Liebe mich, wer kann! - Julia Bähr - E-Book

Liebe mich, wer kann! E-Book

Julia Bähr

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Beschreibung

Für Greta läuft es im Moment alles andere als rund. Weihnachten steht bevor, und sie ist frisch getrennt von ihrem Mann Erik. Gretas beste Freundin Katka findet die Lage zwar hoffnungslos aber nicht ernst. Greta sieht das anders: Sie kommt über die Trennung nicht hinweg. Vielleicht liegt das auch an den wuterfüllten E-Mails, die sie nachts an Erik schreibt – und an die sie sich morgens nicht erinnern kann. Doch zwischen Rosenkrieg, einem wahnwitzigen Job und den skurrilsten Bemühungen, im Leben wieder Fuß zu fassen, keimt ein Funke Hoffnung in Greta. Irgendwo muss es doch einen Kerl geben, an dessen Seite kein Desaster droht …

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Seitenzahl: 335

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Buch

Für Greta läuft es im Moment alles andere als rund: Sie ist frisch getrennt von ihrem Mann Erik, hat sich in Zynismus geflüchtet und soll sich eine Werbekampagne über die große Liebe ausdenken. Ihre beste Freundin will sie aufheitern, aber ausgerechnet das von ihr vorgeschlagene Lachtraining stürzt Greta in die nächste emotionale Verwirrung. Und über die Trennung kommt sie auch nicht wirklich hinweg: Nach ein paar Gläsern Wein schreibt sie Erik regelmäßig böse Mails, kann sich aber am nächsten Morgen an nichts erinnern. Kündigt sich so der vollkommene Irrsinn an? Der Psychotherapeut, den sie deswegen aufsucht, wirkt jedenfalls noch verrückter als sie selbst. Aber Greta gibt nicht auf. Irgendwo muss ja das Glück auf sie warten – doch es zu erkennen, das ist gar nicht so einfach...

Autorin

Julia Bähr, geboren 1982, absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und arbeitet als Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ihr Herz schlägt für Pommes frites und Karaoke. Zusammen mit Christian Böhm verfasste sie 2013 den Hochzeitsroman »Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen«, gefolgt von ihren romantischen Komödien »Sei mein Frosch« und »Liebe mich, wer kann!«.

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JULIA BÄHR

Liebe mich,wer kann!

ROMAN

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Das Zitat von Paul Watzlawick auf Seite 6 stammt aus:Paul Watzlawick: Vom Schlechten des Guten,© 1986 Piper Verlag GmbH, München.

1. AuflageCopyright © 2016 by Blanvalet Verlagin der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkterstr. 28, 81673 MünchenDieses Werk wurde vermittelt durch dieAVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München.www.ava-international.deRedaktion: Hannah JaroschUmschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.deLH · Herstellung: samSatz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-18915-0V001www.blanvalet.de

Für Anne,die schon immer viel mehr Romanfigur war als jede,die ich hätte erfinden können

Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

Paul Watzlawick

Kapitel 1

»Und warum sind Sie hier?« Gemächlich legt der Mann, der mir in einem teuer aussehenden Ledersessel gegenübersitzt, einen Notizblock auf seine Armlehne.

»Tja.« Weil es klare Anzeichen gibt, dass ich den Verstand verliere? Kann ich das so sagen, oder holt Dr. Schiechel dann gleich eine Zwangsjacke aus der Schublade seines Mahagoni-Schreibtisches? Ich schaue mich zum ersten Mal richtig um in diesem Zimmer, in das ich vor einer Minute nervös gestolpert bin. Entdecke holzgetäfelte Wände, mausgrauen Teppichboden und einen Stapel blauer Plastikkisten, sorgfältig mit kleinen Aufklebern beschriftet. Nein, das dürfte nicht die richtige Umgebung sein, um mit der Tür ins Haus zu fallen.

»Ich bin frisch getrennt und habe den Eindruck, dass mein Unterbewusstsein sich mit dieser Tatsache schwertut«, informiere ich meinen neuen Therapeuten.

»So.« Er nimmt den Block in die Hand und macht sich eine Notiz. »Und was vermittelt Ihnen diesen Eindruck?«

»Ich trinke eigentlich gar nicht so viel Alkohol«, beginne ich vorsichtig. »Aber in letzter Zeit passiert es mir öfter, dass ich – wie sagt man? – einen Filmriss habe.«

Natürlich weiß ich, wie man dazu sagt. Aber es heißt nicht umsonst, dass viele Frauen in ihrem Therapeuten eine Vaterfigur sehen. Ich würde in diesem Moment knallhart leugnen, dass ich jemals geraucht, Sex gehabt und als Kind unser Kellerfenster versehentlich eingeschlagen habe. Und so einen Filmriss hatte ich selbstverständlich auch noch nie. Klar.

Während ich erzähle, schaut Dr. Schiechel haarscharf an meinem Kopf vorbei, als fixiere er ein Insekt an der Wand. Jetzt öffnet er mit einem kleinen Schnalzen den Mund und fragt: »Können Sie nachvollziehen, was Sie während der Zeit gemacht haben, an die Sie sich nicht erinnern können?«

Jetzt wird’s ernst. »Ja, das kann ich.«

Dr. Schiechel stiert schon wieder an mir vorbei. Irritiert drehe ich mich um, aber an der Wand ist nichts zu sehen. Nicht einmal ein Bild hängt an dem Fleck, auf den er die ganze Zeit starrt. Dass er keinen Mucks von sich gibt, verstehe ich als Aufforderung zum Weitersprechen.

»Ich schreibe in diesen Nächten wütende Mails an den Mann, von dem ich mich getrennt habe«, gebe ich widerwillig zu. »Danach schlafe ich super, und am nächsten Morgen habe ich es vergessen.«

Dr. Schiechel schnalzt wieder. Macht der das etwa vor jedem Satz? Ist mir am Anfang gar nicht aufgefallen. »Wissen Sie, Frau …« Hilfesuchend schaut er auf seinen Block.

»Hildebrand«, sage ich schnell. »Greta Hildebrand.«

»Ach ja. Frau Hildebrand, ich halte eine Therapie nur dann für ratsam, wenn Ihr Verhalten Ihnen oder anderen Schaden zufügt. In diesem Fall habe ich meine Zweifel.« Er spricht ganz langsam, als läse er von einem unsichtbaren Teleprompter ab, der sich über meiner rechten Schulter befindet. »Sie sind, wie Sie sagen, von diesem Mann getrennt. Warum stört es Sie, dass er wütende Mails von Ihnen erhält?«

Eine Sekunde lang bin ich perplex. Ganz unrecht hat er nicht. Aber ich will trotzdem nicht dauernd Öl ins Feuer gießen. Und wer weiß, was ich demnächst noch anstelle, wenn ich meinen niedersten Instinkten nachgebe? Womöglich breche ich nachts in eine Süßwarenfabrik ein und wundere mich am nächsten Morgen über die zwei Kubikmeter Pralinenschachteln neben meinem Bett und die Polizisten im Hausflur. Ich spreche meine Befürchtungen laut aus.

Sie scheinen auch Dr. Schiechel zu überzeugen. Er steht auf und stellt eine der blauen Plastikkisten neben mir auf das Sofa.

»Dann arbeiten wir also ab sofort zusammen. Suchen Sie sich jetzt bitte Ihr Power-Tier aus.«

»Mein was?« Vorsichtig hebe ich den Deckel. Mit dem Optimismus aller frisch Getrennten erwarte ich mindestens eine quicklebendige Kobra darin zu finden.

»Ihr Power-Tier. Ein Tier, mit dem Sie sich identifizieren.«

Ich blicke auf einen Haufen Spielzeugtiere und muss ein Kichern unterdrücken bei der Vorstellung, dass wir hier bald Bauernhof spielen, um mich zu therapieren. »Wozu soll das gut sein?«

»Es ist für etwas gut. Vertrauen Sie mir.«

Vertrauen, oho. Meine ganz starke Seite. Ich wühle mich durch den Tierhaufen, finde aber nicht, was ich suche. »Sie haben weder ein Faultier noch eine Schildkröte«, beklage ich mich.

Um Dr. Schiechels Mundwinkel zuckt es. »Ich bin mir sicher, Sie werden etwas anderes finden.«

Meine Finger umschließen etwas, das sich wie eine kleine Tonne mit einem Dorn anfühlt. Ich ziehe es hervor und sehe mich einem etwas verfroren dreinblickenden Pinguin gegenüber.

»Ich hab’s gefunden«, verkünde ich und klappe den Deckel zu.

»Warum der Pinguin?«

»Das ist eine Pinguindame«, belehre ich meinen Therapeuten. »Sie hat sich extra schick gemacht mit diesem schwarzen Gehrock und stellt nun fest, dass sie für die Jahreszeit zu dünn angezogen ist. Deshalb friert sie.«

Dr. Schiechels Blick löst sich erstmals von der Wand hinter mir und richtet sich auf mich. Fast bin ich stolz, aber wahrscheinlich ist das doch kein allzu gutes Zeichen.

»Was«, artikuliert er wieder ganz langsam und sorgfältig, als spräche er mit einem begriffsstutzigen Kind, »hat dieses Tier mit Ihnen gemeinsam?«

»Sehen Sie, genau wegen solcher Fragen wollte ich lieber ein Faultier«, maule ich.

»Frau Hildebrand, ich versuche, etwas über Sie zu erfahren.«

»Kann ich Ihnen das nicht einfach erzählen?«

»Nun gut.« Dr. Schiechel zückt seinen Kugelschreiber. »Versuchen wir es so.«

»Also. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt, und ich arbeite in einer Werbeagentur. Vor anderthalb Jahren habe ich geheiratet. Wir sind in ein Haus nach Bad Vilbel gezogen, weil Erik Landtagsabgeordneter ist und in seinem Wahlkreis leben wollte. Es lief aber nicht gut mit uns. Als es gar nicht mehr anders ging, habe ich mich von ihm getrennt.«

»Wie hat Ihr Mann, ich meine, Erik, die Trennung aufgenommen?«

»Erst hat er damit gedroht, sich vor einen Zug zu werfen. Am nächsten Tag hat er mir dann eine Mail geschrieben und mich aufgefordert, meine Sachen zu packen und innerhalb von zehn Tagen auszuziehen.«

»Und haben Sie das gemacht?«

»Natürlich nicht. Wie sollte ich innerhalb von zehn Tagen eine Wohnung in Frankfurt finden? Das ist so gut wie unmöglich.«

Mein Therapeut macht sich eine Notiz. Ich wüsste zu gerne, was er da aufschreibt. Schwieriger Wohnungsmarkt? Oder einfach nur Aha?

»Und wie haben Sie sich dann verständigt?«, fragt er weiter.

»Gar nicht«, bekenne ich. »Ich habe angeboten, dass wir uns wochenweise abwechseln. Ich wäre immer für eine Woche bei Freunden untergekommen und dann wieder zu Hause gewesen. Und er hätte die jeweils andere Woche im Haus gehabt. Schließlich hatte er mir erklärt, er wolle mich auf keinen Fall mehr sehen.«

Mein Therapeut schaut stumm zum Fenster hinaus. Mir egal, ich rede einfach weiter. Allmählich komme ich in Fahrt.

»Aber das wollte er nicht, weil ja angeblich ich im Alleingang unsere Ehe ruiniert habe. Er fand, als schuldloses Opfer, das er ist, habe er das Recht, mich hinauswerfen zu dürfen. Also bin ich in den Keller gezogen und habe die Küche nicht mehr mitbenutzt, um ihm nicht begegnen zu müssen.«

»Sie sind ja beknackt«, sagt Dr. Schiechel unvermittelt.

Ich reiße verblüfft die Augen auf.

»Sie können doch nicht Ihr ganzes Leben lang Leuten ausweichen, die lauter schreien als Sie«, sagt er nüchtern.

Ich bin etwas beleidigt und umklammere meinen Pinguin.

»Sehen Sie. Jetzt habe ich Sie beleidigt, und Sie wehren sich nicht mal. Sind Sie nicht wütend?«

»Doch. Aber vor allem höflich.«

»Dann werden wir gemeinsam daran arbeiten, das zu ändern.«

Immer noch verwirrt schließe ich bald darauf die Tür meiner WG auf. Erst seit Kurzem bewohne ich hier ein winziges Schlafzimmer, in das eigentlich nur mein Bett und ein Stuhl passen, und ein eigenes Wohnzimmer. Die Wohnung gehört Katka, meiner besten Freundin seit Schulzeiten. Dass ihre Mitbewohnerin gerade zur richtigen Zeit ausgezogen ist, war großes Glück für mich. Praktischerweise liegt die Wohnung im Ostend. Damit haben wir beide einen kurzen Arbeitsweg, weil das Start-up, für das Katka arbeitet, nicht weit von meiner Agentur logiert. Ihre Firma verkauft Möbel, Lampen und Kleinigkeiten von zumeist jungen Designern, und auch wenn ich offen gestanden immer noch nicht so ganz kapiert habe, was sie daran besser machen als andere: Es läuft wohl sehr gut.

Katka ist unter anderem für die Auswahl der Designer verantwortlich und macht das mit großer Begeisterung. Der Job schlägt sich auch in ihrer durchgestylten Wohnung nieder, aber ihr Geschmack wird immer bizarrer. Gestern hat sie einen hellgrünen Elch in den Flur gestellt, der mir ungefähr bis zur Hüfte reicht. Weil bald Weihnachten ist, sagte sie.

Bei mir ist es dagegen alles andere als durchgestylt. Ich mag Braun, Weiß, Türkis und Gemütlichkeit. Und das sieht man meinem Wohnzimmer an. Besonders ordentlich ist es bei mir auch nicht.

Ich lasse mich auf mein schokoladenfarbenes Sofa fallen und grübele. War das wirklich so eine gute Idee mit Dr. Schiechel? Ich meine: Power-Tiere. Ein bisschen merkwürdig kommt mir das schon alles vor. Und sein Spleen, die ganze Zeit an mir vorbeizuschauen, irritiert mich auch. Andererseits stimmt es wahrscheinlich, dass ich oft zu sehr um Höflichkeit bemüht bin. Und jetzt erst noch einen neuen Therapeuten zu suchen, der Augenkontakt draufhat und etwas diplomatischer ist – dafür habe ich irgendwie im Moment keinen Nerv.

Am besten kann ich grübeln, wenn ich dabei einer möglichst stupiden Beschäftigung nachgehe. So trifft mich Katka eine halbe Stunde später in der Küche an, wo ich am Tisch sitze – über ein schwarzes Handtuch gebeugt, das ich darauf ausgebreitet habe – und meine Haare kritisch beäuge.

»Was tust du denn da?«

»Ich schneide splissige Haare ab.«

»Wieso gehst du denn nicht einfach zum Friseur?«

»Weil viele Haare ungefähr auf Höhe der Ohren schon abbrechen und jeder Friseur dort schneiden würde. Aber ich will keinen Pixie-Cut.«

»Nein, das kommt wirklich nicht infrage«, sagt Katka, die selbst mit einem unverwüstlichen dunklen Wuschelkopf gesegnet ist. »Nach der Trennung die Haare abschneiden. Mehr Klischee geht ja gar nicht.«

»Wahrscheinlich ist das nur ein Klischee geworden, weil alle Frauen nach der Trennung völlig kaputte Haare haben«, sage ich und säbele eine ganze Strähne ab.

»Bei dir liegt es daran, dass du nicht mehr anständig gegessen hast.«

»Wie denn auch, wenn man sich nicht mehr in die Küche traut?«

»Ich hab dir schon vor zwei Monaten gesagt, dass Butterbrezeln keine vollwertige Mahlzeit sind. Aber du wolltest nicht auf mich hören.«

»Das war das einzig Essbare, was der grässliche Bäcker um die Ecke zuwege gebracht hat«, verteidige ich mich geistesabwesend. Weitere blonde Haarspitzen fallen auf das schwarze Handtuch.

Katka schüttelt sich. »Dieses Bad Vilbel ist eine Katastrophe. Sei froh, dass du da nicht mehr wohnen musst. Hier in der Großstadt gibt es richtiges Essen. Aber du bist immer noch so dünn!«

»Du klingst ja wie deine Mutter.«

»Ja und? Solange ich recht habe.«

»Deine Mutter hat auch immer recht. Vielleicht hat sich das vererbt.«

»Das hoffe ich!« Katka streckt sich genüsslich, stellt sich dann an die Arbeitsplatte und beginnt, Knoblauch zu schnippeln. »Wie war es bei deinem neuen Therapeuten?«

»Ich glaube, er ist ein bisschen verrückt.«

»Na, das passt doch.« Katka grinst. »Auf welche Art denn?«

»Er wollte wissen, welche Ähnlichkeiten ich mit einem Pinguin habe.«

»Und was hast du ihm gesagt?«

»Nichts. Was soll ich denn schon mit einem Pinguin gemeinsam haben?«

»Ach komm schon, Greta.« Katka dreht sich mit dem Messer in der Hand zu mir um und zählt an den Fingern ab: »Du brauchst die Gemeinschaft, genau wie Pinguine. Du bist bodenständig, nicht übermütig, eben eher nicht der Typ fürs Fliegen. Genau wie Pinguine. Aber du stehst kalte Zeiten gut durch. Du wünschst dir eine feste Beziehung, in der man sich gemeinsam um das Ei, also das Kind, kümmert, aber abwechselnd zum Fischefangen gehen darf. Du bist sogar so kurzsichtig wie ein Pinguin.«

»Pinguine sind kurzsichtig?«

»An Land, ja. Unter Wasser sehen sie gut.«

»Woher weißt du denn so was?«

»Hab ich mal gelesen, und dann ist es irgendwie hängen geblieben. Dafür kann ich mir meine IBAN immer noch nicht merken.«

»Du findest also wirklich, ich habe Ähnlichkeit mit einem Pinguin?«

»Klar.«

»Wieso ist mir das vorhin nicht eingefallen?«

Katka zuckt mit den Schultern. »Vielleicht fandest du die Aufgabe, die dir der Therapeut gestellt hat, einfach blöd?«

»Touché.« Sie kennt mich zu gut. Wir saßen fast unsere ganze Schulzeit nebeneinander, und sie hat schon damals erlebt, wie stur ich werden kann, wenn eine Textaufgabe vom Kauf von 438 Melonen handelt, die vier Kinder anschließend unter sich aufteilen.

»Ich finde, du brauchst ein Hobby«, sagt sie jetzt.

»Ein Hobby?!« Ich höre wohl nicht recht.

»Ja! Du hast deine ganze Energie in deine Beziehung gesteckt und so viel Zeit damit verbracht, Erik anzuhimmeln. Das hat sich ja jetzt erübrigt.«

»Darf ich in meiner neu gewonnenen Zeit nicht einfach meine splissigen Haare abschneiden?«, bettele ich.

»Ich meinte etwas, wobei du unter Leute kommst.«

»Fremde Leute?!« Ich bin ein klein wenig schüchtern. Um nicht zu sagen: kontaktgestört. Manchmal kann ich mir gar nicht erklären, wie ich an meine Freunde geraten bin. Wahrscheinlich überwinde ich mich in entscheidenden Momenten dann doch immer, mit jemandem zu reden. Das fordert mich dann aber derart, dass ich mich anschließend nicht mehr daran erinnern kann.

»Fremde Leute, Greta!« Katka grinst diabolisch. »Erst wird niemand mit dir reden, dann werden sich alle über dich lustig machen und zum Schluss werden sie dich allein im Wald aussetzen!«

»Das ist nicht lustig«, murmele ich. Mein Nervenkostüm ist momentan etwas dünn. Ich erkenne zwar, dass mich meine Freundin nur aufzieht, aber darüber lachen kann ich nicht.

Katka hackt Zwiebeln. Wir schweigen eine Weile.

»Warum muss ich überhaupt ein Hobby haben?«, frage ich schließlich. »Du hast doch auch keins.«

»Ich muss mich auch von nichts ablenken.«

»Ich mich auch nicht.«

»Solltest du aber.« Sie holt Tomaten aus dem Kühlschrank und setzt Wasser auf. Als ich nicht widerspreche, redet sie weiter. »Herzchen, du bist traumatisiert. Man muss dich nur ansehen. Deine dunklen Augenringe gehen gar nicht mehr weg.«

»Das täuscht«, rechtfertige ich mich. »Da spiegeln sich nur meine Augen. Deshalb wirken sie blau.«

»Quatsch.« Katka wirft mir einen kritischen Blick zu. »Die meiste Zeit des Tages schaust du drein wie ein angeschossenes Reh. Und wenn du lachst, wirkt es wie ein Spalt in einer Wolkendecke, die sich danach sofort wieder schließt.«

»Was würdest du also vorschlagen?«, frage ich und witzele: »Lachtraining?«

»Warum eigentlich nicht? Wie ich dich kenne, ist dir das lieber als Sport.«

»Alles ist mir lieber als Sport.«

»Siehste.«

»Aber das war doch nur ein Scherz von mir. Es gibt doch gar kein Lachtraining.«

»Klar gibt es das«, widerspricht mir Katka, während sie routiniert die Tomaten überbrüht. »Im Sommer ist das immer im Günthersburgpark, da bin ich mal vorbeigejoggt. Jetzt im Winter haben sie sich bestimmt irgendeinen hübschen Raum in der Volkshochschule ausgesucht.«

»Mein Gott!« Ich lasse die Strähne, der ich als Nächstes zu Leibe rücken wollte, durch die Finger gleiten und starre sie an. »Was tun die Leute denn da?«

»Na, lachen!«

»Ist das nicht peinlich?«

»Deine Frage zeigt ja wohl, wie sehr du diesen Kurs brauchst.«

»Orrr.«

»Wie bitte?«

»Nix.«

»Stell dich nicht so an, Greta«, schimpft Katka. »Du kannst diesen Kurs entweder gleich und freiwillig machen, oder ich schenke ihn dir zu Weihnachten. Was schade wäre, denn ich habe eigentlich schon was anderes für dich. Mir ist neulich etwas begegnet, das sich toll in deinem Zimmer machen würde.«

»Aber kein Elch!«

»Kein Elch, du Banausin. Du wirst es lieben.«

»Hm.« Ich überlege. Wenn es in diesem Kurs ums Lachen geht, muss ich mit den anderen Teilnehmern vielleicht gar nicht reden. Ich gehe hin, lache eine halbe Stunde und gehe wieder. Lachen soll ja gesund sein und automatisch die Laune heben. Beide Effekte wären mir gerade herzlich willkommen.

»Okay, vielleicht hast du recht. Aber wenn es blöd ist, gehe ich nur ein einziges Mal hin!«

Katka wirft Fleisch in eine Pfanne. »Meinetwegen.« Das Fleisch fängt an, leise vor sich hin zu brutzeln, und ein köstlicher Geruch breitet sich in der Küche aus.

Prompt knurrt mein Magen. »Was kochst du da eigentlich?«

»Gulasch. Für uns beide. Wie viele Knödel willst du?«

»Einen.«

»Also bekommst du drei«, bestimmt sie und reißt die Packung auf.

»Ich hatte das hier für eine WG gehalten, und jetzt stellt es sich als Mastbetrieb heraus«, frotzele ich.

»Diese WG, Gnädigste, wird sein, was immer Sie benötigen.« Katka macht eine ironische Verbeugung in meine Richtung. »Wenn Sie gemästet werden müssen, übernehmen wir das gern. Wir fungieren aber auch als Schlachtschiff, als feste Burg, als Klamottentauschbörse und als Epizentrum der Albernheit.«

»Danke«, sage ich ernst. »Ehrlich, Katka, ich bin so froh, dass ich bei dir wohnen kann.«

»Hey.« Katka setzt sich neben mich und nimmt meine Hand. »Ich bin auch froh, dass ich ein bisschen auf dich aufpassen kann. Du bist die einzige kleine Schwester, die ich je hatte.«

»Ich bin nur drei Wochen jünger als du.«

»Komm mir nicht mit Logik. Streng genommen bist du ja auch nicht meine Schwester.«

Nach dem Essen zieht sich meine selbsternannte große Schwester zurück, um eine Freundin anzurufen. Das Gulasch und die Knödel in meinem Bauch fordern noch ein wenig Auslauf. Ich ziehe mich warm an, stecke meine Hausschlüssel ein und marschiere los. Der Winter ist früh dran, aber solange ich schnell gehe, ist die Kälte auszuhalten. Katka wohnt hier seit Jahren, daher kenne ich das Viertel natürlich. Aber den Erkundungsspaziergang, wie man ihn nach Umzügen klassischerweise macht, habe ich bisher versäumt. Jetzt bin ich nicht mehr zu Besuch: Ich wohne hier. Höchste Zeit, mal zu schauen, was es hier alles gibt.

In unserer Straße gibt es einen Backshop, den ich links liegen lasse, und eine Bäckerei, die aussieht, als würde sie mehr als Butterbrezeln zustande bringen. Außerdem einen Schuhladen, der mir bisher noch nie aufgefallen ist. Den Supermarkt um die Ecke kenne ich schon, aber das spanische Lokal daneben wäre vielleicht auch mal einen Besuch wert.

Ich stopfe die Enden meines Schals in den Mantel und stapfe in meinen dicken Stiefeln weiter. In der nächsten Bar habe ich mich immer gern mit Katka getroffen. Erik hasste den Laden – der Service sei schlecht, behauptete er immer. Katka vermutet, es liegt daran, dass die Bedienung lesbisch und gegen Eriks Charme immun war. Ich werfe einen Blick durch das Fenster, um zu sehen, ob sie noch hier arbeitet.

Und dann sehe ich ihn.

Erik.

Mit einem Satz habe ich mich außer Sichtweite gebracht. Die Knödel in meinem Bauch dopsen noch etwas nach. Mein Herz rast. Ich keuche erschreckt und hoffe, dass mein Magen keine Rebellion anzettelt. Als ich mich wieder halbwegs beruhigt habe, linse ich wie in einem schlechten Detektivfilm um die Ecke.

Tatsächlich, Erik steht an einem der Tische neben der Bar. Ihm gegenüber lehnt eine Frau, die ich nicht kenne. Sie sieht nett aus und hat ein Glas Rotwein vor sich stehen. Sofort tut sie mir leid. Todsicher hat Erik extra diese Bar ausgesucht, weil die Chance besteht, dass ich ihn hier sehe – mit ihr. Oder um zu demonstrieren, dass er ungefähr weiß, wo ich wohne, und nicht vorhat, mir das Viertel zu überlassen. Eine Frechheit. Schließlich war er derjenige, der unbedingt in Bad Vilbel wohnen wollte.

Erik fuchtelt mit den Händen und redet auf die Frau ein. Das klingt jetzt vielleicht etwas theatralisch, aber tatsächlich ist es sein normaler Doziermodus. Wahrscheinlich referiert er gerade langatmig über Mülltrennung, die politische Situation in Mauretanien oder den Bürokratieabbau im hessischen Landtag. Die Frau kann einem tatsächlich nur leidtun.

Ich ziehe meinen Kopf zurück und mache einen Umweg nach Hause, um nicht mehr an den Fenstern der Bar vorbeizumüssen. Auf dem Weg liegen noch zwei weitere Schuhläden und ein schönes Einrichtungsgeschäft. Immerhin.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen hat Katka schon das Haus verlassen, als ich aus meinem Schlafzimmer schlurfe. Wenn in ihrer Firma viel los ist, arbeitet sie immer gern am frühen Morgen, bevor die anderen kommen und sie mit Fragen ablenken. Ich maile ihr, was gestern Abend passiert ist. Beinahe komme ich mir paranoid vor, Erik zu unterstellen, er sei absichtlich in diese Bar gegangen. Aber warum denn auch sonst? Die Stadt ist voller Bars. Diese ist die einzige, von deren Nähe zu Katkas Wohnung er weiß. Und die einzige, die er nie mehr betreten wollte, seit er einmal zehn Minuten auf ein paar Oliven warten musste.

Katkas Antwort kommt prompt und besteht nur aus einem YouTube-Link. Er führt mich zu einer jungen Frau namens Fiva, die skandiert:

»Nimm das Haus und den Wagen, ich hab nix zu verlier’n. Du kannst die Katze behalten, doch die Stadt gehört mir!«

In der Straßenbahn starre ich ins Leere. Wer mich morgens beobachtet, würde mir wirklich niemals einen kreativen Beruf zutrauen. Eher was am Fließband; Nieten in Jeans hauen oder so. Vor zehn Uhr bin ich mental wie ausgeknipst.

Doch wie es aussieht, geht es meinen Kollegen heute kaum anders. Arbeiten sehe ich jedenfalls niemanden, als ich die Werbeagentur betrete. Zwei haben die Füße auf den Schreibtisch gelegt und unterhalten sich, und der Rest hockt mit Post-it-Blöcken unterschiedlicher Farben auf dem Holzboden und beklebt diesen mit den kleinen Zetteln. Dabei wird viel über die richtigen Abstände und die zusätzliche Verwendung von Tesafilm diskutiert.

»Was macht ihr denn da?«, frage ich perplex.

»Ein Twister-Feld!«, jubelt meine Freundin und Kollegin Sarah.

»Ein Twister-Feld?«, echoe ich.

»Ja, du weißt schon. Alle müssen den rechten Fuß auf Blau setzen, und dann die linke Hand auf Rot und so weiter, bis alle völlig verknotet sind und sich gegenseitig zu Fall bringen.«

»Klingt ja super«, sage ich und frage mich automatisch, welche Unterwäsche ich eigentlich trage und ob der Slip wohl hinten aus der Hose rausgucken könnte. Dann erst fällt mir ein, dass dieses Spiel ja eigentlich doch etwas deplatziert ist. »Und warum spielen alle Twister, statt zu arbeiten?«

»Das System ist abgestürzt.«

»Alles?«

»Alles. Wir sind weder online, noch kommen wir in unsere Grafikprogramme. Die Computer haben sich selbst heruntergefahren und fahren nicht wieder hoch«, berichtet Sarah vergnügt. »Es hat irgendwas mit der Anmeldung am Netzwerk oder so zu tun.«

»Die IT-Muggel sind schon dran«, ruft ein Kollege herüber. »Jetzt kommt endlich und spielt mit!«

»Rechte Hand auf Gelb!«, kommt das erste Kommando, und Sarah hüpft begeistert auf das Spielfeld.

Ich stelle meine Tasche ab und ziehe erst mal meinen Mantel und meine Schuhe aus. Die anderen laufen längst strumpfsockig herum.

Zehn Minuten später verharre ich in einer reichlich unbequemen Haltung: Meine Beine stehen über Kreuz, die Hände muss ich weit auseinander aufstützen – und dabei mit verdrehtem Hals versuchen, mein Gesicht von Sarahs Hintern fernzuhalten.

In diesem Moment marschiert unser Chef herein. Mit einer Hand lockert er seine Krawatte, mit der anderen glättet er sein schütteres Haar. Von unserem Netzwerkproblem kann Andreas jedenfalls noch nichts mitbekommen haben, so fassungslos, wie er uns ansieht.

»Was zur Hölle macht ihr denn da?«, fragt er.

»Wir spielen Twister«, informiere ich ihn. »Das Netzwerk ist hin. Wird gerade schon repariert.«

»Twister? Ihr spinnt doch. Wessen Idee war das denn?« Noch ehe er die Frage ganz zu Ende gesprochen hat, fällt sein Blick auf Sarahs vor Eifer gerötetes Gesicht inmitten all der Körperteile, und er winkt ab: »Danke, ich kann’s mir schon denken.«

Sarah hat gemeinsam mit mir studiert und schreibt eigentlich Gedichte. Ziemlich abgefahrenes Zeug, toll für Poetry-Slams, aber wenig geeignet als Broterwerb. Deshalb habe ich sie in die Werbeagentur geholt, als wir auf der Suche nach einer Teilzeitkraft waren, die in den Brainstorming-Runden mitschreibt. Wer mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ist, hat für so was keine Kapazität mehr frei – deshalb fanden wir alle die Idee gut, jemand anderer möge das für uns erledigen.

Sarah interpretiert diese Aufgabe allerdings etwas eigenwillig: Sie notiert sich nur einen winzigen Teil der Ideen, und auch den gibt sie oft verkürzt und verdreht wieder. Wir sind also etwa so weit wie zu der Zeit, als niemand mitgeschrieben hat. Dafür haben sie aber alle sehr schnell ins Herz geschlossen. Sie strahlt den ganzen Tag und ist manchmal wie ein Kind. Bevor sie bei uns angefangen hat, wurde hier jedenfalls niemals Twister auf Klebezetteln gespielt.

Andreas betrachtet unser Menschenknäuel kurz und dreht sich dann halb um. »Bumsi!«, ruft er in den Flur.

Sarahs Zwerchfell, das ich inzwischen mit meinem linken Unterarm berühre, zittert ein wenig. Wir anderen sind schon zu lange hier, um noch über den Kosenamen zu lachen, den Andreas seiner Frau und Assistentin gegeben hat. Bestimmt denkt er sich gar nichts dabei. Die zwei sind Mitte fünfzig, seit etwa zweihundert Jahren glücklich miteinander verheiratet und stehen völlig über dem Pennälerhumor, den der Rest der Agentur mit fröhlicher Beharrlichkeit pflegt.

Bumsi kommt mit wehendem Seidenschal aus dem Vorraum angelaufen und rupft sich dabei die Lesebrille herunter, auf dass jene an einer goldenen Brillenschnur vor ihrer mächtigen Brust baumeln möge. Als sie uns entdeckt, lacht sie schallend.

Davon etwas aus dem Konzept gebracht, kann der erste Kollege seine angespannte Position nicht länger halten. Er plumpst auf den Hosenboden, trollt sich ächzend vom Spielfeld und erklärt den Neuankömmlingen die Spielregeln.

»Du willst da doch nicht etwa mitmachen, oder?«, fragt Bumsi ihren Mann besorgt.

»Warum nicht?«

»Andreas, deine Bandscheibenoperation ist erst vier Monate her«, sagt sie sehr streng. Sonst nennt sie ihn nie Andreas, sondern meistens Schatz – auch wenn sie, für den anrufenden Kunden hörbar, ein Telefongespräch an ihn weitergibt.

»Hm«, grummelt mein Chef, während wir alle weisungsgemäß unsere linken Füße auf rote Felder stellen. Dann hellt sich Andreas’ Miene auf.

»Na gut, aber du könntest doch.« Erfreut schaut er seine Frau an.

»Iiiich?«, fragt sie gedehnt und zupft ihr Seidentuch zurecht. Bumsis enger Rock reicht bis zu den Knien. Nicht ganz das richtige Outfit für dieses Spiel.

»Au ja, spielen Sie doch mit!«, ruft Sarah, der das Agentur-Du immer noch suspekt ist. Den Chef und seine Frau duzt sie nicht, obwohl die sich das ausdrücklich wünschen.

Wir haben flache Hierarchien, wie sich das gehört für eine hippe Werbeagentur. Und hip schließt in diesem Hause ganz ausdrücklich nicht aus, dass man spießige Waschmittelreklame mit gezeichneten Tieren macht.

»Na gut«, sagt Bumsi plötzlich, schlüpft aus ihren dunkelblauen Pumps und sucht sich eine gute Position auf dem Spielfeld.

Eine halbe Stunde später läuft das Netzwerk immer noch nicht. Aber wir mussten alle bereits das Feld räumen, weil wir entweder auf den Hintern oder auf die Knie gefallen sind. Einer der Grafiker hat es sogar fertiggebracht, auf seinem Gesicht zu landen. Mir war bis zu dem Zeitpunkt nicht klar, dass Hornbrillen verbiegen können.

Gewonnen hat, zu unser aller Überraschung: Bumsi. Andreas strahlt sie so stolz und begeistert an, dass mir seitdem doch ein bisschen das Herz ziept. So sieht das also aus, wenn man eine Ehe über Jahrzehnte hinweg glücklich hinbekommt, anstatt den Karren schon nach einem Jahr gegen die Wand zu fahren.

Nicht dass ich mich da für die Alleinschuldige halten würde. Außerdem macht Erik das ja schon.

Ich hole einen der großen Papierkörbe herbei und stelle ihn neben meinen Bürostuhl. Auf Bumsis Anregung hin räumen wir jetzt nämlich alle unsere Schreibtische auf, und meiner hat es tatsächlich nötig. Ich neige dazu, alles auf zwei große Haufen rechts und links der Tastatur zu schaufeln. In der Mitte ist dann Platz für meine Arme. Mein Kollege Richard, der am Schreibtisch neben mir sitzt, nennt diese Anordnung gerne am Busen der Kreativität. Er schafft es immer, für alles Mögliche leicht anstößige Slogans zu erfinden. In seiner letzten Agentur haben sie ihm den Beinamen Rektal-Richard verpasst.

Ich sortiere stundenlang umständlich die Notizen und Zeichnungen zu den abgeschlossenen Projekten. Stapel um Stapel schmilzt von meinem Schreibtisch. Und dann erwischt es mich.

Unter den Papieren kommt keine blanke Schreibtischplatte zum Vorschein, sondern ein Foto. Das muss ich hier hingelegt haben, als wir es für die Hochzeitseinladungen ausgesucht hatten. Wir haben uns dann doch für Einladungen ohne Foto entschieden. Ein Beschluss, der nicht ohne einen lautstarken Streit in einer kleinen Bornheimer Papeterie auskam, infolgedessen Erik erst mal für zwei Stunden beleidigt verschwand und mich alleine nach Hause fahren ließ. Ich hatte es gewagt, Einwände gegen seinen Vorschlag zu erheben, von Hand unser Foto und kitschige silberne Engelsflügel auf die Einladungen zu kleben.

Mit dem Bild selbst hatte das allerdings nichts zu tun. Wir sehen unglaublich glücklich aus, wie wir da auf der Terrasse von Freunden sitzen. Im Hintergrund blüht ein zartlilafarbener Strauch, hinter der Kamera, und damit auf dem Foto nicht sichtbar, brutzeln bereits Würste auf dem Grill. Optimale Voraussetzungen also für glückliche Gesichter. Wir sind auf diesem Foto etwa ein Jahr zusammen, und Erik war der aufmerksamste und freundlichste Mann, den ich jemals kennengelernt hatte.

Zumindest so lange, bis ich anfing, ihm gelegentlich zu widersprechen.

Erst als Sarah meinen Stuhl etwas nach hinten zieht und zu sich umdreht, merke ich, dass ich angefangen habe zu weinen. Meine Freundin trägt ihre Daunenjacke und hat meinen Mantel über den Arm gelegt.

»Du starrst jetzt schon seit zehn Minuten auf dieses Bild«, flüstert sie. »Andreas hat gesagt, ich soll mit dir auf einen Kaffee gehen.«

»Ist Glühwein auch erlaubt?«, frage ich und wische mir schnell die Tränen aus dem Gesicht.

»Das hab ich nicht gefragt«, sagt Sarah lachend. »Hier, zieh deinen Mantel an.«

Wir sind die ersten Gäste in der Bar um die Ecke. Sarah bestellt für uns beide und lässt mich ein bisschen erzählen.

»Wie geht es denn Erik jetzt?«, fragt sie nach einer Weile.

»Tja, keine Ahnung. In seinen letzten Mails schien er vor allem wütend zu sein.«

»Das wirkt bestimmt nur so. Bestimmt ist er total traurig.«

»Mag sein. Aber wieso hat er sich das nicht früher überlegt?«

»Ach, du weißt doch, Männer sind manchmal komisch.« Sarah kichert. »Peter sagt ja auch immer, dass er keine Beziehung will, und kommt trotzdem dauernd vorbei.«

»Weil er weiß, dass er bei dir Sex ohne Verpflichtungen bekommt«, sage ich nüchtern. Aber Sarah lacht nur und patscht mir fröhlich auf die Schulter.

»Du bist immer so witzig, Greta!«

»Ich hab das ernst gemeint«, sage ich, muss aber auch lachen.

Sarah steckt ständig in irgendwelchen Affären, die andere Frauen in den Wahnsinn treiben würden. Aber weil sie stets sicher ist, dass der Typ auf jeden Fall eine richtige Beziehung will und nur noch ein wenig Zeit braucht, ist sie dabei völlig entspannt. Wenn die Sache dann gescheitert ist, steht bald darauf der Nächste vor der Tür. Liebeskummer scheint sie nicht zu kennen. Ich würde allerdings auch nicht behaupten, dass die Typen es wert wären.

»Ich mach da gar keinen Druck«, sagt sie fröhlich. »Sonst springt er mir ab. Er ist ja noch ganz frisch getrennt.«

»Tja. Wer ist das nicht?«, murmele ich.

»Lass uns am Samstag ausgehen!«, zwitschert Sarah. »Singles müssen auf den Markt.«

»Ausgehen?« Ich reiße entsetzt die Augen auf. »Ist das etwa das, wo man mit einem immer wärmer werdenden Drink in der Hand in einem überfüllten Klub rumsteht und einander Dreiwortsätze ins Ohr schreit, weil es für alles andere zu laut ist?«

»Ja, genau! Komm schon, das macht Spaß!«

»Das macht überhaupt keinen Spaß«, jammere ich. »Wenn irgendwas gut daran war, mit Erik so weit draußen in Bad Vilbel zu wohnen, dann die Tatsache, dass mich in all den Monaten nie jemand gefragt hat, ob ich ausgehen will.«

»Du bist doch wohl mal mit Erik ausgegangen, oder?«

»Nein. Er trennte sich abends ungern von seinen Unterlagen. Es sei denn, du zählst auswärts essen, weil keine Zeit zum Einkaufen war, dazu.«

»Egal«, beschließt Sarah. »Ausgehen verlernt man nicht!«

»Ich wüsste nicht, was ich daran verlernt haben sollte. Ich konnte das noch nie. Wozu geht man eigentlich in Klubs?«

»Na, wenn du als Single unterwegs bist, dann natürlich um Männer kennenzulernen«, sagt Sarah gut gelaunt.

»Ehrlich? Jede Frau, nur deshalb?«

»Alles andere kann man ja auch unter Frauen machen, wo es eigentlich netter ist und wo man sich besser unterhalten kann.«

»Ist dir das nicht manchmal peinlich? Also, dass die Männer wissen, dass du nur ausgehst, um welche von ihnen kennenzulernen?«

»Nö. Schließlich weiß ich, dass die das umgekehrt auch so machen.«

»Ich dachte, Männer gehen aus, um zu saufen.«

»Stimmt, die Sorte Mann gibt es auch«, räumt Sarah ein. »Das ist das zweite große konkurrierende Konzept. Aber die erkennt man meistens ziemlich schnell.«

»Woran denn?«

»Sie verlassen den Tresen nicht. Die Sorte ist eh oft zu schüchtern, um Frauen anzusprechen. Die Guten findet man auf der Tanzfläche.«

»Oh Gott, tanzen.« Entnervt glotze ich in mein Glas, als mir diese dämliche Freizeitbeschäftigung wieder einfällt.

Ich kann nicht tanzen, und ich fühle mich auch nicht wohl dabei. Deshalb stehe ich ja immer so untätig rum in Klubs. Dann kommen irgendwelche Typen und labern einen mit Sätzen an, die eine Beleidigung für mein Werbetexterherz sind. Bist du öfter hier?, zum Beispiel. Mein zweiter Favorit der sterbenslangweiligen Einstiegssätze: Bist du alleine hier? Ehrlich, ich kenne keine einzige Frau, die abends alleine ausgeht. Außerdem klingt der Satz immer, als wäre der Mann auf der Suche nach einem weiblichen Opfer, dem er unbemerkt K.-o.-Tropfen in den Gin Tonic kippen kann.

»Ich hole dich am Samstagabend um zehn ab«, erklärt Sarah.

»Um zehn? Da schlafe ich.«

Sarah lacht nur. Ich wage einen letzten Versuch.

»Im Ernst, was soll ich da draußen? Ich bin doch gar nicht auf der Suche nach einem Mann.«

»Das solltest du aber sein. Nichts lenkt so gut vom letzten Mann ab wie der nächste. Außerdem kommst du sonst aus der Übung.«

»Eben hast du noch gesagt, man verlernt das nicht!«

»Das hat nur so lange gestimmt, wie es meiner Argumentation diente«, erklärt sie mir freundlich. »Jetzt gilt das Gegenteil.«

Und das ist der Moment, da ich vor so viel Entschlossenheit kapituliere.

Kapitel 3

Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Ich habe meinen Freundinnen nichts entgegenzusetzen, wenn sie auf großer Greta-Rettungsmission sind. Also durchpflüge ich am Wochenende brav das Internet nach dem Lachtraining, zu dem Katka mich erpresst. Sie hatte recht: In den Wintermonaten findet es in der Volkshochschule statt. Bilder von muffigen Räumen mit Fingermalereien an der Wand tauchen vor meinem inneren Auge auf. Der Himmel steh mir bei! Immerhin kann man jederzeit einsteigen, was mich irgendwie überrascht. Andererseits: Was hatte ich eigentlich erwartet – dass es Anfänger und Fortgeschrittene geben würde?

Über ein Formular auf der Website melde ich mich an. Schon am nächsten Samstag soll es losgehen. Sofort frage ich mich, was ich anziehen soll. Und schüttele im gleichen Moment den Kopf über mich selbst. Als ob das wichtig wäre … Vielleicht irgendetwas, das mächtig blöd aussieht, damit die anderen Kursteilnehmer etwas zu lachen haben.

Stolz marschiere ich zu Katka in die Küche. »Du kannst mein Weihnachtsgeschenk kaufen!«, flöte ich ihr entgegen. »Ich habe mich zum Lachtraining angemeldet.«

»Prima!« Katka lächelt. Gleichzeitig kämpft sie mit einem vergilbten Rührgerät, das seine besten Zeiten deutlich hinter sich hat. Es dreht sich mühsam an der Luft, gibt aber im klebrigen Kuchenteig schnell auf. Nach ein paar Versuchen macht es gar keinen Mucks mehr.

»Ist das Ding älter als du?«, frage ich interessiert, während ich den Wasserkocher anschmeiße.

»Nicht auszuschließen. Das habe ich von meiner Großmutter geerbt. Muss damals in Polen die Speerspitze der Technisierung gewesen sein.«

»Auch eine Speerspitze gibt mal den Geist auf.«

»Sieht ganz so aus. Wahrscheinlich ist der Motor hinüber. Haben diese Dinger überhaupt einen Motor?« Seufzend wickelt Katka das Kabel auf.

»Frag mich nicht. Rührgeräte habe ich noch nie beworben.«

Stirnrunzelnd steht Katka vor ihrem Kuchenteig und versucht offenbar, ihn mit strengen Blicken zu rühren. Dann scheint sie einen Geistesblitz zu haben, denn sie hebt auf einmal ruckartig den Kopf.

»Sag mal, Greta, du hast dir doch zur Hochzeit diese maßlos überteuerte Küchenmaschine gewünscht. Wo ist die denn?«

»Brk«, nuschele ich.

»Wo, bitte?«

»Bei Erik.«

»Ist nicht wahr.« Fassungslos schaut sie mich an.

»Doch. Er wollte sie unbedingt behalten.« Ich fixiere meine Fußspitzen.

»Greta, du hast dir dieses Ding seit Jahren gewünscht. Wieso, um alles in der Welt, hast du es ihm überlassen? Er backt doch nicht mal!«

»Er hat einfach besser verhandelt als ich, als es um die Aufteilung der Geschenke ging«, gebe ich kleinlaut zu.

»Verhandelt? Du musstest mit ihm um die verdammte Küchenmaschine verhandeln, die dein Wunsch war?«, tobt Katka. »Warum hast du mich das nicht machen lassen? Ich hätte damit seinen Schädel geöffnet und sein Gehirn umgerührt!«

»Wahrscheinlich kann man das damit tatsächlich machen. Das Ding kann einfach alles!«

Katka haut mit der Faust auf die Arbeitsplatte, dass der Teig in der Schüssel träge ins Wackeln gerät. »Okay«, sagt sie dann und atmet einmal tief durch. »Es ist nur eine Küchenmaschine. Aber würdest du bitte in Zukunft nicht mehr so mit dir umspringen lassen?«

»Das versuche ich«, sage ich betrübt. »Hey, ich habe mich getrennt, was soll ich denn noch tun?«

»Du könntest zum Beispiel das Geld einfordern, das du noch von ihm bekommst.«

»Hab ich gemacht«, merke ich stolz an und beginne, meinen Tee aufzugießen. »Gestern habe ich ihm eine ganz freundliche Mail geschrieben, dass er mir das jetzt bitte überweisen soll.« Ich unterschlage das Geständnis, dass das die erste freundliche Mail seit Wochen war. Eben auch die erste, die ich tagsüber und bei klarem Verstand verfasst habe. Meine erste Therapiestunde hat mir immerhin genug Mut gemacht, dass ich nicht eine Flasche Wein umarmt haben muss, um Eriks Mails zu öffnen und zurückzuschreiben. Ich habe mich für den rauen Ton in letzter Zeit entschuldigt und um einen neuen Anfang gebeten.

»Und, hat er geantwortet?«, fragt Katka, während sie sich die Hände bis zu den Ellbogen wäscht wie ein Chirurg vor der nächsten OP.

»Noch nicht.«

»Sag bitte Bescheid, wenn die Antwort da ist. Das würde mich ja zu sehr interessieren.« Mit diesen Worten greift sie schwungvoll mit beiden Händen in die Teigschüssel und fängt an zu kneten. Meinen amüsierten Blick übersieht sie dabei nicht. »Einmal polnisches Bauernmädchen, immer polnisches Bauernmädchen«, sagt sie und grinst.

Um 21 Uhr ziehe ich mir zu engen schwarzen Hosen irgendein albernes Glitzertop an, das seit Jahren in meinem Schrank herumliegt. Dann male ich mein Gesicht an. Und dann macht mein Handy ein leises Ping. Wenige Minuten später heule ich so sehr, dass meine Wimperntusche sich großflächig über beide Wangen verteilt hat.

Erik hat auf meine Mail geantwortet – und zwar genauso wütend wie auf alle anderen.

Darüber, ob dieses Geld dir tatsächlich zusteht, lässt sich streiten, schreibt er.