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Beschreibung

Wir leben in einer Ära des Übergangs – weg vom fossilen Zeitalter und hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft. Eine wahrhaft historische Aufgabe, bei der es um viel geht. Der Weg dahin stellt uns vor gewaltige Herausforderungen. Gewohntes wird infrage gestellt. Viele blicken mit Sorge auf das, was kommt. Gesellschaftliche Spannungen wachsen. Dieser Band versammelt hochkarätige Autorinnen und Autoren, die der Frage nachgehen: Wie können wir die Transformation so gestalten, dass unsere Gesellschaft bei all der Veränderung zusammenbleibt? Und woraus können wir die Zuversicht schöpfen, um gemeinsam die Chancen des Neuen mutig zu ergreifen?

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Winfried Kretschmann (Hg.)

Aus Zuversicht Wirklichkeit machen

Aus Zuversicht Wirklichkeit machen

Gedanken zum Zusammenhalt in Zeiten des Umbruchs

Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf

Umschlagmotiv: © Dmitr1ch / GettyImages

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, Timișoara

ISBN Print: 978-3-451-39841-4

ISBN E-Book (E-PUB): 978-3-451-83416-5

ISBN E-Book (PDF): 978-3-451-83418-9

Inhalt

EinleitungWINFRIED KRETSCHMANN

Transformation braucht MehrheitenJOACHIM GAUCK

Kapitel I: Ein Update für die Demokratie

Über das Verhältnis von Zusammenhalt und FreiheitJAN-WERNER MÜLLER

Zusammen wachsen – Für eine konkrete Ethik der sozial-ökologischen TransformationMARKUS GABRIEL

Demokratie im Transformationsstress – Lässt sich Bürgersinn fördern? FELIX HEIDENREICH

Freiheit – oder: Warum es mehr Politik brauchtISABELLE-CHRISTINE PANRECK

Nachhaltigkeit muss durch die Freiheit gehenPHILIPP KROHN

Klimawandel als Bewährungsprobe der offenen GesellschaftRALF FÜCKS

Wider die große Geste, oder: der evolutionäre Modus der DemokratieARMIN NASSEHI

Kapitel II: Streiten, sprechen, gemeinsam handeln

Konflikt und Konsens – Was uns trennt und was uns eintSTEFFEN MAU

Die Kunst des Miteinander-Redens in Zeiten des HassesBERNHARD PÖRKSEN

Klimaschutz sozial gerecht gestaltenANITA ENGELS

Neurowissenschaften und Klimapolitik – Warum wir dringend eine neue Reifeprüfung brauchenMAREN URNER

Transformation braucht EmotionJOHANNES HILLJE

Kapitel III: Dialog und Engagement machen den Unterschied

Politik des Gehörtwerdens – Eine baden-württembergische ErfolgsgeschichteBARBARA BOSCH

Den Bürger nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung betrachtenBENNO STIEBER

Mit Bürgerenergie gegen die KlimakriseLAURA ZÖCKLER

Die Bemühten der EbeneWOLF LOTTER

Kapitel IV: Wandel managen und Zukunft sichern

Raus aus der StimmungsfalleSTEFAN HARTUNG

Unternehmen als Gestalter der TransformationENRICO DE MONTE UND HANNA HOTTENROTT

Die Verantwortung der Wirtschaft – Sorgen und Hoffnungen der Belegschaft einbeziehenROMAN ZITZELSBERGER

Kapitel V: Wahrnehmung und Selbstbilder in der Transformation

Klimakrise und Demokratie – ein Paradox? AXEL SALHEISER

Wer sind die Klimaskeptiker, und wie kann Vertrauen zurückgewonnen werden? MARC DEBUS

Doppelter Transformationsschock und gesellschaftlicher Zusammenhalt – Effekte des LebensumfeldsEVERHARD HOLTMANN, TOBIAS JAECK UND ISABEL MÜLLER

Don’t do that: Die Nachwendezeit als Worst Practice sozialer TransformationCHRISTIAN BANGEL

Kapitel VI: Aus Zuversicht Wirklichkeit machen

Für eine Politik der tätigen ZuversichtROBERT HABECK

Nicht warten, einfach machenCLARA SCHWEIZER

Kleine Schritte statt großer WortePETER UNFRIED

Aus Zuversicht Wirklichkeit machen – ein SchlusswortWINFRIED KRETSCHMANN

 

Anmerkungen

Über die Autorinnen und Autoren

Über den Herausgeber

Einleitung

WINFRIED KRETSCHMANN

Unter der Überschrift der ökologischen Transformation findet derzeit ein gewaltiger Umbruch statt. Er reicht weiter und tiefer, als es der so technisch daherkommende Begriff nahelegt. Denn es geht um weit mehr, als fossile durch erneuerbare Energie zu ersetzen – was im Übrigen schon schwer genug ist. Es geht um wirtschaftliche Interessen, Geschäftsmodelle und Wohlstand. Und es geht um die Veränderung der eigenen Lebenswelt, um tägliche Routinen, Mobilität, Wohnen, Arbeitsplätze.

Manche begegnen dieser Veränderung mit Lust, andere mit Frust. Vielen stecken die jüngsten Krisen noch in den Knochen, auch deshalb blicken sie mit Sorge auf das, was kommt. Manche fürchten, bei all dem Wandel nicht mehr mithalten zu können, einige fühlen sich bevormundet. Autoritäre Kräfte nutzen das aus. Sie propagieren scheinbar einfache Lösungen und winken mit Tickets in eine Vergangenheit, in die aber niemand mehr zurückkann. Sie schüren Ängste und befeuern die Verunsicherung. Das setzt unsere liberale Demokratie unter eine erhebliche Spannung: Einerseits müssen wir uns zügig von den fossilen Energien verabschieden, sonst gefährden wir das Überleben unserer Zivilisation. Andererseits müssen wir die Transformation so gestalten, dass darüber unsere Gesellschaften nicht auseinanderfallen und unsere Demokratie nicht zerbricht.

Altbundespräsident Joachim Gauck zitiert hierzu Antonio Gramsci, der vor der Krisenhaftigkeit jener Zeit gewarnt hat, in der das Alte stirbt, das Neue aber noch nicht zur Welt kommen kann. Auch wenn Gramsci dabei nicht die ökologische Transformation im Sinn hatte, trifft seine Beschreibung den Punkt: Was brauchen wir, was müssen wir tun, was sollten wir lassen, damit wir das Klima erfolgreich schützen, unseren Wohlstand erneuern und die Gesellschaft auf diesem Weg zusammenhalten? Davon handelt dieses Buch. Es ist im Nachgang zur Tagung „Gemeinsam handeln – die Gesellschaft in der Transformation zusammenhalten“ entstanden, die im Oktober 2023 in Mannheim stattfand.

Die ökologische Transformation und der gesellschaftliche Zusammenhalt – das sind nicht nur wissenschaftlich bedeutsame Themen. Sie sind auch die Leitmotive meines eigenen politischen Handelns. Auch deshalb bin ich sehr froh und dankbar, dass so viele hervorragende Autorinnen und Autoren bereit waren, an diesem Projekt mitzuwirken.

Allen voran Altbundespräsident Joachim Gauck, der in seinem einleitenden Beitrag eine Standortbestimmung vornimmt und sich der Frage widmet, was wir für eine erfolgreiche Transformation brauchen: Mehrheiten für eine rationale Politik. Und diese Mehrheiten, so seine These, kommen nur zustande, wenn es wirkmächtige Erzählungen vom Gelingen der ökologischen Transformation gibt. Wenn wir davon erzählen, wie man die Transformation zum Erfolg macht. Wenn die Zivilgesellschaft dieses Jahrhundertthema zu ihrem eigenen macht. Und wenn politisch Verantwortliche das nötige Fingerspitzengefühl aufbringen, damit sich Menschen nicht vom Veränderungsdruck übermannt fühlen.

Im Kapitel „Ein Update für die Demokratie“ geht es um die normativen Grundlagen für die Demokratie in Zeiten der Transformation, um das Verhältnis von Konflikten, Streit, Zusammenhalt und Freiheit. Und warum Freiheit – auch wirtschaftliche – heute ein entscheidender Faktor ist, um durch Veränderungen die Freiheit von morgen zu ermöglichen. Dabei müsse der Modus der Veränderung evolutionär sein, um Kompromisse zu ermöglichen und Loyalitäten zu erhalten.

Die empirischen Befunde zu der normativen Debatte liefert das zweite Kapitel: „Streiten, sprechen, gemeinsam handeln“. Wie viel Konsens, wie viel Spaltung gibt es denn tatsächlich in unserer Gesellschaft? Wie gelingt es, in Zeiten von Umbruch und Konflikten, von wachsender Abneigung gegenüber anderen Positionen, ja von zunehmendem Hass auf Andersdenkende miteinander zu reden? Wie viel Emotion und vor allem welche Emotion braucht das Sprechen über die Transformation, um konstruktive Klimapolitik zu befördern? Und wie bekommen wir eine faire Verteilung von Kosten, Nutzen und Verantwortung in der Klimapolitik hin?

Noch konkreter wird es im darauffolgenden Abschnitt „Dialog und Engagement machen den Unterschied “. Hier geht es darum, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht in erster Linie das Objekt der Transformation sind, sondern sie als Subjekte mitgestalten: In der „Politik des Gehörtwerdens“, die nicht nur ein Markenzeichen meiner Amtszeit geworden ist, sondern ein wichtiger Weg, um in einer sich weiter differenzierenden Gesellschaft sicherzustellen, dass die Vielfalt der Meinungen bei Entscheidungen berücksichtigt wird. Aber die Menschen wirken auch durch direktes Engagement, beispielsweise beim Aufbau von Bürgerenergie-Genossenschaften. Beides kann helfen, eine Transformationskultur wachsen zu lassen, die selbstverständlich von der Überzeugung und dem Engagement der Menschen getragen wird, ohne dass es dafür einer Vielzahl staatlicher Normen bedarf.

Die Rolle der Unternehmen und der Belegschaften wird im Kapitel „Wandel managen und Zukunft sichern“ beleuchtet. Und diese Rolle ist zentral. Denn die Unternehmen müssen die technischen Lösungen anbieten, mit denen wir unseren Wohlstand klimaneutral erwirtschaften können. Dabei brauchen sie klare Rahmenbedingungen und Ziele von Seiten der Politik, aber auch Freiheiten bei der Umsetzung. Der Erfindergeist und die Kreativität von Unternehmen und Start-ups und das Engagement der Beschäftigten bergen ein enormes Potenzial für die ökologische Transformation, das wir bestmöglich nutzen müssen.

Das fünfte Kapitel „Wahrnehmungen und Selbstbilder in der Transformation“ beleuchtet die gesellschaftlichen Wirkungen von Transformationsprozessen. Dabei geht es darum, wer die Transformationsskeptiker sind und wie diese gezielt angesprochen werden könnten. Es geht um Fragen von Partizipation, Selbstwirksamkeit und Vertrauen. Und darum, welche Lehren aus dem Transformationsprozess zu ziehen sind, den die neuen Bundesländer in den vergangenen Jahrzehnten durchlaufen haben.

Im abschließenden Abschnitt „Aus Zuversicht Wirklichkeit machen“ versammeln sich Plädoyers für einen Weg der „tätigen Zuversicht“ – etwa von Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Statt über die Größe der Aufgabe ein wortreiches Lamento anzustimmen und die ökologische Transformation vor allem als moralisches Dilemma zu begreifen, komme es auf die gelebte Praxis an: auf Hartnäckigkeit, Mut und Risikobereitschaft einerseits, aber auch auf die Fähigkeit zum Kompromiss und zum gemeinsamen Handeln. Am Ende sei erfolgreicher Klimaschutz eben die Summe einer Vielzahl von kleinen Schritten, die gemeinsam zum Ziel führen.

Mir bleibt an dieser Stelle nur, mich bei allen Autorinnen und Autoren herzlich dafür zu bedanken, dass sie dieses Buch möglich gemacht haben: mit klugen Analysen, profunder Fachexpertise, einem realistischen Blick und visionärer Kraft. Mein Dank gilt darüber hinaus allen, ohne deren Mithilfe ein solches Werk nicht hätte entstehen können.

Ich hoffe, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf den folgenden Seiten viele Erkenntnisse und Denkanstöße finden, die Sie zum Nach- und Weiterdenken, aber gerne auch zum Widerspruch oder zum Streit animieren. Besonders freuen würde ich mich, wenn wir Sie für den Club derer gewinnen würden, die den Wandel mit tätiger Zuversicht mitgestalten.

Transformation braucht Mehrheiten

JOACHIM GAUCK

Es ist vielfach beschrieben und diagnostiziert worden: Wir leben in Zeiten von Polykrisen, Krisen, die nicht aufeinanderfolgen, sondern sich überschneiden, manchmal gegenseitig verstärken und uns auf teils erschreckende Weise mit den Versäumnissen unserer Politik konfrontieren. Infolge der Corona-Pandemie wurde uns so recht bewusst, in welch hohem Maße wir wirtschaftlich in vielen Bereichen von China abhängig sind. Infolge der russischen Invasion in die Ukraine 2022 erkannten wir erschrocken, dass die europäische Sicherheit ernsthaft gefährdet ist und Deutschland seine Verteidigungsbereitschaft sträflich vernachlässigt hat. Gleichzeitig ist Amerika in seiner Rolle als Führungsmacht einer liberalen, regelbasierten Ordnung geschwächt, während China und Russland und weitere autoritäre Staaten in Asien, im Nahen Osten, in Afrika und Lateinamerika auf eine Neugestaltung von Einflusssphären setzen.

Zu den geopolitischen Unsicherheiten gesellten sich weitere große ungelöste Probleme, die Fragen nach der Zukunftstauglichkeit unserer Gesellschaftsmodelle berühren. Nicht zuletzt fragen wir uns: Wie kann es gelingen, den globalen Klimawandel zu verlangsamen und zu beschränken? Wie lösen wir uns aus dem fossilen Zeitalter, das uns hohe Lebensqualität, eine starke Wirtschaft und gute Jobs beschert hat? Wie schaffen wir es, unseren erfolgreichen Weg klimaneutral fortzusetzen?

Ich kann an dieser Stelle keine politische Handlungsanleitung geben, wie Klimaneutralität mit konkreten Schritten umgesetzt werden kann. Aber mit diesem Beitrag will ich einen Teil zur Debatte beisteuern, wie die gewaltige Transformation gelingen kann, die sich auf die Politik insgesamt, die Gesellschaft und unsere Art zu wirtschaften auswirkt. Wenn ich mich als Mensch fortgeschrittenen Alters hier zu Wort melde, so will ich auch daran mitwirken, dass meine Kinder, Enkel und Urenkel eine lebenswerte Zukunft haben. Und als Christ möchte ich zudem, dass wir uns stärker bemühen, die Schöpfung zu bewahren, statt sie zu zerstören.

Lassen Sie mich den Fokus über das Klima und die Transformation unseres Wirtschaftsmodells zunächst etwas weiten und einen Schritt zurücktreten. Der italienische Philosoph, Schriftsteller und Politiker Antonio Gramsci hat über jenen gefährlichen Moment einer Krise, in dem das Alte stirbt, das Neue aber noch nicht zur Welt kommen kann, geschrieben: „In diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“ Diese Beobachtung können wir wahrlich auf verschiedene Erschütterungen beziehen, denen unsere liberale Demokratie seit geraumer Zeit widerstehen muss.

Wenn wir heute auf unser Land und in die Welt schauen, dann sehen wir disruptive Entwicklungen, neue Bedrohungen, die uns überrascht haben, Kriege und Konflikte, die uns unvorbereitet treffen, die unser außen- und sicherheitspolitisches Handeln völlig neu herausfordern. Die Feinde der Freiheit fordern uns heraus. Die mörderischen Terrorakte der Hamas bedrohen die Sicherheit Israels. In seinem neoimperialen Wahn versucht Russland die Souveränität der demokratischen Ukraine zu beseitigen und ihre Menschen auszulöschen oder zu assimilieren. Auch im Innern nehmen wir wahr, dass die liberale Demokratie unter Druck gerät, dass das politische Machtgefüge sich verändert, die gesellschaftliche Polarisierung zunimmt und dass autoritäre, populistische Kräfte den Pluralismus und die Rechtsstaatlichkeit infrage stellen.

Ich habe zu dieser doppelten Bedrohung, der die liberale Demokratie ausgesetzt ist, ein Buch mit dem Titel Erschütterungen veröffentlicht, weil ich mir ernste Sorgen mache. Unsere Demokratie erscheint mir manchmal wie ein Gelände, in dem die Bürgerinnen und Bürger – aber auch die Politik – zu lange sorglos in den Tag lebten und dabei ignorierten, dass ihnen von außen und innen Gefahren drohten. Diese Sorglosigkeit gilt auch für die Klimakrise, die sich nicht nur wie ein Hintergrundrauschen bemerkbar macht, sondern für eine nachhaltige Verunsicherung sorgt. Denn auch der Wandel des Klimas ist eine Herausforderung für die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit unserer liberalen Demokratie. Es sprengt in der Tat die Grenzen unserer Vorstellungskraft, was geschehen mag, wenn die globale Erderwärmung außer Kontrolle gerät.

Und dennoch müssen wir uns den Fakten stellen: Extreme Wetterphänomene sind keine abstrakten Szenarien, klimatische Veränderungen führen schon heute dazu, dass Ernten ausbleiben und Lebensräume durch Naturkatastrophen zerstört werden. In Deutschland realisieren wir auch, dass wir eben nicht zu den Vorreitern im Bereich Nachhaltigkeit gehören und die ökologische Modernisierung ein Stück weit verschlafen haben. Der russische Angriffskrieg hat zudem offenbart, dass die Energieversorgung unseres Landes auf tönernen Füßen stand und dass wir beim Thema Erneuerbare großen Nachholbedarf haben.

Hoffnung macht mir aber, dass gesellschaftlich wie politisch ein dringender Handlungsbedarf erkannt wurde: Klimaschutz ist parteiübergreifend ein Thema, das ernst genommen wird. So scheint es mir wichtig festzuhalten, dass alle im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien sich zum Pariser Klimaabkommen von 2015 bekennen. Und diese Verpflichtung bedeutet, dass Deutschland dazu beiträgt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Bereits in 22 Jahren will unser Land CO2-neutral wirtschaften. Dies ist eine gigantische Aufgabe für uns alle.

Den meisten Menschen ist bewusst, dass wir im Anthropozän leben, in dem wir Menschen zur bestimmenden Kraft in Umwelt und Klima geworden sind, weil wir massiv und über lange Zeit in die Naturkreisläufe eingreifen. Dass wirksames politisches Handeln dringend geboten ist, um die globale Erhitzung einzudämmen, daran erinnert uns eine außerordentlich wache und aktive Zivilgesellschaft, die sich selbstorganisiert in den Diskurs über die Klimapolitik überall in Europa und darüber hinaus einbringt. Einige Protestformen halte ich zwar für wenig zielführend. Aber ich freue mich auch über jedes konstruktive Engagement von jungen Menschen, die sich für zuständig erklären und Verantwortung für sich und ihre Zukunft übernehmen. Laut einer Eurobarometer-Umfrage ist eine überwiegende Mehrheit der Europäer der Ansicht, dass der Klimawandel ein ernstes Problem für die Welt ist. Dort, wo die Politik zu langsam oder wenig ambitioniert agiert, gibt es Kontrollmechanismen, die greifen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem wegweisenden Urteil darauf hingewiesen, dass Freiheit für die kommenden Generationen nur im Rahmen einer intakten Natur und eines stabilen Klimas möglich sein wird.

Der russische Angriffskrieg und die daraus resultierenden hohen Energiepreise haben vielen Menschen vor Augen geführt, dass Abhängigkeiten von nichtdemokratischen Energielieferanten enorme Gefahren bergen. Überhaupt profitieren autoritäre, monarchistische und diktatorische Staaten überproportional von unserem immer noch ungestillten Hunger nach fossilen Energieträgern, und nicht selten werden Gewinne genutzt, um nicht nur das eigene Regime zu stützen, sondern auch um religiöse Fanatiker und Terroristen zu unterstützen. Wir erkennen: Das Thema Klima lässt sich schon lange nicht mehr vom Thema Sicherheit trennen – nicht nur, was die langfristigen Folgen anbelangt.

Ich neige bekanntlich nicht zum Alarmismus. Aber es besteht doch kaum ein Zweifel daran, dass sich das Klima jetzt schon merklich wandelt. Wir wissen, dass sich die weltweite Erhitzung am oberen Rand der von den Klimamodellen vorhergesagten Temperaturen bewegt. Im Juli 2023 wurden mehrere traurige Weltrekorde für die höchsten je gemessenen Werte aufgestellt. Der September 2023 war in Deutschland im Durchschnitt 3,4 Grad Celsius wärmer als in den letzten 30 Jahren. Das Robert Koch-Institut schätzt die Zahl der hitzebedingten Sterbefälle im Jahr 2023 auf 3200.

Wenn wir ehrlich sind, ist es dennoch mitunter so: „Wir fühlen zwar, dass vieles nicht in Ordnung ist, aber bitte heute noch keinen Preis dafür, noch keine Aufgabe dafür, noch keine Last dafür übernehmen.“ Diese Worte stammen nicht von mir, sondern von der ehemaligen Umweltministerin Angela Merkel.

Das Statement von 1997 macht deutlich, dass es uns nicht leichtfällt, uns auf diese Welt der Transformation einzustellen und zu erkennen, was wir zu tun haben. So geht das Zitat weiter: „Wenn ihr es heute nicht macht, wird es euren Kindern und Enkelkindern doppelt, dreifach teurer.“

Angesichts multipler und teilweise globaler Krisen, auch angesichts der zahlreichen Umwälzungen der modernen Welt – von IT-Revolution und Globalisierung über künstliche Intelligenz bis zur Migrationsproblematik – ist die Beschäftigung mit äußerst bedrohlich wirkenden Zukunftsszenarien nicht für alle Menschen selbstverständlich. Was schwierig ist, wird von vielen Menschen zunächst erstmal gemieden. Nicht jeder will wissen, was es bedeutet, dass wir uns Kipppunkten nähern, dass die Polkappen abschmelzen und Permafrostböden auftauen. Diese Entwicklungen rufen doch Gefühle der Ohnmacht, der tiefen Sorge und auch der Ängste hervor.

Für viele Menschen hat sich das Gefühl der Sicherheit reduziert. Und so komme ich zurück auf diesen Moment, den Gramsci beschreibt: Wir stehen am Beginn einer neuen Epoche, in der die Nutzung der fossilen Energie zu Ende geht. Und es geht jetzt darum, eine Wirtschaft, die 250 Jahre mit Kohle, Öl und Gas betrieben wurde, innerhalb der nächsten Jahre komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Noch haben wir dies als Gesellschaft nicht vollständig verinnerlicht: Aber die Transformation erfordert eine schnelle Dekarbonisierung der Wirtschaft und ihrer Produkte. Und als Industrieland kommt Deutschland hierbei eine zentrale Rolle und auch international große Verantwortung zu.

Unsere Mentalitäten und Gewohnheiten müssen sich ändern, aber es mangelt uns doch auch an der Vorstellungskraft, wie wir diese Jahrhundertaufgabe bewältigen wollen – zusätzlich zu all den anderen Aufgaben, die auf der politischen Agenda stehen. Wir erkennen: Wir stehen vor epochalen Herausforderungen, nicht nur ökonomisch und ökologisch, sondern auch gesellschaftlich. Wir sehen auch, dass wir uns in einem globalen Umfeld befinden, dass wir innerhalb der EU und der internationalen Gemeinschaft abgestimmt handeln müssen, dass wir Verantwortung tragen auch für Staaten, die besonders unter den Folgen der Klimaveränderung leiden oder die bei der Einsparung von CO2 unsere Unterstützung benötigen.

Für die anbrechende neue Zeit brauchen wir auch neue Erzählungen, die es uns erlauben, an das Gelingen der komplexen ökologischen Transformation zu glauben. Daher spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann völlig zu Recht davon, dass die vor uns liegenden Aufgaben eben nicht nur eine Jahrhundertherausforderung, sondern auch eine Jahrhundertchance sind. Ich glaube, dass wir diese Art der Zuversicht dringend brauchen. Und ich bin mir sicher, dass sie angesichts der schöpferischen Kraft, die in diesem Land und in diesen Menschen steckt, auch angebracht ist.

Unser Land hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine beispiellose Erfolgsgeschichte erlebt – Demokratiewunder, Wirtschaftswunder, Westbindung, Wiedervereinigung, europäische Integration, Sicherheit und Wohlstand – politische und wirtschaftliche Stabilität. Nun schreiben wir ein neues Kapitel. Gibt es so etwas wie eine positive Zukunftsvision? „Das Land, das als erstes die Klima- und Ressourcenneutralität erreicht, hat seine wirtschaftliche Basis auf den Weltmärkten für Jahrzehnte gesichert“, hat ein deutscher Ökonom gesagt. Und gerade das Hochtechnologieland Baden-Württemberg hat dabei mehr zu gewinnen als zu verlieren. Nachhaltige Zukunftstechnologien sind längst Wachstumstreiber und Exportschlager.

Politisch ist dabei entscheidend, welche Erzählung sich durchsetzt. Bis heute hält sich das Bild von einer Gegnerschaft zwischen Wirtschaft und Umweltschutz in vielen deutschen Köpfen oder von der Notwendigkeit einer Aussöhnung zwischen Wirtschaft und Umweltschutz. Heute und künftig wird es aber so sein, dass Umweltschutz nicht nur mit Wohlstand vereinbar ist, sondern dass er zu einem tragenden Geschäftsmodell wird. Trotz Herausforderungen durch Auflagen und steigende CO2-Preise erwarten viele Großunternehmen laut einer Umfrage der Kreditanstalt für Wiederaufbau positive – oder zumindest keine negativen – Auswirkungen auf ihre Wettbewerbsfähigkeit durch die Umstellung auf Klimaneutralität. Die anbrechende Ära gehört den Unternehmen, die Umweltschutz und Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsmodelle integrieren. Diejenigen, die innovative Lösungen für ökologische Herausforderungen entwickeln, werden die wirtschaftlichen Pioniere der Zukunft sein. Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch festhalten: Die Wirtschaft braucht für eine erfolgreiche Transformation klare und verlässliche Vorgaben des Staates. Der Staat muss mit seinen Rahmenbedingungen, die er setzt, berechenbar sein. Es wird dabei nicht nur Gewinner geben. Schon aus den strukturellen Umbrüchen der Vergangenheit wissen wir um die Härten eines solchen Prozesses, den wir mit den Mitteln der sozialen Marktwirtschaft begleiten müssen. Wenn neue Arbeitsplätze entstehen und alte ersetzt werden, dann muss der Staat Orientierung und Unterstützung bieten. Wir wollen auch nicht, dass Unternehmen abwandern, weil sie andernorts bessere Rahmenbedingungen vorfinden. Essenziell für den Erfolg sind dabei verlässliche wirtschaftliche Anreize, schlanke Planungs- und Genehmigungsverfahren und nicht zuletzt eine leistungsfähige Verwaltung.

Die Richtung, die wir einschlagen müssen, ist klar: Die von Menschen verursachte Erderhitzung kann auch von Menschen gestoppt werden. Darin besteht unsere kollektive Verantwortung. Klimaschutz und Wohlstand, Ökonomie und Ökologie sind eben keine Widersprüche, sondern eine Formel für die klimaneutrale Zukunft.

Allerdings ist das, was ich bisher beschrieben habe, nur ein Teil der Wahrheit. Auch wenn wir ihn als gesamtgesellschaftliche, gemeinsame große Aufgabe definieren: Der Weg in das postfossile Zeitalter ist eben nicht nur verlockend und beglückend – wie unsere Idealisten meinen. Die Transformation erzeugt nicht nur neue Chancen. Sie bringt zur gleichen Zeit auch neue Ängste hervor, die in Teilen der Gesellschaft das Gefühl, wir lebten in einer Dauerkrise, verstärken. Wir haben bei der Diskussion über das Heizungserneuerungsgesetz gesehen, welches Konflikt- und Empörungspotenzial bei Veränderungen lauert, die die private Lebenswirklichkeit der Menschen in unserem Land betreffen. Empörungspotenzial bei Veränderungen ist normal und eine historische Kontinuität. Bei forciertem Wandel gibt es immer auch ein ganz starkes Anwachsen der Angstpotenziale – übrigens in jeder Gesellschaft.

Es ist offensichtlich: Die Dekarbonisierung bringt Veränderungen in der Wirtschaft und Gesellschaft mit sich und erfordert Anpassungsfähigkeit. Auch das hat Ministerpräsident Kretschmann erkannt, wenn er davon spricht, dass die Politik die Menschen mitnehmen muss auf dem Weg in die klimaneutrale Zukunft. Die Anpassungsfähigkeit ist also etwas, worum wir uns ernsthaft gemeinsam bemühen müssen. Die Zivilgesellschaft, die debattiert, und die Politik, die gestaltet. Die Politik muss die Menschen mitnehmen, sie muss nicht nur die progressivsten Zeitvorstellungen umsetzen, sondern sie benötigt ein Schrittmaß, welches es uns erlaubt, auch in Zukunft breite Mehrheiten für eine rationale Politik zu erhalten.

Die Frage des Klimawandels darf nicht zum Gegenstand eines neuen Kulturkampfes werden, der tiefe ideologische Gräben aufreißt. Einige Vertreter linker Ideologien sehen die Klimakrise als Anlass, den Kampf gegen den Kapitalismus neu zu entfachen. Sie halten einen Lebensstil für unumgänglich, der auf dem Prinzip „Weniger ist mehr“ basiert. Auf der anderen Seite gibt es reaktionäre und libertäre Kräfte, die jeden staatlichen Eingriff in den Markt als übertriebene Regulierung ablehnen und als Einschränkung persönlicher Freiheiten betrachten. Selbst Maßnahmen von Investmentunternehmen, die Umwelt, soziale Belange und gute Unternehmensführung berücksichtigen, stoßen bei ihnen auf Ablehnung, da sie diese als Anbiederung an einen vermeintlich übertriebenen „Zeitgeist“ betrachten.

In dieser holzschnittartigen Debatte wird deutlich, dass es einen ideologischen Konflikt darüber gibt, wie unsere Gesellschaft mit der Klimakrise umgehen sollte. Die Aufgabe der demokratischen Mitte liegt darin, diese Diskussion respektvoll zu führen und gemeinsame Lösungen zu finden und umzusetzen.

Unseren Wohlstand und unsere Freiheit können wir nur wahren und mehren, wenn uns die Gestaltung des Weges in das postfossile Zeitalter gelingt. Wir stehen also vor einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, an der alle Parteien des demokratischen Spektrums, von progressiv bis konservativ, mitwirken müssen. Für diese Aufgabe sind breite demokratische Mehrheiten unerlässlich. Schon jetzt wird um die besten Instrumente und Schritte gerungen. Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz und der grünliberale Vordenker Ralf Fücks haben zu Recht festgestellt: „Wer die liberale Moderne verteidigen will, muss die ökologischen Folgekosten der Freiheit in Rechnung stellen. Im Kern geht es darum, Umweltgüter mit einem adäquaten Preis zu versehen und damit Anreize für ökologische Innovationen und neue Geschäftsmodelle zu schaffen.“ Es klingt paradox: Aber um die Freiheit und den Wohlstand auch in einer klimaneutralen Zukunft bewahren zu können, müssen wir bereit sein, viele Dinge zu verändern – auch solche, die unsere bisherige Lebensweise betreffen. Für einen Teil unserer Gesellschaft stellt diese Aussicht eine Bedrohung dar. Diese Bedrohung aktiviert eine „autoritäre Disposition“, die Sehnsucht nach Gewissheit und Sicherheit, nach Homogenität und Ordnung. Die Verhaltensökonomin Karen Stenner hat festgestellt, dass in den europäischen Demokratien gut 30 Prozent der Bevölkerung eine derartige Prägung aufweisen. Prinzipiell kann diese Disposition, die grundsätzlich nicht negativ zu bewerten ist, im rechten wie im linken politischen Spektrum auftauchen. Das Ziel ist stets eine schützende homogene Wir-Gruppe, welche allen, die ihr angehören, dieselben Normen und Verhaltensweisen vorgibt und Gewissheit verspricht. Freiheit ist dieser Gruppe weniger wichtig als Sicherheit, Wandel und Risiko werden als bedrohlich angesehen. Der außergewöhnlich große Wandel, der diese Zeit prägt, führt zu einer Häufung und Intensivierung der in dieser Gruppe vorhandenen Ängste. In dieser Situation erstarken die populistischen Kräfte, sie wissen, politisch zu instrumentalisieren, was die betreffenden Menschen ängstigt oder verunsichert. Wir haben es mit sehr starken Mobilisationsfaktoren zu tun: Realer oder befürchteter Normen- bzw. Kontrollverlust führt dann zu Schüben von Intoleranz und Radikalisierung. Wenn wir die jüngere Vergangenheit betrachten – insbesondere die neuen Allianzen, die während der Corona-Pandemie und nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entstanden sind –, sehen wir mit Erschrecken, dass eine Querfront entstanden ist, die die „Misstrauensgemeinschaft“ unzufriedener Bürger dauerhaft zum Reservoir einer systemfeindlichen Politik machen möchte. Elitenkritik, Antipluralismus und die Infragestellung der repräsentativen Demokratie betreffen immer stärker auch das Feld der Klimapolitik. Schon seit der Bundestagswahl 2017 versucht die AfD gezielt, Wähler anzusprechen, die am menschengemachten Klimawandel zweifeln.

Wir befinden uns in einem Moment in der Geschichte unseres Landes, in dem wir die lange Phase des wirtschaftlichen Erfolgs nur fortsetzen können, wenn wir den Mut zu Veränderungen aufbringen. Nicht das Beharren auf alten Gewissheiten, ständiges Jammern und Klagen oder gar das Aussprechen wütender Schuldzuweisungen werden uns in Zukunft Wohlstand ermöglichen, sondern nur die Bereitschaft, den Wandel aktiv zu gestalten.

Wenn wir unser Erfolgsmodell erhalten wollen, müssen wir Antworten auf die Frage finden: Welche Veränderungen erfordern die Fehlentwicklungen der Vergangenheit und die Entwicklungstrends der Gegenwart? Es liegt an uns, diese Herausforderungen nicht nur als Bedrohungen zu sehen, sondern als Anstoß für einen konstruktiven Wandel, der unser Land in eine bessere Zukunft führt. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wären es Neugier und Begeisterung für die Zukunft, die wir gemeinsam gestalten werden.

Wenn wir den Blick über Deutschland hinaus weiten, dann sehen wir, dass sich die Dinge bewegen. In den USA versucht Präsident Biden mit massiven Investitionen nicht nur der Klimaneutralität näherzukommen, sondern auch Jobs und Innovationskraft des Landes zu stärken. Die EU hat mit dem Green New Deal einen ähnlichen Weg eingeschlagen. Wir könnten auch die Geschichten erzählen, die Vorreiter in Sachen nachhaltiger Energie weltweit schreiben: Ein Land wie Kenia bezieht seine Energie schon heute zu 90 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Island nutzt erneuerbare Energiequellen wie Geothermie und Wasserkraft für nahezu 100 Prozent seiner Energiebedürfnisse. Dänemark ist führend in der Windenergieproduktion.

Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, die Transformation zur Klimaneutralität mit deutschem und baden-württembergischem Erfinder- und Innovationsgeist zu meistern. Gerade der demokratische Wettstreit um die besten Ideen bietet uns einen politischen Gestaltungsraum, der es erlaubt, sich der rasant verändernden Welt anzupassen, und die Marktwirtschaft kann innovative Lösungen hervorbringen.

Gleichzeitig müssen wir alle Menschen in unserem Land stärker einbeziehen, auch jene, denen diese Veränderungen Angst machen. Das Image des „Kümmerers“ darf nicht zum Aushängeschild und Markenzeichen radikaler Kräfte werden. Deshalb brauchen wir neue Formate und Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung und auch zur Teilhabe auf kommunaler Ebene, wie es sie beispielsweise bei Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien bereits gibt. Eine starke Zivilgesellschaft macht es zudem Extremisten und Populisten deutlich schwerer, mit ihren Sirenengesängen zu verfangen.

Unabdingbar scheint mir neben realistischen politischen Konzepten auch eine deutliche Stärkung der politischen Kommunikation. Es ist wichtig, dass die Politik die Balance zwischen dem Schutz der Umwelt und den Bedürfnissen und Sorgen der Menschen findet. Dies erfordert eine sorgfältige Abwägung und einen offenen Dialog, um sicherzustellen, dass möglichst wenige in dieser Phase der Transformation verloren gehen.

Wenn sich die Komplexität der politischen Probleme erhöht, dann muss Politik ihre Botschaften anpassen, um zu den Wählerinnen und Wählern durchzudringen. Wenn ich nun zu einfachen Botschaften ermuntere, dann ist damit kein billiger Populismus gemeint. Lösungsorientierte Politik verführt nicht. Sie arbeitet nicht mit Ressentiments. Ich meine eine erhellende Vereinfachung, die es uns erlaubt, Probleme genau zu beschreiben, und die Schritte benennt, die erforderlich sind, um Lösungen näher zu kommen. Mehr als je zuvor ist mir in den letzten Jahren bewusst geworden: Ohne gelingende – also verbesserte – politische Kommunikation wird es schwer sein, die liberale Demokratie zu bewahren und zu schützen.

Mir ist durchaus bewusst: Der Teufel steckt im Detail, und wofür es im Allgemeinen große Zustimmung gibt, das scheitert im Konkreten dann doch. Wandel gerne, aber doch bitte nicht vor meiner Haustür. Klar ist: Ohne eine kräftezehrende und kleinteilige Überzeugungsarbeit werden sich viele Projekte nicht realisieren lassen, weil es an der notwendigen Zustimmung fehlt und man sich in einer offenen Gesellschaft auch mit großer Kreativität und Leidenschaft dem Verhindern widmen kann. Im Wissen darum wird dann die Gestaltungsform des Kompromisses zu verteidigen sein, denn hinter ihm können sich große Mehrheiten versammeln. Nicht das Streben nach Perfektion wird uns den Wandel erfolgreich gestalten lassen, sondern die Suche nach dem bestmöglichen Kompromiss, hinter den sich die innovativen Erfindergeister und Zukunftsenthusiasten genauso stellen wie die beständigen Bedenkenträger und Fortschrittsmuffel. In unserer demokratischen Gesellschaft haben alle Menschen das gleiche Recht, die Zukunft mitzugestalten. Aber erst aus dem respektvollen Austausch von Argument und Gegenargument und der Bereitschaft zum Kompromiss erwächst das WIR unserer Gesellschaft.

So wünsche ich uns, dass es den Bürgerinnen und Bürgern in Baden-Württemberg tatsächlich gelingt, gemeinsam das ehrgeizige Ziel zu erreichen, ein zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell zu etablieren und die erste klimaneutrale Wirtschaft der Welt zu werden. Es wäre eine gute Nachricht für Deutschland und die Welt insgesamt!

Kapitel I: Ein Update für die Demokratie

Über das Verhältnis von Zusammenhalt und Freiheit

JAN-WERNER MÜLLER

Heute wird bekanntlich in vielen westlichen Gesellschaften eine tiefgehende Spaltung diagnostiziert. Was auch als Polarisierung bezeichnet wird, ist nie nur eine Sache von politischen Konflikten, egal wie hart sie ausgefochten werden. Nein, bei Polarisierung zerfällt das Gemeinwesen quasi in zwei Blöcke; die Bürgerinnen und Bürger nehmen ihre Differenzen höchstpersönlich – in den USA spricht man von affektiver Polarisierung, also zunehmender gegenseitiger Animosität.1 Kurz gesagt: Man will eigentlich gar nicht mehr wirklich mit den anderen; die Verhältnisse fühlen sich an wie eine Art kalter Bürgerkrieg.

Ob die Zustände in Deutschland denen in den USA ähneln, ist empirisch sehr fraglich.2 So oder so ist jedoch das Wort „Spaltung“ in aller Munde. Und als Antwort auf die Spaltungsdiagnose gilt hierzulande „Zusammenhalt“. Ja, Zusammenhalt hat wohl in keinem anderen Land eine solche politische Karriere hingelegt wie hier. In den USA ist nur ganz selten von cohesion die Rede; in Frankreich ist cohésion schon eher ein wichtiger, aber keineswegs zentraler Terminus in der politischen Auseinandersetzung; hierzulande aber wird der Begriff bei so gut wie jeder Gelegenheit hervorgekramt – sodass bei manchem der Verdacht aufkommt, es könnte sich um eine Art kommunitaristischen Kitsch handeln, mit dem nicht so sehr die „Spaltungen der Gesellschaft“ überwunden, als vielmehr legitime Konflikte überkleistert werden sollen.

Noch bei einem anderen zentralen Begriff der politischen Debatten ist die Lage gespannt: Angesichts von Klima- und vielen anderen Krisen stellt sich die Frage, was „Freiheit“ im 21. Jahrhundert eigentlich bedeuten soll. Nicht erst seit der Pandemie ist deutlich geworden, dass manche Politikerinnen und Politiker – aber auch viele Bürgerinnen und Bürger – eine libertär-autoritäre Vorstellung von Freiheit verfolgen: Einerseits will man mit möglichst wenigen, idealerweise gar keinen Ansprüchen seitens des Gemeinwesens behelligt werden; andererseits will man aber bei bestimmten politischen Herausforderungen die eigenen ganz partikularen Vorstellungen möglichst allen aufzwingen und würdigt diejenigen, die einen anderen Begriff von Freiheit haben, systematisch herab.3 Die Annahme, antiautoritär sei automatisch irgendwie links, stimmt offenbar nicht; libertär und autoritär sind auf verschiedene Weisen kombinierbar. Man denke an Rechtspopulisten wie Trump und Bolsonaro: Beide treten mit einem großspurigen Freiheitsversprechen auf und setzen eine bestimmte Form von Freiheit absolut; ja, Bolsonaros Appeal bestand geradezu darin, die Brasilianer wieder in eine Art Naturzustand zu führen: Lockerung des Waffenrechts, individuelle Aufrüstung als Konsequenz. Auf der anderen Seite beschneidet ein rechtspopulistisch regierter Staat schon längst gesichert geglaubte Freiheiten in Bereichen wie Abtreibung und Minderheitenrechte.

Könnte es sein, dass der exaltierte Freiheitswunsch ein Versuch ist, den Zusammenhalt partiell oder gar ganz aufzukündigen (denn Zusammenhalt, wenn der Begriff überhaupt etwas besagt, muss ja auch immer Einschränkungen beim Einzelnen beinhalten)? Und ist es dann damit getan, Zusammenhalt wie eine Art Zauberformel zu beschwören, damit Bürgerinnen und Bürger nicht auf eine so merkwürdige Weise zwischen autoritär und libertär – was ja auch heißt: sich vom Zusammenhalt loszusagen – changieren?

Es ist an der Zeit, das Verhältnis von Freiheit und Zusammenhalt noch einmal gründlich zu überdenken und vielleicht auch neu zu justieren. Im ersten Teil meiner Ausführungen geht es um die Frage, warum und inwiefern Freiheit eigentlich des Zusammenhalts bedarf. Im zweiten Teil wird dann andersherum gefragt, warum und auf welche Weise Zusammenhalt von Freiheit lebt. Im dritten und letzten Teil werden einige mehr oder weniger praktische Schlussfolgerungen aus dieser Diskussion gezogen werden – jenseits von kommunitaristischem Kitsch und jenseits von libertär-autoritären Freiheitskonzeptionen.

Warum braucht Freiheit Zusammenhalt?

Die moderne Demokratie beginnt mit einem Versprechen: Liberte, Egalité und, nun ja, zwar nicht cohésion, aber bekanntermaßen Fraternité. Offenbar ist ein drittes Element im Sinne irgendeines Zusammengehörigkeitsgefühls (oder gar Solidarität?) nötig, um die Idee eines Zusammenlebens von Freien und Gleichen zu ermöglichen. Warum ist dies so? Fraternité – oder eben auch Zusammenhalt – hat etwas mit einer Rolle zu tun, der wir im politischen Denken noch immer viel zu wenig Aufmerksamkeit widmen: der des Verlierers in demokratischen Prozessen. Wie spricht man mit politischen Verlierern? Wie spricht man über sie? Und am wichtigsten: Warum sollten Verlierer überhaupt ihren Status als Verlierer hinnehmen? Es gibt drei Antworten auf die letztere, entscheidende Frage; alle drei haben etwas mit Zusammenhalt zu tun.

Die erste Antwort gab Jean-Jacques Rousseau. Wer sich nach einer Abstimmung, bei welcher die volonté générale – also der Gemeinwille, der per definitionem auf das Gemeinwohl zielt – ermittelt worden ist, in der Minderheit befindet, muss sich dem Votum der anderen fügen. Nur sollte dies nicht zähneknirschend geschehen, sondern mit der Einsicht, dass man mit seiner Minderheitsposition offenbar das genuine Gemeinwohl verfehlt hatte. Die berüchtigte Formulierung, die Verlierer müssten zu ihrer Freiheit gezwungen werden, hat bei vielen seiner Leser den Verdacht aufkommen lassen, Rousseau sei eine Art protototalitärer Denker.

Eine großzügigere Lesart legt einen weniger gefährlichen Gedanken nahe: Die Bürger, die sich in der Minderheit wiederfinden, müssen von ihren Partikularinteressen oder egoistischen Leidenschaften fehlgeleitet worden sein; sie seien – auch bei vermeintlich freier Willensentscheidung – gerade nicht frei, sondern geradezu Sklaven von privaten Präferenzen, die im Gegensatz zum Gemeinwohl stünden. Gesetzt, der Wille besteht, weiter das Gemeinwohl mit anderen zu verfolgen (was ja nichts anderes heißt als: der Wille, weiter Teil des Gemeinwesens zu sein), sollten sich die Bürger, die zur Freiheit gezwungen werden, eigentlich glücklich schätzen – ihnen wird der weitere Zusammenhalt mit den anderen Rechtsgenossen ermöglicht. Nun sind sie auch in der Lage, die von der Mehrheit beschlossenen Gesetze als ihre eigenen zu verstehen. Der Rousseau’sche Grundanspruch, die Adressaten der Gesetze müssten auch ihre Autoren sein, bleibt gewahrt. Und nur so lässt sich Demokratie verwirklichen.

Kritiker wenden seit jeher ein: Hier wird das Ideal der kollektiven Selbstbestimmung um den Preis persönlicher Autonomie verwirklicht; zudem sei die Vorstellung eines Gemeinwohls, das alle nachvollziehen können, in einer komplexen und konfliktreichen modernen Gesellschaft eine Illusion (und die kulturelle Homogenität, welche für Rousseau die Bestimmung der volonté générale erleichtern sollte, ist in unseren Gesellschaften weder empirisch plausibel noch normativ wünschenswert).

Hans Kelsen, der wohl größte Jurist des 20. Jahrhunderts hat eine abgeschwächte Form Rousseau’scher Ansprüche vorgeschlagen, um das Ideal völliger Freiheit von Fremdbestimmung zu retten.4 Laut Kelsen sollten Mehrheiten in modernen Gesellschaften, die von unlösbaren Interessen- wie Wertekonflikten charakterisiert seien, stets den Kompromiss mit Minderheiten suchen. Käme es zu Kompromisslösungen bei Gesetzen, so könnten sich am Ende alle im Ergebnis wiederfinden, müssten aber ihre eigenen Positionen nicht wie bei Rousseau im Namen der Freiheit völlig aufgeben; zudem entfällt die Annahme, es sei stets so etwas wie objektives Gemeinwohl für alle erkenn- und leicht nachvollziehbar.

Die Frage ist nur: Warum sollte die Mehrheit Konzessionen an die Minderheit machen, wenn dies im Entscheidungsprozess eigentlich gar nicht nötig ist (weil die Minderheit nicht so etwas wie Vetomacht hat)? Kelsens Antwort konnte nur lauten: Um langfristig den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu sichern, also einer Minderheit nicht das Gefühl zu geben, sie werde einfach unterdrückt. Ob sich daraus jedoch kurzfristig für Wahlsieger ein konkreter Anreiz zur Suche nach Kompromissen ergibt, mag man bezweifeln.

Bleibt eine dritte Möglichkeit: Freiheit wird in der Tat erst einmal nur von Wahlsiegern erfahren (was natürlich nicht heißt, dass solche Sieger den Unterlegenen ihre Grundfreiheiten nehmen dürften). Aber das Gefühl, kollektiv selbstbestimmt zu leben, ist in der Tat kein allgemeines; es kann jedoch mal von den einen, dann wieder von den anderen erfahren werden (zumindest suggerierte dies die moderne Pluralismustheorie der Demokratie). Hier entsteht Zusammenhalt nicht aus substanzieller Übereinstimmung in Sachfragen oder ständigem, vielleicht eher krampfhaftem Basteln an Kompromissen, sondern aus dem gemeinsamen Willen, an Prozeduren der demokratischen Willensbildung festzuhalten – und es auch bei wiederholten Niederlagen noch weiter mit den anderen zu versuchen.5

Fremdbestimmt ist ein Verlierer nicht, solange er oder sie die Möglichkeit hatte, auf freie und faire Weise an der demokratischen Willensbildung mitzuwirken; zumal bleibt ihm oder ihr die Freiheit, es bei der nächsten politischen Auseinandersetzung einmal mehr zu versuchen, eine Mehrheit von den eigenen Positionen zu überzeugen.

Schulbuchweisheiten? Vielleicht, aber man sollte sie sich ins Gedächtnis rufen angesichts der Akteure, die sich schlicht weigern, einen Verliererstatus anzuerkennen (auch hier sind Trump und Bolsonaro die offensichtlichen Beispiele). Aber nicht jeder Verlierer, der sich beschwert, ist ein schlechter Verlierer; darauf wird zurückzukommen sein.

Warum braucht Zusammenhalt Freiheit?

In freien und pluralistischen Gesellschaften kann jeder Konflikte anzetteln; eine völlig konfliktfreie Gesellschaft, so folgt im Umkehrschluss, ist wohl kaum eine freie Gesellschaft. Nun wissen wir seit den Schriften Georg Simmels vom Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Konflikte und Kohäsion nicht einfach Gegensätze sind; vielmehr kann aus Konflikten Zusammenhalt entstehen. Denn man bezieht sich ja auch im Streit aufeinander; es entsteht eine „Wechselwirkung“ (Simmels Schlüsselbegriff); man hält sich an formelle oder informelle Regeln der Konfliktaustragung und perpetuiert damit existierende Praktiken der Konfliktbewältigung – und dies schafft letztlich Zusammenhalt, unabhängig davon, wer verliert und wer gewinnt.

Nur: Zusammenhalt entsteht nicht immer automatisch. Es müssen vielmehr gewisse Grundvoraussetzungen gegeben sein. Zum einen darf man denjenigen, die manchmal etwas euphemistisch als „Konfliktpartner“ beschrieben werden, nicht grundsätzlich die Legitimität oder gar die Zugehörigkeit absprechen. Genau dies tun jedoch Rechtspopulisten regelmäßig: Sie behaupten bekanntlich, dass sie als Einzige das verträten, was sie oft als „das wahre Volk“ oder auch als „die schweigende Mehrheit“ bezeichnen. Aus diesem (nicht empirischen, sondern moralischen) Alleinvertretungsanspruch folgt, dass andere Wettbewerber um politische Ämter grundsätzlich illegitim sind (das Standardargument lautet, sie seien auf irgendeine Weise korrupt). Weniger offensichtlich – aber weit gravierender – ist, dass all denjenigen, die nicht in die symbolische Konstruktion des vermeintlich wahren Volkes seitens der Populisten hineinpassen (oder die sich herausnehmen, Rechtspopulisten zu kritisieren), schlichtweg die Volkszugehörigkeit abgesprochen wird. „Wir sind das Volk“ bedeutet hier schlicht: Die anderen (vorzugsweise ohnehin schon irgendwie unliebsame Minderheiten und Populismus-Kritiker) gehören gar nicht zum Volk. Wer aber nicht dazugehört, kann auch nicht so etwas wie Partner in einem Konflikt sein. Und deswegen kann aus Konflikten mit Rechtspopulisten, die so verfahren wie soeben beschrieben, auch kein Zusammenhalt entstehen.

Es gibt noch eine zweite Grundvoraussetzung dafür, dass die Freiheit, Konflikte anzuzetteln, letztlich Kohäsion stärkt. Eine der wichtigsten demokratischen Grundfreiheiten ist bekanntlich Meinungsfreiheit. Wie Hannah Arendt anmerkte, bedeutet Politik ein freies Spiel der Meinungen; die (eine) Wahrheit sei hingegen in der Politik despotisch (denn worüber sollte man sich politisch auseinandersetzen, wenn es nur darum geht, sich der Wahrheit zu unterwerfen – bzw. demjenigen, der diese Wahrheit besitzt?).

Gleichzeitig bestand Arendt aber darauf, dass Meinungen sich auf einer klaren Faktengrundlage bewegen müssten (oder, wie der amerikanische Politiker Daniel Patrick Moynihan einmal bemerkte: Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten). Wenn man absolut keine gemeinsame Faktengrundlage hat, kann auch kein in irgendeiner Weise produktiver Streit stattfinden (außer, dass man en passant vielleicht etwas über die Wert- und Wunschvorstellungen des anderen lernt). Wenn mein Gegenüber die wissenschaftlich akzeptierten Fakten über die globale Erderwärmung referiert und ich dann behaupte, das mit dem Klimawandel sei eine Erfindung der Chinesen, um unsere Industrie zu zerstören, wird sich keine „Partnerschaft“ im Konflikt ergeben. Freiheiten (wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit) bleiben zwar gewahrt, aber aus diesen Freiheiten lässt sich kein Zusammenhalt kreieren.

Wer nun meint, dieses Szenario betreffe nur Verschwörungstheoretiker, sei daran erinnert, dass eine strikt technokratische Haltung ähnlich fatale politische Folgen haben kann. Technokraten behaupten, salopp gesagt, es gäbe für eine Herausforderung nur eine einzige rationale Lösung; wer widerspreche, oute sich damit als irrational. Konflikte können nicht produktiv werden, weil die einmal als irrational Abgestempelten in der politischen Auseinandersetzung eigentlich nicht satisfaktionsfähig sind.

Man bemerke, wie sich, bei allen offensichtlichen Unterschieden, Populismus und Technokratie ähneln. Beide stellen Formen von Anti-pluralismus dar: Der Technokrat behauptet, der Gegner sei irrational; der Populist wirft den politischen Kontrahenten vor, Volksverräter zu sein.

Und was folgt nun daraus?

Was folgt nun aus diesen eher abstrakten Überlegungen? Wohl am wichtigsten: Zusammenhalt ist nicht nur für Harmoniesüchtige; Freiheit, Streit und Kohäsion können miteinander verbunden werden (wobei klar ist, dass diese Verbindungen nicht reibungslos sind: auch wer den politischen Gegner grundsätzlich respektiert, mag ihm oder ihr Verletzungen zufügen; was wirklich Fakt ist und was nicht, bleibt oft heftig umstritten). Dies hat aber zumindest Implikationen für ein politisches Ethos, mit dem die Bürgerinnen und Bürger sich begegnen.

Es gibt allerdings auch institutionelle Schlussfolgerungen: Wenn man sich immer wieder auf der politischen Verliererseite wiederfindet – und es dafür strukturelle Gründe im politischen System gibt –, ist man nicht einfach ein schlechter Verlierer, wenn man Beschwerden anmeldet. Es wäre naiv zu meinen, die Beschwerden würden dann sofort behoben – aber zumindest sollte den Bürgern klar sein, dass es einen Unterschied gibt zwischen demokratiegefährdendem Verlierertum (Trump, Bolsonaro) und einer Verliererunzufriedenheit, der man auf demokratische Weise abhelfen könnte.

Und zu guter Letzt: Dass ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit die empirische Möglichkeit einer weittragenden Faktengrundlage für Konflikte gefährdet, ist kaum mehr News. Neu ist hingegen die Einsicht, dass das, was ich bei anderer Gelegenheit die kritische Infrastruktur der Demokratie genannt habe (dazu gehören Medien, nicht zuletzt soziale Medien), auch deswegen sowohl der Reparatur wie der Weiterentwicklung bedarf, weil nicht nur Zusammenhalt gefährdet ist, sondern auch die Freiheit, produktive Konflikte anzuzetteln.