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Wolfgang Amadeus Mozart war ein Salzburger Musiker und Komponist der Wiener Klassik. Sein umfangreiches Werk genießt weltweite Popularität und gehört zum Bedeutendsten im Repertoire klassischer Musik. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 196
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Ludwig Nohl
Mozart
Eine Musikerbiografie
Ludwig Nohl
Mozart
Eine Musikerbiografie
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-33-6
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Inhaltsverzeichnis
1. Die Kindheit und die Jugendreisen.
2. Die große Pariser Kunstreise.
3. Idomeneo.
4. Entführung. Figaro. Don Juan.
5. Zauberflöte. Titus. Requiem.
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Ihr Jürgen Schulze
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Wolfgang Amade Mozart ist am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren. Sein Vater Leopold stammte aus einer bürgerlichen Familie der damaligen freien Reichsstadt Augsburg und war in die Fürsterzbischöfliche Residenz Salzburg gekommen, weil dort eine gute Universität war, denn er wollte die Rechte studieren. Wie er sich aber schon während dieses Studiums durch Musikunterricht zu erhalten hatte, so musste er bald ganz in fremde Dienste treten: er ward Kammerdiener eines Domherrn Graf Thurn und später zuerst Hofmusikus, dann Kapellmeister des Erzbischofs. Im Jahre 1747 hatte er die Pflegetochter eines nahen geistlichen Stifts geheiratet; beide galten ihrerzeit für das schönste Ehepaar in Salzburg. Von sieben Kindern blieben ihnen zwei, Maria Anna genannt Nannerl und unser Wolfgang, der meist Woferl genannt ward. Die Schwester war etwa fünf Jahre älter und beide zeigten von Kindheit an ganz außerordentlichen Musiksinn.
Ein alter Hausfreund erzählt, sobald Mozart mit Musik sich abzugeben begonnen, seien alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte so gut wie tot gewesen. Ja selbst die Kindereien und Spiele mussten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, mit Musik begleitet sein: »wenn wir Spielzeuge von einem Zimmer ins andere trugen, musste allemal der von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen oder blasen.« »Ich ward ihm daher«, heißt es weiter, »weil ich mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, dass er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb habe, und wenn ich es zuweilen auch nur zum Scherz verneinte, standen ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und wohlwollend war sein gutes Herzchen.«
Stolz und Ehrsucht, so vernehmen wir hier ferner, verriet er nicht, aber er wollte stets nur vor großen Musikkennern spielen und wenn man ihn auch nur darin betrog. Er lernte, was irgend ihm der Papa aufgab, und hing allem, was er tat, so ganz an, dass er alles Übrige, sogar die Musik, beiseite setzte. Er war schon als Kind voll Feuer und Lebhaftigkeit, und hätte er nicht die vortreffliche Erziehung seines ernstgesinnten strengen Vaters gehabt, er hätte der ruchloseste Bösewicht werden können, so empfindlich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht imstande war.
Schon im fünften Jahre komponierte er in sein Übungsbuch, das man noch heute im Mozarteum in Salzburg sehen kann, ebenfalls kleine Menuetten, und einstmals trafen ihn der Papa und der Hausfreund gar bei der Komposition eines Konzertes an, das aber so schwer war, dass es kein Mensch hätte spielen können. Sein Gehör war so fein, und sein Musikgedächtnis von Kindheit an so sicher, dass er sich beim Spiel seiner kleinen Violine erinnerte, dass des Hausfreundes »Buttergeige« um einen halben Viertelston tiefer gestimmt war. Darum konnte er als Kind den Trompetenton nicht ertragen und bekam, als einmal der Vater dennoch die Probe machte, heftige Krämpfe.
Bald war seine musikalische Fertigkeit so weit, dass er die meisten Sachen vom Blatt spielte. Eben so war Nannerl schon früh ganz ungemein vorgeschritten und deshalb begann der Vater im Jahre 1762, als sie sechs und zehn Jahre alt waren, mit den Kindern zu reisen, um, wie er sagte, der Welt dieses Wunder Gottes zu zeigen.
Der nächste Ort war München, damals wie heute die eigentliche Hauptstadt Süddeutschlands, dann die Kaiserstadt. Maria Theresia wie ihr Gemahl und ihre Kinder waren sehr musikalisch. Sie nahmen die Kinder in echt deutscher Herzlichkeit auf und Woferl sprang denn auch der Kaiserin ohne weiteres auf den Schoß und küsste sie. Zu Marie Antoinette aber, die ihm von dem glatten Fußboden aufgeholfen hatte, sagte er: »Sie sind brav, ich will Sie heiraten«. Der jüngste Sohn, der schöne und liebenswürdige Erzherzog Maximilian, war mit Mozart gleichaltrig, er blieb stets sein Freund und ward auch später der Gönner Beethovens. In den Kleidern dieser jungen kaiserlichen Kinder gemalt hängen Woferl und Nannerl im Mozarteum: sein seelenvolles Auge und ihre knospende Schönheit haben einen unvergleichlichen Reiz.
Jetzt lernte er, sechs Jahre alt, auch Violine spielen und der Vater ließ nicht nach, ihm in jeder Weise den besten musikalischen Unterricht zu geben. Denn er war selbst ein tüchtiger Komponist und hat eine Violinschule geschrieben, die ihrerzeit berühmt war und auch übersetzt wurde. Und zwar ging dies auf den Reisen in völlig gleicher Weise fort, sogar das Orgelspiel trat bald dazu. Zunächst war im Sommer 1763 Süddeutschland der Schauplatz dieser kleinen Wundertaten. In Heidelberg fuhren die jungen Füße mit einer solchen Geschwindigkeit auf dem Pedal umher, dass der Pfarrer dieses Wunder an die Orgel selbst anschrieb. In Frankfurt hörte ihn Goethe und gewann damit einen Maßstab für alle später auftretenden Talente in der Musik: seine Spätjahre schauten bekanntlich den ähnlich musikbegabten Knaben Felix Mendelssohn. In Paris war der Hof gleicherweise huldvoll. Doch als der kindlich unbefangene Woferl die geschminkte Pompadour ebenfalls umhalsen wollte, geschah ein Abweisen der Zärtlichkeit, sodass er empfindlich ausrief: »Wer ist denn die da, dass sie mich nicht küssen will? Hat mich doch die Kaiserin geküsst!« Auf Maria Theresia hielt er überhaupt große Stücke und sein Herz blieb zeitlebens, wie wir noch sehen werden, »gut kaiserlich«.
Die Prinzessinnen waren umso liebenswürdiger und kehrten sich nicht an die Etiquette. Alles war erstaunt, ein solches Kind jeden Ton nach dem Gehör bezeichnen zu hören, ohne Klavier komponieren und nach dem bloßen Gehör zum Gesang begleiten zu sehen, und Beifall wie Einnahme waren überall glänzend.
Noch günstiger war darauf im Jahre 1764 die Aufnahme in London, denn das Königspaar selbst war deutsch und Händel hatte den Sinn für gute Musik dort dauernd begründet, während die französische Musik unseren Reisenden damals leer und frostig vorkam, ein »langweiliges Geplärr«. So war denn der Aufenthalt auch sehr lang in England und der Vater benutzte die Gelegenheit des Unterrichts eines guten italiänischen Sängers für Woferl, der denn auch bald die damals alles beherrschende »wälsche« Weise selbst ganz beherrschte. In London schrieb Mozart auch seine ersten Symphonien.
Die Rückreise im Jahre 1765 ging über Holland, wo beide Kinder lebensgefährlich krank wurden und der Vater seine Kraft zu einer so schweren Aufgabe wie der Erhaltung und Erziehung eines solchen Knaben zugleich erproben und stärken lernte. Sogar in den Fasten durfte er dann aber auch in Amsterdam »zu Gottes Preis« die Wundergaben seines Sohnes zeigen und kam endlich nach mehr als zweijähriger Reise weniger mit Geld als mit Ruhm für die Kleinen bedeckt im Herbst 1766 nach Salzburg zurück.
Dieses frühe Reisen hatte für Mozart selbst viel Vorteil. Er lernte Menschen und Dinge kennen, – denn auf alles machte der Vater aufmerksam, sogar ein Tagebuch musste geführt werden, – er entwöhnte sich kindischer Blödigkeit und gewann offenen Sinn für alle menschlichen Verhältnisse. Er hörte die Musik der verschiedenen Nationen und lernte so die Weise finden, die jedes Herz versteht, die Melodie, die Sprache der menschlichen Seele. Für seine Kunst war ihm auch der feine Ton der damaligen vornehmen Welt von Gewinn: wenn die herrliche Landschaft seiner Heimat den natürlichen Schönheitssinn geweckt und die künstlerische Anlage der Stadt mit ihren zahlreichen Kirchen und Palästen denselben seiner gebildet hatte, so war die Mannichfaltigkeit der Lebens- und Kunsteindrücke dieser weiten Jugendreisen ein Hauptgrund, dass Mozarts Musik so früh etwas unmittelbar Anziehendes, etwas harmonisch Schönes und Allverständliches bekam. Völlig entwickelte diese Seite seiner Kunst aber erst der wiederholte lange Aufenthalt im Lande der Schönheit selbst, wo Mozart seine angehende Jünglingszeit zubrachte, in Italien.
Denn lange hielt es den Vater nicht in Salzburg, die Verhältnisse waren dort für sie zu eng, und musste nicht der Knabe selbst stets lebhafter den Drang fühlen, der Welt seine Kunst zu zeigen? Hatte doch der Londoner Bach, ein Sohn des großen Leipziger Cantors Seb. Bach, dessen Einwirkung auf Mozart uns noch begegnen wird, über ihn ausgerufen, mancher Kapellmeister sterbe ohne das zu wissen, was dieser Knabe schon jetzt wisse! Die Vermählung eines Erzherzogs zog die Familie im Jahre 1768 zunächst wieder nach Wien. Aber hier ging dem Vater erst völlig die Einsicht auf, dass nur Italien der entsprechende Tummelplatz dieses jungen Genius sei. Zwar hatte Kaiser Joseph ihm in der Tat den Auftrag einer italiänischen Oper gegeben, – es war la finta semplice, »die verstellte Einfalt«, – und eine feierliche Messe zur Einweihung einer Kirche dirigierte der zwölfjährige Knabe selbst, was einen solch tiefen Eindruck auf sein Gemüt machte, dass er noch zwanzig Jahre später von dieser erhabenen Wirkung seiner Kirche zu erzählen wusste. Auch eine deutsche Operette »Bastien und Bastienne« gewann sich wenigstens eine Privataufführung. Aber mit dieser ersten italiänischen Oper erfuhr Mozart auch zuerst jenen bösen Neid der Fachkollegen, der später dazu beitragen sollte sein Leben zu verkümmern und zu frühem Ende zu führen. »So muss man sich in der Tat durchraufen«, schreibt der Vater. »Hat der Mensch kein Talent, so ist er unglücklich genug; hat er Talent, so verfolgt ihn der Neid nach dem Maße seiner Geschicklichkeit.« Die Feinde und Neider wussten es durchzusetzen, dass das Werk gar nicht zur Aufführung kam, und so war der Vater doppelt darauf bedacht, des Sohnes Talent jetzt endlich auch dort zu zeigen, wo derselbe sich nach eigenem Geständnis am meisten verstanden gefühlt und den höchsten Ruhm seiner Jugend gewonnen hat.
Italien ist das Mutterland der Musik und war obendrein damals das Eldorado der Komponisten. Die Kirche hatte die Musik erzogen, mit ihr kam sie auch in germanische Lande und von dort später bereichert zurück. Der Römer Palestrina bildet ihren ersten monumentalen und klassischen Höhepunkt. Nach ihm brach in die katholische Kirchenmusik, deren volles Ideal er ist, der Charakter des Weltlichen und sogar Theatralischen ein, und zwar durch die Entstehung der Oper, die ihr Dasein der neu auftauchenden Antike, vor allem der griechischen Tragödie verdankte. Die reine Musik, zu der auch der Chorgesang zu rechnen ist, bildete sich zunächst auf der Grundlage des protestantischen Chorals an dem Orgelspiel und Chorgesang weiter und erreichte in jenem deutschen Sebastian Bach ihren ersten Höhepunkt der Klassizität in der neueren Zeit. Sein Landsmann und Zeitgenosse Händel dagegen verharrte vorzugsweise auf dem Gebiete der Oper, und nachdem er darin auf wälschem Boden große Triumphe gefeiert, erhob er sich zu seiner vollen Größe im geistlichen Drama, im Oratorium. Die Welt hing damals am Theatralischen, und dessen Mittelpunkt war für die Oper das Land, welches einst die Musik geboren. Wie seinerzeit die größten Tonsetzer, so hatte Italien jetzt wenigstens die größten und berühmtesten Sänger, und ein einziger Sieg hier eröffnete die Schranken des ganzen gebildeten Europa. »Also auf und dahin!« musste es in dem Vater rufen, als er das Kompositionstalent des Sohnes in Deutschland nicht in dem Maße anerkannt sah, wie es demselben schon damals gebührte und wie es Mozarts Virtuosität nirgends vorenthalten wurde.
Wir können nun die Einzelnheiten dieser Reise übergehen, – es waren die gleichen Wundertaten, die wir schon kennen, und einmal in Neapel musste der Knabe sogar einen Ring vom Finger abnehmen, weil man diesem solch zaubergleiche Kunst zuschrieb, – man findet wie die vorigen Reisen so diese ausführlich in meinem demnächst erschienenen Buche »Mozart. Nach den Schilderungen der Zeitgenossen.« Wir folgen hier dem entscheidenden Entwickelungsgange dieses seltenen Künstlers und verzeichnen nur, was ihn als denselben erhalten und zu demselben zu machen geholfen hat.
Zu Ende des Jahres 1769, wo also Mozart nahezu vierzehn Jahre alt war, ging es durch Tyrol ins Land der milderen Lüfte und der süßen Melodien. Überall zunächst wieder grenzenlose Bewunderung dieses Talentes! In Verona hatten sich die beiden, die fortan ohne Mutter und Schwester reisten, völlig mit Gewalt zur Orgel zu drängen, so groß war der Zulauf. Und schon in Mailand brachte es dieser Eindruck seiner Erscheinung auch dahin, dass Wolfgang eine Oper zu komponieren gegeben ward. In Italien war dafür zweimal des Jahres förmlich Saison: er erhielt die erste, die vor Weihnachten. Das Honorar bestand wie üblich in 100 Ducaten, ungefähr 1000 Mark, nebst freier Wohnung; auch der Don Juan später brachte nicht mehr ein. Jetzt war dies aber noch ein hoher Entgelt für den jungen Anfänger.
Als solchen zeigte er sich freilich bei der Ausführung der Sache in keiner Weise. Denn als sie auf der Weiterreise, der sie sich umso ruhiger hingeben konnten, als das Textbuch ihnen nachgesandt werden sollte, nach Bologna kamen und dort den größten italiänischen Musikgelehrten seiner Zeit, den Pater Martini, aufsuchten, konnte auch dieser nicht anders als das Können dieses jugendlichen Meisters völlig anstaunen: derselbe löste Aufgaben und überwand Schwierigkeiten, die eben so die angestammte Heldenkraft wie das umfassendste Wissen bewiesen. Auch den größten Sänger seines Jahrhunderts, den Sopranisten Carlo Broschi genannt Farinelli, lernte Wolfgang dort kennen und seine Kunst gewissermaßen als letzte Erbschaft des großen und schönen Gesanges aufnehmen: denn nur wer die Gesangeskunst im höchsten Sinne versteht, kann auch wieder für Gesang richtig schreiben. Und doch war jener Sänger jetzt schon ein Sechziger!
In Florenz regierten damals noch Habsburger, so ward unseren Reisenden auch hier beste Aufnahme zu Teil. Von den herrlichen Kunstschätzen dort erwähnen die Briefe an Mutter und Schwester nichts. Aber schwerlich werden Venus Amathusia und Madonna della Sedia demjenigen unbekannt geblieben sein, dem allein es gelingen sollte, Rafael und die Antike auch in Tönen wiederzubeleben. Von Rom aber wissen wir dies aus Wolfgangs eigener Mitteilung. »Gestern waren wir auf dem Capitol und sahen viel schöne Sachen«, schreibt er der Schwester, und wol stehen dort und anderswo in Rom »viel schöne Sachen«: Laokoon und Ariadne, Apoll von Belvedere und der olympische Zeuskopf. Dazu die zahllosen Kirchen und darunter eine Peterskirche! Am merkwürdigsten blieb den beiden Musikern aber stets natürlich die Musik, und man kennt die Sixtinische Kapelle, in der allein damals noch etwas von der Kunst der großen Römer waltete. Von Palestrina hören wir dabei nichts, aber von Allegri nahm Wolfgang sogar Abschrift. »Du weißt«, schreibt der Vater, »dass das hiesige Miserere so hochgeachtet ist, dass den Musikern der Kapelle unter der Exkommunikation1 verboten ist, eine Stimme davon zu kopieren oder Jemanden zu geben. Allein wir haben es schon. Wolfgang hat es aufgeschrieben. Wir wollen es indessen auch nicht in andere Hände fallen lassen, dieses Geheimnis, damit wir nicht direkt oder indirekt dem Tadel der Kirche verfallen.« Mozarts hielten etwas auf ihren katholischen Glauben, er war ihnen innere Wahrheit, und so wurde auch durch die besonders weihevollen Gesänge in dieser römischen Charwoche Wolfgangs jugendliche Seele dauernd für die höchsten Empfindungen unserer Brust geweiht, denen er im Lauf seines Lebens auch außerhalb der religiösen Komposition so schönen und ergreifenden Klang verleihen sollte. Er erzählte ebenfalls selbst noch in späteren Jahren von dem tiefen Eindruck dieser heiligen Vorgänge. »Wie mir da war! wie mir da war!« rief er dabei ein Mal über das andere.
Von Neapel hörten wir schon. Je tiefer sie nach Italien kämen, desto lebhafter werde die Bewunderung, hatte der Vater bereits von Rom aus geschrieben. Der Champagnerrausch der Natur, den dieser Golf von Neapel darstellt, konnte nicht ohne Eindruck auf einen Künstler sein, der den Zauber und Rausch der heitersten Lebensfreude selbst einst so zaubervoll erklingen lassen sollte. »Neapel ist schön«, schreibt er kurz aber bezeichnend der Schwester. Der ungeheure Ernst Roms mag aber dennoch der deutschen Natur Mozarts tiefer entsprochen haben. Sie waren denn auch bald wieder dort und diesmal erreichten sie, was nur Rom bieten konnte, den Papst zu sehen: ja von Wolfgangs Spiel entzückt überreichte ihm der Heilige Vater – es war der große Ganganelli, Clemens XIV., – in persönlicher Audienz jenen Orden des goldenen Sporen, der uns auch den »Ritter« Gluck geschaffen. Mozart freilich machte sich zunächst nicht viel aus dieser Ehre und der Vater schrieb: »Du kannst dir einbilden wie ich lache, wenn ich allezeit zu ihm Signor cavaliere sagen höre.« Allein später wussten sie doch gelegentlich die Vorteile einer solchen Auszeichnung praktisch geltend zu machen.
Jetzt ging es nur auf das nächste Ziel: Ruhm und Erfolg des Künstlers. Dazu war eine mithelfende Stufe die Ernennung Wolfgangs zum Mitglied der berühmten Philharmonischen Akademie von Bologna, die ihm in Italien den Namen Cavaliere filarmonico brachte. Und als sie im Oktober 1770 in Mailand wieder eintrafen, war er nach künstlerischem Rang und nach Lebensstellung schon zu Erfolg gediehen: – Signor cavaliere »Ritter Mozart«, mit 14 Jahren! Die Reise selbst aber hatte die künstlerische Anschauung mehr und mehr ausreifen lassen: zu dem sicheren technischen Können kam stets fühlbarer der reine Schönheitssinn, das Resultat der höchsten geistigen Arbeit, die Überwindung aller Schwierigkeiten und alles bloß Stofflichen, die der raue glanzlose Norden uns Deutschen nur zu oft für immer in der Kunst vorenthält. Hell leuchtet auch aus Mozarts Melodie fortan der göttliche Strahl idealer Schönheit, und nie ist er ihm wieder erloschen. Nicht an formaler Vollendung, nur an innerem Lebensgehalte konnte dieses Künstlertum fortan zunehmen, und wir werden den Spuren dieser persönlichen Lebensberührung, die den Menschen auch nach innen erweckt und ausbildet, denn auch bald begegnen. Zunächst erfahren wir die ersten entscheidenden Erfolge des Komponisten, die sein Herz für lange Zeit an das »Land wo die Citronen blüh’n« fesselten.
Die italiänische Oper, die also damals alle Welt beherrschte, war nichts weniger als ein fesselnder dramatischer Vorgang auf der Bühne. Vielmehr hatte die schwelgerische Lust der Italiäner am schönen Gesange bald das Hauptgewicht des Ganzen in diesen gelegt. Interessante oder auch ergreifende Ereignisse aus der Geschichte und mehr noch die großen Sagen des Altertums und des Mittelalters waren so hergerichtet, dass durchweg eine Liebesgeschichte darin die Hauptrolle spielte und in den Ergüssen der liebend glücklichen oder unglücklichen Herzen das Ganze gipfelte. Gewiss ein reicher Anlass für eine Kunst wie die Musik! Nur war auf diese Weise meist alles in den Einzelgesang, die Arie, verzettelt und die ganze Oper oft ein solches bloßes Arienbündel, und wer also die schönsten Arien schrieb, war Sieger. Ja den einzelnen Sängern »recht auf den Leib gemessen« hatten diese Arien zu sein, wenn sie die volle Wirkung tun sollten: die schönsten Töne dieser Sängerin oder dieses Tenors da mussten zugleich die Glanzpartie der Arie sein und umgekehrt, dann ging die Oper »zu den Sternen« und durch halb Europa. Wir haben dies noch in unserem Jahrhundert mit Rossini, Bellini, Donizetti erlebt und erleben es heute wieder an Verdi.
Hier trat nun Mozart zunächst bescheiden die vorhandene Erbschaft an. Was mehr als ein Jahrhundert und die ganze gebildete Welt gebilligt und bewundert, ein vierzehnjähriger Jüngling wird es nicht ändern noch antasten. Aber wie er nun in seinem Werke die einzelnen Züge dieser »fabulösen Historie« vom alten unglücklichen Pontuskönig Mithridates aufnahm und in zündende musikalische Momente verdichtete, das sagt uns nach der Aufführung des Werkes am 26. Dezember 1770 die öffentliche Kritik mit dem Worte: »Der jugendliche Kapellmeister studiert das Schöne der Natur und gibt es mit der seltensten musikalischen Grazie geschmückt wieder.« Neid und Intrigue hatten freilich auch hier nicht gefehlt. Aber Wolfgang wusste sich und ebenso den Sängern sogar in ihren Launen zu helfen. Wenn dieses Duett nicht gefalle, wolle er sich noch einmal herrichten lassen, hatte der erste Sopranist ausgerufen, und besonders war man erstaunt, von einem jungen Anfänger den vollen Ton der heimischen Oper, ihr Chiaroscuro, wie sie die schöne Abstimmung der einzelnen Stücke unter einander nannten, so sicher getroffen zu sehen. Evviva il Maestro! Evviva il Maestrino! erscholl es von allen Seiten, und zwanzigmal hinter einander musste das Werk gegeben werden, ward auch sogleich fünfmal für andere Bühnen, darunter Mozarts geliebte Kaiserstadt, bestellt, wovon freilich nach damaligem Brauch nur der Kopist den Vorteil genoss.
So war der Zweck der ersten Römerfahrt von 1770 erreicht. Wolfgang hatte sich aber auch nicht geschont und der Vater musste nur wachen, dass des Guten nicht zu viel geschah. Die stetige Anspannung und Beschäftigung mit dem ernsthaften Gegenstande hatte jedoch den ohnehin zum inneren Sinnen angelegten Knaben so ernst gestimmt, dass während der Arbeit der Vater die Freunde daheim bat, ein gutes Werk zu tun und spaßhafte Briefe zu schreiben, um ihn zu zerstreuen. Es reifte neben dem musikalischen Genius der innere Mensch und der jetzt Fünfzehnjährige war schon ein voller Jüngling.
Leise regt sich denn auch bereits jetzt diejenige Saite seines Wesens, die seinen Melodien jenen innigsten Ton verlieh, den wir sofort beim Erklingen des Namens Mozart selbst zu vernehmen wähnen, die zärtliche Empfindung des Herzens, die ihn vor allem zum Sänger der Liebe gemacht hat. Schon in der innigen Zuneigung zu Mutter und Schwester sehen wir entwickelt, was der Hausfreund oben von dem angeborenen Liebebedürfnis des vierjährigen Knaben erzählte. Man muss die kleinen Anhängsel an die Briefe des Vaters von dieser Reise aus lesen. Keinen daheim hat er vergessen, nach jedem fragt er, sogar die »wichtigen und hohen Gedanken von Italien«, wo er doch manchmal »verwirrt vor lauter Affairen« ist, halten ihn nicht davon ab. Der Mama küsst er 1.000.000.000 Mal die Hände und der Nannerl gar »Gesicht, Nase, Mund und Hals«. Alle Posttage schmeckt ihm das Essen besser, und die Fülle der Neckerei in diesen auf dem Mozarteum aufbewahrten Zetteln lässt erst die ganze Zärtlichkeit für die schöne Schwester erkennen.
Aber Schönheit beobachtet er bald auch anderswo. Die Primadonnen und schönen Tänzerinnen Italiens bemerkt sein junges Auge, und persönlich näher muss ihm das »ewig Weibliche« in Salzburg gekommen sein, wo ja die Nannerl Freundinnen hatte. »Mit meiner Schwester hätte ich viel zu reden, aber was, das weiß nur Gott und ich allein«, heißt es von Italien aus, und bald noch deutlicher: »Was du mir versprochen hast (du weißt schon was – – – o du Liebe du!) halte gewiss, ich bitte dich, ich werde dir gewiss verbunden sein.« Allein dies war bereits auf der zweiten Römerfahrt, wo der kurze Ruheaufenthalt in der schönen Heimat sozusagen die inneren Organe sich hatte entwickeln lassen und Muße gewährte, sich auch mit anderen als seinen musikalischen »Affairen« zu beschäftigen. »Ich bitte dich noch wegen den gar anderen, wo nichts anderes mehr sei: Du verstehst mich schon«, heißt es verhüllend, und was anderes wäre da zu verhüllen als ein verschämtes schöneres Herzgefühl? »Ich hoffe, dass du bei dem Fräulein gewesen bist, du weißt schon welche. Ich bitte dich, wenn du sie siehst, ihr ein Kompliment von mir zu machen«, verlautet es später einmal. Was ist aber auch erklärlicher, als dass den Künstler das schöne Geschlecht anzog, das ihn so sehr bewunderte? Denn nichts reizt das Weib und die Menge so wie Ruhm und Größe, zumal wenn sie auf geistigem Grunde ruhen. Und war er nicht berühmt wie nur ein Lebender, der junge Cavaliere filarmonico?