Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Autor hat fünfzehn Jahre im Irak gelebt. Hier schreibt er über die ersten zwei Jahre seines Lebens dort, über die letzten knapp zwei Jahre der Monarchie, von seiner Ankunft im Herbst 1956 bis zur Revolution am 14. Juli 1958. Das Buch enthält zahlreiche Fotos, aufgenommen in dieser Zeit, die inzwischen als historisch angesehen werden können.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 77
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
für meine Tochter Schirin, für meine Enkel und Urenkel
Die Idee für dieses Buch mit den Erinnerungen an meine frühen Jahre in Baghdad kam mir nach der Lektüre des Buches In der Fremde sprechen die Bäume arabisch von Usama Al Shahmani. Dieses sehr lesenswerte Buch des in der Schweiz lebenden Autors irakischer Herkunft, ein autobiografischer Roman, handelt von Kindheit, Jugend und Exil des 1971 geborenen Autors. Darin werden u.A. die Situation des Irak von Mitte der 70er Jahre des vorigen bis Mitte der 10er Jahre dieses Jahrhunderts in einer Weise beschrieben, dass ich, der ich nach fünfzehn Jahren meines Lebens im Irak dieses Land, auch heute, mehr als fünf Jahrzehnte später, als meine zweite Heimat betrachte, bei der Lektüre mehr Tränen vergossen habe als in vielen Jahren zuvor zusammen.
Die Nachrichten über die Situation im Irak in der Presse und im Fernsehen habe ich selbstverständlich zur Kenntnis genommen, und sie haben mich sehr betrübt. Sie waren aber relativ abstrakt. Die Schilderungen in Usama Al Shahmanis Buch waren schockierend konkret, berührend, bewegend und für mich sehr deprimierend.
Dem wollte ich für mich mit meinen Erinnerungen etwas Positives entgegensetzen. Ich habe von 1956 bis 1971 in Baghdad gelebt, und ich schreibe hier über meine ersten, knapp zwei Jahre bis zum Ende der Monarchie, d.h. bis zur Revolution am 14. Juli 1958. Natürlich war mein Leben in dieser Zeit als junger Mann von 20 bis 22 Jahren überwiegend unberührt von den politischen Verhältnissen dort, die ich nur nebenbei und sehr oberflächlich wahrgenommen habe.
Dieses Buch enthält zahlreiche Fotos des Autors aus dieser frühen Zeit, die heute als historisch betrachtet werden können. Diese Fotos haben nicht die Qualität in der Auflösung, die man heutzutage gewohnt ist, aber ich glaube, dass sie die Atmosphäre der damaligen Zeit gut widergeben.
Die politischen Verhältnisse waren auch damals meilenweit entfernt von Demokratie und Rechtsstaat, aber selbst heute muten sie mich in meiner Erinnerung noch paradiesisch an, verglichen mit den Zuständen der Zeit, die Usama Al Shahmani in seinem Buch beschreibt, also der Zeit der korrupten und grausamen Diktatur von Saddam Hussein und dem danach folgenden Chaos nach dem von Präsident George W. Bush unter erlogenem Vorwand befohlenen Einmarsch der US-Amerikaner.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Iraker in ihrer Mehrheit heute wesentlich anders sind, als ich sie damals, vor rund sechseinhalb Jahrzehnten und auch in den Jahren danach, kennengelernt habe, nämlich offen, tolerant, gastfreundlich und hilfsbereit. Ich vermute, dass die politischen Verhältnisse, die Fragmentierung der Gesellschaft und der Missbrauch der Religion für die Ausübung von Macht durch überwiegend korrupte Politiker und die Einmischung des Iran zu den augenblicklichen desaströsen Verhältnissen geführt haben.
Ich trat als zwanzigjähriger junger Mann am Morgen des 14. September 1956 aus dem Flugzeug, sah Sonne, blauen Himmel und Palmen, sah dass die Palmblätter eine Farbe hatten, die sich zwar irgendwie bemühte, grün auszusehen, die aber mit dem Grün der Bäume, der Wiesen und Gärten, wie ich es kannte, keine Ähnlichkeit hatte, sah auch, dass die bestimmende Farbe unterhalb des Blaus des Himmels eigentlich gar keine Farbe war, sondern nur eine Mischung aus unbestimmtem Grau, schmutzigem Gelb und hellem Braun. Ich sah das alles, nahm aber nur wahr, dass die Sonne schien, der Himmel blau war und dass es Palmen gab. Ich sah es, hatte Deutschland vergessen und fühlte mich sofort zu Hause. Das erklärt sich zum Teil daraus, dass ich keine familiären Bindungen mehr nach Deutschland hatte, da meine Mutter und meine Großeltern mütterlicherseits vier, fünf und sechs Jahre zuvor gestorben waren und ich zu meinem Vater, von dem meine Mutter sich in meiner frühen Kindheit scheiden ließ, zu dem ich aber nach dem Tod meiner Mutter ziehen musste, kein gutes Verhältnis hatte.
Bremen hatte ich 24 Stunden zuvor mit einer Maschine nach Amsterdam verlassen, hatte dort ein paar Stunden Aufenthalt, die ich für einen Besuch im Rijksmuseum nutzte und war dann mit einer Propellermaschine der KLM nach Baghdad weiter geflogen. Fünfzehn oder sechzehn Stunden dauerte damals noch der Flug, mit Zwischenlandung in Istanbul.
In der Nacht gab es über Anatolien einen Sandsturm. Der Flug glich zeitweise der Fahrt in einer Achterbahn. Ich genoss es überraschender Weise, obwohl die Turbulenzen sehr viel länger dauerten als eine Achterbahnfahrt, und obwohl ich einer solchen bisher nie viel abgewinnen konnte. Dann gab es den ersten Sonnenaufgang meines Lebens über den Wolken. Er war wunderschön, wirklich strahlend. Es ist schon merkwürdig. Sonnenauf- und untergänge haben mich immer fasziniert. Sie faszinieren mich immer noch, und auch professionelle Fotografen und Filmer lassen sie sich nicht entgehen, obwohl auch sie – wie ich als Amateur – genau wissen, wie kitschig solche Aufnahmen oft sind. Selbstverständlich habe ich ihn fotografiert.
Der Grund meiner Reise war die Absicht, für ein paar Jahre bei der Baghdader Niederlassung einer Bremer Im- und Exportfirma tätig zu sein. Ich hatte bei dieser Bremer Firma eine Außenhandelslehre abgeschlossen, hatte ein halbes Jahr als Sachbearbeiter gearbeitet und wurde nun, als Zwanzigjähriger, nach Baghdad entsandt, um mich dort um den Vertrieb von Osram-Lampen und anderem Elektromaterial zu kümmern. Natürlich wusste ich damals noch nicht, dass daraus fünfzehn Jahre werden sollten.
Am Baghdader Flughafen – es war noch der alte in Karkh, mit einem bescheidenen Gebäude im Kolonialstil, nicht weit vom Stadtzentrum - wurde ich von Rolf Großmann abgeholt, einem Kollegen, den ich noch aus Bremen kannte, wo er zwei Jahre vor mir ausgelernt hatte und der auch um diese zwei Jahre eher nach Baghdad gegangen war.
Nach den Zoll- und Einreiseformalitäten ging es nach draußen ins schon grell werdende Sonnenlicht auf die staubige Straße. Rolf Großmann winkte ein Taxi heran, und ich lernte gleich, dass man, bevor man einsteigt, dem Fahrer nicht nur das Fahrziel nennt sondern auch um den Fahrpreis feilscht.
Die Fahrt ging über breite Boulevards, die in der Mitte durch einen mit Palmen und Oleander bepflanzten Streifen geteilt waren, jede Seite mit zwei Fahrspuren. Die Gebäude an beiden Straßenseiten waren meistens zwei- bis dreigeschossig, die höchsten hatten fünf oder sechs Etagen, in dem Allerweltsstil, der damals üblich war. Im Erdgeschoss waren meistens Läden. Über eine große Brücke, die Queen Alia Bridge, überquerten wir den Tigris und fuhren dann nach rechts Richtung Karradah. Dort hatte Rolf Großmann ein Haus gemietet, das er sich mit einem anderen Deutschen, dem Niederlassungsleiter einer großen deutschen Speditionsfirma, teilte. Ich sollte dort vorerst einmal mit einziehen und der Dritte im Bunde sein.
Da die Bürozeit wegen der auch jetzt noch mit 35 bis 38 Grad beträchtlichen Hitze durch eine Ruhezeit von 13:00 bis 15:30 Uhr geteilt war, blieben wir noch im Hause und fuhren erst am Nachmittag ins Büro. Das lag mitten im Stadtzentrum, in der Mustansir Street, einer schmalen, links und rechts von kleinen Läden gesäumten Straße in der Nähe der damals noch so genannten King Faisal Bridge, parallel zur Rashid Street, zwischen dieser und dem Tigris, und nahm eine der oberen Etagen eines Bürogebäudes ein.
Der erste Eindruck bei der Fahrt in die Stadt, durch die Rashid Street, der ziemlich holprigen Hauptgeschäftsstraße in der Innenstadt, parallel zum Tigris, war ein ohrenbetäubender Lärm von den Hupen der vielen Autos, kreischenden Bremsen und den Rufen der Straßenverkäufer. Besonders das Hupen war schon bemerkenswert. Es schien die Hauptbeschäftigung der Autofahrer zu sein, und die Instrumente, die sie betätigten, waren um ein vielfaches lauter, als ich es gewohnt war. Es mussten Sonderkonstruktionen für den Orient sein, teilweise mit Abfolgen verschiedener Töne, als sollte eine Melodie angespielt werden, aber melodisch konnte man es nicht nennen. Die Hupen der bis auf die Trittbretter überquellenden roten Doppeldeckerbusse konnten nicht konkurrieren. Sie klangen ziemlich heiser, aber die schiere Masse eines Busses beeindruckte genug, um seinem Recht auf der Straße Geltung zu verschaffen. Ampeln gab es keine, und das Befolgen irgendwelcher Verkehrsregeln war nicht zu erkennen, es sei denn, dass die Grundregel darin bestand, dass Vorfahrt der hatte, der entweder die lautere Hupe oder die stärkeren Nerven hatte, wobei wohl die Nerven die wichtigere Rolle spielten.
Im Büro angekommen wurde ich allen Leuten vorgestellt, zuerst natürlich Herbert Wattenberg, dem Niederlassungsleiter, der sich in seinem Büro sehr angeregt in offenbar fließendem Arabisch mit einem würdig aussehendem, älteren Araber unterhielt, der den traditionellen Umhang, die Aba, und einen randlosen weinroten, mit einem schmalen, grünen Tuch umwickelten Hut trug, was, wie ich später lernte, bedeutete, dass er ein Sayed war, d.h. ein Nachkomme des Propheten Mohammed.
Herr Wattenberg war ein sehr kultiviert aussehender Mann um die fünfzig, mit fein geschnittenen Gesichtszügen, leicht ergrautem, langem, gekräuseltem und nach hinten gekämmtem Haar. Der erste Eindruck, den ich von ihm hatte, war eher der eines Künstlers, vielleicht der eines Musikers, als der eines Kaufmanns.
Wir wollten jedoch bei dem Kundengespräch nicht stören und zogen uns erst einmal zurück, um uns meinen anderen künftigen Kollegen zuzuwenden. Das waren die Salesmen Fathallah Faradj, genannt Fathi, Fawzi Massa und Mardooni Zulemian. Mit dem Letzteren, einem freundlichen Armenier, etwa Anfang dreißig, würde ich in Zukunft zusammenarbeiten.
Danach ging es in die Buchhaltung, für die Klaus Gerntrup zuständig war, ein Deutscher, Mitte dreißig, sehr freundlich, aber vielleicht in seiner betonten Herzlichkeit für meinen Geschmack eine Nuance zu laut.
Dann waren da noch Nayef, zuständig für das Lager und für Botengänge und dergleichen, Nora und Josette, die Sekretärinnen, und Mohammed, der Officeboy.