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Vielleicht haben wir uns gerade deshalb gefunden, weil wir beide vom selben Pfad abgekommen sind
Tillie wusste von Anfang an, dass sie sich von Nate Malum-Riverside und dem Elite Kings Club hätte fernhalten sollen. Denn jetzt hat sie das Kostbarste in ihrem Leben verloren. Doch im Moment des größten Schmerzes zeigt Nate sich von einer Seite, die Tillie längst verloren glaubte. Sie ist machtlos gegen die Gefühle, die plötzlich wieder zwischen ihnen auflodern. Dabei weiß sie, dass Nate zu hassen einfach ist - ihn zu lieben dagegen die größte Herausforderung der Welt ...
"Einzigartig und düster!" Musings of the Modern Belle
Band 5 der ELITE-KINGS-CLUB-Reihe von Bestseller-Autorin Amo Jones
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Seitenzahl: 397
Titel
Zu diesem Buch
Motto
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
Danksagung
Triggerwarnung
Die Autorin
Die Romane von Amo Jones bei LYX
Impressum
Liebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle
das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Amo Jones
Bad Romance
Roman
Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz
Tillie wusste von Anfang an, dass sie sich von Nate Riverside und seinem berühmt-berüchtigten Elite Kings Club hätte fernhalten sollen. Dass ihre Gefühle für Nate gefährlich sind, hatte sie bereits mehr als einmal am eigenen Leib zu spüren bekommen. Und doch war sie nicht auf den Abgrund vorbereitet gewesen, in den seine Liebe sie gestürzt hat. Denn Tillie hat das Kostbarste in ihrem Leben verloren. Genau wie Nate, der sich im Moment des größten Schmerzes plötzlich von einer Seite zeigt, die Tillie längst verloren glaubte. Auf einmal erkennt sie in ihm wieder den Jungen, in den sie sich einst verliebt hatte, und ist machtlos gegen die Gefühle, die erneut zwischen ihnen auflodern ‒ obwohl das alles nur noch schwerer macht. Denn, wenn Tillie eins gelernt hat, dann, dass Nate zu hassen einfach ist – ihn zu lieben dagegen die schwerste Probe, die das Leben ihr auferlegen könnte …
Nuncupatura
Dieses Buch ist meinem Wolfsrudel gewidmet. Das zu mir hält, wenn ich mich selbst verliere, und mit dem ich jeden Tag lachen, weinen und wichtige Nachrichten tauschen kann. Dieses Buch gehört euch.
Nate drückt mich gegen die kalte Zellenwand und durchsucht mich. »Das gefällt dir, wie, Princessa?«
Ich schüttele den Kopf, ich will nicht zeigen, dass ich Angst habe. Nate reagiert auf Angst wie Haie auf Blut. Er riecht Angst und glaubt, es sei Fütterungszeit. »Nein. Was machst du, und weshalb bin ich hier?«
Ich spähe über Nates Schulter und sehe Brantley, der mich nicht aus den Augen lässt. »Brantley?«
Doch gerade als ich denke, er würde etwas sagen, mich zum Beispiel zurechtweisen, weil ich ihnen Fragen stelle, klappt er den Mund wieder zu. Dann sehe ich ihn durch die Tür verschwinden, durch die wir hereingekommen sind.
»Er wird dir nicht helfen. Warte hier und rühr dich nicht von der Stelle, Tillie. Wenn du versuchst zu fliehen, töten wir dich.«
Ich habe keine Ahnung, wieso ein Teil meines Verstandes nicht glaubt, dass er dazu fähig ist. Aber man hält einen Menschen doch nicht während aller möglichen Probleme am Leben, um ihn dann auszuknipsen, nur weil er mal nicht zugehört hat. Nate grinst, als könnte er hören, was ich denke. Dann weicht er langsam zurück, verlässt meine Zelle und schiebt den Riegel vor.
»Wir tun alles, was wir tun, aus einem bestimmten Grund, Tillie. Schon vergessen?«
Ohne den Köder zu schlucken, lasse ich mich an der kalten Wand abwärtsgleiten, bis ich auf dem Hintern lande. Die Stille zieht sich, bevor ich höre, wie sich die Tür erneut öffnet und schließt, dann sehe ich aus dem Augenwinkel Brantleys Stiefel in Sicht kommen.
»Was willst du, Brantley? Ihr habt gewonnen, also geht feiern, zieht euch noch mehr Kokain durch die Nase oder legt noch mehr Mädchen flach …« Solange die Jungs noch hier sind, will ich nicht mit Daemon sprechen, und ein Teil von mir versucht immer noch, meinen unberechenbar von Ast zu Ast springenden Verstand über die zahllosen Möglichkeiten zu beruhigen, warum und wieso er überhaupt noch am Leben ist.
Brantley löst den Riegel, das Klirren von Metall reißt mich aus meinen Gedanken. Er öffnet die Zellentür und tritt ein. Als er sich zu mir herabbeugt und die Ellbogen auf die Knie stützt, ringe ich mich tapfer dazu durch, den Blick zu heben und ihn anzusehen.
Seine Hand nähert sich meinem Gesicht. »Küss mich!«
»Was?«, frage ich irritiert. Da fällt mein Blick auf seine geschwollenen Lippen.
Er drückt meine Wangen leicht zusammen, sein Gesicht kommt immer näher. »Küss. Mich.«
Ich beuge mich vor, bis sich unsere Lippen berühren, warm, samtweich, nur ein Hauch. Ich schlinge die Arme um seinen Nacken, ein Stöhnen entfährt mir, als ich ihn an mich ziehe. Ich küsse ihn, weil ich wütend bin, ich küsse ihn, weil ich gekränkt bin und weil Nate uns wahrscheinlich irgendwie beobachtet. Als seine Zunge in meinen Mund gleitet, lässt sein Eindringen den angehaltenen Atem ausstoßen. Sein Kuss ist so berechnend wie sein Wesen. Ja, er gibt viel, aber nie zu viel. Nun saugt er an meiner Unterlippe und zeichnet dann mit seiner Unterlippe die Konturen nach. Er fasst mich um die Taille und zieht mich hoch. Massive Schenkel spreizen mir die Beine, grätschen sie weit, dann lässt er sich gegen mich sinken und stößt mich gegen das Zellengitter. Die Hände unter meinen Schenkeln, hebt er mich hoch, und ich schlinge die Beine um ihn, während sein Mund sich weiter an mir weidet. In meinem Bauch flattert etwas, mein Innerstes pocht. Ich will ihn. Bis zu einem gewissen Punkt habe ich ihn immer schon gewollt, und nun, da Nate endgültig mein allerletztes Vertrauen in ihn erschüttert hat, hält mich nichts mehr zurück. Wenn man einen Menschen nur lange genug verletzt, gewöhnt er sich irgendwann an den Schmerz, doch wenn man die Wunden nicht schließt, verblutet er schließlich.
Brantley weicht zurück, stellt mich wieder auf meine Füße und greift nach meiner Hand. »Jetzt schuldest du mir das Doppelte dafür, dass ich ihn zur Weißglut gebracht habe, und, Prinzessin, diese Schuld werde ich eintreiben.« Er schleift mich weiter über den Zellenboden, schließt die Zelle neben Daemons auf und schubst mich hinein. Ich drehe mich in dem Moment um, als er die Tür zuschlägt.
»Brantley …« Ich will mich entschuldigen. Ich will ihm so vieles sagen.
Er schüttelt den Kopf. »Tu’s nicht, Tillie.«
Er hat mich mehr als einmal vor Nate gerettet, und ich weiß, dass ich ihm dafür etwas schuldig bin, aber bevor ich ihm meinen Dank aussprechen kann, ist er schon gegangen, und ich lasse mich, kaum höre ich die schwere Stahltür ins Schloss fallen, auf meinen Hintern sinken, winkle die Beine an und sehe zu Daemon hinüber.
»Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest.«
Daemon kriecht näher und umklammert die Gitterstäbe zwischen den Zellen. »Ich habe Schlimmeres gesehen, Puella.«
Mein Herz zieht sich zusammen, als ich meinen Spitznamen aus seinem Mund höre. Ich dachte nicht, dass ich ihn je wieder hören würde. »Ich glaubte, du seist tot, Daemon. Wir alle haben das geglaubt. Und um dich getrauert.« Mir kommt Madison in den Sinn, und ich zucke zusammen. »Wusste jeder Bescheid außer mir?«
Daemon schüttelt den Kopf. Die Jeans, die er am Leib trägt, ist völlig ramponiert, und sein T-Shirt hat auch schon mal bessere Tage gesehen. »Nein.«
Ich massiere mir die Schläfen. »Mein Gott. Madison weiß gar nicht, dass du noch am Leben bist?«, schreie ich kopfschüttelnd. Ein kleiner Teil von mir ist egoistischerweise erleichtert, dass meine beste Freundin mich nicht hintergangen hat, aber der größere Teil fürchtet sich davor, was passieren wird, wenn sie es herausfindet. Sie und Bishop sind bereits auf dem Kriegspfad. Ich will mir gar nicht erst vorstellen, was passieren wird, wenn sie dahinterkommt, dass er ihr das größte aller Geheimnisse verschwiegen hat und ihr verdammter Zwillingsbruder noch am Leben ist. Mein Blick fliegt zu der kleinen Kamera in einer Ecke meiner dunklen Zelle, deren rotes Licht signalisiert, dass wir beobachtet werden, aber ich achte nicht darauf.
Da ertönt ein leises Kichern aus der Ecke, und ich erstarre. »Wer ist da?«
Daemon kriecht zurück, und auch wenn wegen der Dunkelheit nicht viel zu erkennen ist, erhasche ich einen Blick auf die Narbe in seinem Genick, die sich bis nach vorne zieht. Wie hat er es verdammt noch mal geschafft zu überleben?
Ich kneife die Augen zusammen, um die Silhouette, die sich in der dunkelsten Ecke meiner Zelle versteckt hat, besser erkennen zu können. »Wenn du das wieder bist, Nate, schwöre ich, diesmal schneide ich dir den Schwanz ab.«
Wieder ein Kichern, und dann tritt die Gestalt aus dem Dunkel ins schwache Licht, das sich mühsam den Weg durch die Gitterstäbe des kleinen Fensters bahnt. Er trägt einen dunklen Kapuzenpulli, die Kapuze verdeckt fast sein ganzes Gesicht, trotzdem kann ich die scharfen Konturen seines Kinns erkennen. Seine Jeans sind zerfleddert, weil sie abgetragen sind, nicht aus modischen Gründen. Ein schwerer schwarzer Gürtel hängt tief um seine Hüfte. Mein Blick schweift über seine Arme, und ich sehe Tattoos unter seinen langen Ärmeln hervorlugen, die sich bis auf die Handrücken schlängeln. Ich lasse meinen Blick weiter zu seiner breiten Brust wandern, mit dem Nike-Emblem auf dem Shirt, und von dort zu seinem Hals. Sein Hals. Mir wird kalt, und ich lecke mir die Lippen. Sein Hals ist vollständig von dunkler Tinte bedeckt, Totenschädel, Rosen und irgendeine Inschrift. Darunter gleichmäßig gebräunte Haut. Ich hole tief Luft und betrachte seine Lippen. Die Oberlippe hat den perfekten Schwung und ist an den richtigen Stellen geschwungen, die Unterlippe ist ein wenig voller. Sein Kinn ist markant und symmetrisch, die hervortretenden Wangenknochen bilden eine perfekte Linie, die Wangen darunter wirken eingefallen. Dann endlich sehe ich in seine Augen.
Heilige. Scheiße.
»Kenne ich dich?«, flüstere ich und kann keinen klaren Gedanken fassen. Er ist eine Schönheit. Aber er kommt mir bekannt vor. Sehr bekannt sogar.
Er zieht sich mit einer Hand die Kapuze vom Kopf und schiebt sie sich in den Nacken. »Nein.«
»Aber …«
Seine Kiefer mahlen, sein Blick fliegt zu dem Körper in der gegenüberliegenden Zelle. Ich kann nicht aufhören, ihn anzustarren. Ich sollte besser damit aufhören. Er könnte leicht der zweitheißeste Typ nach Nate sein, den ich jemals gesehen habe. Früher war das mal Bishop, aber … ich erstarre, und all meine Sinne sind in Alarmbereitschaft, als ich einen Schritt nach vorne mache, ihn mit einer Hand am Kinn packe und zwinge, mich anzusehen.
Aber seine smaragdgrünen Augen geben nichts preis.
Ich halte den Atem an und verstärke meinen Griff.
Er verzieht den Mund zu einem finsteren Grinsen. Von der Art, die ich mehr als gut kenne, nur dass dieses Grinsen echt furchterregend ist. »Ja, sieht ganz danach aus, als gäbe es da eine Verbindung, von der du weißt.«
»Verbindung?« Ich schnappe nach Luft, schüttele meinen Kopf und lasse den armen Jungen los.
Er renkt sich den Nacken ein. »Offenbar habe ich einen Bruder, und allem Anschein nach sehen wir aus wie Zwillinge.«
Ich leckte mir über die Lippen. »In der Tat. Weiß Bishop, dass du hier bist?«
Er grinst, und sein Blick wandert zu der Kamera in der Ecke. »Sicher weiß er das …«
Er deutet auf Khales. Eine ziemlich tote Khales. »Mit ihr wollte ich das Ruder herumreißen. Glaub nur nicht, dass du sie mit einem Streich hättest erledigen können.«
Ich ignoriere seine Handbewegung in Richtung der Leiche und behalte ihn fest im Blick; ich kann die Intrige förmlich riechen. »Was hat sie dir angetan, und was – wie kommst du eigentlich hierher?«
Er schüttelt den Kopf. »Zu viel, um das jetzt zu erklären, aber sie hat meine Mutter umgebracht. Ich war in der Unterzahl. Ich wusste nichts von Bishop, bis ich hier ankam, und sie hielt ihn mir wie einen Köder vor die Nase und wartete nur darauf, dass ich zubeiße.«
Es gab so vieles, was ich noch wissen wollte, doch das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Stattdessen schaue ich ihn stumm an, bis ich die richtigen Worte gefunden habe.
»Also hat dich Khales hierhergebracht?«
Er nickt und setzt sich auf den Boden. Ich tue es ihm gleich und lasse mich, mit gebührendem Abstand, ihm gegenüber auf den Boden sinken. Ich kenne weder ihn noch seine Geschichte, und die Tatsache, dass ich hier mit ihm in einer Zelle eingesperrt bin, lässt bei mir sämtliche Alarmglocken klingeln.
Er zieht sich wieder die Kapuze über den Kopf. »Mein Name ist Abel, ich bin Bishops jüngerer Bruder. Derselbe Dad, unterschiedliche Mütter. Ich gehe immer noch auf die verdammte Highschool, und ich kämpfe im Käfig.«
»Nun ja, definitiv unterschiedliche Kinderstuben«, murmele ich.
Abel zuckt mit den Schultern. »Immerhin hat’s meiner Mutter geholfen, mich großzukriegen. Ich hab auf die harte Tour gelernt, nicht auf die privilegierte Art.«
Eine Million Gedanken sausen durch meinen Schädel, aber einer drängt sich hartnäckig in den Vordergrund und lässt mich innehalten. »Warum? Warum hat sie dich hierhergebracht?«
Er zuckt wieder mit den Schultern, zieht ein Bein zu sich heran und stützt die Ellbogen auf die Knie. »Lange Geschichte.« Er sieht mich mit stechendem Blick an, und ich brauche einen Augenblick, um wieder runterzukommen. »Ich habe von dir gehört.«
»Tatsächlich …« Ich zucke mit der Augenbraue und ziehe die Knie an den Leib. Ich reiße mich zusammen, um nicht zu Daemon hinüberzusehen. Die Vorkommnisse sind mir immer noch nicht klar. Irgendetwas geht hier vor, etwas, das ich nicht ganz kapiere. »Was hast du denn über mich gehört?«
Abel grinst. »Dass du ein Baby von einem King gekriegt hast. Und dass Katsia deine Mutter war.«
Wie manche Leute einen mit ihrer Persönlichkeit manipulieren können und so darüber bestimmen, was du von ihnen hältst, ist echt Scheiße. Unglücklicherweise ticken die meisten von uns so, darin bin ich ein verdammter Experte.
Ich schlage die Tür zu, schüttele den Kopf und laufe im Zimmer auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Brantley beobachtet mich von der anderen Seite des Tisches, mit einem selbstzufriedenen Grinsen im Gesicht.
»Was zur Hölle war das?«, frage ich herausfordernd, mit dem Rücken zu ihm.
Er zögert nicht mit der Antwort. »Das war eine wütende Tillie, und du weißt, was passiert, wenn sie wütend ist …«
Ich beiße die Zähne zusammen und lache in mich hinein. »Oh, Bruder, du hast ja keine Ahnung …«
Die Tür schlägt hinter mir zu, ich drehe mich um, umklammere die Stuhllehne und sehe Bishop leichenblass hereinspazieren. Seine Augen blicken ins Leere. Jegliche Regung und Farbe sind aus seinem Gesicht gewichen. Augenblicklich bin ich in Alarmbereitschaft, weil mir der Gedanke an Madison durch den Kopf schießt. »Was stimmt nicht?«
Bishop sieht mir in die Augen. »Sieht so aus, als hätte ich einen Bruder.«
Es folgt eine Pause, während der wir die Nachricht verdauen.
»Was soll das heißen, einen Bruder?«, fragt Eli und lehnt sich über den Tisch. Cash sitzt neben ihm, kaut auf einem Zahnstocher herum und lässt ihn von einem Mundwinkel zum anderen wandern.
Bishop rauft sich die Haare und fängt an, wie ich nervös auf und ab zu laufen. Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Er ist gewöhnlich eher der ruhige und gefasste Typ, aber seit einer Weile scheint ihm das abhandengekommen zu sein. Ich habe ein paar Theorien darüber, warum er gerade so ist, aber ehrlich gesagt habe ich alle Hände voll mit dem zu tun, was in meinem eigenen Leben abgeht, dass ich nicht mal in der Lage wäre zu sagen, wann alle angefangen haben durchzudrehen. Ich würde sagen, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Micaela noch am Leben war.
»Spielzeit, Jungs.« Hector grinste, beugte den Kopf und kaute auf der dicken Zigarre herum, die ihm aus dem Mund hing. »Bevor ihr euch aufregt, denkt daran, dass ich dem Mädchen garantiert habe, dass ich einen Weg finde, sie lebendig hier herauszuholen, und wir brechen unser Wort nicht.«
»Warum!«, schnappte ich, als wir in den Aufzug stiegen. »Was hat dich veranlasst, ihr das zu versprechen?«
»Weil sie die Insel kontrollieren kann, wenn wir das für erforderlich halten. Sie denken immer noch, dass sie eine Stuprum ist. Und dafür brauchen wir sie lebend. Und da ist noch eine andere Sache, um die ich mich hinter den Kulissen kümmere. Mir wurde zugetragen, dass sie versucht hat, die Macht zu übernehmen …« Seine Stimme erstarb, und eine ergreifende Melodie dringt in meine Ohren.
Alles, was ich will, ist meine Tochter. Alles andere interessiert mich im Augenblick einen Scheiß. Die sanfte Melodie, die aus den Lautsprechern drang, war der armselige Versuch, die aus unseren Poren dringenden Pheromone zu unterdrücken. Wir waren insgesamt zwölf, zwei standen unten Wache, und einer machte den Späher vom Gebäude gegenüber. Nur als Vorsichtsmaßnahme. Nicht dass es uns Spaß machte, jemanden aus dem Weg zu räumen, aber falls einer von den Kings in Gefahr geriet und keiner von uns konnte ihm helfen, war es besser, einen einfachen Schuss anbringen zu können als gar keinen. Alle waren auf ihren Positionen, und ich konnte es verdammt noch mal kaum abwarten, meine Tochter in die Arme zu schließen.
Mit jedem Stockwerk, das der Aufzug höher stieg, schlug mein Herz mehr im Gleichtakt mit ihrem. Ob sie sich daran erinnern würde, wenn sie älter war? Scheiße, ich hoffte nicht. Der Aufzug läutete, die Türen öffneten sich. Hector hob den Kopf, trat nach vorne, und ein leichtes Grinsen umspielte seinen Mund. Wir waren in dem Penthouse mit dem Marmorboden und den weißen Sideboards gelandet. Als ich einen Schritt aus dem Aufzug machte, hätte ich darauf schwören können, dass ich sie riechen konnte. Was mir in die Nase stieg, war die Kombination aus kindlicher Unschuld und Tod, die mir nichts ausgemacht hätte, wenn es sich nicht um meine Tochter gehandelt hätte. Peyton betrat mit sechs Männern das Wohnzimmer und verlangsamte ihren Schritt. Sie hatte meine Tochter auf dem Arm und wiegte sie zärtlich.
»Schau, mein Baby, da ist Daddy …«
Ich knurrte sie an, bereit zum Sprung, aber Bishops Hand packte meinen Arm. »Gib mir meine verfluchte Tochter.«
Peyton verdrehte die Augen. »Immer gleich so dramatisch, Nate. Sag, wie weh hat es getan, dass Tillie sie von dir ferngehalten hat?«
Ich biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste.
Aber Bishops Hand auf meinem Arm hielt mich zurück. »Gib mir Micaela, Peyton, vielleicht bleibt unser Deal dann bestehen …«
Ich gluckste leise, trat einen Schritt zurück und fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Im Leben ließ ich die Hexe nicht davonkommen, nachdem sie mir mein Kind genommen hatte.
Sie sah mich an, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Komisch, aber aus irgendeinem Grund glaube ich nicht, dass ich hier lebendig rauskomme.«
Ich widersprach ihr nicht, um sie zu beruhigen, auch wenn sie sich das verzweifelt wünschte. Ich war kein verdammter Lügner. Ich zog meine Lederjacke aus, dann mein T-Shirt und steckte es hinten in den Bund meiner Jeans. Dann grinste ich Peyton an, sie schluckte und sah Bishop an, als machten sie einen stillen Handel aus. Etwas, wozu ich später noch kommen werde. Sie schob sich an Bishop heran und legte Micaela in seine Arme.
Kaum wusste ich sie in Sicherheit, stürzte ich nach vorne, schob Peyton aus dem Weg, und schon war meine Hand an Carters Kehle. Nur Peyton schrie im Hintergrund, alle anderen verfielen in Schweigen. Ich drückte hart zu, bis ich seine Kehle unter meiner Hand knirschen fühlte. »Du hast keine Vorstellung, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe …«
»Geht es auch ein bisschen weniger theatralisch? Hier ist ein Baby im Raum. Ich weiß nicht, aber das erscheint mir jetzt ein bisschen fehl am Platz …«, murrte Eli aus dem Hintergrund.
»B?«, brummte ich, ohne Carter aus den Augen zu lassen.
Ich wartete ein paar Sekunden, bis ich mir sicher war, dass Bishop sie außer Sichtweite gebracht hatte.
Für einen kurzen Moment riss mich das aus meiner Wut, allerdings nicht lange genug, um Carter nicht zu töten, jedoch lange genug, um mich an das Messer an meinem Gürtel zu erinnern. Ich zog es und schlitzte ihm in einer fließenden Bewegung die Kehle auf, bis meine Brust über und über mit seinem Blut bespritzt war.
Brantley kicherte hinter mir und legte mir seine Hand auf die Schulter, als Carters Körper mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden aufschlug.
»Tss, tss, ich kann euch nicht einen Moment aus den Augen lassen«, kommentierte Hector die Szene.
»Ich hasse ihn«, antwortete ich ehrlich.
Ich warf einen Blick auf Bishop und sah ihn grinsen, während er Micaelas Augen und Ohren zuhielt. »Wofür? Weil du hier mit drinsteckst, oder weil du einen Ständer bekommst, wenn du Tillie siehst?«
»Legst du mich auch um, wenn ich dir sage, dass sie das gewisse Etwas hat?« Brantley packte sich demonstrativ in den Schritt.
Ich rempelte ihn an und wischte mir das Blut aus dem Gesicht. »Leck mich.«
Hector schüttelte den Kopf wie ein Vater, der mit seinem Nachwuchs schimpfte, bevor er sich an die drei Männer wandte, die Peyton noch hinter sich hatte. »Gibt’s hier ein Problem?«
Die drei schüttelten einhellig den Kopf.
»Gut. Denn wenn ich euch noch einmal sehe, dann macht ihr Bekanntschaft mit meinem Rohrstock. Ende der Fahnenstange. Das gilt auch für dich, Peyton.«
Peyton sagte nichts, aber sie suchte fieberhaft nach Hectors Blick. »Kann ich gehen?«
»Man kann ja viel über mich sagen, junge Dame, aber wir haben dir unser Wort gegeben. Du gibst uns seine Tochter zurück und im Gegenzug lassen wir dich am Leben.«
Der Schutt hat sich in mein Fleisch eingegraben, meine Kehle ist vor Durst wie ausgedörrt.
»Daemon?«, flüstere ich heiser und sehe hinüber zu seiner Zelle.
Er kommt näher, bis er sich Rücken an Rücken gegen mich lehnen kann. Ein Gefühl der Wärme durchflutet mich, ich seufze und lasse den angehaltenen Atem heraus.
»Was ist, Puella?«
»Wie kannst du noch am Leben sein? Ich habe von deinem grausamen Tod gehört. Du bist gestorben.«
Als er nicht sofort antwortet, wende ich mich zu ihm um, lege meine Hand in seinen Nacken und drehe seinen Kopf zu mir herum. »Wie?«
Sein Blick sucht meinen, leere schwarze Höhlen, die nichts verraten. Daemon bricht mir das Herz. Er war von Beginn an verdammt und hatte nie eine faire Chance. Noch weniger als ich oder – ich schaue zu Abel, der seinen Kopf gegen die kalte Mauer lehnt und sich die Kapuze über die Augen zieht – vielleicht sogar als er.
Ich wende mich wieder Daemon zu. »Was also ist geschehen?«
Daemon beginnt langsam zu erklären. »Sie haben die Teile repariert, die sie konnten, und die anderen …«
»Die anderen?«, flüstere ich und lege meine Hand auf seinen Arm.
»Sind immer noch kaputt.«
»Du bist die ganze Zeit da gewesen?«, frage ich, und Ärger steigt in mir hoch.
Er schüttelt den Kopf. »Nein, Micaela –«
Nun schüttele ich den Kopf. »Nein, Daemon. Ich will nicht über sie reden.«
Er macht ein langes Gesicht. »Okay, Puella.«
»Ich werde uns hier rausbringen«, sage ich und streiche mit einer Hand Daemons Arm auf und ab. Ich richte den Blick auf Abel, der mich längst fest im Blick hatte. »Jeden von uns.«
Abel sieht mich befremdet an, sagt aber nichts weiter.
Eine Tür geht auf und fällt wieder ins Schloss. Passend zu meinem Herzschlag hallen Schritte durch den kalten Korridor.
Ich weiß, ohne hinzusehen, wer es ist.
»Lass mich raus«, sage ich mit tonloser Stimme.
Aus dem Augenwinkel sehe ich seinen Schatten und dann, wie er sich auf Augenhöhe zu mir niederkniet.
»Ich dachte, du hättest nichts gegen Spielchen?« Nates Stimme versetzt mir einen Stich ins Herz.
Ich sehe ihn an, seine Augen sind leer und ausdruckslos. »Nur wenn ich die Regeln vorgebe.«
Ich versuche zu verdrängen, was Nate mit mir anstellt, aber ohne Erfolg. Nate gegenüber werde ich immer machtlos sein, aber wenigstens bestimme ich, wie ich nach außen erscheine, und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Keine Gefühle zeigen und so.
Er steht auf, wischt sich die Hände an der Hose ab und schließt die Zellentür auf. »Ihr müsst mit mir kommen. Alle beide.«
Ich schaue über die Schulter zu Abel. »Ich nehme an, Bishop weiß inzwischen von ihm?«
Als Nate nach meiner Hand fasst, durchzuckt mich ein Stromschlag, der mich zurückfahren lässt.
Wir setzen uns in Bewegung und folgen Nate, der mit kreisenden Schultern den Flur hinuntergeht. Er schließt eine schwere Metalltür auf, drückt sie auf und führt uns eine Treppe mit mächtigen, rechteckigen Steinstufen hinauf. Wie auf einer mittelalterlichen Burg sind die Treppenstufen von Kerzen erhellt, und die Mauern sind mit sehr teuer aussehenden Gemälden in schweren goldenen Rahmen geschmückt.
»Nate?«, flüstere ich, aber er gibt keine Antwort.
Am Ende der Treppe angekommen, treffen wir auf eine weitere Tür. Er öffnet sie, und schlagartig ist die mittelalterliche Atmosphäre verschwunden. Wir stehen in der Vorhalle der herrschaftlichen Villa mit Marmorboden, weißen Wänden, bestückt mit modernen Möbeln, und von überall her glitzert Kristall. Ich folge Nate durch die Halle bis zum Ende, wo sie in den nächsten Raum übergeht und er stehen bleibt.
Er dreht sich zu uns und sieht mich mit hartem Blick an.
»Warum?« Das ist das Einzige, was mich interessiert, seit ich in dem Kerker gelandet bin. »Hat dir das alles nichts bedeutet? Hat sie dir nichts bedeutet?«
Er packt mit einem schnellen Griff nach meiner Kehle. »Wage es nicht, je wieder von ihr zu sprechen.«
Ich schlage seinen Arm weg, stoße ihm mein Knie zwischen die Beine und lande einen Volltreffer in seine Kronjuwelen. »Auch ich habe sie verloren, du Arschloch.«
Der Tritt hat gesessen, denn er lässt von mir ab, weicht einen Schritt zurück und wird blass. Aber es ärgert mich, dass er nicht mal ins Straucheln gerät. Es wäre mir lieber, er wäre vor Schmerz zumindest vor mir auf die Knie gefallen.
Doch ich gehe achselzuckend darüber hinweg und betrete den Raum, der groß genug ist, um dort eine Geschäftskonferenz abzuhalten. In der Mitte steht ein langer rechteckiger Tisch mit etwa zwölf akkurat darum aufgestellten Stühlen. Und auf jedem der Stühle sitzt ein King. Bishop sitzt am Kopfende, und als Abel und ich eintreten, fällt sein Blick sogleich auf ihn.
»Hinsetzen.« Bishop zeigt auf die Stühle, und ich gehe hinüber, Abel folgt mir auf dem Fuß.
Wir nehmen Platz, Nate setzt sich auf den freien Stuhl neben mir, und seine Nähe verursacht mir Unbehagen.
»Verrate mir, warum Khales dich in eine Zelle gesperrt hat und warum du mir so verflucht ähnlich siehst.«
Abel schiebt sich die Kapuze vom Kopf.
Nate kichert. »Zwillinge?«
Abel schüttelt den Kopf. »Nee. Unterschiedliche Mütter.«
Bishop beißt sich so fest auf die Zähne, dass ich befürchte, dass sein Kiefer bricht. »Weiter.«
»Khales hat meine Mutter als Köder benutzt, seitdem ich ihr auf der letzten Party begegnet bin. Wir haben gevögelt, und dann haben wir noch mehr gevögelt. Jetzt ist mir auch klar, warum …« Abel fährt sich mit den Fingern durchs Haar. »Sie hat mir von dir erzählt und über das, was ich ihrer Meinung nach wissen durfte, reinen Wein eingeschenkt, allerdings nicht über alles, was ich hätte wissen müssen. Sie hat mir erzählt, dass ich einen Bruder habe, der aber nichts von mir weiß. Vor ein paar Tagen hat sie mich mit jemand anderem im Bett erwischt. Darüber ist sie völlig ausgerastet und hat verdammt noch mal meine Mutter kaltgemacht, bevor sie mich hierher verschleppt hat.«
»Das sieht ihr ähnlich«, murmele ich. Nates kräftiger Oberschenkel drückt unter dem Tisch gegen meinen, und bei der Berührung zieht sich mein Inneres zusammen, aber nach außen koche ich vor Wut.
Bishop schweigt kurz und neigt nachdenklich den Kopf. »Warum hat sie dich behalten? Das ist die Frage. Nicht dass deine Existenz für mich total überraschend kommt, aber Khales hat niemals spontane Entscheidungen getroffen. Alles, was sie tat, war berechnend.«
Abel zuckt die Schultern. »Ich hab keine verdammte Ahnung. Irgendeinen Grund wird sie schon gehabt haben.«
Bishop nickt und fährt sich mit den Fingern über den Mund. »Wir werden es herausfinden.«
Mein Blick trifft auf Brantley, der mich bereits ins Auge gefasst hat. »Was ist los, Bran Bran? Was glotzt du mich so an?«
Perdita tut meiner Seele nicht gut. Ich kann buchstäblich fühlen, wie die Insel ihre Klauen in mich schlägt. Ich muss dringend hier weg, wenn ich nicht verrotten will. Ich muss fliehen und Daemon und Abel mit mir nehmen.
Brantley fletscht, ohne zu zögern, lächelnd die Zähne. »Bran Bran? Ziemlich gewagter Spitzname aus dem Mund von jemandem, den ich ohne vorherige Erlaubnis durchvögeln könnte, findest du nicht?«
Ich sehe ihn an und gebe das Grinsen zurück. »Wer sagt denn, dass dir die Erlaubnis nicht erteilt würde, Bran Bran?«
»Tillie!«, fährt Bishop mich an, und ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Chef der Runde.
»Ja?«
Bishop rührt sich nicht und sieht mich mit dem stechenden Blick an, mit dem ich ihn nur zu oft auch Madison habe anstarren sehen. Nicht so lustig, wenn man diejenige ist, die ihn abkriegt. Aber das werde ich ihn nicht merken lassen. Wenn du einmal vor einem König buckelst, wird er dich den Rest deines Lebens dazu zwingen, ihm die Füße zu küssen.
»Lass mich gehen –«
»Nein«, fährt Nate dazwischen, und ich konzentriere mich ganz auf ihn.
Der Tisch ist voll besetzt mit Kings, und Abel sitzt zu meiner Rechten, doch der Einzige, den ich wahrnehme, ist Nate. Und mich beschäftigt die eine Frage, warum er glaubt, dass er mich hier festhalten kann.
»Warum!« Ich werfe dramatisch die Arme in die Luft.
Wenn er mich ansieht, wird mir die Brust eng. Sein Blick ist so eindringlich und stark, dass er mir jede erdenkliche menschliche Regung entlocken könnte. Ich habe Gefühle für Nate. Ich liebe ihn, aber das werde ich ihm niemals zeigen. Unmöglich. Hast du erst jemandem deine Liebe offenbart, dann gibst du ihm Macht über dich, und in diesem Fall auch meine Vergebung. Ich werde ihn nicht gewinnen lassen. Nicht dieses Mal, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit.
Nate lehnt sich vor und stützt seine Ellbogen auf den Tisch. »Weil ich es nicht will.«
Ich warte, während ich seine Worte sacken lasse, blinzele ein paarmal und zähle langsam bis zehn, bevor ich den Mund öffne. »Weil du es nicht willst?« Ich lasse meinen Blick über den Tisch schweifen und bleibe an Bishop hängen. »Willst du mir sagen, der Grund dafür, dass ich hier festsitze, ist nur, dass er es so will, und damit hat sich’s?«
Bishop grinst. »Das, und weil ich nicht zulassen kann, dass du zu Madison zurückrennst und ihr brühwarm sämtliche Geheimnisse offenbarst.«
Diesmal erstarre ich und balle unter dem Tisch die Fäuste. »Sie hat keine Ahnung von Daemon, oder?«
Bishop streicht mit dem Zeigefinger über seine Oberlippe und schüttelt grinsend den Kopf. »Nein.«
»Warum tust du ihr das an, Bishop? Ihr Typen seid doch zuverlässig. In Stein gemeißelt. Ein verdammtes Irrenhaus? Warum?«
Er scheint über meine Worte nachzudenken und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. »Du willst also wissen, warum es in letzter Zeit so viele Kämpfe gegeben hat?«
»Ja, das will ich.« Auch wenn ich mir sicher bin, dass er mir das nicht verraten wird.
Bishop beantwortet eine Frage immer mit einer Gegenfrage, oder er drückt sich so undeutlich aus, dass man weiter im Dunkeln tappt.
Bishop öffnet den Mund, aber als er etwas sagen will, fährt der verdammte Nate schon wieder dazwischen. »Tu’s nicht.«
Bishop richtet den Blick auf Nate, und ich kann sehen, wie Bishops harte Fassade zu bröckeln anfängt. Für einen kurzen Augenblick sieht er sogar verwundbar aus. Verletzt. Betrogen.
Scheiße, Madison. Was hast du angerichtet?
Bishop schüttelt sich und reißt sich zusammen. »In Ordnung. Aber früher oder später wird sie es herausfinden. Du kannst sie nicht vor allem beschützen, Nate.«
Ich schlucke, denn Bishop muss richtig scheiße drauf sein, wenn er so was sagt. Und nur ich weiß, dass es so ist.
Abel, der bisher keinen Ton von sich gegeben hat, meldet sich nun auch zu Wort. »Und was wird aus mir?«
Bishop sieht ihn an und leckt sich die Lippen. »Was hältst du von ein wenig Blutvergießen?«
Ich fahre mir mit den Fingern durch die Haare und betrachte den Sonnenaufgang über den Bäumen hinter der Villa. Ich hasse es, länger als einen Tag auf Perdita bleiben zu müssen, aber wir haben schon den zweiten Tag, verdammte Scheiße, und ich kriege langsam einen Lagerkoller. Ich stehe kurz davor, irgendeinen Penner einfach abzuschlachten, wenn er auch nur ein falsches Wort sagt. Bishop hat sie aus dem Kerker gelassen. Abel ins Verlies zu werfen gehörte nicht zu unserem Spiel, sondern zu Khales’. Wir sehen in keinem von ihnen eine Bedrohung, und es gibt keine Möglichkeit, wie sie aus dem Haus entkommen können, geschweige denn von dieser verdammten Insel.
Hinter mir höre ich, wie sich die Schlafzimmertür öffnet und wieder schließt, und als Erstes schiebt sich ein Glas mit Whiskey auf Eis in mein Blickfeld.
»Denkst du, sie wird kapieren, was wir vorhaben?«
Ich greife mir das Glas von Brantley, nehme einen Schluck und gebe es ihm zurück. »So was von. Sie ist verdammt helle. Um Längen klüger als jeder, der hier sonst so rumrennt.«
»Sehe ich auch so …«, nickte Brantley.
»Aber sie kann nicht wissen, was wir wissen. Ihre Rache macht sie kopflos, und das können wir nicht gebrauchen.«
Brantley beugt sich vor und stützt die Arme aufs Geländer. »Auch das sehe ich so.«
»Du hast was für sie übrig …« Die Worte wollen mir nicht über die Lippen kommen. Sie schmecken mir nicht besonders.
Brantley gluckst amüsiert, schüttelt den Kopf und blickt dann zu Boden. »Nein, ich hab nichts für sie übrig, aber ich fühle mich für ihren Schutz zuständig, falls das für dich einen Sinn ergibt.«
»Kein bisschen.« Ich seufze. »Aber ich verstehe es, Mann. Wer hätte das gedacht. Dass von allen Frauen …«
»Ausgerechnet sie die ist, die meine eingerosteten Saiten wieder zum Klingen bringen würde?«
Wir lachen beide. »Ja, genau. Ich fing schon an zu glauben, dass du gar keine hast …«
Brantley beißt die Zähne aufeinander. »Tja, unglücklicherweise nicht.«
»Also sind wir uns einig?« Ich will mich versichern und sehe ihn aufmerksam an. »Sie wird es nicht erfahren?«
Brantley nickt. »Ja. Wir sind uns alle einig. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Es würde für sie alles nur noch schlimmer machen.«
Dass es ihr noch schlechter geht als jetzt, kann schließlich niemand wollen.
Ich lasse meine Finger über seinen Schädel gleiten, über die Narben, die die Stiche hinterlassen haben. »Es tut mir leid, Daemon.«
Er neigt den Kopf, und im Widerschein des Kerzenlichts in dem Raum, in den mich Nate gesteckt hat, sehe ich seinen Nacken schimmern. Eigentlich sollte Daemon jetzt in seinem Zimmer sein, aber wir haben noch so viel zu bereden. Ich muss ihm von Micaela erzählen, was mir jedoch eine Heidenangst einjagt.
Ich steige aus dem Bett, vor dessen Fußende er auf dem Boden sitzt, und knie vor ihm nieder. Ich suche den Blick seiner schwarzen Augen, in die hineinzusehen sich jeder andere gefürchtet hätte. Was für andere ein Albtraum ist, erfüllt meine Einbildungskraft.
»Ich habe dein Buch gefunden, Daemon …«
Er sieht mir in die Augen, und zum ersten Mal fallen mir seine Haare auf, die wohl für die Operation abrasiert werden mussten. Es ist nicht mehr so kurz, eher ein Militärhaarschnitt, und betont seine schönen Gesichtszüge.
»Ich weiß, Puella.«
»Hast du mir etwas zu sagen?«
Er öffnet seinen Mund, um ihn gleich wieder zu schließen. »Ja, aber –«
Ich beuge mich vor und streiche mit einem Finger über seine Unterlippe. »Ich muss dir auch etwas sagen, Daemon.«
Bevor ich auch nur ein Wort über die Lippen gebracht habe, schnürt es mir die Kehle zu. Er schweigt und sieht mich nur fasziniert an. Himmel, er ist so unfassbar schön. Viel zu schön für diese Welt und zu verdorben für die Hölle. »Sie ist gestorben.« Es ist das erste Mal, dass ich es ausspreche, und es will mir das Herz in Stücke reißen.
Daemon rührt sich nicht. Nur seine Augen schließen sich mit einem leichten Zittern, und ein gequälter Ausdruck huscht über sein Gesicht. »Wie?«
Ich ziehe die Beine unter dem Hintern hervor, strecke sie aus und massiere mir die Schläfen. »Plötzlicher Kindstod.« Abrupt stehe ich auf, alles in mir wehrt sich gegen diese Unterhaltung, obwohl ich selbst damit begonnen habe.
Ich will einfach nicht mehr darüber reden.
Warum habe ich überhaupt davon angefangen? Ich habe geglaubt, ich sei so weit, aber das stimmt nicht. Ich renne durchs Zimmer, auf der Suche nach etwas, das den Schmerz in meiner Brust betäuben könnte.
Daemon streckt den Arm nach mir aus.
Ich bleibe stehen und drehe mich langsam zu ihm.
Seine Hand berührt mein Gesicht, und er legt seinen Daumen auf meinen Mund. Ich weiß, was er mir zu sagen versucht, ich kann es daran erkennen, wie er mir in die Augen sieht, als würden sie in einer fremden Sprache zu mir sprechen.
Ich lächle und schmiege meine Wange in seine Handfläche. »Geh ins Bett. Wir sehen uns morgen früh. Ich habe einen Plan.«
»Einen Plan?«, fragt Daemon, als ich schon nach der Türklinke fasse.
Ich schmunzele, mache mir aber nicht mehr die Mühe, mich zu ihm umzudrehen. »Ja, einen Plan.«
Nachdem Daemon schlafen gegangen ist, mache ich mich auf den Weg nach unten, als Nate mich am Treppenende abfängt. Er trägt nichts als eine graue Jogginghose. Den Schweißtropfen auf seinem wie in Stein gemeißelten Oberkörper nach zu urteilen, kommt er gerade vom Training.
Ich verschränke die Arme vor der Brust.
Er grinst, sein Blick frisst mich förmlich auf. »Du siehst gut aus in diesem …«
Ich verdrehe die Augen, nehme die letzten Stufen und drängele mich an ihm vorbei. »Lass mich raten, meine Mutter hast du auch gevögelt?«
Eine harte Hand packt meinen Arm, an der Stelle, wo eben noch Daemons Hand gelegen hat, nur dass seine Berührung sanft war und diese hier mich beherrschen will.
»Mach das nicht.«
»Was soll ich nicht machen?«, schnauze ich ihn an und fahre herum. »Geht’s um die Tatsache, dass ich nicht mit dir reden will? Gewöhn dich dran, Nate, denn ich hasse dich. Du hast mich hierher entführt und mir mitgeteilt, dass das von Anfang an dein Plan war und dass du mich töten wolltest. Und wofür das alles?«
Nate sagt kein Wort und beißt die Zähne zusammen, seine Augen funkeln mich dämonisch an. Ein schöner, wild gewordener, vom Teufel besessener Kerl. Was zum Henker? Ich brauche einen Drink.
Ich wende mich ab und mache mich auf die Suche nach etwas Hochprozentigem, als Nates Stimme mich zurückhält. »Ich habe nicht gelogen, Tillie.«
»Nun, ich auch nicht, als ich dir gesagt habe, dass ich dich hasse, also lass mich verdammt noch mal in Ruhe.«
Ich finde einen ordentlichen Whiskey im Küchenschrank, nehme ein Glas, gieße die bernsteinfarbene Flüssigkeit hinein, kippe sie in einem Zug hinunter und genieße das Taubheitsgefühl, das sich nach dem ersten Schluck im Mund ausbreitet. Der Schmerz in mir lässt allmählich nach, also schenke ich mir ein zweites Glas ein und stelle die Flasche ordentlich neben die – gut gefüllte – Speisekammer.
Ich knurre leise und versuche die Puzzleteile zusammenzusetzen. Der Menge an Vorräten nach zu urteilen hatten die Jungs das alles schon lange geplant. Hier steht allerhand Zeug aus unserer Welt, nicht von Perdita. Ich schwenke mein Glas und schaue mich in der Küche um. Sie ist ganz in weißem Marmor mit schwarzen Einfassungen gehalten und hat ein großes Fenster, aus dem man in den Garten sehen kann; auf der anderen Seite schließt ein Esszimmer an. Als ich eintrete, fällt mein Blick auf eine Essgarnitur für zwölf Personen. Zur Rechten erstreckt sich vom Boden bis zur Decke eine Glasfront, durch die man in den Garten gelangt. Kein Swimmingpool. Interessant. Ich drücke die Tür auf, trete in den sanften, kühlen Wind hinaus und schließe die Tür hinter mir. Es mag zwar keinen Pool geben, aber ein Meer sorgfältig gehegter Blumen, die sich dem Licht entgegenstrecken.
»Kannst du nicht schlafen?«, unterbricht eine tiefe, wohlbekannte Stimme meine kurze Auszeit.
Ich drehe mich nicht um, da ich weiß, dass es Brantley ist. »Unter anderem.«
»Wie findest du die Blumen?«, fragt er betont beiläufig, sodass ich ihn nun doch ansehe. Er sitzt auf einem kleinen eisernen Stuhl in der Nähe eines Steinspringbrunnens, der von niedrigen Hecken und Rosenranken gesäumt ist.
Ich mache ein paar Schritte in die dunkle Nacht hinein. »Hm, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Warum?«
Brantley gluckst und erhebt sich. Seine Gegenwart wirkt einschüchternd, als er mir so gegenübersteht, doch ich zucke keinen Millimeter zurück.
»Warum habt ihr mich hergebracht?«, will ich wissen.
»Weil du hierher gehörst.«
Ich überlege, ob ich ihn mir vorknöpfen soll, weil er mich mit Bishop auszuspielen versucht und mir ins Gesicht lügt.
»Jedes Mal, wenn du mich im Ungewissen lässt, werde ich dich Bran Bran nennen.«
»Das wirst du verdammt noch mal lassen.«
Ich lache in mich hinein und schwenke mein Whiskeyglas.
»Deine Reaktion bestätigt mir nur noch mal, dass ich dich auf jeden Fall Bran Bran nennen werde, sobald du etwas verschleierst oder ich denke, dass du mich anlügst.«
Er tritt noch näher zu mir, damit ich ihn ansehe. Ich führe mein Glas zum Mund und werfe ihm über den Rand einen Blick zu. »Ich mag den Namen nicht, Princessa.«
»Dann lüg mich nicht an.«
Die nächsten fünfzehn Minuten verbringen wir schweigend, und es scheint fast, als ließe er sich meine Worte durch den Kopf gehen. Man hört nur das Rascheln der Blätter in den Bäumen und von ferne die Brandung.
Brantley zündet sich eine Zigarette an. »Hast du viel mit Daemon gesprochen?«
Er wirft die Zigarettenpackung auf den Tisch vor uns.
»Nein.« Ich greife danach, mir ist plötzlich nach etwas, was meine Anspannung lindert. »Jedenfalls nicht so viel, wie ich es mir gewünscht hätte. Zumindest nicht bisher. Aber das werde ich noch. Er macht auf mich einen distanzierteren Eindruck als gewöhnlich.«
Brantley entreißt mir die Packung, funkelt mich an und wirft sie zurück auf den Tisch. »Das war nach allem, was er durchgemacht hat, zu erwarten. Ich bin erstaunt, dass da oben überhaupt noch etwas von ihm übrig geblieben ist …« Er bricht mitten im Satz ab, was mich aufs Neue aufhorchen lässt.
»Was willst du damit sagen?«
Er antwortet nicht, und ich erkenne im Mondlicht, wie er sich die Unterlippe leckt. Von allen Kings ist er es, der mich am meisten überrascht hat. Von ihm hätte ich am wenigsten erwartet, eine Verbindung zu ihm aufbauen zu können. Vielleicht mit Eli, dem Spaßvogel, oder mit Hunter, dem aufstrebenden launischen Rockstar. Sogar mit Bishop, Cash oder Ace hatte ich mir das eher vorstellen können. Eigentlich mit allen, nur nicht Brantley. Doch die Verbindung mit ihm werde ich bis zum letzten Tag meines Lebens fühlen. Sie ist einfach da, ohne langweilig zu sein. Sie begleitet mich wie mein Schatten.
»Er ist nicht mehr der, der er mal war, Tillie, nicht mehr der, den du kanntest. Sei auf der Hut, wenn du in seiner Nähe bist.«
Soviel ich bisher mitbekommen habe, ist mir das nicht entgangen, aber dass Brantley dies bestätigt, verstärkt nur meinen eigenen Eindruck.
»Gut, ich passe schon auf. Danke. Noch eine Frage … Wird Nate mich gehen lassen?«
Brantleys Blick schweift über meine Schulter. »Vielleicht solltest du ihn selbst fragen.« Er steht auf, kommt auf mich zu, packt mein Kinn und hebt sich mein Gesicht entgegen. »Eines Tages, wenn dieses Arschloch nicht mehr um dich herumstreicht wie ein hungriger Löwe um seine Beute, bin ich an der Reihe, mein Spielchen mit dir zu spielen.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe, seine Worte treiben mir die Schamesröte auf die Wangen. Er packt mein Kinn noch fester und presst den Daumen auf meine Unterlippe, dass ich unwillkürlich die Oberschenkel zusammenpresse.
»Die Sorte Spiel, bei der es, bis das Spiel beendet ist, nur zwei Spieler gibt.«
Er beugt sich vor und drückt seine Lippen auf meine Stirn.
»Gute Nacht, Princessa …«
Ich bin wie paralysiert von dem, was gerade passiert ist, reiße mich aber schnell zusammen und rufe ihm hinterher: »Gute Nacht, Bran Bran!«
Der Whiskey hilft nicht wirklich, und als ich sehe, dass Brantley seine Kippen auf dem Tisch liegen gelassen hat, schnappe ich mir eine. Ich zünde sie an, nehme einen tiefen Zug und spüre dem Nikotin nach, das sich in meiner Lunge ausbreitet. Es war ein langer Tag, aber ich werde auch mit etwas Abstand nicht schlau aus dem, was in meinem Leben gerade abgeht.
»Schlechte Angewohnheit«, reißt mich Nate aus meinen Gedanken. Ich hatte ganz vergessen, dass er hinter mir steht.
Ich drehe mich nicht um. »Sieht so aus. Setze es einfach zu allem anderen auf meiner Liste.« Erst als er um den Tisch herumgeht, sehe ich ihm in die Augen. Ich ziehe an der Zigarette und forme mit den Lippen ein »O«, um perfekte Rauchringe in die Luft zu blasen. »Ganz schlechte Angewohnheiten.«
Er nagelt mich mit seinem Blick fest, gibt aber keine Antwort. Er sieht gut aus, aber das tut er eigentlich immer. Niemand kann irgendetwas gegen Nate Riverside-Malums Erscheinung einwenden. Die Leute sollten lieber über das reden, was er hinter seinem hübschen Lächeln verbirgt.
»Wann bringst du mich in die Zivilisation zurück?«, frage ich, schnippe die Asche von der Kippe und greife nach meinem Whiskey. Der Alkohol tut seine Wirkung, mein Kopf dreht sich wie ein Riesenrad.
»Willst du wirklich zurück? Oder willst du nur zurück, um von mir wegzukommen?«, fragt er, und ich muss ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er eine Augenbraue hochgezogen hat und ein Grinsen seine Lippen umspielt.
Ich ignoriere ihn, denn ich bin noch nicht so weit, offen darüber zu sprechen, wie sich es anfühlt, hier zu sein. Weg von allem, was mich an mein früheres Leben erinnert. Ich will nicht darüber sprechen, wie seine Gefährlichkeit mich umgarnt und zum Tanz auffordert. Bis ich mich in dem Labyrinth ihrer Welt verirre. Ihrer schönen, abgefuckten Welt.
Sein Schatten nähert sich mir, und der Stuhl scharrt über den Beton, als er sich hinsetzt.
Er ist zu nah, so nah, dass ich seine Gedanken fast hören kann.
»Tillie.«
Ich beachte ihn nicht.
»Sieh mich an.«
»Fick dich.«
Stille. Er packt meinen Stuhl von beiden Seiten und zieht mich näher zu sich. Doch ich sehe ihn immer noch nicht an. Er umfasst mein Kinn und zwingt mich dazu. Mit zusammengebissenen Zähnen blicke ich ihn an.
Er trägt einen schwarzen Kapuzenpulli und Jeans. Ich sehe, wie er mich unter der Kapuze mustert, unter dem Schatten schimmern seine hohen Wangenknochen.
»Ich meine, nachdem Micaela gestorben ist. Nicht vorher. Alles danach war geplant.«
Ich ziehe an der Kippe und blase ihm den Rauch ins Gesicht, weil ich weiß, dass er Zigarettenqualm hasst. »Und darum soll ich mich jetzt besser fühlen?«
Er reißt mir die Zigarette aus den Fingern und zerdrückt sie in der bloßen Hand. »Du sollst endlich kapieren, dass ich kein gottverdammtes Monster bin, Tillie. Hinter der ganzen Scheiße steckt eine Absicht. Ein wirkliches Ziel, verdammt noch mal.«
»Du bist also kein Monster?« Ich wende ihm mein Gesicht zu, meine Stimme wird weicher.
»Nein, bin ich nicht. Ich kann eins sein, verflucht, ja, aber wie ich immer gesagt habe – dir habe ich diese Seite von mir nie gezeigt.«
»Das ist lustig …«, brumme ich und bringe mein Gesicht so nah an seines, dass sich unsere Nasenspitzen berühren. »Weil mir deine Dämonen an dem Tag, als du mich durch deine Hölle geschleift hast, deine sämtlichen Geheimnisse ins Ohr geflüstert haben. Und lass mich dir was sagen, Nate, du bist ein Monster. Und ein Lügner dazu.«
Er klappt den Mund zu.
Ich stehe auf und schüttele seine Hände ab. »Deine Worte bedeuten mir nichts, Nate. Morgen früh werde ich als Erstes deinen Vater ausfindig machen und herausfinden, was zur Hölle hier vorgeht.«
Ich mache mich auf den Weg zurück ins Haus, aber er hält mich zurück. »Du willst ihm mehr vertrauen als mir?«
Ich bleibe wie angewurzelt stehen, als ich schon die Stufen der Betontreppe hinaufsteigen will, und mein schlechtes Gewissen droht die Oberhand über meine Selbstbeherrschung zu gewinnen. Ich kann ihn nicht gewinnen lassen. Auf keinen Fall. Er muss für seine Taten bezahlen, selbst wenn ich dadurch Gefahr laufe, ihn für immer zu verlieren.