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Alles, was der Elite Kings Club tut, tut er nur für dich
Madison Montgomery wollte nichts als endlich ein ganz normales Leben führen. Doch Vincent Bishop Hayes zog sie in eine Welt aus Macht, Intrigen und Geheimnissen. Obwohl sie sich versprochen haben, immer ehrlich zueinander zu sein, verbirgt er seine Gefühle hinter meterhohen Mauern. Und immer, wenn Madison glaubt, auf dem Weg zur Wahrheit ein weiteres Puzzleteil gefunden zu haben, schlägt der Elite Kings Club alles, was sie zu wissen glaubt, in tausend Stücke. Werden die Geheimnisse um die Kings für immer zwischen ihnen stehen, oder kann Maddie Bishop endlich vertrauen?
"Unfassbar, unvorhersehbar und voller Geheimnisse - klares Jahreshighlight!" MY TESTBOARD
Das große Finale der "Elite-Kings-Club"-Reihe von Bestseller-Autorin Amo Jones
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Seitenzahl: 428
Leserwarnung
Dieses Buch enthält explizite Szenen, derbe Wortwahl, Gewalt und die Schilderung von sexuellen Übergriffen. Leser*innen, die derart heftige Darstellungen nicht lesen möchten oder durch sie an ein Trauma erinnert werden könnten, wird hiermit geraten, diesen Roman nicht zu lesen. Alle Handlungen zwischen Held und Heldin sind einvernehmlich.
AMO JONES
Silent King
Roman
Ins Deutsche übertragen von Karla Stepenitz
Als Madison Montgomery nach dem Tod ihrer Mutter in die Hamptons zog, wollte sie nur eins: vergessen, was passiert ist, und ein ganz normales Leben führen. Doch mit Bishop Vincent Hayes betrat sie den Kreis des berüchtigten Elite Kings Clubs – und damit eine gefährliche Welt aus Macht, Intrigen und Geheimnissen, in der nichts so ist, wie es scheint. Und obwohl Bishop und sie sich versprochen haben, immer ehrlich zueinander zu sein, gibt es nach wie vor noch Geheimnisse, die zwischen ihnen stehen. Wieso hat Maddies Mutter ihren Tod vorgetäuscht? Was verbindet sie mit den Kings? Was hat der Club mit ihrer eigenen Vergangenheit zu tun? Doch je näher Madison der Wahrheit kommt, desto hartnäckiger verbirgt Bishop seine Gefühle hinter meterhohen Mauern. Und wenn sie mit Bishop eine gemeinsame Zukunft haben will, ist plötzlich die einzige Frage, die nicht unbeantwortet bleiben kann: Wird Maddie Bishop jemals wirklich vertrauen können?
Rihanna – Desperado
Amy Shark – Adore
Avenged Sevenfold – Hail to the King
System Of A Down – B. Y. O. B.
System Of A Down – Toxicity
Tove Lo – Talking Body
Pitbull, T-Pain – Hey Baby (Drop It To the Floor)
Halsey – Bad At Love
50 Cent, Eminem, Adam Levine – My Life
Fabolous, Keri Hilson – Everything, Everyday, Everywhere
A$AP Rocky, Drake, 2 Chainz, Kendrick Lamar – F**kin’ Problems
Halestorm – Familiar Taste Of Poison
Evanescence – Tourniquet
Monifah – Touch It
The Neighbourhood, French Montana – #icanteven
Usher – Nice & Slow
Keyshia Cole, Diddy – Last Night
Twista, Jamie Foxx, Kanye West – Slow Jamz (feat. Kanye West & Jamie Foxx)
Trick Daddy & YoungBloodz Remix – T-Pain – I’m Sprung
Ja Rule, R. Kelly, Ashanti – Wonderful
Usher, Alicia Keys – My Boo
N. E. R. D – Everyone Nose (All The Girls Standing In The Line For The Bathroom)
Usher – Climax
Breaking Benjamin – Crawl
Rihanna, Ne-Yo – Hate That I Love You
DJ Hit-Man – Bonnie and Clyde
Akon – Right Now (Na Na Na)
Linkin Park – A Place For My Head
Rains – Look In My Eyes
Godsmack – I Fucking Hate You
The Weeknd, Kendrick Lamar – Pray For Me (with Kendrick Lamar)
Limp Bizkit – Behind Blue Eyes
Soulja Boy, Sammie – Kiss Me Thru The Phone
Baby Bash, Z-Ro, Berner, Baby E – Light Up Light Up
Tyga, Ty Dolla $ign – Move to L. A.
Rihanna – Sex With Me
2 Chainz, Ty Dolla $ign, Trey Songz, Jhene Aiko – It’s A Vibe
Machine Gun Kelly, Kid Rock – Bad Mother F*cker
Jack Garratt – Water
Dead Obies – Get Dough
Miras – Something I Don’t Know
ZAYN, Kehlani – wRoNg
Niykee Heaton, Migos, OG Parker – Bad Intentions
Niykee Heaton – Lullaby
Niykee Heaton – I’m Ready
Bad Wolves – Zombie
Skillet – Hero
Pop Evil – Torn to Pieces
Bullet For My Valentine – Your Betrayal
Jason Derulo – Stupid Love
Saving Abel – Addicted
Halestorm – I’m Not An Angel
Niykee Heaton – Infinity
J. Williams – Ghetto Flower
The Weeknd, Gesaffelstein – I Was Never There
The Weeknd, Gesaffelstein – Hurt You
Lauv – The Other
Imagine Dragons – Believer – Live /Acoustic
Imagine Dragons – Believer
The Weeknd – Call Out My Name
Halestorm – Innocence
Scars On Broadway – Whoring Streets
Für Amy:
Du bist eine Frau.
Du bist voller Kraft.
Wenn du dieses Buch gelesen hast, wirst du das begreifen.
Wir lieben dich, Mädchen, und wir passen auf dich auf.
#FuckCancer
Broken Puppet – Elite Kings Club
»Nein!«, schreie ich und sinke zu Boden. Ich schüttle den Kopf und ziehe mir an den Haaren; am liebsten hätte ich mir die Erinnerungen aus dem Kopf gekratzt.
»Madison!« Wer ist das? Es klingt wie Bishops Stimme. »Brantley …«
Ich schaute zum Bett, schluckte und betrat langsam das Zimmer. Es war sehr groß. Geradezu riesig. Und es war dämmrig, fast dunkel. Auf einer Seite stand ein breites Bett. Das Herz hämmerte in meiner Brust, mein Hals fühlte sich wie zugeschnürt an. Während ich auf das Bett zuging, schaute ich es mir genauer an. Alle anderen Lampen im Zimmer spendeten kaum Licht, doch dort am Bett leuchtete etwas hell. Als ich noch näher herantrat, erkannte ich, dass dort eine Kamera auf ein Stativ montiert stand. Von ihr ging ein Lichtstrahl aus, der aufs Bett gerichtet war.
Ich runzelte die Stirn. »Was …«
»Geh zum Bett, Silber.« Diese Stimme. Wie ich diese Stimme hasste. Mir war übel, ich hatte ein flaues Gefühl im Bauch. Etwas war falsch. Wie immer, wenn dieser Mann in der Nähe war. Ich hasste ihn, und doch gehorchte ich ihm, denn so hatte man es mir beigebracht. Auf Erwachsene musste ich hören, denn sie wussten, was richtig war. Warum gab dieser Mann mir dann das Gefühl, schmutzig zu sein? Andere Erwachsene taten das nicht. Wenn er bei mir war, fühlte ich mich traurig und verletzt und zornig. Alles zugleich. Aber vor allem war ich verwirrt.
Ich trat ans Bett und blieb am Fußende stehen. Auf der Bettdecke lag zusammengerollt ein kleiner Junge. Er hatte nichts an. Warum hatte er nichts an? Ihm musste doch kalt sein.
»Aufs Bett, Silber!«, befahl Lucan mit erhobener Stimme. Ich zuckte zusammen und stieg rasch auf die weiche Matratze.
»Hi«, flüsterte ich dem Jungen zu. Er weinte. »Was ist denn los?«, fragte ich ihn. Warum war er so traurig? Ging es ihm genau wie mir? Löste Lucan in ihm die gleichen Gefühle aus?
Der Junge schluchzte und verbarg das Gesicht in der Bettdecke. »Geht weg!«, rief er aus, immer noch weinend. Offenbar war er nicht nur traurig, sondern auch zornig. Also ging es ihm vielleicht wirklich wie mir.
Ich blieb auf der Matratze sitzen. Lucan lockerte die Krawatte und richtete die Kamera auf uns. »Zieh dich aus, Silber.«
»Nein!«, schreie ich; mein Körper ist schweißnass. »Lass mich in Ruhe. Ich heiße nicht Silber. Ich heiße Madison! Madison Montgomery! Ich bin nicht Silber!« Ich wiege mich auf dem Schotterweg vor und zurück und versuche mich aus der Erinnerung zu befreien.
»Ich … Was ist mit dem Jungen?«
Lucan betrachtet den Jungen auf dem Bett und verzieht ein wenig den Mund. »Brantley, mach Platz für Silber.«
Ich reiße die Augen auf und fahre hoch, ohne auf die vielen kleinen Steinchen in meiner Haut zu achten. »Brantley!«, schreie ich.
Brantley dreht sich zu mir um. Seine Miene wird ausdruckslos.
Ich erbleiche am ganzen Körper. Der Schmerz, die Wut, die Traurigkeit, alles wird wieder lebendig. Plötzlich bin ich wieder das verängstigte kleine Mädchen von damals.
»Verdammt, wovon reden die beiden?«, fragt Hector mit dröhnender Stimme; er wirkt nicht mehr ganz so gelassen. »Was zum Teufel ist da eben passiert, Madison?«
Scheinwerferlicht streicht über die Blockhütte, doch ich achte nicht darauf. Ich achte auf gar nichts.
Und auf einmal überfällt mich Wut. Reine Wut, belebend wie ein Schuss Adrenalin. Ich strecke den Rücken und sehe endlich Lucan an. Den Mann, der mich als Kind missbraucht hat. Dem meine Eltern vertraut haben. Von dem ich geglaubt habe, ich könnte ihm trauen. Der mich mit seiner Autorität als Erwachsener dazu gebracht hat, sein Geheimnis zu wahren.
Den Mann, den ich töten will.
»Du!«, sage ich leise und drohend.
Lucan erwidert meinen Blick. Er sieht noch genauso aus wie damals. Nur viel älter. Sein Kopf ist kahl, auch im Gesicht hat er keine Haare mehr. Aber diese Augen. Sie werden immer das gleiche Gefühl in mir auslösen. Ich kann spüren, wie es sich in mir ausbreitet, genau wie damals, als ich ein kleines Mädchen war. Doch ich kämpfe dagegen an. Ich bin kein Kind mehr. Ich bin älter. Erfahrener. Und auch wenn diese Begegnung mit Lucan mir auf eine Weise wehtut, die ich vermutlich noch monatelang spüren werde, am Ende wird es sich gelohnt haben. Irgendwo hinter mir werden Autotüren zugeschlagen; auch darauf achte ich nicht. Meine gesamte Aufmerksamkeit gilt Lucan. Was sonst noch in meiner Nähe geschieht, blende ich aus.
In meinem Rücken nähern sich Menschen – oder zumindest eine Person; ich höre Schritte auf dem Schotter. Aber auch das ignoriere ich.
Lucan lacht leise. »Niemand wird dir glauben, Silber.«
Die Schritte verstummen.
Ein eiskalter Wind weht mir die Haare ins Gesicht. In dem Moment weiß ich es. Die Schritte stammen von Bishop und den Kings.
Lucan stürzt sich auf mich, packt mich an den Haaren und zieht mich mit dem Rücken an sich. Es geschieht so schnell, dass ich kaum blinzeln kann; als ich es dann doch tue, sehe ich die Jungs. Lucan zieht mich rücklings an sich und hält mir eine Pistole an die Schläfe. Flehend schaue ich Bishop an, doch der sieht nicht mich an, sondern Lucan. Unter seinen zornigen Atemzügen heben und senken sich seine Schultern.
»Was zum Teufel geht hier vor, Junge?«, fragt Hector ihn ruhig; dass mir Lucan jederzeit das Gehirn wegpusten kann, kümmert ihn offenbar nicht sonderlich. Mein Herz überschlägt sich; vor Angst habe ich am ganzen Körper Gänsehaut. Nein. Auf keinen Fall. Ich habe nicht all die schlimmen Erinnerungen überlebt und den ganzen Mist unterdrückt, um mich jetzt von Lucan umbringen zu lassen. Er hat mir schon so vieles gestohlen. Mein Leben wird er mir nicht auch noch nehmen.
Bishop macht einen Schritt nach vorn, den Mund drohend verzogen, die Augen pechschwarz. Diesen Blick habe ich noch nie gesehen. Es ist der Blick eines Raubtiers. Ich schaue an ihm vorbei, und dort steht Nate, in der gleichen Haltung, und lässt die Fingerknöchel knacken. Jetzt fängt er an, auf der Stelle zu hüpfen, als wollte er sich in einen Kampf stürzen. Die übrigen Jungs sind ebenfalls da, jederzeit bereit, wenn sie gebraucht werden. Ob sie die Hintergründe kennen oder nicht, eines weiß ich: Sie sind Bishop treu ergeben. Ohne Fragen zu stellen. Die Elite Kings in Bestform.
»Ah!« Lucan drückt mir den Pistolenlauf kräftiger gegen die Schläfe. »Keine Bewegung, verdammt. Da heute ohnehin Menschen sterben werden, möchte ich zunächst ein paar Dinge klarstellen, damit Silber weiß, woran sie ist.«
»Nenn mich nicht so«, zische ich drohend.
»Hey, ich tu dir einen Gefallen.«
»Scheiß drauf.«
Er lacht. Ich spüre seinen Atem im Nacken. Abscheu überwältigt mich, ich muss würgen und bin kurz davor, mich zu übergeben.
»Was zum Teufel geht hier vor?«, fragt Hector erneut.
Wo steckt Brantley? Das Ganze ist doch ein abgekartetes Spiel. Er und Khales sind nirgendwo zu sehen. Ich blicke mich noch einmal genauer um, so gut das in der Situation möglich ist, und richtig, beide stehen nicht mehr da, wo sie eben noch waren.
Hass.
»Fangen wir doch damit an. Erstens, kennst du eigentlich die Nachnamen dieser Jungen, Silber?«
Wie bitte?
»Was hat das damit zu tun, was du damals mit mir angestellt hast?«
»Darauf komme ich noch.« Er grinst. Seiner widerwärtigen Stimme ist anzuhören, wie viel Spaß ihm das alles macht. Eine komische Sache, das Altern. Stimmen verändern sich erst sehr spät. Lucans Stimme klingt noch genauso wie früher.
»Was hast du vor, Lucan?«, fragt Hector drohend. Sein Tonfall hätte eigentlich jeden einschüchtern müssen, doch Lucan spricht unbeirrt weiter.
»Hector und Bishop Hayes«, sagt er. »Hayes bedeutet übrigens ›der Teufel‹.« Als ich etwas fragen will, bringt er mich zum Schweigen, indem er mir den Mund zuhält. »Ihr haltet jetzt alle die Klappe und lasst mich ausreden, sonst erschieße ich sie, das schwöre ich.«
Dann räuspert er sich und fährt selbstzufrieden fort: »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei den Namen. Lucan und Brantley Vitiosus. Zur Bedeutung der Namen und ihrer Übersetzung ins Englische komme ich noch, wenn ich fertig bin.« Er lacht. Dann beugt er sich herab, bis seine Lippen meine Ohrmuschel berühren, und flüstert: »Du weißt ja, dass ich eine Vorliebe fürs Theatralische habe, nicht wahr, Silber?«
Eine erste Träne, gefolgt von Ärger und Wut.
Lucan redet weiter. »Max, Saint und Cash Ditio. Phoenix und Chase Divitae. Raguel, Ace und Eli Rebellis.« Bei den letzten zwei Namen lacht er. Unwillkürlich sehe ich Nate an. Chase und Cash halten ihn fest. Sein Blick ist tödlich. Auch wenn ich wegen des schwachen Lichts und der Tränen in meinen Augen nicht viel erkennen kann, ich spüre es verdammt deutlich.
Lucan redet weiter. »Nate Malum-Riverside.« Dann lacht er und beugt sich erneut zu meinem Ohr herab.
Ich schließe die Augen und schlucke die Galle hinunter, die durch seine Berührung in mir aufsteigt. »Johan, Hunter, Jase und Madison Venari.«
Ich erstarre. Das Blut weicht mir aus dem Gesicht.
»Hast du gehört, Silber? Du wurdest adoptiert. Du und dein wahnsinniger Bruder.«
Was? Meine Augen füllen sich erneut mit Tränen. Das kann nicht stimmen. Auf gar keinen Fall. Lucan verarscht mich. Mein Dad ist mein Dad und meine Mom meine Mom. Lucan ist so, wie er immer war.
Ich schaue Bishop an. Endlich erwidert er meinen Blick, und ich erkenne den Ausdruck in seinen Augen. So sieht er mich an, wenn wir allein sind. Er hat die Stirn gerunzelt und hält meinen Blick gefangen.
Es ist die Wahrheit. Und Bishop hat es gewusst.
Schluchzen erschüttert mich, die Knie geben unter mir nach. Lucan richtet mich grob wieder auf. »Vorsicht … Du kannst ja deinen Liebsten fragen, was diese Nachnamen bedeuten und was sie über die Pflichten der jeweiligen Kings-Familie aussagen. Aber eines muss dir klar sein, Silber«, flüstert er mir rau ins Ohr. »Wenn du über alles Bescheid weißt, bringen sie dich um.«
Das ist mir egal.
Ich wurde adoptiert. Mein gesamtes Leben war eine Lüge. Ich habe mich geirrt. Ich kann niemandem trauen. Nur Daemon. Daemon. Im Geist sehe ich sein Gesicht vor mir, doch es beruhigt mich nicht, sondern entlockt mir nur weitere Tränen.
»Jedenfalls werde ich es dir leichter machen und dir auch noch den allergrößten Knüller verraten!«, ruft Lucan aus und lacht hysterisch. Wieder beugt er sich zu mir herab, und ich warte; in der Stille höre ich nichts als meinen Atem.
»Du …«
Ein Schuss fällt. Lucan schreit auf, seine Hand gleitet von meinem Mund, er stürzt zu Boden.
Ich stehe da wie erstarrt, den Nachhall des Schusses noch in den Ohren.
Schmerz.
Zorn.
Wut.
Wut.
Wut.
Ich denke an das, was er mir angetan hat, und etwas Heißes steigt in mir auf. Wie er mich angefasst hat, als ich noch ein Kind war. Was ich mit Brantley machen musste. Was Brantley mit mir machen musste.
»Stopp!«, rufe ich laut und schaue, ohne zu blinzeln, auf das Auto, das vor mir steht.
Stille.
Langsam drehe ich mich um, und dabei bemerke ich Bishop neben mir. Er kniet sich neben den blutenden Lucan auf den Schotterweg.
Ich lege den Kopf schief, schaue Lucan an und flüstere lächelnd: »Dein Schmerz tröstet meine Seele in ihrem Zorn.«
Lucan sieht mir fest in die Augen. »In deinen Erinnerungen werde ich weiterleben, Silber. Für alle Zeit.«
Ich beiße die Zähne zusammen, beuge mich zu Bishop hinab und lege Hand an seinen Stiefel. Dort trägt er ein Messer, wie ich weiß; ich taste danach. Ich kann spüren, wie Bishop erstarrt, weil er errät, was ich vorhabe. Aber bevor er mich aufhalten kann – falls er mich überhaupt aufhalten will –, habe ich die Messerscheide schon geöffnet, ziehe das lange Jagdmesser heraus und hebe es an. Zögernd folgt Lucans Blick der Bewegung.
»Siehst du das Messer?« Ich fahre mit dem Zeigefinger an der stumpfen Seite der Klinge entlang. »Das ist ein Feldmesser von Fällkniven. A1 Pro.« Ich grinse. Die Jungs stehen alle hinter mir – bis auf Bishop, der immer noch neben mir kniet –, und ich genieße es, dass sie mich voller Achtung beobachten; vielleicht auch voller Angst oder mit einer Mischung aus beidem. Sie wollen mir beistehen, doch das ist nicht nötig. Ich ramme Lucan das Messer ins Becken, bis ich spüre, wie die Klinge auf Knochen trifft. Lucan schreit, markerschütternd laut, und bäumt sich auf. Tränen laufen ihm übers Gesicht.
Ich beuge mich zu ihm hinunter, bis meine Lippen seine Ohrmuschel berühren, so wie er es mit mir gemacht hat. Sein Blut rinnt mir über die Finger. »Weißt du was?«, flüstere ich lächelnd. »Da du so aufs Theatralische stehst: So ein Messer wird auch Überlebensmesser genannt.« Ich drehe die Klinge in der Wunde um. Meine Hände sind klebrig von seinem Blut. Es dämpft meinen Zorn, lindert den Schmerz, wie eine Eispackung den Schmerz einer Brandwunde lindert.
Ich ziehe das Messer aus seinem Unterleib, richte mich ein wenig auf und packe das Heft mit beiden Händen, um ihm die Klinge in den Kopf zu rammen. Das Feuer in mir soll endlich erlöschen; noch ist es nur ein wenig heruntergebrannt. Da taucht Brantley neben mir auf, entreißt mir das Messer und stößt es Lucan genau zwischen die Augen. Blut bespritzt mich. Ich schmecke es auf der Zunge.
Brantley schreit; die Adern an seinem Hals schwellen an, die Augen treten ihm fast aus den Höhlen. Ich hatte recht; auch er ist voller Zorn. Genau wie ich, wenn nicht noch mehr, denn schließlich war Lucan sein Vater.
Mein Atem beruhigt sich, und als Lucans Kopf zur Seite sackt und der Gestank seines Todes die Luft erfüllt, lasse ich mich schwer gegen Bishop sinken und lege den Kopf an seine Schulter.
Er schlingt den Arm um mich und küsst mich aufs Haar. Brantley zieht das Messer aus dem Kopf seines Vaters und sticht erneut zu. Und wieder. Und wieder. Ich zucke zusammen und verberge das Gesicht an Bishops Hals. Sein Geruch, sein … alles. Bishop. Ich höre nur noch, wie Brantley mit dem Messer zustößt.
»Na komm, Baby«, sagt Bishop mit den Lippen in meinem Haar, als er merkt, dass Brantley nicht so bald aufhören wird.
»Also gut«, sagt Hector, und ich drehe mich in Bishops Umarmung zu ihm um, weg von der Stelle, wo Brantley es noch immer seinem Vater heimzahlt. »Das ist ja alles sehr nett, aber würde mir bitte mal irgendwer erklären, was zum Teufel hier los ist und warum meine rechte Hand tot auf der Erde liegt? Hast du gehört, Brantley? Er ist tot. Du kannst aufhören.« Hector hält kurz inne und betrachtet das blutige Etwas, das Brantley hinterlassen hat; dann zuckt er die Schultern, als würde er so etwas jeden Tag erleben. Tut er vermutlich auch. Eigentlich wirkt keiner von ihnen sonderlich erschüttert.
Bishop drückt mich an sich.
»Als Madison ein kleines Mädchen war, hat Lucan sie regelmäßig vergewaltigt.«
Hector zieht an seiner Zigarre, doch trotz seines gelassenen Auftretens kann ich ihm seine Wut ansehen. Was mich überrascht, schließlich ist er Hector Hayes. Ich hätte nicht gedacht, dass ihn so etwas stört. Offenbar erkennt er, dass ich ihm etwas angemerkt habe, denn er lacht.
»Lass es dir nicht zu Herzen gehen, Süße. Ich kann dich aus vielerlei Gründen nicht leiden.« Er sieht kurz seinen Sohn an und dann wieder mich. »Aber Vergewaltigung billige ich nicht.«
»Und …« Bishop zögert, spricht dann aber weiter. »… und Brantley auch nicht.«
Die Stechgeräusche sind verstummt; jetzt höre ich Schluchzen. Kein stilles Weinen, sondern etwas von der hässlichen Sorte. Ich drehe mich in Bishops Umarmung zu Brantley um.
Er hockt neben dem, was von Lucan übrig ist, hat die Arme um die Knie geschlungen und wiegt sich vor und zurück. Aus seinen Haaren, von seinem Gesicht, von seinen Händen tropft Blut, doch er wiegt sich immer weiter und schluchzt laut. »Ich hab das doch nicht gewollt. Warum? Warum hast du mich dazu gezwungen? So viele Male …« Er schüttelt den Kopf. Es zerreißt mir das Herz. Ich will zu ihm gehen, doch Bishop hält mich am Arm fest.
Fragend schaue ich ihn an. Er schüttelt den Kopf. »Nicht.«
»Wieso nicht? Es ist doch kein Wunder, dass er mich hasst, Bishop«, flüstere ich und sehe Bishop forschend in die Augen. »Irgendwem musste er die Schuld geben. Also hat er mir die Schuld an dem gegeben, wozu sein Vater uns damals gezwungen hat. Denn wenn es mich nicht gegeben hätte, wäre es nie passiert.«
Bishop schüttelt den Kopf. »Nein, Baby.« Dann schaut er an mir vorbei.
»Siebenunddreißig«, flüstert Brantley hinter mir. Sofort drehe ich mich zu ihm um. »Siebenunddreißig kleine Mädchen.«
Was?, würde ich gern fragen, doch ich habe Angst, dass er mich dann wütend anfährt. Also bleibe ich stumm, in der Hoffnung, dass er von sich aus weiterspricht. Was er auch tut.
Er sieht mich an. Da er auf der Erde hockt, leuchten ihm die Autoscheinwerfer ins Gesicht. Es ist so blutverschmiert wie seine Kleidung. In der Hand hält er noch immer das Messer. Er wirft es zu uns herüber; es landet neben Bishops Füßen. »Aber du hast trotzdem recht«, sagt er, steht auf und kommt um die verstümmelte Leiche herum. »Ich habe dich gehasst. Ich habe nie begriffen, wieso du hierher zurückgekehrt bist. Damals, als wir Kinder waren, bei meiner Geburtstagsparty, habe ich alle Kinder gehasst, nicht nur dich. Aber mein Vater sprach bereits darüber, was wir miteinander machen sollten.« Er hält kurz inne. »Als du dann an der Riverside angefangen hast, war ich mir zuerst nicht sicher, ob du dich an mich erinnerst. Anfangs dachte ich, du erinnerst dich genau, und du willst uns irgendwie verarschen, um dich für das zu rächen, was Lucan dir angetan hat.« Scheiße, das leuchtet mir ein. »Und außerdem …« Er holt eine Packung Zigaretten hervor, steckt sich eine in den Mund und zündet sie an. »… warst du für mich damals die Erste. Noch ein Grund, dich zu hassen. Dass ›Silber‹ von ›Silberschwan‹ kam, habe ich nicht begriffen. Verdammt dumm von mir, ich hätte die Verbindung sehen müssen. Aber ich dachte, der Name hätte mit deinen Augen zu tun. Jetzt sind sie dunkelgrün, aber als du ein Kind warst, waren sie silbern.«
Ich nicke. Das stimmt. Meine Augen waren schon immer seltsam.
Brantley kommt näher, den Mund voller Rauch. »Spürst du das?«, fragt er und legt den Kopf schräg.
Ich sehe ihm tief in die Augen. Und ein Gefühl des Friedens breitet sich in mir aus. Das Feuer des Hasses, das so viele Jahre in mir gebrannt hat, ist erloschen. Lächelnd nicke ich. »Ja.«
Er bläst Rauch aus. »Wenigstens einer von uns.« Er sieht mich aus schmalen Augen an.
Ich runzle die Stirn. »Hasst du mich etwa immer noch?«
Überrascht hebt er die Augenbrauen. »Nein, verdammt.« Er blickt sich um. »Es ist nur – ach, vergiss es. Dich hasse ich jedenfalls nicht. Mit dir habe ich meinen Frieden gemacht.« Dann lächelt er. Es ist das erste Mal, dass ich Brantley lächeln sehe, und es gilt mir. Am liebsten hätte ich mich auf ihn gestürzt und ihn umarmt, aber das wäre ihm bestimmt zu viel gewesen. Immer schön einen Schritt nach dem anderen.
Ich drehe mich um, lege die Arme um Bishop und schaue über seine Schulter Hunter und Jase an. Meine Brüder. Meine biologischen Brüder. Genau wie Daemon.
Hunter weicht kopfschüttelnd einen Schritt zurück, marschiert zum Auto und knallt die Tür hinter sich zu. Ich runzle die Stirn und lasse die Schultern hängen. Was ich eigentlich erwartet habe, weiß ich selbst nicht – jedenfalls nicht, dass Hunter so reagiert. Er war immer freundlich zu mir.
Jase starrt mich an; sein Blick lässt mich keine Sekunde los. Als es mir endgültig das Herz brechen will, lächelt er mich an. Und zwinkert mir zu. Das überrascht mich ebenfalls. Mit Jase war ich noch nicht oft zusammen, aber mir scheint, das wird sich bald ändern.
Die übrigen Jungs kehren ebenfalls zu ihren Autos zurück. Bishop legt mir einen Arm um die Schultern und sieht seinen Vater an. »Soll ich Katsia anrufen, damit sie das da beseitigt, oder machst du das?«, fragt er und deutet mit einem Nicken auf unser Zerstörungswerk auf der Schotterstraße.
Hector sieht erst mich an, dann Bishop. »Ich rufe sie selbst an.« Dann wendet er sich an mich. »Ich bin heute Abend aus einem ganz bestimmten Grund mit dir hierhergefahren, und dieser Grund war nicht das da.«
Ich lehne mich an Bishop, und er zieht mich an sich. »Obwohl ich dir erzählen wollte, dass deine Eltern dich adoptiert haben.« Er sieht Bishop an. »Aber weißt du, sosehr ich meinen Sohn liebe, heute Abend hat er etwas Schlimmes getan. Etwas, das gegen unsere Regeln verstößt. Im Grunde haben wir nämlich nur eine Regel, Madison.« Hector sieht wieder mich an, und mir läuft es kalt über den Rücken. »Jedenfalls, da du jetzt von Lucan erfahren hast, dass du adoptiert wurdest, ist es sicher nur fair, wenn ich dir stattdessen etwas anderes verrate. Zumal mein Sohn heute Abend so schießwütig war.«
Ich sehe Bishop an. Schießwütig?
Hector kommt mit den Händen in den Hosentaschen einen Schritt näher. »Das Initiationsritual der Kings ist dir vertraut?«, fragt er mich, und ich nicke. »Sehr gut. Dann weißt du sicher auch Folgendes …« Er winkt jemandem, der hinter ihm steht, und aus der Dunkelheit taucht Khales auf. Bishop erstarrt. Der Griff, mit dem er mich festhält, wird stahlhart. »Khales war Bishops …« Um mich dreht sich alles. Mir wird übel. Noch jemand tritt aus dem Schatten. »… und deine Adoptivmutter.«
»Lost is not a place. It’s a soul in paralysis … Waiting to feel moved.«
– Atticus
»Ich möchte, dass ihr euch eine Mauer vorstellt. Eine kugelsichere Mauer, die niemand durchbrechen kann, auch wenn er noch so viele Waffen darauf abfeuert«, hatte Rob gesagt, während er vor uns auf und ab marschiert war. Wir sieben hatten uns schon immer nahegestanden. Ob wir nun verwandt waren oder nicht, diese Jungen waren meine Brüder. Ich hatte mich bewusst dafür entschieden, sie ins Herz zu schließen; Familienbande allein hätten das Gefühl der Brüderlichkeit niemals erzwingen können, das zwischen uns herrschte. Deswegen waren wir auch die schlagkräftigsten Kings, die es je gegeben hatte. Die Generationen vor uns waren oft zerstritten gewesen, hatte mein Vater gesagt, oder hätten darum kämpfen müssen, sich zu vertragen. Ob wegen eines Mädchens oder weil sie persönlich nicht gut zusammenpassten. So wie bei uns war es noch nie gewesen. In keiner früheren Generation war es je so geschmeidig gelaufen. Daher hatte man auch Großes mit uns vor.
»Eine Mauer?«, spottete Nate. »Du bist extra mit uns hergefahren, um uns irgendwas über Mauern beizubringen?«
Rob winkte zerstreut ab und marschierte weiter vor uns auf und ab, als wären wir Soldaten einer Armee. »Genauso eine Mauer sollt ihr jetzt in eurem Geist errichten. Aber bevor ihr damit anfangt, achtet darauf, dass außer euch noch sechs andere dahinter Platz haben. Nicht acht und nicht zwei oder irgendeine andere Anzahl von Leuten. Sondern genau sieben.« Er unterbrach sich und sah mich an. Ich war kein kleiner Junge. Für einen Zehnjährigen war ich sogar ziemlich groß, aber als ich jetzt zu Rob aufschaute, fühlte ich mich, als wäre ich gerade mal einen halben Meter groß. »Ihr müsst heute mit dem Bau dieser Mauer beginnen. Und ihr müsst daran arbeiten – ihr müsst üben, so eine geistige Mauer zu errichten. Denn wenn die Zeit eurer Initiation kommt, muss die Mauer felsenfest stehen. Sodass niemand mehr daran vorbeikommt. Denen hier dürft ihr trauen.« Rob deutete um sich. »Sonst niemand.«
»Was ist mit meinem Dad?«, widersprach ich. Die anderen Jungs starrten mich an, als wollten sie sagen: Verdammt, halt die Klappe! Denn Rob war furchterregend. Aber mir jagte man so schnell keine Angst ein.
»Nicht mal deinem Dad. Als er in deinem Alter war, ist er durch die gleiche Schule gegangen. Und die nach euch kommen, werden es auch.«
»Was, heißt das etwa, wir sollen Kinder in die Welt setzen?« Hunter verzog das Gesicht.
»Ja«, mischte Dad sich ein und kam hinter der Hütte hervor. Er trug einen seiner eleganten Anzüge. »Eines Tages werdet ihr Kinder haben.«
»Nein, danke. Ich will keine Kinder.« Dass ich mir nichts aus Kindern machte, hatte ich schon sehr früh begriffen. Es kam mir unwahrscheinlich vor, dass sich daran irgendetwas ändern könnte. Der Fluch des Einzelkindes, könnte man sagen.
»Ach, wetten, dass doch?«, spottete Eli. »Wetten, dass du mit Khales Kinder in die Welt setzt, sobald ihr sechzehn seid?« Er lachte schnaubend. Niemand sonst stimmte ein.
»Nein. Ich will keine Kinder.«
Mein Dad kniete sich vor mich hin und sah mir forschend in die Augen. »Du wirst Kinder bekommen, mein Sohn, und zu deinem Glück habe ich schon die Richtige für dich gefunden.«
Ich zog die Stirn kraus. »Was? Wen?« Auch wenn ich nicht daran dachte, Kinder zu zeugen, wollte ich doch wissen, wer seiner Meinung nach zu mir passte.
Er griff in die Brusttasche seines Jacketts, holte ein kleines Foto hervor und drehte es um, damit ich es betrachten konnte. Es zeigte ein kleines Mädchen, ungefähr in meinem Alter, vielleicht jünger – falls sie nicht einfach sehr klein geraten war. Sie hatte welliges braunes Haar, Pausbacken, blaue Augen und ein strahlendes Lächeln. Auf ihren Wangen sah man ein paar Sommersprossen. In den Händen hielt sie ein Jagdgewehr. »Dieses Mädchen.«
»Dieses Mädchen?«, wiederholte ich zweifelnd. Mein Vater hatte wohl vergessen, seine Pillen zu nehmen. Die war nun wirklich nichts Besonderes. Da gab es an meiner Schule Bessere. Allerdings hatte sie etwas Widersprüchliches an sich. Etwas Unausgeglichenes, könnte man sagen. Und dann diese Augen. Ihr Blick schien den Abstand zwischen uns mit einem Schlag zu überbrücken. Dabei schaute sie mich nur aus einem Foto an. »Wer ist das?«
Dad sah mich kurz an, und dabei bemerkte er, dass die anderen Jungs versuchten, auch einen Blick auf das Bild zu werfen. Er schaute sie warnend an, faltete das Foto zusammen und steckte es wieder ein. »Eine Person, die genau dann in deinem Leben auftauchen wird, wenn du sie brauchst.«
»Als wäre es Schicksal?«, fragte ich. Eigentlich wusste ich gar nicht, was dieses Wort bedeutete, aber die Erwachsenen benutzten es ziemlich häufig.
Er lachte. »Nicht Schicksal. Karma. Dein Weckruf.«
»Ach du Scheiße!«, stieß ich hervor und wich zurück, bis ich gegen einen harten Körper stieß. Ich wirbelte herum, begegnete Bishops Blick und suchte in seinen Augen nach einer Antwort, aber wie üblich verbarg er seine Gefühle hinter einer Mauer. Einer Mauer aus all den Toten vermutlich, die er auf dem Gewissen hatte. Sein Blick hatte schon immer etwas Lockendes gehabt, etwas, worauf ich innerhalb von Sekunden reagierte. Aber Bishop hatte mir zu viele Dinge zu lange verschwiegen. Ich wusste nicht mehr, ob ich ihm trauen konnte. Ich legte den Kopf schräg und betrachtete sein Gesicht, auf der Suche nach einer noch so vagen Aufhellung. Aber ich fand nichts. Mutlos ließ ich die Schultern hängen. Ich traute ihm nicht mehr. Keinem dieser Menschen konnte ich noch vertrauen. Meine Mutter – die in Wirklichkeit meine Adoptivmutter war – lebte noch. Sie hatte sich überhaupt nicht erschossen; und im Augenblick fiel mir dazu nichts weiter ein als: Na,schöneScheiße,dannbinichalsoalldieJahrefürnichtsundwiedernichtsgemobbtworden! Was allerdings daran liegen mochte, dass Bishop und sie miteinander geschlafen hatten. Und dann fiel mir wieder ein, dass außer ihr noch jemand von den Toten auferstanden war. Khales. Nichts von alledem ergab irgendeinen Sinn. Wie üblich. Mein gesamter Körper fühlte sich taub an, ich spürte nur noch, wie meine Finger zitterten und meine Handflächen feucht wurden. DuwirstdirjetztkeineSchwächeanmerkenlassen. Doch ich war heute mit so vielen Enthüllungen konfrontiert worden, von dem Blutvergießen ganz zu schweigen, dass mir nun alles zu entgleiten drohte. Ich verlor die Verbindung zu dem, was sich rings um mich abspielte. Konnte man einen anderen Menschen derart verrückt machen, dass dieser Mensch einen Nervenzusammenbruch erlitt? Oder war ich die Erste, der das passierte?
Hector steckte sich eine Zigarre in den Mund, zündete sie an und stieß eine Rauchwolke aus. »Madison, mein Sohn hat Khales nicht umgebracht. Das habe ich auch erst vor Kurzem erfahren.«
Ich wandte mich wieder Bishop zu. »Hast du mir nicht auch gesagt, du hättest sie getötet?« Es fiel mir schwer, nicht hinzuzufügen: AberduhastmirjaauchsonsteineMengeScheißerzählt.Stattdessen stieß ich das ›mir‹ besonders heftig hervor, um zu signalisieren, wie wütend ich über diese erneute Lüge war.
»Also, das ist wirklich alles ganz großartig, aber deswegen bin ich nicht hier.« Khales trat einen Schritt auf uns zu.
Sofort fuhr ich zu ihr herum. »Komm bloß nicht näher!« Dann sah ich meine Mom an. Diese Person, um die ich nach ihrem angeblichen Tod jahrelang getrauert hatte. Zwischen ihr und meinem Vater musste vieles passiert sein, wovon ich nichts ahnte. Doch während ich bei ihrem Anblick ein solches Misstrauen empfand, dass mir fast übel wurde, vertraute ich meinem Dad nach wie vor. Auch wenn er mich in dieses Chaos gestürzt hatte, war ich davon überzeugt, dass er ein gutes Herz hatte. Nun ja, jedenfalls was mich betraf. Allerdings hatte ich mich in der Hinsicht auch früher schon geirrt, weshalb ich mir trotz allem nicht völlig sicher war. Das Ganze war mir einfach zu viel, es überforderte mich, meine Hand zuckte, meine Beine zitterten. Ein scharfer Schmerz durchfuhr mich, meine Knie gaben nach. Auf einmal hockte ich auf der Schotterstraße, und Steinchen bohrten sich mir in Handflächen und Knie. Lautlose Tränen liefen mir über die Wangen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Bishop sich neben mich kniete und einen Arm um mich legte. Ich erstarrte. Geräusche, Gesprächsfetzen gingen in weißem Rauschen auf. Die vielen Enthüllungen, diese ganze unbekannte Welt, hatten mir jede Kraft geraubt – ganz allmählich, von dem Tag an, als ich zum ersten Mal die Marmorhalle der Riverside Prep betreten hatte. Der Luxus dort, der auf den ersten Blick nur Exklusivität signalisierte, erschien mir jetzt wie eine Warnung. Ich konnte förmlich spüren, wie mein Kopf das Denken einstellte. Ich hatte geglaubt, eine Mutter zu haben und dass sich daran nie etwas ändern würde; selbst nach ihrem Tod hatte ich das noch geglaubt. Und nun stellte sich heraus, dass ich nichts weiter gehabt hatte als ein paar falsche Versprechungen, eine billige Nachahmung all dessen, was man sich unter einer Mutter vorstellte.
Jemand packte meine Oberarme und begann mich zu schütteln. Ich sah Bishop an, sonst hatte ich nichts mehr zu geben. Nichts. Ich öffnete den Mund, um Bishop zu sagen, dass er mich von hier wegbringen sollte. Weg von all den Lügnern und Betrügern. Aber ich traute ihm nicht. Denn eines war mir trotz allem klar geworden: »Du hast sie geliebt.«
Er sah mir wachsam in die Augen. »Was?«
»Du hast sie geliebt.« Diesmal klang es nicht mehr wie eine Frage, sondern als wollte ich es mir nur noch einmal selbst bestätigen. Denn tief im Innern wusste ich es längst. Wenn er sie vor Jahren nicht getötet hatte, dann weil er viel für sie empfunden hatte.
»Madison.« Die Stimme, deren Klang durch die kalte Nachtluft trieb, war mir so vertraut, dass in meinem Gedächtnis Lichter aufflammten. Alte Wunden rissen auf.
Ich schloss die Augen. »Nicht.«
»Madison, eins musst du …«
Ich riss die Augen auf und fand endlich den Mut, dem Monster ins Gesicht zu sehen. Langsam, auf unsicheren Beinen, stand ich auf, wischte mir den Schmutz von der Hose und streckte den Rücken. Undeutlich nahm ich wahr, dass hinter mir ein Wagen hielt, doch ich achtete nicht darauf. Meine gesamte Aufmerksamkeit galt ihr. Ich trat einen Schritt auf sie zu und bemerkte, wie sie ängstlich um sich blickte; offenbar war sie keineswegs sicher, was ich als Nächstes unternehmen würde. Ich dachte daran, mich auf sie zu stürzen, aber heute Nacht war schon genug Blut vergossen worden. Und auch wenn diese Leute offenbar an derart drastische Szenen gewöhnt waren – ich war es nicht.
Meine Mutter hatte sich nicht verändert, jedenfalls nicht sehr. Das machte mich noch wütender. Vermutlich hätte ich mir gern vorgestellt, dass sie nach ihrem vorgetäuschten Tod wenigstens nicht im Luxus gelebt hatte, während ich um sie trauerte. Mein Blick fiel auf ihr Handgelenk. Sie trug eine Uhr aus Weißgold, und das Zifferblatt war mit derart viel Glitzer besetzt, dass selbst Flavor Flav neidisch geworden wäre. Oh ja, meine Mutter hatte definitiv ein protziges Leben geführt.
Ehe ich es verhindern konnte, drang ein hartes Lachen aus meiner Kehle. Ich war auf alle hier unglaublich wütend, aber mit ihr würde ich anfangen. »Weißt du, was ich mir eben gewünscht habe? Dass du deinen Tod nur deshalb vorgetäuscht und mich dazu gebracht hast, um dich zu trauern, um dich zu weinen, weil dich jemand gegen deinen Willen irgendwo festgehalten hat. Denn was wäre das für eine Mutter, die ihrer eigenen Tochter so etwas antut? Richtig? Aber wie es scheint …« Ich blickte erneut auf die Uhr; dann musterte ich meine Mutter von Kopf bis Fuß. Ich betrachtete das Seidentop, dessen Ärmel ihre schmalen Arme umspielten, und die deutlich sichtbare Perlenkette um ihren Hals. Oh, und nicht zu vergessen das frisch aufgetragene erstklassige Make-up – Chanel vermutlich. Nein, kein verschmierter Lidstrich. Keine tief liegenden Augen, keine blauen Flecken, keine Narben. Einfach ein Luxusweib, das Zuneigung nur vortäuschte. »… brauchst du für deine Betrügereien gar keine Hilfe.«
»Madison …« Sie kam auf mich zu und streckte die Hand nach mir aus. Ich riss mich los.
»Nicht. Ich will dich nicht sehen. Auch nicht mit dir reden.«
»Madison«, donnerte jemand hinter mir. Ich erstarrte. Einen Moment lang brachte der Befehlston jeden Gedanken und jede Bewegung in mir zum Stillstand.
Dann drehte ich mich um und sah meinen Dad an. »Hast du es gewusst?«
Er beobachtete mich. Und auch wenn ich seinen Gesichtsausdruck nicht deutlich sehen konnte, das Scheinwerferlicht der parkenden Autos reichte für eine begründete Vermutung.
Ein kurzes Zögern, dann seufzte er. »Komm mit nach Hause. Dort erkläre ich es dir.«
»Madison …« Offenbar hatte Bishop beschlossen, sich ebenfalls einzumischen. Er griff nach meiner Hand.
Ich zuckte zurück. »Fass mich nicht an! Und hört gefälligst alle auf, dauernd meinen Namen zu wiederholen!«
Bishop biss die Zähne zusammen und ließ die Hände sinken. Ich ging davon, immer schön einen Schritt nach dem anderen, geradewegs zum Wagen meines Vaters. Dort ließ ich mich auf den Beifahrersitz gleiten.
»Willst du drüber reden, Kätzchen?« Nate musste nach mir hinten eingestiegen sein.
»Nein.« Mehr brachte ich nicht heraus. Manchmal wäre ich echt gern ein ganz normaler hormongeplagter Teenager gewesen. Ein Mädchen, das sich am Abend vor dem Schulball mit Akne herumschlug. Statt durch die Hölle gehen zu müssen.
Ich knallte die Haustür hinter mir zu und steuerte die Treppe an, ohne auf Nates und Dads durchdringende Blicke zu achten. Auf dem Weg nach oben nahm ich immer zwei Stufen zugleich, so eilig hatte ich es, den Schutz meines stillen Zimmers zu erreichen. Meine Höhle. Mich dort zu verkriechen hatte mir immer geholfen. Selbst wenn ich, so wie jetzt, auf einige Leute, mit denen ich unter einem Dach lebte, überhaupt nicht gut zu sprechen war.
Meine Gedanken drehten sich unaufhörlich im Kreis, wie in einem mit Lachgas besprühten Riesenrad. Vor dieser Nacht hatte ich gedacht, dass allmählich alles einen Sinn ergäbe. Teile des Puzzles fügten sich zusammen. Jetzt war alles, was ich zu wissen geglaubt hatte, wieder in winzig kleine Stücke zerschlagen worden – und nichts sah so aus, als könnte es jemals wieder zusammengesetzt werden. Aber hier lief ja sowieso immer der gleiche Film: Kaum hatte ich alle Bruchstücke zusammen und konnte mich daranmachen, sie miteinander zu verbinden, würde jemand kommen und sie mir aus der Hand reißen und über dem gesamten Pazifik verstreuen. Irgendwer findet das wohl komisch.
Als ich die Dusche aufdrehte, fiel mein Blick auf meine Hände. Die Haut war mit dunkelrotem Blut verkrustet. Ich atmete schwer; Panik breitete sich in mir aus. Ohne nachzudenken, stieg ich vollständig angezogen unter das kochend heiße Wasser. Dann fuhr ich mir mit den flachen Händen übers Gesicht, strich die Haare nach hinten und sah zu, wie sich das Wasser um meine Füße rot färbte. Tränen traten mir in die Augen und liefen mir über die Wangen. Ärgerlich wischte ich sie weg, zog mich aus und warf die Sachen neben dem Waschbecken auf den Fußboden. Ich habe dabei geholfen, jemand zu töten. Ich musste würgen, der Mageninhalt stieg mir in die Kehle. Rasch schlug ich mir mit der Hand auf den Mund, sprang aus der Dusche und beugte mich gerade noch rechtzeitig über die Toilette.
Als ich mir die letzten Spuren vom Mund wischte, kam Nate herein. »Kätzchen …« Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, einen Fuß gegen das Türblatt gestützt. Die Zeiten, in denen es uns peinlich gewesen wäre, wenn der andere uns nackt überraschte, waren lange vorbei; ich zuckte nicht einmal mit der Wimper. Nate hatte mich schon häufig nackt gesehen, häufiger, als es sich für einen Bruder gehörte. Oder auch einen Stiefbruder.
»Nate, bitte«, flehte ich, griff nach dem Mundwasser, spülte und spuckte die Flüssigkeit ins Waschbecken. Dann klappte ich den Klodeckel runter und setzte mich darauf. »Ich hab dabei geholfen, jemand zu töten, mein Freund ist ein Lügner und besitzt einen eigenen gottverdammten Narnia-Schrank, nur dass ich dahinter nicht auf Löwen und solchen Scheiß gestoßen bin, sondern auf eine düstere und nebulöse Vergangenheit voller Geheimnisse. Über die er mir offensichtlich nichts verraten will. Dann meine Mom, die in Wirklichkeit gar nicht meine Mom ist, obwohl ich sie mein Leben lang dafür gehalten habe, von der ich dachte, sie hätte sich erschossen, dabei ist sie sehr lebendig – und mit meinem sogenannten Freund hat sie auch geschlafen. Habe ich irgendwas vergessen? Ach ja, ich bin gar keine Montgomery, sondern eine Venari, was bedeutet, dass mein gesamtes Leben eine einzige Lüge ist.«
Nate kam zu mir und umfasste mit der einen Hand meinen Arm; bevor ich protestieren konnte, schob er mir den anderen Arm unter die Oberschenkel und hob mich hoch. »Unter die Dusche mit dir, Kätzchen.« Da konnte ich mich nicht länger beherrschen. Schluchzer brachen aus mir hervor, Tränen liefen mir über die Wangen. Es war kein irgendwie einnehmendes Weinen. Es war sogar ziemlich hässlich. Von der Sorte, die Stoff für Memes hergeben.
Nate stieß ein Knurren aus, zog mich noch fester an sich und stellte sich mit mir unter die Dusche.
»Warum bist du so?«, fragte ich zwischen zwei Schluchzern und hob den Kopf von seiner Schulter, um ihm in die Augen zu sehen. Wasser prasselte auf meine Lider, doch das war mir egal. Ich ignorierte das Brennen in den Augen, weil es sich so gut anfühlte, ihn anzuschauen. Als wäre ich endlich zu Hause angekommen. Nate gab mir ein stärkeres Gefühl von Heimat als dieses ganze verdammte Haus. In dem Moment wurde mir klar, dass ich das alles überstehen konnte. Ich konnte es schaffen. Solange Nate und ich uns verstanden. Nur ihn zu verlieren, das würde ich nicht überleben.
Nate zögerte, als müsste er über seine Antwort nachdenken. »So bin ich nicht bei jedem.«
»Nur bei mir?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte. Nate war sehr wählerisch, wenn es darum ging, andere an sich heranzulassen. Das war Teil seines Charmes. Genau genommen waren alle Kings so. Vielleicht hatte es etwas mit ihrer Herkunft zu tun.
»Und bei …« Ich wusste, dass er an Tillie dachte, und schenkte ihm ein klägliches Lächeln, um ihm zu signalisieren, dass er ihren Namen nicht aussprechen musste. Ich wusste, dass er mich liebte. Einmal hatte er gesagt, er wäre in mich verliebt, und ich war nicht sicher, ob er nicht immer noch so empfand; doch wenn er sich entscheiden müsste, würde er ohne jeden Zweifel Tillie wählen. Zwischen ihnen war etwas entstanden. Sie verband etwas, das ich kannte, weil ich für Bishop ganz genauso empfand. Tillies Verschwinden hatte Nate tief verletzt. So tief, dass er nie darüber sprach. In gewisser Weise hatten wir auch das gemeinsam.
»Ich weiß«, unterbrach ich ihn flüsternd und tätschelte seinen muskulösen Oberarm. »Übrigens kannst du mich jetzt wieder absetzen.« Er tat, was ich wollte, und stellte mich vorsichtig auf die Füße. Sobald ich sicher stand, trat ich unter den Wasserstrahl, griff nach der Seife und spritzte mir etwas davon in die Hand. »Zieh das aus.« Ich zupfte am Bund seiner Basketball-Shorts. Sofort hob er die Hand und wehrte mich ab. Als ich zu ihm aufsah, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Obwohl sein Gesichtsausdruck nach wie vor müde und träge wirkte, waren seine Augen dunkel geworden, und in ihren Tiefen glühte ein Feuer. In dem Moment begriff ich, dass hier Schluss sein musste. Mal wieder.
»Tut mir leid«, murmelte ich, wandte mich ab und spülte mir mit dem Rücken zu ihm das Haar aus.
»Du weißt, wie sehr ich dich will, Madison. Aber dazu wird es nie kommen. Besser, wir quälen uns nicht gegenseitig mit dem Unmöglichen.«
»Ich weiß«, antwortete ich leise und drehte mich wieder zu ihm um, wobei ich mein langes Haar zu einem Knoten schlang. Dann legte ich Nate eine Hand an die Wange und berührte seine Lippen mit meinen. Eigentlich sollte es die Art Kuss werden, mit der man sich von seiner ersten Liebe verabschiedet: harmlos, zurückhaltend, warm, weich, angenehm, vertraut, heiß, sinnlich, leidenschaftlich … Oh, oh …
Ich fuhr zurück und sah Nate forschend in die Augen, körperlich noch in dem Moment gefangen.
Nate stöhnte gequält und fasste sich in den Schritt. »Raus hier, Kätzchen, oder ich vögle dich dermaßen hart, dass du mich Bishop nennst.« Das wirkte, als hätte er mir Eiswasser über den Kopf geschüttet. Ich stieg aus der Dusche, wickelte mich in den seidenen Bademantel und putzte mir die Zähne. Als ich die Hand nach der Türklinke ausstreckte, fiel mein Blick auf die blutbefleckte Kleidung. »Was passiert eigentlich mit der Leiche?«
Das Wasser wurde abgedreht, und Nate kam unter der Dusche hervor – in seiner ganzen nackten Schönheit, wie ich aus den Augenwinkeln bemerkte. Er blickte ebenfalls auf den Kleiderhaufen, dann sah er mich an. »Um die kümmert sich jemand. Um das Zeug hier auch. Ich packe die Sachen gleich ein. Du bekommst sie nie wieder zu Gesicht.« Er sagte es so leichthin, als würde er über Fußball reden oder darüber, mit wem er letztes Wochenende geschlafen hatte.
»Man könnte meinen, du machst so was jede Nacht.«
»Jedenfalls oft genug.« Mehr sagte er nicht. Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer, ging zum Bett, riss die Decke zur Seite und glitt zwischen die kühlen, sauberen Laken. Mit dem Duft von Zitrone und Lavendel in der Nase drehte ich mich zur Balkontür um und richtete den Blick auf die in der Dunkelheit funkelnden Sterne. In dieser Nacht hatte ich einfach zu viel erlebt. Dinge, die ich mir nicht erklären konnte. Und Dinge, von denen ich nicht sicher wusste, ob ich sie mir überhaupt erklären wollte. Doch sie waren geschehen und waren so real wie die Sterne am Himmel. Ich konnte mich nicht davor verstecken oder davonlaufen.
Ich hatte geholfen, jemanden zu töten. Doch auch wenn meine Seele deswegen vielleicht unrettbar verloren war, begann morgen ein neuer Tag. Und um das, was heute Nacht geschehen war, würde ich keine Träne mehr vergießen.
»Bishop …«, fing Dad an, während ich zusah, wie Madison und Joseph mit Nate davonfuhren. Wie üblich versuchte ich ihn zu ignorieren, aber das hatte noch nie funktioniert.
»Was ist?«, fuhr ich ihn an, holte das Telefon hervor und wählte die Nummer der Putzkolonne.
»Das hätte ich auch erledigen können, Junge.« Er deutete auf das Telefon. Ungerührt hob ich den Blick und sah ihn an. »Für solche Situationen hast du mich doch ausgebildet. Also tu bitte nicht so überrascht, wenn ich auf eigene Initiative handle.«
»He! Kumpel? Wir bringen Brantley nach Hause. Er braucht Ruhe und so«, rief Ace und riss die Tür seines Autos auf. Hunter und Jase waren längst fort, auch weil Hunter so wütend war, dass Madison sich als seine Schwester entpuppt hatte. Wenn ich es richtig mitbekommen hatte, waren die übrigen Jungs alle bei Ace und Eli mit eingestiegen.
Ich nickte. »Alles klar.« Um Brantley musste ich mich morgen kümmern und herausfinden, was in seinem Kopf vorging. Ich hatte mir schon eine Weile Sorgen um ihn gemacht, weil er ständig so angriffslustig war. Den Grund hatte ich allerdings nie durchschaut. Während der Ausbildung lernten wir auch, mögliche dunkle Flecken in unserer Vergangenheit zu verbergen, und das hatte Brantley offenbar getan. Wie tief seine Wunden gingen, hatte ich erst heute Nacht erfahren.
»B?« Als ich diese Stimme hörte, schloss ich unwillkürlich die Augen, und meine Kiefermuskeln erstarrten zu Stein. »Bitte, B …«
»Verdammt, halt den Mund!«, fuhr ich sie an, doch dann gestattete ich mir endlich, sie anzuschauen. »Alle beide!« Ich deutete von ihr zu Elizabeth. »Habt ihr auch nur die leiseste Ahnung, was für eine Scheiße ihr heute gebaut habt?«
»Genau genommen war ich das.« Mein Dad kam näher, strich sich das Haar zurück und öffnete den Hemdkragen. »Die beiden sind schon seit Wochen wieder da. Wir haben abgewartet, ob du einen Fehler machst. Und heute Abend bist du durchgedreht und hast auf jemand aus meinem Club gefeuert. So was tut man nicht ungestraft. Ob du mein Sohn bist oder nicht.« Er kam noch näher, beugte sich vor und flüsterte mir ins Ohr: »Du magst ein Monster sein, mein Sohn, aber vergiss gefälligst nie, bei welcher Bestie du gelernt hast.« Dann richtete er sich auf. »Also. Deine Mutter dreht gerade in Costa Rica, daher kann Khales bei uns wohnen.«
»Den Teufel wird sie!«, fuhr ich auf und versuchte meine Wut im Zaum zu halten. »Kommt überhaupt nicht infrage.«
»Doch«, erwiderte er sachlich und ging zum Range Rover hinüber. »Steig ein, Junge.« Irgendwas stimmte hier nicht. Er verschwieg mir etwas.
Wir stiegen alle ein, und als die Putzkolonne eintraf, fuhren wir los. Während der gesamten Fahrt zu Madisons Haus musste ich mir ständig auf die Zunge beißen. Ich wollte unbedingt herausfinden, was mit meinem Vater los war. Aber es gab einen Menschen auf der Welt, den ich noch nie durchschaut hatte, und das war er.
Elizabeth stieg aus und schloss die Tür. Ich drückte den Mittelfinger gegen die Scheibe.
»Ich muss bald mit dir reden, Hector.«
Er sah sie aus dem Augenwinkel an; dann nickte er langsam. »Klar. Du hast ja meine Nummer.« Wer meinen Dad nicht sehr gut kannte, hätte die durch den fehlenden Blickkontakt noch verstärkte stumme Botschaft zwischen den beiden wohl niemals bemerkt.
Als wir aus der Zufahrt bogen, drehte ich den Kopf ein wenig und sah ihn an. »Wann habt ihr zwei eigentlich angefangen zu vögeln?«
13.
Rache
Seit ich das letzte Mal in diesem Buch geschrieben habe, sind viele Monate vergangen. Ich hoffe, dass es eines Tages der richtigen Person in die Hände fällt. Einem Silberschwan. Und ich bete, dass es nicht zu etwas wird, das die Könige für ihre eigenen Pläne benutzen. In den letzten Tagen habe ich darüber nachgedacht, wie ich mich an Humphrey rächen kann, aber dabei hatte ich mit meinem Zorn auf ihn zu kämpfen, weshalb ich einige unkluge Entscheidungen getroffen habe.
»Katsia …« Meine Dienerin Maree betrat den Raum, in den Armen mein neuestes Bündel Glück. »Ma’am, Humphrey ist von der Jagd zurückgekehrt.«
Mein Lächeln erstarb, und mir wurde flau. »Oh.«
Ich war noch nicht auf die Begegnung mit ihm vorbereitet. Trotzdem ging ich zu Maree und nahm ihr meinen Sohn ab.
»Hallo, mein Lieber. Bist du bereit, deinen Vater kennenzulernen?« Ich konnte nur hoffen, dass ihm der Name Hector gefiel.