Bauherr sucht Frau - Julia Bähr - E-Book

Bauherr sucht Frau E-Book

Julia Bähr

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Beschreibung

Einsame Zahnbürste sucht Zweisamkeit …

Carla hat sich in ihrem Singleleben gut eingerichtet. Auch wenn schon länger niemand mehr eine Zahnbürste neben die ihre gestellt hat, das stört Carla nicht. Stattdessen geht sie in ihrem Job in einer Kulturstiftung auf und beobachtet das Emotionschaos, das ihre beiden besten Freundinnen durchleben, aus der sicheren zweiten Reihe. Doch dann bekommt Carla einen neuen Auftrag: Ein über 200 Jahre altes Gebäude wird vererbt. Als Carla den Erben trifft, hasst sie ihn auf Anhieb. Denn dieser Lorenz hat mit dem Häuschen ganz eigene Pläne. Und die stehen Carlas auf jeden Fall im Weg! Und schon bald fliegen die Funken in jeder Hinsicht …

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Seitenzahl: 330

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Buch

Carla liebt alte Häuser, ihre Freundinnen Mia und Rebecca und ihre Katze. Das mit ihr und den Männern hat in letzter Zeit allerdings nicht ganz so gut geklappt, mit Häusern kommt sie deutlich besser klar: Carla arbeitet beim Denkmalschutz. Einen ihrer Schützlinge, ein altes Forsthaus im Taunus, hat sie besonders ins Herz geschlossen. Doch dann stirbt die Besitzerin – und vererbt das Haus ihrem Großneffen Lorenz, der offenbar lieber in einem topmodernen Loft wohnen und das alte Gemäuer entsprechend umbauen will. Carla rast vor Wut. Aber ist es wirklich nur Wut, oder empfindet sie noch etwas ganz anderes?

Autor

Julia Bähr, geboren 1982, absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und arbeitet als Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ihr Herz schlägt für Pommes frites und Karaoke. Zusammen mit Christian Böhm verfasste sie 2013 den Hochzeitsroman Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen, gefolgt von ihren romantischen Komödien Sei mein Frosch und Liebe mich, wer kann!.

Weitere Informationen unter: www.julia-baehr.de

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Julia Bähr

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright © 2018 by Julia Bähr Erschienen im Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München.www.ava-international.de Redaktion: René Stein Umschlaggestaltung: www.buerosued.de Umschlagmotiv: © living4media/Gallo Images Pty Ltd. LH ∙ Herstellung: sam Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling ISBN: 978-3-641-22115-7 V002
www.blanvalet.de

Kapitel 1

»Man kann das gar nicht zu dritt spielen.«

»Sagst du jedes Mal.«

»Weil es stimmt!«

»Selbst wenn es stimmen sollte, es hat nun mal Tradition. Wenn Schafkopf zu dritt geht, geht Flaschendrehen ja wohl auch!«Schwungvoll dreht Rebecca die leere Rotweinflasche und sieht zu, wie sie immer langsamer kreiselt und schließlich auf Rebecca selbst zeigt.

»Ha!« Mia beugt sich begeistert nach vorne. »Okay, ich nehm’s zurück, vielleicht könnte das hier doch noch Spaß machen.«

»Wieso muss ich die Erste sein?«, beklagt sich Rebecca. »Ich hab doch Geburtstag!«

»Deshalb spielen wir das ja überhaupt nur, Hasi«, sage ich mitleidslos. »Und du wolltest es mit harten Fragen spielen. Uns wären zarte auch recht gewesen.«

»Menno!« Rebecca zieht sich ihre rote Mähne vors Gesicht wie einen Vorhang. »Wer fragt?«

»Ich!« Mia grinst. »Das wollte ich dich schon lange fragen, aber ich bin zu gut erzogen.«

Genau deshalb spielen wir das hier nämlich jedes Jahr zu Rebeccas Geburtstag: Damit wir einander endlich den Kram fragen können, den man normalerweise nicht mal die besten Freundinnen einfach so fragen würde. Dass wir alle drei – Rebecca, Mia und ich, Carla – bereits ziemlich einen sitzen haben, ist sehr hilfreich.

»Also, mal ehrlich: Nervt es dich nicht zu Tode und killt es nicht völlig euer Sexleben, dass die Zwillinge nachts immer noch in euer Bett gekrochen kommen?«

»Wahnsinn, Mia«, rufe ich bewundernd, während Rebecca leise jault. »Wie schaffst du es eigentlich, dass jede Frage irgendwie mit Geschlechtsverkehr zu tun hat?«

»Ich übe diesen Quatsch ja schon seit zehn Jahren mit euch!« Mia wendet sich an das Geburtstagskind. »Und?«

»Jaha!« Rebeccas Augen blitzen uns böse an. »Ja, es nervt. Aber sag das mal als Stiefmutter. Das klingt echt egoistisch!«

»Uns kannst du es ja sagen, unsere Stiefmutter bist du nicht«, wende ich ein.

»So, und der zweite Teil meiner Frage?«

»Wieso darfst du überhaupt eine Doppelfrage stellen? Das ist unfair!«

»Stimmt, aber der Protest kommt laut Reglement zu spät.«

»Wir haben ein Reglement?«

»Beantworte einfach die Frage.« Manchmal merkt man sehr genau, warum Mia mit Anfang dreißig bei einer internationalen Bank ein eigenes Team leitet.

»Also, nein.« Rebecca seufzt. »Es ist jetzt kein Aphrodisiakum, aber es ist auch kein Killer. Das reicht als Antwort, oder?«

»Ja«, bestimme ich großmütig. »Du darfst drehen.«

Die Burgunderflasche kreist und weist als Nächstes auf Mia.

»Ui, Retourkutsche.« Ich rechne mit dem Schlimmsten.

»Eigentlich kann man Mia gar nichts fragen, weil sie sowieso alle schmutzigen Details von sich aus erzählt«, sagt Rebecca grübelnd.

»So? Aber vielleicht denkst du das auch nur!« Mia gibt sich geheimnisvoll.

»Na gut. Ich frage: Wie viele Zahnbürsten stehen gerade in deinem Badezimmer?«

»Eine«, flötet Mia. »Meine eigene!«

»Ach komm, das ist gelogen. Die Anzahl muss zweistellig sein«, widerspricht Rebecca.

»Mit der letzten, die ein Typ dagelassen hat, hat sie ihre Fahrradkette geputzt«, berichte ich.

»Und dann? Hat er sie wieder benutzt?« Rebecca ist entsetzt.

»Dann hab ich sie natürlich weggeschmissen«, erklärt Mia. »Ich hab ja nichts gegen ihn.«

»Aber auch nicht genug für ihn übrig, um seine Zahnbürste in deinem Bad haben zu wollen.«

»Das ist richtig.« Mia gähnt ausgiebig und schenkt uns allen nach. »Wer mit einem Investmentbanker ausgeht, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.«

»Aber du schläfst doch mit Investmentbankern«, wende ich ein.

»Klar. Das ist super. Das ist das Einzige, was sie kurzzeitig davon abhält, über Geld zu schwadronieren.« Mia greift nach der Flasche und dreht sie so, dass sie direkt auf mich zeigt.

»Hey, was soll das?«, protestiere ich, während Rebecca sich schlapplacht.

»Effizienz!«

»Ihr seid doof.«

»Ja, aber die Doofen sind immer in der Mehrheit.«

»Ist das hier Flaschendrehen oder eine Volksabstimmung?«

»Wir stellen hier die Fragen, Fräulein!« Rebecca kehrt die Stiefmutter raus.

»Okay, okay. Ich höre.«

Schweigen. Beide sehen mich nachdenklich an. Ich bin nämlich derzeit ein ziemlicher Totalausfall für dieses Spiel, so wie wir es spielen: Man muss mich nicht nach Männern in meinem Leben fragen, es gibt einfach keine.

Also flüchten sich meine Freundinnen in die Theorie.

»Ich weiß was«, sagt Rebecca. »Mit wem von deinen Kollegen würdest du am ehesten etwas anfangen?«

»Erstelle eine Top 3!«, sekundiert Mia.

»Bah. Ihr wisst schon, dass ich in der erotischen Diaspora arbeite?«

»Ja, eben. Eine Top 3 aus Daniel Craig, Patrick Dempsey und Jude Law wäre jetzt eher uninteressant.«

»Uff.« Ich lasse mich gegen das Sofa sinken, vor dem wir auf dem Boden sitzen. Die Männer in der privaten Kulturstiftung, in die ich mich jeden Tag schleppe, sind wirklich nichts für mich, allerdings ist die Auswahl auch nicht groß: In meiner Abteilung gibt es den frappierend einem Maulwurf ähnelnden Ödön mit dem Siegelring, unseren welpenhaften Volontär Lovis und den ältlichen Amadeus, der miefende Kordanzüge trägt, die in den Siebzigern mal schick waren. Ansonsten Frauen, so weit das Auge reicht.

»Darf ich Frauen mit in die Liste aufnehmen?«

»Du bist so was von hetero, das wäre echt geschummelt.«

»Aber bevor ich was mit Amadeus oder Ödön anfangen müsste, würde ich lieber mit Lavinia ins Bett gehen.«

»Lavinia mit den Batikkleidern?«

»Ja. Platz eins.«

»Wow, dann herrscht echt erotisches Niemandsland bei euch.«

»Platz zwei: Lovis. Aber der könnte fast mein Sohn sein!«

»Wir spielen Flaschendrehen. Erst die Antwort, dann die Moral«, fordert Rebecca.

»Und Platz drei?« Mia wirkt wirklich gespannt.

»Herr Singh!«

»Wer ist denn bitte Herr Singh?«

»Der Pförtner. Trägt einen zu engen Anzug, sagt aber freundlich Hallo und wirkt, als würde er täglich duschen.«

»Zu große Ansprüche kann man dir wirklich nicht vorwerfen«, konstatiert Mia.

»Vielen Dank. Falls das ein Kompliment war.«

»Weiß ich nicht, bin zu betrunken.«

»Ich auch. Ich muss ins Bett und morgen ziemlich früh zur Arbeit«, jammert Rebecca.

Wir schieben das ganze Chaos aus Geschenkpapier und benutzten Gläsern einfach beiseite, damit Rebecca nicht hineintritt, wenn sie morgen früh vom Sofa aufsteht. Dann verzieht Mia sich in ihr Zimmer am anderen Ende des Flures und ich mich nach nebenan in meines.

»Gute Nacht!«, ruft Rebecca durch die Tür. Ich schlafe zum Geräusch ihrer tapsenden Füße und raschelnden Decke sofort ein.

Am nächsten Tag versinke ich in Papierkram über Brandschutzverordnungen. Wenn ich erzähle, dass ich bei einer privaten Kulturstiftung arbeite, denken die meisten, ich gucke den ganzen Tag Bronzestatuetten an. Das wäre vielleicht sogar ganz schön, aber ich mag etwas anderes: alte Häuser. Deshalb bin ich für Denkmalschutz zuständig, und dazu gehört nun mal Bürokratie. Wenn es gut läuft, ist sie auf meiner Seite. Aber gerade bin ich mir da nicht so sicher. Ich greife zum Telefon und rufe unsere Juristin an.

»Mayerhoff?«

»Hier ist Carla Wonneberger. Frau Mayerhoff, ich bin so wütend!«

»Na, dann erzählen Sie mal!«

Ich kann förmlich hören, wie sie die Blusenärmel aufkrempelt. So mag ich das.«Wir unterstützen doch seit Jahren finanziell den Erhalt des Schlösschens Waldesruhe. Jetzt haben die wieder Geld beantragt, für eine neue Dämmung. Wollen Sie raten, was die genau vorhaben?«

»Eine Vertäfelung aus Roségold?«

»Ha! Gute Idee eigentlich, würde zu den Eigentümern auch passen. So neureicher Adel ist mir noch nie untergekommen.«

»Jetzt sagen Sie schon.«

»Vollwärmeschutz!« Das Wort schleudert sich von selbst aus meinem Mund heraus. »Die wollen Styroporplatten an die Fassade kleben! An einem denkmalgeschützten Schlösschen! Diese Arschgeigen!«

Frau Mayerhoff lacht lauthals. »Frau Wonneberger, jetzt beruhigen Sie sich mal! Es ist nur ein Haus!«

»Ja, aber es ist ein selten schönes Haus aus dem Biedermeier! Haben Sie schon mal Biedermeier mit einem Wintermantel aus Plastik drumrum gesehen?«

»Nein. Aber warum wollen die das überhaupt?«

»Weil’s kalt ist und auch ein bisschen feucht. Eine Innendämmung, die die Fassade nicht ruinieren würde, haben sie verworfen. Moment, ich zitiere: ›Da es für uns als Bewohner größere Unannehmlichkeiten bedeuten und die Räume verkleinern würde.‹ Die spinnen doch!«

»Also, der Wunsch nach Dämmung ist ja erst mal verständlich.«

Ich grummele vor mich hin, was Frau Mayerhoff völlig richtig als Zustimmung interpretiert. »In meiner beruflichen Laufbahn«, fährt sie fort, »ist mir allerdings noch kein Fall untergekommen, bei dem die Innendämmung als inakzeptable Unannehmlichkeit gesehen wurde. Wieso verweigern Sie denen nicht einfach die Unterstützung?«

»Erstens machen sie es dann vielleicht mit ihrem eigenen Geld.« Ich stütze frustriert meine Stirn auf die Hand. »Zweitens will ich ja auch nicht, dass die Bude schimmelt. Sie fühlt sich sogar im Frühling ein bisschen klamm an, ich war erst vor vier Wochen da und hab das selbst gespürt.«

»Hm. Und was soll ich da tun?«

»Fürs Erste könnten Sie sich gemeinsam mit mir wahnsinnig aufregen und rumschimpfen!«

»Sie sind ja lustig, Frau Wonneberger!«

Ich weiß auch nicht, warum mein Furor so selten ernst genommen wird. Also, durchatmen.«Im Ernst, ich wollte nur wissen«, fahre ich fort, »ob die juristisch betrachtet vielleicht recht haben und ich unrecht. Ist nicht so, oder?«

»Nein. Aber ich bin sehr gespannt, wie Sie die Familie von dieser Fassadendämmung abhalten wollen.«

Das wiederum ist ziemlich einfach: Wenn es nötig ist, petze ich bei der Denkmalschutzbehörde. Die sind froh, wenn ich sie von den Plänen der Schlossbesitzer unterrichte, ehe sie mit irgendwelchen baulichen Eingriffen alles verhunzen. Ich schreibe dem zuständigen Sachbearbeiter eine Mail. Danach fühle ich mich irgendwie schmutzig, aber wenigstens bin ich nicht mehr so wütend, als Lavinia den Kopf durch meine Bürotür steckt.

»Carla, kommst du mit zum Essen?«

»Ja, gerne. Wo wollt ihr denn hin?«

»Ödön hat da eine Idee!« Sie lächelt fein. Ich glaube, sie riecht nach Patschuli-Räucherstäbchen.

Wahrscheinlich sind wir eine seltsame Truppe, die da durch die Frankfurter Innenstadt zieht: die lila gebatikte Lavinia, deren Kleid eigentlich zu dünn für Mai ist, was ihr etwas entrückt Feenhaftes verleiht. Ödön mit seiner affigen Weste inklusive Uhrkette. Lovis, der mit seiner Schiebermütze aussieht wie ein Zeitungsjunge aus einem amerikanischen Mafiafilm, der in den Dreißigern spielt. Und ich in einem gelben Trenchcoat – eine Kaufentscheidung, an der ich jedes Mal wieder zweifle, wenn ich das Ding anziehe. Die Wahrheit ist: Was Häusern steht, weiß ich sehr viel genauer, als was Menschen steht. Passt Gelb überhaupt zu schwarzen Haaren? Sehe ich nicht aus wie eine Hornisse? Skeptisch beäuge ich mich in allen spiegelnden Flächen, weshalb ich erst merke, in welche Art Etablissement Ödön uns geschleift hat, als wir schon im Eingang stehen. Ein Typ in einer Livree hält uns die Tür auf. In Livree. Mit Handschuhen. Wo bin ich? Im achtzehnten Jahrhundert?

Lovis blickt sich staunend um und wirkt dabei noch viel welpenhafter als sonst. Manchmal hoffe ich, dass er sich den großkotzigen Ödön nicht zum Vorbild nimmt. Dann wieder denke ich, och, ich hatte ja auch schlechte Vorbilder, und hat es mir geschadet? Heute merkt man meine damalige Begeisterung für Tic Tac Toe schließlich nur noch daran, dass ich »Ich find dich scheiße« und »Mr. Wichtig« auswendig kann. Die Texte sind für immer auf meine Festplatte gebrannt, unauslöschlich. Bringt mich heute nicht gerade weiter im Leben, aber ruiniert hat es mich auch nicht.

»Äh, wo sind wir hier, Ödön?«, frage ich freundlich.

»Das ist mein Herrenklub!« Er macht eine raumgreifende Bewegung mit dem Arm, als gehöre ihm alles hier.

»Aha. Aber es sind jetzt doch Damen anwesend?« Ich weise auf die etwas erstarrt wirkende Lavinia und mich.

»Zum Mittagessen seid ihr zugelassen, wenn ihr auf Empfehlung eines Klubmitglieds hierherkommt!«

Sein tumber Stolz auf diesen Laden, der sich so elitär gibt, macht mich fertig.

»Zugelassen. Na, wie schön«, bemerke ich spitz.

»Und was isst man hier?«, fragt Lovis in einem bewundernden Tonfall, der mich vermuten lässt, er erwarte mindestens Ambrosia.

»Der Koch ist Österreicher!«, erklärt Ödön und bugsiert uns in ein Kaminzimmer, in dem fürs Mittagessen eingedeckt ist.

»Na, wenigstens etwas«, murmele ich Lavinia zu, die wirkt wie eine paralysierte Feldmaus. Dies hier ist so gar nicht ihre Welt. Lavinia ist Patschuli und Quinoa und Paulo Coelho. Sie ist bei uns für die Förderung bildender Künstler zuständig, und irgendwie passt sie in diese Welt deutlich besser als an den marmornen Kaminvorsprung, neben dem sie mir gegenüber Platz nimmt.

Wir essen dann Schnitzel, weil man nun mal immer Schnitzel essen muss, wenn ein Österreicher kocht. Da zumindest sind wir uns einig. Ansonsten frage ich mich mal wieder, wie ich eigentlich an Kollegen geraten konnte, mit denen ich mir so wenig zu sagen habe. Die Montage sind immer gut, da haben mindestens zwei den Tatort gesehen und reden die ganze Zeit darüber. Aber heute ist Donnerstag. Lovis und Lavinia plaudern ein bisschen über einen Maler aus Aschaffenburg, von dem ich noch nie gehört habe. Dann erstirbt das Gespräch. Während ich an meinem Schnitzel herumsäbele, frage ich einfach, was mir schon länger durch den Kopf geht.

»Wie kamen eure Eltern eigentlich auf eure Vornamen?« Mist. So wie die drei mich anschauen, hätte ich das irgendwie anders formulieren müssen, weniger befremdet.

»Ich meine, für Carla mussten sie wirklich nicht originell sein«, schiebe ich schnell nach. »Aber eure Namen sind ziemlich ausgefallen, oder? Gibt es dafür Gründe?«

»Meine Eltern haben sich in einer Lovis-Corinth-Ausstellung kennengelernt«, sagt Lovis frohgemut.

»Oh, ist das romantisch!«, zirpt Lavinia.

»Ziemlich.« Er lächelt schüchtern. »Und bei dir?«

»Ach, mein Vater interessiert sich für römische Mythologie. Lavinia ist eine Königstochter.« Sie wendet sich an Ödön. »Und bei dir ist es ziemlich einfach, oder? Ich kenne nur Ödön von Horváth mit diesem Namen. Haben deine Eltern sich im Theater kennengelernt?«

»Was? Nein.« Ödön wackelt mit dem Kopf und ähnelt einem Maulwurf mehr denn je. Nicht nur wegen seiner Bräune, die er sich auf der Sonnenbank erarbeitet hat, sondern auch wegen seiner erstaunlichen Halslosigkeit. »Ich bin nach dem Erbonkel meiner Mutter benannt.«

Erbonkel. Spricht man so was wirklich laut aus? Ich finde Ödön wirklich schrecklich und schwöre mir heimlich, nie wieder mit ihm essen zu gehen. Auf meinem Gesicht friert das Lächeln ein. Vielleicht sollte ich später doch die Schlossbesitzer mit der Styropordämmung anrufen und ein bisschen anschreien, um mich abzureagieren.

Doch dann ist der Nachmittag so voller Aufgaben und Anrufe, dass ich gar nicht dazu käme, selbst wenn ich wollte. Als Mia abends nach Hause kommt, sitze ich am Klavier und dresche auf die Tasten ein.

»Mädchen«, sagt sie amüsiert. »Wenn du schon so wütend bist, spiel doch bitte gleich was von Rachmaninow und mach nicht den schönen Chopin kaputt.«

»Niemand kriegt Chopin kaputt.«

»Du weißt noch, was der Klavierstimmer beim letzten Mal gesagt hat?«

»Grmpf.« Ich trete beide Pedale bis zum Anschlag durch und spiele weiter.

»Er hat gesagt, wenn du dich mit Musik abreagieren willst, sollst du dir ein Schlagzeug kaufen!«

»Aber ich kann kein Schlagzeug spielen!«

»Ja und? Hör dir nur mal zu. Deine Klavierlehrerin würde sich im Grab umdrehen.«

»Fräulein Wismar erfreut sich bester Gesundheit, sagen meine Eltern.«

»Aber erst seit du weggezogen bist«, erwidert Mia. Ihr scheint das Ganze Spaß zu machen, aber ich verspiele mich dauernd, weil die Kabbelei mich so ablenkt. Frustriert nehme ich die Hände von den Tasten und knalle den Klavierdeckel zu.

»So, zufrieden?«

»Ja.« Mia beäugt mich kritisch. »Was ist überhaupt los?«

Es folgt ein wirrer Gefühlsausbruch, in dem die Worte Vollwärmeschutz, Herrenklub und Erbonkel eine gewisse Rolle spielen.

»Ah, das Bauernkind regt sich wieder über die Dekadenz auf«, neckt sie mich.

»Sag mal – auf wessen Seite stehst du eigentlich? Und meine Eltern sind nicht mal Bauern!«

»Sorry, seit du uns mal mit in dein Kaff genommen hast, kann ich nicht glauben, dass es dort etwas anderes geben soll als Landwirtschaft.«

Da hat Mia leider nicht völlig unrecht. Das äußerst übersichtliche fränkische Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, besteht im Wesentlichen aus drei Straßen. Klingelstreiche braucht man dort gar nicht erst zu versuchen: Man wird immer erwischt, sofort, denn wo soll man schon hin; und wenn nicht, wissen die Nachbarn auch so, wer es war. Ich habe das natürlich trotzdem gespielt, bei jeder Gelegenheit. Das steinalte Fräulein Wismar ist nicht der einzige Mensch im Ort, dessen Leben ruhiger geworden ist, seit ich erwachsen und weggezogen bin.

Trotzdem sind meine Eltern keine Bauern, sondern Grundschullehrer. Beide. Das hätten sie sich für mich auch gewünscht, aber mir war schon immer sonnenklar, dass mein etwas überschäumendes Temperament bei Erwachsenen besser aufgehoben ist. Ich mache ja schon Männern manchmal Angst. Wie sollte das erst werden bei einer Schulklasse mit dreißig lärmenden Kindern?

»Erbonkel, wie lustig«, sinniert Mia. »Weißt du eigentlich, woher meine Eltern meinen Namen haben?«

»Ich dachte, aus dem Namenslexikon, so wie bei mir.«

»Nee. Von Mia Farrow. Die hatten ihr erstes Date im Kino bei Eine Sommernachts-Sexkomödie von Woody Allen.«

»Kein Wunder, dass da so was wie du rausgekommen ist.«

»Weil ich so witzig bin, meinst du? Ganz genau!« Mia legt manchmal so eine erhabene Kühle an den Tag, die mich ziemlich verwirren würde, wenn ich nicht seit zehn Jahren eng mit ihr befreundet wäre. Diese Kühle in Verbindung mit ihrem blonden Pagenkopf verwandelt sie in eine strafende Eiskönigin, wenn sich jemand danebenbenimmt. Ihre Untergebenen trauen sich bestimmt nicht an schmutzige Witze, wenn sie in der Nähe ist. Dabei liebt sie die.

»Wollen wir was zusammen essen? Klavierspielen macht mich immer so hungrig.«

»Kein Wunder, du betreibst das ja als Kampfsport.« Mia schaut auf ihre Uhr. »Ich kann aber leider nicht, ich hab ein Date.«

»Oh. Ein richtiges Date oder eins deiner üblichen Dates?«

»Wie üblich: ohne Perspektive und ohne Komplikationen.«

»Aber bitte nicht wieder mit einem verheirateten Kollegen.«

»Er arbeitet in der Verwaltung und ist nicht verheiratet.«

»Ach!«

»Nur liiert.«

»Mia«, sage ich anklagend.

»Er hat angefangen! Die liierten Männer machen danach keinen Ärger, versteh das doch. Er wird nie in der Firma damit angeben, das ist das Wichtigste.«

»Wieso, weil man dann feststellen würde, dass du etwa ein Zehntel der Belegschaft näher kennst?«

»Och, eher so vier Prozent«, sagt Mia, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Aber er betrügt seine Freundin mit dir.«

»Glaub mir, Carla: Wenn er sie nicht mit mir betrügen würde, dann eben mit einer anderen. Das ist seine Sache. Ich bin nicht für die Moral anderer Leute zuständig.«

Wahrscheinlich schaue ich sie irgendwie weidwund an, jedenfalls nimmt sie mich in die Arme und drückt mich an sich.

»Ich mach mir doch nur Sorgen um dich«, sage ich leise.

»Ich weiß. Musst du nicht. Das ist nur eine Phase in meinem Leben.«

»Seit zwei Jahren.«

»Deine Trotzphase dauert seit dreißig Jahren an, meine Liebe, ich wäre also ganz vorsichtig.«

Während Mia zu ihrem Date aufbricht, lege ich mich aufs Sofa und mache das, was ich seit Wochen nicht lassen kann: Ich schaue die Hundebilder auf der Seite des Tierheims durch. Nicht dass ich einen Hund haben könnte. Mia ist allergisch gegen Hunde, und ich sehe mich auch nicht dauernd Gassi gehen, weil, nun ja, Faulheit. Aber Welsh Corgis sind einfach so niedlich. Sehen immer aus wie unglaublich glückliche Würste auf kurzen Beinen. Sie haaren leider auch wie verrückt, wie ich einer kurzen Internetrecherche entnehmen konnte. Trotzdem, ich gucke sie mir einfach gern an. Und wenn ich schon dabei bin: diese Welpen, völlig undefinierbare Rasse, hach. Mein Handy piepst.

Guckst du schon wieder Bilder verlassener Tiere an?, schreibt Rebecca. Geh raus, und amüsier dich!

Tsss, und was machst du gerade Glamouröses?, stänkere ich zurück. Kuchen backen für den Schulbasar?

Ich bin glücklich verheiratet, ich darf meine Abende in gemütlicher Langeweile verbringen!

Ich hab diesen unwichtigen Arbeitsschritt eben übersprungen.

Guck wenigstens einen Film, damit du was erlebst!

Ich lass mir einfach morgen beim Frühstück Mias Abend nacherzählen, das muss reichen.

Oh, cool. Per Livestream an mich, bitte!

Ich stehe auf und schlurfe in die Küche, um mir wenigstens ein Glas Wein zu holen. Unsere Wohnung ist sehr langgezogen. An jedem Ende hat eine von uns ihre eigenen Wohn- und Schlafzimmer, in der Mitte liegen die Küche und das Bad. Früher war mein Wohnzimmer unser gemeinsames, und Rebecca wohnte dort, wo jetzt Mia ihres hat. Mittlerweile bin ich sehr froh über den weitläufigen Schnitt, seit Mia angefangen hat, mit einer gewissen Regelmäßigkeit Männer mit nach Hause zu bringen. Meistens bekomme ich tatsächlich überhaupt nichts davon mit und lasse es mir am nächsten Tag erzählen. Näher komme ich an Männergeschichten selbst gerade irgendwie nicht ran, und ich bin nicht mal traurig darüber. Die letzten waren nämlich eher unerquicklich. Dann vielleicht doch lieber einen Welsh Corgi, die sind wenigstens nicht emotional gestört. Wenn man sie googelt, steht da als Erstes über ihr Temperament: »Kontaktfreudig, verspielt, unerschrocken, beschützend, beharrlich, freundlich.«

Hm. Seltsam. Wenn ich jemals eine Kontaktanzeige aufgeben sollte, wäre das schon ziemlich genau das, was ich bei einem Mann suche. Aber die gibt’s halt nicht im Tierheim.

Kapitel 2

Eine sehr ausgeruht wirkende Mia betritt morgens die Küche, als ich gerade völlig verpennt versuche, das heiße Wasser in die Teekanne und nicht daneben zu gießen. Ich bin kein Morgenmuffel, aber das könnte schlicht daran liegen, dass ich morgens nicht die Energie aufbringe, um schlecht gelaunt zu sein. Einer meiner Exfreunde behauptete immer, das sei die angenehmste Zeit des Tages mit mir. Im Scherz. Denke ich.

»Guten Morgen. Wie war’s?«, brumme ich, denn meine Neugierde ist bereits wach.

»Interessant.« Mia schiebt zwei Scheiben Brot in den Toaster. »Erst hat er erzählt, wie gut seine Beziehung läuft, dann sagte er, seine Freundin wäre beruflich so oft unterwegs, da sei er sehr einsam. Wie einsam genau, hat er mir dann zwei Stunden lang gezeigt, ehe ich ihn rausgeschmissen habe, weil ich alleine schlafen wollte.«

»Ach. Dabei klingt der ja wirklich wie so ein richtig netter Kuschelbär«, sage ich angewidert.

»Der ist schon ganz okay.« Mia zuckt mit den Schultern und lässt sich auf einen Stuhl fallen. »Witzig, schlau, ein bisschen süß sogar. Aber so einsam!« Jetzt kichert sie.

»Mia, ich will nicht wieder mit Moral anfangen. Aber meinst du nicht, dass dein Bild von Männern einen Knacks bekommt, wenn du dich dauernd nur mit den untreuen abgibst?«

»Machst du Witze? Mein Bild von Männern ist klarer als jemals zuvor. Ich guck mir jetzt alle Arten von untreuen Männern an, damit ich die treuen zweifelsfrei erkennen kann.«

»Welche Arten gibt es denn da?«

»Also.« Mia zählt an ihren Fingern ab. »Das Opferlamm, so wie der von gestern Abend. Der denkt, er tut so viel für seine Beziehung und kommt dabei zu kurz. Der Filou, der Fremdgehen für einen Teil seines Lebensstils hält. Der Chauvi, der seine Frau damit bestrafen will.«

»Bestrafen, wofür?«

»Meistens dafür, dass sie nicht mehr mit ihm ins Bett geht. Oder dass es dort öde ist, weil sie nicht richtig Lust drauf hat.«

»Da könnte man ja auch mal drüber reden.«

»Da geht’s dann aber um Gefühle, und Chauvis reden nicht über Gefühle. Sonst wären sie ja keine.«

»Okay. Was gibt’s noch?«

»Es gibt noch den ernsthaft Verzweifelten, der irgendwie aus seiner Beziehung rauswill und denkt, auf diese Weise könnte er sich den Rückweg abschneiden.«

»Klappt das?«

»Mir ist kein Fall untergekommen, in dem das geklappt hätte. Außer sie haben sich erwischen lassen, dann sind die Frauen eben gegangen. Weißt du«, sagt Mia und macht mit dem Buttermesser ein fürchterliches Geräusch auf ihrem Toast, »das vor allem habe ich über Männer gelernt: Wenn sie eine Beziehung nicht mehr wollen, machen sie nicht einfach Schluss, sondern sie verhalten sich so scheiße, dass die Frauen irgendwann nicht mehr anders können, als sie rauszuwerfen.«

»Hm.« Im Kopf gehe ich Trennungsgeschichten in meinem Bekanntenkreis durch und finde tatsächlich nur wenige Ausnahmen, die von dieser Regel abweichen. »Was meinst du, woran das liegt?«

»Das muss irgendein seltsamer Atavismus sein, nach dem der Mann die Frau nicht im Stich lassen darf. Aber mies behandeln ist drin.«

»Prächtig«, sage ich resigniert und habe Visionen von mir selbst, wie ich in zehn Jahren mit einem Rudel Welsh Corgis am Kamin kuschele. Einsam, aber ungestört.

»Ja. Aber mach dir keine Gedanken«, sagt Mia mit vollem Mund. »Ich wende meinen Untreue-Radar auch auf den nächsten Typen an, den du hier anschleppst, und dann weißt du Bescheid, ob er einer von den Guten ist.«

»Dafür müsste ich erst mal einen anschleppen.«

»Gute Idee! Schlägt das deine Mutter nicht auch dauernd vor?«

»Das kann sie momentan nicht. Ich geh schon seit einer Woche nicht mehr ans Telefon, wenn sie anruft, weil wir uns sonst immer anschreien.«

»Na und? Seit wann macht dir Anschreien keinen Spaß mehr?«

»Punkt für dich.« Ich muss lachen. »Aber doch nicht immer über dasselbe Thema.«

»Och, geh doch einfach beim nächsten Mal wieder ran. Vielleicht fällt euch gemeinsam was Neues ein, über das ihr streiten könnt! Außerdem macht sie sich bestimmt Sorgen, ob du mit gebrochenem Hals im Krankenhaus liegst oder so.«

»Nee, meine kleine Schwester ist die allgemeine Meldestation für Krankheiten und Lebenskrisen in der Familie. Solange die nicht Alarm schlägt, macht sich niemand um niemanden Sorgen.«

»Ihr seid ziemlich effizient organisiert. Beeindruckend.« Mia trinkt ihren Tee aus und steht leichtfüßig auf. »Bis heute Abend!«

»Bis dann.« Ich bleibe noch eine Weile geistesabwesend sitzen und starre vor mich hin. Zum Glück muss ich morgens nicht so früh anfangen wie Mia.

Auf meinem Schreibtisch finde ich den Brief eines Ehepaars vor, das in einem denkmalgeschützten Haus in einem kleinen badischen Dorf lebt. Ich kenne es, weil wir die Restaurationsarbeiten vor drei Jahren mit einem Preis für Denkmalschutz ausgezeichnet haben. Die beiden haben es wunderschön hergerichtet, absolut traumhaft, und dabei nur ganz behutsam modernisiert. Aber das Ehepaar hat jetzt ein Problem, denn offensichtlich ist dort nicht nur das Haus schützenswert, sondern direkt neben dem Gebäude auch eine uralte Eiche, die unter Naturschutz steht. Als ich vor drei Jahren dort war, dachte ich: Der Baum ist so riesig und alt, der wächst bestimmt nicht mehr. Wie sich nun zeigt, war das etwas kurz gedacht. Die Wurzeln des Baumes drohen den Boden des Hauses zu sprengen. Und das reizende Ehepaar muss sich jetzt mit Naturschützern rumreißen, die den Baum wichtiger finden als das Haus.

Ich kann den beiden nicht groß helfen, freue mich aber immer, in Kontakt zu bleiben mit den Besitzern der Häuser, Burgen und Schlösschen (mit Ausnahme der Mischpoke mit den Styroporplatten an der Fassade, versteht sich). Ich schreibe ihnen zurück, an welchen Sachbearbeiter sie sich bei der Denkmalschutzbehörde mit diesem Konflikt am besten wenden, und erwähne, dass ich Bäume toll finde, aber Häuser doch noch etwas wichtiger, solange Menschen nicht in Bäumen leben können.

Das mit mir und den Häusern ist tatsächlich was Besonderes. Ich liebe schöne und vor allem alte Gemäuer. Keine Ahnung, woher das kommt. Aufgewachsen bin ich in einem neu gebauten Bungalow mit sehr viel Raufaser überall, sogar an der Decke. Das fanden meine Eltern um die Zeit meiner Geburt herum eben gerade ganz gut, und offenbar haben sie seitdem keinen Grund gesehen, diese Pockennarbenwände zu verändern. Wenn meine Schwester und ich gleichzeitig auf Heimatbesuch sind, liegen wir gerne zusammen auf der Couch – pardon, Polstergarnitur – und flüstern uns gegenseitig zu, was wir mit dem Haus alles anders machen würden. Ich habe im Geiste schon so oft neue Vorhänge an die Fenster gehängt, dass ich manchmal ernsthaft verwundert bin, dort doch noch die mit dem Gänsemuster vorzufinden. Maya will immer die Tapete abreißen und eine Wand in zartem Lindgrün streichen. Außerdem sollen die ganzen Birkenholzmöbel von Ikea verschwinden, deren zahlreiche dunkle Astlöcher uns schon seit unserer Kindheit stören. Neuerdings reden wir auch darüber, was man mit dem Garten alles anstellen könnte. Ein Gartenhäuschen schwebt uns vor, dessen Flügeltüren man im Sommer weit öffnen könnte, mit einem schönen schattigen Platz zum Lesen und Rumhängen darin. In der Fantasie meiner Schwester ist auch ein kleiner Kühlschrank fest verankert, aus dem sie je nach Tageszeit Limonade oder Prosecco zieht. Da unsere Eltern all unsere sanft eingebrachten Vorschläge freundlich lächelnd überhören, träumen wir einfach nur immer weiter. Schließlich ist es ihr Haus. Und weder Maya noch ich wollen jemals wieder in dieses Dorf ziehen.

Mein Handy klingelt. Verdammt, jetzt haben offenbar allein die Gedanken über das elterliche Haus meine Mutter angelockt! Aber ich muss tatsächlich mal wieder rangehen. Leider dauert es mal wieder nur fünf Minuten, bis wir bei ihrem Lieblingsthema landen.

»Ich kann dir Parship empfehlen«, sagt meine Mutter eindringlich. »Deine Tante ist sehr glücklich mit Heinz, den sie dort kennengelernt hat!«

»Ich möchte keinen Mann kennenlernen, der Heinz heißt.« Okay, vielleicht bin ich etwas unsachlich, aber wir führen dieses Gespräch ja nicht zum ersten Mal.

Ich kann förmlich hören, wie meine Mutter die Augen verdreht. Aha, sie hat also auch dieses Déjà-vu.

»Aber du willst doch mal Kinder«, erinnert sie mich.

»Ja, will ich.«

»Aber du bist immer noch allein.«

»Nicht mehr lange«, sage ich geheimnisvoll.

»Ach nein? Wieso?« Meine Mutter wirkt verhalten optimistisch, und es tut mir fast ein bisschen leid, dass meine Antwort sie nicht glücklich machen wird.

»Ich schaff mir eine Katze an!«

Eigentlich habe ich das nur aus einem Impuls heraus gesagt. Aber als ich aufgelegt habe, wird mir klar, dass das keine so schlechte Idee wäre. Ein Hund geht nicht, aber für eine Hauskatze wäre die Wohnung groß genug. Wenn Mia das verträgt. Verträgt Mia das? Ich greife wieder nach meinem Handy.

Mia, bist du auch gegen Katzen allergisch?

Himmel, Carla, kannst du dir nicht einfach einen Kerl suchen, wie Rebecca das getan hat?

Also, bist du?

Nein. Du willst im Ernst eine Katze?

Darf ich, Mutti? Bitte?

Unter einer Bedingung: Du kaufst irgendein High-End-Katzenklo und stellst es ins Gästeklo und nicht ins Bad. Ich kann den Geruch morgens nicht ertragen. Abends eigentlich auch nicht.

DU BIST DIE BESTE!

Ja, ja. Du mich auch!

Als Nächstes rufe ich Rebecca an. Manchmal arbeite ich auch echt fleißig, den ganzen Tag. Aber heute irgendwie mal nicht.

»Rebecca, ich krieg eine Katze!«, jauchze ich in den Hörer.

»Ich dachte, du wolltest einen Hund?«

»Ja, egal, man muss ja Kompromisse machen im Leben.«

»Ach, wem sagst du das.« Sie klingt ernster als sonst.

»Ist was passiert?«, frage ich betroffen.

»Daniel hat unseren lange geplanten Urlaub abgesagt, weil seine Exfrau die Zwillinge jetzt doch nicht drei Wochen in den Sommerferien nehmen will, sondern nur anderthalb. Den Rest der Zeit verbringt sie mit einer Freundin in Kalifornien.«

»Oh nein. Das tut mir leid. Und jetzt fliegt ihr nicht zu zweit nach Argentinien, sondern mit den Kindern … Wohin?«

»Das wissen wir noch nicht. Vielleicht nach Österreich. Ich bin so wütend, Carla, und gleichzeitig bin ich so froh, dass die Jungs wenigstens einen Vater haben, der gerne seinen Urlaub mit ihnen verbringt, wenn ihre Mutter schon keinen Bock hat.«

»Und eine tolle Stiefmutter, die sie liebt.«

»Ja. Das tu ich wirklich, sehr sogar.« Ihre Stimme wird ganz weich. »Trotzdem hätten uns drei Wochen Urlaub zu zweit echt ganz gutgetan.«

»Hm. Soll ich dir von Mias Date erzählen, damit du wieder weißt, wie gut du es hast?«

»Danke, ich hab sie schon ausgefragt! Aber sag mal, wo kriegst du deine Katze eigentlich her? Ich wüsste da nämlich was.«

»Keine Ahnung, ich dachte ans Tierheim.«

»Bei Freunden der Jungs gibt es gerade Katzenbabys, und die Eltern wären froh, ein paar davon abgeben zu können. Soll ich mal fragen, ob die alle schon vergeben sind?«

»Ja, unbedingt!«

Den Rest des Tages verbringe ich mit Organisationskram. Die Einreichungen für den nächsten Denkmalschutz-Preis tröpfeln allmählich ein, und ich muss die Jury, die darüber entscheidet, auf mehrere Sitzungstermine festnageln. Natürlich antworten nicht alle innerhalb von zwei Wochen auf Mails. Natürlich gehen ausgerechnet die, die nicht auf Mails antworten, auch nie ans Telefon. Natürlich rege ich mich darüber kein bisschen auf, sondern schreibe eine überaus freundliche Mail an alle, dass ich die Termine nun anhand der eingegangenen Antworten festgelegt habe. Danach muss ich erst mal eine Weile die Schultern kreisen lassen und den Nacken aktiv entspannen, um mich wieder zu beruhigen.

Während ich mein Kinn aufs Brustbein ziehe, klingelt das Telefon. Ein Herr Tröger, der ziemlich müde klingt, stellt sich als der Direktor einer denkmalgeschützten Grundschule am nordöstlichen Stadtrand von Frankfurt vor. Es gäbe da große Probleme mit der Schulbehörde und dem Denkmalschutz, er wisse nicht mehr weiter, ob ich vielleicht vermitteln könne?

»Das klingt ziemlich komplex. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich Ihnen da helfen kann. Erzählen Sie bitte mehr. Wo genau liegt das Problem?«

»Also, das Schulgebäude ist ziemlich heruntergekommen.« Er seufzt. »Weil es unter Denkmalschutz steht, wird die Renovierung teuer – zu teuer für die Schulbehörde. Sie droht damit, die Schule einfach zu schließen. Wir sind eine staatliche Grundschule, es läge also durchaus im staatlichen Interesse, das Gebäude und den Betrieb zu unterhalten. Aber momentan sieht es wirklich schlecht aus. Wir wissen nicht, ob wir nach den Sommerferien weitermachen können.«

»Ach, um Himmels willen. Wie viele Schüler haben Sie denn?«

»Vierhundert. Wir sind die zentrale Schule im Stadtteil, die nächste liegt zwei Kilometer entfernt. Wir wüssten gar nicht, wo wir all die Kinder hinschicken sollten.«

»Und wie marode ist die Schule genau? Ist es wirklich nötig, sie zu schließen?«

»Im Sommer geht es, aber noch einen Winter überstehen wir hier nicht. Die Heizung arbeitet nicht mehr richtig. Und dann gibt es noch Probleme mit der Statik – würden Sie nicht mal vorbeikommen? Ich möchte es Ihnen zeigen. Dann könnten Sie viel besser mit den Behörden sprechen.«

»Ich, äh …«

»Also, falls Sie sich dafür entscheiden, uns zu unterstützen. Aber schauen Sie es sich doch erst mal an!«

Wir vereinbaren einen Termin, obwohl ich keine Ahnung habe, ob ich dem Mann helfen kann. So etwas habe ich noch nie gemacht. Ich brauche Kaffee.

Weil wir so ein kultivierter Haufen sind, haben wir keinen Vollautomaten, bei dem man nur aufs Knöpfchen drücken muss. Wir haben die alte italienische Siebträgermaschine meiner Kollegin Hortense, die erst mal zehn Minuten aufheizt, dann zehn Minuten vor sich hinspotzt und anschließend überall abgeputzt werden muss. Das gibt einen ganz guten Eindruck davon, mit welchem Ethos die meisten hier arbeiten. Die Kulturstiftung gehört zu einer großen Versicherung, wir sind so etwas wie ihr künstlerisches Aushängeschild. Aber allzu viel Kulturförderung sollen wir nun auch wieder nicht betreiben, das kostet ja Geld, und das Stiftungsvermögen wirft bei der derzeitigen Lage am Geldmarkt kein sehr großes Budget ab. Wir fördern also eher so im Kleinen vor uns hin und sehen zu, dass wir es unter möglichst großer öffentlicher Beachtung tun.

Während die alte Gaggia meinen Kaffee aushustet, kommt Ödön herein.

»Carla«, sagt er lächelnd, »ich bewundere deine Haltung!«

»Meine Haltung wozu?«, frage ich überrascht.

»Ach so, nein. In diesen hohen Schuhen, meine ich!« Er weist auf meine Füße, die in Stiefeletten stecken.«Dass du auf denen laufen kannst!«

»Oh. Hm.« Klar, er ist Ödön. Er macht einer Frau doch kein Kompliment für ihre Geisteshaltung. Wie konnte ich so naiv sein. »Danke.«

Er zwinkert mir feist zu und nimmt eine Tasse aus dem Regal, während ich den geordneten Rückzug antrete und dabei ganz fest an niedliche Katzen denke.

Nach der Arbeit treffen Felix und ich uns bei seinem Lieblingsmexikaner. Felix ist mein bester Freund, obwohl keiner von uns genau weiß, wie es eigentlich dazu kam. Es kam mir gleich vor, als würden wir uns schon ewig kennen, deshalb war es völlig folgerichtig, dass wir sofort über alles redeten. Felix hat ein Praktikum bei uns gemacht, als ich ganz neu in der Stiftung war. Inzwischen arbeitet er in einer Galerie namens Heavy Arts, die alles zeigt, was irgendwie schräg und krass ist. Dort ist er wirklich bestens aufgehoben.

»Na!«, sagt er, umarmt mich fest und tätschelt meine Hüften. »Haste ein bisschen zugelegt, Schnucki?«

»Du kannst mich mal, du halb verhungerter Hipster.«

Die Frotzeleien sind eine recht typische Begrüßung zwischen uns. Wir langweilen einander nicht mit Freundlichkeiten.

»Hey, ich hab total zugenommen!« Felix patscht auf seinen nicht vorhandenen Bauch, setzt sich und greift zur Speisekarte.

»Ach Junge, als ich in deinem Alter war, konnte ich noch essen, was ich wollte. Mach halt mal ein bisschen Sport und sauf nicht so viel!« Er ist nur drei Jahre jünger als ich, aber ich lasse das gern raushängen. Er leider auch.

»Du böse alte Frau«, sagt er. »Willst du wieder dieses Hackfleischfladeninferno vom letzten Mal?«

»Ja, unbedingt!«

»Okay.« Felix bestellt für uns beide.

»Erzähl mir von Lina!«, sage ich. Aber er verzieht das Gesicht.

»Lina ist raus, aber ich habe eine neue Freundin, die ist super. Sie ist die Richtige!«

»Oh. Schön!«, beeile ich mich zu sagen. Bei Felix kommt man manchmal kaum mit. »Und wie heißt sie?«

»Nina.«

»Ist nicht dein Ernst.« Die Frau vor Lina hieß Mina. Er legt da gerade eine seltsame Serie hin. »Konntest du keine Ina oder Gina finden?«, stichele ich.

»Wenigstens habe ich ein Liebesleben!«

»Ey, du klingst wie meine Mutter.«

»Also ehrlich, Carla, vom Liebesleben deiner Mutter will ich nichts wissen.«

»Oh Gott, ich auch nicht. Lalalalaaaa!« Ich halte mir die Ohren zu, aber dann kommt die Bedienung mit meiner Kirschsaftschorle, an deren Glasrand irritierenderweise eine vollständige Birne hängt, kunstvoll aufgefächert. An der muss ich mich dann wohl erst mal irgendwie vorbeikämpfen. »Also, Nina. Wie ist sie so?«

»Eigentlich ist sie gar nicht mein Typ«, sagt Felix und kriegt leuchtende Augen.

»Das hast du noch über jede deiner Freundinnen gesagt«, versetze ich unbeeindruckt. »Was ist denn eigentlich dein Typ? Wahrscheinlich hast du einfach keinen.«

»Klar habe ich einen Typ!«

»Nämlich?«

»Zierliche Rothaarige sind am heißesten.«

»Das sagst du jetzt nur, um mich zu ärgern!«

»Wie würdest du dich denn beschreiben? Dralle Zigeunerin?« Er greift in meine schwarzen Locken und dreht eine Strähne um seinen Finger.

»Pfff. Du bist ja bloß neidisch, weil deine Haare sich langsam verabschieden«, sage ich und weise auf die dünne Mütze, die er nicht nur aus modischen Gründen auch im überheizten Lokal trägt. »Komm, jetzt erzähl schon.«

»Sie kam zu uns in die Galerie bei der Tattoo-Ausstellung, du weißt schon, mit den Schweinehäuten.«

»Ja, klar.« Ich erinnere mich vor allem an einen seltsamen Geruch, der mir nach der Vernissage stundenlang in der Nase hing.

»Jedenfalls hat sie mich irgendwas gefragt, und dann haben wir uns festgeredet, und dann hatte ich eh Mittagspause und bin mit ihr was essen gegangen.«

»Welche Frau geht denn vormittags alleine in eine Galerie und guckt Schweinehäute an?«

»Siehst du. Sie ist eben was Besonderes.« Felix schiebt unsere Gläser beiseite, um Platz für die voll beladenen Teller zu schaffen, die gerade auf uns zugeschwebt kommen.

»Muss sie ja sein, wenn sie auf dich steht.«

»Willst du weiter rumpöbeln oder die Geschichte erzählt bekommen?«