Bad Boys, Bad Girls, Big Money - Michelle Miller - E-Book + Hörbuch

Bad Boys, Bad Girls, Big Money E-Book

Michelle Miller

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Beschreibung

Todd Kent ist jung, ehrgeizig und auf dem Weg an die Spitze der Wall Street. Als er ausgewählt wird, das Unternehmen einer populären Dating-App namens HOOK an die Börse zu bringen, wittert er den Deal seines Lebens. Bisher war HOOK für ihn nur ein schneller Weg zu sexuellen Abenteuern, jetzt könnte es ihn reich machen. Sehr reich. Todd und sein Team – die übereifrige Neha, der Partyboy Beau und Todds Exfreundin Tara Taylor – tun alles, um das 14-Milliarden-Dollar-Geschäft einzufädeln. Für Tara könnte sich sogar der Traum erfüllen, in der Machowelt der Wall Street den Aufstieg zu schaffen. Aber das Vorhaben ist hochriskant. Denn HOOK ist mehr als eine Partnerbörse. Es kann zur tödlichen Falle werden. Und wenn das bekannt wird, gerät der gigantische Deal ins Wanken …

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Todd Kent ist jung, ehrgeizig und auf dem Weg an die Spitze der Wall Street. Als er ausgewählt wird, das Unternehmen einer populären Dating-App namens HOOK an die Börse zu bringen, wittert er den Deal seines Lebens. Bisher war HOOK für ihn nur ein schneller Weg zu sexuellen Abenteuern, jetzt könnte es ihn reich machen. Sehr reich. Todd und sein Team – die übereifrige Neha, der Partyboy Beau und Todds Exfreundin Tara Taylor – tun alles, um das 14-Milliarden-Dollar-Geschäft einzufädeln. Für Tara könnte sich sogar der Traum erfüllen, in der Machowelt der Wall Street den Aufstieg zu schaffen. Aber das Vorhaben ist hochriskant. Denn HOOK ist mehr als eine Partnerbörse. Es kann zur tödlichen Falle werden. Und wenn das bekannt wird, gerät der gigantische Deal ins Wanken …

Michelle Miller

BAD BOYS, BAD GIRLS, BIG MONEY

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Birgit Schöbitz

MANHATTAN

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »The Underwriting«

bei Putnam an imprint of Penguin Random House, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Manhattan Bücher erscheinen im

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH

1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2015

by Michelle Miller

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher

Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München

Umschlagkonzeption und Gestaltung:

Buxdesign / München unter Verwendung

einer Collage von © Rutz Bolzenhardt

Redaktion: Dr. Ann-Catherine Geuder

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 9783-641-18007-2V002

www.manhattan-verlag.de

Für die Muppies

»Wann immer du glaubst, jemanden kritisieren zu müssen, denke daran, dass nicht alle Menschen auf dieser Welt solche Privilegien gehabt haben wie du.«

F. Scott Fitzgerald, Der große Gatsby

KAPITEL 1

TODD

Mittwoch, 5. März; New York, New York

»Du bist so ein Arschloch!« Ihr Gesicht war mittlerweile nicht mehr puterrot, sondern kalkweiß. Sie schwang ihre nackten Beine aus dem Bett, klaubte wütend ihre am Boden verstreuten Kleidungsstücke auf, die Todd ihr gestern auf dem Weg vom Wohnzimmer ins Bett vom Leib gerissen hatte.

Todd griff nach der Fernbedienung und schaltete MSNBC ein, in der Hoffnung, der Fernseher würde die Peinlichkeit am Morgen danach übertönen. Momente wie diese waren ihm ein Gräuel.

Die junge Frau kam wieder ins Schlafzimmer zurück und durchwühlte das Bett nach ihrer Unterwäsche.

»Ich … ich versteh einfach nicht«, begann sie und sah ihn an. »Ich versteh einfach nicht, weshalb du so eine Angst davor hast, dich zu binden.«

»Ich hab keine Angst«, erwiderte er schlicht und tat so, als würde er sich voll und ganz auf die zwei Kommentatoren im Fernsehen konzentrieren, die sich gerade über den jüngsten Skandal bei L.Cecil ausließen. Angeblich hatten Börsenhändler irgendwelchen ahnungslosen Anlegern Aktien im Wert von zweihundert Millionen Dollar angedreht, obwohl sie genau wussten, dass sie bei Weitem nicht so viel wert waren. Todd verzog das Gesicht: Hoffentlich würde sich das nicht auf seinen Bonus auswirken.

Die junge Frau zog sich den Rock über die schmalen Hüften und schloss ihren Push-up-BH; sie hatte einen tollen Vorbau, aber ihre Oberschenkel waren zu dick. Sie gehörte zu dem Typ Frau, der nach seinem fünfunddreißigsten Geburtstag aufgehen würde wie ein Hefeteig. Auf der Attraktivitätsskala war sie eine Acht von Zehn, und in der Liga spielte Todd am liebsten: Eine Acht bedeutete, die Frau war heiß, doch es schlug auf ihr Selbstbewusstsein, dass sie keine Zehn war, und deshalb strengte sie sich besonders an.

Allerdings erfüllte sie im Moment gerade mal die Kriterien für eine Sechs: Ihr Eyeliner war völlig verschmiert, und ihr blondes Haar hing strähnig herunter.

»Und weshalb gehen wir dann nicht mal was essen?«, fragte sie leise. Zum ersten Mal, seit sie aufgestanden war, sagte sie etwas in ruhigerem Tonfall.

»Weil das nicht das ist, was ich von dir will«, lautete seine ehrliche Antwort.

»Was willst du denn von mir?«, fragte sie, noch leiser jetzt. Ihre Finger krallten sich in die Laken, während sie auf eine Antwort wartete, die sie eigentlich gar nicht hören wollte.

»Hör zu: Wir hatten doch jede Menge Spaß miteinander. Weshalb sollten wir uns das jetzt kaputtmachen?«, sagte Todd und meinte es auch so.

Sie schob das Kinn vor, und in ihren Augen standen plötzlich Tränen. »Du meinst, ich bin nur gut genug zum Vögeln.«

Todd erwiderte nichts. Er musste allmählich zur Arbeit.

»Weißt du eigentlich, dass ich an der Penn University studiert habe? Ich bin nicht irgend so ein blödes Flittchen. Ich arbeite für eine der angesehensten Anwaltskanzleien. Ich bin die Sorte Frau, mit der man eine Beziehung eingeht, nicht einfach nur ins Bett hüpft.«

»Vielleicht hast du ja recht.«

»Dann lass uns doch was essen gehen!«, sagte sie entnervt.

»Ich will aber nichts Festes!«

»Und weshalb hast du mich dann …?«

»Hallo?«, schnitt Todd ihr das Wort ab, denn so langsam reichte es ihm. »Du hast mich angesprochen, weißt du noch? Es war zwei Uhr früh, du warst leicht betrunken, und du hast dein Profil in diese Dating-App gestellt, die deinen Standort bekannt gibt. Was hast du also erwartet?«

Sie hielt den Blick starr auf ihn gerichtet. »Über Hook kann man Leute kennenlernen – na und? Du machst das ja auch, und du bist doch vermutlich ein ganz normaler Typ. Wieso bin ich dann deshalb gleich ein Flittchen?«

»Ich hab nicht gesagt, dass du ein Flittchen bist. Ich hab lediglich gesagt, dass ich in dein Beuteschema gepasst habe, und was das bedeutet, brauch ich dir wohl nicht zu erklären.«

»Aber seitdem haben wir uns viermal gesehen!«, protestierte sie.

Todd wollte ihre Gefühle nicht verletzen, aber im Grunde hatte er keine Zeit für so ein Drama, schließlich musste er sich auf seine Karriere konzentrieren. Vor Kurzem erst hatte er seinen zweiunddreißigsten Geburtstag gefeiert, und Todd war sich schmerzlich bewusst, dass ihm nur noch zwölf Monate blieben, um ein dickes Geschäft für die Investmentbank L.Cecil abzuschließen, wenn er sein Ziel erreichen wollte, der jüngste Geschäftsführer in der Geschichte des angesehenen Wall-Street-Unternehmens zu werden.

»Und seitdem haben wir uns immer besser kennengelernt«, fuhr sie beharrlich fort. »Wir haben uns über deinen Job unterhalten, ich hab dir von meiner Familie erzählt, und letzte Woche bin ich zu spät zur Arbeit gekommen, weil ich weiß, wie gern du morgens Sex hast.« Ihre Unterlippe zitterte.

»Ich hab dich nicht darum gebeten.«

Ihre Wangen färbten sich rot, weil sie sich eingestehen musste, dass er recht hatte. »Ich fasse es nicht, was hier abgeht.« Sie wandte ihm den Rücken zu und zog sich fertig an, ohne weiter nach ihrem Stringtanga zu suchen.

Todd starrte noch immer wie gebannt auf den Fernseher. Dort hieß es gerade, die Trader von L.Cecil hätten nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Da sie aber gewusst hätten, dass sie Schrott verkauften, sei ihr Verhalten unethisch und würde mit einer Geldstrafe geahndet werden. Was für ein idiotisches Argument – die Aufgabe eines Börsenhändlers war es, Anlagemöglichkeiten für seine Kunden zu vermitteln. Ob diese ihr Geld dann tatsächlich in ein bestimmtes Geschäft investieren wollten, weil sie sich einen fetten Gewinn davon versprachen, war allein deren Sache.

Todd wartete, bis die Wohnungstür mit einem lauten Rums ins Schloss gefallen war. Dann stieg er aus dem Bett und sah zu, dass er – früher ein hochkarätiger Profiwasserballspieler von gut einem Meter neunzig – seinen ansehnlichen Body endlich unter die Dusche beförderte.

Die Frage, ob es besser war, nach einem Date bei einer Frau zu übernachten oder sie mit zu sich nach Hause zu nehmen, hatte Todd für sich noch nicht endgültig geklärt. Einerseits garantierte ihm der sündhaft teure Minimalismus seines großzügig geschnittenen Ein-Zimmer-Apartments, dass jede Frau garantiert mit ihm schlief, wenn sie die Wohnung erst einmal betreten hatte – selbst wenn sie das eigentlich nicht vorgehabt hatte, sondern sich beim ersten Date noch hatte prüde geben wollen. Andererseits hatten Auswärtsspiele den Vorteil, dass er gehen konnte, wann er wollte. Weswegen es besser gewesen wäre, wenn er die letzte Nacht bei ihr verbracht hätte, schließlich wusste er ja schon, dass sie ihn ranlassen würde. Aber als er ihr über Hook eine Nachricht zukommen ließ, hatte er bereits einen Tequila zu viel in der Monkey Bar gehabt und war nicht mehr imstande gewesen, klar zu denken.

Todd rasierte sich und zog seine Standardbürouniform an: Maßanzug, Krawatte von Hermès, Socken von Armani, Halbschuhe von Gucci. Er bestellte über seine Uber-App einen Wagen und warf noch einen anerkennenden Blick in den Spiegel, dann eilte er nach unten.

Als er aus der Eingangstür seines Wohnkomplexes trat, lief er beinahe in die junge Frau hinein, die fröstelnd neben der Tür stand. Sie rieb sich die Hände, um sich zu wärmen, da es für März noch relativ kühl war und ein frischer Wind wehte. »Mein Gott«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Sie biss sich entschuldigend auf die Unterlippe.

»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte kein Drama veranstalten, aber ich dachte, zwischen uns könnte mehr sein. Ich meine, ich könnte mehr sein – bin ich ja auch. Mehr als die Frau im Hook-Profil.«

Er legte ihr sanft eine Hand auf die Hüfte und küsste sie zart auf die Wange. »Schon gut«, sagte er, »aber ich hab derzeit viel um die Ohren, und mehr kann ich dir im Augenblick nicht geben. Wenn dir das nicht genügt, versteh ich das. Aber glaub mir, mehr ist gerade einfach nicht drin.«

Sie nickte und sah zu Boden.

»Sehen wir uns wieder?«, fragte sie leise, ohne den Blick zu heben.

»Ich hab nicht vor, die Stadt zu verlassen«, sagte er ausweichend. »Soll ich dir ein Taxi rufen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich gehe lieber zu Fuß.«

»Okay. Hab noch einen schönen Tag«, sagte er und strahlte sie mit seinen blauen Augen an.

»Danke.« Sie eilte davon, und ihre zehn Zentimeter hohen Stöckelschuhe und ihr zerzaustes Haar sprachen eine deutliche Sprache, vor allem an einem ganz normalen Mittwochmorgen.

Todd stieg in den schwarzen Wagen ein, öffnete auf seinem Handy die Hook-App und rief seine Liste mit Favoriten auf. Wie war doch gleich ihr Name? Irgendwas mit A. Amy? Allison? Amanda. Genau. Da war sie. Ein Klick, und er hatte ihr Profil gelöscht.

Benutzer blockieren?, wollte die App wissen. Er gab »Ja« ein.

Bewertung abgeben?»Nein.« Er wollte nicht noch mehr Zeit mit ihr verschwenden – so gut war sie auch wieder nicht gewesen.

Das BlackBerry, das er für die Arbeit nutzte, surrte in seiner Tasche, doch er nahm lieber sein iPhone in die Hand und scrollte durch die sechsundzwanzig neuen E-Mails, die er seit gestern Abend erhalten hatte. Zum einen waren da die üblichen Morgennachrichten: Kurzmeldungen zur Entwicklung des asiatischen Marktes, die tägliche Wechselkursprognose, eine E-Mail von Catherine Wiley, der Präsidentin der Investmentbank, die bereits eine von der Compliance-Abteilung abgesegnete Erklärung zum Aktienbestand geschickt hatte, für alle Kunden, die Näheres über den aktuellen Handelsskandal bei L.Cecil wissen wollten. Und dann war da noch diese E-Mail: [email protected].

Todd– Ich will an die Börse. Können Sie das übernehmen? JH

Todd verschluckte sich fast, las die E-Mail ein zweites Mal. Er warf dem Fahrer einen Blick zu, als könnte der begreifen, welch bedeutsame Nachricht Todd soeben erhalten hatte. Todd spürte, wie sein Herzschlag zu rasen begann: Josh Hart war CEO von Hook, also genau der App, die Todds Sexleben wesentlich effizienter gestaltete, und vor allem der angesagtesten Firma im ganzen Silicon Valley. Der Börsengang des App-Anbieters würde nicht nur sehr vielen Leuten sehr viel Geld einbringen, nein, auch Todds Beförderung wäre damit so gut wie sicher. Scheiß auf den Geschäftsführerposten – so ein dicker Fisch würde ihn wahrscheinlich in die Chefetage des Konzerns katapultieren.

Todd scrollte nach unten zur Signatur der Mail und wählte Joshs Nummer.

Während er dem Freiton lauschte, warf er einen Blick auf seine Uhr und bemerkte erschrocken, dass es in San Francisco erst Viertel nach sechs war. Aber Josh Hart nahm bereits nach dem dritten Läuten ab. »Hallo?«

»Josh!«, rief Todd ein bisschen zu enthusiastisch. »Josh, ich bin’s, Todd. Todd Kent. Ich hab gerade Ihre E-Mail gelesen und – oh, tut mir leid, es ist noch zu früh dafür, oder?«

»Schon okay«, Joshs Stimme klang wie die eines Roboters.

»Hören Sie zu, ich bin …« Todd hatte Schwierigkeiten, die Fassung wiederzuerlangen.

Er wühlte in seiner Erinnerung: Wann hatte er das letzte Mal mit Josh Hart gesprochen? Ach ja, das war vor zwei Jahren gewesen, in Las Vegas, auf der Messe für Unterhaltungselektronik. Doch so richtig kennengelernt hatten sie sich eigentlich in einem Striplokal. Josh war ein käsebleicher Computerfreak mit dunklen Ringen unter den Augen und einem Lockenkopf, der ihm ein jungenhaftes Aussehen verlieh. Er trug einen Kapuzenpulli und Bundfaltenkhakis. Todd hatte ihn im hintersten Winkel des Raums entdeckt und war schnurstracks auf ihn zugegangen – jeder, der in solchen Klamotten reingelassen wurde, musste ein großes Tier sein – und hatte ihn gefragt, ob er sich mit an seinen Tisch setzen wolle. Josh wollte, saß dann aber nur stumm da und beobachtete die Tänzerinnen, als kämen sie von einem fremden Planeten. Immer wenn Todd auf seine Finanzstrategie und damit auf L.Cecil zu sprechen kommen wollte, tat es Josh mit einem Schulterzucken ab.

Am Ende dieses Abends hatte Todd Josh seine Visitenkarte in die Hand gedrückt und seitdem nichts mehr von ihm gehört. Doch irgendetwas musste er gesagt haben, machte sich Todd bewusst, was Josh dazu bewogen hatte, ihm zwei Jahre später eine E-Mail zu schreiben und das größte Geschäft seines Lebens anzubieten.

»Ich wollte nur wissen, wie Sie sich unsere Zusammenarbeit bei der Finanzierung von Hook vorstellen«, sagte Todd schließlich.

»Das hab ich Ihnen doch in meiner E-Mail erklärt.« Josh klang irritiert. Offenbar war er der Meinung, ein Einzeiler reiche vollauf, um einen Börsengang einzuleiten. »Ich möchte mit Hook an die Börse, und ich habe mich für Sie als Emissionsbank entschieden. Ich will eins Komma acht Milliarden Dollar einwerben, mit einem Wertansatz von vierzehn Milliarden Dollar.«

Todd traute seinen Ohren nicht: Hook hatte bisher keinen Cent Gewinn erwirtschaftet, und an der Wall Street begann man, am Wert von Social-Media-Apps zu zweifeln. Andererseits hatte es auch Zweifel an Facebook gegeben, und was war passiert? Deren Aktienkurs war in ungeahnte Höhen gestiegen. Todd dachte bei sich, wenn Facebook mit hundertfünfzig Milliarden Dollar taxiert wurde, dann war Hook höchstwahrscheinlich mehr als vierzehn Milliarden Dollar wert.

»Die Zahlen klingen gut. Normalerweise kommt es nun zu einem Auswahlverfahren, bei dem sich diverse Banken um den Auftrag bewerben. Und dann …«

»Das will ich nicht. Ich möchte, dass Sie das übernehmen.«

Todd schwirrte der Kopf: Aber es gab doch immer einen Vorlauf. War es überhaupt zulässig, diesen Schritt zu überspringen? »Toll, das spart uns jede Menge Zeit«, sagte er. »Ich rede gleich mit meinem Chef. Sein Name ist Larry, und er ist verantwortlich für …«

»Nein«, unterbrach ihn Josh. »Ich sagte doch, ich will, dass Sie das machen. Ich will Sie.«

»Was? Mich?«

»Genau«, antwortete Josh. »Ist das denn nicht genau Ihr Ding? Das haben Sie doch gelernt, oder? Börsengänge betreuen.«

»Ja, natürlich, ich hab schon bei einigen solchen Deals mitgewirkt, aber wir reden hier von einer Riesensache, Josh, und es gibt bei uns jede Menge höhere Tiere, die …« Todd schnitt sich selbst das Wort ab. Nur weil Larry länger bei der Bank beschäftigt war, musste das nicht heißen, dass er auch kompetenter war, oder? Außerdem war Larry schon fünfundvierzig und verheiratet: Was wusste er schon von einer standortbezogenen Dating-App, bei deren Usern es sich hauptsächlich um die Generation Y handelte? Und wenn Josh mit seinen dreißig Jahren ein Unternehmen wie Hook aufbauen konnte, dann konnte Todd jawohl dessen Börsengang managen.

»Ach, wissen Sie was?«, verbesserte sich Todd. »Kein Thema, ich kann das für Sie übernehmen.«

»Gut«, sagte Josh. »Dann treffen wir uns morgen hier und bringen den Deal unter Dach und Fach.«

»Morgen?« Todd beugte sich vor. »Ich muss noch den Vertrag aufsetzen, und …« Er dachte einen Moment nach: Was brauchte er sonst noch? »Und ich muss das passende Team zusammenstellen.«

»Welches Team?«

»Na ja, wir brauchen ein paar Analysten, einen Mitarbeiter aus meinem Bereich, dann noch jemanden aus der Abteilung Eigenkapitalmärkte, der mich über die Marktbedingungen und die Informationsveranstaltung beraten kann, und außerdem brauchen wir wahrscheinlich …«

»Drei. Sie kriegen maximal drei Leute dazu. Mehr nicht!«

Todd musste lachen. »Josh, bei einer Transaktion dieser Größenordnung wollen Sie doch bestimmt …«

»Lassen Sie mich eines klarstellen«, fiel ihm Josh ins Wort. »Ich hasse die Wall Street. Ihr Börsianer seid allesamt Idioten, die nichts anderes tun, als sich in irgendwelche Prozesse einzuklinken, um fette Kohle aus der Ineffizienz zu scheffeln, die ihr selbst verursacht. Wenn ich eins Komma acht Milliarden Dollar ohne Sie auftreiben könnte, würde ich das nur allzu gerne tun, aber ich kann nicht gleichzeitig ein Unternehmen aufbauen und die Finanzdienstleistungsbranche sanieren.«

Todds Kinnlade fiel nach unten. Er war im Norden Kaliforniens aufgewachsen und wusste deshalb, dass Tech-Freaks in der Regel nicht gerade begeistert von der Wall Street waren, aber es gehörte schon eine gehörige Portion Mut dazu, sich so offen gegen ein System auszusprechen, das seit Hunderten von Jahren wuchs und gedieh.

»Sie kriegen ein Team aus drei Leuten«, fuhr Josh fort, »aber ich will keine aalglatten Wichser dabeihaben, sonst platzt unser Geschäft. Ist das klar?«

»Sonnenklar.«

»Gut. Dann sehen wir uns am Freitag.«

»Freitag«, stimmte Todd zu. Auf diese Weise hatte er einen Tag mehr Zeit. »Dann sehen wir uns am Freitag. Ich freu mich schon sehr, Sie …«

Er hörte Josh auflegen und starrte auf sein Handy. War das wirklich gerade passiert, oder hatte er das nur geträumt?

»So, da wären wir«, sagte der Fahrer zu ihm, als er das Handy in seiner Jacke verstaute.

Todd sah hoch und brauchte einen Moment, um ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, dass er sich in der Park Avenue befand, direkt vor der Zentrale von L.Cecil. Seit zehn Jahren hatte er hier jeden Wochentag und auch die meisten Wochenenden verbracht, mal abgesehen von den zwei Wochen Urlaub im Jahr, zu denen die Regulierungsbehörde Banker zwang, um Insiderhandel einen Riegel vorzuschieben. Das Gebäude mit seiner Glasfassade ragte dreiundvierzig Geschosse hoch in den Himmel hinauf, die verspiegelten Fensterscheiben reflektierten das morgendliche Sonnenlicht. L.CECIL stand in Messing über dem Eingangsbereich mit Drehtür. Eine mit Blumen verzierte Mauer trennte ihn von der Straße ab; sie sollte ihm ein freundliches Aussehen verleihen und zugleich eine gewisse Distanz schaffen, sodass Passanten nicht auf die Idee kämen, sie wären herzlich willkommen.

Scharen von Anzugträgern zeigten ihre Sicherheitsausweise vor, während sie das Gebäude betraten, und sie alle hofften, heute möge der Tag sein, an dem ein Deal für sie einen Schlussstrich unter ihr Dasein als Rädchen im Getriebe ziehen und ihnen eine dicke, fette Beförderung bescheren würde. Todd wurde mit einem Mal klar, dass heute sein Tag sein könnte: Josh war zwar ein arroganter Arsch, aber er würde Todd zu einem der mächtigsten Investmentbanker aller Zeiten machen. Heilige Scheiße, was für eine Riesensache!

NICK

Mittwoch, 5. März; San Francisco, Kalifornien

»Mir ist bewusst, dass Sie ungern über Geld reden, doch als Finanzchef dieses Unternehmens bin ich dafür verantwortlich, Ihnen zu sagen, dass wir keine andere Wahl haben, als noch mehr Kapital aufzutreiben, sofern Sie Ihre Vision noch immer wahr machen wollen«, sagte Nick Winthrop mit fester Stimme zu seinem Spiegelbild. »Ich empfehle den Börsengang.«

Wohlwollend betrachtete er sein Spiegelbild – vor allem seinen nackten Oberkörper – und versuchte, sich Joshs Reaktion vorzustellen.

»Mir ist auch klar, dass Sie kein Freund der Wall Street sind«, nahm er den Einwand des CEOs vorweg. »Deshalb bin ich schon einen Schritt weiter gegangen und habe diese PowerPoint-Präsentation mit den Erfolgsbilanzen der infrage kommenden Unternehmen vorbereitet. Ich habe die Top Ten herausgefiltert, die ins Rennen gehen sollten.«

Diesen Vorschlag konnte er doch gar nicht ablehnen. Selbst Josh Hart, das Informatik-Wunderkind, der Hook ins Leben gerufen hatte und stolz auf seine mangelnde Geschäftstüchtigkeit zu sein schien, musste Nick in diesem Punkt zustimmen. Anders ausgedrückt: Nick brauchte nur Joshs Okay für den Börsengang. Dann könnte er in aller Ruhe die weltweit besten Investmentbanker anrufen, die daraufhin wochenlang versuchen würden, sich bei ihm lieb Kind zu machen. Sie würden alles dafür tun, damit ihr Name bei dem Geschäft ins Spiel käme, das Nicks Firmenbeteiligung auf satte fünfundachtzig Millionen Dollar ansteigen ließe und – was ihm weitaus wichtiger war – ihn in eine Position versetzen würde, die ihm den Einfluss verschaffen würde, der ihm zustand.

Am Anfang wollte Nick eigentlich gar nicht für Hook arbeiten. Er hatte 2004 seinen Abschluss in Stanford gemacht und seine Karriere bei McKinsey & Company, der Nummer eins der Unternehmensberatungen, begonnen, äußerst erfolgreich, wie man durchaus hinzufügen durfte. Drei Jahre später hatte er zu Dalton Henley Venture Partners gewechselt. Dort war er zum persönlichen Schützling von Phil Dalton, einem der angesehensten Wagniskapitalgeber im Silicon Valley, avanciert; Phil hatte ihm eine Empfehlung für die Harvard Business School geschrieben, die Nick in das Baker-Förderprogramm für Führungskräfte aus der Wirtschaft aufnahm, in dem sich nur die Besten der Besten tummelten.

Während seiner Zusatzausbildung an der HBS hatte Nick den Businessplan für ApplyYourself geschrieben, eine Firma, die den Markt für Studienplätze in den Vereinigten Staaten auf den Kopf stellen würde, weil sie berechnen konnte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass ein Studierender in die unterschiedlichen Förderprogramme Amerikas aufgenommen würde. Als Erstes würde das Unternehmen mit der Ivy League und Stanford beginnen, wie es auch Facebook getan hatte, und sich von dort aus in alle Universitäten verbreiten. Letztendlich sollten dann anhand von Algorithmen auch Prognosen für die Chancen auf dem Jobmarkt erstellt werden.

Doch als Nick seinen Businessplan Phil Dalton gezeigt hatte, hatte ihm Phil geraten, sich stattdessen lieber bei Hook um den offenen Posten eines Chief Financial Officer zu bewerben. Nick war am Boden zerstört gewesen. Er wollte Unternehmer werden, seine eigene Firma gründen, und nicht CFO eines Unternehmens, das von einem Typen gegründet worden war, der jünger war als er selbst und nicht einmal an einer Business School studiert hatte.

Doch nachdem Nick zum ersten Mal in seinem Leben gescheitert war (und damit den besten Unternehmern in nichts nachstand, da sie alle mindestens einmal auf die Schnauze gefallen waren), weil es ihm nicht gelingen wollte, die eineinhalb Millionen Dollar Startkapital aufzutreiben, hatte er sich selbst klargemacht, dass zu den Kernkompetenzen eines erfolgreichen Unternehmers auch ein entsprechendes Anpassungsvermögen gehörte. Daraufhin hatte er seine Definition von Prestige so zurechtgerückt, dass sie auch mit dem Posten eines CFO in Einklang stand. Und so kam es, dass er diesen Job bei Hook, der ihm als Sahnetüpfelchen eine Beteiligung von einem halben Prozent einbrachte, voller Zuversicht angetreten hatte.

Als Hook im letzten Frühjahr seine Geschäftstätigkeit aufgenommen und innerhalb kürzester Zeit fünfhundert Millionen Anwender gewonnen hatte, was unter anderem die Aufmerksamkeit internationaler Medien auf sich gezogen hatte, war sich Nick sicher gewesen, dass das Universum einen Plan verfolgte und dass er eine Rolle darin spielte.

Dieser Plan, davon war er seitdem überzeugt, würde aus ihm einen mächtigen, global agierenden Strippenzieher machen. Ein untrügliches Gefühl sagte ihm, dass er kurz davorstand, zu einer der einflussreichsten Führungspersönlichkeiten des Planeten Erde zu werden.

Nick atmete tief ein und versuchte sich zu sammeln. Bewundernd blickte er auf seine Brustmuskeln. Das Cross-Fit-Paket, das er letzten Monat über Groupon erstanden hatte, war jeden Cent wert: Auf diese Weise würde er in Topform sein, wenn demnächst die Zeitschriften Fotos für ihre Titelseiten von ihm machen wollten. Ganz und gar zufrieden mit sich und der Welt betrachtete er seine muskulöse Schulterpartie und ließ sich zu Boden sinken, um als Zugabe noch zehn Liegestütze zu machen.

Es war erst 6:30 Uhr am Morgen, aber Nick war hellwach, als er den Knopf seiner Nespresso-Maschine drückte und sich einen Espresso forte brauen ließ. In die Tasse gab er eine Prise Bio-Kassiazimt, der seinen Blutzucker regulieren sollte, ein Tipp, den er aus dem Buch Der 4-Stunden-Körper hatte. Dann überprüfte er auf seinem iPhone, ob Grace mittlerweile eine SMS geschickt hatte. Er hatte zwar erst vor knapp zehn Minuten nachgesehen, aber egal. Als er feststellte, dass keine neue SMS eingegangen war, mahnte er sich selbst zur Ruhe: Sie war eine heiße Frau und hatte jedes Recht der Welt, die Unbeteiligte zu spielen; und er war ein cooler Mann, der die Dinge nahm, wie sie kamen.

Trotzdem. Tief in seinem Inneren wünschte er sich, er könne ihr von dem fetten Geschäft erzählen, das er bald machen würde – er würde nur zu gerne ihr Gesicht sehen, wenn ihr klar wurde, mit welcher Sorte Mann sie ausging. Doch das geplante Geschäft würde so lange geheim gehalten werden müssen, bis das Formblatt S-1, ein rund hundertseitiges Rechtsdokument über die Einzelheiten der Anlagemöglichkeit, bei der Börsenaufsicht eingereicht worden war, was aller Voraussicht nach mehrere Monate dauern würde. Er trug in seinen elektronischen Kalender ein, sich im Gary Danko für jeden Freitag im Mai einen Tisch reservieren zu lassen. Wenn es so weit war, wollte er den Anlass gebührend feiern.

Er trank seinen Espresso aus, stellte seine Tasse in den Geschirrspüler und wischte den Griff der Maschine mit einem Reinigungstuch ab, um die glänzende Edelstahlfläche von seinen Fingerabdrücken zu säubern. Wieder checkte er sein iPhone auf neue Nachrichten – nichts – und zog den Reißverschluss seiner Fleecejacke mit dem Dalton-Henley-Logo hoch, während er aus der Tür trat und sich auf den Weg zur Hook-Zentrale machte.

Diese Stunde eines Arbeitstages mochte er am liebsten: Die Programmierer verschanzten sich meist bis in die frühen Morgenstunden in ihren Büros und gingen dann nach Hause, und aus der Personalabteilung erschien niemand vor zehn Uhr zur Arbeit, weshalb ihm der soeben erst fertiggestellte Neubau in der Embarcadero, San Francisco, jetzt ganz allein gehörte.

Er hielt seine Hand vor den dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Sicherheitssensor, der außen am Eingang montiert war, und nahm dann den Aufzug in den sechsten Stock. Er ging den Hauptkorridor entlang zu dem Bereich, in dem die Programmierer untergebracht waren. Der Boden war übersät mit Stofftieren und bunten Plastikbällen, die eigentlich in das Bällebad gehörten, das in der Ecke stand. Daneben hockte ein lebensgroßer Gorilla – eigentlich ein Heliumgastank, den die Programmierer anlässlich von Geburtstagsfeiern zum Aufblasen von Luftballons nutzten, in letzter Zeit aber immer öfter, um sich zuzudröhnen.

Das alles flößte Nick enormes Unbehagen ein: Sobald der Börsengang eingeleitet war, würde er als Erstes dafür sorgen, aus diesem Raum einen einigermaßen professionellen Arbeitsplatz zu machen. Ihm war es schnurzpiepegal, was die Programmierer dazu sagten.

Erst als er in seinem Eckbüro ankam, entspannte er sich wieder, was wohl am puristischen Design seines makellosen Rückzugsortes lag.

»Hey.«

Nick hob überrascht den Blick und sah Josh im Türrahmen stehen. »Oh, hi.« Er versuchte seinen Anblick zu verarbeiten. »Was machen Sie denn hier?«

»Ich war am Programmieren«, sagte Josh. Die Ringe unter seinen Augen waren dunkel und schwer, und sein Kopf zuckte, kippte nach rechts zur Seite, bis er ihn wieder gerade hielt. »Hab darüber völlig die Zeit vergessen.«

»Wie schön.« Nick lächelte bestätigend. Auch diese Lektion hatte er von Phil Dalton gelernt: Ermuntere jeden Programmierer, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen. Gut möglich, dass Sie nicht die leiseste Ahnung haben, was die Jungs da tun, aber meistens haben sie nachts die besten Ideen, hatte Phil gesagt, und Nick hatte diesen Tipp geflissentlich in sein Moleskine-Notizbuch notiert, das er extra für diesen Zweck besorgt hatte und ständig mit sich herumtrug.

»Ich möchte, dass Sie am Freitag um elf Uhr bei einer Besprechung dabei sind«, kündigte Josh an und wandte sich zum Gehen.

»Worum geht’s?«

Josh drehte sich zu ihm um, und sein Kopf zuckte wieder.

Nick hatte keine Ahnung, was dieses Zucken provozierte, aber er hatte gelernt, es zu ignorieren. Wenn überhaupt, bedeutete diese Eigenheit des Firmengründers lediglich, dass für die Aufregung, die der geplante Börsengang in der Presse hervorrufen würde, ein anderes Gesicht herhalten musste, und Nick war untertänigst bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Bei HBS gab es die schöne Tradition, dass alle Betriebswirtschaftler zehn Dollar in einen Topf warfen, der demjenigen überreicht wurde, dessen Bleistiftzeichnung als erste das Titelblatt des Wall Street Journal zierte, und Nick war sich ziemlich sicher, dass er das sein würde. Nimm das, Stephen Hartley. Na, wer ist jetzt der coolste Student aller Zeiten?

»L.Cecil wird dabei sein«, sagte Josh ohne weitere Erklärung.

»Wie bitte?« Nick beugte sich ein wenig nach vorne. »Weshalb ist L.Cecil …«

»Sie übernehmen unseren Börsengang«, sagte Josh. »Sie kommen am Freitag zu uns.«

»Wovon reden Sie überhau…«, begann Nick kopfschüttelnd. »Das ist nicht Ihre Entscheidung, Josh. Ich bin der Finanzleiter von Hook, und das ist eindeutig eine Entscheidung, die in mein Ressort fällt.«

Josh blickte ihn an. »Das ist mein Unternehmen.«

»Teilweise, ja.« Sie hatten bereits über dieses Thema gesprochen. »Sie sind natürlich für alle Investitionen verantwort…« Er schnitt sich selbst das Wort ab, weil ihm gerade durch den Kopf schoss, dass ein Börsengang ja genau das war, was er wollte. Früher hatte er so manchen Kampf gefochten, nur weil er unbedingt als Gewinner dastehen wollte, und in der Business School hatte man ihn dafür heftig kritisiert. Deshalb fuhr er jetzt langsam und ruhig fort: »Ein Börsengang ist ein langer Prozess. Und als Finanzchef sollte ich diesen Prozess leiten.«

»Ist mir klar«, sagte Josh. »Ich will damit sowieso nichts zu tun haben.«

»Ich meine, es gibt da einen Prozess, wie man sich für eine bestimmte Bank entscheidet«, erklärte Nick. »Als Erstes kommt es zu einem Auswahlverfahren. Da bewerben sich verschiedene Banken, und Sie treffen im Anschluss Ihre Entscheidung für eine, und zwar auf der Grundlage …«

»Weshalb sollte ich das tun?« Joshs Blick bohrte sich in seinen. Nick spürte, wie er rot wurde.

»Weil …«, begann er. Sie konnten diesen ersten Schritt doch nicht einfach überspringen. Die Banken mussten um sie buhlen. »Selbst wenn es möglich wäre, diesen Schritt zu überspringen – L.Cecil ist alles andere als eine gute Wahl. Haben Sie heute noch keine Nachrichten gesehen? Gegen die wird wegen Insiderhandels ermittelt …«

»Ich weiß«, schnitt ihm Josh das Wort ab, sein Kopf zuckte. »Und genau deshalb sind sie definitiv eine gute Wahl.«

»Was?« Nick blinzelte ungläubig. L.Cecil hatte es nicht mal in seine Liste der infrage kommenden Banken geschafft. »Ist das Ihr Ernst?«

»Sie brauchen dringend ein Geschäft wie dieses. Sie brauchen uns.« Josh sah Nick verwundert an, als könne er nicht glauben, dass er seine Entscheidung groß erklären musste. »Das Beste ist, man sitzt am längeren Hebel, Nick. Haben sie euch das in der Business School nicht beigebracht?«

Nick kochte vor Wut. Schlimm genug, dass Josh sich arrogant aufspielte, wann immer es um Computerkram ging, aber geschäftliche Dinge wie ein Börsengang fielen eindeutig in Nicks Zuständigkeit.

»Also, bei HBS haben wir …«, protestierte Nick.

»Der Kerl, den ich beauftragt habe, hat übrigens rein gar nichts mit dem Skandal zu tun.«

»Wen meinen Sie mit ›Kerl, den ich beauftragt habe‹? Sie haben doch nicht etwa …«

»Todd Kent. Ich hab ihn vor zwei Jahren auf der CES kennengelernt«, sagte Josh. »Er kümmert sich um alles.«

Nick brachte kaum mehr als ein heiseres Flüstern heraus. »Todd Kent? Sie haben sich für Todd Kent als betreuenden Broker entschieden?«

»Kennen Sie ihn?« Josh sah Nick fragend an.

»Wir haben zusammen studiert.« Nick verspürte mit einem Mal pochende Kopfschmerzen. »Im Vorstudium, nicht an der Business School. Da war er gar nicht. Ich bin sicher, die hätten ihn dort nie genommen«, rutschte es ihm in gehässigem Tonfall heraus.

Josh grinste breit. »Gut. Alles andere erfahren Sie dann in der Besprechung.«

Als Josh sein Büro verließ, sah Nick, wie ein Ball aus dem Chaos vor seiner Tür in den Raum hineinrollte. Er hob ihn auf und quetschte ihn zusammen, bevor er ihn zurück in das menschenleere Büro warf.

TODD

Mittwoch, 5. März; New York City, New York

»Wenn Sie das versauen, sind wir im Arsch!« An Larrys Hals pochten die Schlagadern, die so dick waren wie die eines Pitbulls.

»Ich weiß, Mann. Das ist mir absolut klar.«

»Ich rede nicht davon, dass Sie im Arsch sind! Mir ist scheißegal, was Sie am Jahresende einsacken.« Als sich Larry bewusst machte, wie viel Einfluss er auf Todds Bonuszahlung hatte, entspannte er sich für einen Moment, brüllte aber gleich wieder los, als ihm einfiel, dass ihn sein Untergebener bei einem so wichtigen Geschäft aus dem Rennen geworfen hatte. »Ich rede davon, dass ich dann im Arsch bin – ich, unsere Abteilung, unser Geschäftsbereich, Scheiße nochmal, die ganze Scheißbank hier.« Larry hielt kurz inne, um Luft zu holen, und legte sofort wieder los. »So eine verdammte Scheiße. Diese bescheuerten Vollidioten da in diesem scheiß Silicon Valley.« Todd sagte kein Wort. »Raus aus meinem Büro, oder ich kastriere Sie eigenhändig.«

Todd musste ein Lachen unterdrücken, als er die Tür hinter sich zuzog. Arme Sau.

Bis Todd diesen Morgen im siebenundzwanzigsten Stock angekommen war, wo er an einer Besprechung mit den anderen Mitarbeitern des Bereichs Technologie, Medien & Telekommunikation teilnahm, war er sich sicher, dass Larry nicht an dem Börsengang von Hook mitwirken sollte. Josh hatte recht: Todd Kent war der Richtige, er sollte diese Emission leiten, und zwar nicht nur, weil er ein hervorragender Banker war, sondern weil er ganz genau wusste, was das App-Unternehmen brauchte, um den Markt davon zu überzeugen, dass es vierzehn Milliarden Dollar wert war. Larrys langjährige Erfahrung mit dem Abschluss von Deals spielte hier keine Rolle – er war bereits steinalt, und außerdem machte er gerade eine Scheidung durch, nachdem seine Frau seine Pornosucht entdeckt hatte: Damit wollte Hook bestimmt nicht in Verbindung gebracht werden.

Todd schritt hocherhobenen Hauptes den Korridor entlang und grinste optimistisch, sodass jeder, der ihm entgegenkam und sich nach ihm umsah – was jeder tat –, auf einen Blick erkannte, dass Todd als Sieger aus dem unverständlichen, aber dennoch unüberhörbaren Streit in Larrys Büro hervorgegangen war.

»Du liebe Zeit, was hast du denn angestellt, dass der sich so aufregt?«, fragte ohne aufzublicken Kal Taggar, der andere Senior Vice President des Bereichs, als Todd seinen Platz in einem Sechserblock von Zellenbüros einnahm.

»Sagt dir Hook etwas?«

»Logisch. Wieso?«, fragte Kal seinen Monitor, während er seine Anmeldung zu einem Unisportwettkampf eingab.

»Die wollen an die Börse gehen.« Todd legte eine Kunstpause ein und nahm damit Kals Reaktion auf diese Überraschung vorweg. »Josh Hart will, dass ich den Deal mache.«

Kal drehte sich zu ihm um, sein Mund stand offen. »Was soll das heißen, Josh Hart will, dass du ›den Deal machst‹?«

»Ich glaube, er will, dass ich die Leitung übernehme – und dass es kein Auswahlverfahren gibt und dass ich das Team zusammenstellen soll. Als einzige Vorgabe hat er sich ›aalglatte Wichser‹ verbeten«, sagte Todd und machte Anführungszeichen in die Luft.

»Soll heißen ohne Larry?«, erwiderte Kal lachend. Todd nickte. »Heilige Scheiße«, sagte Kal, ablehnend und bewundernd zugleich. »Du verdammter Scheißkerl!«

Todd grinste breit. Sein Handy läutete, und er meldete sich fröhlich. »Todd Kent.«

Als er die Stimme am anderen Ende der Leitung erkannte, nahm er unwillkürlich Haltung an.

»Todd, ich bin’s, Harvey.« Es gab nur einen Harvey bei L.Cecil: Harvey Tate. Der siebzigjährige Topmanager hatte einst die wichtigsten Investmentbankgeschäfte der Wall Street getätigt – mit Betonung auf hatte einst. Jetzt saß er, versehen mit dem Titel eines Senior Vice Chairman, den lieben langen Tag in seinem geräumigen Eckbüro im zweiundvierzigsten Stock, brachte klischeehafte Lebensweisheiten unters Volk und heimste die Lorbeeren für Abschlüsse ein, mit denen er nichts zu tun gehabt hatte.

»Harvey, wie schön, von Ihnen zu hören.« Todd verdrehte in Kals Richtung, der ihn neugierig ansah, die Augen und formte mit den Lippen Harvey Tate.

»Ich habe von dem Deal erfahren und wollte Ihnen gratulieren«, sagte Harvey.

»Danke, Sir.« Todd war überrascht, fühlte sich aber auch geschmeichelt, dass das Topmanagement es ebenfalls für eine gute Sache hielt, wenn ein so junger Mitarbeiter diesen Börsengang betreute.

»Ich hätte da ein paar Ideen. Weshalb kommen Sie nicht in mein Büro, und wir reden darüber?«

Todd zögerte. Ihm blieben keine sechsunddreißig Stunden, um ein Team zusammenzustellen, einen Arbeitsplan und einen Vertrag aufzusetzen: Er hatte definitiv keine Zeit, Harvey Tate um den Bart zu gehen. »Klar«, sagte er. »Ich werde mit Ihrer Assistentin einen Termin für nächste Woche vereinbaren.« Harvey war nicht mehr der Jüngste, mit etwas Glück würde er das Ganze vergessen.

»Passt Ihnen zehn Uhr?«

Todd schob verärgert das Kinn vor. Er hatte für elf Uhr bereits einen Termin mit seiner Trainerin Morgan ausgemacht, und er brauchte dieses Training ganz dringend, um den Kopf frei zu kriegen für den Berg Arbeit, der vor ihm lag. »Klar«, hörte er sich sagen und verfluchte zum tausendsten Mal seine Mutter, die ihm so gute Manieren beigebracht hatte. Das Leben wäre so viel einfacher, wenn er ein egoistisches Arschloch wäre.

»Gut, dann sehen wir uns in einer Stunde.«

»Ich freue mich.« Todd legte auf. »Fuck.«

»Was denn?« Kal lehnte sich neugierig vor. Wer an sechs Tagen in der Woche sechzehn Stunden in einem Zellenbüro arbeitete, in dem es roch, als wären sämtliche Reste des Mittagessens, das Lieferdienste unterschiedlichster Nationen ausgeliefert hatten, auf einen Riesenhaufen geschüttet worden, für den war Klatsch das, was Vicodin für Mediziner à la Dr. House war. Und Todd hatte sich soeben zum besten Dealer des Hauses gemausert.

»Dieser scheiß Harvey Tate will sich zu meinem Mentor aufspielen.«

»Ha! Das hat man nun davon, wenn man so einen dicken Fisch an Land zieht«, sagte Kal unverhohlen sarkastisch.

In diesem Augenblick trat Neha Patel, eine übereifrige Analystin, die schon seit zwei Jahren in dieser Abteilung arbeitete, mit einem Stapel Papiere in der Hand an Todds Schreibtisch und sagte mit der für sie typischen rasanten Sprechgeschwindigkeit, die sich anhörte, als ob sie sich mit Adderall gedopt hätte: »Hier sind die Unterlagen, um die Sie mich gebeten haben. Ich habe außerdem noch die Bilanzen vergleichbarer Medienunternehmen ausgedruckt, dazu meine Theorien. Meiner Meinung nach sollten wir nur über eines reden: den Teil mit …«

»Schalten Sie mal einen Gang runter«, sagte Todd augenzwinkernd. »Sie stehen ja völlig unter Strom. Ich dagegen hab noch nicht mal meine erste Tasse Kaffee intus.«

»Soll ich Ihnen einen holen?«, fragte sie und sah ihn von unten durch ihre Brille an. An ihrem Kinn hing ein getrockneter Speichelfaden, den sie offenbar übersehen hatte, als sie aus dem eigens für kurze Büroschläfchen eingerichteten Aufenthaltsraum an ihren Schreibtisch zurückgekehrt war. Die meisten Analysten arbeiteten zwei Nächte in der Woche durch, aber Neha hatte sich auf durchschnittlich fünf Nächte pro Woche gesteigert, weil sie um jeden Preis die beste Analystin aller Zeiten bei L.Cecil werden wollte.

»Schon gut, Neha«, sagte er. »Den hol ich mir schon selbst. Was haben Sie da Schönes für mich?«

»Das sind die Akquise-Unterlagen für Viacom, die ich für Sie zusammenstellen sollte.« Ihre Stimme klang, als ob man ein Tonbandgerät im Schnelllauf abspielte.

Er warf einen Blick auf den Papierstapel: Es würde mindestens drei Wochen dauern, bis er dafür Zeit fände, wenn überhaupt.

»Haben Sie die ganze Nacht daran gesessen?«

»Ich habe mich zwei Mal für achtundvierzig Minuten aufs Ohr gehauen«, sagte sie. »Wichtig ist, dass man nicht länger als achtundvierzig Minuten schläft, denn sonst kommt man in die REM-Phase und ist anschließend noch viel müder.«

»Wann haben Sie das letzte Mal zuhause geschlafen?«

»Letzten Freitag.« Neha sagte das, als wäre es das Normalste der Welt. Genau so sollten Analysten sein.

»Möchten Sie nach Kalifornien?«, fragte er die junge Frau.

»Bitte?«

»Ich bringe Hook – das sind die Jungs mit der Dating-App – an die Börse. Trauen Sie es sich zu, als Analystin dabei zu sein?«

Nehas immer noch mit Spucke beflecktes Kinn sackte nach unten. Sie hatte ein kugelrundes Gesicht, auf dem jede Menge Aknepickel sprossen; sie verwendete kein Make-up, und offenbar hatte ihr auch noch niemand gezeigt, was sich mit einer Pinzette so alles anstellen ließ. »Reden Sie von dem größten Privatunternehmen in ganz Silicon Valley? Das unter den Fittichen von Dalton Henley Venture Partners steht, fünfhundert Millionen Anwender hat und eine Wachstumsrate von zweihundertfünfzig Prozent – pro Quartal, versteht sich?«

Todd sah sie erstaunt an: Sie interessierte sich tatsächlich einzig und allein für die Finanzen der Firma – jede Wette, dass sie die App noch nie benutzt hatte. Und wieder: Genau so sollten Analysten sein.

»Richtig«, sagte Todd.

»Machen Sie Witze? Natürlich bin ich dabei!« Anscheinend begriff sie erst jetzt, was das für sie bedeutete, weshalb ihre Begeisterung sekündlich zunahm. »Ich meine, ich reiße mir den Arsch auf. Ich meine, danke! Ich danke Ihnen für diese tolle Gelegenheit.«

»Kein Thema«, sagte Todd und lächelte ihr zu, denn ihr Enthusiasmus sorgte dafür, dass er sich wie ein Wohltäter vorkam. »Am besten, Sie lassen alles andere liegen und tragen heute Nacht so viele Informationen zusammen, wie Sie kriegen können. Dann bräuchte ich noch einen ersten Entwurf des Arbeitsplans. Unser Flug geht Freitagmorgen.«

»Gut, abgemacht! Ich kümmere mich sofort darum!« Sie hüpfte zu ihrem Schreibtisch zurück wie eine Dreijährige, der man gerade ein neues Lego-Set geschenkt hatte.

Todd drehte sich zu seinem Computer, als er bemerkte, dass Kal ihn noch immer ansah. »Was denn?«

»Du Arschloch«, sagte Kal. »Du schnappst dir unsere beste Analystin?«

»Sorry, Kumpel«, grinste Todd. »Wenn du ein Eins-Komma-acht-Milliarden-Dollar-Geschäft anschleppst, können wir ja Streichhölzchen ziehen, wer sie dann kriegt.«

»Ja, ja.«

»Hey, was sind doch noch mal acht Prozent von Eins-Komma-acht-Milliarden Dollar?« Todd rechnete laut aus, wie viel die Firma an diesem Deal verdienen würde. »Und wie viel hat dieser Dings, der letztes Jahr Catalyst im Schlepptau hatte, dafür bekommen? Fünf Millionen? Dabei war sein Deal nur halb so viel wert wie meiner …«

Kal warf einen Stift nach ihm. Todd musste lachen. Vor seinem inneren Auge sah er bereits den Kontoauszug mit der Gutschrift von fünf Millionen Dollar vor sich liegen.

»Hier«, sagte er und drückte Kal seine Equinox-Karte in die Hand, als er aufstand, um sich auf den Weg zu der Besprechung mit Harvey zu machen. »Du kannst meine Trainingsstunde haben. Morgans Titten werden dich aufmuntern. Und sag nie, ich wäre kein Teamspieler.« Er klopfte Kal im Vorübergehen auf die Schulter.

Im siebenundzwanzigsten Stock tummelten sich zahlreiche Investmentbanker, die sich lautstark unterhielten. Die Analysten und die rangniedrigsten Mitarbeiter der Bank teilten sich hier drei lange Arbeitstische, die in der Mitte des Raums standen. Sie saßen alle vor einem Computer mit zwei Monitoren und einem Bloomberg-Terminal. Zu beiden Seiten dieser Tische waren sechs Zellenbüros angeordnet, in denen die VPs saßen. Die Geschäftsführer erhielten als Belohnung für ihre jahrzehntelange Aufopferung für die Firma kleine verglaste Büros, die aufgrund ihrer Lage an der Gebäudefassade das beste Licht im ganzen Stockwerk hatten.

Während er zum Aufzug lief, spielte Todd sein Lieblingsspiel: Er zählte, wie viele Leute, an denen er vorbeikam, bei seinem Anblick rot anliefen. Männer bekamen dafür einen halben Punkt, besonders heiße Frauen zwei. Von seinem Schreibtisch bis zum Aufzug brachte es Todd auf acht Punkte, was einer Trefferquote von zweiundsiebzig Prozent entsprach. Oder auch einundachtzig Prozent, je nachdem, ob Sonja mitzählte oder nicht. Es war nicht ganz einfach festzustellen, ob jemand indischer Abstimmung einen roten Kopf bekam.

Die Aufzugstüren öffneten sich und gaben den Blick frei auf Chad Horton, einen fetten Trader in einem pinkfarbenen Hemd, und Tara Taylor, Vice President von Equity Capital Markets, die gerade auf ihr BlackBerry sah.

»Hey, Kumpel! Ich hab’s schon gehört«, sagte Chad und boxte Todd an die Schulter. Tara sagte nichts, sie war zu vertieft in ihr BlackBerry.

»Pst – nicht so laut. Ich will auf keinen Fall, dass sich Taras Mitarbeiter darum prügeln, wer zum Team gehören darf«, sagte Todd.

Der Kopf der jungen Frau schnellte nach oben. Eins, zwei, drei … ja, da war sie. Tara war knallrot angelaufen. Machte zehn Punkte für heute. Na ja, eigentlich nur neun Komma fünf – Tara war zweifelsohne attraktiv, aber für zwei Punkte reichte es einfach nicht. Bei ihr war das so eine Sache: Wenn man sie mal in ihre Einzelteile zerlegte, war sie gar nicht so heiß, wie es auf den ersten Blick schien. Sie hatte zwar tolle Beine und eine schmale Taille, aber ansonsten keinerlei weibliche Formen. Ihr Hintern war zu flach, und mehr als ein B-Körbchen dürfte sie auch nicht ausfüllen. Ihre braunen Augen standen zu eng beieinander, obwohl ihr Augen-Make-up diesen kleinen Fehler gut kaschierte. Doch ihr Kinn war zu spitz – und dagegen konnte auch das beste Make-up nichts ausrichten. Trotzdem hatte sie etwas an sich, was sie attraktiv machte. Todd dachte, scheiß drauf, gib ihr zwei Punkte. Er fühlte sich ungemein großzügig.

Tara grinste, sagte aber immer noch nichts, sondern wandte sich wieder ihrem BlackBerry zu.

Chad ergriff das Wort: »Wie ich höre, hattet ihr eine lange Nacht gestern. Ich bin gerade Lou in die Arme gelaufen. Du liebe Zeit, er sah echt fix und fertig aus. Meinte, er hätte nicht eine Stunde geschlafen.«

Jeden zweiten Monat lud Lou Reynolds alle Analysten, die 2004 ihren Abschluss gemacht hatten und noch immer bei L.Cecil beschäftigt waren, zu ein paar Drinks nach Feierabend ein. Von den ehemals achtzig Absolventen traf dies auf genau zwölf Leute zu. Sie waren zwar nicht halb so cool wie Todds Clique, die sich nach der Arbeit traf, aber Todd wusste, dass Lou sehr viel Wert auf seine Anwesenheit legte und ihm diesen Gefallen eines Tages, wenn er ganz oben angekommen war, mit einer gehörigen Portion Loyalität zurückzahlen würde. »Ha! Ich bin dieses Mal schon ziemlich früh nach Hause gegangen.«

Chad stieß ihm verschwörerisch den Ellbogen in die Rippen. »Hab schon gehört, dass du abgehauen bist. Aber viel Schlaf wirst du wohl eher nicht abbekommen haben. War das eine alte Freundin von dir?«

»Ja«, log Todd. Einerseits war er völlig baff, andererseits auch geschmeichelt, dass sein Sexleben in der Firma auf so großes Interesse stieß.

Todd versuchte, aus dem Augenwinkel Taras Reaktion abzuschätzen, und war dankbar, als Chad im nächsten Stock ausstieg und er sich ihr zuwenden und lachend zuraunen konnte: »Männer!«

»Jepp!«, sagte Tara und schenkte ihm ein schmallippiges Lächeln, bevor sie sich wieder ihren E-Mails zuwandte.

Während seines letzten Sommersemesters in Stanford – als sie gerade ihr Studium begonnen hatte – waren sie zwei Mal miteinander im Bett gelandet: das erste Mal nach einer von der weiblichen Studentenverbindung Pi Phi-SAE ausgerichteten Veranstaltung, die unter dem Motto »Landeier« stand. Dieses Event stand bei den Studenten hoch im Kurs, weil alle jungen Frauen ihr Bestes taten, wie Jessica Simpson in Ein Duke kommt selten allein auszusehen, verdammt kurze Shorts trugen, ihre mit Selbstbräuner gebräunten Beine zeigten und geschminkt bis an die Grenzen des Möglichen waren. Alle bis auf Tara, die in einem Overall erschien und mit falschen Zähnen, die sogar Gisele Bündchen verunstaltet hätten. Todd, der hinter der Bar arbeitete, machte sich über Taras Zähne lustig, während sie in ihrem ziemlich angeheiterten Zustand darauf bestand, dass sie echt wären, und vorgab, jetzt beleidigt zu sein. Sie flirteten eine Weile, und er verbrachte die nächste halbe Stunde seiner Dienstzeit als Hüter der Bierfässer damit, sich einen klugen Spruch auszudenken. Als er sie dann später mit dem Alibi-Schwulen der Verbindung Sigma-Epsilon-Alpha Corey tanzen sah, ergriff er die Gelegenheit beim Schopf, um ihn loszuwerden.

»Entschuldige bitte, Tara, aber ich bin noch immer überzeugt, dass diese Zähne nicht echt sind. Ich würde dir das gerne beweisen, indem ich sie dir aus dem Mund hole, am liebsten mit meiner Zunge.«

Sie lachte, wandte sich Corey zu und sagte so laut, dass Todd sie hören konnte: »Der allseits beliebte Todd Kent baggert mich an, Corey. Ich gehe wohl besser mit ihm, oder?«, und wandte sich dann unter Coreys wortgewaltiger Zustimmung (wer hat gesagt, Schwule hätten in einer Bruderschaft nichts verloren?) wieder an Todd: »Oh, okay. Dann wollen wir mal. Aber die Zähne bleiben, wo sie sind.«

Und tatsächlich hielt sie sich die ganze Zeit daran: Beim Herumfummeln und auch später dann beim Sex, während draußen die Bässe dröhnten. Als er aufwachte, war sie schon weg, aber auf seinem Schreibtisch lagen die falschen Zähne mit einem Zettel daran: Souvenir!

Er ging davon aus, dass sie sich bei ihm melden würde, aber er täuschte sich. Eine Woche später verabredete er sich mit seiner guten Freundin Nicole zum Essen in die Studentenschaft, doch als er Tara dort sah, tat sie zunächst so, als würde sie ihn nicht bemerken. Letzten Endes ließ sie sich zu einem »Hallo, du!« herab, als er ihr zur Getränkezapfanlage folgte. »Cola light, oder?«, sagte er und deutete auf ihr Glas, das sie gerade füllte. »Normale Cola«, gab sie zurück und ging zu ihrem Platz zurück.

An diesem Abend betrank er sich und tauchte dann vor ihrem Zimmer im Studentenheim auf.

Sie öffnete ihm die Tür in einem karierten Schlafanzug, doch an mehr konnte Todd sich nicht erinnern. Er wachte in ihrem schmalen Bett auf, ihr nackter Körper lag eingequetscht zwischen ihm und der Wand. Auf dem Nachttisch lag die Verpackung eines Kondoms. Sein Kopf dröhnte, als er sich aufsetzte, um einen Schluck Wasser zu trinken, und dabei einen Teddybären aus dem Bett warf, der schon bessere Tage gesehen hatte.

»Morgen«, hatte Tara gesagt, sich aufgesetzt und das T-Shirt, das sie unter der Bettdecke hervorgezogen hatte, über den Kopf gestreift.

Er griff nach dem Teddy und warf ihn ihr spielerisch zu. »Hübscher Teddy, Ersti.«

»Ha! Danke. Der hat meiner Schwester gehört.«

»Und sie hat ihn dir geschenkt, weil du jetzt aufs College gehst?«, machte er sich lustig.

»Nee. Sie ist tot.«

Sein Herz war merklich nach unten gerutscht. »Scheiße, das wusste ich nicht. Tut mir leid.«

»Nicht deine Schuld«, sagte sie bloß, zog ihre langen Beine unter der Bettdecke vor und stieg über ihn drüber, um sich fertig anzuziehen. Sie bemerkte, wie unwohl er sich fühlte, und sagte zu seiner Erleichterung: »Ich hab ja noch eine.«

Dann schnappte sie sich ihre Duschsachen und ein Handtuch und ging zur Tür. Sie müsse lernen, meinte sie zu ihm, und dass er ruhig noch eine Weile im Bett liegen bleiben und eine Runde schlafen könne. Er war es nicht gewohnt, allein im Bett zurückgelassen zu werden, und felsenfest davon überzeugt, dass alle Frauen das Kuscheln danach und am nächsten Morgen liebten. Deshalb zog er sich an und war weg, noch bevor sie aus der Dusche zurückkam. Und das war’s. Eine Woche danach fanden seine Abschlussprüfungen statt, dann zog er nach New York, und erst fünf Jahre später stellte Lillian Dumas, Managing Director, Equity Capital Markets, die im Clinch mit ihm lag, seit er ihre Annäherungsversuche auf einer Weihnachtsfeier zurückgewiesen und stattdessen mit Suzie Tebow aus der Abteilung Investor Relations abgezogen war, ihm Tara vor. Er hatte Tara in ihrem Maßanzug mit ihrer Longchamp-Tasche und dem ganzen Make-up – Marke berufstätige Frau in New York – erst gar nicht wiedererkannt, und irgendwie stimmte es ihn traurig, dass auch sie zu einem Klischee geworden war.

»Nach dir«, sagte Todd jetzt und hielt ihr die Aufzugstür auf. Er fragte sich, ob sie ihren Teddybären noch immer mit ins Bett nahm.

»Danke.« Sie schlüpfte an ihm vorbei und ging nach rechts davon, er nach links.

Harveys Assistentin ließ Todd zwanzig Minuten vor dessen luxuriösem Büro warten. Ab und zu hörte er den Senior Vice Chairman am Telefon lachen. Zwischen dem zweiundvierzigsten Stock und Todds Büro im siebenundzwanzigsten lagen zwar nur fünfzehn Stockwerke, aber Todd kam die Chefetage vor wie eine andere Welt, mit all den teuren Gemälden an den Wänden und den riesigen Büroräumen, die einen atemberaubenden Blick auf die geschäftige Stadt boten.

»Tut mir leid, dass Sie warten mussten«, sagte Harvey zu Todd, nachdem der das geräumige Eckbüro endlich betreten durfte. Sein Händedruck war kräftiger, als man es von einem Mann von nur ein Meter siebzig Körpergröße erwartet hätte. »Das war mein Immobilienmakler.« Harvey schüttelte den Kopf mit einem vielsagenden Sagt-Ihnen-nichts-aber-vertrauen-Sie-mir-einfach-Blick. »Ich will mir was Neues in East Hampton kaufen. Southampton ist dermaßen überlaufen, unglaublich! Sie haben ja keine Ahnung, was für Leute in letzter Zeit in den Meadow Club gelassen werden.«

»Hört sich nach einer klugen Entscheidung an«, sagte Todd so neutral wie möglich.

»Bitte setzen Sie sich doch«, bot Harvey an, und Todd tat wie ihm geheißen. Harvey lehnte sich zurück, legte die Hände in den Schoß und die Daumen sanft aneinander und sah Todd mit prüfendem Blick in die Augen. Todd spürte, wie sich seine Nackenmuskulatur bis hinunter zu den Schultern verkrampfte – nicht anders war es ihm bei seinen Wasserballturnieren ergangen, sobald er das gegnerische Team zu Gesicht bekam.

»Hmpf«, grunzte Harvey schließlich, verlagerte sein Gewicht und legte seine Arme auf den Schreibtisch zwischen ihnen, als ob er nun alles über Todd wisse, was er zu wissen brauchte.

»Als ich in Ihrem Alter war«, begann er, »diente ich in der Navy. Ich war im Pazifik stationiert und hatte das Kommando über hundertzwanzig Mann, von denen die meisten älter waren als ich damals. Der Krieg war gerade vorbei, und wir mussten sehen, wie wir uns bei den Vietnamesen wieder beliebt machen konnten.«

Todd hielt den Atem an. Er hasste es, wenn ältere Herren von ihrer Zeit beim Militär erzählten.

»Viele von ihnen gingen abends in die Stadt und vergnügten sich im Puff. Es war billig und half ihnen dabei, sich zu entspannen, weshalb es mir egal war.«

Harvey hatte sich sein silberblondes Haar in die Stirn gekämmt, er war braungebrannt wie immer, und er trug einen Anzug von Ermenegildo Zegna über einem gestärkten weißen Hemd mit Manschettenknöpfen von Cartier. Ein aalglatter Wichser der alten Schule.

»Doch dann hatte es Pete satt, immer nur in die Stadt zu gehen. Er machte mit seiner Lieblingsnutte aus, dass sie zu ihm in die Kaserne kommen sollte.« Harvey schüttelte den Kopf und lachte.

»Er war aus Princeton und hielt sich für besonders klug, und sie war ein Dummchen, das kaum ein Wort Englisch sprach. Doch als ich eines Abends in mein Büro ging, ertappte ich sie dabei, wie sie meinen Aktenschrank durchwühlte.«

Todd sah aus dem Fenster. Aus dem grauen Himmel fielen die ersten Schneeflocken.

»Deshalb brachte ich sie um«, sagte Harvey. Todd starrte ihn entsetzt an, und Harvey verzog die Lippen zu einem amüsierten Lächeln. »Die Behörden nahmen Pete deswegen fest, und da ich der Meinung war, es sei in erster Linie seine Schuld gewesen, dass dies überhaupt passieren konnte, ließ ich der Gerechtigkeit ihren Lauf.«

Todd rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Harvey lächelte.

»Tja, Todd, was Pete nicht kapiert hatte, war, dass es Dinge gibt, die man nicht sehen kann. Es gibt Systeme, die sieht man nicht, aber sie sind trotzdem da, und sie sind größer als man selbst.«

Todd hielt die Luft an und war so beunruhigt wie zu Beginn des Gesprächs: Worauf wollte der alte Mann hinaus?

»Und für das System« – Harvey setzte sich plötzlich aufrecht – »sind Sie ein Nichts.« Er legte eine Kunstpause ein, ganz der selbstgefällige Arsch, und lehnte sich dann wieder zurück. »Nun zu Ihnen: Wer soll in Ihrem Team dabei sein?«

Todd musste sich anstrengen, die Augen nicht zu verdrehen. »Neha Patel ist als Analystin mit an Bord, denn sie ist die beste unserer Abteilung und …«

»Sie können Beau als Ihre rechte Hand haben«, fiel ihm Harvey ins Wort.

»Was?« Beau Buckley war Harveys Geschäftsleiter, dessen Nutzlosigkeit sich im ganzen Haus herumgesprochen hatte. Er verdankte seinen bombensicheren Job der Tatsache, dass sein milliardenschwerer Vater einer der Großkunden der Firma war. Jeder wusste, dass er für eine Führungsrolle im Unternehmen vorgesehen war. Deshalb verbrachte er den ganzen Tag damit, sein Netzwerk aufzubauen und zu pflegen – was man allerdings nicht als richtige Arbeit bezeichnen konnte.

»Ich habe schon mit Beau gesprochen. Er kennt die App aus dem Effeff und ist technologieinteressiert. Es wäre eine tolle Erfahrung für ihn, wenn er an einem Deal solcher Größenordnung mitwirken könnte«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

»Bei allem Respekt, aber Beau hat keinerlei Erfahrung mit solchen Projekten, und Josh besteht auf einem kleinen Team …«

»Lillian Dumas ist Ihre Speerspitze für Equity Capital Markets«, fuhr Harvey fort und ignorierte Todds Protest. »Sie hat mich bei der Entwicklung unserer Silicon-Valley-Strategie unterstützt.«

»Auf keinen Fall!« Todd hob beschwörend die Arme. Nicht nur, weil Lillian ihn hasste, seit er vor drei Jahren nicht auf ihre Avancen eingestiegen war. Sie war außerdem so kapriziös, wie eine Frau nur sein kann – die weibliche Ausgabe eines aalglatten Wichsers.

»Und weshalb nicht?«, fragte Harvey in ruhigem, aber bestimmtem Ton.

»Weil sie eine Zicke ist …«, begann Todd und korrigierte sich dann: »Josh wird sich mit ihr im Team nicht wohlfühlen.«

»Sie wollen überwiegend Männer vom Wert einer Online-Dating-Site überzeugen. Sie brauchen eine Frau in Ihrem Team.«

»Wir haben Neha.«

»Ist sie hübsch?«, fragte Harvey geradeheraus.

Todd überlegte kurz. »Tara«, hörte er sich dann sagen. »Tara Taylor kann das übernehmen.«

Harvey sah Todd prüfend an. »Gut. Dann haben wir Ihr Team ja schon.«

»Gut«, bestätigte Todd, obwohl er sich dessen nicht ganz sicher war. Ob das mit Tara wirklich so klug war?

»Das muss ins Zweitquartalsergebnis einfließen.«

Todd hob eine Braue. »Wir haben doch schon März. Wenn es zum Q2-Ergebnis zählen soll, müsste es bis Mitte Mai unter Dach und Fach sein. Sie wissen doch, dass es mindestens dreieinhalb Monate dauert …«

»L.Cecil hat in der letzten Maiwoche einen Prozess vor dem Bundesgerichtshof laufen. Ich brauche den Deal vorher, damit ich den Negativschlagzeilen etwas entgegensetzen kann.«

»Man kann doch IPO-Entscheidungen nicht allein wegen der guten Presse treffen.« Harvey verschränkte die Hände, die noch immer auf seinem Schreibtisch lagen, und wartete ruhig ab.

»Na schön«, sagte Todd. »Wir machen so schnell wir können.«

»Wann ist Ihre erste Teambesprechung?«

»Am Freitag.«

»Ich freue mich auf Ihren Statusbericht.«

»Ich habe keine Zeit …« Todd hielt inne, da er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich aufzuregen. Sollte das doch Neha übernehmen. »Alles klar«, sagte er abschließend.

»Gut«, erwiderte Harvey, griff zum Telefonhörer. Die Besprechung war beendet.

Todd stand da und hatte das Gefühl, er hätte mehr Punkte gemacht als Harvey, das Spiel aber dennoch verloren. Harvey war solch ein Arschloch: Er konnte es kaum erwarten, bis sein Deal über die Bühne war und er den alten Mann in seine Schranken weisen konnte.

TARA

Mittwoch, 5. März; New York, New York

»O mein Gott, ist es zu fassen? George E. geht mit dieser, diesem Bauerntrampel aus? Ich meine, es ist schon geil, dass er – er ist immerhin zig Millionen Dollar schwer – sich mit ganz normalen Frauen trifft. Aber sie? Ausgerechnet sie? Sie sieht doch total fertig aus. O mein Gott, nein, sie ist definitiv nicht attraktiv!« Meagan hörte sich selbst am liebsten reden, vor allem wenn es um den neuesten Klatsch ging.

Tara hielt mitten im Tippen inne und wartete hilflos ab, bis der Redefluss ihrer Kollegin versiegte.

»Zeig mal«, hörte sie Julian sagen, der es immer allen recht machen wollte und der jetzt auf seinem Bürostuhl zu Meagan rollte, um einen Blick auf ihren Bildschirm zu werfen. Damit kam er seiner Pflicht als rangniedriger Mitarbeiter nach, alles zu tun, damit sich VPs wohl in ihrer Haut fühlen.

»Stimmt’s?«, fragte ihn Meagan.

»Findest du seine Sachen denn gut?«

»Natürlich ist der Mann gut: Sein letztes Werk wurde für satte siebzehn Millionen Dollar verkauft.«

»Aber ist er auch ein wirklich begnadeter Künstler?«, wollte Julian wissen.

»Julian, der Wert von Kunst lässt sich nicht objektiv messen – das ist nicht anders als beim Aktienmarkt. Du erinnerst dich? Ich hab dir doch erklärt, dass dort die Wahrnehmung die Realität schafft. Und in der Welt der Kunst verhält es sich genauso. Ist Facebook tatsächlich fünfzig Dollar pro Aktie wert? Was bedeutet das eigentlich? Der Markt sagt Ja, und aus diesem Grund muss es wohl so sein. Und der Markt sagt auch, dass George E. mit jemand Heißerem zusammen sein sollte als mit dieser Tussi.«

Was Tara nicht alles für einen handfesten Skandal geben würde. Der Verstoß ihres Unternehmens gegen die Handelsbestimmungen machte zwar Schlagzeilen, aber das Einzige, was das brachte, war, dass er künftig der Geschäftsleitung als Ausrede dienen würde, ihren Mitarbeitern keine Boni mehr zu gewähren. Was sie brauchte, war eine Firmenpleite, ein zusammengestürztes Schneeballsystem oder Massenentlassungen. Sie arbeitete seit ihrem Abschluss 2004 in Stanford bei L.Cecil, als die Märkte noch viel hergaben, und jeder, der mit einem Einserschnitt von einer Spitzenuniversität kam, wollte unbedingt in einer Investmentbank oder Unternehmensberatung anfangen.