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Der Autor hat fünfzehn Jahre (1956-1971) im Irak gelebt, spricht Arabisch, und hat sich intensiv mit Geschichte, Kultur und Traditionen des Landes und allgemein des Orients befasst. Er war dort mit einer christlichen Irakerin verheiratet. All das hat bleibende Wirkung auf sein Denken, seine Sympathie und sein Gefühl für den Orient als zweite Heimat. Dieses Buch enthält kurze Prosatexte mit Erinnerungen aus dieser Zeit und Überlegungen, die ihre Wurzeln in diesen Erfahrungen haben. Die Leserin oder der Leser wird hier interessante Aspekte aus ungewohntem Blickwinkel finden, eben Streiflichter. Am Schluss ist eine Auswahl von Gedichten des Autors angefügt, die ebenfalls den Orient zum Thema haben.
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Seitenzahl: 85
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für Ursel
und im Andenken an
meine irakischen Schwiegereltern
Edward und Matilda Beshoory
Vorwort
Prosatexte
Ausländeramt
Baghdader Erinnerungen
Über untershiedliche Arten einen Streit auszutragen
Recycling
Die Pantoffelgechichte
Führerschein
Übersinnliches
Weisheit
Auf die Spitze getrieben
Andere Präferenz
Kunya
Die Geduld
Dankbarkeit
Rettung
Musik
Die Friedenstaube
Makame
Diktatur
Zorkhaneh
Gruß
Verantwortung im sprachlichen Vergleich
Serendipität
Generalife
Namen im Islam
Gedichte
Heimat
Calamos
Baghdad
Rashid Street, Baghdad
Kur im Iran
Persepolis
Libanon
Der Flaneur
Fes
Der Liebe Wort
Orient
Vergänglichkeit
Samarra
Pasargadae
Topkapı
Leila und Madschnun
Anmerkungen
Der Autor
Als junger Mann bin ich in prägenden Jahren in eine für mich völlig neue Kultur geworfen worden. Als Zwanzigjähriger kam ich nach Baghdad. Ich habe damals Arabisch gelernt, war mit einer Einheimischen verheiratet, und habe mich intensiv mit Geschichte, Kultur und Traditionen des Landes befasst. All das hat eine bleibende Wirkung auf mein Denken, sozusagen „der Orient als geistige Lebensform“ (frei nach Thomas Mann). Ein arabisches Sprichwort sagt, wer vierzig Tage mit einem Volk lebt, wird einer von ihm, oder er verlässt es. Bei mir waren es fünfzehn Jahre, und ich habe es auch danach innerlich nie verlassen. Es ist bis heute, als zweite Heimat, in mir geblieben.
Dieses Buches „Orientalische Streiflichter“ enthält kurze Prosatexte mit Erinnerungen aus den fünfzehn Jahren (1956 bis 1971) meiner Zeit in Baghdad und Überlegungen, die ihre Wurzel in diesen Erfahrungen haben. Die Leserin oder der Leser wird hier einige interessante Aspekte aus ungewohntem Blickwinkel finden, eben Streiflichter.
Am Schluss ist eine Auswahl meiner Gedichte angefügt, die ebenfalls den Orient zum Thema haben. Da manche der darin vorkommenden Begriffe nicht auf Anhieb verständlich sind, habe ich diese mit einem Sternchen versehen und erkläre sie in einem Anhang am Ende dieses Bändchens in alpha-betischer Reihenfolge.
In seinem Buch „Der Erinnerungsfälscher“ beschreibt Abbas Khider, deutscher Autor irakischer Her-kunft, eine Szene, in der Said Al-Wahid, der Protagonist seines Buches, nachdem er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine förmliche Zustellung erhalten hatte, in der sein Asylstatus als aufgehoben erklärt und er zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert wurde, mit dem Angestellten einer prominenten Rechtsanwaltskanzlei im Ausländeramt erschienen war. „So herzlich wie an jenem Tag war er jedenfalls noch nie von einem Sachbearbeiter empfangen worden. Mit einem einheimischen Rechtsanwalt an seiner Seite wurde er wie ein echter Mensch behandelt.“ Diese Szene lässt erahnen, wie herablassend und unfreundlich er bisher, wenn er allein dort war, von Sachbearbeitern im Ausländeramt behandelt worden war, jedenfalls nicht als Mensch, dessen Würde – laut Grundgesetz – nicht angetastet werden dürfe. Dies ist zwar eine fiktive Szene im Roman, dürfte aber im Wesentlichen den persönlichen Erfahrungen des Autors entsprechen.
Nach dem Lesen dieser Zeilen erinnerte ich mich meiner Erfahrungen, die ich in den Fünfziger- und Sechszigerjahren des vorigen Jahrhunderts im Baghdader Ausländeramt, der Residence Police, machte, wo ich einmal jedes Jahr für ein weiteres Jahr meine Aufenthaltserlaubnis verlängern lassen musste. Ich bin dort immer und ausnahmslos äußerst freundlich und zuvorkommend empfangen und behandelt worden, so wie es orientalischer Gastfreundschaft entspricht. Mir ist immer vor dem Schreibtisch des Sachbearbeiters ein Stuhl angeboten worden, und es ergab sich ein angenehmes Gespräch. Später, als ich mich auf Arabisch mit den Beamten unterhalten konnte, wurde mir auch einige Male ein stark gesüßter Tee im Stikkan, dem üblichen kleinen Teeglas auf dem kleinen Tellerchen darunter, serviert. Ob es heute auch noch so ist, weiß ich nicht. Ich hoffe es, bin mir aber nicht sicher.
In den Erinnerungen an meine Zeit in Baghdad von 1956 bis 1971 nehmen die an meine irakischen Schwiegereltern, Edward und Matilda Beshoory, einen bedeutenden Platz ein. Mein Schwiegervater, aus einer der ältesten christlichen Baghdader Familien, war der ehrlichste, verlässlichste, rechtschaffenste, ehrenwerteste und einer der liebenswertesten Menschen, die ich je in meinem Leben kennengelernt habe. Ein Heiliger könnte kein besserer Mensch gewesen sein als er, obwohl ich in meiner Zeit mit ihm nie erlebt habe, dass er eine Kirche betreten hat.
Später las ich eine Geschichte über As-Samau´al (Samuel), die mich an meinen Schwiegervater erinnerte. As-Samau´al bin ‘Ādiyā war ein jüdisch-arabischer Dichter, der in der Mitte des sechsten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, also im Jahrhundert vor dem Beginn der islamischen Zeit, gelebt hat. Er bewohnte die berühmte Burg Qasr al-Ablaq in der Nähe von Taymā´, im Nordwesten der arabischen Halbinsel.
Von seinen Gedichten waren selbst im Mittelalter nur wenige bekannt. Sein Dīwān enthielt nur neun Gedichte mit insgesamt 88 Versen. Von diesen Gedichten erlangten nur zwei größere Beachtung, da sie in bedeutende Anthologien aufgenommen wurden
Seinen Ruhm verdankt as-Samau´al weniger seiner Dichtkunst als einem Verhalten, dass in der arabischen Welt zu dem sprichwörtlichen Vergleich „treu , oder worthaltend, wie as-Samau´al“ herangezogen wurde. Nach dieser Geschichte gab ihm der Dichter und Fürst des Stammes der Kinda, Imru´ al-Qays, vor einer Reise Waffen und eine Rüstung in Verwahrung. Der Führer des Stammes der Ghassāniden, al-ārith bin Dschabala, erfuhr davon und wollte sich diese Waffen aneignen, nachdem Imru´al-Qays, der rechtmäßige Besitzer, gestorben war. Er begründete es damit, dass er als Vetter des Imru´ al-Qays das Recht habe, diesen zu beerben. Er zog gegen as-Samau´al, der sich in seiner Burg verschanzte. Al-ārith bemächtigte sich jedoch as-Samau´als kleinen Sohnes, der sich mit seiner Amme außerhalb der Burg aufhielt, und drohte dessen Vater, den Jungen zu töten, falls der Vater sich weiter weigere, ihm die verwahrten Waffen zu übergeben. As-Samau´al erbat sich eine Frist bis zum nächsten Morgen, was der ārith ihm gewährte. Er beriet sich daraufhin mit seiner Familie, deren Mitglieder ihm rieten, die Waffen und die Rüstung auszuliefern, um das Leben seines Sohnes zu retten.
Am nächsten Morgen erschien er jedoch auf den Mauern seiner Burg und rief seinem Widersacher zu, dass er ein gegebenes Wort nicht breche und es dem anderen frei stünde, zu tun, was er tun wolle, mit dem Satz: „Wahrlich, die Treulosigkeit ist ein Halsband, das sich nicht abnutzt; und dieser mein Sohn hat Brüder.“ Daraufhin tötete al-ārith seinen Sohn und zog ohne die begehrte Beute ab. Am nächsten Markttag traf as-Samau´al die rechtmäßigen Erben des Imru´ al-Qays und übergab ihnen die verwahrte Habe mit den Worten:
Bewahrt hab ich des kendischen Mannes Panzer;
Denn wenn das Volk sie bricht, wahr‘ ich die Treue.
Gebaut hat Adija ein festes Schloß mir,
Wo ich mich wehre, ob ein Feind mit dräue.
(aus Friedrich Rückert, Makamen)
In der achtzehnten Makame des arīrī „Das gestohlene Gedicht“ wird zum Schluss der Vergleich zu as-Samau´als Worthalten in einer eher läppischen Sache gezogen. Einem Landpfleger des Kalifen in Baghdad wird von Abu Seid und seinem jungen Komplizen ein Streit vorgespielt, in dem die beiden dem Landpfleger so sympathisch erscheinen, dass er sie großzügig beschenkt. Der Landpfleger erfährt dann von Hareth Ben Hemmam, dass er übertölpelt wurde. Da er deswegen den Spott der Leute und den Tadel des Kalifen fürchtet, nimmt er dem Hareth das Versprechen ab, Stillschweigen darüber zu bewahren. Am Ende der Makame heißt es dann: „Er forderte mir ab ein Versprechen, - davon, solang ich in Baghdad sei, nicht zu sprechen; - das sagt‘ ich ihm zu mit gutem Mute - und hielt ihm Wort, wie Samel, der Jude.“
Ich hatte in meinem Leben das große Glück, einen Menschen kennenzulernen, von dem man sagen kann, er sei „treu wie as-Samau´al“ gewesen, jedoch glücklicherweise nicht mit dem schweren Opfer, wie as-Samau´al es zu erdulden hatte. Es ist mein 1967 verstorbener irakischer Schwiegervater Edward Yousif Beshoory. Er entstammte einer der ältesten christlichen Baghdader Familien. Er war ein bescheidener, immer höflicher, gebildeter Mann, der außer seiner arabischen Muttersprache drei Fremdsprachen (Englisch, Französisch und Persisch) beherrschte. Ich habe ihn nie in irgendeiner Form aggressiv erlebt oder je ein lautes Wort von ihm gehört. In seinem Berufsleben war er Buchhalter, Chefbuchhalter und dann Direktor mehrerer Filialen einer britischen Bank in Khartum (Sudan) und in Kermanschah, Hamadan und Teheran im Iran. Diese drei Filialen im Iran hat er dann im Auftrag der Zentrale der Bank aufgelöst, und zwar so treu und ehrlich, dass er nicht einmal das kleinste Stück des Inventars oder sonst irgend etwas für sich genommen hätte. Im Alter besaß er nicht einmal ein eigenes Haus in Baghdad und wohnte mit seiner Familie zur Miete. Ich habe nie persönlich einen Menschen gekannt, der es mehr verdient hätte als er, dass man sich seiner mit großer Achtung erinnert, obwohl er in seinem Leben nicht in spektakulärer oder Aufsehen erregender Weise aufgefallen ist, oder vielleicht gerade deswegen. Er war das Muster eines Gentleman und eines gentle man, und er war treu wie Samau’al.
Meine Schwiegermutter, aus Basrah, der Hafenstadt im Süden des Irak stammend, war eine ausgezeichnete Köchin. Wenn sie nach dem Geheimnis ihrer von allen in Verwandtschaft und Bekanntschaft anerkannten Kochkunst gefragt wurde, sagte sie nur: es ist die Seele (oder das Selbst oder der Atem) des Kochs oder der Köchin. Das arabische Wort neffes hat all diese verschiedenen Bedeutungen.
Ohne jeden Zweifel war sie die Unterhaltsamere der beiden. Sie war sicher – oberflächlich betrachtet - ungebildet, oder besser gesagt: unverbildet. Sie war ein unerschöpflicher Quell von treffenden Metaphern, von Anekdoten und schrägen Döntjes. Mein Schwiegervater hatte Humor, sie hatte Witz. Das wurde nicht immer positiv gesehen, denn sie trug ihr Herz auf der Zunge. Sie hatte, wie die Araber sagen, lissān tauīl, eine lange Zunge. Sie war in keiner Weise bösartig oder gar intrigant. Sie konnte das, was sie als wahr ansah, nur nicht für sich behalten.
Sie erzählte manchmal Anekdoten aus ihrem Leben. Zwei davon sind mir besonders in Erinnerung geblieben.
Meine irakische Schwiegermutter hat einige Jahre, in den Vierzigern des vergangenen Jahrhunderts, mit ihrem Mann und ihren Kindern im Iran gelebt, weil mein Schwiegervater als Leiter einer Bankfiliale dorthin, nach Kermanschah, einer Provinzstadt im westlichen Iran, entsandt worden war.