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Präzise, dicht, berührend: Meisterhafte Lyrik von Klaus Merz. Die Lyrik gehört zu Klaus Merz' Meisterdisziplinen. Sie ist jene Gattung, welcher er seit seinen literarischen Anfängen verpflichtet ist. Davon zeugen sowohl die ersten Veröffentlichungen in den späten 1960er-Jahren als auch die jüngsten beiden Bände "Aus dem Staub" (2010) und "Unerwarteter Verlauf" (2013). Und davon zeugt ebenso die Werkausgabe, die in Band 1 die frühen Gedichte versammelt und nun mit Band 7, den Gedichten von 1992 bis 2013, ihren Abschluss findet. Klaus Merz wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Gottfried-Keller-Preis, dem Basler Lyrikpreis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis für sein gesamtes Werk. In "Außer Rufweite" bietet er tiefe Einblicke in das poetische Kerngeschäft eines Dichters, der kaum je ein Wort zu viel verloren hat. Stattdessen ist er auf neue Wörter gestoßen, die Ausblicke schaffen, uns staunen machen im Stillen - oder gerade dort, wo wir es am wenigsten erwarten.
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Seitenzahl: 78
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HAYMONverlag
Klaus Merz
Lyrik 1992–2013
WerkausgabeBand 7
Herausgegeben von Markus Bundi
© 2015
HAYMONverlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
ISBN 978-3-7099-3725-9
Buchgestaltung und Satz:
hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Umschlaggestaltung:
hoeretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol, nach einem Entwurf und unter Verwendung einer Zeichnung von Heinz Egger
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.
Kurze Durchsage (1995)
Fortsetzung
Flug
Schrift
Stand der Dinge
Flut
Besuch auf dem Land
Malven
Nebenschauplatz
Kirchberg
Erschütterung
Stadtauswärts
Wiedersehen
Marzipan
Jenseits von Eden
Nordbahnhof
Sakrament
Nachbarn
Busstation
Hoher Mittag
Tod, wo bleibt dein Stachel?
Spätprogramm
Flauberts Enkel
Nachtmal
Abend in Atlantis
8. Dezember
Parkordnung
Spätes Selbstporträt
Einladung
In Frieden leben
Blindenschrift
Früh-Stück
Persönliches Arrangement
Geografie. Zwölf Haikus
Föhnstich
Gestocktes Erinnern
Besuch in Russland
Wunder Glaube
Mutter Natur
Wahre Geschichte
Persönliches Arrangement
Weidwerk
Howard’s End
Abendzug
Trans World Airlines
Postskriptum
Selbstverstümmelung
Die Konsequenz der Engel
Garn (2000/2002)
Libellen
Fliegerin
Amtliche Mitteilung
Forst
Lehrpfad
Déjeuner sur l’herbe
In Amerika
Hitchhike
Über die Bücher
Lucie (on earth)
Aus dem kryptischen Lexikon der Gegenwartsliteratur
Federleicht
Haribo
Vorsorge
Sponsorenbesuch
Untat
Schacht
Flucht
Strom
Vaters Geheimnis
Ostern Rom
Reislauf
Königstreu
Sternfahrt
Fahndung
Kunstgeschichte
Ein Tag für Erlenmeyer
Advent
Herbstgedicht
In Helsinki
Freiers Füße
Haute Couture (1)
Alte Meister
Lange Leine
East End, 28. Januar
Oxford Street, 17 Uhr
15. Februar
Radial
Hinter die Ohren des Dichters
Für Velasquez
Haute Couture (2)
Auf der Reise
April, April
Sommerloch
Heraklit
Erster November
Zweiter November
Tagwerk
Morgenjournal
In der Ebene
Günstiger Augenblick
Für Morandi
Hier
Alter Text
Erklärung
Sonntag
Lange Leine
Vorbereitung
Zirkus
Espresso
Stilleben
Soho
Lebenslauf
In Frankfurt lesen
Werkstatt
Buchzeichen
Atem. Pneuma. Föhn.
Aus der Schule des Lebens
Passagier
Atem. Pneuma. Föhn. Abzählvers für ein Naturmuseum
Alpnach. Zwölf Stationen
Anfahrt
Manöver
Außer Saison
Reservoir
Winterhilfe
Life
Löwen Löwen (2004)
Aus dem Staub (2010)
Reste des Traums
Hart am Wind
Feldzug
Pinakothek
Cornet
Die Brünner Mädchen
Liebefeld
Jahrhundertsommer
Wiepersdorf später
Trauerarbeit
Rast
Glückliche Tage
Große Geschäfte
Befehlsgewalt
Große Geschäfte
Es-Dur
Boskop
Später Gast
Drei Kurzgeschichten
Sponsoren gesucht
Indianersommer
Innendienst
Uhrenvergleich
Ernstfall
Außerhalb
Biographie
Zurüsterin Nacht
In den Auen
Hommage an H.
Zurüsterin Nacht
Große Nacht
Seemanns Garn
Zusammen
Vorbeugung
Strategie
Licht
Lektüre
Alte Fragen
Einschlüsse
Rom
Forst
Hohe See
Vom Fleiß
Beim Händewaschen
Letzte Mahnung
Nach der Natur
Knochendämmer
Haft
Jura
Außer Rufweite
Ostern
Grenznah
Drei Gespräche von selbst
Erkundung
Expedition
Weißer Fleck
Außer Rufweite
Vom Tarnen
Hans
Change
Himmelfahrt
Unerwarteter Verlauf (2013)
Aus der Forschung
Im rückwärtigen Raum
Regelwerk
Pilotprojekt
Aus der Forschung
Kerngeschäft
Kurswechsel
Wechselkurs
Varia
Passiver Widerstand
Beglaubigung
Gang um den Felsen
Durchs Tal der hundert Täler
Zum Rosengarten
Erbgang
Passau
Am Mondsee
Im Zug der Zeit
Hotel Tirol
Borderline
Universität
Nichts geht …
Auf einen bemalten Ofen
Nach Homer
Ariadnes Schwester
Hoher Wellengang
Gang um den Felsen
Still leben
Letzter Wunsch
Ein Zwischenspiel
Heißer Friede
Kostbarer Augenblick
Schauspiel
Im Wald üben Tambouren …
Was zu beweisen war
Kostbarer Augenblick
Leichtes Spiel
Auf nach Grinzing
Bonsai
Anfang November
Liebesgedicht
Bibliothek
Nächtliche Ernte
Meisterkurs
Spaziergang
Geglückte Genesung
Kreisverkehr
Garderobe
Treue Freunde, sage ich …
Ahoi!
Neue Heimat
Ewiges Licht
Geglückte Genesung
Er blieb den Tagen …
Wir legten eine irdene Taube …
Editorische Notiz
Klaus Merz
… Die Welt hört nicht
auf, das muss man lernen.
Günter Eich
Nur mit den Armen rudernd,
fliegen wir nächtelang
durch die Gegend.
Die Sternwarten
leuchten.
Aus der Neandertalzeit
hat man das Grab
eines Kindes entdeckt,
das auf einen Schwanenflügel
gebettet lag. Dieser Flug
setzt uns fort.
Wenn die Wirklichkeit selber
Sätze machte, nichts
bliebe uns mehr
zu erzählen. Und
was zu leben wäre,
wäre erlebt.
Am harten Klang
zusammenprallender Porzellan-
rinder sind wir erwacht.
Auch die andern
Gegenstände im Zimmer,
Vasen, Bilder,
sind jetzt nicht mehr
einfach da.
Ihre lauernde Gegenwart
kann jederzeit um-
schlagen in nackte
Gewalt.
Gegen Morgen zeigt mir
am Fluss eine Brückenheilige
ihre Scham. Feucht,
aber nicht schamlos.
Ihre Kniekehlen
zittern.
Herbstwind fackelt
die Laubbäume ab.
Die Stiefmütterchen
stehen im Kreis.
Und alle Steine
tragen Namen.
Zwischen den falben
Samentaschen noch immer
die großen Tubatrichter
der Malven, Stempel & Narbe
in der tiefroten Mitte
ihres öffentlichen
Geschlechts.
Stoisch wendet
die Blume der Welt
ihr Innerstes zu
für einen Tag.
Schnecken haben
die Steine beschriftet: PAX
steht in fahrigen Zeichen
am Gartenrand, die Buchstaben
glitzern. Nirgendwo
war seit langem so viel
Zuversicht lesbar. Komm,
leck mir das Salz
von der Hand!
Eine Kuh legt
der andern Kuh
den Kopf ans Euter.
Die Glocken läuten.
Aus dem Schwingbesen
der Gastgeberin steigen
Singvögel auf.
Ein Mann führt Klage
gegen einen Baum. Nein,
er betet zu ihm, nimmt ihn
ins Gebet. Bis die Äste sich
tatsächlich beugen,
auf ihn herab,
und sich schütteln.
Die Eckhäuser stoßen
in den leeren Himmel hinauf.
Aus den Schornsteinen fährt Rauch.
Wir hören die Ankerketten rasseln.
Nur die Abflussrohre
geben uns vorübergehend
noch ein wenig Halt.
Auf der Straße nach Charenton kommt mir mein Freund entgegen. Den Brustkasten weit aufgeklappt, zeigt er seine Herzkranzgefäße. Und zuversichtlich, wie er uns sein Lebtag immer erschienen ist, erläutert er mir noch einmal das erfolglose Vorgehen der Ärzte in seiner Brust.
Die heilige Walburga schwitzt Wasser zwischen Oktober und Februar. Ihre Gebeine werden im Sandsteinkasten der Gruftkapelle gelagert, ein Aluminiumtrichter fängt das Schwitzwasser auf. Man kann es nicht kaufen, es wird von den Nonnen als Heilmittel verschenkt. Wenn man sie darum bittet.
Da besorg ich mir lieber eine Nachbildung der Zunge des heiligen Nepomuk, Patron des Beichtgeheimnisses und Beschützer vor übler Nachrede: Ich bezahle, schweige. Und bleibe gesund.
Als Adam erkannte, dass er nackt war und für diese erschreckende Erkenntnis dazu verurteilt, sein Brot auf alle Zeiten im Schweiße seines Angesichts zu essen, schlug er sich, noch bevor er Hosen anzog, mit beiden Fäusten an die Stirn. Dort aber gewahrte er den paradiesischen Wuchs seines Haares, der ihn nur noch schmerzlicher an die Vertreibung aus dem Garten erinnerte.
Adam holte tief Luft und durchtrennte mit seinen zehn Fingern das Haar. Auf seinem Kopf war die erste Frisur der Menschheit entstanden. Und Eva fand Gefallen daran.
„Komm!“ bat sie. – Und nachdem sie einander vierhändig über ihr unabsehbares Elend hinweggetröstet hatten, gingen sie an ihre Arbeit. Adam pflügte den steinigen Acker. Eva gebar unter Schmerzen Kain.
Der Rangierarbeiter im blauen Overall sucht
zwischen den einfahrenden Zügen
nach seiner Komposition.
Unter der Zunge schmilzt ihm
ein trauriges Lied.
Er steht durch Funk in Verbindung
mit seiner Welt: Abkoppeln,
befiehlt sie ihm. Und er tut’s.
Im Botanischen Garten trafen wir P., der auf Durchreise weilt. Wir blieben mit dem Rücken zu einem Olivenbaum stehen.
P. spricht mit den Händen.
Auch in seiner dritten Ehe trägt er wieder einen goldenen Ring. Von der Verarbeitung her hat uns sein neuer Schmuck an eine Dornenkrone gemahnt.
In der Dämmerung bilden
die Lichter der Häuser
drei lesbare Sternbilder
in meinem Bezirk.
Einen Fingerhut,
das Glas mit dem Streusalz,
die Fontanellennaht.
Wie jeden Abend
geht es um die Nähe
der Gottheit.
Wir hätten die Wartende gern angesprochen und nach dem Ziel ihrer Reise gefragt. Doch kaum gewahrten wir das Fellrudiment entlang der Wirbelsäule der jungen Frau, brach mein Begleiter schon in markerschütterndes Jaulen aus.
Das an einem schweißheißen Tag. Und dazu noch auf öffentlichem Grund.
Die Untergrundbahn schießt stadtauswärts in den schwarzen Tunnel hinein. Zwei Passagiere verknoten ihre Beine im Mittelgang und führen die Finger spazieren. Sein Atem beschlägt ihr Nagelrot. Die Muttermale züngeln. Aber kurz vor dem nächsten Halt werden im Mund der Frau die Zähne schlecht, fallen dem Mann die Haare aus, stürzt ein Blinder in den Schienenschacht.
In Austerlitz angekommen, beschließt das Paar, in separaten Zügen in die City zurückzufahren. Um wieder im Büro sein Heil zu suchen.
Wir nehmen Abschied von der Buchhändlerin. Sie ist zwischen den Bücherregalen aufgebahrt. Am Fuß- und am Kopfende stehen blühende Topfpflanzen, roter Oleander.
Ab und zu greifen die Trauergäste nach einer Neuerscheinung, oder sie riechen an den Blütenkelchen, um über die Buchdeckel hinweg nach der jungen Leiche zu schauen, die sich immer wieder bewegt, da sie ihre Totenstarre nicht zu begreifen scheint.
Schon wieder über die Schwelle tretend, entdecken wir erst, dass der Grund ihres frühen Ablebens nur in ihrer Dauerwelle liegen kann: Von der unsäglichen Haartracht abgesehen, bleibt ihr Totsein eine vorübergehende Unpässlichkeit.
Unser Hund und ein Wolf spielten zusammen vor dem Zelt. Vater musste den Wolf verjagen, sonst wäre der Hund mit ihm gegangen – das kann vorkommen, sagt das Lappenkind.
Auf dem Bildschirmglas beginnen die Eisblumen zu wachsen.
Über die Baulücken zieht blauer Himmel, die Schönheit der Brandmauern tritt schonungslos hervor. Eine Jakobinerin mit Einkaufstasche und Hund erobert die Ladenstraße, der Marktfahrer singt sein Auberginenlied.
An der Ecke bleibt ein Dreijähriger stehen, er notiert alles, was er hört und sieht, in sein gelbes Heft, die Mutter wartet. Sie weiß, die Wirklichkeit lässt sich nicht begreifen. Außer vielleicht mit einem Bleistift in der Hand.