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Kneipen und Klaviere 'Ballo - aus dem Leben eines Klavierhändlers' ist ein Episodenbuch mit dreizehn Kurzgeschichten um den hochgradig chaotischen Heinrich 'Ballo' Ballhaus, seines Zeichens Musikalienhändler. Er betreibt seinen Handel in der norddeutschen Tiefebene in einer Kleinstadt an der Nordsee. Vom völlig vergeigten Transport eines russischen Riesenflügels bis zum immer wieder gern verkauften Döschen Blockflötenfett für einsfünfundreißig zum Reich werden ...! Ertragen kann 'Ballo' das Ganze nur, weil er jeden Feierabend - den Gott werden lässt - in seiner Stammkneipe verbringen darf. Denn diese ist eindeutig sein Lebensmittelpunkt. Dort wird die Welt noch am Tresen verbessert oder sogar gerettet ... zumindest bis zum nächsten Sonnenaufgang. Und so ist dieses Buch auch eine kreuzkomische, literarische Huldigung an eine untergegangene Form norddeutscher Kneipenkultur.
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Seitenzahl: 98
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Statt eines Vorwortes, ein walisisches Sprichwort: "Man soll eine gute Geschichte nicht durch die Wahrheit verderben!"
Vorwort
Personenkunde
Gebratene Vögel
Ein Wettsaufen!
Zwei Klaviertransporte
Das Jubiläum
„Alte Freunde“
Kaminbrände und andere Kinkerlitzchen
Kaisertreu
Ballo macht ‘nen Führerschein
Ballo hat ‘nen Führerschein
Süchtige, Anwälte und ein Gerichtsverfahren
Die Segeltour
Vom Reichsarbeitsdienst, dem Waschbecken und vier Rehrücken
Von Pinkelbecken und Kaschubenblut
Ballo, eigentlich Bernhard Ballhaus, Musikalienhändler.
Immer etwas zerzaust aussehend und oft nach Knoblauch und Fusel stinkend.
Wahlspruch: „Diamanten und große Flügel brauchen ein besonderes Flair um verkauft zu werden!“
Herbert, Wirt einer Schankgaststätte ohne Namen. Eine dieser gottvergessenen Vierzigerjahrekneipen mit einem Spülbecken, das jeden Bakteriologen in allerhöchste Entzückung versetzen würde.
Lucky, Ballos Vermieter. Wohnt in einem alten Doppelhaus am Hafen, das von außen mit einer Szene von „Punta Sitges“ bemalt ist. Darling aller Frauen, weil ... na ja!
Haui, eigentlich Bernd Hauenstein, Polizist (PHM). Alter Schulkollege von Ballo.
Harry und Gerti, zwei Kollegen von Haui. Allerdings von der Wasserschutzpolizei.
Der Baron, Schrotthändler.
Hans, Schuster.
Der Don, eigentlich Siggi Alteland, ehemaliger Kapitän. Wortkarger Geselle.
Ballos Heimatstadt, an der Nordsee liegend. Will nicht genannt werden. Gesagt sei aber: Norddeutsch, bürgerlichverlogen, kleinstädtisch und hässlich!
Diverse andere Zecher, Verwirrte und Normalos.
Durch den lauen Sommerabend randalierten ein paar Grillen. Der Wind strich leicht über den Asphalt des verschmierten Parkplatzes, der zwischen Hafen und Innenstadt lag. Auf der daneben liegenden, zerfressenen Rasenfläche saßen Jugendliche und zogen sich eine Palette Bier der Marke Extrembillig rein.
Es war ein normaler Mittwochabend!
Am anderen Ende des Parkplatzes stand ein kleines, hochgiebeliges Haus mit zwei nicht eingeschalteten Neonreklamen.
Auf der einen, direkt über der Eingangstür war schlicht und ergreifend: „Gaststätte“ geschrieben und auf der anderen „Germania“, der Name einer vor langer Zeit pleite gegangenen Brauerei.
Die Eingangstür stand wegen der Wärme sperrangelweit offen. Die Kargheit der Einrichtung übertraf einiges Gewohntes. Speckige, quadratische Holztische mit Skatladen an den Ecken, umsäumt von Stühlen gleichen Kalibers.
Vor den vergilbten Fensterscheiben hingen Gardinen, die diesen Namen wirklich nicht mehr verdienten.
Sie waren dem Augenschein nach genauso alt wie der Laden und hatten mindesten zwei Jahrzehnte keinen Akt der Säuberung mitgemacht.
Schlecht gepflegt, aber immerhin noch lebend, befand sich auf den verstaubten Fensterbänken extrem hartnäckiges Grünzeug.
Die Wände schmückte eine nikotinverseuchte Tapete mit undefinierbarem Muster, die an den Stößen wellte und nur von Kitschbildern des Formats „Röhrender Hirsch“ in ihrer Geschmacklosigkeit unterbrochen wurde.
Einziger Lichtblick an den Mauern war eine recht große Weltkarte.
Geschätzte einhundertvierzig mal zweihundert Zentimeter groß, mit etlichen kleinen Löchern und drei kleinen Fähnchen gespickt. Sie verlieh diesem Überbleibsel der Neunzehnhundert-40iger-Jahre-Gastronomie etwas Weltmännisches und Weitläufiges.
Der Geruch, der trotz geöffneter Tür über allem hing, setzte sich aus dem Rauch billigen Tabaks, abgestandenem Spülwasser und bieriger Männerpisse zusammen.
Es machte den Laden erst typisch, sozusagen gemütlich.
Sich zuerst zwischen den Beinen reibend und dann am Arsch kratzend fing Herbert an, sich sein leeres Glas mit einem Spritzer frischen Biers nachzufüllen.
Er lugte über seine fettverschmierten Brillengläser hinweg in die Runde seiner Gäste; es bestellte sonst niemand.
Kaum, dass er wieder auf seinem Stuhl hinter dem Tresen saß, sein Bierchen zu schlürfen begann und dabei zwei knopfgroße Löcher in Hose und linkem Schuh betrachtete, krähte es von jenseits des Tresens: „Hey, Herbert! Taste dich mal mit deinen gichtverzogenen Vorderknochen an die Säule und schieß ein paar Pfützen in die Kübel!“
Hermann versuchte sich in besonders origineller Bestellakrobatik.
„Äh ...“, stöhnte Ballo angewidert und schlug mit der flachen Hand durch die Luft in Richtung Hermann, als wolle er eine lästige Fliege verjagen. Sonst reagierte niemand, außer Herbert, der sich das Geschäft nicht entgehen lassen wollte. Als die Gläser alles andere als voll waren, stellte er sie vor die entsprechenden Leute.
Entsprechend, weil jeder immer wieder das gleiche Glas bekam, da Herbert sich aus Geiz weigerte, die Dinger zu spülen.
Die Treffgenauigkeit nahm allerdings im Laufe des Abends so rapide ab, dass man ab einem gewissen Zeitpunkt auch schon mal ein Glas mit kussechtem Lippenstift vorgesetzt bekam. Die meisten der hier anwesenden Zecher störte das nicht weiter.
Die Freunde der Herpeskultur allerdings weigerten sich bei Herbert aus Gläsern zu trinken. Grundsätzlich.
Einige weigerten sich wohl auch wegen der beschissenen Füllmenge.
Dazu gehörte Karl. Er sah sein halbvolles, überschäumendes Glas vor sich stehen und schob es hartnäckig wieder unter den Zapfhahn.
Herbert hob die Augenbrauen und glotzte fragend über den Brillenrand.
„Ich habe Urlaub!“ war Karls einzige Antwort.
Verärgert hob Herbert das Glas, öffnete und schloss den Bierhahn mit einer blitzschnellen Bewegung. Alle wunderten sich, dass aus einem, wenn auch nur sehr kurzzeitig aber dennoch voll geöffnetem Hahn, so wenig Flüssigkeit kommen konnte.
Das Glas war um keinen Deut voller geworden!
Irgendjemand murmelte: „Es hat einfach keinen Zweck!“
„Egal!“ rief Ballo, und setzte seine kleine Erzählung fort. „Wir hatten auf jedenfall ‘ne Riesenfete in der Faschistenvilla und es gab reichlich Gänse und zu Saufen!“
Mit Faschistenvilla meinte Ballo eine große weiße Villa im Gutsherrenstil in einem Vorort von Bremen, die er vor einigen Jahren, zusammen mit einem gewissen Hubert Klümper, in einem Anfall von Größenwahn gemietet hatte. Mit Gärtner versteht sich!
„Gänse? Gänse?“ krähte Hermann. „An den Dingern ist doch nix dran.“
„Für jeden eine!“ gab Ballo zurück. „So ‘n Ding teilen -?! - Dann kannste die ja gleich besser polieren, Benzin drüberkippen und anstecken. Das ergibt wenigstens ein hübsches Osterfeuer!“
Eine komplette Gans pro Person, das war selbst Hermann zuviel.
„Bäh“, würgte er nur angewidert und auch den Anderen war anzusehen, was sie von so einem ganzen, gebratenen Vogel hielten.
„Was gab’s denn dazu?“
Herbert war neugierig geworden.
„Prima Rotwein: Mouton so und so. Hatte Hubert besorgt. Schweineteuer!“
Wobei die Betonung auf ‘besorgt’ lag, was nichts anderes bedeutete, als dass Hubert den Rotwein nicht unbedingt auch bezahlt hatte.
„Unglaublich! Für jeden einen ganzen Vogel. Unglaublich!“
Hermann war immer noch nicht über diesen Akt barocker Völlerei hinweggekommen.
Karl erging es ebenso.
„Woanders haben ‘se nix zu fressen und dann so was ...!“
Herbert interessierte was völlig anderes.
„Wie habt ihr die Gänse denn zubereitet?“
„Im Ofen, normale Härte.“
„Und die Beilagen?“
„Nur die Soße und Baguette.“
„Das ist aber schade, mit Rotkohl und Kartoffeln schmeckt das doch viel besser.“
„Ja, vielleicht. – Aber dann kriegst Du so ‘n ganzes Ding nicht mehr runter - musst ohnehin schon mit viel Rotwein spülen.“
„Also ich hab letzten Sonntag gebratenen Fasan mit Rotkohl und Kartoffelpüree gegessen. Fantastisch! Das hat wirklich ganz toll geschmeckt!“
Herbert war richtig stolz auf sich und seine Kochkunst.
„Fasan?“ wunderte sich Hermann. „Du jagst doch gar nicht. Haste den geschenkt bekommen?“
„Nä, der war noch in der Truhe von meinem Vater!“
„Von deinem Vater?“
Hermann bekam einen nervösen Unterton in der Stimme.
„Aber der ist doch schon seit neun Jahren tot!“
„Na und, hat trotzdem prima geschmeckt, war nicht mal Gefrierbrand dran!“ bockte Herbert und blickte grinsend in die entsetzten und angewiderten Gesichter seiner Gäste, denen es nicht schwer fiel sich vorzustellen, dass Herbert den Vogel auch mit Gefrierbrand gegessen hätte.
„Iss doch völlig wurscht, ob mit oder ohne Gefrierbrand - früher hätte man das einfach weggeschnitten und wäre auch keiner dran gestorben“, tat Ballo sein medizinisches Gourmetwissen kund.
Während alle über genießbar und ungenießbar ein recht lautes Gespräch zu führen begannen, schritt Der Don in den Laden. Ein Auftritt wie nur er ihn liefern konnte: Kerzengrader Rücken, eine Hand in der Hosentasche, die andere am Gürtel, kurz vor der Schnalle mit dem großen sowjetrussischen Stern: Heute Abend war „links“ angesagt.
War seine Stimmung nicht so wie heute Abend, wurde auch schon mal anderes Geschmeide getragen: Aus den Dreißigern bis Vierzigern und von völlig anderer Couleur. Es kam halt drauf an, wen er glaubte wohl am meisten abends ärgern zu können.
Ein schätzend-abschätziger Blick aufs trinkende Volk und dann wurde der Daumen der rechten Hand zur Rotweinbestellung in Richtung Herbert erhoben.
Von jedermann nur „Der Don“ genannt, hieß er doch eigentlich Siggi Alteland.
Kapitän zur See in Rente, Große Fahrt, alle Patente.
In seiner Jugend weltweit gefahren, dann nur noch Europa.
Irische See, Biskaya, Nord- und Ostsee. „Die ganze Scheiße halt!“ wie er zu sagen pflegte.
Da hieß es Schnauze halten, wenn er erzählte; denn selten genug sagte er überhaupt was.
Die Unruhe wich einer Art Begrüßungsgeknurre.
Alle warteten bis Der Don seinen Platz eingenommen hatte.
Ehre wem Ehre gebührt!
Gerade wollten sie wieder anfangen Herberts fleischtechnisches Problem näher zu erörtern, als Unerhörtes geschah und Der Don laut und vernehmlich den von jeglicher Sinnhaftigkeit befreiten Satz: „Wenn die Nonnen quieken in den Klöstern, iss bald Östern!“ in die Runde schmiss.
Danach schnalzte er mit der Zunge und begann sein Glas Rotwein zu trinken.
Ratlosigkeit machte sich breit.
„Jetzt isser komplett durchgeknallt.“ murmelte Hermann.
„Jaaha!“ rutschte es Herbert raus, während er besorgt den Don über die Ränder seiner fettbehafteten Okulare beobachtete.
„Geh’ mal einer raus, kucken, ob Vollmond ist ...“ forderte Karl die Umstehenden auf.
„Iss Neumond.“ zerstob Hans die letzte Hoffnung.
„Siggi, alles klar?“ richtete nun Ballo die Frage an den direkt Betroffenen.
„Alles paletti, Alter! - Sind nur Bekloppte unterwegs ...!“
Alle schüttelten den Kopf über die besorgniserregende Geschwätzigkeit des normalerweise großen Schweigers.
„Wahrscheinlich hatte er eine Begegnung der Dritten Art ...“
faselte Hans.
„Lall nicht!“ war Ballos Antwort.
Hans war sofort ruhig.
Alle blickten hin und wieder verstohlen zum Don. Aber von dort kam keine weitere Reaktion. Der Don blickte eisern in Richtung Tür. Und trank. Die Stille, die folgte, hielt kaum zwei Minuten. Alle besannen sich wieder auf die gebratenen Vögel und redeten und diskutierten wild und laut durcheinander. Rezepte, Bratzeiten, genussfähig, essbar oder eben nicht, Gewürze, Fonds, Weine, gestopft, gefüllt, getrüffelt – es ging drunter und drüber!
Auch hier offenbarte sich mal wieder das alte Problem der Esskritik: Nur weil alle essen können, haben noch lange nicht alle Ahnung davon!
Der Don, von nichts wissend, schaute irgendwann fragend in Richtung Ballo. Der brüllte über die kulinarische Verbalprügelei hinweg: „Herbert hat ‘nen Fasan gegessen und wir ein paar Gänse und ...“
Der Rest des Satzes ging im Geschrei unter.
Die Versammelten hatten, nach wortreichem Geschweife, ihr Thema gefunden.
Am Tresen wüstes Gerede: „Fressen könnt ich den ganzen Tag ... fressen ... und saufen!“
Übergehend zu Geschreie: „Halt’s Maul wenn Du nicht gefragt bist und sowieso keine Ahnung von Nix hast!“
Bis hin zur Beschimpfung: „Dir? Dir werd ich so’n gefrorenes Hähnchen mal sonst wo reinschieben – Du Sack!“
Und wie so oft, zog sich der Abend lange hin.
Der Radau schallte durch die offene Tür nach draußen und ließ diesen schönen, lauen Sommerabend nicht mehr ganz so mild erscheinen, wie er den jugendlichen Rasenhockern am Rande des Parkplatzes zuerst noch vorgekommen sein mochte.
Und über all dem tönte der mittlerweile sturztrunkene Don, immer und immer wieder:
„Höhöhö – Vögel, höhöhö – Vögel ...!“
Es war ein Donnerstagabend im späten Herbst und wie immer an diesem Wochentag traf sich die unabhängige Frauengruppe zum regelmäßigen Stammtisch in Herberts alter Siffbude.
Sie erfüllten alle Vorurteile, die man sich gemeinhin über so eine Vereinigung machte: Einige rührten stundenlang das Sprudelige aus ihrem Wasser, andere nippten Ewigkeiten am Früchtetee, manche soffen auch richtig, alle Männer waren Schweine und Lila iss ‘ne prima Farbe.
„Lack ab, Schwanz ab - wir sind mächtig sauer und da hilft nur Frauenpower!“
Während ihr Schlachtruf ertönte, kam Lucky zur Tür rein.
Er zog seine dicke, verknautschte Lederjacke aus, hängte die Baskenmütze an den Wandhaken, drehte sich um und rief in Richtung Tresen, jedoch den Frauenstammtisch meinend: „Wenn ich irgendwas hasse, dann sind das Glockenröcke und Tortenärsche!“
Hildegard, die Anführerin dieses so gerne wild seienden aber doch eher halbgaren Haufens stand sofort auf, einen Literkrug Bier in der Hand und grölte mit tiefenbetonter Stimme: