Wagner - Ludwig Nohl - E-Book

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Ludwig Nohl

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Beschreibung

Wilhelm Richard Wagner war ein deutscher Komponist, Dramatiker, Dichter, Schriftsteller, Theaterregisseur und Dirigent. Mit seinen Musikdramen gilt er als einer der bedeutendsten Erneuerer der europäischen Musik im 19. Jahrhundert. Null Papier Verlag

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Ludwig Nohl

Wagner

Eine Musikerbiografie

Ludwig Nohl

Wagner

Eine Musikerbiografie

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-39-8

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Vor­wort

1. Die ers­te Ju­gend­zeit.

2. Sturm und Drang.

3. Re­vo­lu­ti­on in Le­ben und Kunst.

4. Die Ver­ban­nung.

5. Mün­chen.

6. »Bay­reuth«.

7. Der »Par­si­fal«.

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Beetho­ven - Eine Mu­si­ker­bio­gra­fie

We­ber - Eine Mu­si­ker­bio­gra­fie

Haydn - Eine Mu­si­ker­bio­gra­fie

Liszt - Eine Mu­si­ker­bio­gra­fie

Mo­zart - Eine Mu­si­ker­bio­gra­fie

Spohr - Eine Mu­si­ker­bio­gra­fie

Wa­gner - Eine Mu­si­ker­bio­gra­fie

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»Auf, ihr Brü­der, ehrt die Lie­der! Sie sind gleich den gu­ten Ta­ten. Wer kann bes­ser als der Dich­ter Dem ver­irr­ten Freun­de ra­ten?«

Goe­the.

Vorwort

Schon un­se­re Meis­ter Haydn, Mo­zart, Beetho­ven hat­ten ihre Kunst über ihre Vor­gän­ger da­durch er­wei­tert, dass sie sich stets mehr den Be­we­gun­gen des Le­bens an­schlos­sen. Und wie­der­um mit ih­rem Schaf­fen selbst ga­ben sie die­sem Le­ben ih­rer Na­ti­on und der Mensch­heit ver­tief­te­ren Ge­halt, der so­gar zu­letzt wie­der an das Höchs­te an­knüpf­te, was wir be­sit­zen, die Re­li­gi­on. Die­ser Spur folg­te nun kein Künst­ler mit mehr durch­drin­gen­der Kraft als Richard Wa­gner, und er konn­te dies, weil bei glei­cher geis­ti­gen Be­ga­bung ei­ner­seits die Grund­la­ge sei­ner Bil­dung brei­ter und tiefer war als bei un­se­ren elas­ti­schen Meis­tern, an­de­rer­seits die Be­we­gung un­se­res Le­bens ge­ra­de wäh­rend sei­ner lan­gen Schaf­fens­zeit im­mer kräf­ti­ger und man­nig­fal­ti­ger wur­de, weil die Ide­en un­se­rer Dich­ter und Den­ker mehr und mehr zur Tat und Wahr­heit in un­se­rem Da­sein ge­die­hen. Wa­gners Ent­wick­lung ist eine eben­so si­cher ru­hig fort­schrei­ten­de wie die­je­ni­ge je­ner drei Klas­si­ker, und alle Kämp­fe, so hef­tig sie manch­mal auch wa­ren, klär­ten ihm selbst nur den Weg zu je­nem ho­hen Zie­le, an dem wir selbst heu­te mit ihm ste­hen und eine freie Ent­fal­tung al­ler un­se­rer Kräf­te vor uns se­hen. Die­ses Ziel heißt die Um­fas­sung al­les Kunst­ver­mö­gens zu dem großen Ge­samt­kunst­wer­ke des mu­si­ka­li­schen Dra­mas, in dem sich die All­be­we­gung un­se­res mensch­li­chen Da­seins bis zu ih­rer höchs­ten Ent­fal­tung im Idea­le dar­stellt. Und da die­ses mu­si­ka­li­sche Dra­ma ge­schicht­lich auf der Oper be­ruht, so sind die Meis­ter, die sich na­tur­ge­mäß mit R. Wa­gner zu ei­nem zwei­ten Drei­ge­stirn un­se­rer Kunst einen, der Be­grün­der der deut­schen Oper, C. M. von We­ber, und der Re­for­ma­tor der al­ten Oper, Chri­stof Wi­li­bald Gluck. Da­her wird uns die Dar­stel­lung der Ent­wick­lung un­se­res jüngs­ten Meis­ters eben­so­wohl aus jene äl­te­ren hin­wei­sen wie die Er­kennt­nis von dem, was er selbst uns ist, von selbst er­ge­ben.

1. Die erste Jugendzeit.

(1813–1831)

»Ich be­schloss Mu­si­ker zu wer­den.«

Wa­gner.

*

Richard Wil­helm Wa­gner ist am 22. Mai 1813 in Leip­zig ge­bo­ren. Sein Va­ter lei­te­te da­mals die Po­li­zei­ver­wal­tung, die durch die end­lo­sen Trup­pen­be­we­gun­gen der fran­zö­si­schen Krie­ge von be­son­de­rer Be­deu­tung war. Der­sel­be er­lag denn auch bald dar­auf der Epi­de­mie, wel­che un­ter den durch­zie­hen­den Ar­meen aus­ge­bro­chen war. Die Mut­ter, eine Frau von fei­ne­rem geis­ti­gen We­sen, hei­ra­te­te dar­auf den hoch­be­gab­ten Schau­spie­ler Lud­wig Geyer, wel­cher ein ver­trau­ter Freund des Hau­ses ge­we­sen war, und zog mit ihm nach Dres­den, wo er am Hof­thea­ter an­ge­stellt und sehr an­ge­se­hen war. Hier hat denn Wa­gner sei­ne Kind­heit und ers­te Ju­gend ver­lebt. Ne­ben der großen pa­trio­ti­schen Er­he­bung wa­ren künst­le­ri­sche Ein­drücke das ers­te, was ihn tiefer an­reg­te. Schon der Va­ter hat­te an den thea­tra­li­schen Lieb­ha­be­rei­en des da­ma­li­gen Leip­zig re­gen An­teil ge­nom­men und jetzt ge­hör­te die Fa­mi­lie ja ganz der prak­ti­schen Kunst an. Ein Bru­der Al­bert und die Schwes­ter Ro­sa­lie gin­gen spä­ter zum Thea­ter über, und zwei an­de­re Schwes­tern pfleg­ten eif­rig des Kla­vier­spie­les. Richard selbst be­frie­dig­te die kin­der­haf­te Nei­gung zum Ko­mö­die­spie­len nur auf dem Zim­mer und sein Kla­vier­spiel be­schränk­te sich auf das Nach­klim­pern von Me­lo­di­en, die ihm ins Ohr ge­fal­len wa­ren. So hör­te ihn der Va­ter in der Krank­heit, die auch ihn bald dar­auf be­fiel, das Lied­chen »Üb’ im­mer Treu und Red­lich­keit« und den da­mals ganz neu­en »Jung­fern­kranz« aus dem Frei­schütz spie­len und der Kna­be wie­der hör­te ihn ganz lei­se die Mut­ter fra­gen: »Soll­te er viel­leicht Ta­lent zur Mu­sik ha­ben?« Er hat­te ihn frü­her zum Ma­ler be­stimmt, da er selbst ein eben­so gu­ter Por­trät­ma­ler wie Schau­spie­ler war. Jetzt starb er, ehe der Kna­be sie­ben Jah­re alt war, und hin­ter­ließ dem­sel­ben nur die Mit­tei­lung der Mut­ter, er habe et­was aus ihm ma­chen wol­len. Wa­gner er­in­ner­te sich bei der ers­ten Skiz­zie­rung sei­nes Le­bens, die er im Jah­re 1842 schrieb, dass er auf die­sen Auss­pruch des Va­ters sich lan­ge et­was ein­ge­bil­det habe, und je­den­falls war es ihm ein An­trieb zum Hö­he­ren.

Sei­ne Nei­gung ging aber zu­nächst nicht auf die Kunst, er woll­te viel­mehr stu­die­ren und kam so auf die be­rühm­te Kreuz­schu­le. Mu­sik ward nur so ne­ben­bei be­trie­ben. Zwar ein Haus­leh­rer muss­te ihm auch Kla­vier­stun­den ge­ben, al­lein wie beim Zeich­nen wi­der­te ihn hier das Er­ler­nen des Tech­ni­schen bald an und er zog vor, nach dem Ge­hö­re zu spie­len, wo­bei er sich die Ou­ver­tü­re zum Frei­schütz ein­stu­dier­te. Der Leh­rer hör­te dies und mein­te, es wer­de nichts aus ihm wer­den. Fin­ger­satz und Läu­fe er­lern­te er da­bei frei­lich nicht, aber eine aus der ei­gens­ten Emp­fin­dung stam­men­de Be­to­nung, wie sie kaum je ein Künst­ler be­ses­sen hat. Die Ou­ver­tü­re zur Zau­ber­flö­te lern­te er schon da­mals lie­ben, der Don Juan da­ge­gen blieb ihm noch un­zu­gäng­lich.

Al­lein al­les dies war nur große Ne­ben­sa­che. Grie­chisch, La­tei­nisch, My­tho­lo­gie und alte Ge­schich­te fes­sel­ten den re­gen Geist des Kna­ben und zwar so sehr, dass sein Leh­rer ihm mit Ernst das Stu­di­um der Phi­lo­lo­gie zu­wies. Wie er die Mu­sik nach­spiel­te, ver­such­te er jetzt die Dich­tung nach­zuah­men. Ein Ge­dicht auf einen ge­stor­be­nen Mit­schü­ler er­hielt so­gar den Preis, je­doch muss­te viel Schwulst dar­aus ent­fernt wer­den. Der Über­schwang der Fan­ta­sie und Emp­fin­dung kün­dig­te sich auch hier in frü­her Ju­gend an. Nun woll­te er, elf Jah­re alt, Dich­ter wer­den! Ein säch­si­scher Poet Apel bil­de­te die grie­chi­schen Trau­er­spie­le nach, warum soll­te nicht er das­sel­be kön­nen? Die ers­ten zwölf Bü­cher der Odys­see hat­te er schon über­setzt und Ro­meos Mo­no­log so­gar me­trisch nach­ge­bil­det, nach­dem er, bloß um Sha­ke­s­pea­re ge­nau ken­nen zu ler­nen, für sich auch Eng­lisch er­lernt hat­te. So be­herrsch­te er früh die Spra­che, die »für uns dich­tet und denkt«, und Sha­ke­s­pea­re blieb sein nächs­tes Vor­bild. Ein großes Trau­er­spiel, un­ge­fähr aus Ham­let und Lear zu­sam­men­ge­setzt, ward jetzt ent­wor­fen, und wenn dar­in al­lein zwei­und­vier­zig Men­schen star­ben und er sich we­gen Man­gels an Per­so­nen am Schlus­se ge­nö­tigt sah, de­ren Geis­ter wie­der­kom­men zu las­sen, so er­ken­nen wir auch hier nur das Über­maß der an­ge­bo­re­nen Kraft.

Ein Gu­tes hat­te die­ser un­ge­heu­er­li­che Dich­tungs­ver­such: er führ­te ihn zur Mu­sik, und an ih­rem dä­mo­ni­schen Erns­te lern­te er selbst erst den Ernst der Kunst be­grei­fen, die ihm im Ge­gen­satz zu sei­ner Wis­sen­schaft bis da­hin noch so we­nig als ernst galt, dass ihm un­ter an­de­ren: der Don Juan we­gen sei­nes ita­lie­ni­schen Tex­tes läp­pisch und das »ge­schmink­te Ko­mö­di­an­ten­tum« wi­der­lich er­schie­nen war. Er hat­te in der glei­chen Zeit den Frei­schütz ken­nen ge­lernt und wenn er We­ber an ih­rem Hau­se vor­bei­ge­hen sah, be­trach­te­te er ihn stets mit hei­li­ger Scheu. Die Wei­sen, die sei­nem Ju­gen­d­emp­fin­den schon durch die pa­trio­ti­sche Er­re­gung je­ner ers­ten Tage un­se­res wie­der­er­ste­hen­den Va­ter­lan­des nahe stan­den, be­zau­ber­ten ihn und er­füll­ten ihn mit schwär­me­ri­schem Erns­te. »Nicht Kai­ser und nicht Kö­nig, aber so da­ste­hen und di­ri­gie­ren!« rief es in ihm, als er We­ber mit sei­nem Frei­schütz die Ge­mü­ter an jene Me­lo­di­en ban­nen sah. Jetzt kam er mit der Fa­mi­lie nach Leip­zig zu­rück. Hat­te er über sei­nem großen Trau­er­spiel, das ihn vol­le zwei Jah­re be­schäf­tig­te, die Stu­di­en ver­säumt? Man ver­setz­te ihn auf der Ni­co­lai­schu­le nach Ter­tia zu­rück und er ver­lor dar­über alle Freu­de am Ler­nen. Dazu trat jetzt zum ers­ten Male auch der vol­le Geist der Mu­sik in sei­nen An­schau­ungs­kreis: er hör­te in den Ge­wand­haus­kon­zer­ten Beetho­vens Sym­pho­ni­en. »Ihr Ein­druck auf mich war all­ge­wal­tig«, sagt er von die­ser tie­fen See­len­er­fah­rung sei­nes 15. Le­bens­jah­res, die umso ein­dring­li­cher war, als er ver­nahm, dass der große Meis­ter das Jahr zu­vor in der trau­rigs­ten Wel­t­ab­ge­schie­den­heit ge­stor­ben sei. »Ich weiß nicht, wozu man mich ei­gent­lich be­stimmt hat­te«, lässt er noch nach Jah­ren in sei­ner No­vel­le »Eine Pil­ger­fahrt zu Beetho­ven« einen jun­gen Mu­si­ker sa­gen, »nur ent­sin­ne ich mich, dass ich ei­nes Abends eine Beetho­ven­sche Sym­pho­nie hör­te, dass ich dar­auf Fie­ber be­kam, krank wur­de, und als ich wie­der ge­ne­sen, Mu­si­ker ge­wor­den war.«

In der Schu­le war er faul und lü­der­lich ge­wor­den, nur sein Trau­er­spiel lag ihm noch am Her­zen, aber die­ser Beetho­ven be­stimm­te ihn jetzt auch lei­den­schaft­lich zur Mu­sik. Ja das An­hö­ren der Eg­mont-Mu­sik be­geis­ter­te ihn so, dass er um al­les in der Welt sein Trau­er­spiel nicht an­ders als mit ei­ner sol­chen Mu­sik »vom Sta­pel lau­fen las­sen« woll­te. Sie zu schrei­ben trau­te er sich ohne Be­den­ken zu, hielt es aber doch für gut, sich zu­vor über ei­ni­ge Re­geln die­ser Kunst auf­zu­klä­ren. Um dies im Flu­ge zu tun, lieh er sich auf acht Tage eine leicht­fass­li­che Ge­ne­ral­bass­leh­re. Das Stu­di­um trug wohl nicht so schnel­le Früch­te wie er ge­hofft, aber die Schwie­rig­kei­ten reiz­ten sei­nen leb­haf­ten und ener­gi­schen Geist. »Ich be­schloss Mu­si­ker zu wer­den«, er­zählt er.

So hat­ten sich sei­nes In­nern in frü­her Ju­gend zwei mäch­ti­ge Ge­wal­ten un­se­res mo­der­nen Da­seins be­mäch­tigt, die all­ge­mei­ne Geis­tes­bil­dung und die Mu­sik. Es sieg­te zu­nächst die letz­te­re, aber in der Form, die jene eben­falls ein­schließt, in der Dar­stel­lung ei­ner poe­ti­schen Idee, wie sie zu­erst völ­lig Beetho­vens Sym­pho­nie zum Aus­druck ge­bracht hat­te. Hö­ren wir also, wie die­se et­was ei­gen­mäch­tig wol­len­de Art den stür­mi­schen jun­gen Geist auf die ei­gent­li­che Bahn sei­ner Ent­wick­lung ge­bracht hat.

Der­wei­len war sein »großes Trau­er­spiel« von der Fa­mi­lie ent­deckt wor­den. Sie ge­riet in große Be­trüb­nis, weil da­mit die Ver­nach­läs­si­gung der Schul­stu­di­en ans Licht kam. Dass er sich be­reits zur Mu­sik in­ner­lich be­ru­fen fühl­te, ver­schwieg er un­ter sol­chen Um­stan­den frei­lich, blieb aber heim­lich den Kom­po­si­ti­ons­ver­su­chen treu. Be­zeich­nen­der­wei­se ließ ihn da­bei nie­mals der dich­te­ri­sche Nach­ah­mungs­trieb los, ord­ne­te sich je­doch dem mu­si­ka­li­schen un­ter, ja ward nur zur Be­frie­di­gung des letz­te­ren her­bei­ge­zo­gen, so sehr be­herrsch­te ihn noch das Be­son­de­re der Mu­sik­kom­po­si­ti­on. Beetho­vens Pas­to­ral­sym­pho­nie zum Bei­spiel be­stimm­te ihn ein­mal zu ei­nem Schä­fer­spie­le, das in sei­ner dra­ma­ti­schen An­la­ge wie­der durch Goe­thes Sing­spiel »Die Lau­ne des Ver­lieb­ten« an­ge­regt war, und er schrieb da­bei Mu­sik und Ver­se zu­gleich, so­dass die Hand­lung und die Si­tua­tio­nen ganz aus dem Mu­sik- und Ver­se­ma­chen her­vor­gin­gen. Eben­so aber reiz­ten ihn die vor­han­de­nen For­men der Mu­sik zur Nach­ah­mung, es ent­stan­den da­mals auch eine So­na­te, ein Streich­quar­tett und eine Arie.

Die­se Wer­ke mö­gen wohl der Form­bil­dung nach ohne Ta­del, wer­den aber eben­so ohne ei­gen­ar­ti­gen Ge­halt ge­we­sen sein. Sein Geist war noch in an­de­ren Din­gen um­fan­gen als in dem wirk­li­chen Poe­sie­we­sen der Mu­sik. Gleich­wohl glaub­te er sich un­ter dem Schut­ze sol­cher Leis­tun­gen auch bei der Fa­mi­lie als Mu­si­ker mel­den zu kön­nen. Doch nahm die­se sol­che Kom­po­si­ti­ons­ver­su­che umso mehr nur als eine flüch­ti­ge Lei­den­schaft wie an­de­re, als er ja nicht ein­mal ein In­stru­ment in ge­nü­gen­der Wei­se spiel­te, um sich auch als prak­ti­schen Mu­si­ker si­cher und fest zu be­tä­ti­gen. Dazu trat jetzt eine selt­sa­me Gä­rung und Ver­wir­rung in den jun­gen Sinn, der schon so man­cher­lei Be­deu­ten­des und fast al­les zu glei­cher Zeit in sich auf­ge­nom­men hat­te. Die da­mals herr­schen­den Ro­man­ti­ker, be­son­ders der mys­ti­sche Th. A. Hofs­mann, der selbst Dich­ter und Mu­si­ker zu­gleich war und ne­ben den schöns­ten poe­ti­schen Aus­le­gun­gen der Wer­ke Glucks, Mo­zarts, Beetho­vens die aus­schwei­fends­ten Fan­tasi­en über Mu­sik ge­schrie­ben hat, wirr­ten ihm die poe­ti­schen Ide­en und die mu­si­ka­li­schen Aus­drucks­mit­tel in der tolls­ten Wei­se durch­ein­an­der. Es war für den kaum sech­zehn­jäh­ri­gen Jüng­ling Ge­fahr um den ge­sun­den Ver­stand zu kom­men. »Am Tage, im Halb­schla­fe, hat­te ich Vi­sio­nen, in de­nen mir Grund­ton, Terz und Quin­te leib­haf­tig er­schie­nen und mir ihre wich­ti­ge Be­deu­tung of­fen­bar­ten; was ich dar­über auf­schrieb, starr­te von Un­sinn«, sagt er selbst.

Da war es denn hohe Zeit, dass Set­zung der gä­ren­den Ele­men­te und Klä­rung ein­trat. In der Tat wur­de ihm jetzt die­se mu­si­ka­li­sche Spra­che, de­ren Halb­ver­ständ­nis ihn zu sol­chen Ge­sich­ten und Fan­tasi­en brach­te, auf ih­ren wah­ren Be­stand, auf ihre ge­ge­be­nen Ge­set­ze und Re­geln zu­rück­ge­führt. Ein tüch­ti­ger Mu­si­ker, der spä­te­re Al­ten­bur­ger Or­ga­nist Mül­ler, ließ ihm die selt­sa­men Ge­stal­ten und Ge­wal­ten sei­ner über­reiz­ten Ein­bil­dung zu ein­fa­chen mu­si­ka­li­schen In­ter­val­len und Ak­kor­den ver­schwe­ben und brach­te so eine fes­te Grund­la­ge der Er­kennt­nis auch in die­se mu­si­ka­li­schen Be­geis­te­run­gen und Fan­tasi­en. Doch war der Un­ter­richt noch im Prak­ti­schen er­folg­los. Der jun­ge Brau­se­kopf und Schwär­mer blieb in die­sem Stu­di­um un­or­dent­lich und nach­läs­sig. Sei­ne geis­ti­ge An­schau­ung und Er­re­gung ging schon zu weit, um sich leicht auf das ru­hi­ge Er­ler­nen ei­ner tro­ckenen Tech­nik zu­rück­ban­nen zu las­sen, und war doch noch nicht ei­gen­ar­tig mäch­tig ge­nug, um zu sol­cher not­wen­di­gen An­eig­nung der Mit­tel auch in der Kunst sich selbst zu­sam­men­zu­fas­sen.

Eine der großen Ou­ver­tü­ren für Or­che­s­ter, die er, statt erst die Mu­sik als selbst­stän­di­ge Spra­che zu er­ler­nen, da­mals zu schrei­ben vor­zog, nennt er selbst den »Cul­mi­na­ti­ons­punkt sei­ner Un­sin­nig­kei­ten«. Und doch war et­was in die­ser Kom­po­si­ti­on in B­dur, was bei ih­rer Auf­füh­rung im Leip­zi­ger Ge­wand­hau­se ei­nem aus­ge­bil­de­ten Mu­si­ker wie dem spä­te­ren Ber­li­ner Ober­hof­ka­pell­meis­ter Hein­rich Dorn, sei­nem da­ma­li­gen Freun­de, Ach­tung ab­nö­tig­te: es war dies das­je­ni­ge, was Wa­gner von sich und sei­ner geis­ti­gen Bil­dung her auch in der Mu­sik such­te und gab, die poe­ti­sche Idee, die ei­ner Kom­po­si­ti­on den si­che­ren Wurf ei­nes in­ner­lich und or­ga­nisch Ge­stal­te­ten gibt. So konn­te er den jun­gen Au­tor, des­sen Werk al­ler­dings von Sei­ten des Pub­li­kums statt güns­ti­ger Auf­nah­me Un­wil­len und Hei­ter­keit ge­fun­den hat­te, auf­rich­tig mit der Zu­kunft trös­ten.

Zu­nächst ver­setz­te auch ihn die her­ein­bre­chen­de fran­zö­si­sche Ju­li­re­vo­lu­ti­on von 1830 in die größ­te Er­re­gung und er woll­te so­gar eine po­li­ti­sche Ou­ver­tü­re schrei­ben. Eben­so lenk­ten die fan­tas­ti­schen Aus­schwei­fun­gen der Uni­ver­si­tät, die er der­wei­len be­schrit­ten hat­te, um sich durch das Stu­di­um all­ge­mein geis­ti­ger Fä­cher all­sei­tig für den Be­ruf als Mu­si­ker aus­zu­bil­den, sei­nen Sinn noch eine Wei­le von dem Erns­te des­sel­ben ab. Dann aber ließ ihn zu sei­nem und der Kunst Hei­le die Vor­se­hung einen Mann fin­den, der sei­nem nach sol­chem Stur­me umso hef­ti­ger er­wa­chen­den Dran­ge nach Ord­nung und Re­gel in sei­nem Mu­sik­stu­di­um eben­so ernst wie freund­lich ent­ge­gen­kam: Theo­dor Wein­lig, seit 1823 Can­tor der Leip­zi­ger Tho­mas­schu­le, also im Geist und Kön­nen des großen Se­bas­ti­an Bach auf­ge­wach­sen. Die­ser be­saß die Ei­gen­schaft des gu­ten Leh­rers, gleich­sam spie­lend in die Ge­heim­nis­se sei­ner Sa­che ein­zu­füh­ren. In we­ni­ger als ei­nem Jah­re wuss­te der jun­ge Stu­dio­sus die schwie­rigs­ten Auf­ga­ben des Kon­tra­punk­tes mit Si­cher­heit und Leich­tig­keit zu lö­sen und ward als zur wirk­li­chen Selbst­stän­dig­keit in sei­ner Kunst er­zo­gen von sei­nem Leh­rer ent­las­sen. »Frau Char­lot­te Wein­lig, der Wit­we sei­nes un­ver­ge­ss­li­chen Leh­rers«, lau­tet denn auch die Wid­mung sei­nes »Lie­bes­ma­les der Apos­tel«, der ein­zi­gen ora­to­ri­en­mä­ßi­gen Ar­beit, die Wa­gner ge­schaf­fen hat. Aus je­ner Zeit rüh­ren auch eine So­na­te und eine Po­lo­nai­se her, die fern je­dem Schwulst ein­fach na­tür­li­chen mu­si­ka­li­schen Satz ha­ben. Mehr aber gilt es uns, dass Wa­gner da­mals auch Mo­zart in­nig er­ken­nen und lie­ben lern­te, es war dies die Bahn, auf wel­cher er spä­ter über Beetho­ven hin­aus den mäch­ti­gen Leip­zi­ger Can­tor fin­den soll­te, der durch sei­ne Kunst die Tie­fen un­se­res wah­ren Le­bens eben­so für im­mer er­schlos­sen wie ge­hei­ligt hat.

Zu­nächst war es jetzt Beetho­ven, des­sen Kunst sich ihm auf der si­che­ren Grund­la­ge ei­ge­nen Kön­nens auch si­cher er­schloss und der ihn dann völ­lig zum Kom­po­nis­ten mach­te. »Ich zweifle, dass es zu ir­gend­wel­cher Zeit einen jun­gen Ton­set­zer ge­ge­ben hat, der mit Beetho­vens Wer­ken ver­trau­ter ge­we­sen wäre, als der da­mals acht­zehn­jäh­ri­ge Wa­gner«, sagt H. Dorn von je­ner Zeit. Und er selbst er­zählt in sei­nem »Deut­schen Mu­si­ker in Pa­ris«: »Ich kann­te kei­ne Lust mehr, als mich so ganz in die Tie­fe die­ses Ge­ni­us zu ver­sen­ken, bis ich mir ein­bil­de­te, ein Teil des­sel­ben ge­wor­den zu sein.« Er schrieb sich des Meis­ters Ou­ver­tü­ren ab und eben­so die Neun­te Sym­pho­nie, die ihn eben­so in to­ben­des Schluch­zen wie in höchs­te Schwär­me­rei ver­setz­te. Eben­so er­kann­te er jetzt völ­lig Mo­zart, zu­mal die Ju­pi­ter­sym­pho­nie. »Er hat den va­ter­län­di­schen Geist mit sei­ner Rein­heit des Ge­fühls und Keusch­heit der Ein­ge­bung als das hei­li­ge Erb­teil be­trach­tet, mit dem der Deut­sche, wo er auch sei und in wel­cher Spra­che er auch rede, ge­wiss ist, die an­ge­stamm­te Grö­ße und Ho­heit zu be­wah­ren«, ur­teilt er we­nig Jah­re spä­ter in Pa­ris über Mo­zart. »Klar­heit und Kraft war mein Be­stre­ben«, sagt er von die­ser Ju­gen­de­po­che, und eine Ou­ver­tü­re und eine Sym­pho­nie be­kun­de­ten bald, dass er die Vor­bil­der wirk­lich er­fasst hat­te. Zwan­zig Jah­re ei­ge­ner Frucht­bar­keit in die­ser ho­hen Schu­le der Kunst und er soll­te auch de­ren ei­ge­nes letz­tes Vor­bild, den großen Se­bas­ti­an Bach, in­nig er­ken­nen ler­nen und auf die­sem tiefs­ten Grun­de der Mu­sik das er­ha­be­ne Ge­bäu­de ei­ner deut­schen Kunst er­rich­ten, die un­se­ren Geist in all sei­nen Fä­hig­kei­ten und Idea­len um­fasst und uns end­lich auch ein voll­stän­di­ges Na­tio­naldra­ma be­grün­det hat.

Die Schu­lung war vor­über: jetzt ge­sch­ah, mit nichts be­waff­net als mit sei­nem Wol­len und Kön­nen, küh­nen und si­che­ren Schwun­ges der Sprung ins Le­ben. Wol­len und Kön­nen soll­ten sich an sei­nen Kämp­fen und Lei­den eben­so er­pro­ben wie stäh­len. Mit den ers­ten dau­ern­den Erobe­run­gen der­sel­ben fin­den wir ihn wie­der.

2. Sturm und Drang.

(1832–1841)

»Der Gott, der mir im Bu­sen wohnt. Er kann nach au­ßen nichts be­we­gen!«

Goethe.

*

Man weiß aus Beetho­vens Le­ben, was da­mals Wien für die Mu­sik be­deu­te­te. Im Som­mer 1832 mach­te sich Wa­gner zum Be­su­che dort­hin auf, fand sich aber stark ent­täuscht: »Zam­pa«1 und Strauß’­sche Pot­pour­ris dar­aus um­tön­ten ihn al­ler Or­ten. Er soll­te die Kai­ser­stadt erst spät und als ruhm­ge­krön­ter Meis­ter wie­der­se­hen. Die Vo­r­ort­schaft in Mu­sik und Oper war an Pa­ris über­ge­gan­gen. In Prag da­ge­gen führ­te das Kon­ser­va­to­ri­um sei­ne Sym­pho­nie auf. Doch konn­te er auch hier er­fah­ren, wie we­nig das Reich sei­nes Beetho­ven be­reits be­gon­nen hat­te.

In Leip­zig brach­te man dann im Win­ter eben­falls die Sym­pho­nie. »Es ist eine ke­cke dreis­te Ener­gie der Ge­dan­ken, ein stür­mi­scher küh­ner Schritt und doch eine so jung­fräu­li­che Nai­ve­tät in der Emp­fäng­nis der Grund­mo­ti­ve, dass ich große Hoff­nun­gen auf den Ver­fas­ser set­ze«, schrieb H. Lau­be, den Wa­gner kurz zu­vor ken­nen ge­lernt, und wir er­se­hen auch hier die Sturm­be­we­gung der Zeit, die von da an für uns nicht mehr ins Ste­hen kam und uns heu­te die Ein­heit der Na­ti­on und der Kunst ge­schaf­fen hat. Bur­schen­schaf­ter, St. Si­mo­nist, Welt­ver­bes­se­rer, dies war nach des jun­gen Künst­lers Sinn. Das »Jun­ge Eu­ro­pa«, in dem Lau­be die frei­en Ge­dan­ken des neu­en Jahr­hun­derts, Lie­bes­rausch und jede Art Le­bens­ge­nuss pre­dig­te, spuk­te ihm in al­len Glie­dern, und Hei­nes Schrif­ten wie vor al­lem der wol­lüs­tig wei­che Ar­ding­hel­lo von Hein­se er­höh­ten die­ses er­reg­te Sin­nen­da­sein.

Einst­wei­len war je­doch die bes­se­re Na­tur noch sieg­reich in ihm, Beetho­ven und We­ber blie­ben sei­ne gu­ten Ge­ni­en. Er kom­po­nier­te 1833 nach ih­rem Vor­bil­de eine Oper »Die Feen«, und der Text zeigt die durch Ernst ge­weih­te Grund­rich­tung sei­nes We­sens. Eine Fee liebt einen Sterb­li­chen, kann aber selbst die Men­sch­lich­keit nur un­ter der Be­din­gung ge­win­nen, dass der Ge­lieb­te sie, möge sie sich auch noch so böse und grau­sam zei­gen, nicht un­gläu­big ver­sto­ße. Sie ver­wan­delt sich nun in einen Stein und wird durch des Ge­lieb­ten seh­nen­den Ge­sang ent­zau­bert. Die­ser selbst aber wird, gleich je­nem un­be­ding­ten Glau­ben an den ge­lieb­ten Ge­gen­stand ein be­deut­sa­mer Zug der idea­len Auf­fas­sung Wa­gners vom We­sen der Lie­be, dann eben­falls in die un­s­terb­li­che Won­ne der Feen­welt aus­ge­nom­men. Zur Auf­füh­rung ist das Werk nie ge­kom­men. Bel­li­ni, Adam und Ge­nos­sen be­herrsch­ten die Büh­ne auch in Deutsch­land. Nun kam zu die­ser Ent­täu­schung der un­ge­mei­ne Er­folg, den die für Wa­gner so hoch­be­deut­sam ge­wor­de­ne große Schrö­der-De­vri­ent so­gar und ge­ra­de in die­sen leich­ten Opern, vor al­lein als Ro­meo hat­te. Dann das pri­ckeln­de Ele­ment die­ser Fran­zo­sen und Ita­lie­ner, ge­gen wel­che die da­mals be­gin­nen­de deut­sche Ka­pell­meis­ter­mu­sik quä­lend lang­wei­lig er­schi­en, er selbst, der Ein­und­zwan­zig­jäh­ri­ge zu je­der Art Tat und Ge­nuss be­reit, – warum soll­te nicht er, der sich so sehr nach Er­folg sehn­te, eben­falls die­se Bahn be­schrei­ten? Beetho­ven er­schi­en ihm als der Schluss­stein ei­ner großen Epo­che, jetzt muss­te et­was Neu­es, an­de­res kom­men. Die Frucht die­ses Sie­dens und Über­ko­chens war »Das Lie­bes­ver­bot oder die No­vi­ze von Pa­ler­mo«, die ers­te Oper von ihm, die zur Auf­füh­rung ge­lang­te.