Berührt, verwöhnt - verführt - Nancy Warren - E-Book

Berührt, verwöhnt - verführt E-Book

Nancy Warren

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Beschreibung

Nur eine kurze Massage? Je länger Emily mit ihren Händen über Jonahs starken, muskulösen Körper streicht, desto erregter wird sie. Und plötzlich sehnt sie sich danach, dass Jonah sie mit verführerischen Berührungen verwöhnt

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Nancy Warren

Berührt, verwöhnt – verführt

IMPRESSUM

TIFFANY HOT & SEXY erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2009 by Nancy Warren Originaltitel: „Power Play“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd, Toronto in der Reihe: BLAZE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXYBand 73 - 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Sarah Falk

Abbildungen: Laurie and Charles / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733752354

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, CORA CLASSICS

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1. KAPITEL

Schreie rissen Emily Saunders aus dem Schlaf. Angstvolle Schreie wie aus einem Horrorfilm, die sie im Bett auffahren ließen und in Panik versetzten, als sie ihre Umgebung nicht sofort erkannte.

Sie schaltete die Nachttischlampe an und sah, dass es kurz nach fünf Uhr morgens war. Das Bett und der Rest der Hoteleinrichtung brachten ihr wieder in Erinnerung, wo sie war. In Elk Crossing, Idaho, in ihrem Zimmer im Elk Crossing Lodge.

Sekundenlang fragte sie sich, ob die Schreie nicht Teil eines Albtraumes gewesen waren. Aber dann glitt ihr Blick zu dem orangefarbenen Kleid, das in einer durchsichtigen Tüte an der Schranktür hing. Als ihre Cousine Leanne sie gebeten hatte, ihre Brautjungfer zu sein, hatte Emily natürlich Ja gesagt. Wie sie es immer tat.

Aber vielleicht hätte sie den Mut gefunden, die Bitte abzulehnen, wenn sie von dem Kleid gewusst hätte. Das an Kürbis erinnernde Orange war schlimm genug, aber musste auch der Schnitt des Kleids diesem Gemüse ähneln? Emily hatte schon einige hässliche Brautjungfernkleider getragen, aber das hier übertraf sie alle.

Sie wollte gerade das Licht ausschalten, als sie auf dem Gang vor ihrer Tür noch mehr Geschrei vernahm.

Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln, griff sich ihren Morgenmantel und ihren Zimmerschlüssel und öffnete die Tür.

Der Anblick, der sich ihren Augen bot, war … ungewöhnlich.

Eine mollige junge Frau mit beachtlicher Oberweite hüpfte herum, als ob der Teppich des Hotels in Flammen stünde. Sie war es, die das Geschrei veranstaltete.

„Ich habe sie gesehen! Sie sind überall. Sie krabbeln auf mir herum. Igittigitt! Pfui Teufel!“, plärrte sie.

Eine schlankeres junges Mädchen in einem pinkfarbenen Babydoll schrie jetzt auch: „Ich habe etwas gespürt! Ich glaube, sie sind in meinem Haar.“

Beide gerieten völlig außer sich, schüttelten wie wild die Köpfe und hüpften auf und ab wie durchgedrehte Groupies bei einem Rockkonzert.

Emily fragte sich, ob sie auf Drogen waren.

Ein junger Mann in Hoteluniform versuchte vergeblich, die beiden Frauen zu beruhigen. „Bitte, meine Damen, Sie wecken die anderen Gäste auf.“

Ein älteres Paar verfolgte die Szene nicht weniger verblüfft als Emily. Die Frau zog die Schultern hoch, als sie ihren Blick auffing.

Während Emily sich zu erinnern versuchte, was sie über Drogen und Alkoholvergiftungen wusste, öffnete sich eine weitere Tür, und ein großer, muskulöser Mann in Boxershorts trat auf den Gang hinaus. Er musste etwa Anfang Dreißig sein und hatte dunkles Haar und blaue Augen. Sein Blick nahm die Szene in sich auf und blieb vorübergehend auf den wippenden Brüsten der Babydollträgerin haften.

„Sie krabbeln auf mir rum!“, schrie das Mädchen wieder.

Emily schnappte sich den unfähigen Hotelangestellten. „Rufen Sie einen Notarzt an. Diese Frauen brauchen Hilfe.“

Der athletische Mann ging zu den Frauen und führte damit allen auf dem Gang seinen exzellenten Körperbau vor Augen. Sein harter, muskelbepackter Körper erinnerte Emily daran, dass sie schon viel zu lange keinen Sex gehabt hatte. „Wir brauchen keinen Notarzt, sondern einen Kammerjäger“, sagte er mit tiefer Stimme.

Vor Emilys erstaunten Augen zupfte er etwas von der Schulter des molligeren Mädchens und zeigte es dem nervösen jungen Mann in Uniform.

„Bettwanzen.“

Der Hotelangestellte schluckte. „Aber wir sind ausgebucht!“

„Nicht mehr lange.“

Emily entfernte sich von den Mädchen, die wie vom Donner gerührt dastanden. Sie konnte gut verstehen, dass sie so entsetzt aussahen.

Wanzen? Die fehlten ihr gerade noch, nachdem sie von Portland nach Elk Crossing zu einer Hochzeit gefahren war, an der sie lieber gar nicht teilgenommen hätte, um den vorwitzigen Fragen ihrer Verwandten und Freunde nach ihrem fortgesetzten Singlestatus aus dem Weg zu gehen.

Das schlanke Mädchen hob den Arm. „Das juckt so.“ Selbst von der anderen Seite des Gangs konnte Emily kleine rote Pusteln sehen.

Ihre Verärgerung über die nächtliche Störung wich augenblicklich Mitgefühl. „Warten Sie, ich werde nachsehen, ob ich Histamin dabei habe“, sagte sie.

Der Muskelmann nickte ihr anerkennend zu, bevor er sich den beiden Frauen zuwandte, die sich jetzt heftig kratzten.

„Gehen Sie ins Bad, ziehen Sie sich aus und duschen Sie mit heißem Wasser. So heiß es geht. Und ziehen Sie nichts von den Sachen wieder an.“

„Und Sie“, beschied er den Hotelangestellten, „lassen ihnen frische Handtücher und saubere Bademäntel heraufbringen.“

Der junge Mann nickte und trabte los.

Kopfschüttelnd und mit einem „Gott, wie eklig!“, gingen die beiden Frauen wieder in ihr Zimmer.

„Übrigens“, rief der Mann dem Hotelpagen hinterher, der schon halb den Gang hinunter war. „Sie sollten den Hotelmanager holen.“

„Das ist nicht gut“, murmelte Emily, als sie ihre Reiseapotheke aus dem Koffer nahm. Es war schwer genug gewesen, ihrer Familie beizubringen, dass sie für die Dauer der Hochzeitsfestlichkeiten nicht im Gästezimmer von Verwandten übernachten würde. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie mit ihrer großen Verwandtschaft am besten zurechtkam, wenn sie in einem Hotel abstieg. Was für ein Pech, ausgerechnet eins mit einem Ungezieferproblem gewählt zu haben!

Mit dem Histamin ging sie zu dem wanzenverseuchten Zimmer und klopfte an die Tür. Als die schlankere der beiden Frauen öffnete, hielt sie ihr das Päckchen hin.

„Danke. Ich nehme nur ein paar heraus und …“

„Nein, nein, behalten Sie sie nur. Gute Besserung“, sagte Emily und beeilte sich, zu ihrem Zimmer zurückzukommen.

Fünfzehn Minuten waren vergangen, seit sie aufgewacht war. Für eine Sekunde überlegte sie, wieder ins Bett zu gehen, aber dann fiel ihr das winzige Insekt auf dem Finger des muskulösen Mannes ein.

Sie stürzte zu ihrem Bett, riss die Decke herunter und begann zu suchen. Ihr Laken sah blütenweiß aus, und nichts bewegte sich darauf.

Als ihr Haar ihre Wange streifte, ließ das Kitzeln sie zusammenfahren, und unwillkürlich kratzte sie sich im Gesicht. Damit war es entschieden: Nichts könnte sie dazu bringen, noch einmal in das Bett zurückkehren. Für heute war es mit ihrem Schlaf vorbei.

Ihr nächster Weg führte sie ins Bad, wo sie sich auszog und sich von allen Seiten musterte. Keine Wanzen, soweit sie sehen konnte. Und auch keine Pusteln. Erleichtert aufatmend trat sie unter die Dusche, blieb lange unter dem heißen Wasser stehen und wusch sich zweimal gründlich Kopf und Körper.

Ihre Mutter durfte nie von dem Ungeziefer erfahren. Leider waren ihre Eltern schon in Elk Crossing, da ihre Mutter ihrer Schwester bei den Hochzeitsvorbereitungen zur Hand gehen wollte. Und Emily wusste, wie sehr es ihre Mutter wurmte, Leanne als Erste heiraten zu sehen – zumal sie über fünf Jahre jünger war als sie, Emily, die leibliche, ledige Tochter, die nicht einmal einen festen Freund vorweisen konnte.

Natürlich wohnten ihre Eltern bei ihrer Tante, wo Emily sich in der nächsten Woche so selten wie nur möglich sehen lassen wollte. Nicht, weil sie ihre Familie nicht liebte, aber all die mitleidigen Blicke und nicht sehr subtilen Anspielungen waren nur schwer zu ertragen.

Emily untersuchte das Handtuch auf der Stange und schüttelte es kräftig aus, bevor sie sich damit abtrocknete.

Es klopfte an ihrer Tür. In das feuchte Tuch gehüllt, öffnete sie einem verschlafen aussehenden Zimmermädchen. „Es tut uns sehr leid, Ma’am, aber Sie werden Ihr Zimmer räumen müssen.“ Das Mädchen trug Gummihandschuhe und hielt einen großen Eimer in der Hand.

„Kein Problem.“ Als ob sie hier noch eine Minute schlafen würde. „Ich ziehe mich nur schnell an und packe meine Sachen.“

„Hm … das geht nicht.“

„Wie bitte?“

Das Mädchen trat ein und nahm den Deckel von dem Eimer. Erst jetzt sah Emily die schwarze Aufschrift auf dem Eimer: Fundstücke. Damen.

„Das muss ein Scherz sein.“

„Es tut mir wirklich leid. Aber wir müssen alles waschen und auch Ihre Koffer behandeln“, erwiderte die Frau mit einem erzwungenen Lächeln. „Ich bin sicher, dass wir bei den Fundstücken vorübergehenden Ersatz finden.“

„Machen Sie Witze? Außerdem habe ich keine Wanzen hier! Mein Zimmer ist sauber.“

„Ich befolge nur die Anweisungen des Hotelleiters. Wir evakuieren und behandeln diesen ganzen Flügel. Möchten Sie, dass ich ihn anrufe?“

„Nein, nein.“ Emily wusste, dass sie die Plage schnell unter Kontrolle bringen mussten. Schließlich wollte sie ja auch nicht der ahnungslose Überbringer von Bettwanzen auf der Hochzeit ihrer Cousine sein.

Sie warf einen Blick in den grünen Eimer.

Die Kleidung darin war von der Art, für die man sich nicht die Mühe machen würde, zurückzukehren, falls man sie in einem Hotel vergessen hatte. Ausgeblichene Jogginghosen, alte Sweatshirts, eine pinkfarbene Kunstseidebluse aus den Siebzigern, alte Jeans, Sportsachen, ein geblümtes Hauskleid und eine Handvoll Badesachen.

Emily konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Bei der Vorstellung, zu der heutigen Vorfeier, die aus einem ausgedehnten Lunch bestand, in einem dieser zerknitterten „Fundstücke“ zu erscheinen, obwohl ihre arme Mutter doch immer so mit ihrer erfolgreichen Tochter prahlte, lachte sie, bis ihr die Tränen kamen.

Das Zimmermädchen starrte sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte, was sie nur noch mehr zum Lachen brachte. Schließlich wischte sie sich die Augen ab und dachte: Notfall-Shoppingtrip. „Ich werde meine Tasche brauchen.“

„Nur Ihre Geldbörse. Lassen Sie alles andere im Zimmer. Es tut mir wirklich leid, aber wir müssen verhindern, dass die Plage sich verbreitet.“

So etwas kommt vor, dachte Emily. Aber dann kam ihr ein wirklich schrecklicher Gedanke.

„Mein Brautjungfernkleid! Es ist in einer Plastiktüte, da kann doch nichts passiert sein, oder?“

Das Mädchen betrachtete stirnrunzelnd das Kleid und sah dann Emily an, als fragte sie sich, wieso jemand dieses Kleid würde retten wollen. Und wäre die Hochzeit nicht gewesen, hätte Emily ihr zugestimmt.

„Ich weiß. Es ist affenscheußlich, aber wenn ich das Kleid am Samstag nicht zur Hochzeit meiner Cousine trage, kann ich meinen Namen gleich aus der Familienbibel streichen. Sie verstehen, was ich meine?“

Das Mädchen nickte. „Ich frage den Manager. Er wird wissen, was zu tun ist.“

„Ist die Elk Mall immer noch das einzige Einkaufszentrum hier? Oh, und ich brauche eine Liste anderer Hotels.“

Das letzte Mal war sie vor einigen Monaten zu einer Silberhochzeit in der Stadt gewesen. Ihre Mutter war schon aus Elk Crossing fortgezogen, bevor Emily zur Welt gekommen war, aber im Laufe der Jahre hatte die Familie sie so oft hierher geschleppt, dass Emily die Stadt gut kannte.

Während sie sprach, wühlte das Zimmermädchen in dem Eimer und zog eine glänzende schwarze Polyesterhose, die pinkfarbene Kunstseidebluse und eine giftgrüne Windjacke mit einem Riss in der Tasche heraus.

Emily starrte die zerknitterten Sachen an. „Darf ich wenigstens meine eigene Unterwäsche tragen?“

„Nein. Alles muss desinfiziert werden.“ Das Mädchen schenkte ihr ein sonniges Lächeln. „Aber diese Sachen hier sind alle sauber. Wir waschen sie, bevor sie zu den Fundstücken kommen.“

„Das ist gut zu wissen.“ Besonders, da sie nicht mal Unterwäsche hatte.

„Ach ja, und die Elk Mall ist immer noch das Shoppingcenter. Es gibt jetzt allerdings auch einen Wal-Mart dort“, fügte sie stolz hinzu. „Und wir suchen Ihnen ein anderes Zimmer. In ein paar Stunden müssten wir Sie untergebracht haben.“

„Ich will kein anderes Zimmer in diesem Hotel“, sagte Emily in dem freundlichen, aber bestimmten Ton, den sie bei ihren Massagetherapie-Patienten anwandte, die ihre Übungen nicht machten. „Ich will eine Liste mit anderen Hotels.“

„Die wird Ihnen nichts nützen. Sie sind alle ausgebucht.“

„Alle Hotels in Elk Crossing?“ Die Stadt war so unbedeutend, dass sie nur auf regionalen Landkarten erschien, aber dass sie so klein war, konnte Emily sich nun auch wieder nicht vorstellen. „Ich fahre auch gern ein Stück.“

Das Zimmermädchen schüttelte den Kopf. „Sie werden hier nirgendwo ein freies Bett finden. Selbst die Campingplätze sind belegt. Und ich spreche von einem Umkreis von fünfzig Meilen. Diese Woche findet das Hockeyturnier der über Dreißigjährigen statt, und sie haben alles reserviert.“

Emily strich sich eine feuchte Locke aus der Stirn. „Bitte sagen Sie mir, dass Sie auch ein paar gute Neuigkeiten haben.“

„Sicher. Hier bekommen Sie auf jeden Fall ein anderes Zimmer. Und im Restaurant gibt es Kaffee und Frühstück auf Einladung des Hauses.“

Emily seufzte. Wenn das die guten Neuigkeiten waren, hatte sie wohl kaum das große Los gezogen. „Wann öffnet der Wal-Mart?“

2. KAPITEL

Nur der Gedanke an Bettwanzen brachte Emily aus ihrem Zimmer, nachdem sie sich gezwungen hatte, das „Fundstück“-Outfit anzuziehen. Die Polyesterhose war zu kurz, aber was ihr an Länge fehlte, machte sie an Weite wieder wett, sodass Emily den Bund mit einer Sicherheitsnadel zusammenhalten musste.

Die Bluse dagegen war zu klein, und einen BH für darunter hatte sie nicht, was der einzige Grund war, warum sie schließlich sogar die giftgrüne Windjacke überzog.

Als sie sich in dem bodenlangen Spiegel betrachtete, versuchte sie, den Humor an ihrer Situation zu sehen, aber im Moment war ihr gar nicht nach Lachen zumute. Sie sah aus wie eine Vogelscheuche. Sehr viele ihrer Verwandten lebten in Elk Crossing, und sie hatte auch Freunde hier. Sie musste ihren Stolz und auch den ihrer Mutter bedenken. Niemand durfte sie so sehen.

Der einzige Plan, den sie hatte, war, gleich nach dem Öffnen des Wal-Marts hineinzustürmen, sich irgendetwas zum Anziehen zu schnappen und schnellstens in der Umkleidekabine zu verschwinden. Wenn ihr das gelang, würden ihr größere Peinlichkeiten vielleicht erspart bleiben.

Sie öffnete ihre Tür, schlich auf den Gang hinaus und warf einen letzten Blick auf ihre Kleider, die ordentlich in zwei Stapel für Wäsche und Reinigung aufgeteilt worden waren. Natürlich hatte sie ihre beste Garderobe mitgebracht für die endlosen Hochzeitsfrühstücke, Lunchs, Probeessen und was immer ihre findigen Verwandten sich sonst noch einfallen lassen könnten. Wenn jemand in ihrer Familie heiratete, zogen sie das Ganze gern über mindestens eine Woche hinaus.

Emily ging zum Restaurant hinunter und fand dort etwa ein Dutzend Flüchtlinge aus ihrem Flügel des Hotels, die Kaffee trinkend herumstanden und wie eine Versammlung von Vagabunden aussahen. Als sie eintrat, blickte der muskulöse Typ auf, der das Bettwanzenproblem erkannt hatte, und sah sich interessiert ihr Outfit an. Irgendetwas an seinem Blick machte ihr bewusst, dass sie keine Unterwäsche trug, was auch nicht dazu beitrug, ihre Laune zu verbessern.

Besonders, da er irgendwie einen weiten, marineblauen Pullover und Jeans ergattert hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass seine Jeans seinen Knöcheln nicht näher kamen als die glänzende Polyesterhose den ihren, konnte er als normal gekleidet durchgehen. Sie schenkte sich Kaffee ein und wandte sich ihm zu. „Wie sind Sie an die Kleider gekommen?“

Er schnaubte und hob den Pullover an. Unter den großartigen Muskeln, die sie vorher schon bemerkt hatte, sah sie einen offen stehenden Reißverschluss, und da auch er keine Unterwäsche trug, erhielt sie den Eindruck, dass er nicht nur auf seiner Brust sehr stark behaart war.

„Wenn ich diese Hose schließe, kann ich den Rest meines Lebens Sopran singen“, sagte er und ließ den Pullover wieder herunterfallen. „Sind Sie gebissen worden?“

„Nein. Sie?“

Er schüttelte den Kopf. „Soweit ich das beurteilen kann, hat es nur die beiden Frauen getroffen.“

„Hat man sich um sie gekümmert?“

Er nickte. „Sie haben sie ins Krankenhaus gebracht, weil eine von ihnen eine allergische Reaktion hatte, aber es müsste ihnen schon wieder besser gehen.“

Emily erschauderte.

Eine Bedienung brachte ein Tablett mit Gebäck und Obst aus der Küche.

Während sie sich ein Plunderteilchen nahm, fragte Emily die Bedienung: „Wann öffnet der Wal-Mart?“

„Um sieben.“

„Das wird eine lange Stunde“, seufzte Emily.

Der Vertretertyp, der verwaschene blaue Laufhosen mit der Aufschrift „Dancer“ über dem Gesäß trug, ein rotes Fußballtrikot, das einen Chlorfleck an der Brust hatte, und Turnschuhe an den nackten Füßen, brüllte plötzlich los, während er auf seine neue Garderobe zeigte: „Würden Sie bei diesem Mann eine Versicherung abschließen?“

Seine Bemerkung brach das Eis, und plötzlich lachten all die evakuierten Hotelgäste, begannen Geschichten auszutauschen und sich über ihre schlechte Kleidung zu beklagen.

Um fünf vor sieben parkte Emily ihren Wagen so dicht wie möglich vor den Eingangstüren des Wal-Mart. Kaum wurden sie geöffnet, stürzte sie mit gesenktem Kopf hinein und ging sofort zur Damenbekleidung. Sie schnappte sich einen schlichten schwarzen Rock und ein paar seidene Tanktops und hätte weinen können, wenn sie an all ihre guten Sachen dachte, die derzeit der Gnade des hiesigen Reinigungsbesitzers ausgeliefert waren.

Die Unterwäsche befand sich natürlich in einem anderen Bereich des Ladens, aber auch die fand sie recht schnell und sah sich gerade die BHs an, als eine Stimme sagte: „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Nein, danke“, erwiderte sie, ohne den Kopf zu heben, und hoffte, dass die Frau, deren Stimme ihr irgendwie bekannt vorkam, nun weitergehen würde.

Stattdessen spürte sie eine Bewegung in der warmen Luft, fast so, als hätte sie die Stimme der Frau direkt im Nacken.

„Bist du das, Emily?“

Oh, nein! Ihr schlimmster Albtraum war soeben wahr geworden. Auf einer Liste mit zehn Menschen, denen sie jetzt wirklich nicht begegnen wollte, nahm Ramona Hilcock ungefähr den dritten Platz ein.

„Ramona!“, rief sie mit geheuchelter Begeisterung.

„Ich hätte dich beinahe nicht erkannt“, sagte die Frau und betrachtete sie mit kaum verhohlenem Widerwillen.

Ramona war auf der Highschool eine Freundin ihrer jüngeren Cousine Leanne gewesen. Emily hatte sie als Klatschtante und Vorsitzende des Nähclubs in Erinnerung. Sie nähte immer noch, und da sie ihr Outfit betrachtete, als müsse sie sich jedes Detail einprägen, wäre Emily jede Wette eingegangen, dass sie heute auch noch gerne klatschte.

„Bist du zu Leannes Hochzeit hier?“

„Hmm.“

„Oh, gut. Ich nehme mir heute früher frei, um an dem Lunch teilnehmen zu können. Natürlich arbeite ich nur Teilzeit hier, um die Musik- und Golfstunden der Jungen zu bezahlen. Und es bringt mich aus dem Haus.“ Wieder glitt ihr Blick über Emilys Kleider. „Und du? Deine Mom sagte, du hättest ein eigenes Geschäft? Läuft es gut?“

„Ja. Bestens.“

Sie könnte Ramona von den Wanzen erzählen, was ihren Aufzug erklären würde, aber dann würden sich die Neuigkeiten schneller herumsprechen als ein Internetgerücht, und sie würde heute Nacht auf der Couch einer Verwandten enden. Deshalb hielt Emily den Mund und sagte nichts.

„Du bist Masseuse, sagte Leanne.“ Ramona sprach das Wort Masseuse in einem Ton aus, der ihm etwas Anzügliches gab.

„Massagetherapeutin“, berichtigte Emily sie. „Ich leite eine Wellnessklinik.“ Bevor Ramona noch mehr sagen konnte, fragte sie: „Kannst du mir die Umkleidekabine zeigen?“

„Klar. Komm mit.“

Dankbar zog Emily sich in den kleinen Raum zurück, wo sie feststellte, dass alles passte. Sie zahlte und war erlöst von Ramonas Gegenwart – zumindest bis zum Lunch.

Ihre neuen Kleider entsprachen vielleicht nicht ganz ihrem üblichen Niveau, aber sie waren hübsch und sauber, und abgesehen von dem Wal-Mart gab es im Einkaufszentrum auch eine Boutique für Accessoires und ein halbwegs gutes Schuhgeschäft. Not mochte erfinderisch machen, aber bei solch begrenzten Möglichkeiten … Trotzdem hatte sie ihr Bestes getan, den schwarzen Rock mit einem Seidenschal als Gürtel aufgepeppt und dem türkisfarbenen Top mit billigem, aber passendem Modeschmuck ein bisschen Pfiff gegeben.

Und es war immer gut, sich zu einem guten Preis neue Unterwäsche zuzulegen, sagte sie sich, als sie sich auf den Weg zum Lunch bei ihrer Tante machte.

Jonah Betts schoss den Puck ins Netz und sah ihn einschlagen wie einen Marschflugkörper. Der Aufprall des Pucks gegen das schwarze Netz, das Aufleuchten der Torlichter waren fast wie guter Sex, was wirklich großartige Erfahrungen anging.

Er stieß seine behandschuhte Hand in die Luft, und seine Mannschaftskameraden kamen zu ihm herüber, um zu gratulieren.

Die einwöchigen Ausscheidungsspiele der Old-Timers Hockey League waren eins der Highlights seines Jahres. Jonah hatte immer sehr viel Energie gehabt, und kein Sport motivierte ihn mehr als Eishockey. Er liebte das Scharren der Schlittschuhe auf dem Eis, die Schnelligkeit, den Mannschaftsgeist und das Zusammenspiel.

Als die anderen ihm auf den Helm schlugen oder sich auf ihn warfen, lachte er nur. Beim Eishockey gehörte das nun mal dazu. Morgen würden sie richtig spielen, und als Mannschaftsführer der Titelverteidiger würde er so manch einen das Fürchten lehren.

Nach ein paar Bier und Pizza, um den Sieg der Portland Paters über die Georgetown Geezers zu feiern, warf Jonah seine Sporttasche auf den Rücksitz seines Geländewagens und fuhr zu seinem Hotel zurück. Zum Wanzenlodge. Er glaubte nicht, dass er gebissen worden war und fragte sich, wie es den beiden Frauen ergehen mochte, die ihn heute Morgen mit ihrem Geschrei geweckt hatten.

Da seine Sporttasche im Wagen gewesen war, hatte er sie nicht an die Schädlingsbekämpfer abgeben müssen. Aber heute Nacht konnte er sie dort nicht lassen, weil er seine Ausrüstung im Warmen trocknen lassen musste. Unterwegs hatte er schnell noch einen Jogginganzug, Jeans, T-Shirts, Socken und Unterwäsche gekauft, um mit allem versorgt zu sein. Seine Tasche über der Schulter und seinen Schläger in der Hand, betrat er das Hotel.

„Wie geht’s?“, fragte er eine der beiden gestresst aussehenden Empfangsdamen.

„Es war ein anstrengender Tag“, erwiderte sie mit einem gequälten Lächeln. „Vielen Dank für Ihre Geduld, Sir.“ Ihre Antwort ließ darauf schließen, dass nicht jeder so verständnisvoll gewesen war.

„Solange Sie ein Bett für mich haben, kein Problem. Mein Name ist Jonah Betts.“

„Es hat ein wenig gedauert, aber ich habe ein Zimmer für Sie gefunden.“ Sie blickte auf. „Nummer 318. Es ist das letzte, fürchte ich. Normalerweise wird es nicht vermietet, aber der Probleme wegen …“ Sie seufzte. „Es tut uns leid.“

„Das ist nicht Ihre Schuld.“ Er nahm seinen Schlüssel entgegen. „Aber warum vermieten Sie es normalerweise nicht?“

„Das Dach hat ein kleines Leck, Sir. Aber ansonsten ist das Zimmer sehr bequem und hat zwei schöne, breite Betten.“

„Solange es ein Bett und einen Fernseher hat, ist alles bestens.“

Sie lachte erleichtert. „Oh ja. Sie haben einen Fernseher, Filme, was Sie wollen.“

Jonah nickte. „Schönen Tag noch.“

Er hoffte, dass es auch einen Kühlschrank gab in Zimmer 318; am besten noch mit einem kalten Bier drin. Er hätte fragen sollen. Aber da er schon im dritten Stock war, ging er über den Gang zur letzten Tür.

Mit seiner Schlüsselkarte öffnete er und ging hinein.

Eine Frau schrie auf.

Herrje. So hatte sein Tag begonnen, da musste er nicht auch noch so enden.

Er ließ seine Tasche fallen und wandte sich der Frau zu, die aufgeschrien hatte. Sie war sofort wieder verstummt und starrte ihn jetzt stattdessen böse an.

Es war die Frau von heute Morgen. Die hübsche von der anderen Seite des Gangs. Sie trug einen Pyjama, der so neu war, dass er noch die Falten der Verpackung zeigte. Er war blau und wie ein Herrenschlafanzug geschnitten, was ihre weiblichen Rundungen nur unterstrich.