, das schon so viele ansonsten vernünftige Frauen vernichtet hatte. »Ich habe gelesen, das glückliche Paar ist wieder an fremde Ufer zurückgekehrt, um dort weitere, von der Presse dokumentierte gute Werke zu tun.«
Lance und Jade waren während ihrer Flitterwochen auf Humanitätstrip in Thailand gewesen. Ihre diesbezügliche Presseerklärung klang ihr noch jetzt in den Ohren. »Wir möchten unsere Berühmtheit nutzen, um Jades wichtigstes Anliegen ins Rampenlicht zu rücken, die Ausbeutung von Kindern im Sexgewerbe.«
Georgie hatte kein wichtigstes Anliegen, jedenfalls keins, das über das Ausstellen großzügiger Schecks hinausging. Sie suchte panisch nach ihren Schuhen.
Bram deutete mit der Spitze eines schlanken Fingers auf den Fuß der Liege, auf der sie zuvor gesessen hatte. »Ihre Kampagne, mit der sie eine Verschärfung der Gesetze gegen Kindersextouristen erreichen wollen, ist wirklich herzerfreuend. Während sie gegen den Congress zu Felde ziehen, hast du, wie ich höre, bei Fred Segal’s Großeinkauf gemacht.«
Plötzlich rastete ihre Selbstkontrolle einfach aus. »Ich hasse dich wirklich.«
»Unmöglich. Scooter könnte nie ihren geliebten Skip hassen. Nicht, nachdem er acht Jahre seines Lebens damit verbracht hat, ihr aus diesen verrückten kleinen Patschen herauszuhelfen.«
Sie grapschte sich ihre Sandalen und schlüpfte mit einem Fuß hinein.
»Hör auf damit, Bram«, sagte Trev.
Aber Bram war noch nicht mit ihr fertig. »Weißt du noch, wie du in den See fielst und Mutter Scofields Pelzmantel anhattest? Oder erinnerst du dich daran, wie du bei ihrer jährlichen Weihnachtsparty die Mäuse aus dem Käfig gelassen hast?«
Wenn sie nicht anbiss, würde er aufhören.
Aber Bram hatte immer schon eine Vorliebe für langsame Folter gehabt. »Selbst an unserem Hochzeitstag gerietst du in Schwierigkeiten. Nur gut, dass wir diese Show nie gedreht haben. Wie ich hörte, hätte ich dir während unserer Flitterwochen ein Kind gemacht. Wenn der Sender nicht die ganze Sache beendet hätte, hätte ich einen kleinen Skip gezeugt.«
Jetzt ging die Wut mit ihr durch. »Es war nicht ein kleiner Skip! Es waren Zwillinge! Wir sollten Zwillinge bekommen – ein Mädchen und einen Jungen. Offensichtlich warst du zu bekifft, um dich an dieses kleine Detail zu erinnern.«
»Unbefleckte Empfängnis, da bin ich mir sicher. Kannst du dir Scooter nackt vorstellen und …«
Sie hielt es nicht mehr aus und drehte sich Richtung Haus, einen Schuh am Fuß, den anderen in ihrer Hand.
»An deiner Stelle würde ich jetzt nicht abhauen«, meinte er lässig. »Vor zehn Minuten habe ich einen Fotografen entdeckt, der sich im Gebüsch auf der anderen Straßenseite verschanzt hat. Offenbar hat jemand dein Auto gesehen.«
Sie saß in der Falle.
Er sah sie durchdringend an, was auch eine seiner unangenehmen Angewohnheiten war. »Du hast nicht zufällig mit Rauchen angefangen, Scoot? Ich brauche eine Zigarette, aber Trev weigert sich, für seine Gäste eine Stange bereitzuhalten. Er ist wirklich ein Pfadfinder.« Bram zog eine makellose Braue hoch. »Abgesehen von seinen schmutzigen Gepflogenheiten mit Vertretern seines eigenen Geschlechts.«
Trevor war um Entspannung bemüht. »Weißt du, ich halte es nur mit ihm aus, weil ich insgeheim Lust auf seinen nackten Körper habe. Nur schade, dass er hetero ist.«
»Du bist viel zu pingelig, um Lust auf ihn zu haben«, konterte sie.
»Da hast du’s«, meinte Trevor trocken.
Es war nicht fair. Bram sollte inzwischen längst tot sein, umgebracht von seinen eigenen Exzessen, aber der knochige Körper, an den sie sich aus Skip-und-Scooter-Tagen erinnerte, war kräftig geworden, seine schlaksige Eleganz hatte sich in harte Muskeln und lange Sehnen verwandelt. Unter dem Ärmel seines weißen T-Shirts schlang sich ein Stammestattoo um einen prächtigen Bizeps, und seine blauen Badeshorts zeigten Beine mit den festen, markanten Sehnen eines Langstreckenläufers. Sein dickes, braunes Haar trug er zerzaust, die bleiche Haut, die früher wie ein Kater zu ihm gehört hatte, war verschwunden. Abgesehen von jenem Hauch der Dekadenz, der wie ein schlechter Ruf an ihm klebte, sah Bram Shepard schockierend gesund aus.
»Er trainiert jetzt«, warf Trev in übertriebenem Flüsterton ein, als würde er ihr einen richtigen Skandal anvertrauen.
»Bram hat noch keinen Tag in seinem Leben trainiert«, sagte sie. »Er hat für diese Muskeln den Rest seiner Seele verkauft.«
Bram lächelte und wandte ihr sein knallhartes Engelsgesicht zu. »Erzähl doch noch ein bisschen von deinem Plan, deinen Stolz zurückzugewinnen, indem du Trev heiratest. Ist zwar nicht ganz so interessant wie die Schamhaardiskussion, aber immerhin …«
Sie biss die Zähne aufeinander. »Ich schwöre bei Gott, wenn du nur ein Wort darüber verlierst …«
»Das wird er nicht«, meinte Trevor. »Unser Bramwell hat sich noch nie für jemand anderen als sich selbst interessiert.«
Da hatte er recht. Aber zu wissen, dass er etwas derart Peinliches mitgehört hatte, war ihr dennoch unerträglich. Während ihrer Zusammenarbeit mit Bram war er zwischen achtzehn und sechsundzwanzig gewesen. Mit achtzehn war sein Egoismus gedankenlos gewesen, doch mit wachsendem Ruhm bestimmte eine vorsätzliche Rücksichtslosigkeit sein Auftreten. Es ließ sich nur unschwer erkennen, dass er inzwischen noch zynischer und ichbezogener geworden war.
Er zog sein Knie hoch. »Bist du nicht noch ein bisschen jung, um den Glauben an die wahre Liebe schon aufzugeben?«
Sie fühlte sich wie hundert. Ihre Märchenhochzeit war gescheitert und hatte ihren Träumen, endlich eine eigene Familie und einen Mann zu haben, der sie um ihrer selbst willen und nicht eigener Karrierevorteile wegen liebte, ein Ende gesetzt. Sie schob ihre Sonnenbrille wieder ins Gesicht und wog die Gefahr der draußen lauernden Schakale gegen die Gefahr der Bestie vor ihr ab. »Darüber rede ich nicht mit dir.«
»Nun lass doch gut sein, Bram«, mahnte Trevor. »Sie hat ein hartes Jahr hinter sich.«
»Die Kehrseite der Verehrung«, entgegnete Bram.
Trev schniefte. »Etwas, worüber du dir keine Sorgen zu machen brauchst.«
Bram griff nach ihrer abgestellten Margarita, nahm einen Schluck und schauderte. »Ich habe die Öffentlichkeit noch nie eine Promi-Scheidung so persönlich nehmen sehen. Es überrascht mich, dass keiner deiner verrückten Fans sich angezündet hat.«
»Die Menschen empfinden sich als Georgies Familie«, warf Trevor ein. »Sie sind mit Scooter Brown groß geworden.«
Bram setzte das Glas ab. »Sie sind auch mit mir groß geworden.«
»Aber Georgie und Scooter sind im Grunde genommen ein und dieselbe Person«, gab Trevor zu bedenken. »Du und Skip sind das nicht.«
»Gott sei Dank.« Bram erhob sich von der Liege. »Ich hasse diesen verklemmten kleinen Privatschulschwanz noch immer.«
Aber Georgie hatte Skip Scofield geliebt. Sie hatte alles an ihm geliebt. Sein großes Herz, seine Loyalität und wie er Scooter vor der Scofield-Familie zu beschützen versucht hatte. Wie er sich schließlich in ihr doofes rundes Gesicht und den Gummibandmund verliebt hatte. Sie hatte alles gemocht, bis auf den Mann, in den Skip sich verwandelte, wenn die Kameras zu drehen aufhörten.
Die drei waren in ihr altes Muster zurückgefallen – Bram auf Angriff, und Trevor, der sie verteidigte. Aber sie war kein Kind mehr, sie musste sich selbst verteidigen. »Ich glaube nicht, dass du Skip tatsächlich hasst. Ich denke, du wärst immer gern Skip gewesen, aber weil du meilenweit davon entfernt warst, er zu sein, musstest du vorgeben, ihn zu verachten.«
Bram gähnte. »Vielleicht hast du recht. Bist du dir sicher, Trev, dass keiner hier Gras herumliegen lassen hat? Oder auch nur eine Zigarette?«
»Da bin ich mir sicher«, sagte Trevor, dann läutete das Telefon. »Bringt euch nicht um, während ich drangehe.«
Trevor ging ins Haus.
Sie wollte Bram für das bestrafen, was er war. »Man hätte mich heute zu Tode trampeln können. Danke, dass du zugesehen hast.«
»Du hattest das im Griff. Auch ohne Daddy. Das war eine echte Überraschung.«
Sie fixierte ihn. »Was willst du, Bram? Wir wissen doch beide, dass dein Auftauchen hier kein Zufall ist.«
Er stand auf und ging auf das Geländer zu, um auf den Strand hinunterzuschauen. »Wäre Trev dumm genug gewesen, auf dein bizarres Angebot einzugehen, was hättest du dann für dein Sexleben getan?«
»Darüber werde ich ausgerechnet mit dir reden.«
»Könntest du dir jemand Besseren vorstellen? Ich war von Anfang an dabei, erinnerst du dich?«
Sie hielt es nicht mehr aus und wandte sich den Verandatüren zu.
»Bloß aus Neugierde, Scoot … Da Trev dich nun abgewiesen hat, wer ist der Nächste in der Reihe, Mr Georgie York zu werden?«
Sie setzte ein spöttisches Lächeln auf und drehte sich zu ihm um. »Ist das nicht süß, da strapazierst du deinen großen, bösen Kopf aus Sorge um meine Zukunft, obwohl dein eigenes Leben bis zum Gehtnichtmehr verkorkst ist.« Ihre Hand zitterte, aber sie machte damit eine, wie sie hoffte, muntere Geste und ging hinein. Trev hatte gerade den Hörer aufgelegt, aber sie war zu ausgelaugt, um noch mehr zu tun, als ihn zu bitten, wenigstens über ihre Idee nachzudenken.
Als sie Pacific Palisades erreichte, war sie so verspannt, dass es wehtat. Sie achtete nicht auf den Fotografen, der am Ende ihres Hofs geparkt hatte und bog in eine schmale Einfahrt ein, die sich zu einem bescheidenen Bungalow im mediterranen Stil schlängelte, der im Swimmingpool ihres früheren Zuhauses Platz gefunden hätte. Es war ihr nicht möglich gewesen, in dem Haus zu bleiben, das sie und Lance bewohnt hatten. Dieses Mietobjekt war mit sperrigen Möbeln ausgestattet, die viel zu schwer für die kleinen Räume waren, genauso wie die Decken für die rohen Holzbalken zu niedrig waren, aber es war ihr nicht wichtig genug, deswegen nach einer anderen Bleibe zu suchen.
Sie riss das Schlafzimmerfenster auf und hörte dann ihren Anrufbeantworter ab.
»Georgie, ich sah diese blöde Boulevardzeitung, und …«
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»Georgie, es tut mir so leid …«
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»Er ist ein Mistkerl, Kindchen, und du bist …«
Löschen
Ihre Freunde meinten es gut mit ihr – jedenfalls die meisten – aber ihr pausenloses Mitgefühl erstickte sie. Zur Abwechslung wollte sie mal diejenige sein, die Mitgefühl zeigte, und es nicht immer nur empfangen.
»Ruf mich sofort an, Georgie.« Die forsche Stimme ihres Vaters füllte den Raum. »Da ist ein Foto in der neuen Flash, das wird dich aufwühlen. Ich möchte nicht, dass es dich unvorbereitet trifft.«
Zu spät, Daddy.
»Es ist wichtig, dass du dem was entgegensetzt. Ich habe Aaron ein Statement gemailt, das er auf deine Website setzen soll und mit dem du die Welt wissen lässt, wie sehr du dich für Lance freust. Du weißt sicherlich …«
Sie drückte die Löschtaste. Warum konnte ihr Vater sich nicht einmal wie ein Vater und nicht wie ein Manager verhalten? Er hatte ihre Karriere aufgebaut, seit sie fünf Jahre alt war, weniger als ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter. Er hatte sie zu jedem Casting begleitet, ihre ersten Werbespots im Fernsehen orchestriert und sie gezwungen, Gesangs- und Tanzstunden zu nehmen, die ihr die Hauptrolle in der Broadway-Neuauflage von Annie sicherten, die Rolle, die dazu führte, dass sie als Scooter Brown gecastet wurde. Anders als viele andere Eltern von Kinderstars, hatte ihr Vater dafür gesorgt, dass ihr Geld klug angelegt wurde. Dank seiner Umsicht bräuchte sie nie wieder zu arbeiten, doch so dankbar sie auch war, dass er so gut für sie gesorgt hatte, hätte sie jeden Penny dafür gegeben, einen richtigen Vater zu haben.
Sie trat vom Telefon zurück, als sie Lances Stimme hörte. »Georgie, ich bin es«, sagte er weich. »Wir sind gestern auf den Philippinen eingetroffen. Ich habe gerade von einer Geschichte in Flash erfahren … Ich weiß nicht, ob du die schon gesehen hast. Ich – ich wollte es dir persönlich sagen, ehe du darüber liest. Jade ist schwanger …«
Sie hörte sich seine Nachricht bis zum Ende an. Sie hörte das Schuldbewusstsein in seiner Stimme, das Flehen, den Stolz, den zu verbergen er als Schauspieler nicht gut genug war. Er wünschte sich noch immer, dass sie ihm verzieh, von ihm verlassen worden zu sein, ihm verzieh, dass er die Presse wegen des Babys, das sie angeblich nicht hatte bekommen wollen, angelogen hatte. Lance war Schauspieler mit dem Bedürfnis des Schauspielers, von allen geliebt zu werden, selbst von der Frau, deren Herz er gebrochen hatte. Er wünschte sich von ihr einen Freispruch von aller Schuld. Aber den konnte sie ihm nicht geben. Sie hatte ihm alles gegeben. Nicht nur ihr Herz, nicht nur ihren Körper, sondern alles, was sie hatte. Und wohin hatte sie das gebracht?
2
Was würde Scooter Brown machen? Das war die Frage, die Georgie sich immer wieder stellte, und das war auch der Grund, weshalb sie am Ende den Innenhof von The Ivy überquerte und einen Tisch gleich neben dessen berühmtem weißen Pfahlzaun ansteuerte. Scooter Brown, die mutige Waise, die sich wie ein blinder Passagier in den Bedienstetenräumen des Scofieldschen Anwesens eingenistet hatte, um nicht in eine Pflegefamilie geschickt zu werden, hätte ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, und für Georgie war es längst an der Zeit, eben dies auch zu tun.
Sie winkte einem berühmten Rapper zu, erwiderte den Gruß eines Talkshow-Moderators und warf einem früheren Hauptdarsteller von Grey’s Anatomy eine Kusshand zu. Nur Rory Keene, die neue Chefin der Vortex Studios war viel zu vertieft in ihr Gespräch mit einem C.A.A. Boss, um Georgies Eintreffen zu bemerken.
Punkt 1 auf Georgies neuer Liste: Sorge dafür, dass du mit dem perfekten Mann gesehen wirst. Angesichts dieses überall plakatierten demütigenden Fotos, wie sie auf das Sonogramm von Lances Baby starrte, musste sie aufhören, sich zu verstecken, und tun, was sie schon vor Monaten hätte tun sollen. Die heutige Verabredung zum Mittagessen sollte eine ausreichend große Neuigkeit sein, um alle ihren schmerzerfüllten Ausdruck vergessen zu lassen.
Unglücklicherweise war der perfekte Mann, den sie für ihre erste Verabredung ausgewählt hatte, nicht erschienen, daher war sie gezwungen, allein an einem Tisch für zwei zu sitzen. Georgie versuchte sich den Anschein zu geben, als wäre sie froh, einmal ein paar Minuten für sich zu haben. Sie durfte nicht wütend auf Trevor sein. Gut, sie hatte ihn vielleicht nicht überreden können, sie zu heiraten, aber wenigstens hatte er eingewilligt, ein paar Wochen lang bei ihrem Medienrummel mitzumischen.
The Ivy war eine Institution in L. A., der perfekte Ort, um zu sehen und gesehen zu werden, vor dem immer eine ganze Armee an Paparazzi Stellung bezogen hatte. Promis, die im Ivy speisten und vorgaben, sich über die ihnen entgegengebrachte Aufmerksamkeit zu ärgern, waren die größten Heuchler, vor allem jene, die draußen im Innenhof saßen, wo der verwitterte Pfahlzaun die Grenze zum Gehweg des geschäftigen Robertson Boulevards markierte.
Georgie nahm unter einem weißen Sonnenschirm Platz. Würde sie Wein trinken, könnte man ihr dies als Ertränken ihrer Probleme im Alkohol auslegen, also bestellte sie Eistee. Zwei Frauen blieben auf dem Gehweg jenseits des Zauns stehen und glotzten sie an. Wo war Trevor?
Ihr Plan war einfach. Anstatt die Öffentlichkeit zu meiden, würde sie diese hofieren, aber zu ihren Bedingungen – als alleinstehende Frau, die das Leben in vollen Zügen genoss. Sie würde ein paar Wochen mit einem perfekten Mann, und dann ein paar Wochen mit einem anderen verbringen. Mit keinem davon würde sie sich lang genug zeigen, um eine ernsthafte Liebesaffäre nahezulegen. Nur Spaß, Spaß, Spaß, begleitet von jeder Menge Fotos, auf denen sie lachte und sich amüsierte – Fotos, für deren gezielte Verbreitung ihr Publicity-Manager schon sorgen würde. Sie kannte ein Dutzend großartig aussehender Schauspieler, die ganz versessen auf Publicity waren und die Regeln des Spiels verstanden. Trevor würde ihrer Kampagne den Anstoß geben. Wenn er nur nicht so eine Aversion gegen Pünktlichkeit hätte.
Und wenn die ganze Idee einer absichtlich in Gang gesetzten Publicity nicht so abstoßend wäre.
Fünf Minuten verstrichen. Sie hatte sich für diesen Anlass absolut passend hergerichtet und angezogen, was ihre fähige Stilistin für sie ausgewählt hatte – ein schwarzes leichtes Sonnenkleid aus Baumwolle mit breiter scharlachroter Paspelierung am Mieder und einem abstrakten Blätterregen in verschiedenen Brauntönen, der sich über den kurzen, engen Rock ergoss. Dazu passende Schuhe mit Keilabsatz und Knöchelriemchen und Bernsteinohrringe, die den Eindruck lässiger, ausgefallener Eleganz vervollständigten, die ihr besser stand als Rüschen oder Schlampenklamotten. Außerdem hatte sie dieses Kleid ausgesucht, weil es ihren Gewichtsverlust kaschierte.
Acht Minuten waren vergangen. Rory Keene entdeckte sie endlich und winkte ihr freundlich zu. Georgie winkte zurück. Vor fünfzehn Jahren, während der zweiten Staffel von Skip und Scooter war Rory eine kleine Produktionsassistentin gewesen, inzwischen aber Chefin der Vortex Studios und eine der mächtigsten Frauen in Hollywood. Da die letzten beiden Filme von Georgie Flops an der Kinokasse gewesen waren und ihr neuester keinesfalls besser zu sein versprach, war es ihr unangenehm, dass jemand mit so viel Einfluss sie hier wie eine Verliererin sitzen sah. Aber das war ja schließlich nichts Neues, oder?
Sie war nie defätistisch veranlagt gewesen und musste aufhören, so zu denken. Aber jetzt waren schon zehn Minuten verstrichen …
Georgie tat so, als würde sie die neugierigen Blicke nicht bemerken, die auf sie gerichtet waren, aber sie hatte zu schwitzen begonnen. Allein an einem Tisch von The Ivy zu sitzen, kam einer öffentlichen Ächtung gleich. Sie überlegte, ihr Mobiltelefon aufzuklappen, aber sie wollte nicht den Anschein erwecken, ihrer Verabredung nachzuspüren.
Auf der anderen Seite des Patios hatte sich eine Gruppe dünner, sorgfältig gestylter junger Erbinnen mit schönen leeren Gesichtern zum Mittagessen versammelt. Zu ihnen gehörten die geistlosen Töchter eines verblassenden Rockstars, eines Studiomoguls und eines internationalen Softdrinkmagnaten. Die Mädchen waren dafür berühmt, berühmt zu sein – Ikonen für alles, was trendy und für die Durchschnittsfrauen, die sich auf ihre Fotos stürzten, unerschwinglich war. Keine von ihnen hätte je zugegeben, von Papas Geld zu leben, also gaben sie als ihre Beschäftigung gern »Taschendesignerin« an. Tatsächlich bestand ihr Job aber darin, sich ablichten zu lassen. Ihre Anführerin, die Softdrink-Erbin, erhob sich und glitt wie ein geschmeidiger Ferrari auf Georgie zu.
»Hi, ich bin Madison Merrill. Wir sind uns noch nicht begegnet.« Sie drehte ihre Hüfte so, dass die Paparazzi von jenseits der Straße mit ihren Teleobjektiven einen schmeichelhaften Blick auf ihr Trapezkleid von Stella McCartney bekamen. »Ich fand Sie großartig in Summer in the City. Ich begreife gar nicht, warum das kein Kassenschlager wurde. Ich liebe romantische Komödien.« Eine Falte grub sich in ihre perfekte Stirn, und sie fügte hastig hinzu: »Ich meine, ich mag auch ernsthafte Sachen wie, Sie wissen schon, Scorcese und so.«
»Verstehe.« Georgie stellte ihr übermütiges Lächeln zur Schau und stellte sich vor, wie die abdrückenden Paparazzi großartige Aufnahmen einer fabelhaft fotogenen Madison Merrill bekamen, die neben einer abgemagerten Georgie York stand, die allein an einem Tisch für zwei saß.
»Auch Skip und Scooter war toll.« Madison ging ein paar Schritte zurück, damit der Tischsonnenschirm keinen Schatten auf ihr Gesicht warf. »Es war meine Lieblingsserie im Fernsehen, als ich etwa neun war.«
Das Mädchen war zu dumm, um subtil zu sein. Daran würde sie noch arbeiten müssen, wenn sie es in L.A. zu etwas bringen wollte.
Madison starrte auf den leeren Stuhl. »Ich muss zurück zu meinen Freundinnen. Sie können sich zu uns setzen, wenn Sie keine Gesellschaft zum Essen haben?« Sie machte aus der Feststellung eine Frage.
Georgie zog an einem ihrer Bernsteinohrringe. »Ach nein, danke. Er ist in einer Sitzung aufgehalten worden. Ich versprach, auf ihn zu warten. Männer.«
»Na gut.« Madison winkte den Fotografen zu und trottete zurück an ihren Platz.
Georgie hatte das Gefühl, ein blinkender Neonpfeil deute auf den leeren Stuhl auf der anderen Tischseite. Tausende von Männern auf der ganzen Welt – Millionen – hätten für einen Lunch mit Scooter Brown alles gegeben, aber sie musste sich ihren unzuverlässigen besten Freund aussuchen.
Georgies Kellner kam zum dritten Mal. »Sind Sie sicher, dass Sie noch nicht bestellen möchten, Miss York?«
Georgie saß in der Falle. Sie konnte nicht bleiben. Sie konnte nicht aufbrechen. »Noch einen Eistee bitte.«
Der Kellner verschwand. Georgie hob ihr Handgelenk und warf einen ostentativen Blick auf ihre Uhr. Sie konnte es nicht länger hinauszögern. Sie musste so tun, als bekäme sie einen Anruf. Dieser käme von ihrem Freund, der ihr mitteilte, er sei in einen Autounfall verwickelt worden. Anfangs würde sie sich besorgt geben, dann erleichtert, weil keiner verletzt war und zum Schluss wäre sie absolut verständnisvoll.
Versetzt! Geheimnisvoller Unbekannter lässt Verabredung mit Georgie platzen.
Sie sah das Foto bereits vor sich, wie sie allein an einem Tisch für zwei saß. Wie hatte ein so einfacher Plan so rasch ins Auge gehen können? Wie die anderen Promis auch, sollte sie damit beginnen, mit einem ganzen Tross herumzuziehen, aber sie hasste die Vorstellung, von bezahlten Begleitern umgeben zu sein.
Als sie nach ihrem Mobiltelefon griff, bemerkte sie eine leichte Veränderung in der Atmosphäre, eine unsichtbare elektrische Strömung, die über den Innenhof zuckte. Sie blickte auf, und ihr gefror das Blut in den Adern. Gerade kam Bramwell Shepard herein.
Überall im Innenhof begann das Pingpong der Köpfe, die von Bram zu ihr und dann wieder zurück sprangen. Er war gekleidet wie der dem Müßiggang verfallene Zweitgeborene eines europäischen Monarchen im Exil: im Designerblazer – vermutlich Gucci -, umwerfenden Jeans, die alle ein Meter achtundachtzig seiner Größe betonten, und ein verblichenes schwarzes T-Shirt, das seine Gleichgültigkeit signalisierte. Ein paar Dressmen glotzten ihn neidisch an. Madison Merrill war kurz davor, aufzuspringen und ihm den Weg abzuschneiden. Aber Bram steuerte direkt auf Georgie zu.
Bremsen quietschten, als die Paparazzi von der anderen Straßenseite herübergerast kamen, um sich den Schuss der Woche, vielleicht auch des ganzen Monats zu sichern, da man sie seit Beendigung der Serie nicht mehr zusammen gesehen hatte. Bram beugte sich über den Tisch, indem er sich unter den Schirm duckte und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Trev hat’s nicht geschafft.« Wegen der ringsum gespitzten Ohren sprach er mit leiser Stimme. »Ihm ist in letzter Minute was dazwischengekommen.«
»Ich fass es nicht, dass du das tust!« Sie verstand es sehr wohl. Bram wollte was von ihr – vielleicht eine öffentliche Szene? Sie zwang ihre erstarrten Lippen zu etwas, was die Kameras hoffentlich als Lächeln rüberbringen würden. »Was hast du mit ihm gemacht?«
»Immer argwöhnisch. Der arme Kerl hat sich seinen Rücken verrenkt, als er aus der Dusche stieg.« Bram nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz, sprach mit ebenso ruhiger Stimme wie sie und schenkte ihr sein verführerischstes Lächeln.
»Warum hat er mich dann nicht angerufen und abgesagt?«, wunderte sie sich.
»Er wollte keine schlechten Erinnerungen wecken. Wie etwa die an Lance den Verlierer, der eure Ehe abgesagt hat. Trev ist in dieser Hinsicht sehr rücksichtsvoll.«
Ihr Lächeln wurde breiter, aber ihr Flüstern war pures Gift. »Du versuchst, mir was anzuhängen. Ich weiß es.«
Bram täuschte amüsiertes Gelächter vor. »Wer ist da paranoid? Und undankbar. Obwohl Trev sich vor Schmerz gewunden hat, wollte er nicht, dass du hier allein sitzen musst. Vielleicht weißt du das ja nicht, Scoot, aber in dieser Stadt hat inzwischen jeder Mitleid mit dir, und Trev hätte es nicht über sich gebracht, dich in eine noch peinlichere Lage zu bringen, als du dich selbst schon gebracht hast. Deshalb hat er mich angerufen.«
Sie stützte ihre Wange mit ihrer Hand ab und betrachtete ihn mit vorgetäuschter Zuneigung. »Du lügst. Er weiß besser als jeder andere, was ich für dich empfinde.«
»Du solltest dankbar sein, dass ich so bereitwillig eingesprungen bin.«
»Warum kommst du dann mit einer halben Stunde Verspätung?«
»Du weißt doch, dass ich mit der Zeit immer meine Probleme hatte.«
»Unsinn!« Sie grinste für die Kameras bis ihre Wangen schmerzten. »Du wolltest deinen großen Auftritt haben. Auf meine Kosten.«
Auch er lächelte, sie hielt den Kopf schief und lachte, er streckte seine Hand nach ihr aus und tätschelte sie unter dem Kinn, und sie waren wieder Skip und Scooter wie in alten Zeiten.
Als der Kellner auftauchte, war die Fotografenmeute so angewachsen, dass der Gehweg nicht mehr ausreichte und sie auch auf der Straße standen, ihr Magen war inzwischen ein einziger Knoten. Binnen Minuten würden diese Fotos auf Computerschirmen in der ganzen Welt auftauchen, und das Karussell würde in Fahrt kommen.
»Krabbentarte hier für Scooter«, sagte Bram mit elegant geschwungener Hand. »Scotch auf Eis für mich. Laphroaig. Und Hummerravioli.« Der Kellner verschwand. »Mein Gott, jetzt brauch ich aber eine Zigarette.«
Er ergriff ihre Hand und rieb mit seinem Daumen über ihre Knöchel. Ihre Haut brannte unter dieser ungewollten Berührung. Sie spürte die Hornhaut auf seiner Fingerkuppe, ohne sich vorstellen zu können, wie die dorthin gekommen sein konnte. Mochte Bram auch in einem Arbeiterviertel groß geworden sein, hart gearbeitet hatte er in seinem Leben noch nie. Sie ließ ein fröhliches Lachen hören. »Ich hasse dich.«
Er nahm einen Schluck von ihrem Eistee und verzog die gemeißelten Mundwinkel zu einem Lächeln. »Dieses Gefühl ist gegenseitig.«
Bram hatte keinen Grund, sie zu hassen. Sie war der gute Soldat gewesen, während er ganz allein eine der besten Sitcoms der Fernsehgeschichte ruiniert hatte. Während der ersten beiden Jahre von Skip und Scooter hatte er sich nur gelegentlich danebenbenommen, aber im Lauf der Jahre war er immer unkontrollierbarer geworden, und als die Bildschirmbeziehung von Skip und Scooter langsam romantisch wurde, scherte er sich um nichts mehr und wollte nur noch seinen Spaß haben. Er gab das Geld so schnell aus, wie er es verdiente, für schicke Autos, Designergarderobe und indem er eine ganze Armee von Gefolgsleuten aus seiner Kindheit unterstützte. Man wusste von einem Tag zum nächsten nicht, ob er betrunken oder nüchtern oder überhaupt auftauchen würde. Er fuhr Autos zu Schrott, verwüstete Diskotheken und vereitelte sämtliche Versuche, seine Rücksichtslosigkeit zu zügeln. Nichts war vor ihm sicher, keine Frauen, kein Ruf und auch nicht der Drogenvorrat eines Crewmitglieds.
Hätte er einen düstereren Charakter gespielt, hätte die Show vielleicht die Sex-Aufnahme überlebt, die am Ende von Staffel acht auftauchte, aber Bram spielt den zugeknöpften, guten Jungen Skip Scofield, den jugendlichen Erben des Scofield Vermögens, und selbst seine treuesten Fans waren angesichts dessen, was sie zu sehen bekamen, außer sich. Skip und Scooter wurde wenige Wochen später aus dem Programm genommen, was ihm den Zorn der Öffentlichkeit und den Hass aller an der Serie Beteiligten einbrachte.
Ihr Mahl schleppte sich dahin, bis Georgie es nicht mehr aushielt. Sie legte ihre Gabel neben ihrer auseinandergenommenen, aber ungegessenen Krabbentarte ab, schaute auf ihre Uhr und setzte ein Gesicht auf, als wäre Weihnachten leider schon zu Ende. »Ach … zu schade. Ich muss gehen.«
Bram spießte seinen letzten Happen Ravioli auf und schob ihr seine Gabel in den Mund. »Nicht so schnell. Du kannst doch das Ivy nicht verlassen, ohne ein Dessert gegessen zu haben.«
»Wag es bloß nicht, diese Farce in die Länge zu ziehen.«
»Vorsichtig. Du verlierst deine glückliche Miene.«
Sie würgte die Ravioli hinunter und setzte wieder ihr Lächeln auf. »Du bist bankrott, nicht wahr? Mein Vater hat mein Geld angelegt, aber du hast deins vergeudet. Deshalb machst du das hier. Dir will keiner einen Job geben, weil du unzuverlässig bist, und du brauchst Publicity, um wieder auf die Füße zu kommen.« Obwohl Bram noch immer arbeitete, bekam er nur noch kleinere Rollen und spielte moralisch schwache Charaktere – einen untreuen Ehemann, einen lüsternen Trinker – und keine anspruchsvollen Schurken. »Du bist so verzweifelt, dass du dich an das dranhängen musst, was die Presse über mich schreibt.«
»Du musst zugeben, dass es funktioniert. Skip und Scooter wieder vereint.« Er winkte dem Kellner, der herbeieilte. »Wir nehmen den Pecan Shortcake mit heißer Fondantsauce. Zwei Löffel bitte.«
Als der Kellner sich entfernt hatte, beugte sie sich vor und sprach nun im Flüsterton. »Weißt du, wie ich die beiden hasse? Lass es mich aufzählen. Ich hasse sie dafür, dass sie meine Kindheit verdorben haben …«
»Du warst sechzehn, als die Serie losging. Nicht gerade ein Kind.«
»Aber Scooter war erst vierzehn, und ich war naiv.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Ich hasse dich dafür, dass du mich vor den Schauspielern, der Crew, der Presse, vor allen in Verlegenheit gebracht hast – mit deinen blöden Streichen.«
»Wer konnte denn ahnen, dass du darauf hereinfällst?«
»Ich hasse dich für all die Stunden, die ich auf dem Set herumsaß und auf dich gewartet habe.«
»Das war zugegebenermaßen unprofessionell. Aber du hast die Zeit mit Bücherlesen überbrückt, also solltest du mir für deine hervorragende Bildung dankbar sein.«
»Und für deine Skandalgeschichten, die dazu geführt haben, dass man uns absetzte, und die mich Millionen gekostet haben.«
»Dich? Was ist mit den Millionen, die mich das selbst gekostet hat?«
»Darüber kann ich mich wenigstens freuen.«