2,49 €
Milliardär Max Varo kennt nur eine Spielart: gewinnen. Aber bei der aufregend attraktiven Pilotin Claire Lundstrom, die ihn nur für den neuen Kollegen hält, spürt er zum ersten Mal: Verlieren kann sexy sein. Besonders, wenn er dabei sanft in Claires Armen landet …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 175
IMPRESSUM
Siebter Himmel und zurück? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2014 by Nancy Warren Originaltitel: „Breakaway“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY HOT & SEXYBand 43 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Almuth Strote
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733717698
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de
Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.
An diesem warmen Juniabend saßen drei Männer um ein Lagerfeuer irgendwo in der Wildnis Oregons. Man konnte ihnen ansehen, dass sie hierher gehörten – sie waren alle drei erfahrene Abenteuer-Urlauber und bestens dafür trainiert, allein auf sich gestellt zurechtzukommen. Zwei von ihnen waren Singles, einer stand kurz vor seiner Hochzeit. Gemeinsam hatten sie beschlossen, dass vier Tage Kajakfahren genau das Richtige war, um zum allerletzten Mal als Junggesellenrunde gemeinsam unterwegs zu sein. Max Varo, Adam Shawnigan und Dylan Cross kannten sich seit dem Kindergarten. Und auch wenn sie inzwischen alle Mitte dreißig und beruflich sehr erfolgreich waren, spielten sie noch immer gern miteinander – nur dass die Sandkiste inzwischen gegen eine Eishockeyarena ausgetauscht worden war.
Das Feuer knisterte und wärmte sie. Max rollte seine Schultern und spürte den Muskelkater, der sich anbahnte, weil die drei den ganzen Tag im Kajak gegen die Strömung gekämpft hatten. Doch er liebte dieses Gefühl und freute sich darauf, dass ihre Tour morgen weitergehen würde. Sie hatten gegessen und saßen gemütlich im Feuerschein, jeder hielt einen Becher mit heißem Kaffee in der Hand und ging seinen Gedanken nach. Dylan, schon immer der rastloseste unter ihnen, brach das Schweigen. „Und, Adam, bereust du es kein bisschen, schließlich doch noch geangelt worden zu sein?“
Adam hob den Blick vom Feuer und sah seinen alten Freund an. „Nein“, sagte er einfach. „Ehrlich gesagt würde ich, wenn ich einen einzigen Wunsch frei hätte, mir wünschen, dass ich Serena schon eher kennengelernt hätte.“
Max erinnerte sich an einige Frauen, in die Adam sich in der Vergangenheit verliebt hatte, und verstand den Wunsch seines Freundes nur zu gut. Gezwungenermaßen hatte er selbst die eine und andere kennengelernt und irgendwie waren sie alle ziemlich – nun, exzentrisch wäre wohl die höflichste Bezeichnung, die ihm einfiel. Doch Serena Long war anders und jeder wusste sofort, dass sie perfekt zueinander passten – auch wenn sie selbst etwas länger gebraucht hatten, um das zu bemerken. Aber das war eine lange Geschichte.
„Hey Max“, sagte Dylan. „Was wäre dein Wunsch, wenn du nur einen hättest?“
Max wollte gerade antworten, da hielt Dylan die Hand hoch. „Und so etwas wie Weltfrieden gilt nicht. Klar, ich gehe davon aus, dass wir alle so nobel sind und uns Weltfrieden wünschen, sollten wir je die Gelegenheit dazu bekommen. Aber ich meine, was du dir so ganz und gar für dich wünschen würdest.“
Gern hätte Max das gleiche Vertrauen in seine Noblesse gehabt wie sein Freund. Doch er wusste genau, was er sich wünschen würde, wenn er nur könnte. Die eine Sache, die ihm auch noch so viel harte Arbeit und zukünftiger Reichtum nie einbringen könnten. „Ich würde mir entzündungsresistente Ohren wünschen. Rückwirkend in die Kindheit.“
Dylan und Adam verstanden seinen Wunsch sofort. Denn seit sie sich kannten, war es immer Max’ größter Traum gewesen, einmal Astronaut zu werden. Leider hatte er als Kind aber eine Reihe fieser Entzündungen des Gehörgangs gehabt, die ihn dafür disqualifizierten, noch bevor er die Highschool überhaupt beendet hatte.
„Weißt du eigentlich, wie verschwindend gering die Anzahl der Leute ist, die Astronaut werden?“
„Ich hätte es geschafft“, sagte Max mit der simplen Klarheit eines Mannes, der die Eigenschaft hatte, sich Ziele zu setzen und diese auch zu erreichen. Er wusste, dass er allen Anforderungen entsprochen hätte – wenn nur seine Ohren nicht gewesen wären. Und so unfassbar erfolgreich er auch in allem war, was er sich seit seiner Kindheit zum Ziel gesetzt hatte, seinen großen Traum würde er sich als Einziges nie erfüllen können.
„Naja, so schlecht geht es dir ja nun auch wieder nicht“, sagte Adam schmunzelnd. „Ich wette mit dir, dass die meisten Astronauten ihren Job sofort gegen deine Milliarden eintauschen würden.“
Max zuckte mit den Schultern. „Ich würde tauschen.“
„Klar, sicher.“
Geld spielte für Max keine Rolle. Er hatte, auch wenn ihm eine Karriere in der aktiven Luftfahrt verwehrt geblieben war, Astrophysik studiert und ein Klima-Automatik-System entwickelt, dessen Patent ihm die NASA abgekauft hatte. Etwas modifiziert konnte er es auch ein paar Fluggesellschaften anbieten – und heute flogen tatsächlich die meisten großen Airlines mit seiner Erfindung. Mit Mitte dreißig war er deshalb bereits so unglaublich reich, dass er sein Geld ohne mit der Wimper zu zucken in diverse Risiko-Kapitalanlagen investieren konnte. Denn Geld spielte für ihn keine Rolle – wenn überhaupt war es Langeweile, die sich inzwischen immer öfter in sein Leben schlich und ihm Probleme bereitete.
„Und, schon wieder in irgendein durchstartendes Jungunternehmen investiert?“, fragte Dylan ihn – der leicht sarkastische Unterton war nicht zu überhören.
„Ich möchte derzeit tatsächlich eine Airline übernehmen.“
„Eine große, hoffe ich?“
„Überhaupt nicht. Sie heißt Polar Air.“
„Polar Air? Das klingt eher nach Klimaanlage.“
„Es ist eine kleine Airline, sie fliegt in Alaska.“
„Unfassbar. Hätte ich nur einen Bruchteil deines Vermögens, würde ich Jachten kaufen. Und Riesenklunker für Schönheiten in Bikinis, die mich den ganzen Tag umgarnen“, sagte Dylan kopfschüttelnd. „Und du kaufst eine Provinz-Fluglinie.“
„Und daran kannst du mal wieder sehen, warum er reich ist und du nicht“, sagte Adam lachend.
Max schmunzelte. „Wie sieht denn dein größter Wunsch aus, Klugscheißer“, fragte er und boxte Dylan in die Seite. „Was würdest du dir wünschen, wenn du könntest?“
„Weltfrieden und Max’ Milliarden gelten nicht.“
Dylan grinste in die Runde und dachte einen Moment lang nach. „Superkräfte, ganz klar. Röntgenblick. Oder Megakräfte – ich kann mich nicht entscheiden.“
„Ach komm schon, jetzt mal im Ernst.“
„Ich glaube, er meint es ernst“, sagte Adam.
„Da kannst du deinen Arsch drauf verwetten.“
Max schüttelte den Kopf. „Warum sind wir mit dem Typen nur befreundet?“
„Damit er uns zum Lachen bringt, vielleicht?“, antwortete Adam und wich lachend dem Kaffeebecher aus, den Dylan nach ihm warf. Eine ernsthafte Unterhaltung mit Dylan zu führen war, als wolle man einem Golden Retriever Physik erklären.
Dylan stand auf und streckte sich. „Eins ist jedenfalls klar. Der letzte wirklich standhafte Junggeselle in dieser Runde werde ja wohl ich sein – die Wette gewinne ich mit Sicherheit.“
Max lachte. „Tja, jetzt sind es nur noch wir beide. Aber mach dir nichts vor – ich bin angetreten, um zu gewinnen.“
Nach dem verlängerten Wochenende betrat Max seine Firma in Hunter im Bundesstaat Washington wieder und stellte fest, dass wie immer alles bestens lief. Seine Leute schienen sich zu freuen, ihn zu sehen – doch war es nicht so, als würden sie ohne ihn zusammenbrechen.
Er stellte grundsätzlich nur die besten Leute ein, die er finden konnte, und ließ ihnen dann ihren Raum. Sie konnten eigenständig arbeiten, wurden gut bezahlt und auch mit diversen Boni war Max ganz und gar nicht geizig – dafür waren sie loyal, höchst engagiert und mit Leidenschaft bei der Sache. Kein Wunder, dass seine Firma beinahe täglich erfolgreicher wurde.
Varo Enterprises war inzwischen sogar so erfolgreich, dass es eine ganze Abteilung gab, die sich ausschließlich um die Finanzierung unterschiedlichster Wohltätigkeits-Projekte kümmerte.
Und Maximilian Varo, Chef und Gründer von Varo Enterprises, langweilte sich zu Tode.
Nachdem er sich von seinen Abteilungsleitern auf den neuesten Stand hatte bringen lassen, traf er sich mit Leslie Adamson, die für die Übernahme von Polar Air zuständig war. „Es läuft gut“, sagte sie und holte die zu diesem Fall gehörenden Unterlagen aus dem Hängeschrank. „Für unsere Verhältnisse eine Kleinigkeit, eigentlich. Es sollte kein Problem sein, Polar Air vergleichsweise günstig zu übernehmen und dann mit den richtigen Leuten auf Vordermann zu bringen.“ Sie blätterte durch die Unterlagen. „Polar Air war mal ziemlich erfolgreich. In den Fünfzigern haben das Ehepaar Lynette und Carl Lundstrom das Flugunternehmen gegründet. Sie haben Jagd- und Fischereireviere angeflogen und versorgt, Post ausgetragen, Holzfäller und ein paar Mienen bedient. Sie wuchsen, die Nachfrage stieg, flogen dann Passagiere wie Wanderer, Jäger, Forscher und Freizeitsportler mit ihren Kajaks durch ganz Alaska. In den letzten fünf Jahren ist es dann allerdings bergab gegangen. Polar Air hat die Wirtschaftskrise zu spüren bekommen, sie können diverse laufende Kosten nicht mehr bezahlen und sind insgesamt überhaupt nicht zeitgemäß aufgestellt. Wir nehmen an, dass sie viele Dinge haben schleifen lassen. Die Flotte ist aber in einem guten Zustand und es gibt immer noch ein paar loyale Kunden. Wir könnten die Firma entweder zerschlagen und in Einzelteilen weiterverkaufen oder komplett umstrukturieren und als lokale Airline wieder nach vorne bringen.“
Max war die finanzielle Lage von Polar Air völlig klar. Niemals würde er ein Unternehmen kaufen, das er nicht durchleuchtet hatte, das er nicht in seinen Strukturen verstand und bei dem er nicht an die Kernidee glaubte. Ja, diese kleine Airline hatte Probleme, aber ihre Ausrüstung war ziemlich gut und die Piloten waren bestens ausgebildet. „Ich denke auch, dass Polar Air wieder nach vorn gebracht werden sollte.“
Leslie nickte. „Es wäre gut zu wissen, wie die Probleme überhaupt aufgekommen sind. Wir brauchen jemanden, der sich die Firma mal anschaut – in der Zentrale und bei den Fliegern.“
Max nickte.
„Zurzeit sucht Polar Air wohl einen Piloten. Jemand mit Berufspilotenlizenz, der sich klug genug anstellt, könnte direkt vor Ort mehr über die Firma herausfinden.“
Max’ Neugier war plötzlich geweckt. „Du denkst, dass wir quasi jemanden einschleusen könnten?“
„Meine Kontaktperson könnte die Geschäftsführung sicherlich von unserem Kandidaten überzeugen, wenn wir einen hätten.“
„Alles klar – ich kenne genau den Richtigen für den Job.“
Max hatte bereits in der Highschool Flugstunden genommen, er hatte in den Ferien auf dem Bau ausgeholfen, um sich die Stunden zu finanzieren. Zehn Jahre später hatte er seine Berufspilotenlizenz und auch wenn sein Leben sich gänzlich anders entwickelt hatte, ließ er seine Lizenz nicht verfallen. Ihm gehörten ein paar schöne Oldtimer, eine Cessna zum Beispiel, und er flog, wann immer sich ihm die Gelegenheit dazu bot.
Es stand also fest. Max würde wieder fliegen – und das war beinahe das Einzige auf der Welt, wofür sein Herz wirklich brannte.
Claire Lundstrom steuerte das Wasserflugzeug über die Spruce Bay und ließ sich von den Luftströmungen tragen. Heute flog sie einen Vater mit seinem Sohn nach Takwalnot, einem perfekten Ort für eine Hütte, um in der Wildnis völlig ungestört zu angeln. Der Vater, Don Carpenter, saß hinten und genoss den Ausblick. Der achtzehnjährige Sohn Kyle saß vorn neben ihr und bemühte sich sichtlich, seine Aufregung im Zaum zu halten und möglichst cool rüberzukommen. Alle drei konnten über die Headsets miteinander sprechen.
„Sie haben den perfekten Tag für ihren Hinflug gewählt“, sagte Claire und genoss das Sonnenlicht über dem Wasser genauso wie ihre Passagiere – wenn nicht sogar noch mehr. „Dort vorne sehen Sie Mount McKinley“, erklärte sie. Der Gipfel ragte majestätisch und schneebedeckt vor ihnen auf. Sie ließ ihren Blick wieder übers Wasser gleiten und lächelte. „Schauen Sie nach links. Sehen sie die Wale?“
Sie ließ die Maschine etwas tiefer sinken und flog direkt über eine Schule von Grauwalen. Die Sonne ließ ihre Rückenflossen glitzern und einer ließ eine hohe Wasserfontäne steigen. „Wahnsinn“, rief Kyle. „Man kann den ganzen Wal im Wasser erkennen.“ Vater und Sohn zückten augenblicklich ihre Fotoapparate und knipsten wie verrückt. Claire schmunzelte bei dem Gedanken daran, wie dieses Erlebnis und die Erinnerung daran die beiden zusammenschweißen würde – denn darum schien es bei ihrem Trip ja zu gehen.
Sie konnte anderen Menschen zeigen, was sie selbst so liebte, und das war es, warum ihr der Job nie langweilig wurde. Sie flog eine Schleife, sodass ihre Passagiere die Wale noch eine Weile beim Spielen beobachten konnten. Dann wendete sie ab und flog in Richtung der Ferienhütte.
„Sie sind eine großartige Pilotin, vielen Dank“, sagte Don Carpenter, während sie das Flugzeug nach der Landung entluden.
„Sehr gerne.“
„Aber, um ganz ehrlich zu sein, sie kommen mir so jung vor – dass sie schon fliegen dürfen …“
Claire lachte, das hörte sie nicht zum ersten Mal. „Meine Großeltern haben Polar Air gegründet. Ich fliege schon, seit ich sechzehn bin.“ Den traurigen Part ihrer Geschichte ließ sie aus. Den, als ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, als sie gerade fünfzehn war. Niemand konnte etwas dafür, es geschah in einer Winternacht, die Straße war glatt und die Sicht schlecht und schon war es passiert. Damals wäre sie beinahe daran zugrundegegangen, und als man sie zu ihren Großeltern schickte, schwor sie sich zunächst, bei der ersten Gelegenheit aus dieser Wildnis abzuhauen. Doch eine Menge Liebe und Verständnis, gutes Essen und die Zeit halfen ihr dabei, den Schmerz zu überwinden. Und als sie sechzehn wurde, machte ihr Großvater sie zum Co-Piloten und ließ sie ein paar atemberaubende Minuten lang die Kontrolle über ein Flugzeug übernehmen. Von da an wusste sie, dass sie nichts anderes tun wollte, als zu fliegen.
Inzwischen war sie längst nicht mehr sechzehn sondern beinahe dreißig. Doch das Fliegen liebte sie noch immer genauso wie damals.
Als Nächstes flog sie drei Geschäftsmänner zurück nach Hause, deren sonnenverbrannte Wangen und zufriedene Ausstrahlung ihr verrieten, dass der Trip ein Erfolg gewesen war. „Wie war Ihr Ausflug?“, fragte sie.
„Fantastisch. Wir haben wunderbare Rotlachse gefangen, Sie können sich nicht vorstellen, wie lecker die waren.“
Claire wusste, was die drei für die Woche ungefähr bezahlt hatten – und war froh, dass sie erfolgreich gewesen waren. Das bedeutete nämlich, dass sie ihren Freunden davon erzählen würden und vielleicht sogar noch mal wiederkommen würden. „Nirgendwo angelt es sich besser als hier bei uns.“
Sogar die Wale spielten mit und waren noch immer im Wasser zu sehen. Wieder flog sie extra tief, um ihren Passagieren den besten Blick darauf zu ermöglichen.
Als sie die Polar-Air-Station wieder erreicht hatte, atmete sie tief durch. Sie hatte ein paar Stunden frei, bevor die nächste Tour anstand, also schlenderte sie zum Haus ihrer Großmutter.
Lynette Lundstrom war beinahe dreiundsiebzig und Claires absoluter Lieblingsmensch. Normalerweise besuchte sie ihre Großmutter jeden Tag, ob auf einen Kaffee oder ein paar Sandwiches. Und wenigstens zweimal in der Woche aßen sie zusammen zu Abend.
Sie klopfte und ging direkt in Richtung der gemütlichen Küche. „Ist der Kaffee schon durch?“, rief sie hoffnungsvoll. Keine Antwort. Automatisch wurde ihr Schritt schneller.
Lynette saß am großen Küchentisch und war von diversen Papierseiten umgeben.
Claire zog einen Stuhl heran und setzte sich mit besorgtem Blick zu ihrer Großmutter. „Was ist los?“
Lynette blickte zu ihr auf und zum ersten Mal sah sie wie eine alte Frau aus, fand Claire. „Wir haben ein Problem, fürchte ich. Die Bank will die Hypothek nicht verlängern.“
Claire betrachtete die Unterlagen. „Welche Hypothek?“
Ihre Großmutter war offensichtlich wütend, ihre Stimme zitterte. „Dein Großvater und ich haben diese Airline in den Fünfzigern gegründet“, begann sie – als ob Claire die Geschichte nicht kannte. „Wir sind immer nur geflogen, etwas anderes wollten wir nicht. Wir haben so viel mit aufgebaut in den Jahren. Wir haben die Gegend erreichbar gemacht.“ Wütend tippte sie mit den Fingern auf dem Tisch. „Das hier ist mein Leben – die Bank kann mir doch nicht einfach so die Airline wegnehmen.“
„Beruhige dich. Niemand nimmt uns irgendwas weg, das kann doch keiner“, sagte Claire und musste schlucken. „Oder?“
„Ich habe ein paar Sachen verschleppt, das stimmt wohl, aber …“
„Was hast du verschleppt?“, fragte Claire. Sie war sich keiner größeren Probleme bewusst. Klar, der eine und andere Geschäftszweig war in den letzten Jahren verkümmert, aber dafür hatten sie ihr touristisches Angebot doch massiv ausbauen können. Claire nahm die Unterlagen genauer in Augenschein. „Warum hast du mir denn nie etwas gesagt?“
„Ich wollte dich damit nicht belasten. Seit ich nicht mehr fliegen kann, wollte ich wenigstens die Geschäfte regeln. Ich war mir sicher, dass wir uns fangen und alles zurückzahlen können.“
Lynettes sorgenvoller Blick wanderte aus dem Fenster, das den schönsten Ausblick bot, den man sich vorstellen konnte. Ihr Haus stand auf einer Klippe an der Ozeanküste, man sah sich brechende Wellen und die vielen Inseln, die vor der Küste lagen, und konnte die Otter, Wale, Delfine und Seelöwen beobachten, die hier zu Hause waren.
Genau wie sie beide.
„Ich wollte dich damit nicht belasten“, wiederholte Lynette.
„Das nützt jetzt auch nichts. Erzähl, was ist los?“
„Nach dem Tod deines Großvaters habe ich Frank das Tagesgeschäft überlassen. Ich durfte nicht mehr fliegen und mit der Buchhaltung konnte ich noch nie gut.“
„Ich weiß.“ Lynette war vierzig Jahre lang Pilotin gewesen und wäre beinahe daran zerbrochen, als sie wegen eines leichten Herzinfarkts ihre Lizenz abgeben musste. Ironischerweise waren es allerdings nicht die Folgen des Herzinfarkts, die ihr heute zu schaffen machten, sondern dass sie nicht mehr fliegen durfte. Zum Glück hatte sie eine Beschäftigung gefunden, die sie forderte, seit sie die Damen-Eishockey-Mannschaft von Spruce Bay coachte.
Manchmal hatte Claire ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie die Geschäfte nach dem Tod ihres Großvaters nicht übernommen hatte. Aber sie flog einfach zu gern, als dass sie darauf verzichten wollte. Wie Lynette war sie davon ausgegangen, dass Frank Carmondy fähig und ehrlich war. Ein Trugschluss.
„Oh Liebes, du weißt ja nicht alles. Frank kam vor ungefähr fünf Jahren zu mir und meinte, dass wir einen höheren Kreditrahmen vereinbaren sollten. Die Wirtschaftskrise griff überall um sich und wir brauchten Kapital, also hat er alles arrangiert und ich habe es unterschrieben.“
„Großmutter“, sagte Claire und bemühte sich, ihre Stimme ruhig zu halten. „Über wie viel Geld reden wir hier? Und warum zur Hölle möchte die Bank ausgerechnet jetzt eine Rückzahlung?“
Max liebte das Fliegen – beinahe so sehr, wie er guten Sex liebte. Und in mancher Hinsicht gab es da ja auch viele Ähnlichkeiten. Dieses Gefühl von Freiheit und von vollständiger Hingabe, manchmal wild, manchmal entspannt und vertraut … beides gab ihm zuverlässig den Kick, nach dem er sich sonst so sehnte.
Auch heute wieder. Er flog über riesige grüne Wipfel die Küste entlang und über große Frachter und Kreuzfahrtschiffe hinweg. Aus der Luft konnte er sogar eine Gruppe Orcas, die durchs Wasser jagten, erkennen. Dann landete er mit seiner Cessna auf dem Flugplatz von Polar Air in Spruce Bay und ließ sie langsam ausrollen.
Er schaltete die Maschinen aus, zog sich das Headset vom Kopf, griff nach seinem Portemonnaie und stieg aus. Nachdem er das Flugzeug verschlossen hatte, betrat er das kleine quadratische Gebäude, in dem Polar Air seinen Sitz hatte.
Und fand sich direkt in einer ziemlich interessanten Situation wieder.
Als Allererstes fiel sein Blick nämlich auf den bestgeformten Hintern, den er je gesehen hatte. Er gehörte einer schlanken jungen Frau, deren dunkle Haare zu einem vollen Pferdeschwanz gebunden waren. Sie war intensiv in ein Gespräch mit einem mittelalten, dicklichen Mann vertieft – den sie wohl ganz schön in die Mangel zu nehmen schien.
Tatsächlich hatte keiner von beiden sein Hereinkommen bemerkt. „Ich bin die letzten Stunden die Unterlagen durchgegangen – es sieht so aus, als wäre Polar Air finanziell noch viel schlechter dran als gedacht“, hörte er die Frau sagen, noch bevor er mit einem Räuspern auf sich aufmerksam machen konnte. Max verharrte, der Flug hierher schien sich bereits auszuzahlen.
Das Gesicht des Mannes verdunkelte sich. „Woher nimmst du dir das Recht, die Unterlagen durchzusehen?“
„Meine Großmutter hat mich darum gebeten.“
„Und du bist plötzlich Buchhalterin oder wie?“
„Ich kann lesen und denken, Frank, und mir gefällt überhaupt nicht, was ich da gefunden habe.“
Sein Gesicht verfärbte sich dunkelrot. „Was meinst du damit?“
„Ich meine“, antwortete sie kalt und beherrscht, „dass die Rechnung nicht aufgeht.“
„Du und deine Großmutter, ihr wärt ohne mich verloren. Ich schlage vor, dass du deine Zunge lieber ein wenig im Zaum hältst, junge Dame.“
„Wo ist das Geld, Frank?“
„Das höre ich mir nicht weiter an, Claire. Wenn du nicht die Klappe hältst, rufe ich meinen Anwalt an.“
Einen Moment lang herrschte eisige Stille.
„Das ist eine gute Idee. Du solltest deinen Anwalt unbedingt anrufen. Du bist gefeuert.“
Max gefiel der Ausdruck auf dem Gesicht des fetten Mannes ganz und gar nicht. Und es gefiel ihm auch nicht, wie er sich langsam aus seinem Stuhl erhob und auf die Frau hinabsah. „Du kannst mich nicht entlassen.“
„Doch, das kann ich, ich habe es gerade getan. Du verschwindest jetzt am besten.“