Mad Prince - Elite Kings Club - Amo Jones - E-Book
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Mad Prince - Elite Kings Club E-Book

Amo Jones

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Beschreibung

Liebe ist schmerzhaft, Liebe ist blind, Liebe ist nicht für jeden bestimmt ...

Jeder kennt Nate Malum-Riverside. Er ist charmant, beliebt, attraktiv - und unglaublich gefährlich. Tillie weiß, dass sie sich von ihm und dem Elite Kings Club fernhalten sollte, wenn sie nicht in deren Strudel aus Geheimnissen und Macht gezogen werden will. Doch insgeheim weiß sie längst, dass es dafür schon zu spät ist ...

"Amo Jones' Bücher sind wie Achterbahn fahren - nur ohne Sicherheitsgurt!" MARTA LIKES TO READ

Band 4 der ELITE-KINGS-CLUB-Reihe von Bestseller-Autorin Amo Jones

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Seitenzahl: 387

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Motto

Einleitung

Prolog

Nate

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Die Geschichte von Nate und Tillie geht weiter!

Danksagung

Triggerwarnung

Die Autorin

Die Romane von Amo Jones bei LYX

Impressum

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

AMO JONES

Mad Prince

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz

ZU DIESEM BUCH

Die junge Tillie weiß vom ersten Augenblick an, dass sie sich von Nate Malum-Riverside fernhalten sollte, wenn sie nicht in den Strudel aus Geheimnissen und Machtkämpfen gezogen werden will, der den Elite Kings Club umgibt. Denn Nate ist nicht nur charmant, beliebt und attraktiv, sondern auch höchst gefährlich. Seine Berührungen sind eine explosive Mischung aus Feuer und Eis. Wer sich zu ihm hingezogen fühlt, verbrennt sich an seinem Charme, und im nächsten Moment wird jeder noch so kleine Funke der Zuneigung durch seine eisige Kälte wieder erstickt. Doch so sehr Tillie sich gegen ihre Gefühle für Nate auch wehrt, um ihr Herz ist es längst geschehen. Ihre gemeinsame Geschichte hat vor langer Zeit begonnen und Tillie ist bereit, jeder Gefahr die Stirn zu bieten, die ihre und Nates Liebe bedroht. Doch als das Schicksal sie auf die härteste Probe ihres Lebens stellt, droht Tillie weit mehr als nur ihr Herz zu verlieren …

Nuncupatura

Für alle Mädchen, die nicht nur durchs Feuer gehen, sondern darin tanzen.

EINLEITUNG

Zum ersten Mal setze ich eine Warnung an den Anfang eines Romans. Meistens behaupte ich, dass mein Name auf dem Umschlag dafür genügt. Ihr wisst ja, wie ich schreibe und welche Geschichten mir einfallen und aus meiner Feder aufs Papier fließen, aber dieses Mal ist eine Warnung angebracht. Eine Szene in diesem Buch ist nicht nur dunkel, sondern verstörend, aber so etwas geschieht wirklich und ist mir in meinem Leben selbst begegnet. Es ist mir sehr schwergefallen, diese Szene zu schreiben, ich habe sogar die ganze Zeit versucht, sie zu vermeiden. Ich habe mich bei Chantal beklagt und gejammert, dass ich so etwas einfach nicht schreiben wollte. Ich habe bei dieser Geschichte verschiedene Wege einzuschlagen versucht, aber es hat alles nichts genutzt, weil wir immer wieder an denselben Punkt gelangten. Ich verspreche, ich habe die Szene nach Kräften abgemildert, was gewöhnlich nicht meine Art ist, aber in diesem Fall hielt ich es für unumgänglich. Außerdem habe ich, bevor es zu der besagten Szene kommt, sozusagen Warnschilder aufgestellt, damit ihr frühzeitig erkennt, worauf ich hinauswill, und die entsprechenden Seiten überblättern könnt.

Ich bin meinen Figuren, und wie sich ihre Geschichten in meinem Kopf entwickeln, immer treu geblieben. Das wollte ich ihnen auch diesmal nicht verwehren, und dafür möchte ich mich entschuldigen.

Amo

PROLOG

Wie oft im Leben, heißt es noch gleich, findet man einen Seelenverwandten? Einmal? Zweimal? Dreimal? Kühl lief mir Eiscreme den Hals hinunter, als ich darüber nachdachte. Das auf ein vergilbtes Blatt Papier gekritzelte Zitat lautete: »Man findet im Leben drei Arten Liebe. Die erste hält uns bereits gemachte Fehler vor Augen. Die zweite zeigt uns, auf welche Weise wir geliebt werden sollten. Die dritte aber macht uns klar, was es heißt, bei lebendigem Leib zu sterben.« Ich hatte keine Ahnung, wieso mein winziges sechs Jahre altes Hirn sich diese Sätze eingeprägt und hin und her gewälzt hatte, und irgendwie kamen sie mir auch nicht richtig vor. Warum sollte ich dreimal lieben wollen? Das hörte sich viel zu anstrengend an.

Da leckte ich doch lieber Eis.

»Tillie!«, rief mich meine Schwester Peyton und lenkte meine Aufmerksamkeit von dem Schaufenster ab.

»Was?«

Meine Schwester war das genaue Gegenteil von mir. Ich war blond, sie hatte rote Haare. Rot wie ein Hydrant, und dazu passende Sommersprossen. Sie war in der Schule beliebt, vor allem, weil sie sich viel zu sehr darum scherte, was andere über sie dachten. Ich war die Streberin.

»Mach hin, Trantüte. Dad wird sauer, wenn wir uns verspäten, und du weißt ja, was passiert, wenn er sauer wird.«

Mein Hörnchen landete klatschend im Dreck, als die Wucht ihrer Verbalattacke bei mir ankam.

Ich wischte mir nickend die Hände an meinen Shorts ab. »Ja, gut, gehen wir.«

Ich schmeckte Metall, als ich selbst auf dem Boden landete. Alles im Zimmer drehte sich wie ein Karussell. Ein Zustand, den ich allzu gut kannte.

»Du bist zu spät. Warum bist du zu spät?« Ein massiver Stiefel traf meinen Brustkorb, dass es knackend von den Wänden widerhallte.

»Ich habe ein Ei-Ei-Eis gegessen.«

Er kicherte so laut, dass ich mich krümmte. Ich hasse dein Lachen. Der Geruch von schalem, billigem Whiskey wetteiferte mit kräftigem Zigarettenqualm und vereinigte sich explosiv zu dem unverwechselbaren Aroma von Darren Lovett, auch bekannt als mein Dad.

Ich konzentrierte mich auf eine bestimmte Delle im Boden unseres Wohnmobils. Die Stelle, die ich immer schon gefunden hatte, wenn er mich verprügelte. Früher hatte ich dort zum Spaß meine Murmeln hineingeschnippt, heute nutzte ich sie, um mich davon zu überzeugen, dass ich noch lebte.

Die Dresche ging rund eine Stunde weiter. Eine Stunde schieren Entsetzens. In meinem Kopf ging es hin und her, ob ich auch diesmal mit dem Leben davonkommen würde. Will ich danach überhaupt noch leben?

»Es ist meine Schuld, Dad, ich habe sie das blöde Eis kaufen lassen«, protestierte Peyton.

Aber Dad achtete gar nicht auf sie.

Wie üblich.

Also schloss ich die Augen und ließ mich von meinen Gedanken in eine Welt tragen, in der es keinen Schmerz gab.

Doch Schmerz existierte überall. Schon immer. Ich wusste schon mit sechs, dass mein Leben aus nichts als Schmerz bestehen würde.

Man sagt, dass der Verlust des Menschen, den man liebt, so qualvoll sein kann, dass einen der bloße Gedanke daran lähmt.

Zögernd trat ich an das Grab und legte einen Blumenstrauß auf den Stein, ohne auf die heute hier Versammelten zu achten.

Es ist eine Lüge. Der schlimmste lähmende Schmerz tritt nicht ein, wenn man den geliebten Menschen verliert, sondern wenn man etwas verliert, das so kostbar ist, dass man es eigentlich gar nicht verdient hatte.

NATE

MIT VIERZEHN

»Ich hasse dieses Scheißkaff«, sagte ich um meine Hähnchenkeule herumbrummend zu Bishop. Ich gab mir allergrößte Mühe, die Geschäfte an der Hauptstraße von Perdita zu ignorieren, und sah zu, wie Menschen vor uns zurückwichen. Ich kam mir vor wie Moses bei der Teilung des Roten Meers. Die Leute hier hatten Angst vor uns, und das aus gutem Grund. Unser Ruf eilte uns stets voraus. So häufig ich hier schon gewesen war, einen Ort hatte ich noch nie ignorieren können – Caesar’s Chicken. Der Typ grillte seine Hähnchen auf den Punkt, also konnte man seinen Arsch darauf verwetten, dass ich, wann immer ich nach Perdita kam, zuerst im Caesar’s aufschlug. Scheiß auf unsere Mission oder was ich sonst hier zu schaffen hatte. Der erste Halt war Caesar’s. Immer. Und die Kings ließ ich auch warten.

»Komm mal runter, wir müssen ja nicht lange hierbleiben.«

Ich biss zu und riss Fleisch von den Knochen, während ich eine Frau beäugte, die mit ihrem Kind vorbeiging. Ich war kein Fan von Kindern. Nervende kleine Kackbratzen. Rasch klemmte sie sich den Kopf ihres Kleinen unter den Arm und zog ihn mit sich fort.

Ich fletschte die Zähne und knurrte die Frau an. Sie entließ einen spitzen Schrei und rannte davon wie eine panische kleine Ratte.

Bishop schüttelte den Kopf. »Lass die Einheimischen in Frieden!«

»Ach, scheiß drauf.« Ich schaute auf den endlosen Weg, der vor mir lag und der mich, wie ich sehr gut wusste, schnurstracks in Katsias Kerker führen würde. Falls man bei einem aus seltenstem Marmor und Mauerstein gebauten und dann mit Juwelen zusammengehauenen Herrenhaus von einem Kerker sprechen konnte, alles klar?

»Was will sie?«, fragte ich und warf den Knochen im Vorübergehen in einen Mülleimer.

»Kann man noch nicht sagen. Wahrscheinlich deinen Schwanz.«

Ich zeigte ihm den Mittelfinger, als wir zum Eingangstor kamen, dessen vergoldetes Eisen so hoch vor uns aufragte, dass wir kaum einen Blick auf die dahinterliegende Festung werfen konnten. Ein Torwächter trat vor, auf Knopfdruck öffneten sich die Riegel, dann trat er wieder zurück und ließ uns durch.

Wir ließen den Steingarten auf dem Weg zur Haustür links liegen und wurden von Katsia empfangen, die in einem langen Kleid, dessen rote Seide wie Blut über ihre Elfenbeinhaut rann, die Treppe herunterkam. Ihre Augen leuchteten, als sie mich sah. »Nathaniel, du bist zu einem hübschen Kerl …«

»Wovon redest du? Ich war immer schon heiß.« Ich hatte Katsia noch nie wirklich leiden können. Sie betrachtete Männer wie Bauern in ihrer Schachpartie. Was ja auch stimmte. So hielt sie sich eine Handvoll Kerle zu ihrer Verfügung. Aber das war seit Generationen vor ihr und, gnade uns Gott, womöglich auch noch Generationen nach ihr der Part der Stuprum.

Göttin der Verführung.

Ich erstickte fast an meinen Gedanken. Ich meine, es war nicht so, dass sie nicht attraktiv war, was sie für ihr Alter durchaus war, aber sie strahlte Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit aus. Ich hatte nichts gegen bissige Mädchen, denn wenn sie erst mal gelernt hatten, sich mit ihren Reißzähnen zurückzuhalten, bliesen sie umso besser.

Sie verdrehte die Augen und deutete auf das große Wohnzimmer hinter der gläsernen Doppeltreppe, die sie gerade herabgeschritten war. »Ganz der großspurige Malum …«

Mein Körper beruhigte sich, als sie den Nachnamen meines Vaters aussprach, ihre sprichwörtlichen Sticheleien ignorierte ich und folgte Bishop stattdessen ins Wohnzimmer. Sie nahm auf einem großen einzelnen Sofa Platz, das an einen Thron aus einer schicken Mittelalterkulisse erinnerte.

Sie grinste und warf einen Blick über meine Schulter. »Ah, da ist er ja. Jungs, ich möchte euch jemand sehr Wichtigen vorstellen.«

Ich drehte mich um, weil ich sehen wollte, wen sie meinte, und stieß auf einen Typen, der mindestens ein Jahr jünger war als ich. Er wirkte mager, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen, Haaren von unbestimmter Farbe und den dunkelsten Augen, die ich jemals gesehen hatte. Sie wirkten fast schwarz, dabei war es nicht eigentlich ihre Farbe, die sie derart dunkel erscheinen ließ, sondern die Art, wie sie einen anblickten. Als wäre man kein Mensch, sondern ein Gegenstand. Ich hatte solche Augen schon gesehen; mein Bruder und King Brantley hatten denselben Blick.

Aber Brantley kannte ich, diesen Scheißkerl nicht, und wie er mich und Bishop jetzt ansah, ließ mich wachsam und ein bisschen gereizt auf der Stuhlkante sitzen.

»Daemon, das sind Bishop und Nate. Die Anführer der Kings dieser Generation.«

Als Daemon auf uns zukam, wollte ich ihm schon die Hand schütteln, doch er schlenderte vorüber und schob meine großzügig ausgestreckte Hand achtlos zur Seite. Stattdessen neigte er sich Katsia zu und küsste sie auf den Mund.

»Der Junge hat wohl einen ernsthaften Mutterkomplex«, brummte ich kopfschüttelnd.

Katsia leckte sich die Lippen und beobachtete, wie er sich hinter ihrem Thron positionierte und wie ein braves Hündchen über sie wachte. Ihr Blick ließ ihn nicht los. »Oh, du hast ja keine Ahnung …«

Ich hob ein Bein und platzierte den Fuß lässig auf dem Beistelltisch. »Warum sind wir hier?«

Sie griff nach Daemons Hand, die auf ihrer Schulter lag. Der Typ ist unheimlich. Norman-Bates-mäßig unheimlich. »Ich muss euch was sagen, und ihr müsst mir schwören, es für die nächsten Jahre für euch zu behalten.«

Bishop zuckte nicht mal.

Ich lachte. »Du besitzt die Dreistigkeit, uns um Verschwiegenheit zu bitten, als wärst du ein King.«

Sie sah mir in die Augen. »Ich habe eine Tochter. Ich hätte lieber keine mehr. Gib mir dein Wort, dass du, wenn ich nicht mehr bin, dafür sorgst, dass sie nicht weiterlebt. Dafür bekommst du von mir alles, was du willst.«

Ich leckte mir über die Lippen, legte den Kopf schief und versuchte, aus ihr schlau zu werden. Sie log nicht. Das sah ich daran, wie sie uns bei jedem Wort in die Augen schaute. »Weiter!«

»Falls und wenn ich abtrete, werdet ihr sicherstellen, dass mein Abkömmling diesen Thron nicht besteigt, und im Gegenzug lasse ich meine Leute wissen, dass ihr das Kommando über Perdita bekommt. Ich weiß ja, wie lange die Kings das schon wollten.« Ihr Blick wanderte zwischen uns hin und her.

»Guter Plan. Lass uns wissen, wenn du das erledigt hast, und du kannst sicher sein, dass ich dich eigenhändig kaltmache«, antwortete ich aalglatt und warf ihr als Zuckerstückchen eine Kusshand zu.

»Oh, Nathanial. Charmant wie immer.« Sie richtete ihr Augenmerk auf Bishop. »Wenn ich durch die Hand eines King sterbe, ist der Handel geplatzt.«

Ich hatte den Mund schon geöffnet, um sie ein bisschen aufzuziehen oder vielleicht an empfindlichen Stellen zu kitzeln, bis sie feucht wurde, um ihr dann meinen Schwanz quer übers Gesicht zu ziehen und ihr zu sagen, dass sie sich verpissen sollte.

Aber Bishop kam mir zuvor. »Deal!«

1. KAPITEL

TILLIE

Vorglühen

»Liebe ist schmerzhaft, Liebe ist blind, Liebe ist nicht für jeden bestimmt …«

Wassertropfen rinnen die Scheibe hinunter und erinnern mich an das eine Mal, als meine Schwester und ich lange aufblieben, um darauf zu warten, dass unsere Mutter vom Einkaufen zurückkam. Zwei Stunden saßen wir am Fenster. Ich mag erst vier Jahre alt gewesen sein, aber ich kann mich so lebhaft daran erinnern, dass ich den Film in Full-HD den Rest meines Lebens vor meinem inneren Auge abspielen könnte. Immer wieder. Ununterbrochen. Sämtliche Einzelheiten, jeder Geruch, jedes kleinste Ticken der alten Uhr als Endlosschleife in meinem Kopf.

Tick.

Tack.

Tick.

Tack.

Als sie uns im Stich ließ, nahm sie nicht nur sich selbst mit fort, sondern auch Teile von mir und meiner Schwester und, grausamer noch, meines Vaters.

Danach begannen die Prügel.

Danach verwandelte er sich von einem rücksichtsvollen Vater in einen schamlosen Teufel.

Vor diesem Tag kann ich mich nicht an sehr viel, doch wenn nur an Gutes, erinnern, aber jeder einzelne Tag danach hat sich in meinem Gedächtnis eingegraben, wie ein Felsblock sich nach einem Vulkanausbruch in den Boden gräbt.

»Alles klar, Puella?«

Ich stoße einen angehaltenen Schwall Luft aus, meine Schultern sinken, und meine Muskeln entspannen sich beim bloßen Klang seiner Stimme.

Ich lecke mir die Lippen und wende ihm das Gesicht zu, meine Hand liegt auf seiner. »Es geht mir gut, Daemon.«

Sein Blick fällt auf das Baby auf seinem Arm und kehrt dann zu mir zurück. Seine schönen Augen leuchten, wenn sie mich ansehen, als wären sie sein ganzes Leben, bis zu diesem Augenblick tot gewesen.

»Nicht mehr lange, dann haben wir es geschafft, Tillie. Du hast dich prächtig geschlagen«, versichert mir Tinker irgendwo zwischen meinen Beinen. Irgendwie ist es mir gelungen, den Schmerz zu unterdrücken, oder es liegt nur daran, dass ich eben ein ungeheuer großes Mädchen zur Welt gebracht habe, aber was es auch sein mag, ich bin sicher, ohne ihn hätte ich die Kraft, das zu schaffen, nicht gehabt.

Daemon schaut mich wieder an, seine Augen funkeln so, wie ich mir ausgemalt habe, dass die Augen ihres Vaters funkeln würden. »Sie ist wunderschön, Puella.«

Ich beiße mir nervös auf die Lippe, als er mir den kleinen Körper auf die Brust legt. Sie gibt einen winzigen, krächzenden Schrei von sich und hebt die Fäustchen zum Mund, während sie den Kopf von einer Seite zur anderen bewegt.

Tinker erscheint neben mir und zieht sich die Chirurgenhandschuhe aus. »Oh, Süße, sie hat Hunger.«

»Ich weiß nicht, wie man das macht.« Ich weiß es wirklich nicht. Bis zu diesem Moment dachte ich immer, ich hätte nicht den mindesten Mutterinstinkt in mir. Diesem Moment, als mir bei dem Gedanken, meinen Sprössling nicht richtig füttern zu können, die blanke Angst in die Knochen kriecht. Dennoch weiß ich mit absoluter Sicherheit, dass ich dieses Kind bis zu meinem Todestag beschützen werde.

»Schon gut«, sagt Tinker und bettet das Baby höher an meine Brust, näher bei mir. Das kleine Gesicht an meiner Brust sieht zerknautscht aus. »Sie weiß schon, was zu tun ist. Zuerst fühlt es sich vielleicht unangenehm an, aber wehtun dürfte es eigentlich nicht. Falls doch, steckst du ihr vorsichtig deinen kleinen Finger in den Mund, ziehst die Brustwarze raus und versuchst es gleich noch mal. Ihr Mund sollte den ganzen Bereich bedecken.« Sie deutet auf den Warzenhof.

Beim nächsten Versuch halte ich mich genau an Tinkers Anweisungen, und der kleine Mund dockt an. Die Brustwarze wird heiß, als würde Wasser in die Spitze fließen, dann brechen ihre Trinkgeräusche das Schweigen.

Tinker kichert. »Ja, sie hat Hunger.«

Die andere Krankenschwester, die geholfen hat, mich zu nähen, packt zusammen und geht. Erst als sie außer Hörweite ist, sagt Tinker: »Sie kommen, Tillie. Sie kommen alle.« Ihre Stimme bleibt flach und gleichmäßig, sie hätte übers Wetter reden können, so ruhig ist sie.

Mich fröstelt. »Was?« Seit Monaten schon erlebe ich ein Tauziehen zwischen Kopf und Herz um meine Gefühle für Nate Riverside-Malum. An manchen schlechten Tagen, wenn ich in meinem Zimmer in Katsias Haus in Perdita eingesperrt bin, habe ich nichts als meine Erinnerungen an Nate, die ich mir immer wieder vorspiele. Dann greife ich auf unsere gemeinsame Zeit, die Gefühle, die ich für ihn gehegt habe, zurück, um mich zu trösten. Ich habe mich in Nate verliebt, weder Herz noch Kopf zweifeln daran, bis in die letzten Verästelungen der Adern in meinem Leib. Er war es immer und wird es immer sein, aber naiv bin ich deshalb noch lange nicht. Ich wusste seit dem Tag, an dem ich zuließ, die Tore aufzuschließen, hinter denen meine Gefühle für ihn verborgen waren, worauf ich mich einließ.

Nate ist ein Spieler.

Ich bezweifle nicht im Geringsten, dass er mich zutiefst verachten würde. Nicht, weil er womöglich glaubte, ich sei vor ihm weggelaufen, sondern weil ich ihm nun, in seiner Vorstellung, seine Tochter vorenthalten habe.

»Tinker«, zische ich scharf und halte mein Mädchen fester. »Was soll das heißen, sie kommen? Die Kings?«

Tinker fährt meiner Tochter mit dem Finger durchs Gesicht und antwortet liebevoll lächelnd: »Ja. Du verstehst nicht, Tillie. Katsia will dem Baby schaden.«

»Schaden?«, kreische ich beinahe. Ich fahre schon beim bloßen Gedanken, jemand könnte sich diesem Kind mit bösen Absichten nähern, die Krallen aus.

Tinker wirft Daemon einen Blick zu.

Daemon nimmt meine Hand. »Ich habe einen Plan, Puella.«

Meine Blicke fliegen, unbewusst nach einem Notausgang suchend, durchs Zimmer. Eine Tür führt in die Haupthalle, die höchstwahrscheinlich ebenso gut bewacht ist wie der Rest dieses beschissen großen Hauses.

»Anders geht es nicht, Tillie. Du musst Daemon anhören, okay?« Die Tür geht auf, und die Krankenschwester von vorhin kommt zurück. Sie hält ein Handy in der Hand. Als ich erstarre, legt mir Daemon beruhigend die Hand auf die Schulter.

»Vertraust du mir, Puella?«, will er wissen und sucht meinen Blick. Daemon, mit seinen unendlich tiefen, dunklen Augen, die ohne Zweifel einige der schrecklichsten Geheimnisse der Menschheit gesehen haben.

Ich schlucke, dann nicke ich. »Ja, ich vertraue dir.«

Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn und greift nach dem Handy, das die Schwester ihm hinhält. Sie räuspert sich. »Sie haben ungefähr fünf Minuten, bis die wissen wollen, warum ich hierher zurückgekehrt bin. Also, beeilen Sie sich, Daemon.«

Ich mustere sie mit schräg gelegtem Kopf. Gehört sie auch zu den Guten? Bisher habe ich geglaubt, das gilt nur für Tinker und Daemon, aber vielleicht habe ich mich ja geirrt. Mir fällt ihr Namensschild auf; J E S S I C A steht in breiten schwarzen Blockbuchstaben darauf.

Jessica.

»Er geht nicht dran.« Daemon beendet die Verbindung, sein Blick wandert nervös zu Tinker.

»Wir müssen Zeit gewinnen.« Tinker wendet sich der Krankenschwester zu. »Können Sie uns Zeit verschaffen?«

Die Schwester sieht uns nacheinander widerstrebend an, und ich nutze den Augenblick, um sie auf mich aufmerksam zu machen. »Jessica? Bitte. Ich werde für immer in Ihrer Schuld stehen, wenn ich also jemals etwas für Sie tun kann …«

»Na gut.« Sie atmet vernehmlich aus. »Ich werde sagen, dass Sie das Baby noch nicht bekommen haben und dass es Komplikationen gibt, aber Sie müssen wissen, dass ich das Kind nach der Geburt einem der Verlorenen übergeben muss. Dass ich Ihnen die Kleine nicht gleich weggenommen habe, bringt mich und meine Familie in Lebensgefahr, Tinker.«

»Ich verspreche Ihnen, Jessica, dass wir Sie und Ihre Familie bei alldem beschützen werden«, ruft Tinker ihr zuversichtlich ins Gedächtnis. Als Jessicas Augenwinkel sich entspannen, weiß ich, dass wir sie überzeugt haben.

»Okay.« Wieder schaue ich mich in dem Zimmer um, in dem ich während der letzten Monate festgehalten und versteckt wurde. Was mir, solange es nur um mich ging, ziemlich egal war. Der Gedanke, ein Kind zu haben, war mir selbst während der Schwangerschaft noch unwirklich erschienen. Jetzt jedoch ist das Kind Wirklichkeit, und ich werde ohne jeden Zweifel alles tun, was getan werden muss, um uns aus dieser Lage zu befreien.

»Okay, und was nun? Sie muss sie einem der Verlorenen übergeben. Und dann?«

Daemon hebt den Blick zu Tinker, dann sieht er wieder mich an. »Darüber musst du dir nicht den Kopf zerbrechen, Puella. Sie wird zu mir kommen, und ich werde dafür sorgen, dass ihr nichts zustößt und dass sie dir wohlbehalten zurückgegeben wird, aber wir müssen zusehen, dass sie bis zur Ankunft der Kings still und friedlich bleibt. Verstehst du das?« Er fährt sich durch die Haare und zieht gestresst die Brauen zusammen.

Ich greife nach seiner Hand und halte ihn fest. »Ich verstehe, Daemon. Ich werde alles tun, was du von mir verlangst, okay?«

Er nickt und lässt seine Hand sinken. Sein Telefon leuchtet auf, und rasch nimmt er, Lateinisch sprechend, den Anruf entgegen.

Tinker tritt näher an mich heran. »Nate wird wütend werden, Tillie, aber nur, weil er seine Gefühle nicht zu zügeln weiß. Es gibt so vieles, was du über dich und das Geschlecht deiner Familie noch nicht weißt. Du hast noch so viel zu lernen, ja auch zu üben, Dinge, die dir, wenn du es nur zulässt, Nate beibringen kann. Du kannst gegen diesen Lebensstil nicht anfechten, Tillie. Mach nicht, was Madison getan hat, die Zeichen zu ignorieren oder keine Fragen zu stellen. Du, deine Familie, ihr habt die Macht in dieser Welt. Hab den Mut, nach dieser Macht zu greifen und sie dir zu eigen zu machen.«

»Wovon redest du, Tinker?« Womöglich hatte sie jetzt nicht nur eine Schraube locker, sondern endgültig den Verstand verloren.

Sie schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln, auch wenn ich nicht sicher bin, wofür sie sich eigentlich entschuldigt. »Das ist nicht meine Sache, aber die Wahrheit wird ans Licht kommen, und wenn du regierst, wird es das System lahmlegen.«

Bevor ich fragen kann, wovon sie da spricht, fällt ihr Daemon ins Wort. »Erledigt. Sie werden sich bereit machen.« Daemons Blick trifft auf mich, und ich halte mein Baby fester. Er bemerkt es. »Ich verspreche es, Tillie. Ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas passiert.«

Meine Kehle schnürt sich zu, als sich eine einzelne Träne aus meinem Auge löst, meine Wange hinunterrinnt und auf meine Brust tropft. »Versprochen?«

Daemon nickt. »Versprochen.«

Daemon beugt sich vor und küsst mich auf die Stirn. »Hast du ihr schon einen Namen gegeben?«

Ich wische kopfschüttelnd die Träne weg. Er legt seine Hand auf ihre Wange und flüstert: »Micaela.«

Kaum hatten die Silben seinen Mund verlassen, wusste ich sofort, das ist es. »Micaela,« wiederhole ich lächelnd. Aus dem Augenwinkel sehe ich zu Daemon hoch, mein Herz hämmernd in meiner Brust. Daemon und ich haben, seit ich auf Perdita bin, ein außergewöhnliches Verhältnis zueinander gehabt. Nichts Sexuelles, nur Verbundenheit. Auf tiefer Ebene, einer Ebene, die ich nicht mehr gefühlt habe seit – sehr langer Zeit. Die tiefe und intensive Verbindung zwischen Nate und mir war auch sexuell, heiß und explosiv, aber mit einer Beimischung von Hass. Man lasse sich nicht von Nates hübschem Gesicht in die Irre führen. Der Teufel stattet die dunkelsten Seelen mit dem schönsten Lächeln aus. Das zwischen Daemon und mir ist rein, friedfertig, entspannt. Wir waren mehr als Freunde, aber weniger als Liebende, auch wenn ich ihn von ganzem Herzen liebte.

»Vertraust du mir, Puella?«

»Unter einer Bedingung,« flüstere ich und lasse Micaela in seine wartenden Arme gleiten. »Stirb nicht.«

Daemon gewährt mir ein Lächeln und fährt mit den Lippen über meinen Kopf. »Das werde ich nicht. Ich werde niemals sterben, Tillie.« Er sieht mich an. »Vertraust du darauf?«

Ich räuspere mich. »Bring sie heil wieder zu mir zurück, dann bekommst du die Antwort.«

2. KAPITEL

TILLIE

Gefühle. Menschliche Gefühle, um genau zu sein. Mit ihnen klarzukommen kann ganz schön nerven. Zum Beispiel, wenn man eine Schwester hat. Meine war schon immer gestört, wahnsinnig und immer ein wenig drüber. Im hintersten Winkel meines Kopfes habe ich mich immer gefragt, ob wir überhaupt verwandt sind.

»Du machst es schon wieder …«, sagt Peyton und sticht, ihre Worte unterstreichend, mit der Gabel in die Luft. Zumindest denke ich, dass es das ist, was sie damit bezwecken will. »Schmeckt dir das Essen nicht, Tills? Ich denke, du solltest dankbar sein. Weiß Gott, Nate hätte dich längst getötet, wenn du auf dich allein gestellt gewesen wärst.«

Ich knirsche mit den Zähnen im Versuch, den verbalen Tiefschlag über eine Sache zu ignorieren, von der sie eigentlich keine Ahnung hat. »Nein, Peyton, das Essen ist es nicht.«

Sie zuckt mit ihren molligen Schultern, dass ihre roten Haarspitzen von der Bewegung auf und ab springen. »Wie du meinst.« In den letzten Jahren hat sie Gewicht zugelegt, aber es steht ihr gut. Natürlich tut es das. Klar, was ich meine? Nicht verwandt. Ich sehe zu, wie sie sich weiter das Essen Löffel für Löffel in ihren Mund schaufelt, als sich Carter räuspert.

»Tillie, ist dir klar, was wir dir sagen wollen? Weißt du, wie wichtig das ist?«

»Was genau ist wichtig, Carter? Die Tatsache, dass ihr mich in mein altes Leben zurückschicken wollt, zu meinen besten Freunden, wo ich so weitermache, als wäre nichts geschehen, in der Hoffnung, den Dreck für den Kreis zu erledigen?« Ich ersticke an den Worten, unfähig, laut zu sprechen.

Er grinst. Ich muss unter dem Tisch die Fäuste ballen, um zu verhindern, dass ich ihm nicht quer über den Tisch einen Schlag an den Unterkiefer verpasse.

Ich hasse Carter mit einer derart feurigen Inbrunst, die die Welt niederbrennen könnte.

Ich reiße mich zusammen, greife nach meinem Glas und nehme einen Schluck Wasser. Ich lasse es meine Kehle hinunterrinnen, bevor ich wieder das Wort ergreife. »Das werde ich nicht machen. Ich bin keine Verräterin, Peyton, und werde meine Freunde nicht mit hineinziehen und sie in Gefahr bringen.«

»Und ob du das tun wirst«, entgegnet Carter, erhebt langsam seinen Drink und grinst mich an. »Wo ist Micaela, Tillie?«

Etwas Stechendes in seinem Tonfall legt sich um mein Herz, aber ich schlucke die Angst hinunter und antworte. »Sie liegt in ihrer Wiege.«

Die Erkenntnis, wozu er und Peyton fähig sind, fährt mir in die Knochen. Sie würden ihr nichts tun, Tillie. Entspann dich. Ich springe vom Tisch auf.

Carters Augen werden lediglich dunkler, und ein hinterhältiges Grinsen überzieht seinen Mund. Adrenalin schießt mir durch alle Glieder, und ich renne auf der Stelle aus dem Raum. Der lange, dunkle Korridor schwimmt unter meinen Schritten in einer Blutlache, mein Herz hämmert in meiner Brust. Ein Schritt. Zwei Schritte. Du hast es fast geschafft.

Sie würde sie nicht anrühren. Das würde sie nicht. In Peytons krankem Hirn ist Micaela das Druckmittel, das sie über mich hat. Solange sie meine Tochter hat, weiß sie, dass ich eine Marionette in ihren Händen bin, und sie hält alle Fäden in der Hand. Wenn sie Micaela auch nur ein Haar krümmt, werden alle Fäden reißen und das Ungeheuer freigelassen, bei dem sie alles daran setzt, es zu erschaffen. Ich wurde als Kind geschlagen. Immer wieder. Ich bin nicht nur per Du mit Missbrauch, sondern er und ich, das hat lange Tradition.

Als ich mein Schlafzimmer betrete, sinkt Stille um mich, die von nichts gestört wird außer dem Geräusch meiner leisen Schritte.

Ich hole tief Luft, als ich die Wiege erreiche. Meine Augen geschlossen. Als ich sie öffne – »Peyton!« Ich schreie, fahre herum und renne genau den Weg zurück, den ich gekommen bin. Nur dieses Mal ist das Blut, das sich von den Mauern ergießt, meine Wut. Ich werde sie umbringen und jeden, der sich mir in den Weg stellt.

Peyton sitzt am Kopfende des Tisches und will sich gerade eine Kartoffel mit der Gabel in den Mund schieben.

Ganz auf der Hut trete ich näher. »Ich schwöre bei Gott, Peyton, du hast circa fünf Sekunden, mir zu sagen, wo zur Hölle sie ist, sonst reiße ich dir deine verdammte Kehle raus.«

Ihr Blick schnellt über meine Schulter hinweg in Richtung der Wachen, alle bewaffnet mit automatischen Waffen. »Siehst du, ich glaube, das wirst du nicht, weil du nicht kannst, Tills. Du bist mein. Das warst du immer und, ehrlich gesagt, wirst du es wahrscheinlich immer sein.« Sie tupft ihren Mund trocken. »Und jetzt. Wenn du dich hinsetzt, kann ich dir genau erklären, was ab jetzt passieren wird, und du wirst ein braves kleines Mädchen sein, nicken und zustimmen, oder ich werde das einzige kleine Ding, an dem dir etwas liegt, zerstören. Kapiert?« Sie durchbohrt mich mit ihrem Blick, ihre Augen nageln mich geradezu fest.

Sie geht tatsächlich so weit.

Ich sinke auf einen Stuhl, und mein Hals schwillt an. »Himmel, Peyton, wann bist du bloß so finster geworden?« Ich bin von mir selbst enttäuscht, ihre Boshaftigkeit nicht ernst genug genommen zu haben. Niemals hätte ich geglaubt, dass sie so tief sinken würde, mich zu verletzen, geschweige denn ihre zwölf Wochen alte Nichte. Nun weiß ich es. Ich erkenne, dass, ganz gleich wer, sie jemand hinter den Kulissen unter Kontrolle zu haben scheint. Jetzt gibt es für sie keine Rettung. Das weiß ich. Die Erkenntnis schlägt mir mitten ins Gesicht wie eine starke Rückhand. Sie ist meine Feindin, und ich bin ihre.

Peyton kichert und streicht sich ihr Haar aus dem Gesicht. »Vermutlich zur selben Zeit, in der du versucht hast, mir meinen Freund auszuspannen, Tillie. Nun, es tut mit ehrlich leid, dir das anzutun. Oder doch nicht, ich kann mich nicht recht entscheiden, aber vielleicht.« Sie lehnt sich vor, und ihr Blick ist schneidend. »Die Schuld liegt bei dir, wegen des Lebens, das du führst. Daran schon mal gedacht?«

»Du kannst mich mal!«

Wut kribbelt unter meiner Haut. »Wenn du auch nur mit deinem Atem in ihre Nähe kommst, Peyton, werde ich dich im Schlaf niederbrennen und um deine Leiche tanzen. Der einzige Grund, warum ich so eine rigorose Wahnsinnstat noch nicht begangen habe, ist Micaela.« Ich beuge mich vor und stütze meine Ellbogen auf den harten Holztisch. »Also gib deiner Nichte einen Kuss. Sie ist im Moment der einzige Grund, aus dem du immer noch atmest.« Ich weiß, wenn ich Peyton töte, besteht immer noch das Risiko, dass jemand anderes Micaela etwas zuleide tut. Ich bin nicht bereit, ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen. Ich pfeife auf die Ideale perfekter Elternschaft. Eine perfekte Mutter ist die, die versucht, die beste Version von sich selbst zu sein und nicht die Verkörperung dessen, was sich Medien oder Gesellschaft vorstellen. Ich meine, man schaue sich nur an, wer Micaelas Vater ist … wer ich bin.

Meine Gedanken wandern zurück zu Peyton und ihrem dämlichen Kommentar über ihren – was auch immer er für sie war. Ihr Liebster? Wohl kaum.

»Was für ein Freund?«

Sie hatte viele im Laufe der Jahre, und zugegeben, sie haben meine Gesellschaft oft mehr genossen als ihre. Hauptsächlich, weil sie sich zu sehr anstrengt zu gefallen. Während sie sich für einen Kinoabend aufbrezelte, mit kurzem Rock und dem Gesicht voller Make-up, blieb ich im Wohnbereich unseres Trailers, am Leib meinen Schlafanzug mit Ren-und-Stimpy-Figuren drauf.

Ihr Gesicht verwandelt sich in puren Hass, ihre Augenbrauen so eng zusammengezogen, dass ihre Stirn Falten schlägt. »Jase hat dich immer bevorzugt.« Sie atmet aus. Jase. Wie der ältere Jase Venari. Der war wohl kaum ihr Freund, und sie wurde aufgeteilt zwischen ihm und noch ein paar anderen. »Scheiß auf Jase, und scheiß auf dich. Ich werde euch jetzt alle fertigmachen. Ich werde es für unsere Mutter tun, für unseren Namen als Stuprum, für all das«, raunt sie und erhebt sich von ihrem Stuhl, um mich wütend anzufunkeln. »Deine Tochter wirst du zurückbekommen, wenn du getan hast, was ich dir gesagt habe. Verstanden?«

Ich beiße die Zähne zusammen. »Woher weiß ich, dass du dich um sie kümmerst, Peyton?« Peyton schnippt mit den Fingern, und ich drehe mich auf dem Stuhl um, als ich höre, dass hinter mir die Tür aufgeht.

Die Krankenschwester, die half, Micaela auf die Welt zu bringen, Jessica, kommt mit ihr auf dem Arm herein. Micaela lächelt Jessica an, ihr kleines Händchen grapscht nach ihrem Nacken.

Mein Mund öffnet sich leicht, während ich den größten Kampf, der in meinem Inneren tobt, ausfechte. Vertrauen. Das Schwerste ist, Vertrauen zu schenken, viel leichter ist es, selbst zu vertrauen. Als mein Blick auf Jessicas trifft, kann ich ihre stille Beteuerung sehen. Sie wird sich kümmern. Ich weiß das. Zumindest so lange, bis ich der sadistischen Hexe von einer Schwester Genüge getan habe. Ein Wächter zerrt Jessica wieder zur Tür hinaus, und ich drehe mich zurück und schaue Peyton an.

»Was zur Hölle willst du?«, schäume ich mit knirschenden Zähnen.

Sie lächelt und macht es sich wieder in ihrem Stuhl bequem, um weiterzuessen. »Ich freue mich, deine Loyalität zu haben, Schwesterherz. Setz dich.«

Das tue ich, umklammere krampfhaft die Armlehnen aus altem Eichenholz und lasse meinen Hintern langsam sinken. »Was willst du also?«

Sie schneidet in ihr Rinderfilet. »Ich will, dass du für mich Augen und Ohren offen hältst. Hast du verstanden?«, blafft Peyton, und ich zucke beim Tonfall ihrer Stimme zusammen.

Unsere Blicke treffen sich. »Ja, ich habe verstanden.«

Ich hasse sie, und ich hasse dieses Esszimmer. Das ist alles, was Peyton sich wünschen würde, das Ganze nur noch in einem verdammten Büro im höchsten Gebäude von New York City.

»Gut«, murmelt sie und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. »Weil du nämlich morgen wieder da rausgehen wirst, also sei bereit und reisefertig.«

»Peyton«, sage ich mit unbeweglichem Gesicht und gebe mein Bestes, sie nicht aufzubringen, während ich versuche, meine blanke Wut zu beschwichtigen und hinter einer coolen Fassade zu verbergen. »Ich kann nicht einfach wieder in ihre Leben treten und erwarten, dass keine Fragen kommen. Was ist mit Micaela, Peyton? Hä? Glaubst du, Nate wird keine verdammten Fragen stellen?«

Peyton betrachtet mich und grinst. »Darum wirst du auf Madisons Türschwelle aufschlagen und losheulen, dass ich dein Baby genommen habe. Realistischerweise musst du nicht mal so tun als ob.« Sie zuckt mit den Schultern, als wäre das nichts, worüber man sich aufregen müsse. Wieder fällt ihr Blick auf mich. »Dann wirst du ihnen leidtun, und gleichzeitig wollen sie hinter mir her. Sie werden dich zurück in das exklusive Rudel einladen. Und dann?« Sie nimmt einen Schluck von ihrem Drink. »Dann wirst du warten, bis ich dir sage, was als Nächstes zu tun ist.«

»Du bist verrückt.« Ich schüttele den Kopf. »Was lässt dich annehmen, dass ich ihnen nicht alles erzähle?«

Sie nagelt mich mit ihrem Blick fest. »Weil du, Tillie, hinter all diesen schönen Zügen und der zierlichen heißen Figur schlau bist. Du bist die Klügere von uns beiden, und du weißt, was passieren wird, wenn du das tust.«

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück, durch meinen Kopf rattern alle möglichen Wege, wie ich dieses Szenario angehen kann. Zurzeit – das weiß ich – bleiben mir nicht viele Möglichkeiten. Zurzeit hält sie alle Karten in ihrer Hand, also muss ich mit dem Blatt spielen, das sie mir gegeben hat. Ich stoße den Atem aus. »Also gut. Ich werde es machen.«

3. KAPITEL

TILLIE

Ich klopfe dreimal, aber ohne Reaktion, also lasse ich mich auf die kalten Stufen an der Vorderseite der Villa meiner besten Freundin nieder. Unzählige Male vorher habe ich schon auf diesen Stufen gesessen, aber noch nie fühlten sie sich so leer an wie jetzt. Wind weht durch die Bäume längs der weit geschwungenen Auffahrt, dass mir das Wasser des Springbrunnens wie dünne Nebelschleier ins Gesicht sprüht.

Madison ist in einem reichen Elternhaus aufgewachsen, aber vertu dich nicht, sie ist deshalb noch lange nicht privilegiert, ich glaube, deshalb hat es zwischen uns beiden auch so schnell und heftig gefunkt. Ihre andere gute Freundin Tate allerdings …

Ich habe absolut nichts gegen Tate, aber sie verkörpert echt alles, was man von einem reichen Flittchen erwartet, das mit einem goldenen (ja, einem goldenen, nicht mit einem silbernen) Löffel im Mund groß geworden ist. Aber selbst wenn Tate und ich nicht einer Meinung sind, gibt es eine gemeinsame Grundlage, auf der wir uns begegnen können – und das ist Madison.

Ich verberge mein Gesicht in den Händen, und zum ersten Mal beginnt mir klar zu werden, was wirklich passiert ist. Sie hat mir meine Tochter weggenommen. Meine Schwester ist unleugbar komplett durchgedreht, und es ist daher sehr gut möglich, dass sie ihr ein Leid zufügt, wenn ich nicht tue, was sie sagt.

Ich habe Daemon verloren.

Ich habe meine Schwester verloren. Mehr oder weniger.

Ich habe meine Tochter verloren.

Ich habe niemanden. Und ich bin niemand. Nate wird mich hassen, weil er glaubt, ich wäre mit seiner Tochter auf und davon, und wenn er mich jetzt noch nicht hasst, dann wird er es gewiss tun, sobald die ganze Wahrheit ans Licht kommt. So oder so kann ich nicht gewinnen, und die Mauern in meinem Kopf scheinen mich immer enger einzuschließen.

Ich höre ein Auto vorfahren, das Scheinwerferlicht bricht durch die Lücken zwischen meinen Fingern. Ich wische mir die Tränen von den Wangen und konzentriere mich auf den Wagen. Ein mattschwarzer Audi mit dem Nummernschild »KINGII« kommt in Sicht. Mein Herz schlägt wie Donner. Es kann nur einen Menschen mit diesem Nummernschild geben.

Nate.

Ich springe von der Treppenstufe auf, reibe mir neue Tränen aus den Augen. Eine Autotür fällt zu, dann noch eine, während bereits Absätze über die Auffahrt klappern. Ich begreife sofort, dass es sich unmöglich um Madison handeln kann, weil sie nie hohe Hacken trägt. Aber Tate könnte es sein. Doch ich beschließe, sämtliche Theorien sein zu lassen, und schaue genau hin.

»Tillie?« Er geht mit langsamen, kalkulierten Schritten. Ich kann nur seine Umrisse erkennen. Offenbar trägt er dunkle Jeans, schwere Stiefel und eine Lederjacke über einem Kapuzensweater.

Dankbar, sein Gesicht oder seine Augen nicht sehen zu können, räuspere ich mich. »Sie hat sie, Nate, und sie wird sie nicht zurückgeben.«

Er bleibt stehen, dann blickt er über die Schulter. »Steig verdammt noch mal in das Auto!«

Sein Ton lässt mich zusammenfahren, dann bemerke ich, dass er ausnahmsweise nicht mich meint. Er dreht sich wieder zu mir um. »Warum glaubst du, dass sie sie hat?«

Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie fallen ungehindert, wohin sie wollen. Ich will sie fortwischen, wütend, dass mein Körper automatisch Peytons Befehl folgen könnte, mich wie eine verfolgte Unschuld aufzuführen. »Peyton hat Micaela mitgenommen und wird sie nicht …« Ich ersticke fast an meinen Worten, ein Schluckauf durchkreuzt meinen Redefluss. »… nicht wieder herausrücken.«

Nate stürmt vor, seine Hand greift augenblicklich nach meiner. Er zieht mich an seine Brust. Damit habe ich nicht gerechnet. Mein Körper erstarrt.

Seine Hand fährt an mein Kinn, und er drückt so fest zu, dass ich zusammenzucke. Damit habe ich gerechnet. Er reißt meinen Kopf hoch, damit ich ihn ansehen muss. Jetzt sehe ich seine Augen. »Wenn ich herausfinde, dass du mich anlügst, Tillie, egal, ob wir ein Kind miteinander haben oder nicht, bringe ich dich verdammt noch mal um, hast du mich verstanden? Verarsch mich nicht, wenn es um Micaela geht, Tillie. Sonst, ich schwöre bei Gott …«

»Nate!« Madisons Stimme zerreißt die Luft wie ein Blitzschlag.

Ich befreie mein Gesicht aus seinem Griff, als Madison ihn auch schon wegstößt und er träge neben mir zu Boden geht. »Großer Gott!«, schreit sie und hebt ihre Hände zu meinem Gesicht. »Ich wollte ihnen klarmachen, dass du nicht davonläufst. Ich habe ihnen gesagt …«

Ich stoße die angehaltene Luft aus und ziehe Madison in meine Arme. »Nein, ich würde nicht weglaufen, Madison, aber Peyton hat Micaela, und sie wird sie nicht wieder herausrücken. Ich kann nichts dagegen machen, ich bin machtlos.« Was keine Lüge ist.

Madison dreht sich zuerst zu Bishop um, dann wendet sie sich dem Haus zu. »Komm, wir können drinnen weitersprechen. Nate!«, fährt sie ihn an, der bereits auf dem Weg zum Haus ist. »Sieh zu, dass du deine Nutte loswirst!«

Er zeigt ihr den Mittelfinger, dann steckt er sich mehrere Finger in den Mund und pfeift gellend. Ich sehe ein blondes Mädchen vom Beifahrersitz seines Wagens krabbeln. »Ja?«

Na, prächtig, sie reagiert echt wie ein Hund auf seine Kommandos. Krass.

»Sieh zu, wie du heimkommst.« Er dreht sich um, und sie ist entlassen.

»Schön zu sehen, dass er sich kaum verändert hat«, brumme ich verhalten.

Madison schnaubt spöttisch und hakt sich bei mir unter. »Oh, aber er hat sich geändert. Er ist noch schlimmer geworden.«

Ich ziehe einen der Barhocker unter dem übergroßen Küchentresen aus Granit hervor, rutsche darauf und greife nach dem Glas Whiskey, das Madison mir eingegossen hat.

»Ich meine ja nur, aber seid ihr nicht beide zu jung, um damit anzufangen …?« Bishop deutet auf unsere Gläser.

Madison feuert einen bösen Blick auf ihn ab.

Er hebt abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut.«

»Rede, Tillie. Lass verdammt noch mal die Verzögerungstaktik sein.« Das ist Nate.

Ich trinke einen großen Schluck von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, behalte sie einen Moment auf der Zunge, dann schlucke ich und genieße es, wie sie brennend durch meine Kehle sickert und sich heiß in meinem Magen ausbreitet. »Sie hat unsere Tochter entführt und will sie uns nicht zurückgeben. Sie hat uns nach Daemons Beisetzung irgendwo in New York City eingesperrt. Ich weiß nicht recht, wo, weil sie mir auf der Fahrt die Augen verbunden haben.« Nicht gelogen. So schlecht läuft es gar nicht. Daemons Tod hat uns alle hart getroffen. Immerhin war er Madisons lang verschollener Zwillingsbruder gewesen, der Anführer der Verlorenen, der auf einer Insel mit Namen Perdita festgehalten wurde. Eine Insel, die im Auftrag der Kings von meiner geistesgestörten Mutter regiert wurde. Das hat irgendwas mit ihrem Geburtsrecht und dem Familienstammbaum zu tun, so genau weiß ich das nicht. Ich bin erst vor Kurzem dahintergekommen, dass Katsia meine Mutter ist. Daemon sprach fließend Latein, dafür aber kaum Englisch. Er galt stillschweigend als verhaltensauffällig. Ein Mensch, über den man niemals ein Wort verliert, weil man ihm nie so nahekommt, dass man sich eine Meinung bilden könnte.

Bloß, dass ich es trotzdem tat.

Schließlich wandert mein Blick zu Nate, was ich aber sofort bereue. Seine Pupillen sind erweitert, er schäumt vor Wut, ist absolut geladen, und sein gesamter Zorn richtet sich gegen mich.

»Wenn du nicht von vornherein abgehauen wärst, hätte ich verdammt noch mal auf dich aufpassen können!«

Ich kneife die Augenlider zusammen. »Ich bin nicht abgehauen, Nate. Scheiße, ich wurde verschleppt. Das ist ein Unterschied.«

Als er näher kommt, erstarre ich unwillkürlich zur Salzsäule, jede einzelne Alarmglocke in mir beginnt mir läutend zu bedeuten, dass ich jetzt lieber die Klappe halte, sonst bringt mich dieser Junge noch um. »Ach ja, ist das ein Unterschied? Wie wäre es, wenn wir deine Theorie auf die Probe stellen?«

»Nate«, versetzt Madison, aber er weicht nicht zurück. Sein Blick bleibt allein auf mich gerichtet, und meiner auf ihn. Ich werde nicht klein beigeben, diesmal nicht, ich weigere mich. Soll er doch wütend werden, ich habe es satt, als schlechter Mensch abgestempelt zu werden, bloß weil ich, seit ich verflucht noch mal in diese Welt gestolpert bin, kaum eine andere Wahl hatte. Nicht jeder verfügt über die Freiheit, die Geld und Einfluss einem verschaffen können. Manche müssen sich eigenhändig von ihren Fesseln befreien, ohne dafür bezahlen zu können, dass ihnen jemand die Tür aufschließt.

»Vielleicht solltest du …«, gebe ich herausfordernd zurück.

Da wird sein Blick weicher, ein träges Grinsen hebt seine Mundwinkel. »Na, na, Prinzessin, bitte mich nicht um etwas, das du nicht verkraften kannst.«

»Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, habe ich alles noch ganz gut verkraftet, vielen Dank«, brumme ich, wende endlich den Blick von ihm ab und konzentriere mich auf meinen Drink.

»Okay. Sorry, ich bin in Verzug, aber ich musste –«, unterbricht Tate hinter mir. Ich drehe mich nicht nach ihr um, weil ich irgendwo in den Tiefen meines Verstandes begreife, dass sie hasst, was mich mit Nate verbindet.

Madison beugt sich zu mir vor, die Ellbogen stützt sie auf den Küchentresen. »Bleib, solange du willst hier, ja? Wir bringen sie schon zurück. Das verspreche ich.«

Ich lächle. »Danke, Maddie, das weiß ich zu schätzen.«

Nun steht sie wieder auf, kommt um den Tresen und nimmt meine Hand. »Komm, ich bringe dich in Daemons altes Zimmer. Da kannst du bleiben, solange du hier bist.«

Schmerz durchzuckt meine Brust, doch ich ringe ihn im Bewusstsein aller Augen, die auf mir ruhen, nieder.

Ich suche niemandes Blickkontakt. Stattdessen halte ich den Kopf gesenkt und lasse mich von Madison zu Daemons Zimmer führen.

Als wir vor der Tür stehen bleiben, packt Madison meine Hand fester. »Ich weiß alles über dich und Daemon, Tillie.«

Mein Kopf fährt hoch, ich starre sie an. »Was soll das heißen?«

Sie schluckt, dann schlägt sie langsam die Augen auf und schaut mich an. »Ich weiß über euch beide Bescheid, und ich weiß, was zwischen euch vorgefallen ist.«

»Okay«, antworte ich, weil ich nicht recht weiß, was ich sonst sagen soll, und weil ich es wirklich, wirklich hasse, sie anzulügen. Von allen Menschen auf der Erde ist sie die Einzige, die ich nicht belügen will. Aber ich muss einen Ausweg aus diesem Labyrinth finden, in dem ich mich verirrt habe.

»Du sollst nur wissen, dass es in Ordnung ist, hier drin um ihn zu trauern. Ich war, seit es passiert ist, nicht mehr in diesem Zimmer, vor allem, weil ich es unmöglich ertragen konnte.« Sie hält inne und schluckt. »Aber auch, weil ich das Gefühl hatte, hier nichts verloren zu haben.«

»Das ist doch verrückt, Maddie. Er war dein Zwillingsbruder …«

Aber sie schüttelt den Kopf und unterbricht mich, ohne mir eigentlich ins Wort zu fallen. »Ich weiß, es scheint so, aber es ist mir immer so vorgekommen, als hätte ich hier nichts verloren. Du aber schon, das weiß ich. Also, lass dir bitte Zeit. Übernachte hier, und wenn du so weit bist, kannst du mir vielleicht helfen, seine Sachen einzupacken.«

Ich stoße hörbar einen Schwall Luft aus. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Hier übernachten, meine ich.«