Beethoven - Ludwig Nohl - E-Book

Beethoven E-Book

Ludwig Nohl

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Beschreibung

Ludwig van Beethoven war ein deutscher Komponist und Pianist. Er führte die Wiener Klassik zu ihrer höchsten Entwicklung und bereitete der Musik der Romantik den Weg. Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Geschichte. Null Papier Verlag

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Ludwig Nohl

Beethoven

Eine Musikerbiografie

Ludwig Nohl

Beethoven

Eine Musikerbiografie

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-21-3

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Inhaltsverzeichnis

Vor­wort

1. Die Ju­gend und die ers­te Schaf­fens­zeit.

2. Eroi­ca und Fi­de­lio.

3. Cmoll­sym­pho­nie, Pas­to­ra­le und Sie­ben­te.

4. Die *Mis­sa so­len­nis* und die Neun­te Sym­pho­nie.

5. Die letz­ten Quar­tet­te.

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»Un­ser Zeit­al­ter be­darf kräf­ti­ger Geis­ter!«

Vorwort

Die Mu­sik, so sehr sie die po­pu­lärs­te al­ler Küns­te ist und jede Brust mit weh­muts­vol­ler Freu­de er­füllt, ja selbst blo­ße Sin­nen­we­sen zu freu­di­gem Auf­zu­cken durch­bebt, ist doch in ih­ren letz­ten Er­zeug­nis­sen ein selt­sam vor­nehm ab­ge­schlos­se­nes We­sen, und nicht ohne Grund ver­langt man Bil­dung und Vor­übung, ja An­la­ge und Ent­wick­lung für die Auf­nah­me ih­rer Ge­heim­nis­se. »Von sei­nes­glei­chen will man mit dem Ver­stan­de ge­hört sein, Rüh­rung passt nur für Frau­en­zim­mer, dem Man­ne muss die Mu­sik Feu­er aus dem Geis­te schla­gen«, so un­ge­fähr sag­te Beetho­ven selbst, und wir wis­sen, wie lang­sam des größ­ten Sym­pho­ni­kers Wer­ke sich all­ge­mein Ge­hör und Aner­ken­nung er­run­gen ha­ben.

Und den­noch, wer kennt heu­te nicht den Na­men Beetho­ven! – Und wen er­füllt nicht, wenn ihm ein Werk die­ses Hero­en ent­ge­gen­tritt, auch so­gleich die Ah­nung ei­ner er­ha­be­nen all­wal­ten­den Macht, die aus den tiefs­ten Quel­len al­les Le­bens stammt! Mit dem Ge­fühl ei­ner ge­hei­men Ver­eh­rung er­greift uns schon der blo­ße Name, und wir glau­ben gern, wenn be­rich­tet wird, dass vor der von Ge­stalt zwar klei­nen, aber in ih­rer ge­drun­ge­nen Kraft den­noch im­po­nie­ren­den Er­schei­nung mit der vor­wärts stre­ben­den Hal­tung und dem auf­ge­rich­te­ten Haupt mit wal­len­dem Haar und fast ste­chen­dem Blick selbst der Frem­de in ei­ner ge­wis­sen Ehr­furchts­scheu zu­rück­wich. Jene bei­den Koh­len­bren­ner aber hiel­ten so­gar in ei­nem Hohl­weg ihr schwer­be­la­de­nes Fuhr­werk an, als ih­nen der in der gan­zen Um­ge­bung Wiens wohl­be­kann­te »krau­pe­te Mu­si­kant« be­geg­ne­te, der sin­nend stand und sum­mend wei­ter­ging, wenn er so bie­nen­gleich von Son­nen­auf­gang an in der Na­tur um­her­schweif­te und das No­tir­buch in Hän­den hielt, von dem er wie Jean­ne d’Arc sag­te: »Nicht ohne mei­ne Fah­ne darf ich kom­men!«

Was die­se Män­ner des Volks mit un­will­kür­li­chem Re­spekt vor der Wür­de er­griff, die die­se gan­ze Er­schei­nung um­floss, er­greift uns bei Nen­nung sei­nes Na­mens, wie viel mehr beim An­hö­ren sei­ner Mu­sik! Hier ist, das füh­len wir, der Geist tä­tig, der alle Welt be­lebt und er­hält und stets neu­es Le­ben schafft. Selbst dem Lai­en hallt aus die­sen ho­hen Schöp­fun­gen die Ge­wiss­heit des Wal­tens des schöp­fe­ri­schen Geis­tes ent­ge­gen und er­tö­nen die­se Lau­te als die Stim­men der tiefs­ten Men­schen­brust, die das all­ge­mei­ne Weh- und Won­ne­we­sen un­se­res Ge­schlechts im In­ners­ten ge­teilt hat. Es über­kommt uns die si­che­re Über­zeu­gung, dass der hier spricht, uns wirk­lich et­was zu sa­gen hat und zwar von un­se­rem ei­ge­nen Le­ben, weil er, was wir alle füh­len und le­ben, tiefer fühl­te und leb­te als wir an­de­ren, und al­les was wir lie­ben und lei­den, tiefer lieb­te und litt als sonst die Staub­ge­bor­nen. Durchaus tritt uns hier ein Mann ent­ge­gen, der an Ge­müt wie an Geis­tes­kraft wirk­lich groß war und uns zu ei­nem er­ha­be­nen Vor­bil­de wer­den konn­te, weil er das Le­ben wie das künst­le­ri­sche Schaf­fen ernst nahm und es sich zur Pf­licht mach­te, »für sich nicht, nur für an­de­re Mensch zu sein.« Es ist der hohe Grad selbst­ver­leug­nungs­vol­ler Kraft, was aus die­ser Künst­ler­er­schei­nung her­vor­strahlt und uns selbst wie­der er­hebt. Hier wur­den, wie nur je bei ei­nem großen Künst­ler, die Auf­ga­ben des Le­bens mit der glei­chen Treue er­fasst wie die der Kunst. Sein Le­ben ist völ­lig auch die Grund­la­ge sei­nes Schaf­fens: der große Künst­ler floss aus dem großen Men­schen. Wenn ir­gend­wo, so deckt hier die Dar­stel­lung des Le­bens auch in ei­ner sol­chen bloß über­schau­en­den Skiz­ze die in­ne­ren Quel­len des künst­le­ri­schen Schaf­fens selbst auf, und wir wer­den er­ken­nen, was sich hier dar­stellt, es ist ein Stück Ge­schich­te des hö­he­ren geis­ti­gen Le­bens un­se­rer Zeit und der Mensch­heit.

1. Die Jugend und die erste Schaffenszeit.

(1770–94)

Lud­wig van Beetho­ven ward am 17. De­zem­ber 1770 in Bonn – ge­tauft. Nur die­ses, der Tag der Tau­fe, ist uns fest­ge­stellt, und so hat man den 17. De­zem­ber zu­gleich als den Ge­burts­tag gel­ten zu las­sen.

Sein Va­ter Jo­hann van Beetho­ven war kur­fürst­li­cher Ka­pell­sän­ger in Bonn. Doch stamm­te die Fa­mi­lie aus den Nie­der­lan­den. Erst der Groß­va­ter war (1732) nach Bonn ge­kom­men, nach­dem er als Kna­be we­gen ei­nes Strei­tes ei­gen­wil­lig das El­tern­haus ver­las­sen hat­te. Er hat­te sich als Bass­sän­ger in Kir­che und Thea­ter her­vor­ge­tan und war so 1763 kur­fürst­li­cher Hof­ka­pell­meis­ter ge­wor­den. Auch sonst hat­ten ihm Fleiß und Ord­nung einen wohl­be­stell­ten Haus­stand und ein per­sön­li­ches An­se­hen be­grün­det. Ein klei­ner Wein­han­del er­laub­te ihm »sich eher zu rüh­ren.« Doch trug eben die­ser Ne­ben­be­trieb bei, sein ei­ge­nes Glück wie das sei­nes Soh­nes zu un­ter­gra­ben. Sei­ne Frau Jo­se­pha Poll ver­fiel dem Las­ter des Trun­kes und muss­te zu­letzt nach Köln in ein Klos­ter ge­tan wer­den. Und lei­der teil­te die­sen Feh­ler der ein­zi­ge über­le­ben­de Sohn, – »Jo­hann van Beetho­ven ver­stand sich schon früh gut auf die Wein­pro­ben«, sagt der Be­richt sei­ner Ju­gend­ge­spie­len, – und bald nahm die üble Schwä­che so über­hand, dass eine tie­fe Stö­rung des Haus­we­sens ein­trat und schließ­lich gar Amts­ent­set­zung folg­te. Beetho­vens Ju­gend­freund Ste­phan von Bre­uning sah selbst ein­mal, wie er den trun­ke­nen Va­ter auf of­fe­ner Stra­ße aus den Hän­den der Po­li­zei be­frei­te.

Hier ha­ben wir nun so­gleich den Ein­blick in eine Ju­gend­zeit, die Beetho­vens Geis­tes- und Ge­müts­kraft hart er­prob­te. Denn nach der an­ge­se­he­nen Stel­lung des Groß­va­ters und durch sei­ne ei­ge­ne frü­he An­stel­lung als kur­fürst­li­cher Ho­f­or­ga­nist wie die be­deu­ten­de Ent­wick­lung sei­nes Ta­len­tes ge­noss Beetho­ven frü­he den Um­gang der bes­se­ren Ge­sell­schaft und wirk­te als Künst­ler in den Fa­mi­li­en des Adels wie bei Hofe. Doch wird be­rich­tet, dass es stets mit der größ­ten Zart­heit ge­sch­ah, wenn sie, er und sei­ne zwei jün­ge­ren Brü­der, den Va­ter ins Haus zu­rück­zu­brin­gen such­ten, und nie­mals hö­ren wir ein har­tes Wort über den Mann, der sei­ne Ju­gend zu ei­ner so schwe­ren ge­macht, ja ein sol­ches von ei­nem Drit­ten mach­te ihn ge­ra­de­zu böse. Al­lein die Ver­schlos­sen­heit und eine ge­wis­se Trot­zig­keit sei­nes Ju­gend- und Man­nes­we­sens müs­sen doch auf sol­che frü­hen her­ben Er­fah­run­gen zu­rück­ge­führt wer­den.

Und wer kennt die Ver­wi­cke­lun­gen, die hier das Un­heil über­hand neh­men lie­ßen! Denn wenn es gleich heißt: »Jo­hann van Beetho­ven hat­te einen flüch­ti­gen Geist«, so wis­sen doch auch die­se Ju­gend­ge­spie­len von sei­nem Cha­rak­ter nichts Schlim­mes zu sa­gen. Nur Jäh­zorn und Hals­star­rig­keit schei­nen sein alt­nie­der­län­di­sches Erb­teil ge­we­sen zu sein, und die­ses zeig­te in reich­li­chem Maße auch un­ser Meis­ter. Doch wäh­rend der Groß­va­ter sich zu so gu­ter Stel­lung auf­ge­schwun­gen und stets eine sol­che Hal­tung zu be­wah­ren ge­wusst hat­te, dass Beetho­ven ihn förm­lich als ein Vor­bild sei­nes Le­bens neh­men und als von ei­nem »Ehren­man­ne« noch spä­ter gern von ihm spre­chen konn­te, brach­te es sein Va­ter nicht über den ge­ring­be­sol­de­ten Ka­pell­sän­ger. Und nicht ein­mal die­sem Stan­de ent­sprach die Wahl sei­ner Frau.

Mag­da­le­na Ke­we­rich aus Ehren­breit­stein, eine »hüb­sche schlan­ke Per­son«, die ei­ni­ge Zeit als Kam­mer­jung­fer bei vor­neh­men Herr­schaf­ten ge­dient hat­te und schon mit neun­zehn Jah­ren die Wit­we ei­nes kur­trier­schen Leib­kam­mer­die­ners war, wur­de 1763 Jo­hann van Beetho­vens Frau. Da nun die­se Hei­rat nicht nach des Hof­ka­pell­meis­ters Sinn sein konn­te, so zog der Sohn, der bis­her mit dem ver­ein­sam­ten Va­ter zu­sam­men ge­wohnt hat­te, in ein Ne­ben­ge­bäu­de des Hau­ses Nr. 515 der Bonn­gas­se, wel­ches also Beetho­vens Ge­burts­haus ward.

Ver­mö­gen be­saß die jun­ge Frau eben­falls nicht, und so trat, nach­dem ziem­lich rasch meh­re­re Kin­der ge­kom­men wa­ren, von de­nen der 1774 ge­bo­re­ne Kar­l und der 1776 ge­bo­re­ne Jo­hann eine Rol­le in Beetho­vens Le­ben spie­len, bald ma­te­ri­el­le Be­dräng­nis ein. An­fangs hat­te der wohl­ha­ben­de Groß­va­ter nach­ge­hol­fen, und sei­ne statt­li­che Ge­stalt im ro­ten Rock, mit dem großen Kopf und den »di­cken Au­gen« blieb bei dem Kna­ben Lud­wig, der mit der größ­ten In­nig­keit an ihm ge­han­gen, auch tief haf­ten, ob­wol er erst drei Jah­re zähl­te, als der Groß­va­ter starb. Bei zu­neh­men­der Be­dräng­nis mach­te der Va­ter ei­ni­ge Ge­su­che um Auf­bes­se­rung. Al­lein sei­ne nur »ziem­li­che« Auf­füh­rung und sei­ne »ab­gän­gi­ge« Stim­me lie­ßen sie fehl­schla­gen. So such­te er sich denn mit Un­ter­richt­ge­ben wei­ter zu hel­fen und wirk­te auch im Thea­ter mit, denn er spiel­te zu­gleich Vio­li­ne. Doch bald ver­schlan­gen Krank­hei­ten auch die im­mer­hin nicht be­deu­ten­de Erb­schaft: die Glas- und Por­zel­lan­schrän­ke wan­del­ten nebst dem Sil­ber­ser­vice und der Lein­wand, »die man durch einen Ring hät­te zie­hen kön­nen«, eins nach dem an­de­ren zum Tröd­ler, und die Not selbst konn­te wie­der den Va­ter nur mehr sei­ner Schwä­che ver­fal­len las­sen.

Doch ei­nes stand von früh an als ein Hoff­nungs­stern an dem trü­ben Him­mel sei­ner Exis­tenz: das Ta­lent sei­nes Soh­nes Lud­wig. Denn das­sel­be zeig­te sich eben­falls be­reits in ers­ter Kind­heit und konn­te dem Va­ter, der selbst im­mer­hin ein »gu­ter Mu­si­ker« war, am we­nigs­ten ent­ge­hen. Und wenn er auch selbst den vol­len Er­folg hier nicht mehr er­le­ben soll­te, es war in der Tat die­ses Ta­lent, durch wel­ches spä­ter­hin ein­zig die Fa­mi­lie vor dem Un­ter­gang ge­ret­tet und ihr Name so­gar wie­der zu hel­lem Klan­ge er­ho­ben wer­den soll­te. Denn als zu­mal nach der Ge­burt je­nes jüngs­ten Bru­ders und ei­ner klei­nen bald ver­stor­be­nen Schwes­ter die Ver­hält­nis­se sich stets mehr zer­rüt­te­ten, ver­fiel der Va­ter dar­auf den Sohn gleich dem klei­nen Mo­zart, der kurz zu­vor auch in Bonn ge­we­sen war, zu ei­nem Wun­der­kin­de her­an­zu­bil­den, um dann auf Rei­sen mit ihm die so sehr be­durf­ten wei­te­ren Exis­tenz­mit­tel zu ge­win­nen. So ward denn der Kna­be mit Ernst an­ge­hal­ten Kla­vier und bald auch Vio­li­ne zu spie­len, und es muss bei die­sen täg­li­chen Übun­gen här­ter zu­ge­gan­gen sein, als zu ei­ner re­gel­rech­ten Aus­bil­dung er­for­der­lich ist. Denn er wur­de so­gar vom Spie­len mit den Kin­dern weg­ge­holt, und die Ju­gend­freun­de sa­hen ihn auf ei­nem Bänk­chen vor dem Kla­vie­re ste­hen und wei­nend sei­ne Auf­ga­ben üben. Auch Stra­fen fehl­ten nicht und selbst mah­nen­de Freun­de brach­ten den Va­ter nicht von sol­cher un­er­bitt­li­chen Stren­ge ab. Doch ward der Zweck er­reicht, und die an­hal­ten­de und re­gel­mä­ßi­ge Übung leg­te den Grund zu ei­ner Fer­tig­keit, die ihn schon als sie­ben­jäh­ri­gen Kna­ben vor die Öf­fent­lich­keit führ­te. In ei­ner Köl­ner Zei­tung kün­de­te der Va­ter an, dass am 26. März (Beetho­vens To­des­tag!) 1778, »sein Söhn­chen von 6 Jah­ren mit ver­schie­de­nen Kla­vier­kon­zer­ten die Ehre ha­ben wer­de auf­zu­war­ten, wo er al­len ho­hen Herr­schaf­ten ein völ­li­ges Ver­gnü­gen zu leis­ten sich schmei­che­le, umso mehr, da er zum größ­ten Ver­gnü­gen des gan­zen Ho­fes sich hö­ren zu las­sen die Gna­de ge­habt habe.« Der Kna­be ward, da­mit das Wun­der umso grö­ßer sei, um ein Jahr jün­ger ge­macht, und dies er­zeug­te in ihm selbst einen Irr­tum über sein Al­ter, der noch den na­he­zu Vier­zig­jäh­ri­gen täusch­te.

Über sei­ne wei­te­ren Ju­gend­leh­rer kön­nen wir uns kurz fas­sen. Sei­ne Schu­le war vor­zugs­wei­se die Not des Le­bens, die ihn sei­ne Kunst trei­ben und üben hieß, um sie zu be­herr­schen und mit ihr in der Welt vor­wärts zu kom­men. Au­ßer dem Va­ter un­ter­rich­te­te den acht­jäh­ri­gen Kna­ben ein Jahr lang der Sän­ger To­bi­as P­feif­fer, der bei Beetho­vens in Kost und Lo­gis war. Er war ein fer­ti­ger Kla­vier­spie­ler und Beetho­ven er­kann­te ihn auch da­durch als einen sei­ner Haupt­leh­rer an, dass er ihm noch von Wien aus Un­ter­stüt­zung zu­kom­men ließ. Wie je­doch die­ser Un­ter­richt und das Le­ben im Beetho­ven’­schen Hau­se be­schaf­fen war, er­kennt man aus der Erin­ne­rung der Haus­ge­nos­sen, dass wenn Pfeif­fer oft spät in der Nacht mit dem Va­ter von dem Wirts­hau­se kam, der klei­ne Lud­wig noch aus dem Bet­te ge­holt und bis zum frü­hen Mor­gen am Kla­vier ge­hal­ten ward. Da­ge­gen war der Er­folg die­ser Un­ter­rich­tung be­reits ein sol­cher, dass wenn der Kna­be mit sei­nem Leh­rer, der auch Flö­te blies, zu­sam­men »va­ri­ier­te«, die Leu­te drau­ßen ste­hen blie­ben und die schö­ne Mu­sik lob­ten. Im Jah­re 1781 fin­den wir den zehn­jäh­ri­gen Lud­wig denn auch mit sei­ner Mut­ter auf ei­ner Rei­se nach Hol­land, wo er in großen Häu­sern spiel­te und die Leu­te durch sei­ne Fer­tig­keit in Er­stau­nen setz­te. Doch muss es mit dem Er­trag der Rei­se nicht eben­so gut ge­stan­den sein. Denn auf eine Fra­ge ant­wor­te­te der Kna­be: »Die Hol­län­der, das sind Pfen­nig­fuch­ser, ich wer­de Hol­land nim­mer­mehr be­su­chen.«

Der­wei­len war es nun auch an das Or­gel­spiel ge­gan­gen, und ein Bru­der Wil­li­bald im na­hen Fran­zis­ka­ner­klos­ter führ­te ihn dar­in bald so­weit, dass er beim Got­tes­dienst als Ge­hil­fe ge­braucht wer­den konn­te. Sei­ne Haupt­leh­rer in die­ser Kunst wa­ren aber zu­nächst der alte kur­fürst­li­che Ho­f­or­ga­nist van den Ee­den und dann des­sen Nach­fol­ger Chris­ti­an Gott­lob Nee­fe. Der letz­te­re hat auch in der Kom­po­si­ti­on den ers­ten ent­schei­den­den Ein­fluss auf Beetho­ven ge­übt, und er selbst dank­te ihm spä­ter »für den gu­ten Rat bei dem Wei­ter­kom­men in sei­ner gött­li­chen Kunst«. »Wer­de ich einst ein großer Mann, so ha­ben auch Sie Teil dar­an«, schließt der Brief. Er stamm­te aus Sach­sen und stand so ei­ner­seits auf der Grund­la­ge der nord­deut­schen Or­ga­nis­ten­kunst, hat­te aber and­rer­seits in der Kom­po­si­ti­on die Rich­tung der neu­en Ph. E. Bach’­schen So­na­te ge­nom­men und war au­ßer­dem durch all­ge­mei­ne geis­ti­ge Bil­dung und ge­fäl­li­ge­re künst­le­ri­sche Form aus­ge­zeich­net. Schon im Jah­re 1782 konn­te er den elf­jäh­ri­gen Kna­ben als sei­nen »Vi­car« an­neh­men und ihm so die An­wart­schaft auf die Ho­f­or­ga­nis­ten­stel­le selbst ver­schaf­fen. Von ihm stammt denn auch der ers­te öf­fent­li­che Be­richt über Beetho­ven, und hier er­fah­ren wir, dass die Haupt­grund­la­ge die­ses Un­ter­rich­tes Bachs Wohl­tem­pe­rier­tes Kla­vier, je­nes »Non plus ul­tra« der Kon­tra­punk­tik wie der Tech­nik war. Die Bach’­schen Fu­gen wa­ren es da­her auch, durch de­ren aus­ge­zeich­ne­ten Vor­trag er sich spä­ter in Wien zu­erst sei­nen Ruf ver­schaff­te. Aber auch der Kom­po­si­ti­ons­un­ter­richt trug sei­ne Früch­te und ein Heft Va­ria­tio­nen über einen Marsch wie drei So­na­ten er­schie­nen schon da­mals im Druck.

»Die­ses jun­ge Ge­nie ver­dien­te Un­ter­stüt­zung, dass er rei­sen könn­te, er wür­de ge­wiss ein zwei­ter Mo­zart wer­den«, hat­te Nee­fe schon in je­nem Be­richt von 1783 ge­schrie­ben. Bald nach­her war dann die Aus­bil­dung des »Ge­nies« auch auf an­de­ren Ge­bie­ten vor­ge­gan­gen: der 12­jäh­ri­ge Or­ga­nis­ten­vi­car hat­te gar, wenn Nee­fe ver­hin­dert war, die Pro­ben im Thea­ter zu lei­ten, und die­ses brach­te da­mals, wie wir noch se­hen wer­den, auch in Bonn die bes­ten Stücke der Zeit. So ge­wan­nen die künst­le­ri­sche An­schau­ung und die tech­ni­sche Fer­tig­keit einen stets wei­te­ren Um­kreis, und es exis­tiert schon aus die­sen frü­hen Jah­ren eine An­ek­do­te, wo­nach er als Ho­f­or­ga­nist, – denn dies war er schon 1784, mit drei­zehn Jah­ren! – ein­mal beim Got­tes­diens­te den sehr ton­fes­ten kur­fürst­li­chen Sän­ger Hel­ler durch sei­ne küh­nen Aus­wei­chun­gen ganz aus dem Tone ge­wor­fen. Der Kur­fürst un­ter­sag­te wol für die Zu­kunft »der­lei Ge­nie­strei­che«, war aber wie sein Ka­pell­meis­ter Lu­che­si von der au­ßer­or­dent­li­chen Be­fä­hi­gung des jun­gen Man­nes ganz über­rascht.

Sol­che Er­fah­run­gen moch­ten denn An­lass sein, dass man an den Un­ter­richt ei­nes wirk­li­chen Groß­meis­ters für ihn dach­te, und in der Tat fin­den wir im Früh­jahr 1787 den Bon­ner Ho­f­or­ga­nis­ten bei Mo­zar­t in Wien.

Die klei­ne Ge­stalt, zwar kräf­tig, aber »fast plump or­ga­ni­siert von Kör­per« und mit ei­ner stump­fen run­den Nase, konn­te beim ers­ten An­blick we­nig Ein­druck ma­chen. Mo­zart be­lob­te das Vor­ge­tra­ge­ne, das er für ein ein­ge­lern­tes Pa­ra­de­stück hielt, et­was kühl, wor­auf ihn aber Beetho­ven um ein The­ma zum Fan­ta­sie­ren bat und dann so spiel­te, dass Mo­zart leb­haft aus­rief: »Auf den gebt Acht, der wird ein­mal in der Welt von sich re­den ma­chen.« Gleich­wol war von Un­ter­rich­tung nicht viel die Rede. Mo­zart stack zu tief in der Kom­po­si­ti­on des Don Juan und man­cher­lei her­ben Er­leb­nis­sen, so­dass er ihm nur we­nig vor­ge­spielt und nur ei­ni­ge Stun­den ge­ge­ben hat. Zu­dem rief den jun­gen Mann die hef­ti­ge Er­kran­kung der Mut­ter schon nach we­nig Wo­chen in die Hei­mat zu­rück, und hier harr­ten sei­ner wei­te­re Schick­sals­schlä­ge: die gute Mut­ter starb und des Va­ters Schwä­che nahm eben dann so über­hand, dass er bald nach­her sei­nes Am­tes ent­setzt wer­den muss­te. Da­durch ward dem äl­tes­ten Soh­ne die Pf­licht auf­er­legt, sei­ne bei­den jün­gern Brü­der zu er­hal­ten und zu er­zie­hen.

War nun dies in der Tat eine har­te Schu­le des Le­bens, die aber and­rer­seits dazu diente, sei­nem Cha­rak­ter je­nen eher­nen Halt zu ge­ben, der ihn auch in den schwers­ten Prü­fun­gen nicht un­ter­ge­hen ließ, so ge­wann der Auf­ent­halt in Bonn fort­an für ihn fast die glei­chen Vor­tei­le, die er in der mu­si­ka­li­schen Groß­stadt Wien ge­sucht hat­te. Denn Ma­xi­mi­li­an Franz, aus der »Bio­gra­fie Mo­zarts« (Nr. 1121) als des­sen Freund und Be­schüt­zer be­kannt und seit dem Jah­re 1784 Kur­fürst von Köln, ge­hör­te zu je­nen ed­len Fürs­ten des vo­ri­gen Jahr­hun­derts, die ihre Re­si­denz zu ei­ner Stät­te je­der schö­nen Bil­dung und na­ment­lich der erns­te­ren Kunst­pfle­ge mach­ten.

Als jüngs­ter Sohn Ma­ria The­re­si­as hat­te er die sorg­fäl­ti­ge Er­zie­hung die­ses Kaiser­hau­ses ge­won­nen und be­saß an Jo­seph II. das bes­te Vor­bild. Sei­nen geist­li­chen Be­ruf er­fass­te er mit Ernst, eben­so sei­ne Re­gen­ten­pflicht. Dem We­sen und Trei­ben der »großen Pfaf­fen­gas­se am Rhein« war er eben­so ab­hold wie dem ver­rot­te­ten Zu­stan­de, in dem sei­ne ver­schwen­de­ri­schen Vor­gän­ger das Land hin­ter­las­sen hat­ten. Über­all­hin streb­te er Ord­nung und neu­es Ge­dei­hen zu brin­gen. Es weh­te ein fri­scher Wind durch das gan­ze Le­ben der klei­nen Re­si­denz, so­lan­ge er dort war. Er war selbst noch jung, ein Drei­ßi­ger, und hat­te fei­ne Sit­ten. »Man war viel­leicht bis­her ge­wohnt un­ter Köln sich ein Land der Fins­ter­nis zu den­ken, man wird aber ganz an­de­rer Mei­nung, wenn man an den Hof des Kur­fürs­ten kommt«, sagt ein gleich­zei­ti­ger Be­richt von »die­sem mensch­lichs­ten und bes­ten Fürs­ten«. Be­son­ders die Ka­pel­lis­ten, un­ter wel­che wir uns also auch die­sen jun­gen Ho­f­or­ga­nis­ten be­grif­fen den­ken müs­sen, sei­en ganz auf­ge­klär­te, ge­sund den­ken­de Män­ner von ei­nem sehr ele­gan­ten Ton und Be­neh­men.

Der Kur­fürst hat­te 1786 die Uni­ver­si­tät er­öff­net und be­grün­de­te ein öf­fent­li­ches Le­se­zim­mer, das er auch selbst un­ge­niert be­such­te. »Alle die­se An­stal­ten hul­dig­ten in mei­nem Auge ei­nem un­be­kann­ten Ge­ni­us der Mensch­heit und mein Ge­müt ahn­te zum ers­ten Male die Ho­heit der Wis­sen­schaft«, sagt der Ma­ler Ger­hard Kü­gel­gen, ein Lands­mann Beetho­vens von da­mals, und soll­te die­ser selbst an­ders emp­fun­den ha­ben? Die aus­schließ­li­che Hin­lei­tung auf den mu­si­ka­li­schen Un­ter­richt frei­lich hat­te sei­ne Schul­bil­dung we­nig vor­schrei­ten las­sen: schon das Rech­nen ward ihm durchs gan­ze Le­ben schwer, und eben­so lag er mit der Or­tho­gra­fie stets mehr im Streit, als selbst jene Zeit ver­trug. Et­was La­tein und Fran­zö­sisch hat­te er ge­lernt. Al­lein je­ner Hauch ei­ner ed­le­ren Geis­tes­bil­dung, der da­mals Bonn durch­zog und durch den na­hen Ver­kehr mit den ge­bil­dets­ten Män­nern der Stadt auch ihn le­ben­dig be­rühr­te, führ­te ihn schon früh auch in die­ser Hin­sicht auf Hö­hen, die an­de­re Künst­ler und gar Mu­si­ker je­ner Zeit gar nicht kann­ten, die aber ihm stets mehr ein neu­es Schaf­fens­ge­biet für sei­ne Kunst er­öff­ne­ten. Denn so sehr auch sol­che erns­te und viel­sei­ti­ge geis­ti­ge Be­schäf­ti­gung ihm seit­dem stets ein un­ent­behr­li­ches Be­dür­fen war und er, wie er spä­ter selbst sagt, »ohne auch im min­des­ten An­spruch auf ei­gent­li­che Ge­lehr­sam­keit zu ma­chen, sich von Kind­heit an be­streb­te, den Sinn der Bes­sern und Wei­sen je­des Zeit­al­ters zu fas­sen«, so blieb, wie eben­falls Kü­gel­gen von sich sagt, »doch sein Herz lie­be­voll der Kunst zu­ge­wandt«. Und ge­ra­de sei­ne Kunst ward da­mals in Bonn in der Tat mit Ernst und Hin­ge­bung ge­pflegt.

»Der Kur­fürst ist nicht nur selbst Spie­ler, son­dern auch en­thu­sias­ti­scher Lieb­ha­ber der Ton­kunst. Es scheint, als kön­ne er sich nicht satt hö­ren. Im Kon­zert war er – Er nur der auf­merk­sams­te Zu­hö­rer«, sagt der Zeit­be­richt oben. Die mu­si­ka­li­sche Bil­dung der Kin­der Ma­ria The­re­si­as war gleich­falls tüch­tig und in Wien stand ja eben da­mals die­se Kunst in höchs­ter Blü­te: Gluck, Haydn, Mo­zart wirk­ten dort mit­ein­an­der. So ward im Ka­bi­net zu Bonn nur gute Mu­sik ge­macht, und dass da­bei der aus­ge­zeich­ne­te Kla­vier­spie­ler Lud­wig van Beetho­ven mit tä­tig war, ver­steht sich bei ei­nem Fürs­ten, der Mo­zart kann­te und lieb­te, von selbst.

Aber auch die Ka­pel­le und das Thea­ter wur­den mit wahr­haft künst­le­ri­scher Ach­tung be­dacht, so­bald nur die Wie­der­her­stel­lung der ver­kom­me­nen Re­gie­rungs­zu­stän­de dazu Muße und Mit­tel lie­ßen. Be­reits 1784 hat­te Max Franz die Ka­pel­le con­sti­tu­iert, in der der jun­ge Ho­f­or­ga­nist bald eben­falls als Brat­schist mit­wirk­te und die den Gei­ger Ries und den Hor­nist Sim­rock ent­hielt, wel­che in Beetho­vens Le­ben ihre Stel­le ein­neh­men. Ein Jahr dar­auf ist eine Trup­pe in Bonn, die ne­ben ita­lie­ni­schen Opern und fran­zö­si­schen Sing­spie­len Glucks Al­ces­te und Or­pheus gibt. Dann kam auch je­ner geist­vol­le Groß­mann