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Der Auer Max will eigentlich nur seine Rosi wieder mal rumkriegen. Da taucht die Besitzerin der Rosenheimer Babylon-Bar, Silikon-Wally, in seinem Leben auf. Ihr Freund, der Günter, wird von der Polizei und einigen Unterwelt-Bossen gejagt. Nach diversen Überfällen auf Geldtransporter ist der Günter nämlich Millionär. Und an diese Millionen wollen sie ran, die Münchner Clan-Chefs. Aber die Wally, die will den Günter und das Geld und mit ihm abhauen. Da kommt Max Auer ins Spiel und die Sache nimmt Fahrt auf …
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Seitenzahl: 365
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Heinz von Wilk
Babylon Rosenheim
Kriminalroman
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Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Kanea / shutterstock.com
und © Nik Merkulov / shutterstock.com
ISBN 978-3-8392-6614-4
Dies ist ein Roman. Viele der Handlungen und Personen sind frei erfunden, andere nicht. Aber Sie würden sie nicht erkennen, selbst wenn die eine oder andere Figur aus dieser Geschichte auf der Straße an Ihnen vorbeiginge. Oder in einem der Geschäfte direkt neben Ihnen ihre Einkäufe tätigte. Denn natürlich gibt es den Metzger Lohberger und seine gnadenlos guten Weißwürscht, die Bäckerei Bergmeister samt dem »Sizilianischen Zitronenkuchen«. Genau deswegen sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen nur manchmal rein zufällig.
Diese Geschichte ist auch wieder nichts für schwache Nerven. Aber sie hat sich genau so abgespielt. Fast jedenfalls. Deswegen will ich dich was fragen, bevor wir anfangen: Wie gut kennst du deine Stadt? Ich meine, weißt du, was in den Straßen, Hinterhöfen und Kneipen passiert, in den Stunden der tiefsten Dunkelheit? Zwischen weit nach Mitternacht und der Zeit, in der die lange Nacht gegen den neuen Tag so langsam den Kürzeren zieht?
Also überleg es dir, denn hier sind sie alle wieder: der Auer Max und die Nutella-Rosi, die Tante Friedl und ihr Ex-Heiratsschwindler Manfred. Du weißt schon, das ist der alte Kerl, der immer sagt: »Wer vögeln will, muss freundlich sein.« Und natürlich sind da noch all die schillernden und schrägen Figuren, die erst auftauchen, wenn du schon lange schläfst. Dann kommen sie, die Kinder der Nacht, und übernehmen die Stadt: Polizisten im und außer Dienst, die lauten Zuhälter und ihre bunten Mädels. Die Barmänner, Kartenhaie, Ganoven, die schrägen Abstauber und ein schweigsamer Rausschmeißer mit Holzbein. Ja, und natürlich die Silikon-Wally, das achte Weltwunder.
Manche von euch haben sie gekannt, die Silikon-Wally. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Und der eine oder andere war natürlich auch in ihrer Bar in der Samerstraße, dem legendären Babylon.
Denn für die Wally und ihre Cocktails sind die Kerle von überall hergekommen, musst du wissen. Aus München, Salzburg, ja, was sag ich: Einmal ist sogar die gesamte zweite Mannschaft des FC Turin mit dem Bus angerollt.
Gut, die haben zu der Zeit in Tirol ein Trainingslager gehabt, glaube ich. Aber ebenda hat ihnen jemand von der Wally erzählt, und von ihren Cocktails: dem Pornostar, dem doppelten Kuschelterror auf Eis oder dem flambierten Latex-Freak. In den hat die Wally immer so bunte, leuchtende Plastik-Schirmchen reingesteckt. Du merkst es schon, das Babylon war nichts für Weichwaden und Teddybären-Werfer.
Und die Wally? Die ist eine Frau mit Nebenwirkungen, das kannst du mir ruhig glauben: fast einen Meter 80 groß, schlank, blond, blaue Augen und mit einem Busen gesegnet, den die Gesetze der Schwerkraft nie interessiert haben. Die ganze Pracht ist zwar echt und real. Trotzdem hat sie sehr schnell den Spitznamen »Silikon-Wally« gehabt.
Wenn du ins Babylon gegangen bist, dann hast du das reale Leben draußen in der Welt schnell vergessen. Die Kerle wollten die Wally vielleicht nicht direkt heiraten, aber ein jeder hat definitiv versucht, sie ins Bett zu kriegen, was glaubst du denn? Jeder, sag ich dir, und das mit allen Tricks, das kannst du mir ruhig glauben.
Einer ihrer Stammgäste in der Bar war der trinkfeste Professor Dr. Eduard Steinbrenner, ein Schönheitschirurg, der sich im Alter auf aufgepolsterte Pobacken spezialisiert hat. Den hat sie mal gefragt, ob er ihren Mordsbusen nicht ein bissel verkleinern kann. Und der Professor, in Halbwelt-Kreisen als »Falten-Ede« bekannt, sagte zu ihr: »Ja spinnst jetzt? Lass doch lieber die Hände von deinem Kerl vergrößern!«
Dabei hat sie damals, als sich diese Sache mit der Leich’ zugetragen hat, offiziell gar keinen festen Kerl mehr gehabt. Weil der Günter abwechselnd entweder irgendwo untergetaucht war oder spektakuläre Überfälle auf Geldtransporter durchgezogen hat. Um gleich danach wieder unterzutauchen, schon klar, oder? Ob das im Endeffekt gut für sie war, das ganze Unter- und Auftauchen vom Günter, das kann ich dir jetzt aber beim besten Willen nicht sagen. Auf jeden Fall hätte sich wahrscheinlich vieles ganz anders abgespielt. Aber was meinst du: Können wir jetzt anfangen? Denn das ist ihre Geschichte:
sagte der Manfred und schielte über den Zeitungsrand zum Auer Max rüber. Der war aber so mit dem Sportteil beschäftigt, dass er den Manfred nicht so richtig verstand: »Was? Wo ist eine Leiche?«
Jetzt musst du wissen, dass die zwei, der Manfred und der Max, nach dem Frühstück immer noch gerne ein bissel lesend am Tisch sitzen und sich dabei das OVB teilen. Es gibt ja sonst keine andere Zeitung mehr hier im Chiemgau, die heißen dann eben nur anders. Und auch wenn du dir aus Trotz dazu noch die AZ kaufen würdest: Es hilft ja nix, weil da im Prinzip auch nichts anderes drinsteht.
Der Max hatte den Sport und las da einen Artikel vom Günter Klein, den er besonders schätzt: »Pass einmal auf: Der Klein schreibt hier, dass ihm beim Handball die Fouls zu offensichtlich sind. Und dass sich die meisten Spieler vorher vier Voltaren-Pillen reinklopfen, und nur mit getapten Sprunggelenken aufs Feld gehen. Hast du das gewusst? Außerdem fallen zu viele Tore, die nicht gewertet werden dürften, schreibt er. Weil beim Sprungwurf der Fuß den Boden berührt, und, ich zitiere ›der Ball die Hand aber noch nicht verlassen hat‹. Deswegen haben die auch noch keinen Videobeweis, schreibt er. Hast du nicht auch einmal Handball gespielt?«
Manfred ließ mit einem süffisanten Lächeln seinen Teil »Rosenheim & Region« sinken: »Mein lieber Junge, um in meinem anspruchsvollen Beruf erfolgreich zu sein, spielst du nicht Handball oder machst Sackhüpfen. Du musst die besten Golfplätze der Welt kennen, dich über Polo unterhalten können und wissen, was ein Tie-Break beim Schach ist. Hast du übrigens gehört, was ich gerade vorher gesagt habe?«
»Ja. Was ist mit der Leich’?«
Manfred schob seinen Zeitungsteil zu Max rüber und klopfte mit dem Finger auf einen Artikel im unteren Drittel der Seite: »Da. Vor ein paar Tagen haben sie einen aus dem Inn gefischt. Aus ermittlungstaktischen Gründen wurde das vorher nicht bekannt gegeben. Lies mal, was da steht.«
Max schnappte sich die Zeitung, rückte seine Lesebrille zurecht und las laut: »Wie hat der Millionendieb seinen Kollegen ausgetrickst? Anwohner und Passanten in der Münchener Straße sahen die zwei blau uniformierten Männer, die am 27. April 2018 um 16.45 Uhr durch den Salinpark in Richtung KUKO liefen. Sie zogen zwei große Aluminium-Koffer auf Rollen hinter sich her, die aus dem Geldtransporter stammten, der mit laufendem Motor vor den beiden Telefonzellen neben dem Kiosk stand. Offenbar handelte es sich bei den beiden Männern um die Fahrer des Geldtransporters. Fahrzeuge dieser Art sind zwar durch GPS, Video, Panzerglas, Alarmanlagen, besondere Türschließsysteme und weitere Sicherungen gegen Angriffe von außen bestens geschützt. Aber die beiden Fahrer tricksten das System damals von innen heraus scheinbar mühelos aus. Wir berichteten, dass auch eine sofortige Ringfahndung, an der mehr als 40 Polizeifahrzeuge beteiligt waren, und der Hubschrauber-Einsatz keinen Erfolg hatten. Nun ist womöglich einer der beiden Räuber tot aus dem Inn geborgen worden. Taucher des THW holten den Leichnam vom Grund des Flusses. Der Tote war eng in einen Maschendrahtzaun eingewickelt. Nach ersten Untersuchungen teilte die Kripo durch ihren Pressesprecher mit, dass es sich bei dem Aufgefundenen mit großer Wahrscheinlichkeit um Richard Blumenauer handelt. Er war einer der beiden Geldtransport-Fahrer. Von dem zweiten Mann, Günter Laim und dem gestohlenen Geld fehlt nach wie vor jede Spur. Zur Höhe der Beute wollte sich weder das Sicherheitsunternehmen noch die Polizei äußern.«
Max legte die Zeitung wieder auf den Tisch und nahm die Brille ab: »Das mit dem Maschendraht kommt mir bekannt vor. Wir hatten in München zwei solche Fälle, das ist eine alte italienische Methode.«
»Ja, aber du warst doch bei der Sitte, oder?«
Manfred schenkte sich noch etwas Kaffee nach und hob die Kanne zu Max, der den Kopf schüttelte: »Danke, nein. Ich war auch ein Jahr oder so beim Mord. Als Mord-Bulle hinkst du dem Geschehen immer einen Schritt hinterher. Weil, wenn wir kommen, dann sind die, um die es geht, ja schon tot. Und der Mörder? Weg. Das frustriert dich irgendwann. Also, zum Thema Drahtzaun: Wenn du einen von oben bis unten in Maschendraht einwickelst, dann muss das ganz stramm sitzen, bevor du ihn ins Wasser schmeißt. Denn wenn sich dann nach einiger Zeit die Gase im Körper ausdehnen, zerschneidet der enggeschnürte Draht den Kerl in handliches Fischfutter. Und wenn der Tote lange genug auf dem Grund liegt, sind irgendwann nur noch Knochen übrig. Gut, was?«
Der Manfred ist eigentlich von seinem Naturell her immer ein friedlicher Mensch gewesen, das muss ich jetzt schon einmal sagen. Und als gelernter, diplomierter Heiratsschwindler kommst du ja auch nicht so oft in die Verlegenheit, dass du jemanden umbringen musst. Im Gegenteil, wenn du dich nicht früh genug aus diesem Beruf zurückziehst, kann es schnell sein, dass dich ein Infarkterl oder ein Schlagerl aus dem Leben reißt. Augen auf bei der Berufswahl, sage ich immer. Überanstrengung am Arbeitsplatz ist das Stichwort.
Auf jeden Fall starrte der Manfred entsetzt auf den Max, und wie sich die zwei im Wohnzimmer des 184-Quadratmeter-Penthouses der Friedl hoch über der Münchener Straße anschauten, kam ebendiese aus der Küche getänzelt: »Na ihr zwei Männer, ich habe mir grade überlegt, dass wir uns heute Abend einen schönen gedämpften Fisch gönnen könnten. Mit Gemüse und Kartoffeln. Maxi, wenn du später mal beim Buck vorbeischaust? Die haben doch immer so wunderbare Zanderfilets. Na, was meint ihr?«
»Äh, ja, das klingt doch wunderbar. Sag, mein Schatz, was frisst denn so ein Zander eigentlich? Also, überwiegend und überhaupt, meine ich?« Manfred, sichtlich um Fassung bemüht, lächelte die Friedl an.
Max setzte sein fiesestes Jack-Nicholson-Lächeln auf: »So ein Zander? Warum interessiert dich das jetzt? Der frisst alles, was ihm vor die Kiefer kommt. Die Chiemsee-Fischer nennen ihn deswegen auch ›Hundsbarsch‹, weil er ein sensibler Kannibale ist. Warum fragst du?«
»Hmhm, ich mein ja nur. Warum legen wir nicht mal einen vegetarischen Tag ein? Pfannkuchen mit Ei oder so?«
Friedl schaute ihren Manfred zweifelnd an: »Pfannkuchen sind an und für sich aus Ei. Zusammen mit Mehl und Milch. Einen Pfannkuchen mit Spiegelei oder Rührei habe ich noch nie gesehen oder gegessen. Du schon?«
Manfred wand sich: »Ja klar. In vielen Ländern, da essen sie so was. Die Pygmäen in Dings, auf dieser Zwergen-Insel in der Südsee, auf Pygmalion, die essen nur so was. Die sind ganz verrückt danach, diese kleinen Kerle. Immer und ausschließlich Pfannkuchen mit Spiegelei, wie ich betonen möchte.«
Friedl beugte sich über Manfred: »Bringst du da nicht was durcheinander, mein Lieber? Pygmalion, das ist doch ein Schauspiel, von Bernard Shaw, glaube ich.«
Manfred räusperte sich: »Sag ich doch. Diese Pfannkuchen mit Spiegelei sind so berühmt, dass es sogar ein Theaterstück darüber gibt.«
Die Friedl schüttelte den Kopf: »So ein Schmarrn. Aber wie ihr wollt. Dann überlegt euch bitte was anderes. Was hast du dem Manfred denn grade vorgelesen, Maxi? Ich meine, weil er gar so blass ist?«
Der Auer, eins-achtzig, 86 Kilo, 41 Jahre alt, hasste es, wenn ihn die Friedl »Maxi« oder »Bub« nannte, schnappte sich die Zeitung und las: »Hier, genau diesen Artikel: Als man den Schimpansen die Möglichkeit gab, das Fernsehprogramm mittels einer Fernbedienung selber zu bestimmen, wählten sie den Playboy-Kanal als ihr Lieblingsprogramm. Interessant, was?«
Friedl sagte: »Das untermauert eigentlich nur meine Meinung zur Evolutionstheorie.« Friedl holte tief Luft, um weiterzusprechen, aber in dem Moment brummte Auers Handy. Er hob es ans Ohr: »Ja?«
»Servus Auer. Ich bin’s, der Chili.« Max drückte das Telefon an die Brust und sagte: »’tschuldigung, ich geh mal kurz auf die Terrasse.« Er stand auf und marschierte auf die Dachterrasse, ging bis zum Geländer und schaute auf die Münchener Straße runter: »Ja, grüß dich, Sepp. Was läuft?«
Erinnerst du dich doch noch an den Glasl Sepp? Bestimmt, oder? Seit der das »Wild West«, da hinten bei der Klepperstraße hat, nennt er sich »Chili«. Das »Wild West« ist offiziell ein Steakhaus und inoffiziell ein ziemlich schräger Laden, musst du wissen. Mit Mädels an der Stange und an den Tischen. Und wenn du die richtigen Leute kennst, dann kannst du es im Wilden Westen auch im Juli oder August auf den Tischen in Lines schneien lassen. Von den Rosenheimern, die in Chilis Laden ein und aus gehen, da sagt auch keiner »Wild West«, sondern einfach nur »West«, »Go West« oder »ab in den wilden Westen«.
Im Sommer sitzt der Chili oft vor dem Café Bergmeister. Du hast ihn da bestimmt schon gesehen, pass auf: großer Typ, schlank, an die 40, die Haare an den Seiten ausrasiert, aber einen langen, dünnen, hellblonden Pferdeschwanz. Trinkt immer Orangensaft und Kaffee. Manchmal auch einen kleinen Roten dazu. Na, klingelt da was bei dir?
Sag ich doch, den Chili vergisst man nicht, wenn man ihn einmal gesehen hat. Aber lass mich jetzt weitererzählen:
»Alles Lucky in Kentucky. Max, kannst du gegen Mittag bei mir vorbeischauen? Im ›Wild West‹? Da kommt eine Dame, die möchte dich kennenlernen.«
»Eine Dame? Und die will mich kennenlernen? Seit wann verkehren bei dir Damen? Bist jetzt ganz deppert, Chili? Und, wenn die Rosi so was mitkriegt, bin ich so gut wie tot. Ruf mich an, wenn du was nettes Auswärtiges für mich hast. Einen netten Hasen am Tegernsee oder noch ein bissel weiter weg. Aber in Rosenheim? Vergiss es.«
»Nein, nein. Die will was von dir. Beruflich. Da haben sich plötzlich ein paar Probleme aufgetan, deswegen braucht sie Schutz. Und noch was: Die ist höllisch attraktiv, eine stadtbekannte Schönheit. Na, wie klingt das jetzt für dich?«
»Da ist sie bei dir doch in besten Händen. Stell ihr deine Zwillinge an die Seite, lass sie bei dir im Haus wohnen und dafür soll sie an der Stange tanzen. Patsch. Drei Fliegen mit einer Klappe.«
»Geht nicht. Wir reden hier von der Silikon-Wally. Und ein Teil ihrer Probleme kommt aus München und ist möglicherweise schon in der Stadt.«
»Wieder eine Fußball-Mannschaft?«
»Schlimmer. Viel schlimmer. Nur ein Kerl, aber dafür von einem bösen Kaliber. Der Adi. Kommst du oder ja?«
Max überlegte kurz: »Der schöne Adi? Bist du sicher, dass es der Adi ist? Adi Mitler, Mitler wie Hitler, nur ohne H?«
»Genau so hat er sich gestern Nacht bei der Silikone am Telefon vorgestellt. Und gesagt, dass er extra wegen ihr aus München kommt. Geschäftlich, sie soll also nichts, was bald passiert, persönlich nehmen.«
»Was ist so schlimm daran?«
Der Chili seufzte, so wie man seufzt, wenn man einem Kind was erklärt, und der Blagen checkt das ums Verrecken nicht: »Die Silikon-Wally war mal oder ist immer noch mit dem Laim Günter zusammen, so genau weiß das keiner. Und voriges Jahr im Sommer hat der Laim zusammen mit dem Blumenauer Richie den Kohlewagen geleert. Den Geldtransporter, gegenüber vom Karstadt war das. Steht doch heute in der Zeitung. Liest du keine Tagespresse?«
Auer kniff die Augen zusammen: »Ja, das hab ich gelesen. Letzten Sommer war ich aber noch bei der Bullerei in München. Im September bin ich nach Rosenheim gekommen. Trotzdem begreife ich aber nicht, was ich da in der Sache machen soll.«
Wieder ein stöhnendes Seufzen: »Der liebe Gott hat auch dir ein Gehirn gegeben, mein Bruder. Nur hat er in deinem Fall anscheinend die Gebrauchsanweisung nicht mitgeliefert, hab ich recht?«
Jetzt fragst du dich natürlich, warum einer wie der Chili mit einem wie dem Auer Max so reden kann, ohne dass es gleich scheppert. Das kann ich dir sagen: Die zwei waren zusammen in der Volksschule. Du weißt schon, das gelbe Haus in der Königstraße.
Da haben die zwei Jahre lang nebeneinander auf der Bank gesessen. Das heißt, der Chili war eigentlich ursprünglich zwei Klassen über dem Auer. Aber er hat’s halt immer schon mehr in den Armen als im Kopf gehabt. Das mangelnde Denkvermögen, und natürlich, weil er dem alten Schmid, dem Erdkundelehrer, Sekundenkleber auf den Stuhl gestrichen hat, das hat ihm die zwei Ehrenrunden eingebracht.
Deswegen saß er ab der siebten Klasse neben dem Auer Max. Stichwort: Freundschaft und Blutsbrüderschaft nach ein paar Tagen. Und in der Pause haben sie zusammen mit dem Waschler Peter, der mit 13 schon ausgesehen hat wie einer von den Klitschkos, den Schulhof beherrscht.
Der Waschler ist jetzt ein Revierförster im Allgäu, der Auer ist zur Polizei gegangen, und der Glasl hat es nie so mit der Arbeit gehabt und war mit 18 das erste Mal hinter Gitter. Dort hat er eine umfassende Ausbildung für sein weiteres Leben erhalten.
Da fällt mir noch schnell was ein: Der Waschler, der hat auch noch eine Schwester gehabt, die Ellie. Die war ein Jahr älter als er und gut gebaut. Für eine Breze und ein Fuffzgerl, das der Waschler im Voraus kassiert hat, ist die Ellie manchmal nachmittags um drei auf einer Bank am Inndamm, direkt hinter dem Eisstadion, gesessen. Und man durfte der Ellie nach Bezahlung einmal kurz an eine Brust fassen. Welche, das konnte man sich selber aussuchen, da war der Waschler Peter kulant und der Ellie war das eh wurscht. Die hat während des Geschäftsablaufs nach oben in die Baumkronen geschaut und mit einem Bubble Gum große Blasen gemacht, die beim Zerplatzen ziemlich laut geknallt haben. Zeitmäßig war die Ellie auch ziemlich großzügig. Aber wehe, du hast zweimal zugedrückt. Oder schnell mal die Brust gewechselt, ja, was glaubst du?
Ich hab da selber mal miterlebt, wie sich der Waschler den Holzinger Bene hochkant über die Schulter geworfen hat. Dann ist er gemächlich den Damm runtergeklettert und hat den schreienden und strampelnden Holzinger in den Inn geworfen. Da wäre der fast dabei ersoffen.
Anschließend hat der Waschler die Preise fürs Greifen erhöht. Aber das Geschäft war eh ein Auslaufmodell, weil die Ellie kurz darauf in ein Heim für schwer erziehbare Mädchen gekommen ist.
Aber stell dir vor: Ich hab sie vor ein paar Jahren zufällig im Fernsehen gesehen. Die ist jetzt bei der AfD im Osten, hat es geheißen, und mit einer angeblich ganzkörperbehaarten Frau verheiratet.
Aber lass mich weitermachen:
Der Max sagte also: »Ja gut. Ich hör mir das mal unverbindlich an. Dafür gibst du mir drei von deinen Bison-Rib-Eye-Steaks aus Arkansas.«
»Zwei!«
»Drei. Sonst schreib ich in der Samstagszeitung einen Leserbrief, dass deine original Arkansas-Bison-Steaks aus Grabenstätt kommen und ganz ordinäres Rindfleisch sind.«
»Das wagst du nicht! Oder?«
»Bis gleich, Alter, und pack das Fleisch gut ein, ja?«
Grinsend schlenderte der Max über die riesige Dachterrasse und ging wieder ins Wohnzimmer. Die Friedl hatte den Tisch abgeräumt und saß gegenüber vom Manfred, der ihre Hand hielt und sie anlächelte. »Ich finde überhaupt nicht, dass du alt aussiehst, mein Schatz. Im Gegenteil, wenn ich dich auf der Straße sehen würde, dann käme ich mir zu alt vor, um dich überhaupt anzusprechen. Weil, das wär ja dann versuchte Unzucht mit Minderjährigen, oder?«
Friedl schlug ihm lachend auf die Hand: »Du elender alter Schleimer. Immer noch die beruflichen Sprüche drauf, was? Aber es ist halt so, die Zeit knetet sich einen jeden von uns nach und nach zurecht.«
Und zu Max: »Was ist jetzt mit dem Fisch?«
Der Auer schüttelte den Kopf: »Ich muss zum Glasl raus, und der hat mir grade angeboten, dass er mir drei schöne Steaks herrichtet. Die mache ich uns heute Abend, mit Trüffel-Pommes aus dem Airfryer. Wie klingt das?«
Friedl klatschte in die Hände: »Au ja. Dann sauen wir uns mit Ketchup und Mayo so richtig zu.«
Manfred verdrehte die Augen und meinte: »Darf ich zum Thema Fleisch noch ganz kurz was anmerken?«
Der Auer hob warnend den Zeigefinger und meinte: »Manni, übertreib es jetzt nicht, ja?«
Bevor ich es vergesse, so macht der Griller vom Chili ein perfektes Wagyu-Steak, und für die ist das »Wild West« ja weltberühmt in Rosenheim:
Er nimmt ein schönes Steak von circa 250 Gramm, das reicht.
Wichtig: Das Fleisch ein paar Stunden vor dem Braten aus dem Kühlschrank holen, es muss Zimmertemperatur haben. Das Fleisch auf keinen Fall vorher salzen oder pfeffern.
Zum Anbraten eine unbeschichtete Eisenpfanne nehmen. Ganz wenig Butterschmalz rein. Erst kurz vor dem Rauchpunkt das Steak in die Pfanne legen. Je nach Fleischdicke auf jeder Seite ein paar Minuten unter Volldampf anbraten. Durch, denn gerade Wagyu-Fleisch muss durch sein, so schmeckt es am besten. Jetzt hat sich beidseitig eine schöne braune Kruste gebildet und du nimmst das Fleisch raus, legst es bei 80 Grad auf einem Teller für circa 15 Minuten in den Backofen. Den Saft, der austritt, den brauchst du gleich noch.
In diesen circa 15 Minuten machst du die Pommes (kauf teure, dünne) in einem Airfryer. Auf den Tisch kommen noch Leicht-Mayo (gibt es in Österreich) und Leicht-Ketchup. Wenn die Pommes fertig sind, würzt du sie mit feinem Salz und Trüffel-Trester, getrocknet aus dem Glas.
Das Fleisch in fingerdicke Streifen schneiden, auf die Teller legen, den ausgetretenen Saft drüber, ein wenig pfeffern, ein wenig salzen, Pommes dazu und auf den Tisch damit. Das kostet im »Wild West« 40 Euro, aber es hat noch keiner gemeckert. So, jetzt machen wir aber mit der Story weiter.
Weil, jetzt weiß ich natürlich auch nicht, ob du dich noch an das »Wild West« erinnerst? Vielleicht aus der ersten Geschichte? Pass auf: Das Schild über der Tür mit der Leuchtreklame, das gibt es immer noch. Die gelbe Schrift auf dem schwarzen Grund ist natürlich schon ein bissel verblasst und die roten Chili-Schoten, die gehören auch einmal nachgepinselt, meine ich.
Die Fenster sind immer noch mit Folie verklebt. Die zieht aber schon überall Falten, verblasst und wird brüchig. Aber die Eingangstür, die eigentlich aus einem Gefängnis in Traunstein stammt und einmal eine Zellentür war, die kriegst du nicht kaputt. Das haben schon viele versucht. Im Knast und später vor dem »Wild West«.
Ist dir nicht auch schon einmal aufgefallen, dass es in Bars, Spielsalons und Bordellen keine Fenster gibt? Und wenn, dann sind die zugeklebt. Warum machen die das, denkst du dir jetzt, oder? Ganz einfach: So will man die Zeit aussperren. Du sollst nicht merken, wie die Zeit vergeht. Ob es noch Nacht oder schon Tag ist. Gut, im Bordell ist das vielleicht nicht ganz so. Da machst du deine Übungen und dann heißt es wie beim Zahnarzt: der Nächste bitte.
Der Auer Max hatte seine liebe Mühe, die schwere Tür aufzumachen. Der Geruch von schalem Bier, verschüttetem Schnaps und kaltem, süßlichem Rauch schlug ihm aus dem Halbdunkel der Kneipe entgegen.
Um diese Zeit war der Laden ja noch offiziell zu, deswegen verbreiteten nur ein paar matte weiße Neonleuchten ein diffuses Licht. Max versuchte, seine Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen und nahm nach ein paar Sekunden die Blonde hinter der Bar wahr. Die Laura. Erinnerst du dich noch an sie? Oder an ihren Kater, den Carlo? Bestimmt, oder? Der Carlo, der hat immer noch seine neun Kilo, und die Laura sagt immer noch, dass neun Kilo für einen Kater nicht besonders viel sind, weil, wie sie sagt, das bei dem Carlo eh bloß die reine Muskelmasse und Samenstränge sind. Ach ja, und ganz kurze, sehr enge goldglitzernde Mini-Röcke hat sie immer noch an, die Laura. Nur wenn sie sich umdreht und sich streckt, um von ganz oben aus dem Regal eine Flasche zu holen, dann siehst du eine Änderung an ihrem Körper: Das kunstvoll tätowierte, farbige Arschgeweih, dessen Hörner bis hoch zu den Nieren gingen, das ist weg. Gut, nicht direkt weg. Sie hat sich einen Erzengel mit mächtigen Flügeln draus machen lassen. Der sieht zwar ein bissel merkwürdig aus, so als reiner Engel, aber die Eltern von der Laura wohnen in Niederbayern und haben drauf bestanden, dass aus dem Geweih ein Engel wird. Oder mindestens was ähnlich Religiöses.
Die Laura hob Flaschen mit Absolut-Wodka aus einer Schachtel und stellte sie in die Glasregale hinter der Theke.
An einem der Tische an der Tanzfläche saßen die Zwillinge. Du weißt schon, Danny und Arnold. Klingelt da wenigstens was? Nein? Pass auf, ich erinnere dich: Danny ist der Kleinere von beiden. Er behauptet zwar, einsfünfundfünfzig zu sein, aber das stimmt nur, wenn man seine Plateauschuhe mitzählt. Und Arnold? Der ist ein Brocken, so wie der Schwarzenegger früher einer war. Nur dass Arnold viel größer ist. Er ist höchstwahrscheinlich ein Finne. So genau weiß man das aber nicht, weil er fast nie redet. Und wenn er was von sich gibt, dann versteht es nur sein Zwilling Danny. Ja, da ist noch was: Der Arnold hat links, vom Kniegelenk abwärts, ein Holzbein. Wenn du jetzt auch noch wissen willst, warum das so ist, dann erzähl ich dir das auch noch schnell: Ein Bärenweibchen hat ihm das Bein abgebissen. Und ist damit abgehauen. Das muss jetzt für den Moment reichen, sonst kommen wir mit der Geschichte gar nicht vorwärts.
Also, die Zwillinge sitzen in ihren identischen pflaumenfarbenen Polyester-Anzügen, weißen Gürteln und weißen Cowboystiefeln da und passen auf, dass sie sich die lachsfarbenen Glitzerhemden nicht vollsauen. Weil sie billigen Ost-Whisky aus Tetra-Packs in Jim-Beam-Flaschen umfüllen. Auf dem Tisch stehen ein Dutzend bereits abgefüllte Flaschen, unter dem Tisch liegen ein paar Tetra-Packs. Arnold hält die Flasche und den kleinen roten Trichter, während Danny mit wichtiger Miene den Fusel laufen lässt.
»Hey Mäd Mäx, lange nicht gesehen. Was geht so?« Danny schaute lächelnd auf und der braune Strahl des Gesöffs landete auf Arnolds Jacke. Der knurrte und Danny sagte: »Sorry, Mann. Ich hab gelegentlich keinen Einfluss auf das, was in meiner Umgebung passiert. Aber das Gesöff gibt keine Flecken hier im Dunkeln.« Und zu Max: »Geh ins Büro. Der Chili und die Schnitte warten schon auf dich.«
Arnold knurrte wieder, diesmal etwas länger. Danny meinte: »Er sagt, ich soll nicht so von einer Dame reden. Ich glaube, unser Kleiner hier hat sich schockverliebt. Seit die Wally hier aufgetaucht ist, ist er fix und fertig.«
Max klopfte dem Arnold auf die Schulter und sagte zu Danny: »Versteh ich voll und ganz.«
Danny stellte die Fusel-Tüte auf den Tisch. »Arnold hat mir vorhin erzählt, da, wo er herkommt, da haben die Frauen so gut wie überhaupt keinen Busen. Wegen dem Permafrost, verstehst du? Da in Hinterfinnland ist es ununterbrochen so kalt, wenn die Mädels da solche Möpse hätten wie die Silikon-Wally, würden die denen ruck-zuck-abfrieren.«
»Mit was ziehen die dann die Säuglinge auf?«
Danny grinste. »Mit Bärenmilch. Die holen die sich bei Bedarf frisch aus dem Wald.«
Max schaute auf Arnold und sagte: »Das glaube ich aufs Wort.«
war es heller. An den Wänden hingen immer noch die Will-Smith-Poster aus dem »Wild West«-Film. Und neben den vergilbten Po- und Titten-Bildern das vergrößerte Foto von Chili vor seinem roten 68er-Mustang Cabrio.
Chili saß hinter dem Schreibtisch, seine Füße steckten in hellen Alligator-Stiefeln und lagen auf dem Tisch. Neben seiner rechten Hand lag ein dickes, in Silberfolie eingewickeltes Paket: »Dreimal vom Feinsten, mein Freund. Edel-Cut sozusagen. Nimm Platz. Kennst du die Wally?«
Wenn du jetzt sehen würdest, wie der Auer Max aus der Wäsche schaut. Ich meine, er war aus seiner Zeit bei der Sitte einiges gewöhnt. Und da sind ihm Frauen untergekommen, mein lieber Mann. Da ist Hollywood ein Dreck dagegen.
Aber die Wally? Das hätte ich dir gleich sagen können. Die haut einen jeden Kerl um und bringt ihn umgehend dazu, nur noch Blödsinn zu stammeln. Pass auf, dann weißt du, was ich meine:
»Äh, ja. Ich bin der Auer. Ich meine, der Max. Also, genau genommen, der Auer Max. Und Sie sind die Wally?«
»Nein, ich bin bloß ihr Tages-Double.« Dabei schaute sie ihn mit ihren huskyblauen Augen an, dass ihm ganz anders wurde. Na ja, und den Riesenbusen, den übersiehst du ja eh nicht. Das ist so ein richtiger Blicke-Magnet mit Sogwirkung.
»Wenn Sie mit meiner Oberweite fertig sind, dann setzen Sie sich doch«, sagte die Wally, und der Max, jäh aus seinen Tagträumen gerissen, murmelte vor sich hin, während er sich auf dem Stuhl neben ihr niederließ.
Der Chili klatschte in die Hände: »So, jetzt sind wir vollzählig. Max, ich hab der Wally schon von dir erzählt. Was du so gemacht hast und was du jetzt tust. Die Wally hier, die wird bedroht. Von einem üblen Typen aus München. Deswegen sitzt sie hier. Du sollst ihr helfen. Gegen Bezahlung natürlich. Was willst du wissen?«
Der Auer lehnte sich zurück und fixierte das Bild von dem Mustang-Cabrio an der Wand, um zu verhindern, dass sich seine Augen unbeherrscht nach rechts bewegten. Er räusperte zweimal, dann sagte er zu dem Bild: »Warum werden Sie bedroht? Was will der von Ihnen?«
Die Wally legte ihre Hand auf seinen rechten Unterarm: »Schauen Sie mich doch bitte an, wenn Sie mit mir reden. Wenn Sie stur die Wand anglotzen, macht mich das nervös.«
Und ich?, dachte der Auer. Werde ich vielleicht nicht nervös, wenn ich dir auf die Kirchenglocken starre? Aber er drehte sich ein bisschen im Stuhl und ihre Blicke trafen sich.
»Schon besser. Also, Sie haben doch in der Zeitung von dem Toten gelesen, den man aus dem Inn gefischt hat? Der war ein, wie soll ich sagen, Freund und Geschäftspartner meines früheren LAPs.«
Jetzt wissen bestimmt ein paar von euch nicht, was ein LAP ist, hab ich recht? Das ist ein »Lebensabschnittspartner«. Ein verlängertes Gschpusi, das »Lebens-Nebengeräusch«, wie wir in Rosenheim auch sagen würden.
Der Auer hat es aber gewusst, denn der hat genickt und weiterhin nichts gesagt. Das machen die bei der Polizei gerne, dass sie dich anschauen und nix sagen. Das ist das Mikado-Prinzip. Wer sich zuerst bewegt, hat schon verloren. Die Wally ist das aber gewöhnt, dass es den Kerlen bei ihrem Anblick die Sprache verschlägt, also lächelte sie und plapperte einfach weiter: »Mein verflossener ist der Günter Laim. Wir waren einige Jahre zusammen, das ist aber jetzt auch schon wieder einige Zeit her. Das heißt, damals, als die beiden den Geldtransporter überfallen haben sollen, war der Günter schon ein Jahr aus Rosenheim weg.«
»Warum weg?«
Wally atmete tief ein, was den Chili zum Schielen brachte und den Auer Max dazu, wieder das Cabrio-Foto anzuschauen.
»Warum weg? Na, weil Schluss war mit uns. Der Günter war eifersüchtig wie der Teufel, ist nach unserem Beziehungsende noch ein paarmal ins Babylon gekommen und hat sich da aufgeführt wie die Sau beim Metzger. Kurz darauf hab ich aber den Ivo kennenglernt, und der hat dem Günter ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte.«
»Was macht der Ivo beruflich?« Der Auer hypnotisierte immer noch das Bild an der Wand.
»Der Hamburger-Ivo? Schwer zu sagen. Der hat immer Geld gehabt, tolle Klamotten und viel Schmuck. Seinen Ferrari hat er seit Jahren mit Hamburger Nummer weitergefahren, weil er es nie lange in einer Stadt aushält, hat er mir mal erzählt. Da rentiert sich das Ummelden nicht. Was wollte ich eigentlich sagen? Ach so, ja, der Günter hat sich vom Ivo überreden lassen und ist nach München gezogen. Glaube ich jedenfalls. Was er da oder woanders macht, das weiß ich nicht. Er hat sich nie mehr bei mir gemeldet. Kein Anruf, nichts.«
»Haben Sie gewusst, dass der Laim und der Blumenauer den Geldtransporter ausgeräumt haben?«
Die Wally beugte sich zum Max rüber, legte ihm wieder die Hand auf den Arm und drückte ein bisschen zu. Zu lange und zu fest, wie es dem Max schien. Denn er merkte, wie es zwischen seinen Beinen zu Kribbeln begann.
»Wollen wir nicht Du sagen? Ich bin die Wally. Mit dem Chili bin ich ja schon lange per Du, das bringt die Branche so mit sich, gell, Chili?«
Der nickte grinsend, sodass sein langer Pferdeschwanz auf und ab schwang.
Aber der Auer Max, mein lieber Freund, dem ist ganz schön warm geworden, das kannst du mir jetzt ruhig glauben. Trotzdem: Selbstbeherrschung ist das Stichwort, und die hat er immer schon gehabt. Das Kribbeln verflüchtigte sich.
»Äh, ja, ich bin der Max. Wally, hast du von dem Ding gewusst?«
Sie rekelte sich ein bisschen im Stuhl, ihre Hand lag immer noch auf dem Unterarm vom Max: »So direkt gewusst hab ich das natürlich nicht. Aber dass die zwei was ausbrüten, das habe ich schon bemerkt. Ich weiß von drei oder vier Dingern, die der Richie und der Günter abgezogen haben. Und zutrauen würde ich denen den Rosenheimer Geldtransporter schon. Besonders, weil der Richie den gefahren hat, wie es heißt.«
Jetzt machte der Max große Augen, ja was glaubst du?
»Was?«
Der Chili nahm die Stiefel von der Tischplatte und beugte sich vor: »Ist aber so. Das halten die im Moment unter der Decke, weil ja noch ein zweiter Wachmann im Auto war. Pass auf: Der Richie hat den Geldtransporter gefahren. Den zweiten Wachmann, eine ziemliche Flachbirne, den hat der Richie ein paar Hundert Meter weiter vorne, ungefähr bei der Bushaltestelle vor dem Thalia aussteigen lassen. Wie er das geschafft hat, alleine das ist schon ein Meisterstück. Auf jeden Fall: Flachbirne steigt aus und geht über die Straße in den Imbiss, um was für die beiden zu holen. Der Richie wartet, bis Flachbirne in dem Laden ist, dann fährt er los. Am Salingarten vor dem Kiosk wartet schon der Günter. Die beiden schnappen sich die schwersten Koffer, werfen die auf je ein Rollbrett und hauen durch den Salingarten ab. Hinter der Stadthalle stand wahrscheinlich der Fluchtwagen. Ich weiß sogar, dass es ein schwarzer Audi war.«
»Woher?« Jetzt war der Auer hellwach.
Chili zog eine Grimasse: »Weil ein Kumpel von mir genau den einen Tag vorher aus der Sparkassen-Tiefgarage geklaut und mit neuen Schildern versehen hat.«
Auer lehnte sich zurück: »Und dann?«
Die Wally drückte wieder sachte am Unterarm zu: »Die zwei sind nie gefunden worden. Das Geld auch nicht. Jetzt ist der Richie aufgetaucht, im wahrsten Sinne des Wortes. Wo der Günter ist, das weiß ich beim besten Willen nicht. Ich glaube aber, der Kerl aus München, der mich bedroht, ist hinter der Beute her. Vielleicht denkt der jetzt, wo sie den Richie aus dem Inn geholt haben, dass der Günter mit bei dem Job war und ihn umgelegt hat, weil er nicht teilen wollte.«
Auer schaute sie an: »War der Günter denn einer, der teilt?«
Sie lächelte: »Mich hätte er mit niemandem geteilt. Mit Geld war er aber sehr großzügig. Ich glaube nicht, dass er den Richie kalt gemacht hat. Niemals, die beiden waren alte Spezl.«
Auer dachte nach: »Gut. Weiter. Dich hat also jemand angerufen. Und der hat seinen Namen genannt?«
»Ja. Das war ganz komisch. Der sagte: ›Hallo, sind Sie die Wally?‹ Ich sag: ›Ja, warum?‹ Und er: ›Hier ist der Adi Mitler, Mitler wie Hitler. Ich habe da was Geschäftliches mit Ihnen zu besprechen. Deswegen komme ich im Lauf der nächsten Tage zu Ihnen nach Rosenheim.‹ Ich sag ja, worum geht es denn, Herr Hitler?‹ Und er: Mitler, Mädel, Mitler. Um sehr viel Geld und um Ihre Gesundheit.‹ Und dann sagt er noch: ›Sie wissen nicht zufällig, wo der Günter ist?‹ Ich sag: ›Wie, welcher Günter denn?‹ Und er lacht und legt auf. So, wie der gelacht hat, da kann einem richtig angst und bange werden, das sag ich euch.«
Chili kratzte sich am Kinn und schaute den Auer an. Und die Wally auch. Jetzt einmal so ganz nebenbei gesagt: Wenn du dir den Auer so anschaust, dann wärst du nie im Leben drauf gekommen, dass er mal ein Bulle war. Weil man sich einen Kripo-Mann irgendwie anders vorstellt, Stichwort: harter Blick, kantige Gesichtszüge und so weiter. Der Auer, der schaut aber eher wie ein arbeitsloser Schauspieler aus. Netter Kerl, guter Typ, aber halt ziemlich normal. So was in der Art mag sich auch die Wally jetzt gedacht haben, weil sie nach einer Weile des allgemeinen Rumschauens tief Luft holte und sagte: »Also, Männer, ich weiß auch nicht, ob das hier was bringt. Ihr könnt’s euch ja noch ein bissel beratschlagen, aber ich muss dann mal wieder los.«
Und zum Chili: »Sepp, du weißt ja, wo du mich findest. Kannst du dich heute Abend ein paar Stunden ins Babylon setzen? Falls dieser Mitler auftaucht?«
Das hat dem Chili jetzt gar nicht gepasst, das siehst du ihm direkt an. Weil er ja keiner ist, der sich gerne schlägt und so. Obwohl er das immer noch gut draufhat. Wenn’s im »Wild West«, speziell in der Samstagnacht, rappelt, dann sind natürlich der Danny und der Arnold dran. Aber manchmal, wenn es zu viele von den besoffenen Fernfahrern sind, dann geht der Chili auch schon mal raus aus seinem Büro, ja, was denkst du? Die Samstagnacht ist Trucker-Night, wegen des Sonntagsfahrverbots. In der Nähe ist ja die große Raststätte, wo dann an die hundert Trucks stehen. Die Fahrer saufen sich bis Mitternacht mit Aldi-Wodka zu und dann kommen sie ins »Wild West«. Und dann geht’s meistens so um drei, vier Uhr in der Früh zur Sache. Da kannst du deine Uhr danach stellen, wenn du willst.
Aber der Chili? Seit einiger Zeit sieht er sich und seine Rolle auch ein bisschen anders: Er ist jetzt mehr so der Organisator, der Macher, verstehst? Ich sage nur: Das Nackerten-Filmgeschäft boomt immer noch.
Und jetzt, das solltest du mal sehen, da windet er sich in seinem Stuhl und schaut mit großer Geste auf die Uhr: »Ja, des is’ jetzt blöd, weil ich akkurat heute Abend ein paar neue Darsteller casten muss. Die kommen extra aus Japan und wollen in einer neuen Produktion mitspielen. Die heißt ›Fick deinen Star‹. Und wenn diese Japaner schon extra aus Japan hierherkommen, dann muss ich da schon selber die Auswahl machen. Apropos Auswahl: Wally, hättest nicht einmal Lust, in einem anspruchsvollen Erotikstreifen von mir mitzuspielen? Mit deinen, wie soll ich sagen, hervorstechenden körperlichen Merkmalen könnte man da was richtig Künstlerisches reinbringen. Einen Touch von Hollywood. Ich sehe die Cover von den DVDs schon vor mir.« Der Chili lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schaute zur Decke hoch und breitete die Arme aus wie ein Dirigent: »Pass auf. Widescreen. Super-Cinemascope. Dreidimensional. Durchsichtige Großbuchstaben, die von unten, wie bei Star Wars über deinen Alabaster-Körper gleiten: STURM AUF DIE WATZMÄNNER … und als Subtitel …«
Den werden wir aber nicht mehr erfahren. Denn wie du dir denken kannst, ist die Wally aufgestanden, hat sich über den Schreibtisch gebeugt und zum Chili gesagt: »Einen schönen Gruß von meinen Watzmännern. Die wünschen dir einen Arsch voll Hämorrhoiden und so kurze Arme, dass du dich nicht selber kratzen kannst. Habedieehre, meine Herren.«
Der Max sprang ebenfalls auf, legte der Wally eine Hand auf die Schulter und meinte beschwichtigend: »Kann ich dich irgendwohin bringen?«
Worauf sie sich zu ihm drehte und ihm so tief in die Augen schaute, dass sein Herz ein paar Extraschläge machte: »Und wo soll uns beide das hinbringen, wenn du mich wo hinbringst, hm?«
Sie war schon an der Tür, als der Auer seine Stimme wiederfand: »Wart’, Wally, eine Frage hab ich noch, und jetzt einmal echt ehrlich: Lebt der Günter Laim noch?«
Sie lehnte sich an die Tür und riss die Augen auf: »Was schaut’s ihr so? Ich habe keine Ahnung, ob und warum der noch leben könnte. Ich wär’ ja auch lieber eine lustige Witwe, das macht sich besser fürs Geschäft. Also, kann ich dann mal?«
Der Max hob die Hand: »Ein Freund von mir setzt sich heute Abend ins Babylon. Der Manfred. Das ist ein netter älterer Herr, aber Vorsicht, der hat’s faustdick hinter den Ohren. Wenn was ist, ruft der mich an und ich komme ruck, zuck in die Bar. Ist das okay für dich, Wally?«
Sie schwebte einen Schritt näher, küsste den Auer voll auf den Mund und säuselte: »Ich hab’s ja gewusst, dass du ein ganz Lieber bist. Tschaui Waui!«
Sie stupste ihm mit dem Zeigefinger schelmisch auf die Nase und verschwand durch die Tür, die sie hinter sich zuknallte.
Aber jetzt pass auf: Wie der Auer Max versteinert an der Wand steht und der Chili in seinem Sessel sitzt und blöd lachend Grimassen zieht, da hört man aus der Gaststube ein markerschütterndes, tiefes Brüllen, so laut, dass einem die Hosenbeine flattern.
Über den Chili kannst du ja sagen, was du willst. Aber jetzt, in dem Moment, wo sich die beiden noch anschauen, springt er blitzschnell hoch. Mit einem schnellen Griff reißt er eine abgesägte Schrotflinte unter der Tischplatte hervor, sprintet mit zwei Sätzen an die Tür und reißt sie auf.
Vorbei am Max steht er schon breitbeinig mit der Flinte im Anschlag zwei Meter oder so im Lokal. Der Max ist aus seiner Trance erwacht und kommt jetzt auch angesaust. Und was die beiden da sehen, das glaubst du mir bestimmt nicht, aber genau so war es:
Der Brüller, das war der riesenhafte Arnold. Sein linker Arm, oder besser gesagt der linke Ärmel des schillernden Plastik-Anzuges, stand in hellen Flammen. Denn genau da, wo ihm der Danny vor ein paar Minuten einen Viertelliter Fusel drübergeschüttet hatte, da loderte jetzt ein ansehnliches Feuer. Mit schwarzem Rauch und allem, was du willst.
Quer über die Tanzfläche kam jetzt aber auch schon der Danny geschlittert, schnell wie ein Kugelblitz. Er drosch mit einem nassen Geschirrtuch, das er sich von der Bar gegriffen hatte, auf den Arm in Flammen ein. Dann trat er gegen den Stuhl, sodass der arme Arnold auf den Boden flog und das Feuer unter sich begrub. Im Nu waren die Flammen aus. Und es stank fürchterlich nach verbranntem Plastik. Und auch ein bissel nach verschmurgeltem Fleisch. Daran hätten die ganzen Feinstaub-Tänzer in der Politik jetzt ihre wahre Freude gehabt, das sage ich dir.
Danny, der neben Arnold kniete, schaute auf: »Die Wally hat ihm zugeblinzelt und mal kurz im Vorbeigehen unabsichtlich die Bluse gelüftet. Nur ein bisschen, aber das war zu viel für Arnold. Er raucht ja schon lange nicht mehr. Aber meine Zigaretten und das Feuerzeug lagen auf dem Tisch. Und wie er sich Feuer gibt, mit links, hat der Arm zum Brennen angefangen, Chef. Das hättest du mal sehen sollen. Geradezu explodiert ist der.«
Dann schaute er auf die Schrotflinte in Chilis Händen: »Ich glaube nicht, dass du ihn deswegen gleich erschießen musst. Der wird schon wieder. Nicht wahr, Arnold?«
Der Riese hob den Kopf und grunzte, und Danny hob den Daumen: »Siehst du, er sagt, es geht ihm super.«
Der Auer ging hinter dem Chili zurück ins Büro und setzte sich. Während der die kurze, gefährlich aussehende Flinte wieder in der Schlaufe unter dem Schreibtisch befestigte, meinte der Auer: »Wie war denn das mit dem Günter Laim und der Wally? Wie lange waren die zusammen?«
Chilis Stimme kam gedämpft unter dem Tisch hervor: »Die Scheißschrotflinte musst du genau in die beiden Schlaufen hängen, sonst hakt es beim Rausziehen und du hast die Arschkarte.« Es knallte heftig unter dem Tisch: »Aua, au! Verdammt noch mal, wo ich doch am Kopf so empfindlich bin!« Chili tauchte unter dem Tisch hervor und rieb sich den Hinterkopf. »In der Zeit, als die Silikone mit dem Günter zusammen war, da hatte ich grade in Augsburg zu tun. Zweieinhalb Jahre Vollpension ohne Freigang. Ich weiß nur, dass der Laim eifersüchtig wie der Teufel war, und dass es im Babylon öfter mal gescheppert hat, wenn einer der Wally schöne Augen machen wollte. Da fällt mir ein, der Wally, so sagt man jedenfalls, gehört das ganze Haus.«
»Ja und?«
»Ja und? Mann, ein dreistöckiges Gebäude mitten in der Stadt? Unten die Bar, drüber zwei große Wohnungen. Und weißt du, was der Gag ist? Die oberste Wohnung, also, das Dachgeschoß, das lässt sie leer stehen, hab ich mal gehört. Sie selber wohnt direkt über der Bar, das müssen auch so um die 120 Quadratmeter sein, denke ich. Gut, und jetzt überleg, was so ein Haus wert ist. Erkundige dich doch mal, wer da im Grundbuch steht. Nur so. Unsereiner hat da ja keinen Zugriff, aber du …«