Ausflug in den Bürgerkrieg und andere Erlebnisse - Ernst Günther Weber - E-Book

Ausflug in den Bürgerkrieg und andere Erlebnisse E-Book

Ernst Günther Weber

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Beschreibung

Der Bericht "Ausflug in den Bürgerkrieg" ist der Kern dieses Buches. Der Ausflug war nötig geworden, weil ich infolge des Bürgerkriegs im Libanon seit mehreren Monaten keine Nachricht von meiner damals dreizehnjährigen Tochter und ihrer Mutter, meiner von mir geschiedenen Frau, erhalten hatte, die in der Nähe von Beirut lebten. Die fünf anderen Berichte ranken sich darum herum. Den Anfang macht "Tante Hannis Geburtstag". Es geht darin um die Flucht, die meine Mutter mit mir als neunjährigem Knaben nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus der damaligen sowjetischen Besatzungszone nach Westdeutschland unternommen hat. Die anderen Erlebnisberichte sind aus späteren Lebensjahren, teils aus meinem Leben im Orient, bis zu solchen in hohem Alter.

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für Ursel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Tante Hannis Geburtstag

Osterausflug

Revolution

Ausflug in den Bürgerkrieg

Emmys Vater

Schiras

Sehnsucht (Gedicht)

Der Autor

Vorwort

In meinem langen Leben habe ich viel erlebt, Höhen und Tiefen, Alltägliches und Spannendes. Nicht alles ist so interessant, dass es auch einen unbeteiligten Leser fesseln könnte. Ich habe daher sechs Episoden ausgewählt.

Der Bericht „Ausflug in den Bürgerkrieg“ ist der Kern dieses Buches. Ich habe ihn schon vor rund vierzig Jahren geschrieben. Der Ausflug war nötig geworden, weil ich infolge des Bürgerkriegs im Libanon seit mehreren Monaten keine Nachricht von meiner damals dreizehnjährigen Tochter und ihrer Mutter, meiner von mir geschiedenen Frau, erhalten hatte, die in einem Ort in der Nähe von Beirut lebten.

Die fünf anderen Berichte ranken sich darum herum. In zeitlicher Reihenfolge macht „Tante Hannis Geburtstag“ den Anfang. Es geht darin um die Flucht, die meine Mutter mit mir als neunjährigem Knaben drei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus der damaligen sowjetischen Besatzungszone über die Zonengrenze nach Westdeutschland unternommen hat.

Die anderen Erlebnisse, von denen ich hier berichte, sind aus späteren Lebensjahren, teils aus meinem Leben im Orient, bis zu solchen in hohem Alter.

Tante Hannis Geburtstag

Während des Zweiten Weltkriegs wurden Mütter mit ihren Kindern aus den Großstädten evakuiert und in Dörfer oder kleinere Orte geschickt, um der Gefahr zu entgehen, bei Bombenangriffen verletzt oder getötet zu werden.

So kam ich mit meiner Mutter im Winter 1942/43 nach Zwönitz, einem kleinen Ort im Erzgebirge, etwa 25 km Luftlinie südlich von Chemnitz. Dort lebten wir, von Kriegsereignissen weitgehend verschont, bis zum Ende des Krieges und noch drei Monate darüber hinaus.

Nur im Winter und Frühjahr 1945 litten wir Hunger. In Zwönitz gab es eine Zuckerfabrik. Dort wurden auf LKWs getrocknete Zuckerrübenschnitzel in Papiersäcken angeliefert. Die Kinder und Jugendlichen des Ortes liefen hinter diesen LKWs her, um aus beschädigten Papiersäcken herausfallende Zückerrübenschnitzel aufzusammeln. Auch ich war dabei, kaute einige der trockenen Stücke, um den schlimmsten Hunger zu dämpfen und brachte noch etwas mit nach Hause, wovon meine Mutter Sirup kochte.

In den Nächten vom 13. bis 15. Februar sahen wir den Himmel rot vom Feuer über Dresden (Entfernung ca. 85 km Luftlinie) und am Tage schwarz vom Rauch nach den Bombenangriffen der Briten und Amerikaner, die 20 bis 25.000 Todesopfer forderten. Diese Katastrophe berührte uns besonders, da meine Mutter mit ihrem Mann, von dem sie inzwischen geschieden war, einige Jahre dort gelebt hatte und ich dort geboren wurde.

Am 8. Mai war der Krieg zu Ende. Die westlichen Landesteile von Sachsen waren schon in der zweiten Aprilhälfte von amerikanischen Truppen besetzt worden. Aber nach einer Vereinbarung unter den Alliierten fielen ganz Sachsen und Thüringen an die Sowjetarmee als Besatzungsmacht.

Meine Mutter versuchte schon bald nach Kriegsende, eine Möglichkeit zu finden, mit mir nach Bremen zu ihren Eltern zu kommen. Da ihre Freundin, Hanni Frese – für mich Tante Hanni - , auch aus Bremen, mit ihrem Sohn Hans-Hermann ebenfalls noch in der Nähe lebte, verabredeten die beiden Frauen, die Reise nach Bremen gemeinsam zu machen. Hans-Hermann war acht Jahre alt, etwas mehr als ein Jahr jünger als ich.

Anfang August begann die Fahrt mit der Eisenbahn mit mehrfachem Umsteigen nach Mühlhausen in Thüringen. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie die Frauen es in diesem Chaos der ersten Monate nach Kriegsende geschafft haben, diese Fahrt zu organisieren und durchzuführen, und wie sie in Erfahrung bringen konnten, an welcher Stelle es am günstigsten ist, die Flucht über die Zonengrenze zu wagen.

Mühlhausen war noch ca. 16 bis 18 km von der Grenze zur amerikanischen Zone entfernt. Ich weiß nicht, wie wir in Grenznähe gekommen sind. Jedenfalls waren wir am Abend des 7. August an einem Wald angekommen, durch den sich die Zonengrenze zog. Mit einer Gruppe anderer Menschen, die wie wir auch in den Westen wollten, und einem ortskundigen Führer, der wusste, wie und wo man am besten einer Grenzpatrouille aus dem Weg geht, gingen wir nach Mitternacht durch diesen Wald in Richtung Westen. Natürlich wurde uns Kindern besonders eingeschärft, mucksmäuschenstill zu sein, damit wir keine Aufmerksamkeit erregen. Die Atmosphäre dieser Nachtwanderung war aber so, dass wir diese Notwendigkeit sowieso spürten und uns entsprechend verhielten. Es war ja ein besonderes Abenteuer für uns.

Am frühen Morgen des 8. August traten wir aus dem Wald auf der westlichen Seite der Zonengrenze. Vor uns, im Tal der Werra, konnten wir in der Ferne schon den Ort Wanfried sehen. Wir waren jetzt in der amerikanischen Besatzungszone.

Nach dem langen nächtlichen Marsch ließen wir uns erst einmal zur Rast am Waldrand nieder, und Tante Hanni zog, zur großen Überraschung für uns anderen, aus einer Einkaufstasche einen Topfkuchen und meinte, jetzt müssten wir erst einmal ihren heutigen Geburtstag und natürlich die geglückte Flucht aus der Sowjetzone feiern.

Ich weiß nicht mehr, wie sie den Kuchen heil bis hierher gebracht hat, ob in Papier eingewickelt oder in einer Kuchenform. Auch ein Messer hatte sie dabei und schnitt für jeden ein Stück vom Kuchen ab. Es blieb auch nicht bei dem einen Stück. So feierten wir in bester Stimmung Tante Hannis Geburtstag. Da es ihr Geburtstag war, ist mir über all die Jahrzehnte – 78 Jahre ist es jetzt her – das Datum in Erinnerung geblieben.

Natürlich weiß ich in der Erleichterung, nach der vorausgegangenen Anspannung, nicht mehr, welche Vögel ihr ein Geburtstagsständchen gebracht haben. Ich weiß auch nicht mehr, welche Wildtiere, Rehe oder Hasen, wir aufgescheucht haben. Wie soll ein Neunjähriger in ein solchen Situation auf so etwas achten.

Nach dieser ganz besonderen Feier, einer der - bei aller Einfachheit - erinnerungswürdigsten Geburtstgsfeiern meines Lebens, gingen wir die letzten paar Kilometer frohen Mutes hinunter nach Wanfried.

Dort kamen wir in ein Auffanglager, in dem wie erst einmal ein, zwei oder drei Tage – genau weiß ich es nicht mehr - bleiben und uns registrieren lassen mussten. Es war das Keudellsche Schloss, in dem das Rote Kreuz die hier nach der Flucht über die Grenze zahlreichen vorübergehend Gestrandeten aufnahm und betreute. Wir mussten hinter dem Hauptgebäude über den Hof ujnd übernachteten in einem garagenähnlichen Raum in einem Flachbau. Das ganze Anwesen war überfüllt mit Menschen, die wie wir hier über die Grenze gekommen waren.

Nachträglich habe ich erfahren, dass es eine Frau Margrete Wetzenstein, genannt Muttchen, war, die die Menschen hier vorbildlich betreute und für ihre Verpflegung sorgte. Dafür war im Pferdestall eine Großküche eingerichtet worden.

Die Reise nach Bremen machten wir in einer hoffnungslos überfüllten Bahn in der Holzklasse. An Einzelheiten über die Dauer der Fahrt und wie oft und wo wir umsteigen mussten kann ich mich nicht mehr erinnern.

In Bremen zogen meine Mutter und ich zu meinen Großeltern, Ernst und Lili Könenkamp, bei denen wir Liebe und Geborgenheit genossen.