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Sammelband: Die ersten beiden Fälle für Ex-Bulle Max Auer in einem Band. Leberkäs-Porno: Max Auer, 45, ledig, Top-Ermittler, wird bei der Münchner Sitte gefeuert - weil er zur falschen Zeit die falschen Dinge gesehen hat. Er zieht zu seiner Tante Friedl nach Rosenheim. Zur gleichen Zeit produziert Sepp Glasl auf dem Samerberg seine »Leberkäs-Pornos« - Hardcore-Streifen für den asiatischen Markt. Sissi, die Porno-Queen, verknallt sich in einen korrupten Bänker. Und Max Auer findet sich mitsamt Tante Friedl in einem Sumpf aus nacktem Fleisch und krummen Deals wieder. Babylon Rosenheim: Der Auer Max will eigentlich nur seine Rosi wieder mal rumkriegen. Da taucht die Besitzerin der Rosenheimer Babylon-Bar, Silikon-Wally, in seinem Leben auf. Ihr Freund, der Günter, wird von der Polizei und einigen Unterwelt-Bossen gejagt. Nach diversen Überfällen auf Geldtransporter ist der Günter nämlich Millionär. Und an diese Millionen wollen sie ran, die Münchner Clan-Chefs. Aber die Wally, die will den Günter und das Geld und mit ihm abhauen. Da kommt Max Auer ins Spiel und die Sache nimmt Fahrt auf …
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Seitenzahl: 718
Heinz von Wilk
Tatort Rosenheim
Sammelband Rosenheim-Krimis
Leberkäs-Porno
Max Auer, 45, ledig, Top-Ermittler, wird bei der Münchner Sitte gefeuert – weil er zur falschen Zeit die falschen Dinge gesehen hat. Er zieht zu seiner Tante Friedl nach Rosenheim. Zur gleichen Zeit produziert Sepp Glasl auf dem Samerberg seine »Leberkäs-Pornos« – Hardcore-Streifen für den asiatischen Markt. Sissi, die Porno-Queen, verknallt sich in einen korrupten Bänker. Und Max Auer findet sich mitsamt Tante Friedl in einem Sumpf aus nacktem Fleisch und krummen Deals wieder.
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Babylon Rosenheim
Der Auer Max will eigentlich nur seine Rosi wieder mal rumkriegen. Da taucht die Besitzerin der Rosenheimer Babylon-Bar, Silikon-Wally, in seinem Leben auf. Ihr Freund, der Günter, wird von der Polizei und einigen Unterwelt-Bossen gejagt. Nach diversen Überfällen auf Geldtransporter ist der Günter nämlich Millionär. Und an diese Millionen wollen sie ran, die Münchner Clan-Chefs. Aber die Wally, die will den Günter und das Geld und mit ihm abhauen. Da kommt Max Auer ins Spiel und die Sache nimmt Fahrt auf …
Heinz von Wilk wurde in Linz/Oberösterreich geboren und wuchs in Rosenheim auf. In den wilden 1970er-Jahren reiste er als Rock ’n’ Roll-Musiker um die Welt. Nach vielen Tourneen durch Europa, Amerika, Asien, Afrika und Südamerika traf er in Osnabrück das norwegische Model Liv, die ebenfalls nicht wusste, was sie hier sollte. Die beiden heirateten und zogen nach Denia an die Costa Blanca, wo sie den Rockstars von damals schicke Villen mit Meerblick von heute verkauften. 2006 zog es ihn, seine Liv und den bayerischen Rauhaardackel Herrn Josef zurück ins Chiemgau. Heute lebt der Autor in Rosenheim und schreibt seine skurrilen Krimis. Ein Ende ist nicht abzusehen. www.heinz-von-wilk.de
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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E-Book-Produktion: Mirjam Hecht
Covergestaltung: Katrin Lahmer unter Verwendung von © Kanea / shutterstock.com und © rdnzl / fotolia.com
ISBN 978-3-7349-9492-0
Leberkäs-Porno
Copyright der Originalausgabe © 2019 by Gmeiner-Verlag GmbH
Babylon Rosenheim
Copyright der Originalausgabe © 2020 by Gmeiner-Verlag GmbH
Die Einzelbände
Der Autor
Impressum
Leberkäs-Porno
Widmung
Vorwort
Alles auf Anfang
Wer ist Chili?
Was weg is, is weg!
Ja, wo ist denn jetzt die Sissi?
Ehrlich währt am längsten – aber wer nicht bescheißt, der kommt zu nix
Daddy Cool
Kalbsvögel? Echt jetzt?
Auch wenn auf dem Gipfel schon Eis liegt …
Stunde der Wahrheit
Wer mehr Vögel(n) will, muss freundlich sein
Der Mörder ist wieder frei
Die drei großen »B«: Bumsen, Benthaus, Borsche
Die Welt geht noch in Oasch, wenn des so weidageht
Der? Der ist doch ein Kugelfisch
Geh, iss doch was … Ich bin extra aufgeblieben
Und nun: Der schöne Herrmann
Auszeit / Anfang
Auszeit / Ende
Nimm die Finger von dem Schwanz!
Himbeereis zum Frühstück … Käs-Fondue im Iglu
Ja leck mich, der Auer Max!
Vergiss es, Mann!
Telefon!!!
Verbrechen lohnt sich nicht, aber man hat eindeutig die besseren Arbeitszeiten
Inkasso-Manni
Wo, zum Teufel, ist die Sissi?
Wer kauft denn so was?
Wer ist hier der Bolo?
Das ist ja der Brunner, oder?
Iss was, Bub, du bist ja viel zu dünn!
Ab in den Keller
Ey, krass, voll Porno, Alter!
Was weg is, is weg
Habt ihr hier keinen Leberkäs? Echt nicht?
Nachwort
Die Speisen
Babylon Rosenheim
Haftungsausschluss
Vorwort
Einleitung oder: »Die Wally und das sündige Leben«
»Jessas, ned schon wieder eine Leich’«,
Schon, oder?
Im Büro
Mein lieber Schieber,
Das sind ja richtige Fleischfetzen.
Das Essen bei Kerzenlicht
Fünf Minuten vorher. Max Auer schläft.
So, und jetzt machen wir schnell einen Abstecher
Letztendlich
Du magst das bestimmt auch nicht:
Das ganze Leben ist eine Buchstabensuppe …
»Was?«
Die Bluthochzeit der Drohnen.
Max Auers Gespür für Nebel
Der schöne Adi und der Abgrund
Jede Bohne zählt
»Kopi Luwak« ist das Stichwort, der reine Kopi Luwak!
Monzo?
Zuckerschnecke
Drama, Baby, Drama
Einen Anwalt, der was kann halt
Döner macht schöner.
Wann kommt denn nun die Rosi?
Wahrheit? Welche Wahrheit denn?
Love hurts (Nazareth, 1975)
Harter Tag? Dann lass dich durchkneten.
Wenn die Sonne tief genug am Horizont steht, dann werfen selbst die Zwerge einen großen Schatten.
Finaaaale, ohooo!
Endspiel. Wer fängt an?
Nachwort 1: Ich hab da noch eine Frage.
Nachwort 2: Alles klar?
Die Speisen
Für Liv
Ich erzähl dir jetzt eine Geschichte, und die ist richtig gut. Es ist zwar eine Geschichte, die man sich hier hinter vorgehaltener Hand zuflüstert, und ob sie sich genau so zugetragen hat, weiß ich jetzt auch nicht mehr. Für besonders Prüde ist das hier aber sowieso eher nichts. Denn es geht um die Entstehung und die Folgen einer neuen Geschäftsidee. Hardcorepornos auf einer Alm, in den Bergen hinter Rosenheim. Leberkäs-Pornos.
Dieses Buch ist bevölkert von einem schillernden Figurenensemble: Kriminellen Nachtklubbesitzern, Prostituierten. Von Polizisten im und außer Dienst, Zuhältern, adligen Heiratsschwindlern und schrägen Nachtschwärmern. Sie alle trudeln durch diese Welt aus Sex und Crime im Alpenland.
Der Auer Max war mal eine richtig fette Nummer bei der Sitte in München. KHK Auer, also, wenn der dienstlich in einem Puff aufgetaucht ist, dann ist es am Hintereingang zugegangen wie bei einem Almabtrieb. Aber wen sich der Max greifen wollte, den hat er auch erwischt. So oder so.
Gut, ab und zu hat er auch schon mal ein Glas oder mehr mit den Mädels getrunken. Und in eine rassige Ungarin war er mal richtig verliebt. Die wollte sogar weg vom Strich, wegen ihm, aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Auf jeden Fall, am Morgen nach seinem 40sten, den er im »Red Horse« in Schwabing bis zum Abwinken gefeiert hat, ist es passiert. Der Auer, schwer verkatert, kriegt auf dem Weg nach unten aus der Küche einen Streit mit. Er setzt sich auf die Treppe und hält sich den Brummschädel.
Jetzt, laute Männerstimmen, dazwischen die Stimme einer Frau. Die schrie: »Wenn der nicht bald bezahlt, geh ich zu seinem Vater. Da muss ich nicht einmal weit gehen, weil, der ist ja auch Stammkunde bei mir und meiner Pitschko!«
Darauf ein Mann, tief und kehlig: »Anusch, Golubovi, bleib ruhig, meine Schöne. Ich mach das mit Mann. Ist guter Mann. Hat nur viel Stress in Job. Weißt ja, Politik ist böser Job.« Das Wort »Job« klang bei dem Kerl wie »Jooob«.
Eine andere, dünne und weinerliche Männerstimme: »Ich zahl ja. Gib mir nur noch eine Woche, Igor. Und du, Anusch, du kriegst was extra. Eine schöne Uhr oder einen Ring, ein Kleid, was du willst, okay?«
Der Auer Max schlurft hinter die Bartheke, schiebt ein paar Flaschen zur Seite und schaut durch die Klappe in die Küche. Da steht der Münchner Stadtrat Himmlinger in voller Pracht. Neben ihm die rote Anusch, und vor ihm der Igor, dem das »Red Horse« gehört. Igor sagt: »Kolleg, jebem ti majku, du bist bei 40.000. Für Schnee und Mädels und so. Langsam muss was wachsen rüber, verstehst?«
Der Stadtrat fährt sich durch die lichten grauen Haare, schaut sich um und sieht das verquollene Gesicht vom Auer Max in der Durchreiche. Die zwei schauen sich in die Augen. Das war’s. Falsche Zeit, falscher Ort.
Einen Tag später haben sie den Spind vom Max aufgrund eines anonymen Hinweises durchsucht. Und da schau her: Sie fanden 7.000 Euro, eine Rolex und ein Plastiktütchen mit weißem Pulver drin.
Nicht dass du jetzt glaubst, die haben einen Riesenwirbel gemacht. Nein, man hat ihm den vorzeitigen Ruhestand bei halben Bezügen vorgeschlagen. Oder eben halt doch eine hochnotpeinliche Ermittlung, in Farbe und Stereo. Ganz wie du das haben willst, Auer, haben sie zu ihm gesagt.
Und so kam’s, dass der Auer Max eine Woche später in Rosenheim am Küchentisch seiner Tante Friedlinde saß und einen Schweinsbraten mit Knödel nebst einem kalten Hefeweizen vor sich stehen hatte.
Jetzt muss ich das noch kurz erklären: Der Auer ist ja ein Junggeselle und hat seine kleine Dienstwohnung in München ruckzuck geräumt. Und weil sie ihm seinen dunkelblauen Audi auch gleich unter dem Hintern wegkonfisziert haben, ist er mit dem Zug nach Rosenheim zu seiner nächsten Verwandten, besagter Tante, gefahren.
Die Friedlinde, 68, groß, schlank, mit einer gewissen Resterotik, ist eine Witwe, die von ihrem Otti, der Herr hab’ ihn selig, drei Wohnhäuser in der Rathausstraße geerbt hat. Sie selber wohnt in einer 184-qm-Dachterrassenwohnung in der Münchener Straße. Auch geerbt. Jetzt wirst du fragen, ja, womit hat der selige Otti denn so viel Geld verdient? Ich sag mal so: Der Bernrieder Ottfried hat zwar offiziell einen kleinen Malerbetrieb gehabt, für die Steuer und den guten Ruf. Inoffiziell war er aber ein Meister der kreativen Geldbeschaffung. An zwei Rosenheimer Spielhöllen war er beteiligt, und in Österreich drüben, gleich hinter Sachrang, da hat er Hinterzimmer-Pokerrunden organisiert. Und Schlimmeres. Warum ich das erzähle? Na ja, das gehört alles irgendwie schon zu der Geschichte. So, und jetzt pass auf, es geht los:
»Nimm doch noch einen Knödel, Bub. Du schaust ja schlimm aus. Hat es in ganz München nix G’scheites zum Essen gegeben? Und warum warst du nie bei deiner alten kranken Tante Friedl? Hmh? Ich hab dich so oft angerufen, dass du mich besuchen sollst. Aber der Herr hat ja nie Zeit. Sogar vor zwei Jahren, bei der Urnenfeier vom Otti, da warst du genau einundeinhalb Stunden auf dem Friedhof!«
Auer dachte sich, die ist immer noch ein Kiemenatmer. Die schnauft nicht ein einziges Mal und redet doch in einer Tour. »Du bist nicht krank, Tante, und alt auch nicht. Optisch jedenfalls nicht. Du schaust keinen Tag älter aus wie damals auf dem Friedhof. Ehrlich jetzt.«
Friedl strich dem Auer mit der Hand über das dunkelbraune, lockige Haar: »Iss trotzdem noch was, Bub. Und sag nicht immer Tante zu mir. Da komm ich mir so … mottenkugeltantig vor, verstehst? Sag bitte Friedl, ja?«
Sie ging zur Kommode, streichelte die große, in grauen Marmor gefasste Sanduhr und drehte sie um. Lautlos und langsam rieselte eine graue, körnige Staubmasse durch die Engstelle: »Mach nur langsam, Otti, es pressiert nicht. Weit kannst ja eh nicht mehr laufen, gell?«
Der Max verschluckte sich fast an seinem Knödel. Mit der Gabel zeigte er zur Kommode: »Friedl, sag jetzt nicht, das da drin ist der Otti. Nein, oder?«
Die Friedl strich sich durch das dunkelbraun gesträhnte Haar: »Ja mei, ich kenn halt den Bestatter gut. Der Schorschi, der ist mit mir in die Königschule gegangen. Und er war mir noch einen Gefallen schuldig. Aber jetzt ruft er mich ab und zu an und will sich mit mir treffen. Aber weißt, wenn ich mir überleg, wo der seine Hände immer hat, dann weiß ich auch nicht so recht. Streng riechen tut er auch. Ich meine, ich komm ja gut damit klar, wenn mir in der Fußgängerzone der eine oder andere Rollator-Racer nachpfeift oder mich so ein alter Knabe mit seiner Krücke bei Karstadt betatschelt. Aber einen professionellen Leichenwäscher? Vergiss es. Und das mit der Sanduhr, das darfst du nicht so eng sehen. Jetzt hat er wenigstens immer ein bissel Bewegung, der selige Otti.«
Der Auer Max nickte, seufzte und griff nach dem Weißbierglas. Das Telefon läutete, und die Friedl meinte: »Wenn das jetzt schon wieder der Schorschi ist, dann gehst du ran und sagst mit brasilianischem Akzent, du bist mein neuer Lover, okay?«
Sie nahm den Hörer: »Ja? Wer? Kenn ich nicht. Da sind Sie falsch verbunden.« Friedl schaute zum Auer rüber und zuckte mit den Schultern, dann sprach sie wieder in den Hörer: »Wie? Ja, warum sagst das denn nicht gleich, du blöder Hammel. Woher soll ich wissen, dass du jetzt ›Chili‹ heißt. Das ist doch gar kein richtiger Name. Was? Ja, der ist hier. Woher weißt du das denn schon wieder? Ah da schau her, Buschtrommel, sagst du? Kenn ich die? Nein, du kannst jetzt nicht mit ihm reden. Er isst. Was? Jaja, bei dir ist es immer wichtig. Wart, ich frag ihn.«
Die Friedl legte ihre rechte Hand auf den Hörer und flüsterte: »Der Sepp Glasl, der nennt sich jetzt Chili. Willst mit ihm reden? Ist dringend, sagt er. Und frag ihn, woher er weiß, dass du hier bist.«
Auer wischte sich den Mund ab und winkte mit der Hand nach dem Telefon: »Ja? Max hier.«
»Der Auer Max, ja leck … Dich haben sie aber sauber vom Gleis genommen, mein lieber Schieber. Und jetzt? Was läuft? Brauchst einen Job?«
»Nein danke. Aber woher zum Teufel …«
Wieherndes Gelächter kam durch den Hörer: »Von einem gemeinsamen Bekannten. Erzähl ich dir gleich. Weißt du, wo ich bin?«
»Will ich das wissen?«
»Max, jetzt geh weiter, ich bin’s, dein Spezl. Immerhin waren wir zusammen in der Schule in der Königstraße, und du hast mir in der Pause immer eine Breze gegeben, dass ich dem Vorstuber Lolli eine reinhaue, wenn er dich geärgert hat.«
Max stieß zischend die Luft aus: »Das ist hundert Jahre her. Und außerdem warst du zwei Klassen über mir. Und ich bin zur Polizei gegangen und du hast mit 17 das erste Mal in geschlossenen Räumen Knastpralinen (das sind Frikadellen mit hohem Bratenanteil, Anm. des Autors) gegessen. Also, was soll das?«
Der Glasl, alias Chili, stöhnte: »Hör doch auf mit dem alten Scheiß, Mann. Ich bin Geschäftsmann. Und ich hab ein Riesenproblem an der Backe. Damit kann ich nicht zur Bullerei. Und jetzt, wo ich höre, dass du wieder bei uns bist … das ist Schicksal, Max, Schicksal. Komm vorbei und lass uns reden. Bitte. Ich bezahl dich und du hilfst mir.«
»Vergiss es, Sepp. Mach’s gut. Servus und Ende.«
Der Glasl rief aufgeregt: »Nicht auflegen, nicht! Gib mir die Friedl noch mal bitte, Max.«
Auer verdrehte die Augen und reichte der Tante den Hörer über den Tisch. Sie presste ihn ans Ohr: »Was willst noch? Du hast doch gehört, was er gesagt hat, oder?«
Sie lauschte, dann schlug sie eine Hand vor den Mund und stöhnte: »Nein, oder? Das ist jetzt nicht wahr. Ich hab ihm gleich gesagt, mit dem Miststück kriegt er nix wie Ärger. Und was hab ich jetzt davon? Er redet nix mehr mit mir. Was? Nicht der Otti, der ist tot, das solltest du eigentlich wissen. Wie? Willst du mich erpressen? Das wär aber sehr ungesund für dich. Warum? Ja gut, er kommt vorbei. Nein, ich regle das. In einer halben Stunde ist er bei dir. Was? Ja, ich weiß noch, wo das ist. Gut. Also dann. Und jetzt tu mir einen Gefallen: Geh spazieren und verlauf dich.«
Friedl schaute das Telefon an, unterbrach die Verbindung und stellte sich vor die Sanduhr: »Otti, du hast mir gesagt, du bist raus aus dem Mist. Und jetzt, wo ich gedacht hab, ich bin auch draußen, jetzt ziehst du mich wieder rein. Dafür drehst du jetzt eine Extrarunde. Auf geht’s.«
Sie drehte mit Schwung das Gefäß um und sagte zum Max: »Frag mich jetzt nix, okay?«, dann hob sie die Hände wie zu einem Gebet: »Bitte tu deiner alten, gebrechlichen Tante einen Gefallen. Fahr raus zum Glasl und hör dir an, was er hat. Wenn du was für ihn tun kannst, dann mach es. Nicht umsonst, du kannst richtig Geld verlangen. Der Glasl steckt bis zum Hals in der Kacke, und wenn er Pech hat, muss er sich dabei auch noch hinsetzen. Also? Tust du das für mich?«
Der Auer schloss die Augen und legte seine Handflächen auf die Ohren. Jetzt muss ich sagen, nicht dass du denkst, der Auer hätte keinen Mumm oder so. Er wollte halt einfach erst mal seine Ruhe und ein bissel entspannen. Die Lage checken, ein oder zwei Mädels von früher kontaktieren, halt relaxen, chillen, wie man heutzutage sagt.
»Ich hab mir überlegt, dass du die hinteren drei Zimmer haben kannst, rechts vom Lift. Da hast du dann ein Schlafzimmer, ein Bad und ich richte dir eine Wohnküche ein. Deine eigene Dachterrasse hast du auch, und wir laufen uns nicht über den Weg. Miete zahlst du keine, ich koch für dich und mach deine Wäsche. Wie klingt das?«
»Für mich? Wie wenn du plötzlich auch ein Problem hättest, Friedl. Was hat der selige Otti mit dem hier eben zu tun?« Auer zeigte auf das Telefon.
Friedl fuhr sich wieder nervös durch die Haare: »Nix, ehrlich. Oder, anders rum, fast nix. Weil, der Otti, der ist ja tot.« Mit dem Ringfinger klopfte sie auf die Sanduhr: »Es ist nur so, dass ich nicht möchte, dass da posthum was hochkocht. Jetzt, wo er sich nicht mehr verteidigen kann, der liebe Mann. Und ich arme Frau auch nicht. Ich hab ja niemanden außer dir, mein lieber Max.«
Ihre Stimme veränderte sich leicht ins Scharfe: »Was is jetzt? Fahrst oder fahrst freiwillig? Ogottogott, hilf!«
»Der hält sich wie üblich höflich zurück, denke ich. Und außerdem: Ich hab kein Auto.«
»Haha, hast du ab jetzt schon. Geschenk des Hauses. Warte.« Friedl ging in die Diele, Max hörte eine Schublade auf- und zugehen, dann war sie wieder im Wohnzimmer und klingelte mit einem Schlüsselbund: »Da schau her. Du hast ab sofort die Rentnerschleuder vom Otti. Die mag ich eh nicht so gerne. Ich fahr immer mit dem Ghia-Cabrio. Der Benz, der ist jetzt deiner. Silbergrau, steht hinten in der Ecke. Lass dich von dem harmlosen Aussehen und dem Alter der Karre nicht täuschen. Das ist zwar ein1974er, aber der ziemlich seltene 450er. Achtzylinder, Viereinhalb-Liter-Maschine mit Spezial-Vergasern. Den hat er sich optisch auf einen harmlosen 250er-Oldtimer runtertrimmen lassen, der alte Mistkerl. Und hier sind auch alle Schlüssel: Lift, Wohnung, Piepser für die Tiefgarage, alles. Ich bin ja so froh, dass du jetzt hier bei deiner armen alten Tante wohnst, mein Bub. Komm, gib mir ein Bussi!«
Friedl scharwenzelte um den Tisch herum, gab dem Max einen Schmatzer auf die Wange und legte den Schlüsselbund neben den Teller: »Der Laden vom Glasl heißt ›Wild Wild West‹ und ist da drüben in der Klepperstraße, am McDonalds rechts, an den Autotandlern vorbei und dann, nach dem Klepperpark irgendwo links rein. Du wirst das schon finden als Ex-Polizist, nicht wahr?«
Natürlich ist es so, dass der Max weder naiv ist noch mit dem Klammerbeutel gepudert wurde. Der hat genau gewusst, dass da was nicht stimmt. Und das hat er die Friedl nach einer kurzen Pause auch gefragt.
Und sie? Fährt sich wieder fahrig durch die Haare und legt den Kopf schief. Dann klatscht sie die Hände zusammen und hebt sie wieder theatralisch zur Decke hoch und sagt mit bebender Stimme: »Lieber Herr da oben, wie kann man nur so misstrauisch sein? Gib dem Buben hier eine Erleuchtung, Herr, und sag ihm, Blut ist halt mal dicker als Wasser. Und er ist mein letzter lebender Verwandter, der Bub. Und wenn ich mal tot umfalle, was eh nicht mehr lange dauern kann, dann erbt er alles. Vielleicht, möglicherweise, unter Umständen. Schaun mer mal, dann seng mas scho’, ned wahr, das hat mein seliger Otti immer gesagt. Der ist jetzt bei dir, Herr, oder? Und wenn er tatsächlich bei dir ist, dann lass dir von ihm nichts andrehen, ja, Herr?«
Und zum Auer, diesmal in einem sehr barschen Ton:
»Jetzt stell dich nicht so an. Mein Gott, der Otti hat sein Geld auf vielfältige Weise kreativ verdient, und mit dem Glasl Sepp, da hat er auch ein paar Deals am Laufen gehabt, die waren alle nicht so farbecht, was weiß ich. Steh jetzt auf und fahr da rüber, Max, und wenn du heimkommst, mach ich dir was Schönes, ja?« Sie klimperte mit den Augenlidern, der Auer seufzte wieder und stand auf.
Unten, in der Tiefgarage, da stand der silberne Benz. Ohne Typenbezeichnung, aber dem Auer fiel gleich die Auspuffanlage auf, und auch die Reifen machten was her. Max ging vor der Fahrertür in die Knie und schaute in den Radkasten: rote Spezialstoßdämpfer, die ganze Kiste ein bisschen tiefer gelegt, Michelin-Race-Reifen, gutes Material.
Er ließ den Motor an, der mit einem dumpfen Grummeln erwachte. Automatisches Dreiganggetriebe am Lenkrad und ein Becker-Mexiko-Radio mit Kassette in der Konsole. Max grinste, öffnete das elektrische Schiebedach und gab Gas.
Aus den Lautsprechern kam ein Stück vom Electric-Light-Orchestra, und Auer drehte die Musik lauter. Der Achtzylinder brummte vor sich hin, und als der Max mal aus Versehen ein bisschen sehr aufs Gas tippte, machte der alte Schlitten mit durchdrehenden Reifen einen Satz nach vorne, sodass er verblüfft bremste.
In der Klepperstraße bog er in die Kunstmühlenstraße und dann in die Petersberger, und von Weitem sah er schon das »Wild Wild West«. Oder besser gesagt, das große Schild über dem Eingang. Rund um die gelbe Schrift auf schwarzem Grund waren große, rote Chilischoten gemalt. Die Fenster neben dem Eingang waren mit dunkler Folie verklebt, die Tür wohl eine alte Zellentür aus einem Gefängnis. Das passt doch alles zum Glasl Sepp, dachte sich der Auer und stellte den Benz direkt vor den Eingang.
Um diese Zeit war der Laden natürlich zu, und der Auer hämmerte mit der Faust an die Tür. Eine junge, magere, aber sehr hübsche Frau öffnete und schaute den Auer so verdammt fröhlich an, dass er sie am liebsten auf der Stelle erwürgt hätte.
»Der Chef? Ist er da?« Die Platinblonde nickte und lachte, als hätte der Auer gerade gesagt, dass er ihr eine Million schenkt. »Bist du der Auerhahn? So fesch habe ich mir dich nicht vorgestellt. Komm rein.«
Sie trat ein wenig zur Seite, und der Max ging in die Kneipe, in der nur eine blass-weiße Notbeleuchtung ein wenig Licht fabrizierte. Hinten, an der schmalen Wand, war eine kleine Bühne mit einer Tanzstange in der Mitte. Dahinter standen ein paar Verstärker, Gitarren und ein Schlagzeug.
Rechts, an der Längswand, befand sich eine lange, dunkle Holztheke mit Messingfußleiste und hohen Hockern. Auch auf der Theke waren zwei mattglänzende Messingtanzstangen montiert und in der Decke verankert. Dahinter die obligate Spiegelwand mit den Flaschenbatterien dazwischen. Links von der Tanzfläche ein Dutzend runde Tische mit massiven Stühlen.
An einem der Tische saßen zwei Typen, die Auer jetzt, da sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, ausmachte.
Jetzt pass auf: Die zwei hieven sich aus den Stühlen. Das heißt, der eine hievt, der andere lässt sich einfach vorplumpsen. Der Hiever ist so an die 1,95 oder noch größer, breit wie ein Schrank und hat Arme, die so dick sind wie die Waden vom Auer.
Der andere, der Plumpser, entpuppt sich als was Zwergähnliches. Kleinwüchsig, so sagt man wohl politisch korrekt. Egal, jetzt kommt’s: Die beiden tragen identische pflaumenfarbene Polyesteranzüge mit weißen Gürteln und weißen Stiefeln. Die Hemden waren irgendwie lachsfarben oder rötlich, so genau konnte man das in dem Kerkerlicht nicht sehen.
Den Auer haben die beiden unwillkürlich an Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito in diesem Film erinnert, weißt schon, der mit den Zwillingen.
Das fragte er die beiden auch gleich grinsend: »Wow, ihr seid Zwillinge, oder?«
Der Hiever knurrte und kratzte sich am Bauch, sodass sich das Jackett bewegte und glänzte wie ein Wasserfall. Diese Scheußlichkeiten werden doch nur noch in Nordkorea hergestellt, dachte sich der Auer. Wo haben die das bloß her?
Der kleine Plumpser baute sich vor dem Auer auf und sah zu ihm hoch: »Wir wissen, wer du bist, Alter. Du kannst auch gleich zu Chili durchgehen. Ich will dich nur mal kurz beschnuppern, ob du verkabelt bist oder so, dann werde ich dir die Absolution erteilen, so weit klar?«
Auer blickte auf die kahle Stelle auf dem Kopf des Kleinen: »Was willst du mir erteilen? Mann, ich lass mich von keinem betatschen, der so einen beschissenen Plastikanzug trägt. Da tun mir ja die Augen weh, Junge. Mach einen Satz zur Seite und geh wieder spielen, ja?«
Der Hiever schob sich auf Auer zu, und Plumpser zeigte mit dem Daumen auf ihn: »Der ist heute ganz mies drauf. Willst du wissen, warum? Er hat eine Zecke am Gekröse. Und keiner von uns will da drangehen. Also mach an, dass wir hier fertigwerden.«
Auer schaute den Großen an: »So was ist kein Spaß. Warum gehst du nicht zum Arzt damit?«
Der Hiever knurrte wieder, und Plumpser sagte: »Was denkst du wohl, wie in dem Job hier die Sozialleistungen sind, hmh? Und die Anzüge, die tragen wir auch nicht freiwillig, das will der Chili so. Wegen dem Corporate Design, sagt er. Weißt du, was das sein soll?«
Auer nickte: »Ist so ähnlich wie beim Militär. Da haben auch alle den gleichen Fummel an. Jetzt geht zur Seite, sonst wird der Onkel böse!«
Der Hiever hob eine Hand, und Auer sagte: »Hohoho. Bleib ruhig, du Elch. Ich habe ein Mittel gegen Zecken. Wenn du mich in Ruhe lässt, verrate ich es dir. Schau her!« Auer zog seine Jacke aus, hob sein Hemd hoch und drehte sich: »Keine Drähte, keine Bomben, keine Kanone. Alles klar?«
Der Hiever knurrte den Kleinen an, und der nickte und meinte: »Er sagt, du bist sauber. Was ist das mit dem Zeckenmittel?«
»Streichhölzer!« Auer klopfte auf seine Hosentaschen: »Ich hab jetzt grad keine einstecken, aber das hilft. Ist ein alter Indianertrick. Pass auf: Lass die Hosen runter, geh in die Beuge. Zünde ein Streichholz an und in dem Moment, wo es entflammt, halte es an die Zecke. Dann ist sie im Nu weg.«
»Du meinst, sie verbrennt oder explodiert oder so?« Der Plumpser sah Auer fragend an.
Der schüttelte den Kopf: »Nein, sie fällt ab. Ruckzuck. Zecken mögen keine brennenden Streichhölzer, weil sie Nichtraucher sind. Kapische?«
Die beiden nickten, und der Kleine sagte: »Links neben der Bühne, die schwarze Tür. Chili ist im Büro.« Und zu der Blonden, die hinter der Bar Gläser polierte: »He, Torte, haben wir Streichhölzer?«
Auer betrat das kleine, schäbige Büro und schaute sich um. An den Wänden hingen zwei Poster von Will Smith aus« Wild Wild West«, dann die üblichen Po- und Tittenbilder und eine Aufnahme von einem roten Mustang T4-Cabrio.
Der Typ hinter dem Schreibtisch nahm die Füße runter, schaute auch auf das Autobild und sagte: »Das ist meiner. Ein 66er, 5-Liter-Maschine, kein Rost. Hab ihn selber aus Kalifornien geholt. Dem Otti wollte ich auch einen mitbringen, aber der war ja vernarrt in seinen getarnten 450er. Gott hab ihn selig.«
»Das mit dem ›selig‹ weiß ich nicht, aber den Benz hab ich jetzt. Ist meiner.«
»Echt jetzt? Wow!« Chili stand auf, und Max sah erst jetzt, dass der Kerl blondierte Haare hatte, die, streng nach hinten gekämmt, in einem ziemlich langen Pferdeschwanz endeten.
Max griff nach der über den Schreibtisch gestreckten Hand und schüttelte sie: »Warum Chili? Klingt irgendwie … ich weiß auch nicht.«
»Wegen dem Laden. Corporate Design, da leg ich gesteigerten Wert drauf, verstehst?«
Auer nickte und setzte sich: »Pass auf, keine langen Vorreden. Was liegt an? Warum bin ich hier?«
Chili öffnete einen Laptop, drückte ein paar Tasten und schob das Teil zu Max rüber: »Schau selber.«
Der Auer starrte auf den Bildschirm. Zu sehen war eine nackte, honigblonde junge Frau, die auf einem antiken Holztisch kniete. Vor ihr stand ein nackter Kerl, und die Frau hatte ein Stück von ihm im Mund. Hinter ihr, in vollem Galopp: Chili. Er hielt sich an ihren Hüften fest, und sein Pferdeschwanz wedelte bei jedem Stoß unter dem Hirschgeweihkerzenleuchter. Aufgenommen war das Ganze offenbar in einer Almhütte oder so. Überall Holz, rustikal, Kerzenlicht und bayerische Musik im Hintergrund.
»Lieber Gott, was ist das denn?«
»Ein Leberkäs-Porno. So was mögen die Amis und die Chinesen, überhaupt alle da drüben in Asien. Die Handlung ist fast immer die gleiche: die Sennerin ist sommerlich leicht bekleidet im Stall, es kommen zwei Wanderer, man kommt sich in der Hütte bei der Brotzeit näher, und dann: erotische Akrobatik und Blasmusik. Pass auf, wenn der vordere Bursche kommt, dann jodelt er. Und die Sennerin jauchzt dazu. Gut, was?«
»Aha. Wer steht auf so was? Wo ist die Hütte? Wem gehört sie?«
Chili angelte eine Flasche Bier aus einem kleinen Kühlschrank neben dem Schreibtisch und hielt sie dem Auer hin. Dann nahm er eine für sich, hob sie an den Mund und trank: »Ahhh, immer wieder gut. Die Hütte? Ist irgendwo auf dem Samerberg. Gehört hat sie dem Otti, und jetzt wohl der Friedl. Und wie das angefangen hat? Pass auf: Da kommt eines Tages so ein Kerl in meinen Laden. Sagt, er will Leberkäs-Pornos für den Weltmarkt. USA, Asien, Indien und so. Meint, er könnte damit genauso gut nach Holland zu den Profis gehen, die machen alles, was du willst. Tut er aber nicht. Weil es ihm da zu professionell ist. Das muss nach Amateuren ausschauen, meint er. Die Japaner, die kaufen alles, was Amateurcharakter hat, sagt er. Hey, hast du gewusst, dass es in Tokio auf den Straßen Automaten gibt, da kann man sich Nacktfotos von jungen Mädchen rausziehen?«
Auer nuckelte an seinem Bier und nickte: »Ich war bei der Sitte, Alter, schon vergessen? Hast du gewusst, dass es eine Tintenfisch-Art gibt, bei der sich der Pimmel alleine auf den Weg macht? Nein? Pass auf: Das Tintenfisch-Begattungsteil löst sich vom Körper ab. Der Pimmel schwebt unter Wasser mitsamt dem Samenpaket auf die Tintenfischin zu und legt dort seine Spermienladung ab.«
Chili starrte den Auer an: »Echt jetzt? Kein Scheiß?«
Der schüttelte den Kopf: »Na ja, das Weibchen ist fünfmal so groß wie das Männchen. Vielleicht ist ihm das einfach zu viel Frau am Stück, verstehst? So genau weiß ich das aber auch nicht.«
Chili schaute verträumt auf seine Bierflasche und legte die Beine auf die Tischplatte: »Hey, stell dir vor, du gehst auf der Straße, siehst drüben, auf der anderen Seite, eine richtige Sahneschnitte und kriegst sofort die üblichen Gefühle. Jetzt musst du aber nicht mehr flirten, bis dir die Zähne wehtun, sondern du schickst dein Gehänge auf die Reise, das schwebt über die Straße und verschwindet unter dem Rock, und das war’s. Den Rest erledigen die zwei Geschlechtsteile unter sich. Wahnsinn.« Plötzlich fiel ihm was ein: »Der Tintenfisch, kriegt der seinen Pimmel nachher zurück?«
Auer trank und schüttelte den Kopf. Chili ebenfalls, und nach einer kurzen Pause sagte er: »Dann vergiss es. Andererseits, da muss ja der ganze Ozean voller alleinstehender Pimmel sein, oder? Gut, dass ich nie ins Wasser gehe.«
»Die Tintenfischmännchen sind nur zwei Zentimeter groß. Aber zurück zu deinem Geschlechtsteil. Was ist mit dem Film? Gibt’s Ärger mit dem Kunden? Das sieht doch alles ganz echt aus, oder?«
Chili schloss die Augen: »Ist echt. Das Problem ist die Sissi.«
»Warum? Habt ihr sie nicht bezahlt?«
»Doch. Aber der Film ist ein paar Jahre alt. Sie ist jetzt verheiratet. Mit einem prominenten Rosenheimer, der auch in der Politik mitmischt. So, und da ist jetzt einer, der erpresst mich, wenn ich dem Promi helfe. Ich soll die Füße stillhalten, sonst gibt er das Video an den Ehemann weiter, so weit klar?«
»Nein. Wird der Promi mit dem Video erpresst?«
Chili schüttelte den Kopf und trank die Flasche leer: »Die Sissi, die ist ein richtiger Wildfang. Immer schon gewesen. Das haben auch viele hier in der Szene gewusst. Der Brunner aber nicht. Nicht viel, jedenfalls. Die Friedl, die ist ja mit ihm befreundet. Die hat ihm aber auch fast nichts gesagt, obwohl ihr der Otti vielleicht das eine oder andere erzählt hat. Keine Ahnung …«
Der Auer kratzte sich am Kopf: »Ach, so läuft das. Weiter!«
»Gut. Die beiden heiraten also vor zwei Jahren. Der Brunner Alois ist da schon 62, stellvertretender Bankdirektor und Stadtrat. Die Sissi ist 32 und hat mehr Feuer im Hintern als der Ätna. Interessant wird’s aber jetzt: Die Sissi haut immer wieder mal ab. So für zwei oder drei Tage. Sie hat wohl einen Lover, keine Ahnung. Der alte Brunner macht jedes Mal einen Aufstand, aber wenn sie dann wieder da ist und vor ihm auf die Knie geht, ist alles vergessen. Nur, diesmal ist sie schon seit fast einer Woche weg. Der Alte weiß, dass ich die Sissi sehr gut kenne. Wir waren sogar eine Zeit lang zusammen. Ich mag sie immer noch sehr. Na ja, das weiß er natürlich nicht. Er denkt, sie hat mal hier im Laden gezapft. Hat sie auch, aber in solchen Filmen und auf dem Tisch. Gezapft, meine ich, aber das siehst du ja selber. Auf jeden Fall, ich hab sie ein paarmal für ihn gesucht und auch gefunden und ins Nest zurückgebracht.«
»Sie ist also nicht entführt worden. Ich versteh immer noch nicht so ganz. Hast du noch Bier?«
Chili griff nach unten und reichte eine grüne Flasche rüber: »Der Brunner will, dass ich die Sissi wieder mal finde, weil er nicht zur Polizei gehen kann. Sonst muss er sich selber als Stadtrat ganz schnell vergessen. Aber ich, und das ist der Clou, werde jetzt erpresst. Ich, kannst du dir das vorstellen? Mit dem Porno hier. Und wenn der Brunner die Leberkäs-Produktion sieht, dann macht er mich fertig. Ich hinter seiner Frau. Seine Frau, mit einem nicht näher bekannten Pimmel zwischen den Kiefern. Ich hab dem alten Sack immer erzählt, die Sissi hat mit ein paar Mädels von früher einen draufgemacht und so. Junge Frauen brechen halt mal aus. Alles ganz harmlos, nie was passiert. Und jetzt der Film. Weißt du, was das für mich heißt?«
Er schüttelte den Kopf und klatschte die Hände zusammen: »Peng. Das heißt Gewerbeaufsicht, Lebensmittelkontrolle, die von der Sitte jede Woche und so weiter. Die geben sich hier doch dann die Klinke in die Hand, bis ich den Laden dichtmachen kann. Und für eine berufliche Umorientierung bin ich einfach zu alt. Und da kommst du jetzt ins Spiel, Alter. Genau hier.«
»Ich kann …«
Aber weiter kommen wir jetzt im Moment nicht, und das wirst du gleich verstehen. Aus dem Lokal ist ein mörderischer Schrei zu hören und dann ein ganz klägliches, weinerliches Wimmern. Eine paar Sekunden später klopft es an der Tür und die niedliche Blonde steckt den Oberkörper rein. Jetzt, und das ist noch erwähnenswert, hat sie einen Cowboyhut von der Flötzinger-Brauerei auf dem Kopf. So einen, wie du ihn dir vielleicht zum Rasenmähen auf den Kürbis klemmst. Und sie hat jetzt ein schwarzes T-Shirt an, da ist ein weißer Dinosaurier drauf, der traurig in die Landschaft guckt und sagt: »All my friends are dead!«
So viel zur allgemeinen Lage, aber jetzt geht’s auch gleich weiter:
Blondie sagt mit bebender Stimme: »Chef, können Sie mal kommen, hier ist was Schlimmes passiert!«
Chili fasste unter den Tisch und hatte plötzlich einen stupsnasigen Revolver in der Hand. Der Auer hob die Hände: »Wow, wow, wow, ganz ruhig, Alter, ich kann das erklären!«
Der Revolver schwenkte auf den Max, der immer noch die Arme auf Schulterhöhe hatte: »Das ist jetzt mehr so ein medizinisches Problem. Oder, genauer gesagt, die Nebenwirkung der Problemlösung. Ich kann das erklären. Deine Jungs …«
Aber Chili hatte den Revolver schon wieder verschwinden lassen und meinte seufzend: »Die schon wieder. Alles klar. Weißt du, wie schwer es ist, qualifiziertes Personal zu bekommen? Heutzutage? In dieser Branche?«
Auer nickte: »Und vor allen Dingen die Klamotten. Echt scharf. Wo kriegt man das her?«
Chili nippte an seiner Bierflasche: »Die Anzüge? Die sind richtig gut, was? Da war ein Kunde aus Korea, der hat die für ein paar Dutzend Alm-Pornos in Zahlung gegeben. Willst du auch so einen? Ich hab noch zwei oder drei Stück davon rumhängen.«
Auer winkte ab: »Lass mal, passt schon. Wie soll das mit der Sissi weitergehen?«
Chili runzelte die Stirn: »Geh zum Brunner. Sag ihm, du bist ein Spezialist für solche Fälle. Du kannst so was viel besser als ich. Leute finden und so. Erzähl ihm von deiner Zeit in München. Hattest du schon mal mit Entführungen zu tun? Vielleicht ist es ja jetzt doch eine, denn warum zum Teufel sollte ich mich sonst da raushalten?«
Auer nickte: »Ja, ich war mal für ein paar Monate in einer Entführungs-SOKO. Ich wollte damals die Abteilung wechseln. Immer nur Kinderpornos und sexuelle Gewaltarien, das nervt. Aber ich hab’s verbockt.«
»Echt? Wie denn?«
Der Auer verzog das Gesicht: »Ich hab den Entführer erschossen, obwohl wir das Opfer schon hatten. Aber der Sack hat mich dermaßen genervt, da ist mir der Finger abgerutscht.«
Chili strahlte: »Du bist mein Mann. Kurze, klare Lösungen, eine schnelle Entscheidung, wenn es sein muss. Wirtschaftspolitisch würde ich sagen, du entsprichst exakt meinem Anforderungsprofil. Du hast den Job. Geh zum Brunner, erzähl ihm einen vom Pferd, und sag ihm von mir aus noch, mir wäre nicht mehr zu trauen. Mach ein ordentliches Honorar aus, finde die Sissi, bring sie ihm einigermaßen am Stück zurück, und alles ist wieder im Lot. Pass auf, ich schreib dir jetzt ein paar Adressen auf, wo sie immer abhängt, wenn sie die Schnauze so richtig voll von dem Alten hat.«
»Oh Mann, ist ja echt super«, stöhnte Auer. »Und wo soll ich anfangen?«
»Du findest sie. Ich hab sie ja auch immer gefunden. Wir können es auch so machen: Ich telefonier ein bisschen rum, sag dir, wo sie steckt, und du sammelst sie ein. So bin ich aus der Nummer raus, keiner kann mich erpressen, und my Business läuft weiter as usual. Na? Deal oder Deal?«
Der Auer zog sich aus dem Sessel hoch und sagte: »Lass mich drüber schlafen. Morgen früh sag ich dir Bescheid, okay?«
Chile strahlte: »Hey, Alter, danke. Willst du das blonde Pony da draußen reiten? Kannst du gleich, wenn du willst. Na?«
Auer schüttelte den Kopf: »Lass mal. Passt schon. Ich ruf dich an, ja?«
Im Lokal saßen die Zwillinge wieder am Tisch und Blondie polierte Gläser. Der Plumpser hob einen Arm, zeigte zuerst auf Auer, dann auf seinen Kumpel: »Du bist ab jetzt auf seiner persönlichen Hassliste.«
Auer schaute sich um: »Wo ist die Zecke?«
Und der Kleine: »Die hat auf der Damentoilette eine Seebestattung bekommen. Mit allem Drum und Dran. Aber er hier, er hat sich das Eingemachte verbrannt. Der hat ja ein behaartes Pferdegehänge, und das ging teilweise in Flammen auf wie ein alter Christbaum.«
Auer schüttelte den Kopf: »Jungs, da ist noch ein Trick dabei, hab ich das nicht gesagt? Das Streichholz entflammen lassen, kurz über die Zecke streichen und weg damit. Doch nicht drunter halten, bis der Wald zu brennen anfängt.«
Der Hiever knurrte, und Auer sagte zu dem Kleinen: »Kann der Elch sprechen?«
Plumpser zuckte mit den Achseln: »Keine Ahnung. Er ist Finne, und die reden eh sehr ungern, hab ich mal gelesen. Wir haben da so eine Art Zeichensprache, wir beiden. Fängst du jetzt hier bei uns an?«
»Würde ich gerne. Aber mir passt keiner von den Anzügen. Noch ein fröhliches Schaffen, Jungs. Man sieht sich.«
Draußen musste sich der Auer erst blinzelnd an das Tageslicht gewöhnen, dann streckte er sich, stieg grinsend in den alten Benz und fuhr los.
Das Telefon summte um 14.30 Uhr, und Auer, der bequem im Fahrersitz lümmelte und auf die rote Ampel starrte, zuckte zusammen.
Jetzt muss man sagen, da wärst du auch erschrocken, wenn in so einer alten Kiste plötzlich was lossummt. Weil, du erwartest ja alles Mögliche, aber kein Telefon. Und in der Mittelkonsole flackerte plötzlich zusätzlich zu dem nervenden Summton hektisch ein rotes Lämpchen.
Der Auer schaute sich rechts vom Lenkrad um, in dem Moment sprang die Ampel auf Grün, was in der Regel keinerlei Geräusche verursacht. Auer, der aber immer noch das Telefon suchte, erschrak schon wieder, weil der Lastwagenfahrer hinter ihm hupte und mit der flachen Hand außen lautstark auf das Blech seiner eingedellten Fahrertür schlug. Dann streckte sich ein türkisch aussehender Kopf aus dem Fenster und das rote Gesicht mit den kurzen schwarzen Haarstoppeln über den Ohren schrie: »Ey, Alter, mach dich von de Acker mit deine rollende Museum, ja? Aber tschabuk, tschabuk, yalla? Husch-husch zurück auf de Friedhof!«
Der Auer winkte entschuldigend mit der linken Hand, gab natürlich zu viel Gas und röhrte mit kreischend durchdrehenden Reifen los. Hinter dem Brückenberg fuhr er rechts ran, gegenüber der Auer-Brauerei. Wenn ich mit denen verwandt wäre, dann müsste ich zumindest mein Bier nicht mehr selber zahlen, dachte sich der Max, während er mit der Hand über die Mittelkonsole fuhr und eine Klappe unter dem Radio öffnete. Und da war es: ein Becker AT40S aus den 80er-Jahren. Eins der ersten Autotelefone. Früher C-Netz, aber jetzt wohl auf das D-Netz umgebaut. Der Hörer mit Spiralkabel war so groß wie ein in der Mitte durchgefräster Ziegelstein.
Auer drückte auf das Telefonsymbol und nahm den halben Ziegelstein ans Ohr: »Ja?«
»Rosenheimer Stadtbank. Guten Tag, Herr Auer. Hier ist das Sekretariat von Herrn Direktor Brunner. Ich verbinde.«
Musik ertönte. Eine Passage aus dem »Forellenquintett«. Dann kam eine barsche Männerstimme durch die Leitung: »Brunner hier. Guten Tag, Herr Auer.«
»Woher haben Sie diese Nummer?«
»Der Herr Sebastian Glasl hat mich grad’ angerufen und mir von Ihnen erzählt. Und auch, dass Sie den Wagen von meinem Freund, Ihrem Onkel Ottfried Bernrieder, haben.«
»Ex-Onkel. Er ist ja mittlerweile ein bisschen tot.«
Grunzen in der Leitung, dann sagte Brunner: »Herr Auer. Ich habe keine Zeit für Späße. Können wir uns irgendwo in der Stadt treffen? Sie haben von meinem Problem gehört und sind willens, tätig zu werden, ja?«
Wer, um Gottes willen, redete heutzutage noch so? »Willens, tätig zu werden.«
»Das weiß ich noch nicht. Lassen Sie uns reden. Wo?«
»Kennen Sie den Stockhammer? Die Wirtschaft am Max-Josefs-Platz?«
»Mhm.«
»Gut, dort bin ich in einer Viertelstunde. Drinnen, in der Stube, am hintersten Tisch links in der Ecke, wenn der frei ist. Wie sehen Sie aus?«
Auer blinzelte sich im Rückspiegel an. Wie ein Gott, dachte er. Aber er sagte: »Ich bin 1,80, habe 83 Kilo, braunes, mittellanges Haar. Schauen Sie im Fernsehen diese Serie ›Die Toten von Salzburg‹?«
Brunner schnaufte: »Was soll das?«
»Na ja, ich schau ein bissel so aus wie der eine, der den deutschen Kommissar spielt. Der, der immer so ein bissel grantig ist. Sie wissen schon, der früher den Carlo Menzinger im Tatort gespielt hat. Und Sie, wie schauen Sie aus?«
»Sie erkennen mich, wenn Sie mich sehen. Bis gleich!«
Auer legte den Hörer wieder in das Ablagefach, schloss die Klappe und dachte sich, du mich auch, dann fuhr er an.
Das Traditions-Gasthaus Stockhammer kennt nun wirklich ein jeder. Berühmt für seine gute, bodenständige Kost und seine hübschen und freundlichen Bedienungen. Deswegen auch beliebt bei den Lokalpolitikern, und zwar fraktionsübergreifend.
Der Auer ging freundlich grüßend in der Gaststube an zwei Kellnerinnen vorbei und schaute sich um. Um diese Zeit war nicht viel los, und so saß der Vizedirektor und Stadtrat Brunner gut sichtbar hinten am Ecktisch.
Wie ein alter, grauer Rabe hockte er da vor seinem Bierglas. Schütteres graues Haar, einen dicken Kopf mit noch dickeren Brillengläsern auf der Nase. Und Tränensäcken unter den Augen, aus denen sich der Louis Trenker problemlos einen Rucksack gemacht hätte. Ein bräsiger alter Knabe, der aussah wie einer, der hart auf die 70 zusegelt. Dabei war er, wie der Auer vom Chili wusste, noch keine 62. Aber er muss wohl das richtige Parfüm haben, dachte sich der Auer, denn sonst kriegt so einer wie der eine wie die Sissi nicht auf die Matratze.
Max zog sich einen Stuhl zurecht und streckte dem Brunner die Hand hin. Der gab ihm eine weiche, feuchte Berührung und wies auf den Stuhl: »Bitte nehmen Sie Platz, Herr Auer. Und danke, dass Sie gekommen sind. Wie ist Ihr Wissensstand?«
Der Max öffnete den Mund, sagte aber nichts, weil eine freundliche Rotbraune an den Tisch getreten war: »Auch ein Bier?«
Auer nickte, und die Bedienung ging zur Theke.
»Ich weiß, dass Ihre Frau ab und zu für ein oder zwei Tage verschwindet. Sich mit Freundinnen in München oder Salzburg trifft und einen draufmacht. Wenn’s Ihnen zu lange gedauert hat, dann haben Sie den Glasl Sepp geschickt, um sie heimzuholen. Jetzt ist sie aber schon etwas länger weg, und der Sepp weiß auch nicht, wo sie sein könnte. Er hat seine Kontakte abtelefoniert, aber keiner hat Ihre Frau gesehen oder was von ihr gehört. Stimmt das so weit?«
Die Bedienung kam mit dem Bier, stellte es vor den Auer und lächelte ihn an: »Wollen Sie was essen? Dann bringe ich die Karte.«
Der Auer brachte sein bestes Lächeln zum Einsatz: »Mit Ihnen immer. Wann haben Sie denn Zeit?«
Sie lachte, kniff ein Auge zu und ging.
Der alte Brunner fuhr sich mit der Hand über den Kopf: »Haben Sie Bilder von meiner Frau gesehen?«
Auer, der gerade den Schaum abtrank, nickte. Und was für welche, dachte er sich dabei.
Brunner nickte ebenfalls: »Dann fragen Sie sich, was so eine junge und schöne Frau an einem alten Kerl wie mir findet, oder?« Er hob die Hand: »Nein, sagen Sie nichts. Ich liebe sie mit jeder Faser meines Körpers. Vom ersten Moment an, als ich sie gesehen habe. Sie hat sich über mich lustig gemacht, aber ich ging immer wieder hin, in dieses Lokal, wo sie ab und zu gearbeitet hat. Irgendwie sind wir dann ins Gespräch gekommen. Ich kann gut zuhören. Wir haben nächtelang geredet. Nein, sie hat geredet. Von kaputten Beziehungen. Von Kerlen, die sie ausgenutzt und geschlagen haben. Davon, dass sie eigentlich nur in Ruhe leben möchte. Dass sie vollkommen fertig und am Ende ist. Sie hat wohl in erster Linie so eine Art Vaterfigur in mir gesehen, schon klar.«
Brunner nahm einen kleinen Schluck und schaute mit blicklosen Augen zum Fenster raus. Seine Stimme wurde rau und brüchig. Er räusperte sich: »In einer dieser Nächte hab ich mir ein Herz gefasst und ihr ein Angebot gemacht. Sissi, hab ich gesagt, komm zu mir. Ich bin seit dem Tod meiner Frau alleine. Ich hab ein großes Haus, ein Boot, Ferienwohnungen, ich hab alles, was du dir nur wünschen kannst. Und ich gebe es dir. Ich lege dir alles zu Füßen, wenn du zu mir kommst. Ich will dich auch gerne heiraten, wenn du das willst. Natürlich erst, wenn wir uns ein bissel besser kennen, sagte ich zu ihr. Dann bist du versorgt, wenn mir was passiert. Und wenn’s dir bei mir langweilig wird, dann kannst du, wann immer du willst, für ein paar Tage in die besten Hotels gehen oder auch mal richtig verreisen. Südsee, Italien, Amerika, was weiß ich. In Kitzbühel hab ich auch noch ein kleines Haus und ein Penthaus am Gardasee.«
Er schaute den Auer aus seinen rotunterlaufenen Augen an: »Sie ist oft ausgebrochen, aber auch immer wieder zurückgekommen. Es muss irgendwas mit ihr passiert sein, sonst hätte ich von ihr gehört. Helfen Sie mir, Max Auer, sie ist alles, was ich habe.«
»In welcher Beziehung steht jemand wie Sie zum Glasl und was hatten Sie mit meinem Onkel zu tun?«
Der Brunner rührte nachdenklich mit einem Finger in einer kleinen, runden Bierlache auf der Tischplatte: »Die Sissi kannte den Glasl. Sie hat ab und zu bei ihm gearbeitet, hat sie mir erzählt. Hinter der Theke. Der Ottfried hat ihr das vermittelt. So hab ich sie kennengelernt. Und dass der Glasl in der hiesigen Unterwelt bestens vernetzt ist, das weiß ein jeder. Mir war das nicht recht, dass sie ihm ab und zu ausgeholfen hat, aber er war, so wie viele ihrer Freunde, »aus einem früheren Leben«, wie sie mal zu mir gesagt hat. Und die Sissi ist keine Frau, der man was verbietet oder abschlägt. Und der Otti? Meine Bank hat einige seiner Unternehmungen finanziert. Wir waren alte Freunde, und er hat mir das Kitzbühelhaus und die Wohnung am Gardasee beschafft. Das wird Ihnen die Friedl sowieso erzählen, also können Sie es auch von mir hören. Eine Hand wäscht die andere. So ist das nun mal.«
Er trank, hob sein leeres Glas und wackelte damit: »Den Otti hab ich anfangs beneidet. Um sein abenteuerliches Leben, seine Kontakte zu Leuten wie dem Glasl und anderen Halbweltlern, mit denen sich einer wie ich in so einem Lokal wie dem hier nicht sehen lassen dürfte. Aber diese Leute haben immer fröhliche Tage und bunte Nächte. Schöne Frauen, immer Spaß. Immer Action, die leben ihr Leben und nehmen sich, was sie wollen. Aber meine verstorbene Frau hat mal zu mir gesagt: ›Wenn du jemanden um sein Leben beneidest, dann denk an die Bilder von den Pizzas auf den bunten Prospekten von diesen Lieferservices. Die sehen, im richtigen Licht fotografiert, immer besser aus, als sie dann sind, wenn du sie auf dem Teller hast.‹« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Wo ist denn nun mein Bier, zum Teufel?«
»Ihr Bier? Kommt gleich, Herr Direktor!«, rief die Kellnerin und der Brunner schaute wieder auf seine Hände: »Sie waren bei der Kripo in München, ein guter Ermittler. Aber man hat Sie kaltgestellt. Reingelegt, könnte man sagen. So viel hab ich von einem Freund aus München erfahren. Sie sind wohl dem verkehrten Mann zur verkehrten Zeit auf die Füße gestiegen, was?«
Er versuchte zu lächeln, das gelang ihm aber nicht. »Und jetzt, was wollen Sie hier in Rosenheim beruflich so machen? Sie sind ja noch jung, da muss noch was kommen, oder?«
Auer zuckte mit den Achseln und nahm sich eine Breze aus dem Korb: »Mal schauen. Ich hab ja auch noch eine abgeschlossene Ausbildung als Rauchmelder. Ich kann laut schreien, wenn’s brennt. Ist eine seltene Begabung, und Spezialisten werden immer gesucht. Warum fragen Sie?«
Brunner grinste gequält und sagte: »Wenn du eine Frage stellst, und es gibt darauf keine vernünftige Antwort, dann kann das schon die Antwort sein, Herr Auer. Überlegen Sie, wie viel Sie von mir für Ihre Dienste haben wollen. Rufen Sie mich später im Büro an. Hier ist meine Karte. Und das hier«, er fasste mit der linken Hand in die Tasche seiner Lodenjacke und legte ein weißes iPhone 8 auf den Tisch, »das ist ihr Handy. Das hat sie wohl vergessen. Normalerweise nimmt sie das immer mit, wenn sie, wie soll ich sagen … verreist. Diesmal hat sie es wohl vergessen. Schauen Sie sich die gespeicherten Nummern an, vielleicht finden Sie einen Hinweis, wo sie hingefahren ist. Wenn Sie den Job machen und sie finden, dann seien Sie nett zu ihr. Sagen Sie ihr, ich mache mir Sorgen. Wenn sie noch wegbleiben will, kein Problem. Ich will nur sicher sein, dass es ihr gutgeht, okay?«
Auer steckte das Handy und Brunners Karte ein: »Geben Sie mir Zeit zum Überlegen. Bis heute Abend. Zu Ihrem Angebot: Wenn ich Ihre Frau suche, und ich finde sie schnell, dann kostet Sie das nichts. Wenn Spesen anfallen, erstatten Sie mir die. Wird aber wohl nicht vorkommen. Es kann ja auch gut sein, Sie hören heute noch von ihr, dass alles okay ist. Wenn sich Ihre Frau bei Ihnen meldet, rufen Sie bitte bei meiner Tante an. Da wohne ich. Sie kennen sich doch, oder?«
Jetzt lächelte der Brunner und nickte: »Die Friedl war meine große Jugendliebe. Das hat sie aber nie mitbekommen, weil ich zu schüchtern war. Dann ist der Otti aufgetaucht und hat sie sich geschnappt. Was für eine Frau. Ja, die Nummer habe ich. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss zurück. Was immer Sie hier wann auch immer konsumieren, das geht auf unseren Zettel, die wissen schon Bescheid.«
Brunner gab dem Auer noch einen schlaffen und feuchten Händedruck, dann trippelte er wie ein trauriger alter Vogel mit eingezogenem Kopf aus dem Lokal.
»Ja, so isses halt im Leben, Bub. Da musst flexibel sein.« Mit einer schwungvollen Bewegung stellte die Friedl dem Auer einen Teller mit einem selbstgebackenen gedeckten Apfelkuchen hin. Auf dem Kuchenstück wackelte ein Sahneberg in Form des Matterhorns.
Auer schüttelte den Kopf: »Ich hab jetzt echt keinen Hunger, Tante.« Die Friedl stemmte die Hände in die Hüften: »Und wenn du noch einmal Tante zu mir sagst, dann landet der Kuchen auf deiner Rübe, du undankbarer Junge. Und essen musst du, du hast ja nix auf den Rippen.«
Auer setzte sich gerade hin und klopfte sich wortlos auf den Bauch, aber Friedl schüttelte den Kopf: »Ach was, das ist doch alles Luft. Blähungen. Und außerdem: Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel. Der Otti, der hat immer gesagt, ein Mann braucht einen gewissen Vorbau, damit der arbeitslose Zwerg da unten bei Regen ein Dach über dem Kopf hat. Iss jetzt. Die Arbeit läuft dir nicht davon. Erinnerst du dich an den Maurer Georg, den nichtsnutzigen Sohn von den Maurers in der Marienberger Straße? Der ist Tapezierer geworden. Na ja, dass der kein Gehirnchirurg wird, das hat man schon früh erkannt. Die hellste Kerze in Gottes großem Kronleuchter war der nie. Aber Tapezierer? Und was für einer. Ich hab den mal in Aktion gesehen. Der konnte im Stehen schlafen, mit dem Leimwaschel in der Hand. Der ist ihm auch in der aufrechten Tiefschlafphase nicht aus den Fingern gerutscht. Für so was brauchst du natürlich auch ein gewisses Talent. Und zu mir hat er mal gesagt, dass er am liebsten den Tapeten beim Trocknen zuschaut.«
Fasziniert beobachtete der Auer die Tante, die auch nach dieser langen Rede keine Luft zog. Nicht sichtbar, jedenfalls.
»Tante, wie war das jetzt mit dem Bänker Brunner und dem Onkel Ottfried?«
»Wie war das … wie war was? Das ist ein Geben und Nehmen gewesen. Ich sag mal so, die Sparkasse oder die Raiffeisen und wie sie alle heißen, die hätten doch nie im Leben dem Otti seine schrägen Vorhaben finanziert. Denk mal nach. Du gehst in eine Bank und sagst: ›Grüß Gott, Bernrieder mein Name. Ich mach jetzt wieder mal einen Puff auf, und deswegen sollten Sie ein paar Flocken über den Tisch wachsen lassen. Wie ich Ihnen das zurückzahle, das überlegen wir uns ein anderes Mal.‹ Nein, nein, Bub. Da musst du vorsichtig ran, da musst du taktieren und schauen, was der Bänker will. Vielleicht einen schnuckeligen Alfa für die Gattin? Oder eine nette Kreuzfahrt, oder doch lieber eine Wohnung am Gardasee?«
»Und so hat sich der Otti den Brunner gekascht?«
»Was für eine ordinäre Ausdrucksweise. Die beiden waren Jugendfreunde, man kannte und mochte sich. Daraus ist eine kreative, flexible Geschäftsbeziehung entstanden. Alle haben gut dran verdient.«
Auer starrte sie an: »Wow, jetzt sag bloß, du hast das alles von Anfang an gewusst, Friedl?«
Sie lächelte süß: »Friedl, wie schön du das sagst, Bub. Sicher hab ich alles gewusst. Fast alles, jedenfalls. Wir waren ja verheiratet. Und wenn ich ein Schnitzel esse, dann will ich ja auch wissen, wo das Geld dafür herkommt, oder? Der Otti und ich, wir haben fast keine Geheimnisse voreinander gehabt. Gell, Otti, so war’s doch, oder?« Dabei streichelte sie zärtlich über die Sanduhr und drehte sie um: »Hier steht er viel besser, als da irgendwo auf dem Friedhof eingebuddelt zu sein, findest du nicht auch, Max? Und mit den Strenggläubigen hat er es eh nie so gehabt. Er hat zu seinen eigenen Göttern gesprochen. ›Besser ein Hohlkreuz, als gar nicht religiös‹, hat er mal zum Stadtpfarrer gesagt. Und der hat ihm geantwortet: ›Ja, aber unser lieber Gott sieht trotzdem in jedes seiner Schäfchen hinein‹, und mein Otti hat geantwortet: ›Das erklärt seine stete Abwesenheit am besten.‹«
Die Asche rieselte lautlos, und Friedl meinte: »Jetzt schau nur her, wie er sich freut, weil wir von ihm reden.«
»Und die Sissi? Hat der Otti da auch seine Hände im Spiel gehabt?«
Die Friedl ging zur Glasschiebetür, öffnete sie und machte ein paar Schritte auf die Dachterrasse hinaus. Es war immer noch schwül und die Sonne war hell wie ein zorniges Auge eines Zyklops. Der Himmel hatte dieses typisch Bayerisch-Blau-Flirrende, und in der Luft war der Geruch von gegrilltem Fleisch. Na ja, ein bisschen streng war er vielleicht, der Duft, der, vermischt mit schlanken, hellen Rauchfetzen, von unten hochstieg.
»Die da unten grillen schon wieder auf dem Balkon. Und du kannst nichts dagegen machen, auch wenn dir das ganze Haus gehört. Ist das nicht schlimm, dass man als einheimischer, rechtschaffender Immobilienbesitzer keinerlei Rechte mehr hat? Aber jetzt bist du ja hier, Bub. Vielleicht könntest du mal runtergehen und den Kameltreibern eine auf die Kauleisten geben. Würdest du das für deine alte, gebrechliche Tante machen, Schätzchen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie schnell bis zur Brüstung vor, beugte sich darüber und flötete nach unten: »Ja, der Herr Özgür, das riecht aber schön, was Sie da grillen. Mhm, da kriegt man ja einen richtigen Heißhunger. Was ist denn das? Ausschauen tut es ja echt lecker? Ah, das sind Schweinswürstel, gell? Das seh ich gleich. Ham Sie die vom Lohberger? Der macht unglaublich gute Schweinswürstel. Und die Kümmelsülze erst. Kennen Sie die? Bei Ihnen zu Hause isst man doch viel Kümmel in irgendeinem Gesülze, oder?«
Sie legte den Kopf schief und lauschte auf die Männerstimme vom unteren Balkon. »Was ist das? Gehackte Hammelinnereien? Ganz allerliebst, ehrlich. Wie? Nein danke, sehr lieb von Ihnen, aber wir haben ja unseren Fischtag heute, wir sind streng religiös, der Maxi und ich. Wo sind denn Ihre reizenden fünf Kinder heute? Wie? Nein, nein, die stören mich nicht, ich habe gerne Kindergeschrei, wenn ich Yoga mache. Und ich versteh ja eh nicht, was die da so rumkreischen in ihrer Dings … äh … Sprache. Guten Appetit noch mit Ihren Hammelbrocken da, Herr Özgür, gell? Und grüßen Sie Ihre Frau, Ihre schleierhafte Gemahlin. Tschühüs!«
Jetzt denkst du dir, die Friedl und Yoga? Dabei hat sie mal gesagt: »Motzen ist mein Yoga!« Das war, als der Otti noch gelebt hat und meinte, sie soll doch mal yogieren oder Pilatus oder wie das heißt machen oder sonst was Chinesisches, dann kommt sie vom Brandy weg. Aber was sag ich? Geholfen hat’s nix, und hier geht’s schon weiter.
Friedl kam wieder rein und goss sich einen doppelten Hennessy in ein schweres, geschliffenes Kristallglas: »Am liebsten würd ich mal mit dem Hochdruckreiniger nach unten pfeffern. Aber man kann sich seine Mieter ja nicht aussuchen. Nicht mehr. Früher, ja, da war alles besser, sogar die Mieter. Aber was soll’s, der anatolische Kannibale da unten verdient gut und ist mein Quoten-Ausländer im Haus. Letztes Jahr hab ich im Keller noch drei Somalier gehabt, die haben sich Hühner gehalten, und freitags war immer Hausschlachtung bei denen im Wohnzimmer. Die musste ich aber dann doch rausschmeißen, wo die mit Schafen im Wäscheraum angefangen haben. Da hast du dich erst mit dem Bock arrangieren müssen, dass der dich zur Waschmaschine lässt. Wo sind wir stehengeblieben, Maxi? Ich werde so vergesslich in letzter Zeit. Da hilft nur meine Spätnachmittagsmedizin. Jaja, das Alter kennt keine Gnade.«
Sie leerte das Glas in einem Zug und setzte sich gegenüber dem Auer an den Tisch. Dann hob sie das gestickte Damasttuch an, fasste unter die Tischplatte und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Schublade. »Wo sind denn meine Streichhölzer? Ah ja, hier.« Sie hob ein Heftchen mit dem Aufdruck »Wild Wild West – YOU LOOK FOR GIRLS – WE GOT THE BEST« hoch und riss ein Pappstreichholz ab.
Friedl nahm einen tiefen Zug, der ein Viertel der Filterzigarette in Asche verwandelte. Den Rauch behielt sie ein paar Augenblicke in der Lunge und ließ ihn dann langsam durch die Nase ausströmen. Dann seufzte sie, als sei sie gerade aus einem langen und tiefen Schlaf erwacht: »Jetzt schau nicht so, Bub. Ja, ich hab aufgehört. Aber ab und zu brauch ich eine. So wie jetzt.«
Sie lächelte schwach: »Maxi, mein Schätzchen, sag jetzt nichts, ja? Ich hab das im Griff. Und außerdem ist es gut für die Figur.« Sie klopfte sich mit der Linken auf die Hüfte und blinzelte dem Auer neckisch zu.
Der schaute sie wortlos an. Friedl fächerte theatralisch den Rauch zur Seite: »Schau, Bub, die Sissi ist eine gelernte Schlampe. Mit Prädikat sogar. Eine Prädikats-Schlampe sozusagen. Die hat sich den Brunner geangelt, weil der Geld und Macht und Einfluss hat. Jetzt stell dir bloß einmal vor, da kommt so ein alter Sack in der Nacht nackert ins Schlafzimmer gehumpelt, wackelt mit seinem alten, faltigen Pinsel vor deiner Nase rum und sagt: ›Gell, Mausi, da schaust. Auf geht’s, heut pack ma’s wieder.‹ Hast du in diesen bunten Illustrierten schon mal Fotos vom Mörtel Lugner aus Wien gesehen? Nein? Pass auf: Der hat auch immer so blutjunge Dinger, die er alle »Mausi« nennt. Wahrscheinlich kann er sich keine anderen Namen mehr merken. So, und für die Sissi, da ist der Brunner der Rosenheimer Lugner gewesen. Und der alte Depp ist drauf reingefallen. Liebe macht blind, sagt man. Stimmt aber nicht, ganz im Gegenteil. Der Liebende sieht weit mehr, als wirklich da ist. Und so ist die Sissi seine Traumprinzessin.«
Auer sagte immer noch nichts.