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Der Bauunternehmer Schiermeier aus Rosenheim macht dem Auer Max ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Auch deswegen nicht, weil die Tante Friedl mal was mit dem hatte. Also macht sich der Auer auf die Suche nach Schiermeiers entlaufenem Bruder. Doch der will nicht zurück, weil er dann ein toter Mann sein könnte. In Rosenheim brennen Wohnungen, in denen ermordete Frauen liegen, und alle Fäden laufen bei dem mysteriösen Bauunternehmer zusammen. Zu allem Überfluss meldet sich die Silikon-Wally. Auch ihr Leben ist in Gefahr. Und für den Max Auer ist jetzt Schluss mit lustig!
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Seitenzahl: 324
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Heinz von Wilk
Drei Zimmer, Küche, Sarg
Kriminalroman
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Kanea / shutterstock.com;Butch / stock.adobe.com; Eric Isselée / stock.adobe.com; 218860 / Pixabay.com
ISBN 978-3-8392-6880-3
Es ist eine dieser Geschichten, von denen du bestimmt in der Zeitung gelesen hast. Jedenfalls einen Teil davon. Denn das eine steht in der Zeitung, das andere erzählt man sich hinter vorgehaltenen Händen. Ob diese Geschichte nun tatsächlich so war oder auch nicht, weiß ich nicht. Aber die Toten bleiben tot, und die Lebenden wissen, warum sie nicht drüber sprechen wollen.
»›Begrabe alle deine Träume, solange du das noch kannst.‹ Das hat meine Mutter immer zu mir gesagt. Schon als ich ein Kind war. Sie war so eine gescheite Frau, die Mama.« Betrübt schüttelte der Schiermeier sein graues Haupt und fuhr sich über die Augen.
»Echt jetzt?« Max Auer hob sein leeres Bierglas über den Kopf, und die hübsche Bedienung, die am Stehpult neben dem Eingang zum »Stockhammer« stand, hob fragend einen Finger, und dann zwei. Der Auer überlegte kurz, dann streckte er zwei Finger in die Luft und deutete auf den Schiermeier, der ihm gegenübersaß.
»Echt, ja. Aber meine Mutter hat sowieso immer das Gegenteil von dem gesagt, was sie gemeint hat. Papa hat sie deswegen vergöttert. Dabei hat sie ihm geschworen, dass sie keine Kinder von ihm kriegen wird. Nie. Und heiraten, so einen wie ihn? Nie. Er hat sie mal gefragt, ob es bei ihr auch Liebe auf den ersten Blick war wie bei ihm. So, Zack, wie ein Blitzeinschlag. Und sie hat ohne zu überlegen gesagt, nein, bei ihr ging es schneller.«
»Du bist also ein Einzelkind, so was wie ein Betriebsunfall?«
»Nein, wir sind neun. Ich habe noch einen Bruder und sieben Schwestern.« Der Schiermeier trank sein Bier aus, rülpste, was die Gäste am Nebentisch veranlasste, empört rüberzuschauen. Der Schiermeier Alfons winkte ihnen aber nur freundlich zu und drehte sich dann wieder zum Auer: »Touristen. Die vertragen keine bayerische Folklore. Außer sie kommt von Hansi Hinterseer.«
»Der ist ein Österreicher, kein Bayer.«
»Na und? Bist du ein Rassist?«
Die Bedienung stellte zwei frisch gezapfte Helle vor die beiden und nahm die leeren Gläser vom Tisch. Der Biergarten war gut besucht, über den Max-Josefs-Platz flanierten Menschen, Kinder und dazwischen tummelten sich ein paar Hunde, die die gerufenen Befehle ihrer Besitzer als meist unverbindliche Empfehlungen abtaten.
Es war Altweibersommer geworden, ohne dass wir alle das bemerkt hatten. Der Himmel war strahlend bayerisch blau und weiß, wie es sich gehörte, die Blätter der Bäume und Topfpflanzen auf dem großen Platz schimmerten golden und rot und ein paar Tauben stritten sich auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Sankt-Nepomuk-Brunnen um ein Stück von einer Breze.
Ich bin gerne hier auf dem Platz, muss ich sagen. Man sitzt an einem der Tische und alle möglichen Leute kommen an dir vorbei. Mir hat mal einer gesagt: »Wenn du in Rosenheim jemanden Bestimmten treffen willst, kauf dir im Biergarten vor dem Stockhammer eine Halbe Bier, lehne dich auf deinem Stuhl zurück und warte. Irgendwann kommt der oder die Richtige an dir vorbei.«
Da ist was dran. Rosenheim hat ja was Italienisches, mit den schönen und vielfältigen alten Haus-Fassaden, den vielen Palmen und Bäumen rings um den Platz mit den Wirtshäusern und Cafés. Der Auer Max redete jetzt schon fast eine Stunde mit dem Schiermeier. Der hatte ihn nachmittags um fünf angerufen, es gäbe da ein Problem. Oder zwei, genau genommen. Ob der Max denn ein bissel Zeit hätte. Das wäre alles ziemlich diffizil, also nichts für am Telefon und so, du weißt schon. Und für den Auer würde es sich finanziell sehr lohnen, wenn man in der Sache zusammenkäme.
Der Schiermeier Alfons, das muss ich jetzt auch noch schnell erklären, der ist einer von diesen Baulöwen, wo keiner so genau weiß, wie der zu seinem ganzen Geld und seinem Einfluss bei den örtlichen Politbonzen gekommen ist. Egal, wer grade am Regieren ist, meistens sind es in diesen Breitengraden ja eh die Schwarzen, da hat der Schiermeier seine Leute im Rathaus sitzen.
Und bei jeder großen Ausschreibung, nimm jetzt bloß mal die Riesenbauten hinter dem Bahnhof oder von mir aus die schon ewig geplante Stadt-Seilbahn oder die Verbreiterung der Innstraße, da ist der Schiermeier immer vorne mit dabei. Irgendwie weiß er immer ganz genau, was die Mitbewerber für Gebote abgegeben haben.
Deswegen kriegt er den Zuschlag. Gut, wenn dann gebaut wird, dann ist es meistens so, dass sich die Bausumme fast verdoppelt. Aber das macht keinem was aus. Am wenigsten den Politikern, wenn das Frauchen vom Osterhasen wieder einmal einen neuen Porsche bekommt oder die SCHIERMEIER-HOLDING für gewisse Politiker einen Golf-Ausflug nach Singapur finanziert. Dort, in weiter Ferne, da kriegen die Fachbegriffe »18 Löcher« und »Happy Ending« gleich einen ganz anderen Klang, ja was glaubst du denn?
Das ist so, wie wenn ein italienischer Ehemann auf die Frage, wie die letzte Nacht war, zungenschnalzend sagt: »Ahhh, uno notte con Buco!« Das heißt übersetzt: »Eine Nacht mit Sahne!« Auch dann, wenn es gar keinen Kaffee oder kein Eis gegeben hat.
Aber zurück zur Geschichte: Ich meine, du kennst ja den Auer. Ein zwangspensionierter Spitzenmann von der Münchner Sitte. So einer wird immer neugierig, wenn er solche Andeutungen hört. Einmal Polizist, immer Polizist. Und außerdem: Pecunia non olet. Selbst dann nicht, wenn es von einem wie dem Schiermeier kommt.
Der fläzte seine Einmeterachtzig schräg zum Tisch, damit der Bauch etwas mehr Platz hatte: »Meine Frau meint, ich werde langsam zu dick. Aber ich glaube, ich bin lediglich zu klein für mein Gewicht. Was meinst denn du dazu, Max?«
»Ich meine, du solltest mir endlich erzählen, um was es geht.«
Der Schiermeier schob sein Glas zur Seite, beugte sich vor und sagte halblaut: »Er hat es wieder mal vermasselt. Und ich soll es wieder mal entmasseln.«
»Wer?«
»Der Josef. Mein Bruder. Kennst du ihn?«
»Nein.«
»Da hast du nichts versäumt. Pass auf: Er war anfangs mit in meiner Firma. Das musste ich der Mama auf dem Totenbett versprechen, dass ich mich um den Trottel kümmere. Der Kerl hat zwei linke Hände, zum Malochen zu gescheit und zum Studieren ist er zu blöd. Kurz gesagt: Vor ein paar Jahren habe ich ihn ausbezahlt. Seitdem tut er nur noch das, was er am besten kann: rumweibern, saufen, haschen.«
»Toller Job.«
Schiermeier zuckte mit den Achseln: »Von mir aus. Auf jeden Fall, vor ein paar Wochen lernt er diese Polizistin kennen. In der Therme in Bad Endorf, hat er mir erzählt. Da ist sie ihm aus Versehen auf den Kopf gesprungen. Sie war Ausbilderin auf der Polizeischule, um die 30, tolle Frau. Ich hab Bilder von ihr gesehen. Das war für mich wie eine Erlösung. Weil ich geglaubt habe, so eine Frau, die hebt den Deppen vielleicht wieder aufs richtige Gleis zurück.«
»War Polizei-Ausbilderin? Warum, was macht sie jetzt?«
»Nichts mehr. Sie ist tot. Erschossen worden, um es genau zu nehmen. Aber in den Zeitungen stand, es wäre Selbstmord gewesen. Alles Blabla. Die ist weggemacht worden.«
»Woher willst du das wissen? Hat der Josef was damit zu tun?«
Schiermeier hob eine Hand: »Nein, so blöd ist der nun auch wieder nicht. Aber er kam zu mir mit der Zeitung in der Hand und meinte, die Susi habe ihm erzählt, dass sie ganz nah an einer Sache dran war, die sie nix anginge. Und das würde einigen Leuten nicht passen. Sie sollte nach Norddeutschland versetzt werden, irgendwohin in so ein Friesen-Kaff.«
»So langsam kapiere ich gar nichts mehr. Was genau hat der Josef denn vermasselt?«
»Seit einiger Zeit brennt es öfters mal in einer meiner Immobilien. Ich habe auch schon solche komischen Briefe bekommen, du weißt schon …«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Erpressung. Da schreibt mir wer ›entweder du zahlst zwei Millionen oder deine Häuser brennen‹, so was in der Art.«
Der Auer zog die Brauen hoch: »Hoppala. Das ist aber jetzt schon eher ein Fall für die echte Polizei, oder?«
Schiermeier winkte ab: »Halb so wild. Ich hab das Ganze ja auch nicht so ernst genommen, weil ich von Anfang an geglaubt habe, der Josef steckt dahinter. Er hat in letzter Zeit viel Geld beim Zocken verloren und ist klamm. Deswegen gab es ein paar Gespräche unter uns Männern. Vor zwei Wochen ging seine Nase dabei zu Bruch, und er ist erst heute früh mit der Zeitung in der Hand bei mir zu Hause aufgetaucht. Wegen seiner toten Freundin. Und er hat Angst.«
»Vor wem?«
»Vor seinen Freunden, bei denen er Schulden hat. Die ziehen ihn da in was rein, sag ich dir. Weil, mit den zwei toten Mädchen hat der Josef echt nichts zu tun, das glaube ich ihm auch.«
Auer hob die Hände und beugte sich vor: »Moment. Jetzt auch noch tote Mädchen? Welche toten Mädchen? Kannst du das Ganze mal so erzählen, dass ich da mitkomme?«
Der Schiermeier seufzte, nahm sich eine Breze aus dem Korb und brach sie auseinander: »Okay, es ist so: Der Josef hängt da mit ein paar Schwarzen ab, genau genommen schon seit einiger Zeit.«
»Was für Schwarze? Welche von der CSU?«
»Nein, Mann. Richtige Schwarze.« Der Schiermeier schaute sich vorsichtig um: »Du weißt schon, das ›N‹-Wort. So was sagt man heutzutage nicht mehr laut, aber ausschauen tun die immer noch so. Das ist so eine Gang, die verkaufen Gras oder wie man das nennt, Pillen, Rauschgift, was weiß ich. Der Josef, der Idiot, hat die mit ein paar von seinen Kumpels zusammengebracht. Mir gehört doch das große Mietshaus in der Münchner Straße, das graue mit dem Blechdach. Der Josef hat der Gang eine Wohnung im vierten Stock überlassen. Da feiern die ihre Partys und so. Ich hab das alles erst jetzt richtig mitgekriegt.«
Der Schiermeier steckte sich ein Stück von der Breze in den Mund, kaute und spülte mit Bier nach: »Ich besitze so um die zweihundert Wohnungen alleine hier in Rosenheim. Da kann ich nicht wissen, wer wo wohnt. Und grade in den alten Häusern ist die Fluktuation hoch. Die Mieter, die schon 30, 40 Jahre oder länger da wohnen, die sterben mir so langsam weg. Und weil ich die alten Hütten auch nicht mehr aufwendig sanieren will, ziehen halt jetzt Leute ein, denen man woanders so schnell keine Wohnung überlässt. Obwohl, bei den meisten zahlt sowieso das Amt, und einen besseren Mieter wie das Arbeitsamt kannst du gar nicht bekommen.«
»Schweif nicht ab, Alfons. Die Jungs wohnen also im vierten Stock, machen Party und der Josef ist mittendrin. Wie viele sind in der Wohnung? Weißt du das?«
»Na ja, ich denke mal vier oder fünf. Der Trottel spielt mit denen Poker, Würfel, das Hütchenspiel, was weiß ich, und verliert meistens. Er konnte seine Schulden nicht mehr zahlen. Also haben seine jamaikanischen Freunde gemeint, na super, dann erpressen wir halt deinen älteren Bruder. Sie lassen sich vom Josef ein paar von meinen leer stehenden Wohnungen zeigen und zünden die an. Als Vorspiel, sozusagen. Dann bekomme ich die Briefe. Zahl oder es brennt weiter. Kommst du so weit mit?«
Der Auer nickte und hob sein leeres Glas über den Kopf. Die Bedienung kam an den Tisch: »Na, ihr Hübschen, noch zwei?«
»Wer lange fragt, der gibt nicht gerne«, meinte der Schiermeier, und zum Auer: »In einer Wohnung hat man die Leichen von zwei Frauen gefunden. Das stand doch am Freitag letzter Woche groß in der Zeitung. Hast du das nicht gelesen? Doch? Dachte ich mir. Also, die Wohnung war in einer leer stehenden alten Villa in der Kastenau. Ein Abbruchhaus, im nächsten Jahr wollen wir damit anfangen. Die zwei Frauen hatten da nichts zu suchen. Die Fenster waren vernagelt, die Türen zu. Vorne an der Straße ist ein großes Schild, ›Betreten verboten, pieseln verboten, alles verboten‹.«
»Haben die drin gefeiert?«
Schiermeier schüttelte den Kopf: »Nein. Das hätten die Nachbarn gehört. Einer von denen hat der Polizei erzählt, in der Nacht, als es brannte, wäre kurz vor Mitternacht ein dunkles Auto vorgefahren. Ein paar Männer in dunklen Klamotten trugen zwei Säcke ins Haus, dann noch was, und eine halbe Stunde später brach das Feuer aus.«
»Und was meint die Polizei?«
»Die haben ermittelt, dass eine Gasflasche mitten im Wohnzimmer stand, das Ventil war aufgedreht. Und ein paar Meter weiter fand man Reste einer Kerze. Eingebrannte Wachsflecken, irgend so was. Und die zwei schwarzen Frauen lagen neben der Gasflasche.«
»Wenn jemand lange genug brennt, wird er schwarz, das ist nun mal so.«
»Auer, du hast mich schon verstanden, das waren zwei junge schwarze Frauen, und die waren schon vorher tot. Der Josef ist zwar ein diplomierter Volldepp, aber mit so was hat er garantiert nichts zu tun, glaub mir das.«
Die Biere kamen, der Auer und der Schiermeier lehnten sich zurück und lächelten die Frau an.
»Wo ist der Josef jetzt?«
Schiermeier hob die Schultern: »Frag mich was Leichteres. Er muss abtauchen, hat er mir erzählt. Wahrscheinlich ist er nach Salzburg gefahren, da kennt er ein paar Leute. Vermutlich Zocker-Idioten, genau wie er einer ist. Ich will es auch gar nicht wissen. Was ich will, das ist, dass du dich um die Sache kümmerst.«
»Genau dafür gibt es eine Firma, die nennt sich Polizei. Die haben so was schon öfters gemacht, glaube ich.« Der Auer Max schlürfte den dicken Schaum von seinem Bier, schaute in die Runde und sagte dann: »Was ich nicht kapiere: Was hat die tote Polizistin damit zu tun?«
»Die? Die wollte dem Josef helfen, aus der Sache mit den Jamaikanern rauszukommen. Sie hat ihre Beziehungen spielen lassen und sich umgehört. Dabei ist sie wohl auf was gestoßen, was besser unter der Decke geblieben wäre. Anscheinend war bei den Partys mit Drogen und Mädels auch der eine oder andere Stadtrat oder ein örtlicher Promi dabei.«
»Hast du Namen?«
»Nein.«
Der Auer fischte einen Zwanziger aus seiner Brusttasche und legte ihn auf den Tisch: »Das Bier geht auf mich. Deine Breze auch. Und mit der Sache will ich nichts zu tun haben. Mein Tipp: Geh zur Polizei. Zuerst muss der Josef wieder her. Der sollte auspacken. Nur so kann man meiner Meinung nach die Sache aufdröseln. Vielleicht hat die Frau aus Endorf dem Josef noch was erzählt. Wie hieß die überhaupt?«
»Susanne St., so stand es in der Zeitung. Mehr weiß ich auch nicht. Warte noch schnell einen Moment, Max.«
Schiermeier nahm sich einen Bierdeckel, zog einen Kuli aus der Jacke und schrieb eine Nummer auf den runden Filz, daneben noch eine Zahl. Dann schob er den Deckel neben Auers Hand: »Das hier ist meine private Handynummer. Da kriegst du mich rund um die Uhr. Und die Zahl daneben ist ein Vorschlag für dein Tageshonorar. Plus Spesen natürlich. Wenn du mehr Geld haben willst, sag es mir einfach. Aber du musst dich um die Sache kümmern, ob du willst oder nicht.«
Der Schiermeier ist einer, der kein Nein gelten lässt. Das Wort kennt der gar nicht, außer es kommt von ihm. So war schon sein Vater. Der alte Schiermeier hat als Maurer-Hilfsarbeiter angefangen, war dann aber schnell der Polier auf jeder Baustelle und mit 30 oder so hatte er seine eigene Firma. Besonders klug war er nicht, aber er hatte diese Bauernschläue, du weißt schon, und er konnte gut mit Menschen umgehen. In den 50er-Jahren hat er spottbillig eine Almhütte gekauft, irgendwo oben auf dem Samerberg. Ich habe gehört, er hat nicht mal Geld dafür hingelegt, sondern dem Viehbauern, dem die ganzen Wiesen und Wälder da oben gehörten, einfach einen neuen Stall gebaut. Für 80 Rindviecher und mit einem automatischen Gülle-Abfluss, so was war damals eine Sensation, kann ich dir sagen.
Ja, und dann hat er an vielen Wochenenden zusammen mit ein paar von seinen kroatischen Muskelpaketen die Hütte ausgebaut. Sauna, Wasseraufbereiter, Whirlpool, gescheite Toiletten, weil, mit dem, was er mit der Hütte vorhatte, da brauchst du mit einem Plumpsklo gar nicht erst anfangen.
Warum ich dir das erzähle? Pass auf: Der alte Schiermeier und seine Frau sind mit ihrem VW-Käfer im Jahre des Herrn 1948 oder so nach Italien an die Riviera gefahren. Das haben damals alle gemacht, die sich das leisten konnten.
Und wie der Schiermeier senior auf dem Weg nach Manarola an ein paar potthässlichen Hochhaus-Baustellen vorbeigefahren ist, direkt an der Autobahn standen die, sagt er zu seiner Frau: »Wie machen die das? Vor allen Rohbauten steht ein Schild mit dem Namen ein und derselben Firma, hast du das gesehen?« Und sie verneint das natürlich sofort, weil sie ja immer das Gegenteil von dem gesagt hat, was sie meinte. Obwohl in ihrem hübschen Kopf schon der eine oder andere Gedanke zu der Sache aufkam.
Ich mache es kurz: In Manarola saß der Schiermeier an der Theke von dem damals teuersten und einzigen Fischrestaurant und fragt den Wirt wegen den hässlichen Baustellen, du weißt schon, oben an der Autostrada.
Und der Wirt meint lachend: »Amigo, so machen die das hier. Du brauchst eine Jacht, aber schon was Gescheites, capische? Darauf lädst du die örtlichen Bürgermeister oder Lokalpolitiker und natürlich die Bänker ein. Und ein paar willige, heiße Mädels. So, und nach so einer Nacht auf dem Schiff wird hier in der Trattoria gefrühstückt, mit Schampus und Hummer und was du willst. Und ein paar Wochen später wird der wunderschöne kleine Wald oben an der Straße plötzlich zu Bauland. Oder er brennt ab. Einfach so. Die Herren Bürgermeister oder Politiker bekommen einen neuen Fiat oder auch mal einen Alfa Romeo, und um etwaigen Tripper oder so, den sich der eine oder andere unweigerlich auf der Jacht eingefangen hat, kümmert sich unser Dorfarzt, ganz diskret. Ist das bei euch in Germania anders? Echt jetzt? Wie wollt ihr da zu was kommen, eh?«
Der Schiermeier senior ist in den nächsten Tagen unter seinem Sonnenschirm gesessen und hat seiner Frau beim Schwimmen zugesehen. Aber mit dem Kopf war er natürlich ganz woanders, ja, was glaubst du wohl?
Auf der Rückreise sprach er seinen Plan mit ihr durch, sie meinte: »Vergiss das ganz schnell wieder, das funktioniert nie. Willst du auf dem Samerberg vielleicht eine Jacht hinstellen? Mit Blick auf die Kampenwand?« Dabei blickte sie ihn ganz verliebt an. Und der Schiermeier sah sich ob ihrer verschlüsselten Zustimmung voll auf Kurs.
Als der Alfons Schiermeier die Firma übernahm, erbte er natürlich auch die Almhütte. Die war mittlerweile sehr luxuriös, weil in jedem Jahr was Neues ein- oder angebaut wurde.
Und ich muss sagen, als hiesiger Bauunternehmer bist du heutzutage ohne eine Almhütte oder eine eigene Jagd hier im Süden gar nicht geschäftsfähig. Mit Golfen alleine und ein paar Sado-Maso-Ladys kriegst du heute keine Unterschrift für ein Bürohaus mehr aufs Papier, die Zeiten sind vorbei, das kannst du ruhig glauben.
So viel zum Schiermeier Alfons und seinen Geschäftsmethoden.
Jetzt noch schnell was zum Auer, und dann geht’s flüssig weiter: Wenn du den Auer kennen würdest, so wie ich zum Beispiel, dann wüsstest du, warum er so reagiert hat. Der Auer Max hat prinzipiell vor nichts Angst. In München, bei der Sitte, da haben sie ihn deswegen Mäd Mäx genannt.
Ich weiß noch, dass der Auer mal einen illegalen Puff in Obermenzing im Alleingang hochgenommen hat. Die fünf Mann vom SEK wollten mit einem Rammbock durch die Wohnungstür. Hinter dem Kerl mit dem Türöffner-Gerät standen seine Kollegen. Zwei sicherten das Treppenhaus mit gezogenen Pistolen nach oben und unten. Einer stand hinter dem Rammer und hatte ebenfalls eine Pistole in Kopfhöhe. Damit zielte er auf die geschlossene Tür. Der Max hat sich zwischen die Truppe geschlichen, den Tür-Mann leise zur Seite geschoben und geflüstert: »Ich kenne die dadrinnen. Ihr erschreckt mir die mit dem ganzen Theater bloß unnötig. Solche Leute sind sensibel. Lass mich mal vor.«
Er hat dann, ohne eine Antwort abzuwarten, mit dem Fuß heftig gegen die Stelle unter dem Schloss getreten. Ein knallharter Kick genau da hin, wo die Schließtechnik am empfindlichsten ist. Dann sang, nein, schrie er: »Hier kommt Kurt, ohne Helm und ohne Gurt!«
Drinnen im Wohnzimmer, da waren alle zu Eis erstarrt, was denkst du denn? Drei Frauen und ein nackter Kerl. Die Blonde, die vor dem dicklichen Mann mit den schütteren Haaren kniete, muss sich wohl vor Schreck in seinen Pimmel verbissen haben, denn der Bursche quiekte laut auf wie ein Schwein, verdrehte die Augen und fiel in Ohnmacht. Eins der Mädels, die eigentlich ein Mann war, fauchte mit tiefer Stimme: »Der Mäd Mäx. Ja leck mich doch am Arsch. Von Klingeln oder so hältst du wohl nichts? Und wer sind deine Freunde? Ein Betriebsausflug der Kaminkehrer?«
Sie/er stützte die Hände in die Hüften und schob provokant den Unterkörper vor: »Und ihr wollt alle auf einmal? Das wird sogar bei mir eng werden.«
Seitdem nannte man den Auer Max ganz offiziell Mäd Mäx. Bei der Bullerei, in den verrauchten Hinterzimmern und auf der Straße.
Was ich damit sagen will: Dem Max erzählst du nix. Wenn der nein sagt, heißt das nein. Eine Ausnahme gibt es allerdings, und das ist seine Rosi. Aber dazu kommen wir jetzt.
Erinnerst du dich an sie? Leicht braune Haut, dunkle Haare, von der Figur und vom Aussehen her eine reine Zehn. Gut, sie geht jetzt auch schon hart auf die 35 zu, davon merkst du aber nix, denn die Rosi war mal Tänzerin.
Und jetzt hat sie seit einem Jahr oder so dieses Nagelstudio in der Färberstraße, du weißt schon, welches ich meine.
Die Rosi und der Auer Max, die haben ja so eine On-Off-Beziehung, immer unter Volldampf. Du erinnerst dich, dass sie in München schon zusammen waren? Auch dass ihm die Rosi damals für so einen windigen Porsche-Verkäufer von der Stange gegangen ist? Das habe ich schon mal erzählt, weil, eigentlich war es ja so: Der Auer Max hat in seiner Zeit in München bei der Sitte Überstunden ohne Ende geschoben. Denn er hat geglaubt, dass er dann schneller befördert wird. Und die Rosi hat geglaubt, der Max schaut sich die heißen Mädels in den Clubs genauer an und lässt sich ab und zu mal … du weißt schon. Also haben sie beide was geglaubt, und beide das Falsche. Meistens jedenfalls.
Wie es mit dem Auer und der Polizei ausgegangen ist, das habe ich dir im ersten Buch erzählt. Das mit der Rosi habe ich angedeutet. Es war so: Die Rosi sitzt damals, vor zwei Jahren, glaube ich, vor einem Insider-Café in Schwabing. Der »Reitstall«, so heißt der Laden. Den gibt es immer noch. Da triffst du nachmittags schon mal bekannte Leute vom Film oder Musiker oder Bankrotteure, die den letzten Euro mit Stil versaufen und überlegen, wen sie jetzt abzocken könnten. Und Mädels aller Haut- und Haarfarben, die noch an den berühmten Zufall glauben.
Ein Richter hat mal zu mir gesagt: »Weißt du, wie wir vor Gericht Menschen nennen, die an Zufälle glauben? Nein? Angeklagte!«
Also, die Rosi sitzt vor dem »Reitstall«, schlürft einen Hugo, da hält der Kerl mit seinem silbergrauen Carrera S direkt vor ihr und ruft: »Du lieber Gott. Schöne Frau, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick oder soll ich noch mal um den Block fahren und in drei Minuten nachfragen? Ich weiß übrigens, wo es einen viel besseren Hugo gibt.«
Und die Rosi, immer noch sauer auf den Max, steigt ein und fängt mit dem Kerl auch noch was an. Weil er ihr erzählt hat, er wäre der Chef von dem Porsche-Salon und er würde ihr zum nächsten Geburtstag einen roten 911er schenken.
Aber, wie sich nach ein paar Wochen herausstellte, war der Knabe zwar bei Porsche, aber nur als Aushilfsverkäufer, und der silberne Carrera war ein Vorführwagen.
Der Auer war in dieser Zeit schon in Rosenheim, wie du weißt, und hat fleißig für die Friedl im Family-Business gearbeitet.
Gut, als die Friedl dann erfahren hat, dass die Rosi in Rosenheim ist, hat es vielleicht zwei Schmoll-Tage gedauert, dann stand der Auer Max mit so vielen roten Rosen vor der Brust im Nagelstudio in der Färberstraße, dass er ausgesehen hat wie ein getarnter Truppentransporter bei einem Wald-Manöver.
Es ging da weiter, wo es aufgehört hat, ja, was glaubst du denn? Weil die Rosi ein Temperament hat wie ein Kilo Dynamit, und eine ganz kurze Zündschnur. Wenn ihre tiefschwarzen Augen flackern und sie dieses animalische Wolfs-Lächeln aufsetzt, dann, mein Freund, musst du schauen, dass du Land gewinnst.
Warum erzähle ich das so ausführlich? Wegen der Fahne.
Pass auf: Der Auer und die Rosi waren ja mal in Las Vegas, in so einem Wahnsinnshotel, The Mirage hieß das. Dort gab es einen riesigen Pool mit Palmen außen rum, und die Kellnerinnen hatten so wenig am Leib, dass sich der Auer gar nicht getraut hat, die beim Bestellen anzuschauen. Das ging übrigens so: Hinten, oben am Kopfteil von jedem Liegestuhl waren 30, 40 Zentimeter lange Plastikstangen mit einer kleinen roten Fahne obendrauf.
Und wenn du die Fahne nach oben schobst, dann stand sofort eine Dreiviertelnackerte neben dir und hat dich angestrahlt, als wollte sie dir gleich an die Badehose gehen. Du hast bestellt (den Erdbeer-Daiquiri kann ich sehr empfehlen), getrunken, und erst wenn du wieder was wolltest: Fahne hoch, und die Dreiviertelnackerte kam angestrahlt.
Und genau so eine Fahne auf einem kleinen goldenen Sockel haben die beiden, der Max und die Rosi, jetzt im Nagelsalon auf der Theke stehen. Die Fahne hat der Max im Internet bestellt und durch einen Übermittlungsfehler hat er eine Norwegische bekommen. Was im Endeffekt ja auch wurscht war, denn, und jetzt pass auf, es ging um Folgendes: Wenn der Max die Rosi abholte, zum Essen oder was weiß ich, dann schaute er immer zuallererst auf die Fahne. War die ganz oben, dann hieß das: Heute geht noch was.
War sie auf Halbmast: Mal schauen, ein bissel was geht immer.
War sie aber ganz unten, auf dem goldenen Sockel aufliegend: FASS. MICH. NICHT. AN!!!!
Was soll ich noch sagen, du ahnst es eh schon: Der Max trabte frohgelaunt in den Salon, die beiden Behandlungsstühle sind leer. Die Rosi flucht im Hinterzimmer. Die Fahne ganz unten auf dem Sockel. Nicht gut. Gar nicht gut.
»Schatzimausi«, rief er, »hast du Lust, dich verwöhnen zu lassen?«
»Schatzimausi ist so was von saumies drauf, Auer, verzieh dich im Schweinsgalopp.«
Der Auer Max kratzte sich am Kopf, während er an der Glastheke lehnte und mit der rechten Hand die trauernde Fahne drehte: »Was immer es ist, Mausi, ich bin diesmal unschuldig. Willst du mit mir reden? Bitte?«
Die Rosi kam aus der Wohnung gerauscht, die sich ja genau hinter dem Salon befand, und fauchte: »Schau dich einmal um!« Sie breitete die Hände aus, drehte sich halb und hatte Tränen in den Augen: »Alles das hier hab ich mir selber aufgebaut. Ich hab jede Menge Stammkunden, verdiene gutes Geld, kann die Miete und was weiß ich alles gut zahlen und es bleibt noch schön was über.«
»Ja, dann freu dich doch.« De Auer schob die Fahne vorsichtig auf Halbmast und drehte sie in Richtung Rosi. Die zerrte die Norwegerfahne mit einer schnellen Bewegung wieder runter auf den Sockel: »Kannst du an nichts anderes denken? Offenbar ist es wirklich so, dass alle Männer Schweine sind, außer Papa. Soll ich dir mal was sagen?«
Sie funkelte ihn an, lag aber plötzlich an seiner Brust, den Kopf auf seine Schulter gedrückt, und heulte los: »Der Anwalt vom Hausbesitzer hat mich vorhin angerufen. Im Lauf der nächsten Tage bekomme ich ein Schreiben, dass ich hier rausmuss. Eigenbedarf, sagte er. Über den Zeitrahmen bis zum Auszug könne man reden, aber wenn ich mich sträube, geht das ruck-zuck vor Gericht, mit Räumungsklage und so weiter. Ihm fällt da schon was ein, sagte er.«
Sie erzählte noch mehr, aber in der ganzen Schluchzerei ging so einiges unter. Dem Auer wurde es warm im Bauch, eine unbändige Wut stieg ihm in den Kopf. Er schob die Rosi ein bisschen von sich, sodass er ihr die Tränen von den Augen küssen konnte: »Das ist bestimmt ein Missverständnis, glaube mir. Wo ist die Nummer von dem Anwalt?«
Sie schniefte und wischte sich die Haare aus der Stirn: »Im Telefon. Anrufliste. Der letzte eingegangene Anruf. Warum?«
Der Auer versuchte, milde zu lächeln, was ihm aber misslang, weshalb er ein Gesicht zog wie ein geschnitzter Halloween-Kürbis: »Gib mir das Handy. Ich geh kurz damit raus. Du wäscht dir jetzt schnell das Gesicht, oder was man als Frau in so einer Situation tut, und dann gehen wir fein was essen.«
Jetzt zeigte die Rosi dem Auer ihre zwei wolfsähnlichen Eckzähne mit einem grausamen Vampir-Grinsen: »Ja du Depp, glaubst du denn echt, mir ist nach Essen?«
Der Auer küsste sie auf den Mund und sagte: »Na siehst du, es geht dir schon besser. Ich bin in fünf Minuten wieder hier drin. Vertrau mir.«
»Ist ja geil, das letzte Mal, als du das zu mir gesagt hast, bist du für zwei Jahre abgetaucht.«
Auer hob den Finger: »Das stimmt nicht. So jedenfalls nicht. Du bist mit dem Porsche-Geier abgeschoben. Schon vergessen? Aber ist ja gut. Der Klügere gibt nach.«
»Wer sagt denn, dass ich nachgebe?«, fauchte sie, und der Auer Max schnappte sich lächelnd das Telefon und verschwand nach draußen. Er ging auf die andere Straßenseite, stellte sich in einen Hauseingang und drückte die Wahlwiederholung. Nach dem zweiten Signalton meldete sich eine samtweiche Frauenstimme, und Auer fauchte: »Auer hier. Max Auer. Den Chef, aber flott.«
Keine 30 Sekundenspäter war der Herr Anwalt in der Leitung, und der Auer knurrte: »Der feine Herr Schiermeier wird in einer Minute diese Nummer hier anrufen und mir erzählen, dass er das Nagelstudio in der Färberstraße der Mieterin überschreiben wird. Er übernimmt sämtliche Nebenkosten, die durch die Schenkung anfallen. Im Gegenzug wird Herr Auer, das bin ich, den Auftrag erfüllen, über den wir vor ein paar Stunden gesprochen haben. Ebenfalls ohne Kosten. Ein Quid-pro-quo-Job. Haben Sie das verstanden? Keinerlei Kosten oder Spesen.«
»Äh, ja, Herr Auer. In der Tat hatte Herr Schiermeier mit einer sehr schnellen Reaktion Ihrerseits gerechnet, sodass ich ihm umgehend Bescheid geben kann. Gibt es noch Alternativen zu Ihrem Vorschlag?«
»Ja, sagen Sie ihm, ich hätte da ein paar zündende Ideen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben zwei Minuten, die Zeit läuft jetzt. Over.«
Max unterbrach die Verbindung und schlenderte zum Laden zurück. Die Rosi saß in einem der beiden weißen, lederbezogenen Behandlungsstühle und schnäuzte lautstark in ein blassrotes Kopftuch, die Augen immer noch tränennass: »Und? Das war’s, oder? Warum sind die Menschen so gemein?«
Sie schluchzte wieder auf, und bevor der Max was sagen konnte, summte das Handy in seiner Hand. Er schnippte mit dem Finger und legte dann Daumen und Zeigefinger auf die Lippen: »Pschh!«
Dann hob er das Telefon ans Ohr: »Ja?«
»Schiermeier hier. Ich bin mit Ihrem Vorschlag, natürlich in etwas abgewandelter Form, einverstanden. Woher wussten Sie, dass mir auch dieses Haus gehört? Egal, die Dame bekommt den Laden und die Wohnung dahinter. Neuer Mietvertrag, Null Miete, sie zahlt nur ihre Nebenkosten weiter. Laufzeit, sagen wir, erst mal zehn Jahre, dann schauen wir weiter. Und Sie machen den Job.«
»Nein, mein Lieber. Sie machen genau das, was ich Ihrem Anwalt erzählt habe. Das ist nicht verhandelbar. Ich bringe Ihren Bruder zurück und sorge dafür, dass seine Spielschulden annulliert werden. Außerdem kümmere ich mich um die Jamaikaner. Die Leute werden Ihre Wohnung und Rosenheim in absehbarer Zeit verlassen. Ich trage alle meine Spesen selber. Und die werden nicht unbeträchtlich sein, weil ich für die Jamaikaner-Sache wahrscheinlich Hilfe brauche. Auch werde ich in gewissen Rosenheimer Kreisen bekannt machen, dass man Sie und Ihre Immobilien besser auf Dauer in Ruhe lässt. Haben wir den Deal?«
Es entstand eine kurze Pause, der Auer hörte, wie das Telefon abgedeckt wurde, und zwei Männerstimmen, dann kam der Schiermeier wieder: »Herr Auer, hören Sie mich?«
»Ja.«
»Gut. Wir machen das exakt so, wie Sie es wünschen. Mein Anwalt regelt die Sache heute noch mit dem Notar, nächste Woche um diese Zeit ist dann die offizielle Umschreibung des Ladengeschäftes und dazugehörender Wohnung. Ab wann darf ich damit rechnen, dass Sie tätig werden?«
»Sobald mir der Notar mit seinem Wort bestätigt, dass es genau so ablaufen wird.«
»Vertrauen Sie mir doch!«
»Vertrau mir, genau das sagte der Fuchs zur Gans. Und wie ging die Geschichte aus? Aber wissen Sie was? Ich mache mich ab morgen dran. Schönen Abend noch.«
Der Auer lächelte, als er das Telefon auf den Tresen legte, was ihm einen zornigen Blick von der Rosi einbrachte: »Was bitte gibt es da zum Lachen? Ich bin ruiniert, du redest von Fuchs und Gans und grinst auch noch wie ein beschissenes Heumandl. Darf ich da auch mitlachen, ja?«
»Wenn du magst, gerne. Pass auf, das ist alles völlig verkehrt rübergekommen. Der Anwalt sollte dir sagen, dass du ab nächster Woche keine Mieterin mehr bist, sondern Eigentümerin. Der Laden gehört dir. Und die Wohnung auch.«
»Spinnst du? Bist du besoffen?«
»Besoffen? Ja, von dir. Ich hab da einen Deal gemacht und mein Preis ist dein Laden. Der gehört jetzt mir und ich schenke ihn dir.«
Sie kam langsam näher, mit vorgestreckten Armen und einem Gesicht wie ein Fragezeichen: »Moooment. Wo sollte einer wie du so viel Geld herhaben? Das ist doch bloß wieder einer von deinen fiesen Tricks, damit du mich in die Kiste kriegst, oder? Genau wie beim letzten Mal? Das hat mir nämlich außer Ärger nicht viel gebracht.«
Dazu muss ich schnell einflechten, dass es in der letzten Geschichte schon so ausgesehen hat, als würde die Rosi ihren Laden vom Max »finanziert« bekommen, erinnerst du dich?
Aber es war halt so, dass der Harzinger, der alte Knabe, der nach wie vor über dem Nagelstudio wohnt, der Besitzer war. Der hat das Studio samt Wohnung über einen Anwalt an den Freund von der Silikon-Wally verkauft. Der wiederum (Günter) ist zu dem Deal vom Auer Max genötigt worden. Also hat der die Immobilie gleich dem Anwalt wieder um den Hals gewickelt, damit der sie versilbert. Gekauft hat der Schiermeier, auch weil der Preis günstig war. Ungünstig für die Rosi hat sich der Deal aber trotzdem ausgewirkt, denn sie musste weiter Miete bezahlen. Deswegen das gesunde Misstrauen ihrerseits, als der Max mit der gleichen Masche jetzt wieder ankam.
»Geld? Hab ich auch nicht. Brauch ich dafür auch nicht. Ich soll was machen, was ich gut kann. Das tue ich. Anstelle von Bezahlung kriegst du deinen Laden. Ich finde, das ist ein Superdeal. Diesmal mit meiner berühmten Geling-Garantie. Und was deinen zweiten Satz mit der Kiste anbelangt: immer gerne.«
Die Rosi flog ihm nun in die Arme wie ein Tornado, biss ihn herzhaft ins Ohr und flüsterte: »Du bist der bescheuertste Typ, den es gibt. Aber ich liebe dich. So, und jetzt zwick mich, damit ich merke, dass ich nicht träume.«
Der Auer Max griff hinter sich, schnappte mit einer Hand die Fahne und zog sie von unten ganz nach oben: »Da wüsst’ ich jetzt aber schon was Besseres, oder?«
Und sie hauchte: »Beam me up, Scotty! Richtung Kiste.«
Der 65 Meter hohe Turm der St.-Nikolaus-Kirche wurde von zwei Seiten angestrahlt und die Glocken hoben zum Mitternachts-Geläut an, als der Auer Max grinsend über den Grünen Markt und weiter zum Mittertor ging.
Zwar tat ihm außer den Haaren so ziemlich der ganze Körper weh, aber er war bester Laune. Die Rosi hatte wirklich alle Register gezogen, und das waren nicht wenige.
Ich meine, du kannst dir ja denken, dass der Max während seiner Zeit bei der Münchner Sitte mit vielen Damen mit ausgeprägtem Penetrations-Hintergrund zu tun hatte. Manchmal auch privat.
Viele von den Mädels haben Sachen drauf, bei denen du aufpassen musst, dass es dir keine Sicherung raushaut. Die Eva mit dem Eiswürfel-Trick zum Beispiel. Der bei gleichzeitiger Anwendung einer Spezialmassage, mein lieber Scholli. Da ist die Nutella-Nummer schon eher was für Anfänger. Oder die rote Lissy, die mit einigen ihrer Körperteile Dinge tun konnte, die man nicht einmal von einem Schlangenmenschen erwartet hätte. Oder die Schwertschluckerin, mein lieber Mann, da könnte ich jetzt noch so einiges erzählen. Aber Fakt ist, dass sich der Max immer alles ganz genau gemerkt hat, und die besten Darbietungen hat er mit der Rosi durchgespielt, ja, was meinst du denn?
Über die Münchner Straße fuhren ein paar Autos, Fußgänger waren nur noch vereinzelt unterwegs und selbst die Dealer im Salingarten gähnten. Aber der Max, bester Laune, grüßte jeden und pfiff vor sich hin.
Man sollte meinen, dass er müde wäre. Aber mit dem ganzen Adrenalin und dem Glücksrausch im Körper war an Schlaf nicht zu denken. Der Rücken brannte ihm, die Beinmuskulatur tat weh, durch den gesamten Unterkörper zog sich ein leichtes Brennen, aber egal.
Also ging er am Sportladen vorbei in die Tiefgarage, wo sein alter 911er stand. So leise wie möglich fuhr er die Rampe hoch und dann links in Richtung Brückenberg.
Nach der Bahnüberführung links rein in die Enzenspergerstraße und weiter zum »Wild Wild West«.
Für die Neuen unter uns: Das »Wild Wild West« ist der Nachtclub vom Chili. Der Chili wiederum ist ein Schulfreund vom Max. Seit der Grundschulzeit in der Königsstraße kennen sich die beiden. Der Max ist zur Polizei gegangen, erst Streife, dann Prüfung zum gehobenen Dienst, Kripo, Sitte.
Der Chili ist auf der anderen Seite des Zauns tätig geworden, aber immer in Rosenheim. Bis auf die paar Ausflüge in die JVA Bernau. Dort hat er den Rest seiner Ausbildung zum Diplom-Ganoven bekommen. Er war ein gesuchter Safeknacker und Auftragsdieb. Aber sein Traum, das war ein Nightclub. Mit Separees, Pokertischen, zwei oder drei Stangen auf der Theke, an denen schicke Mädels tanzen, du weißt schon.
Gut, das »Wild Wild West« ähnelt mehr einer niedrigen, langen Baracke. Aber es liegt abgeschieden, hat einen großen, mit Kies bestreuten Parkplatz, auf dem ein paar uralte Laubbäume stehen, und die nächsten Wohnblöcke sind ein paar Hundert Meter weit weg.
Der Neon-Schriftzug über der schwarzen, sehr stabilen Eingangstür flackert unruhig, weil ein paar der Buchstaben nicht mehr richtig aufleuchteten. Und die Tür selber, die wie eine alte, stählerne Zellentür aus einem Film-Knast aussieht, ist mit einem überlebensgroßen Porträt von Will Smith bepinselt.
Will trägt die Klamotten aus dem »Wild Wild West«-Film, hat in jeder Hand einen Colt, aber irgendwie fehlt ihm ein Teil des linken Beins. Das ist im Lauf der Zeit abgeblättert.
Max ließ den alten Porsche ausrollen, massierte sich kurz die Schultern und stieg ächzend aus. Dann hämmerte er dem alten Will an die Brust, und gleich darauf ging eine kleine eiserne Luke auf und ein mächtiger Kopf, von dem man nur die obere Hälfte sah, kam zum Vorschein.