Autonomie in der Kunst - Michael Becker - E-Book

Autonomie in der Kunst E-Book

Michael Becker

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Beschreibung

Der Leser begibt sich auf das Terrain sachhaltiger kritischer Kunstbetrachtung. Bildnerische Werke von zeitgenössischen und modernen, von bekannten, aber auch weniger bekannten Künstlern werden kritisch hinterfragt und das in ihnen eingeschriebene Kunstverständnis ihrer Produzenten aufgedeckt. Auf der Grundlage von objektiven Werkanalysen und aus diesen abgeschöpften strukturellen Erkenntnissen werden interessante und lehrreiche philosophische Exkurse über elementare künstlerische Themen gestartet. Das Buch stellt damit unter Beweis, dass eine nachhaltige Auseinandersetzung mit bildender Kunst zu universellen Erkenntnissen über sie selbst und ihre Grundbedingungen führen kann. Autonomie in der Kunst wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt der Diskussionen. Was ist letztlich von einer Kunst zu halten, die sich freiwillig ihrer eigenen Deautonomisierung unterwirft? Werke folgender Künstler werden zur Grundlage einer anregungsreichen Diskussion genommen: Gerhard Richter, Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Julian Schnabel, Ellsworth Kelly, Jeff Koons, Rupprecht Geiger, Bernard Schultze, Bernhard Springer, Klaus von Gaffron, Max Kaminski, Bernd Zimmer, Dieter Breitschwerdt, das King Kong Kunstkabinett, Siamak Azmi, Miriam Cahn und Wang Guangle.

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Für Ben

Mit Farbabbildungen

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Mit diesem Buch lade ich den Leser zu einem Streifzug durch die Welt der modernen und zeitgenössischen Kunst ein. Ich erhebe dabei nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr beschäftige ich mich mit einzelnen Werken, die mir bei aktuellen Ausstellungen, im Fernsehen, in Katalogen oder im weltweiten Netz vor die Linse gekommen sind.

Es ist erstaunlich, zu welchen interessanten und aufschlussreichen Erkenntnissen man über Kunst und ihre Grundbedingungen gelangt, wenn man die individuelle Sprache eines einzelnen Werkes versucht zu entschlüsseln.

Ich bin davon überzeugt, dass sich die mühsame detektivische Arbeit gelohnt hat, beschenkt sie uns doch mit Antworten, die jeden Künstler oder Kunstinteressierten angehen dürften. Vielleicht motiviert dieses Buch den einen oder anderen sogar, selbst einen solchen Streifzug zu starten.

Bilder lehren uns viel, wenn wir ihnen nicht allein sehend begegnen, sondern sie strukturell erfassen – was nichts anderes heißt, als zu ihrem innersten Geheimnis vorzudringen. Vor allem tun wir ihnen Unrecht, wenn wir ihnen mit vorgefassten Urteilen begegnen.

Vorurteile aller Art schwächen vor allem uns selbst und hemmen eine offene, sachhaltige Auseinandersetzung. Die Grundmaximen der objektiven Werkanalyse helfen dabei, dem autonomen Prozess der Wirkungsentfaltung eines individuellen Werkes zu folgen.

Der Begriff der Autonomie genießt für meine Auseinandersetzung einen hohen Stellenwert. Er wird zum Maßstab zur Beurteilung der einzelnen Werke im Hinblick auf Gelungenheit, Gestaltdichte, Suggestivkraft etc.

Der Leser begibt sich mit der Lektüre dieses Buches auf das Terrain sachhaltiger kritischer Kunstbetrachtung. Bildnerische Werke von zeitgenössischen und modernen, von bekannten, aber auch weniger bekannten Künstlern werden kritisch hinterfragt und das in ihnen eingeschriebene Kunstverständnis ihrer Produzenten aufgedeckt.

Auf der Grundlage von objektiven Werkanalysen und aus diesen abgeschöpften strukturellen Erkenntnissen werden interessante und lehrreiche philosophische Exkurse über elementare künstlerische Themen gestartet. Das Buch stellt damit unter Beweis, dass eine nachhaltige Auseinandersetzung mit bildender Kunst zu universellen Erkenntnissen über sie selbst und ihre Grundbedingungen führen kann.

Folgende künstlerische Themengebiete werden herausdestilliert und diskutiert:

Was sind bildnerische Kräfte?

Sind die Konzepte und Ideen des Künstlers mit der Bildaussage deckungsgleich?

Wird die Kunstqualität eines Werkes durch den äußeren Kontext bestimmt?

Was bedeutet künstlerische Autonomie?

Was ist ein künstlerisch relevanter Rätselcharakter?

Was ist der Unterschied zwischen dem Rätselcharakter und der Polyvalenz eines Kunstwerks?

Was ist unter einem humanistischen Potential zu verstehen?

Was bedeuten Offenheit und Geschlossenheit eines Kunstwerkes?

Ist der Künstler ein Spinner?

Muss ein Werk suggestiv sein?

Wie entsteht eine Ausdrucksgestalt?

Was hat es mit dem Umsetzungsproblem auf sich?

Funktioniert ein Kunstwerk wie ein Uhrwerk?

Wie ist das Verhältnis von Autonomie des Werkes und Autonomie des Künstlers einzuschätzen?

Wie vollzieht sich die Professionalisierung des Künstlers?

Wie hängen Krise, Autonomie und Professionalisierung zusammen?

Übernimmt der Künstler eine Stellvertreterposition?

Wann ist eine Malerei manieristisch?

Was hat es mit dem geistigen Fingerabdruck des Künstlers auf sich?

Was ist unter einem authentischen Künstler zu verstehen?

Wie ist der Wahrheitsbegriff heutzutage einzuschätzen?

Wie ist das Verhältnis von Krise und Klang zu charakterisieren?

Was bedeutet künstlerische Phantasie?

Wann folgt ein Bild einer inneren Notwendigkeit?

Inwieweit ist die „unendliche Betrachtung“ ein Gütekriterium für ein gelungenes Werk?

Was sind und bedeuten willkürliche gestalterische Entscheidungen in der bildenden Kunst?

Was ist eine produktive Krise?

Wie steht es mit der vielbeschworenen Freiheit in der Kunst?

Wann wird Farbe tragfähig zum Einsatz gebracht?

Was ist unter einem proportionalen Gleichstand zu verstehen?

Wie kommt das Besondere in der Kunst zustande?

Was ist unter einem künstlerischen Experiment zu verstehen?

Was bedeutet anschauliches Denken?

Inwieweit kann man von einem künstlerischen Potential der Abstraktion ausgehen?

Wann ist Technik reiner Selbstzweck?

Kunst als kulturpessimistische Kampfansage?

Was ist unter einer energetischen Verdichtung zu verstehen?

Ist Malerei ein Weg zur Sakralität?

Hat Farbe ein sakrales Potential?

Was ist unter Konzeptkunst zu verstehen?

Welche Bedeutung hat ein künstlerisches Markenzeichen?

Was bedeutet kompositorische Autonomie?

Was ist eine gefällige Gestaltung?

Darf Kunst dekorativ sein?

Was ist eine literarische Krise in der Kunst?

Was ist ein künstlerisches Symbol?

Ist Asymmetrie die Sprache der Kunst?

Welche Chancen und Gefahren liegen in einer symmetrischen Gestaltung?

Wie ist das Bedürfnis nach lautem Buntem einzuschätzen?

Was bedeutet es, wenn ein Künstler sich freiwillig deautonomisiert?

Zu Beginn präsentiere ich einige Werke von Künstlern, die in einer Sendereihe des Fernsehsenders 3Sat bzw. in dem DVD-Buch „Kunstraum – Forum der Gegenwartskunst“ des Bayerischen Rundfunks filmisch vorgestellt wurden. Folgende Künstler bzw. Künstlergemeinschaften stehen hier im Fokus: Bernhard Springer, Klaus von Gaffron, Max Kaminski, Bernd Zimmer, Dieter Breitschwerdt sowie das King Kong Kunstkabinett.

Dabei erfolgt u.a. eine substantielle Kritik der Sendereihe.

Im Anschluss beschäftige ich mich mit Werken folgender weiterer Künstler: Bernard Schultze, Gerhard Richter, Siamak Azmi, Miriam Cahn, Wang Guangle, Georg Baselitz, Jörg Immendorff, Julian Schnabel, Ellsworth Kelly, Jeff Koons und Rupprecht Geiger.

Hinter dieser willkürlich wirkenden Auswahl verbirgt sich eine strukturelle Systematik, durch die das Verständnis um die Autonomie in der Kunst heranreifen soll.

Autonomie in der Kunst wird dabei zum Dreh- und Angelpunkt der Diskussionen. Was ist letztlich von einer Kunst zu halten, die sich freiwillig ihrer eigenen Deautonomisierung unterwirft?

Beginnen wir mit der Analyse von Werken von Bernhard Springer.

Bernhard Springer

Bernhard Springer, Groupies

Acrylfarbe + Sprühlack auf Leinwand, 105 x 115 cm, 2009

Das Werk „Groupies“ vermittelt entgegen der proportionalen Faktenlage eine quadratische und dadurch neutrale Formatwirkung. Zu erkennen sind ausschnitthaft drei Figuren, die allesamt einen jugendlichen Charakter ausstrahlen. Besonders auffällig ist vor allem die das Gesicht der zentralen Figur verdeckenden Maskenform, die sich farblich und formal deutlich von der restlichen Machart des Bildes abhebt. Obgleich keines der drei Gesichter erkennbar ist, fällt die Maske als Instrument der Verdeckung als Besonderheit heraus.

Wir erkennen drei unterschiedliche Möglichkeiten, wie die Nichterkennbarkeit und damit Nichtidentifizierbarkeit der drei Personen erreicht wird. Die weibliche Figur links oben wird einfach angeschnitten präsentiert, so dass sie ab dem Hals nicht mehr sichtbar ist, da sie aus dem Bildraum herausragt (bedingt durch das quadratische Bildformat). Die rechte weibliche Figur wird von der Seite gezeigt, während ihre Haare das Gesicht im Profil bedecken. Die zentrale Figur könnte aufgrund ihrer direkten sitzenden Position ohne weiteres erkannt werden. Diese Direktheit wird nun als Anlass, als Gelegenheit genommen, das Gesicht mit einer Maske zu überzeichnen und dadurch unkenntlich zu machen. Eine Maske ist für die beiden weiblichen Figuren nicht vorgesehen, da diese durch andere, bekanntere, normalere Möglichkeiten anonymisiert werden.

Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass das Gesicht der zentralen männlichen Figur nicht wirklich von einer Maske im üblichen Verständnis von Maske verdeckt wird. Das Gesicht des Mannes bleibt schematisch sichtbar, denn die Maske selbst ist in wesentlichen Anteilen durchsichtig. Sie ist also nicht eine verdeckende Ganzheit, sondern eine weiße Strichzeichnung mit übrig gebliebenen Zwischenräumen, die den Blick auf das Dahinter freigeben. Dieses Dahinter lässt ein durch Farbe pauschal transparent übermaltes (übersprühtes) Gesicht erkennen. Dieses wird also weniger durch die Maske selbst denn durch die malerische Vorbehandlung verdeckt. Die „Maske“ wird nachträglich mit einhergehender funktional begrenzter Wirkung aufgebracht.

Während die jugendlichen Gestalten in bunten, poppigen Farben gemalt sind, erscheint die seltsame Maske in einem archaischen Kontrast zu diesen.

Strukturbestimmung einer Maske

Um diesen Kontrast semantisch und strukturell zu erfassen und zu beurteilen, bedarf es zunächst einer Strukturbestimmung der Bedeutung und Funktion einer Maske. Eine Maske ist ein grob bis fein an die Physiognomie eines Gesichtes angepasste oberflächliche Schicht, die das Gesicht teilweise bis komplett verdeckt, so dass dieses zu wesentlichen Anteilen unkenntlich gemacht wird. Da das Gesicht die entscheidenden Wiedererkennungsmerkmale einer Person aufweist, bedeutet die Verdeckung des Gesichts die Anonymisierung der Person. Damit aber nicht genug. Da eine Maske in den seltensten Fällen einfach nur neutral das Gesicht bedeckt und unkenntlich macht, sondern ein „phantastisches“ Antlitz präsentiert, das zwar leblos ist, dennoch aber, wenn gelungen, sehr effektiv den Charakter des Trägers erheblich zu modifizieren oder gar zu verwandeln vermag, kann im besten Fall eine komplette Aufgabe der eigentlichen Person oder zumindest eine effektive Ablenkung von dieser erreicht werden. Die Kraft der Maske ist in diesem Falle stark genug, einen neuen, aufgesetzten Charakter durchzusetzen. Die eigentliche Person dahinter kann auf diese Weise kurzzeitig in Vergessenheit geraten und gänzlich im Charakter der aufgesetzten Phantasiefigur aufgehen. Durch eine Maske kann man – je nach Grad der Gelungenheit – die Illusion einer Phantasiefigur, eines Phantasiecharakters heraufbeschwören. Je höher der Realitätsgrad der Maske ist, desto gelungener kann das Täuschungsmanöver geraten. In diesem Falle kann in der Tat eine in sich eigenständig wirkende Personalität illusioniert werden.

Die hier inszenierte Masken-Situation unterscheidet sich in mehreren Hinsichten von einer authentischen Verwendung einer Maske. Vor allem ist die hier sichtbare Maske malerisch hinzugefügt worden, der dargestellten mittleren männlichen Gestalt wird eine Strichlinienmaske nachträglich aufgemalt. Es wird nicht etwa ein Maskenträger gemalt, sondern einer gemalten männlichen Gestalt wird nachträglich ein malerisches Gebilde aufgesetzt, das durch seine Aufgesetztheit den oben bereits angesprochenen archaischen Kontrast unterstützt. Der gemalten Gestalt wird ein archaisches Label aufgepfropft. Es handelt sich um eine malerische Entscheidung, nicht um eine szenische. Die Szenerie wird durch das fremde Maskenlabel gestört oder sogar in ihrer Sinnentfaltung inhibiert. Es wirkt wie ein hineinoperierter Fremdkörper, der den internen Sinn der Interaktion stört. Eine echte Integration durch assimilierte Kontrastivität wird nicht erreicht.

Authentizität einer künstlerischen Kriseninszenierung fraglich

Die Authentizität einer künstlerischen Kriseninszenierung muss daher in Frage gestellt werden.

Versuchen wir also zunächst, den krisenhaften Aufprall näher zu beleuchten. Zunächst erfolgt eine genauere Untersuchung des Wirkungscharakters der Maske. Ihr kompositorischer Aufbau setzt ohne Frage bestimmte Wirkungsmuster frei, die es hier zu erforschen gilt.

Die Maske ist über ein System von Kreisformen aufgebaut. Augen und Mund bilden eine schematische Einheit eines strichmännchenartigen Antlitzes. Sie drücken gerade aufgrund des Kreischarakters (dieser bedingt seinerseits große offene Augen und Mund) Erstaunen, aber auch Erschrecken o.ä. aus. Der sonnenstrahlenschematisierte Kopfschmuck kann in diesem Zusammenhang durchaus dem Sprichwort, dass jemandem vor Schreck die Haare zu Berge stehen, entsprechen. Gleichzeitig ist der Kopfschmuck aber auch Ausdruck von Pracht, Prestige und Herrschaftlichkeit. Durch die Körperhaltung der zentralen Figur wird das Moment von Lässigkeit und Ungezwungenheit mit dem Ausdruck von Pracht, Prestige und Herrschaftlichkeit gepaart. Der heraufbeschworene Konflikt wird also gestalterisch eingepflegt, dennoch bleiben die strukturellen Inkonsistenzen erhalten. Gleichzeitig entsteht durch die Einpflegung des Ausdruckscharakters der Maske eine semantische Brücke, die konfliktreiche Informationen provoziert.

Inhaltlicher und formaler Konflikt

Worin bestehen diese konfliktreichen Informationen? Was bedeutet es zum Beispiel, einer gemalten jugendlichen Person mit poppigen Farben eine archaische Maske aufzusetzen? Die jugendliche Person wird mehr als anonymisiert: Ihr wird ein neuer, fremdartiger, im Grunde unpassender Charakter aufgesetzt. Der Ausdruck des Erstaunens und Erschrecktseins passt nicht zur lässigen Haltung der gemalten Person, dafür aber der Ausdruck des Herrschaftlichen. Beide Ausdrucksformen passen semantisch nun aber nicht wirklich zusammen. Es entsteht also sowohl ein inhaltlicher als auch formaler Konflikt, der sich nicht künstlerisch auflösen lässt.

Kultureller Clash?

Man könnte diesen Konflikt als ein bewusstes künstlerisches Heraufbeschwören eines kulturellen Clashs interpretieren. Allerdings findet hier ein Zusammenprall mit Integrationsbemühen statt. Dieses Bemühen kann aber nur als aufgesetzt qualifiziert werden. Vor allem geht diese Integration auf Kosten der personellen Integrität der zentralen Person. Eine ursprüngliche, möglicherweise in sich konsistente Szenerie wird semantisch gestört.

Kunst geht durchaus mit Zerstörung einher, zugleich aber auch mit Wiederaufbau. Der Wiederaufbau reduziert sich hier auf eine leger sitzende jugendliche Gestalt mit entfremdender maskenartiger Strichlinienzeichnung.

Unter Einbeziehung der gesamten Interaktionsdynamik des Bildes könnte eine Sinnfälligkeit der Maskenidee herausgestellt werden: Zwei junge weibliche Gestalten in leichter bis allzu leichter Bekleidung und z.T. bauchfreier Pose flankieren die zentrale Figur in lässiger Manier. Sie zeigen sich der mittleren Person aktiv zugewandt, die linke Frau scheint ihn mit ihrem Arm zu berühren, die rechte Frau scheint etwas auf seinen Unterarm zu schreiben. Der Schriftzug des T-Shirts enthält die klischeeisierte und pauschalisierte Liebesbekundung: „I love RW“, wobei „love“ durch ein rotes Herz symbolisiert wird. Das recht enge, knappe Höschen der linken Frau lässt ihr Geschlecht zwar nicht wirklich ordinärobszön, aber dennoch ausreichend deutlich herauskonturieren, was auf eine Sexualisierung als zusätzliche Komponente der Flankierung der zentralen Figur verweisen könnte.

Der Mann im Zentrum wird umgarnt, was dieser vermittelt durch seine legere Körperhaltung mit demonstrativer Gelassenheit hinnimmt bzw. es sich gefallen lässt. Etwas undeutlich, aber durch die Maske sowie den roten Schleier hindurch dennoch erkennbar, scheint das Antlitz des Mannes einen genießenden Ausdruck an den Tag zu legen. Die Geste der Hand verweist darauf, dass der Mann eine Zigarette in der Hand hält, die gerade vor sich hinglimmen dürfte. Diese Attribute des Genusses ergeben im Zusammenspiel mit der restlichen umgarnenden Szenerie eine in sich unfraglich gelungene Thematik des weiblichen Umwerbens – dies in Verbindung mit einem Hauch profaner, harmloser Sexualisierung. Dabei spielt die körperliche Übergriffigkeit der rechten weiblichen Gestalt eine tragende Rolle. Das Beschreiben eines Körperteiles ist eine intime Handlung, unsichtbare Schranken der körperlichen Distanz scheinen überschritten werden zu können. Die zentrale Figur scheint jedenfalls nichts dagegen zu haben.

Sinnlose Sinndestruktion

Der Ausdruck der Maske dagegen vermittelt in der Tat Erstaunen und Erschrecken. Genau deshalb jedoch wird der Fremdkörpercharakter der Maske provoziert. Das Bild wird zum Ausdruck der künstlerischen Tradition der sinnlosen Sinndestruktion unter dem Vorwand eines künstlerisch provozierten kulturellen Clashs, der letztendlich ins Leere läuft.

Wenn wir nun den Titel („Groupies“) mit ins interpretative Boot holen, so scheint dieser ausschließlich für die ursprüngliche Malerei zu gelten. Die Lässigkeit und das Rauchen der zentralen Gestalt sowie vor allem das Herumschlawenzeln der beiden weiblichen Figuren vermitteln in der Tat das Thema von Groupies, die sich hier definitionsgemäß zwischen Fan und Stalker ansiedeln lassen. Die archaische Maske passt inhaltlich und formal nicht zu diesem Thema.

Welche Intentionen könnten nun diesem unpassenden Gestaltungsakt zugrunde liegen? Die Provokation eines kulturellen Clashs soll / kann Befremden, Unverständnis auslösen. Dieses wird fraglos provoziert, allein das versöhnende Angebot fehlt. Sollen verschiedene Kulturen miteinander vermittelt werden, dann fehlt hier definitiv das vermittelnde Moment. Insofern müssen wir also eher von einem rohen Zusammenprall ausgehen. Zu fragen wäre allerdings, welche „Kulturen“ überhaupt hier aufeinanderprallen.

Das Phänomen des Groupietums ist Ausdruck der Popbzw. Massenkultur des 20. Jahrhunderts. Mit dem aufkommenden Starkult verbindet sich der Wunsch junger weiblicher Personen, die durch Medien gestiftete Nähe-Distanz-Logik zu durchbrechen, um direkten Kontakt zur geliebten Person aufnehmen zu können. Gerade der damit verbundene sexuelle Anklang wird durch das Bild deutlich herausgestellt. Nicht selten führen sexuelle Strategien zum Erfolg.

Die Integration einer Maske in eine Groupie-Situation kann als Schutz vor den Übergriffen der weiblichen Fans zum Einsatz gebracht werden. Allerdings erwiese sich die hier vorliegende Maskierung als unnütz, da die weiblichen Fans ja bereits zu ihrem angehimmelten Idol vorgedrungen sind. Wenn nun der Angehimmelte vor den Augen seiner Groupies demonstrativ eine Maske aufsetzen würde, wäre dies ein unernstes Signal, sie mögen ihn in Ruhe lassen. Zu diesem Zweck könnte die Maske ein beliebiges Motiv transportieren, solange sie in der Lage ist, das Antlitz zu verbergen. Der kulturelle Clash entpuppt sich letztlich als willkürlicher, zu belächelnder Spaß.

Krisenmoment / Kunstmoment

Was für ein Kunstverständnis lässt sich nun aus dem Bild ableiten? Das Bild enthält ein Krisenmoment. Krisenmomente müssen sich erst zu Kunstmomenten qualifizieren. Ein Kunstcharakter entsteht dann, wenn eingefahrene Muster gesprengt und zugleich neuartig wiederaufgebaut werden. Demgegenüber wird Kunstmachen in Anbetracht des vorliegenden Bildes als Spaß am willkürlichen Destruieren und verrückten, zugleich aber sinnlosen Provozieren aufgefasst. Strukturelle Inkonsistenzen und gestalterische Laxheiten werden offensichtlich zum Programm.

Prüfen wir nun diese Ergebnisse anhand eines weiteren Werkes von Bernhard Springer.

Bernhard Springer, Fassbinder

Acrylfarbe + Sprühlack auf Leinwand, 135 x 70 cm, 2011

Auch in diesem Werk wird die gleiche Machart zum Besten gegeben. Einem in poppigen Farben ausgestatteten normalen Zeitungsleser wird eine Strichlinienmaske mit erstauntem schematisiertem Gesichtsausdruck verpasst. Hier macht nun die Maske keinerlei Sinn mehr. Diese Beobachtung führt zu der Schlussfolgerung, dass die entscheidende Gestaltung keinen kunstrelevanten Sinn zu vermitteln vermag bzw. dass dieser im bloßen Spaß aufgehoben scheint.

Autonome vs. coole Farbgebung

Kommen wir abschließend zur Farbgebung der Bilder. Ich sprach von „poppigen“ Farben. Was ist damit eigentlich gemeint? Poppig bedeutet in diesem Zusammenhang laut, ordinär, mit geringem Anspruch und damit publikumstauglich. In dem Bild „Groupies“ werden überwiegend reine Farben verwendet, zum Teil jedoch wird auch ein sensiblerer Qualitätskontrast zugelassen. Interessanterweise ist hier der Hintergrund lauter als die Figuren selbst. Diese sind im Vergleich eher in blasseren Farbtönen gehalten. Auf diese Weise entsteht ein flächig wirkendes Gesamtbild, Gegenständlichkeit wird farblich zurückgenommen, abstraktere Hintergrundflächen dagegen werden betont. Die flächige Wirkung entsteht also durch die Vermittlung der beiden Ebenen. Die Umkehrung der „natürlichen“ Verhältnisse verweist auf der Ebene der Farbverwendung auf ein autonomes Moment von Farbe, da diese nicht naturalistisch eingesetzt wird. Die Abweichung von der Normalitätserwartung realisiert allerdings nicht die Idee einer neuen, utopischen Welt, sondern bedient einen unsensiblen Geschmacksnerv, der durch laute, bunte Farben das einfache Gemüt des Betrachters anspricht. Das pauschale Urteil „coole Farben“ wird provoziert. Mehr steckt hinter dieser gefälligen Farbgebung nicht.

Mehr als ein „sieht cool aus“ kann auch das zweite Bild dem Betrachter nicht abringen. Der kurzfristige Spaß an dem Werk verpufft schnell. Übrig bleibt der fahle Geschmack des Unausgegorenen. Hemmungslose Radikalität spricht nicht aus den Werken. Die Frage keimt auf, ob es sich überhaupt um Kunst handeln kann. In welchem Zeitalter werden diese Bilder in der Lage sein, dem Menschen humanistische Orientierung zu bieten?

Die Entstehung des Werkes „Groupies“ wird in der Sendereihe „Kunstraum, Forum der Gegenwartskunst“ unter dem Label „BOA“ (Bilder, Objekte, Aktionen) vom Bayerischen Rundfunk (BR) ausgestrahlt. Unter fetziger musikalischer Begleitung wird der Künstler Bernhard Springer beim Arbeiten gefilmt. Ab und an werden Statements zu seiner Arbeit eingeblendet. Alles in allem kommen keine ernsthaften, denkwürdigen Informationen ans Tageslicht. Das künstlerische Konzept, sofern dem Künstler in seiner unbenommen sympathischen Ausstrahlung überhaupt bewusst, wird nicht unterbreitet. Vielmehr wird auf die Technik des Malprozesses eingegangen. Die wichtigste Information besteht darin, dass Springer zunächst ein fertiges, in sich konsistentes Bild anfertigt, um erst ganz am Ende das Gesicht einer zentralen Figur zu übersprühen und es mit einer Strichlinienmaske zu versehen.

Der durch die Analyse identifizierte aufgesetzte Charakter resultiert also letztlich einfach aus der nachträglichen pauschalen Übermalung. Die Integration der Maskenform macht weder inhaltlich, formal noch technisch wirklich Sinn und muss in letzter Konsequenz als eine willkürliche gestalterische Entscheidung gewertet werden, die einzig die Wiedererkennbarkeit der Werke garantieren soll. Die Maske wird zu einem gehaltlosen Markenzeichen stilisiert.

Fahren wir nun fort mit Analysen von Werken von Klaus von Gaffron.

Klaus von Gaffron

Klaus von Gaffron, Verlorenes Schwarz, 119 x 84 cm,

Fotobildarbeit, Lightjet auf Aludibond, 2011

Wir haben ein deutliches Hochformat vor uns, das einen markanten aktiven und konfrontativen Wirkungscharakter vermittelt. Mit dieser Aktivität verbindet sich ein aktiver Komplementärfarbenkontrast im Blauviolett-Gelb-Bereich. Die Synergie von Form und Inhalt wird ergänzt und gestärkt durch einen markanten Proportionskontrast, und zwar im Verhältnis von wenig Gelb zu viel Blauviolett. Wir haben also eine dreifach geballte Ladung an aktiver Dynamik vor uns, die im gleichen Zuge durch ihre eigenen Mittel wieder ausgeglichen wird. Gemeint ist dabei vor allem das Gegengewicht, das durch die Statik von Komplementärfarbenkontrasten zustande kommt, sowie durch die relative Statik des Helldunkelkontrastes, der sowohl im Komplementärfarbenkontrast von Violett und Blau als auch im Verhältnis von Schwarz und Weiß enthalten ist. Wir erhalten also eine in sich harmonisierte Wirkung, die durch die dialektische Einheit aus Statik und Dynamik freigesetzt wird.

Die Motivlage sowie die weiche Technik machen es schwer, die Arbeit ohne Zuhilfenahme von Kontextwissen als Malerei oder gar als Fotografie zu bezeichnen. Mit beiden Medien wäre diese Farbsituation ohne weiteres realisierbar, allerdings wäre eine Malerei deutlich zeitaufwendiger. Diese Überlegungen machen eine Fotografie wahrscheinlicher. Die vorliegende Unschärfe zum Beispiel kann direkt aus den technischen Möglichkeiten der Fotografie abgeleitet werden. Falls es sich dennoch um eine Malerei handeln sollte, wäre dies umso erklärungsbedürftiger.

Aufgrund der ungegenständlichen Wirkung wird jedoch auch auf der Argumentationsebene einer Fotografie ein Fragezeichen provoziert, da ihre konkurrenzlose Leistung, die naturgetreue Wiedergabe, offensichtlich nicht in Anspruch genommen wurde. Insofern könnte man die Hypothese wagen, dass es sich hier um einen Zwitter aus Malerei und Fotografie handeln könnte.

Kommen wir nun zunächst zu den Wirkungsdimensionen des Bildes.

Welche Wirkungserfahrungen sind dem Werk eingeschrieben? Die hellen weichen Kreisformen muten wie verklärte Lichter an, die künstliche, aber nicht konkret identifizierbare Lichtquellen indizieren. Eine konkrete Situation ist nicht eindeutig vorstellbar. Am ehesten könnte es sich um Lichtreklamen oder Lichter des Straßenverkehrs handeln. Die verklärende Gestaltungsabsicht führt nun automatisch zu einer Verrätselung, die die Imagination des allgemeinen Betrachters herausfordert.

Falls es sich um eine Fotografie handelt, muss mit einer ungeheuren Unschärfe gearbeitet worden sein. Die dunkle Form rechts mutet wie eine gekrümmte Figur an, für die man auf diesem Abstraktionsniveau kein zuverlässig passendes gegenständliches Pendant finden kann.

Markenzeichen Konkreter Kunst bleiben gestalterisch unterbelichtet

Aufgrund der spröden gegenständlichen Einordbarkeit setzt sich immer mehr die Erfahrung durch, dass Farbe, Form und ihre technische Verarbeitung / konturschwache Wirkung hauptthematische Gegenstände dieser Arbeit darstellen. Farbe und Form um ihrer selbst willen bilden bekanntermaßen das Markenzeichen Konkreter Kunst, die über die bloße Abstrahierung der Gegenständlichkeit hinaus die bildkonstruktive Kraft der ästhetischen Axiome zu mobilisieren vermag.

Gleichzeitig wirkt der Zufallscharakter der Fotografie mit hinein, denn die Verteilung der Lichtformen ist recht willkürlich. Dies erkennt man an verstreuten und zu undifferenziert gesetzten Farbformelementen. Die Wahrnehmung wird über die aktuellen Verhältnisse informiert, aber sie wird nicht wirklich gelenkt im Sinne einer konsequenten Stimmenführung. Für eine Malerei oder digitale Kunst ist die Gestaltung zu ungestaltet, für eine Fotografie ist sie zu auffällig digital manipuliert bzw. nachbearbeitet.

Aufgrund der fehlenden Geschlossenheit des Bildes wird das Zufallsmoment der Arbeit weiterhin betont. Es wirkt nicht mehr als ein Ausschnitt. Die einzelnen Farbsegmente bleiben vereinzelt, sie organisieren sich nicht zu einem klanglichen Ensemble. Dem Bild ist der Zufall also programmatisch eingeschrieben. Diese Bestimmung scheint der zu Anfang entfalteten dialektischen Einheit von Statik und Dynamik gehörig zu widersprechen, da doch durch sie eine gestalterische Systematik, zumindest eine gestalterische Verdichtung eingeführt wird.

Wir müssen konzedieren, dass eine Häufung von Ausdruckskomponenten, die hier ggf. zu vorschnell als Verdichtung bezeichnet wurde, in einem Bild nicht ausreicht, um eine gewisse gestalterische Stringenz mit einhergehender bildhafter Abgeschlossenheit erwarten zu können.

Die zuvor herausgearbeiteten Synergien verhelfen dem Bild dazu, nicht vollends in Willkür abzudriften. Auf diese abschließende Bestimmung kann man sich nun getrost einigen.

Assoziative Offenheit

Ungeachtet der gestalterischen Probleme strahlt das Bild eine gewisse transzendente Magie aus. Die systematische Konturunschärfe verhüllt die Elemente in einen Schleier, Farben und deren Grenzen verschwimmen ineinander. Gleichzeitig verschwimmen sie nicht derart, dass sich ein konturloser Verlauf ergäbe. Die einzelnen Kreisformen bleiben vielmehr erhalten und als solche erfahrbar. Auf diese Weise ist es möglich, in beide Richtungen zu assoziieren: entweder die Elemente befinden sich in Auflösung oder sie konturieren sich verstärkt heraus. Wir haben damit ein Moment assoziativer Offenheit identifiziert.

Die Frage dabei ist, ob es sich um eine künstlerisch relevante, also gestaltete Offenheit handelt. Gestaltet ist sie aufgrund der willkürlichen Verteilung der Elemente sowie aufgrund des bloßen Ausschnittcharakters des Bildes keinesfalls. Konkurrierend zu den realisierten Möglichkeiten der Gestaltung gilt es zu fragen, welche Maßnahmen hätten ergriffen werden können, um der assoziativen Offenheit eine gestaltete Form zu verleihen.

Eine Gestaltung besteht aus einer auf den Punkt gebrachten dialektischen Einheit. Diese müsste in diesem Fall das Moment der Auflösung und das Moment der Verfestigung in einem umsetzen. Es müsste sich quasi sowohl auflösen als auch verfestigen. Dazu müsste eine kompositorische Idee entwickelt werden, die in der Lage ist, die Widersprüchlichkeit des Zugleich sinnlich suggestiv zu transportieren. Erst dann würde sich ein künstlerischer Geist sinnlich materialisieren können. Die Widersprüchlichkeit wäre dabei Ausdruck des Unmöglichen, das eine Chance gehabt haben würde, sich überzeugend und sinnlich vereinnahmend zu artikulieren und seine Unmöglichkeit doch möglich erscheinen zu lassen.

Klaus von Gaffron, Sila

Fotobildarbeit, Lightjet auf Aludibond, 50 x 70 cm, 2013

Auch dieses Bild weist einen bedeutenden Proportionskontrast auf, der den Grundkontrast ausmacht. Das Gelb dominiert proportional das ganze Bild, es wird von einem geringen Anteil an Violett komplementär ergänzt. Das Violett ist extrem gering vertreten, so dass keine ernstzunehmende Komplementarität vorliegt. Der harmonische Grundklang kommt nicht zustande. Dennoch wird auch hier durch den vorliegenden Helldunkelkontrast ein gewisser harmonisierender Ausgleich geschaffen.

Die extreme Unschärfe regt auch hier die Imagination an, die keinen konkreten assoziativen Weg vorgibt. Die beiden stärkeren Hubbel verweisen auf eine gewisse Plastizität, die eine abstrakte Hügellandschaft andeuten. Man bekommt auch hier den Eindruck einer verfremdeten Fotografie mit willkürlichen Effekten, die sich durch das gesamte Bild ziehen. Auch hier ist der Ausschnittcharakter vorhanden, auch hier wird er durch die harmonisierenden Tendenzen seinerseits abgemildert.

Eine konsequente Stimmenführung liegt aber auch hier nicht vor. Letztendlich kommen wir zu vergleichbaren formalen Ergebnissen wie im zuvor besprochenen Werk.

Eine diskussionswürdige markante oder zumindest ausbaufähige dialektische Einheit scheint sich hier noch nicht einmal anzubieten. Eine dialektische Thematik des Vergehens bzw. Konturierens wird durch die starke Unschärfe aber auch hier provoziert. Die Hügel könnten sich einerseits herauskonturieren, andererseits könnten sie genauso gut vergehen und sich auflösen. Die Richtung in „beide Richtungen“ wird hier allerdings nicht vorgegeben, eine entsprechende Gestaltung liegt hier also ebenfalls nicht vor.

Die Technik der Unschärfe bringt es mit sich, die herausgearbeitete Dialektik anzusprechen. Es ist davon auszugehen, dass jegliche Unschärfe diese Dialektik provoziert. Daher ist die Kritik berechtigt, dass aus den Zwangsläufigkeiten einer Technik überhaupt erst eine auf den Punkt gebrachte Gestaltungsidee hervorgehen muss. Diese Arbeit jedoch begnügt sich mit der Anwendung der Technik der Unschärfe auf alles, was einem, womöglich fotografisch in die Quere kommt. Diese Technik der Verfremdung ist nicht ausreichend, um ein künstlerisches Potential zu entfalten.

Klaus von Gaffron, Isig

Zweiteilige Fotobildarbeit, Lightjet auf Aludibond, 50 x 70 cm, 2013

Offensichtlich ist das Bild Bestandteil eines zweiteiligen Werkes. Es bildet dessen linken Flügel. Es handelt sich hier nun also eigentlich um ein Diptychon. Beide Bilder stehen annähernd symmetrisch zueinander.

Die Frage kommt auf, warum keine exakte Symmetrie vorliegt. Was bedeutet es, wenn Symmetrie nur annähernd realisiert ist? Eine Annäherung an Symmetrie kann zweierlei bedeuten: entweder sie wurde nachlässig arrangiert oder es steht ein bewusstes Konzept dahinter. Die Qualifizierung der nur ähnlichen Symmetrie als schlampig oder nachlässig würde mit dem willkürlichen Charakter der Bildauffassungen korrespondieren: Es wird alles nicht so genau genommen. Der zweite Fall würde dementsprechend mehr erstaunen. Eine gezielte Abweichung von der Symmetrie würde ein Maß von minimalistischer Exaktheit zum Ausdruck bringen, für das es in den Werken keine vergleichbaren Anzeichen gäbe. Dennoch gebietet es, die minimale Abweichung ernst zu nehmen und sie als bewusst gestaltet einzustufen.

Was bringt die minimalistische Abweichung zum Ausdruck? Welche Konsequenzen hat sie? Die rechte gespiegelte Situation wirkt nach rechts unten abweichend und abfallend. Die Motivsituation scheint sich insgesamt negativ abzuneigen, es durchziehen das Werk insgesamt negativ geneigte imaginäre Kräfte. Die Festigkeit einer Symmetrie wird auf diese Weise in Frage gestellt. Wirklich motiviert im Sinne einer sinnvollen Abweichung mutet diese allerdings nicht an. Die Konstellation wirkt im Grunde nur schief. Gerade eine nicht schiefe Symmetrie würde den willkürlichen Motiven eine gewisse Festigkeit geben. Allerdings würde diese erst durch eine gespiegelte Verdopplung des an sich willkürlich strukturierten Bildmotivs erreicht, nicht durch eine bildinterne kompositorische Maßnahme. Hier drückt sich umso deutlicher die Verweigerung einer kompositorischen Anstrengung aus. Durch die versuchte Symmetrisierung wird die einfachste Lösung gesucht, dem Gestaltungsanspruch aus dem Weg zu gehen.

Der allgemeine Betrachter wird mit einer Art gespaltenem Flugtier konfrontiert, das mit gespreizten Flügeln die gesamten Bildteile umfasst. Die Wirkung ist jetzt – unabhängig von der missglückten Symmetrie – nicht mehr halb und willkürlich, sondern ganz und vollständig.

Festigkeit durch gespiegelte Verdopplung

Diese Beobachtung führt uns zu einer interessanten Theoriebildung: Die Wirkung von Willkür, Beliebigkeit, Zufälligkeit, Nichtgestaltung wir durch Symmetrisierung aufgehoben und zu einer festen Gestaltwirkung überführt. Diese Maßnahme könnte als ein symbolisches Verfahren verstanden werden, Beliebigkeit durch gespiegelte Verdopplung zu kurieren.

Allerdings ist dieses Verfahren nicht neu. Der in der Psychologie genutzte Rorschachtest führt zu einer Schmetterlingsfigur, die dem hier entstandenen Flugtiercharakter nicht unähnlich ist. Bekanntermaßen beflügelt er die Assoziationen des Probanden, und je nach mitgeteilter Assoziation werden Rückschlüsse auf psychologische Dispositionen gezogen. Allerdings werden dazu ausgesuchte ambivalente Schmetterlingsfiguren verwendet. Diese Ambivalenz scheint hier nicht gegeben, da auch nicht intendiert.

Alles in allem erkennen wir die „heilsame“ Wirkung von symmetrisierenden Gestaltungsmaßnahmen.

Eine Symmetrisierung kann durch Spiegelung erreicht werden. Eine Spiegelung schafft eine radikale Umkehrung der Elementepositionen, trotz des radikalen Positionstauschs wirkt das Spiegelbild jedoch ähnlich, vor allem, weil die Verhältnisse der Elemente untereinander erhalten bleiben, ebenso die der Farben und diese selbst.

Symmetrie heilt eine willkürliche Gestaltung

Warum muss – im Rahmen eines Gestaltungsakts – überhaupt etwas gespiegelt werden? Denn das Objekt wird ja im Grunde nur gespiegelt, also nicht wesentlich verändert. Es handelt sich angesichts dieses Diptychons, wie bereits festgestellt, um eine bildexterne Rettungsmaßnahme im Zuge der Heilung einer willkürlichen Gestaltung. Unabhängig von diesem zweiteiligen Bild bedeutet Spiegelung eine invertierte Verdopplung, wobei das Spiegelbild die invertierte Projektion des originalen Objekts darstellt. Im Rahmen einer Spiegelung entsteht also eine dialektische Einheit zwischen einem Original und seinem invertierten Abbild. Im Rahmen einer Symmetrisierung gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Original und Abbild, es liegen gleichberechtigte optische Pendants vor. Es ist grundsätzlich nicht mehr zu unterscheiden, welches Bild Vorlagencharakter hatte. Dennoch muss es im Zuge der Symmetrisierung eine invertierende Gegenreaktion auf eine gestalterische Vorgabe geben. Diese Überlegung gebietet alleine schon der prozessurale Charakter des Gestaltungsaktes: das Zugleich innerhalb des Bildes ist Resultat eines handwerklichen Nacheinanders.

Eine Spiegelung eines in sich geschlossenen Kompositionsgefüges ist insofern kontraproduktiv, da eine unnötige invertierte Verdopplung stattfände. Eine sinnvolle Symmetrie liegt also dann vor, wenn die gespiegelten Elemente einseitig, für sich gesehen unvollständig sind. Insofern ist in unserem Fall die symmetrisierende Maßnahme durchaus berechtigt. Der endgültige Sinn einer Symmetrisierung ist also Harmonisierung, Vervollständigung, Gleichförmigkeit. Gleichzeitig drückt Symmetrie immer auch ein in sich hermetisches, abgeschlossenes System aus, das sich nach außen hin abkapselt. Insofern bringt Symmetrie immer auch unflexiblen Stillstand zum Ausdruck.

Kommen wir nun zu dem Maler Max Kaminski.

Max Kaminski

Max Kaminski, Rue Paradis, Hand

Ölfarbe auf Leinwand, 80 x 100 cm, 2010

In diesem Werk dominiert Dynamik. Es liegt kein einziger Ruhevektor vor. Durch die allseitige Bildrandbindung von Elementen wird ein starker Ausschnittcharakter vermittelt. Angesichts der rätselhaften Bildsituation suggeriert der bloße Anschnitt eine Kontinuität des Rätselhaften jenseits der sichtbaren Grenzen. Auf diese Weise findet eine Verstärkung dieses Rätselcharakters statt.

Auf der Suche nach einem Wahrnehmungsschwerpunkt kommt man immer wieder zu der oberhalb positionierten Kreisform mit dem hellen angeschnittenen Ovalelement mit spitzer Linie zurück, obgleich sie noch am wenigsten gegenständliche Identifikationsmöglichkeit bietet. Die Kreisform ist offensichtlich in der Lage, einen ausgleichenden Ruhepol zu bieten innerhalb der ansonsten grassierenden Dynamik. Außerdem ist dieses Element eines der wenigen, das nicht bildrandgebunden ist.

Die Dynamik der gesamten Konstellation wird durch die Farbgebung zusätzlich betont. Der Kaltwarmkontrast im Rotbereich liefert eine untersetzte Feurigkeit. Für ein infernales Farbmotiv ist das Rot insgesamt zu milde, zu kalt.

Eine lesbare gegenständliche Situation liegt nicht vor, es lassen sich lediglich gegenständliche Einzelteile benennen: Hand, Bein, Fuß, Zweige, Kiste etc. Es wird ein Interieur erahnbar, das aber keine bekannte Charakterisierbarkeit ermöglicht.

Durch die vereinseitigte Farbgebung und den Ausschnittcharakter wird der Betrachter mit einer unverwandten, da nicht einordbaren Situation konfrontiert. Es fehlt letztlich die Sprache, um die Eigenartigkeiten des Bildes in Worte fassen zu können. Allerdings liegt kein surrealistischer o.ä. Bildkanon vor. Es lässt sich schlicht und einfach kein wiedererkennbarer Sinn erkennen. Farbe und dynamische Formkonstellationen stehen im Vordergrund der objektiven Bildaussage. Aufsteigende und abfallende Winkel halten sich von ihrer Anzahl her die Waage. Man erkennt am kompositorischen Spiel insgesamt das gestalterische Anliegen eines harmonischen Kräfteausgleichs.

Abstraktion vs. konkret-autonomer Bildgestaltung