Beseelt von Hoffnung (Seday Academy 10) - Karin Kratt - E-Book

Beseelt von Hoffnung (Seday Academy 10) E-Book

Karin Kratt

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Beschreibung

 **Der Sieg über die Vergangenheit könnte dich die Zukunft kosten ...** Nie zuvor hatte Cey mehr Verbündete an ihrer Seite oder war entschlossener in ihrem Kampf. Aber ihre Gegner greifen zu neuen, unerbittlichen Taktiken und setzen Ceys Familie gegen sie ein. Und der Preis für den Sieg über die Dunkelheit scheint unermesslich hoch zu sein. Nur Vertrauen kann Cey jetzt noch retten – in ihre Liebe zu Xyen, in sich selbst und in die Seday, ihre einstigen Feinde, die zu Freunden wurden. Doch gerade Vertrauen ist Ceys größte Schwäche ... Leser*innenstimmen zu Reihe »Geniale Serie« »Ein ganz besonderes Leseerlebnis« »Wahnsinn. Vielen Dank für diese wundervolle Reihe!«      Karin Kratt erschafft eine toughe Kämpferin, die sich in einer düsteren Welt behaupten muss. Stark, unnahbar und unwiderstehlich! //Dies ist der zehnte Band der Urban-Fantasy-Serie »Seday Academy.« Alle Bände der Buchreihe bei Impress: -- Gejagte der Schatten (Band 1) -- Verborgen in der Nacht (Band 2) -- Erschaffen aus Dunkelheit (Band 3) -- Gefangene der Finsternis (Band 4) -- Entfesselt durch Rache (Band 5) -- Verdammte des Schicksals (Band 6) -- Geboren aus Vergeltung (Band 7) -- Verfolgte der Vergangenheit (Band 8) -- Gezeichnete der Erinnerung (Band 9) -- Beseelt von Hoffnung (Band 10) -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 1-4 -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 5-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-10// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Karin Kratt

Beseelt von Hoffnung (Seday Academy 10)

**Der Sieg über die Vergangenheit könnte dich die Zukunft kosten …**

Nie zuvor hatte Cey mehr Verbündete an ihrer Seite oder war entschlossener in ihrem Kampf. Aber ihre Gegner greifen zu neuen, unerbittlichen Taktiken und setzen Ceys Familie gegen sie ein. Und der Preis für den Sieg über die Dunkelheit scheint unermesslich hoch zu sein. Nur Vertrauen kann Cey jetzt noch retten – in ihre Liebe zu Xyen, in sich selbst und in die Seday, ihre einstigen Feinde, die zu Freunden wurden. Doch gerade Vertrauen ist Ceys größte Schwäche …

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Vita

Glossar

Danksagung

© privat

Nach ihrem Studium fand sich die lesesüchtige Mathematikerin Karin Kratt in der Bankenbranche wieder. Doch so sehr sie Zahlen auch zu schätzen weiß, die Macht von Buchstaben begeistert sie weitaus mehr. Seit ihrer Teenagerzeit nutzt sie jede freie Minute, um ihre Ideen auf Papier zu bannen. Träume, die auf Streifzügen durch die südhessischen Wälder entstehen oder beim Herumtoben mit ihren drei ebenfalls lese- und fantasiebegeisterten Kids.

»Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume. Ich leb’ in euch und geh’ durch eure Träume.«

– Michelangelo –

Kapitel 1

Colorado, Cheyenne Mountain Operation Center

Es war dunkel, doch es herrschte keine erdrückende Finsternis. Es war kalt, aber nicht auf eine erbarmungslos eisige Weise. Es war leer und doch gab es so viel mehr als nur das Nichts. Es war … unbeschreiblich.

»Cey, verdammt, atme!«

Eine Stimme, nah und gleichzeitig unendlich fern. Ein Licht, warm und golden. Ein Gefühl, als würden sich Hände rhythmisch auf einen Brustkorb pressen, auf einen Körper, der einst ihr gehört hatte …?

»Atme!«

Gedanken formten und verloren sich wieder, ohne einen Sinn zu ergeben. Aber sie gehorchte und holte tief Luft. Würgte, erbrach Wasser, keuchte und erbrach sich erneut.

»Na endlich!« Tiefe Erleichterung verstärkte den chinesischen Akzent, der für gewöhnlich weit weniger ausgeprägt war. Keine Ahnung, woher sie das plötzlich wusste. Jemand half ihr vom Boden in eine sitzende Position auf, hielt sie von hinten und stützte ihren Oberkörper, während ein weiterer Krampf das letzte Wasser aus ihrer Lunge beförderte. Gierig sog sie die Luft ein und Finger strichen ihr fürsorglich die langen, nassen Haarsträhnen aus der Stirn.

Sie blinzelte, sah in das Gesicht eines vor ihr knienden jungen Mannes, dessen Augen nicht in einem typisch fröhlichen, verschmitzten Blauton schimmerten, sondern sich vor lauter Sorge in eine deutlich dunklere Nuance verfärbt hatten. Derjenige, der direkt neben ihm kniete, blickte sie mindestens genauso besorgt an.

»Schwesterlein, du hättest es keineswegs ganz so nervenaufreibend machen müssen. Ich dachte schon fast -« Er unterbrach sich selbst, musterte sie noch intensiver als zuvor. Und obwohl er sie keineswegs berührte, fühlte es sich an, als würde er sie sachte antippen.

Ein winziger geistiger Schubs – und urplötzlich war alles wieder da. Die Erinnerung daran, wer sie selbst war, an die verzweifelten Versuche, ihrer grausamen Vergangenheit zu entfliehen und ihr zukünftiges Schicksal nicht von unbarmherzigen Psychopathen bestimmen zu lassen. Sie erinnerte sich an Cheyenne Mountain und die mörderische Falle, in die EvolutionGenius sie gelockt hatte. An den unterirdischen Raum und die gewaltigen Fluten aus dem Wassersilo, denen ihre Freunde und sie nur hätten entkommen können, wenn sie einen von ihnen opferten …

»Nathan. Sahim. Lee.« Statt weiterhin gekrümmt dazusitzen, richtete Cey sich schlagartig auf. Ihr bestürzter Blick streifte die rissige Decke, die grau verputzten Wände und das Gitter im Fußboden, und fokussierte sich dann auf die Personen in ihrer Nähe. Hastig zählte sie durch. Wer war da und wer fehlte, wer –

»Es geht allen gut.« Die Hand eines dunkelhäutigen Mannes senkte sich beruhigend auf ihre Schulter. Xyen. Voller Sanftheit strich sein Daumen über ihren Hals. »Du bist als Letzte wieder zu dir gekommen.« Ein weiteres Mal liebkoste er sie unendlich zärtlich, bevor er sich fragend an seinen Freund Lee wandte, der sich gerade hinter Cey vom Fußboden erhob.

»Das wird schon wieder«, verkündete der Arzt das ewige Seday’sche Optimismusprinzip. »Gebt ihr noch einen Moment. Bald werden wir wieder Mühe haben sie zu bremsen, wenn sie mit gezücktem Schwert davonstürzen will.«

»Danke für die Vorwarnung, dann nutze ich das lieber schändlich aus«, erklärte Nathan und zog Cey in eine enge, stürmische Umarmung. »Meine Güte, du hast uns echt einen riesigen Schrecken eingejagt«, murmelte er, das Gesicht in ihren Haaren vergraben.

»Hey, ich will auch! Und ich habe ältere Rechte!« Sahims Arme schlangen sich nun ebenfalls um sie und beinahe hätte Cey der Versuchung nicht widerstehen können, sich an ihren Bruder und Nathan zu schmiegen und nichts weiter zu tun, als zu atmen. Als voller Faszination und Erstaunen wahrzunehmen, was sie gerade bis in die letzte Faser ihres Seins verspürte – sie lebte! Sie. Lebte.

Noch konnte sie sich jedoch nicht vollkommen bewusst darauf konzentrieren, auf dieses merkwürdige neue Wissen und Empfinden.

Ihr Blick zuckte zurück zu der geöffneten Tür zu ihrer Linken. Nikara stand dort zusammen mit Seven und Gael. Die bunte Punkfrisur des Dämonenanführers hatte ziemlich gelitten, sämtliche rot-blau-grüne Strähnen klebten platt an seinem Schädel. Er lächelte aber, als er ihren Blick auffing.

Six und Three hatten sich in der gegenüberliegenden Ecke an die Wand gelehnt und unterhielten sich leise. Auch sie nickten ihr lächelnd zu und einer knappen Begutachtung nach zu urteilen, waren die beiden ebenfalls unversehrt, so wie Xyen das behauptet hatte.

Aber wo zum Himmel steckten Rush und Jay? Hatten diese beiden vielleicht doch versucht, den Preis für das Überleben der Gruppe zu zahlen?

»Sch, sch. Sie sehen sich lediglich in den nächsten Räumen um. Nicht aufregen, Schwesterlein.« Sahims Geist strich behutsam über ihren hinweg, aber Ceys Herz hämmerte nur umso stärker. Es war zwar unfassbar schön zu hören und grenzte an ein Wunder, dass alle soweit wohlauf waren. Aber was dachte sich Jay bloß dabei, in diesem Komplex voller tödlicher Überraschungen herumzustreunen? Mit ausschließlich einem einzigen weiteren Seday an seiner Seite?

Cey stand auf und machte einen solch hastigen Schritt nach vorne, dass ihr prompt schwindelig wurde. Und kaum, dass die schwarzen Pünktchen wieder aus ihrem Gesichtsfeld wichen, traf sie ein eindeutig mahnender Blick von Lee. »Mach langsam!«, sagte er und es klang nicht im Mindesten wie eine Bitte.

»Hm, sind wohl schon beim Mit-dem-Schwert-losstürmen-Punkt angekommen«, bemerkte Nathan mit einem schiefen Grinsen und drängte sich erneut an ihre Seite.

Ceys Finger hatten sich tatsächlich bereits um den Griff ihres Schwertes gelegt. Weil sie inzwischen jedoch bemerkt hatte, dass sich Jays und Rushs Präsenzen tatsächlich nur wenige Meter von ihnen entfernt bewegten und das obendrein auf eine sehr bedachtsame statt leichtsinnige Art und Weise, nahm sie sich die Zeit für eine letzte Frage.

»Was ist passiert?«

»Du meinst, warum wir nicht ertrunken sind?« Sahim, der sie nicht für eine einzige Sekunde aus den Augen ließ, zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Der Raum war vollständig überflutet. Es gab keinen Ausweg. Doch dann hat sich die Schleuse plötzlich wieder verriegelt und die Tür ist aufgeglitten, ohne sich erneut zu schließen.« Er zeigte auf den offenen Durchgang zu dem Raum, in dem für sie beinahe alles geendet hätte. »Das Wasser ist hierher abgeflossen, durch das Gitter.« Jetzt deutete Sahim zu Boden. »Jay, Xyen und ich waren noch bei Bewusstsein. Lee und die anderen sind auch schnell wieder zu sich gekommen. Nur du hast ja unbedingt als Erste Wasser inhalieren -«

Auch dieses Mal vollendete ihr Bruder den Satz nicht, sondern biss sich stattdessen auf die Zunge. Cey fühlte sich mies, denn Sahims Furcht, sie zu verlieren, musste gigantisch gewesen sein.

Und erst recht fühlte sie sich mies, weil sie ihren Freunden gesagt hatte, gegen das Unausweichliche anzukämpfen wäre in ihrer Situation ein Fehler. Weil sie, die doch in all den Jahren niemals aufgegeben hatte, es akzeptiert hatte, dass es vorbei war, dass es jemand anderes sein würde, der EvolutionGenius und Zachriel zur Strecke brachte. Dabei hätte sie nur noch einige wenige Sekunden länger durchhalten müssen, bis Lieutenant Anderson, Callan und seine Gruppe die Kontrolle über die Computersteuerung des Wassersilos zurückerobert hatten und sie retteten.

»Nein, Schwesterlein«, widersprach Sahim sanft, der ihren Gedanken aufmerksam gefolgt war. »Callan oder dem restlichen Team verdanken wir unsere Rettung genauso wenig wie Lieutenant Anderson oder sonst jemandem vom menschlichen Militär. Es bleibt nur einer, der dafür verantwortlich sein kann. Und deswegen brauchst du dir auch keine Vorwürfe zu machen! Du hast richtig entschieden. EvolutionGenius’ Vorgehen ergibt nicht den geringsten Sinn!«

Das tat es wirklich nicht. Warum sollte dieser gestörte Kerl versuchen, sie alle zu ertränken, nur um sie dann im letzten Moment doch zu verschonen? Das war genauso idiotisch wie Killerroboter auf sie zu hetzen, die aber plötzlich trotz Hightech-Ausrüstung daneben ballerten.

Cey musste unweigerlich daran denken, wie Sahim und sie Jay gegen den Metallkoloss auf waghalsige Art und Weise zur Hilfe geeilt waren. Was hatte ihr Bruder nach der Konfrontation gesagt? Es ist echt strange! Eigentlich dürften wir nicht mehr im Diesseits weilen, Cey. Der Roboter muss uns mit all seinen Sensoren einfach registriert haben, als wir zu Jay gerannt sind. Wir haben jedoch noch nicht mal einen kleinen Kratzer abbekommen. Was bedeuten würde … er hat absichtlich vorbeigeschossen.

Nikara und Jay hatte der Roboter jedoch sehr wohl treffen wollen. Und der Graf war EvolutionGenius’ beschissenem Pfeil ebenfalls nicht entkommen. Der Mann, der seit seiner Jugend mit Astan befreundet gewesen war, war nicht minder brutal und gewissenlos wie ihr dunkler Schöpfer selbst, da machte Cey sich nichts vor. Doch genau wie Astan oder Zachriel war auch er sehr intelligent und handelte nicht einfach willkürlich. Wenn sein Vorgehen also einen bestimmten Zweck verfolgte … konnte das nur einer sein.

Ceys Augen blitzten entschlossen auf. Sie musste unbedingt zu Jay und Rush! Denn wenn sie sich nicht vollkommen irrte, würden die beiden einen weiteren Hinterhalt von EvolutionGenius eher überstehen, wenn sie bei ihnen war. Cey ging los – nicht so hastig wie zuvor, aber dennoch zügig – und Sahim folgte ihr seufzend. »Lektion Null«, murmelte er. »War ja irgendwie klar.«

»Hey, wartet!« Nikara schloss augenblicklich zu ihnen auf. »Ich will auch was von diesem Penner abhaben!« Sein Lippenpiercing glitzerte bedrohlich im Schein von Six’ Taschenlampe und die harte Miene des Dämonenanführers verkündete nur zu deutlich, dass er ebenfalls mehr als genug von all den perversen Spielchen ihrer Feinde hatte.

Six und Three blickten zu Xyen und Lee und waren offenbar unschlüssig, ob sie ihnen in den Weg treten oder zumindest vorweg marschieren sollten. Aber auf ein Zeichen von Xyen hin ließen sie Cey, Sahim und Nikara kommentarlos vorbei. Zielstrebig hielten diese auf Jays und Rushs Präsenzen zu, die anderen kamen ihnen wachsam nach.

»Kaiden, Ten und Zane haben den Grafen längst nach oben und in Sicherheit gebracht. Two und One hingegen versuchen immer noch, uns einen Rückweg zum Versorgungsschacht zu ermöglichen. Sie können die blockierte massive Stahltür zwischen uns allerdings nicht sprengen, ohne einen Tunneleinsturz zu riskieren. Stattdessen probieren sie, an die stromführenden Kabel heranzukommen und eine Überbrückung des defekten Schalters zu basteln. Es kann jedoch noch etwas dauern, bis sie die Tür tatsächlich aufkriegen«, verkündete Seven und gab damit eine mentale Nachricht seiner Kollegen weiter.

»Und Eight und Nine sagen, Lieutenant Anderson ist ausgerastet, als ihm klar wurde, dass sich hier unten bei ihnen ein gesuchter Terrorist versteckt«, ergänzte Gael grimmig. »Der Lieutenant ist mehr als beflissen, uns zu unterstützen, und hat bereits eine Untersuchung eingeleitet, wer von seinen Leuten mit EvolutionGenius zusammenarbeitet. Callan und den anderen ist es gelungen, den versiegelten Eingang zu diesem Wartungstunnel zu öffnen. Allerdings ist nach der ersten Biegung ein Teil der Decke eingestürzt und sie müssen noch einige Trümmer beseitigen, bevor sie zu uns stoßen können.«

Cey lauschte den Berichten nur mit halbem Ohr. Es war eine Erleichterung zu wissen, dass Verstärkung von gleich zwei Seiten aus unterwegs war, aber noch erleichternder wäre es, bei Jay und Rush zu sein.

Sie durchquerte einen weiteren leeren, grau verputzten Raum und dann erspähte sie endlich Jays hünenhafte Gestalt. Er und Rush standen nachdenklich mit gezückten Pistolen vor einem Durchgang, der lediglich von einem dicken, schwarzen Stoffvorhang geschützt zu sein schien. Die hintere Wand des Raumes wurde von Metallregalen gesäumt, in denen sich einige verstaubte Konservendosen stapelten. Dazwischen befand sich eine stählerne Tür mit einem Drehschalter, die recht ähnlich aussah wie jene, die sie bereits passiert hatten.

»Wie geht’s dir?« Jay sah sie zwar angespannt, aber auch sehr liebevoll an und Cey musste unweigerlich schlucken. Um ein Haar hätte sie niemals wieder seine Stimme gehört, hätte niemals wieder in diese jadegrünen Augen blicken oder über Jays beklopptes Training schimpfen können.

Er, der Schattenmeister, für den die Sicherheit seiner Leute oberste Priorität hatte, hätte sich beinahe durchgesetzt, beinahe hätte er den Befehl erteilt, dass sie ihn zurückließen … Doch für sie hatte er alle seine Prinzipien über Bord geworfen. Cey musste erneut schlucken. Zum Glück genügte Jay ein kurzes Nicken als Antwort.

Rush, der den Blick nicht vom Vorhang abgewandt hatte, ergriff nun das Wort. »Durch die Tür dahinten geht es nur noch in einen einzigen weiteren Raum, danach führt der Tunnel abwärts bis zu dem eingestürzten Abschnitt und anschließend in den Bunker. Wenn sich EvolutionGenius also nicht doch direkt in Lieutenant Andersons Büro versteckt, muss er sich irgendwo hinter diesem Vorhang befinden!«

»Na dann …« Nikara trat einen Schritt nach vorne, aber Jay streckte umgehend seinen Arm aus und stoppte den Dämon. »Wir warten auf Callan«, entschied er knapp.

Der Chef von Tajynos persönlicher Sicherheitsmannschaft war ihnen bereits wesentlich näher, als Cey ursprünglich angenommen hatte. Hochkonzentriert schloss sie die Augen, um all die Eindrücke auszuwerten, die ihr Geist ihr lieferte. Außer den J’ajal registrierte sie noch zahlreiche schwächer ausgeprägte Bewusstseine in etwas größerer Entfernung - Lieutenant Andersons Soldaten. Und noch ein menschliches Bewusstsein nahm sie wahr, in einigem Abstand zu dem Durchgang mit dem Vorhang und etwas tiefer gelegen. EvolutionGenius’ Name leuchtete vollkommen klar für sie auf, entweder um sie zu verhöhnen oder zu verlocken oder beides.

»Nur noch ein paar Minuten.« Das kam von Nathan. »Laut Callan lassen sich manche Steine erstaunlich leicht beiseiteschaffen und der Spalt ist schon fast groß genug, um sich hindurchzuzwängen.«

»Eine Tarnung«, vermutete Xyen spontan. »Eine stundenlange Abwesenheit wäre gewiss aufgefallen, also muss EvolutionGenius’ Gehilfe einen einfachen, raschen Zugang zu dessen Versteck haben. Dennoch sollte niemand, der vielleicht trotz des Verbots einen Blick in den Wartungstunnel riskiert oder gar ein paar Schritte hineinwagt, etwas bemerken.«

Cey stimmte der Überlegung ihres Mentors innerlich zu. An Jays Vorgabe konnte sie sich aber leider nicht halten. Sie schlug die Augen wieder auf und sah kurz zu Nikara, der ihr soeben eine lautlose Botschaft von einem ihrer Verbündeten weitergeleitet hatte. Die Miene ihres Freundes erschien Cey noch härter als zuvor.

»Wir haben keine paar Minuten mehr«, sagte sie laut. »Wir müssen jetzt los.« Jene SMS, die sie sich auf ihrem alten Handy vor dem Abstieg in den Wartungsschacht selbst gesandt hatte, war nämlich wie erwartet von demjenigen Wesen abgefangen worden, welches dieses Handy einst gehackt hatte. Allerdings erfolgte die Reaktion auf die Textnachricht wesentlich schneller als gedacht.

Cey holte tief Luft und übermittelte höchstpersönlich jedem einzelnen Seday, der mit ihr nach Colorado gekommen war, eine eindringliche Warnung. So gefährlich es bislang auch bereits für sie alle gewesen sein mochte – nun wurde es noch ungleich extremer.

Bevor Xyen, Jay oder ein anderer detaillierter nachhaken konnte, schnappte sich Sahim bereits eine alte Konservendose aus dem Regal. Angeekelt verzog er das Gesicht. »Zwanzig Jahre alte Bohnen, die braucht doch echt niemand mehr.« Er schleuderte die Dose auf den Vorhang. Dieser bauschte sich nach hinten auf und gewährte einen Blick auf rötlich-graues Felsgestein. Etwa drei Dutzend Schritte entfernt hing ein weiterer schwarzer Vorhang von der Decke.

»Verdammt!« Jay hätte Sahim wohl am liebsten gepackt und geschüttelt. Und Nikara und sie vermutlich gleich mit. Stattdessen gab er nun aber Rush mit einer Geste zu verstehen, zusammen mit ihm vorzurücken. »Was oder wen spürt ihr vor uns?«, fragte er.

»Nur ihn. E. Sonst niemanden«, antworte Nikara, nachdem er sich mental bei Cey und Sahim vergewissert hatte, dass ihm nichts entgangen war. »Zur Erinnerung: Über Monsterrobos ohne Bewusstsein können wir nichts sagen.«

»Schon klar«, murmelte Jay.

Schritt um Schritt schlichen sie voran, beäugten misstrauisch jede noch so kleine Ritze. Ceys Nerven waren bis zum Äußersten angespannt. Ihr Schwert hatte sie längst aus der Scheide gezogen und als einer der Seday hinter ihr versehentlich falsch auftrat und kleine Steinchen unter seinen Stiefeln vernehmlich knirschten, wäre sie beinahe herumgewirbelt und hätte einen Wurfstern geschleudert. Der in diesem Fall keinen Feind, sondern einen Freund getroffen hätte.

Reiß dich zusammen!, schalt Cey sich selbst. Sie spitzte die Ohren. »Hört ihr das auch?«, erkundigte sie sich lautlos bei Sahim und Nikara.

»Ja, Schwesterherz. Ein leises Piepsen und Surren. Macht mich ganz kirre …«

Cey lockerte für einen Moment bewusst ihre Muskeln und fokussierte sich noch mehr auf das, was ihre übermenschlichen Sinne ihr verrieten. Sie berührte Jays Geist und übermittelte ihm die exakte Position von EvolutionGenius’ Präsenz.

Plötzlich zuckte Rush zurück. »An diesem Vorhang ist eine Kamera angebracht«, warnte er leise.

»Stopp!« Jay ließ sie umgehend anhalten und Sahim drängte Cey ein Stück zur Seite, um zwischen ihr, Jay und Rush hindurchspähen zu können. »Gutes Auge, Rush«, lobte er anerkennend. »Sieht fast aus wie ein gewöhnlicher Befestigungshaken. Und wir brauchen gar nicht erst zu stoppen, denn EvolutionGenius wird uns ohnehin schon gesehen haben.«

»Das alles gefällt mir überhaupt nicht«, bemerkte Jay finster.

Auch Xyen schien kurz abzuwägen, Cey spürte seinen Blick deutlich zwischen ihren Schulterblättern. Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, wurden ihre Chancen geringer, das zu erreichen, was sie wollte. All diesen Scheiß ein für alle Mal zu beenden.

Xyen war nicht besonders begeistert gewesen, als sie ihm von ihrem alten Smartphone und dem anstehenden Aufeinandertreffen erzählt hatte, er hätte sich lieber erst mal nur mit EvolutionGenius befasst. Ceys psychische Reserven waren jedoch nahezu ausgeschöpft und erneut eine ungewisse Warterei zu ertragen – das hätte sie unmöglich geschafft.

Entschlossen trat sie nun nach vorne, schlüpfte an Rush vorbei und wich genauso geschickt Jay aus. Das Piepsen und Surren wurde lauter, als sie den schweren Vorhang kurzerhand mit ihrem Schwert zerteilte und aus dem Tunnel heraus geduckt auf eine metallische Gitterplattform mit Brüstung huschte.

Nur einen Sekundenbruchteil später flankierten Jay und Rush sie und gaben ihr mit ihren Waffen Deckung. Nikara und Sahim blieben in ihrem Rücken und Cey konnte spüren, wie sie vorsichtshalber ihre Macht für einen geistigen Angriff sammelten.

Links von ihnen führte eine Treppe von der Plattform nach unten, rechts war eine Art Lift angebracht. Die Plattform selbst bildete einen guten Aussichtspunkt, um die gewaltige Höhle zu überblicken, die sich vor und unter ihnen auftat. Überall gab es Monitore und Schaltpulte und armdicke Bündel von Kabeln verliefen kreuz und quer über Boden und Decke. Hunderte von roten, grünen und gelben Lämpchen leuchteten beständig oder flackerten wie wild und spendeten ein diffuses Licht.

In einer Ecke schien es eine Schlafnische und einen Kochbereich zu geben, in einer anderen einen Sanitärbereich, aber das technische Equipment überwog bei Weitem. Ein riesiger Tisch war genau mittig in der Höhle platziert und trotz seiner Größe verschwand er beinahe unter den Bergen von Hauptplatinen, Prozessoren, Speicherchips, elektronischen Sensoren, Blechverkleidungen, diversen Roboterarmen, halbfertigen Computern, Lötvorrichtungen, Strommessgeräten und sonstigem Schnickschnack.

Cey sah sich weiter um, versuchte etwaige Gefahren auszumachen. Das an der Decke angebrachte und in ihre Richtung zielende vollautomatische MG sah zum Beispiel alles andere als beruhigend aus, auch wenn der lange mit Munition bestückte Patronengurt momentan still und harmlos herabbaumelte.

Der große runde Knopf auf einem der Schaltpulte wirkte ebenfalls nicht sonderlich vertrauenserweckend, erst recht nicht in Kombination mit der Abbildung einer Cruise Missile auf dem Monitor dahinter. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um die geklauten hochentwickelten Marschflugkörper der US Air Force, von denen Xyen in der Academy gesprochen hatte. Welche unbarmherzige Zerstörungskraft würden diese wohl ausüben, sollten sie je aktiviert werden?

Normalerweise hätten sich tausend düstere Szenarien dazu in Ceys Kopf entsponnen, doch im Augenblick herrschte in ihrem Schädel eine seltsame Leere. Und wie sehr Cey sich auch bemühte, ihr Blick glitt immer wieder zu ein und derselben Stelle in der Höhle zurück.

Es existierten keine Fotos von EvolutionGenius außer jenen, die sie in Mareus’ Zuhause in Tibet entdeckt hatten. Sie hatten EvolutionGenius als Teenager und jungen Mann gezeigt, der bis auf die leicht versetzten und dadurch schief wirkenden Augen ein Allerweltsgesicht besaß. Da er sich nicht in einen J’ajal verwandelt hatte, hatte Cey erwartet, es mit einer deutlich älteren Version jenes Mannes auf den Fotos zu tun zu bekommen. Auf den EvolutionGenius, der untrügbar vor dem überladenen Tisch saß, war sie allerdings nicht gefasst gewesen. Sie hatte bereits gegen hunderte völlig unterschiedliche Feinde gekämpft. Aber niemals gegen jemanden wie ihn.

Und was jetzt?

Kapitel 2

»Kommt ihr endlich runter?«, nölte eine blecherne Stimme. »Ich warte inzwischen ja wohl lange genug!«

Cey presste die Lippen aufeinander und packte den Griff ihres Schwertes fester. Für einen Moment hatte sie sich tatsächlich verunsichern lassen bei dem, was nun zu tun war. Hatte sich verunsichern lassen durch den Rollstuhl, in dem EvolutionGenius’ schmächtige Gestalt zusammengesunken hockte, den Kopf an eine gepolsterte Seitenstütze gelehnt, den Blick starr auf einen am Rollstuhl angebrachten Monitor geheftet. Die linke Hand des Mannes ruhte auf einem Joystick, die rechte lag verkrümmt in seinem Schoß. Er musste um die siebzig sein, vielleicht hatte ihn sein gesundheitlicher Zustand aber auch wesentlich schneller altern lassen und er war gerade erst sechzig geworden.

Stufe für Stufe stieg Cey hinab und näherte sich angespannt jenem verhassten Mann, der ihr ohne den geringsten Funken Mitgefühl den Bruder hatte rauben wollen. Der ihre Freunde, ihre Familie angegriffen hatte. Der zusammen mit Astan und Zachriel mehr bestialische Morde verübt hatte, als sich überhaupt noch zählen ließen. Er war ein elender, grausamer Psychopath – nur das war von Bedeutung. Und nicht seine körperlichen Gebrechen.

»Cey«, sagte Jay leise, der ihr selbstredend dichtauf folgte. Zunächst schien er noch etwas ergänzen zu wollen, doch dann ließ er es sein. Sahim, Nikara, Three, Six und Rush schwiegen ebenfalls. Lediglich Xyens Stimme war kurz zu vernehmen, weil er Seven, Lee und Gael anwies, so weit oben wie möglich auf der Plattform auszuharren, ohne dass das MG sie direkt anvisieren konnte.

»Es ist ja schwieriger, dich alleine zu sprechen, als eine Audienz im britischen Königshaus zu erhalten«, meckerte es erneut aus einem Lautsprecher. EvolutionGenius benutzte einen Sprachcomputer, um sich zu verständigen.

Hatte er die gleiche unheilbare Krankheit, an der dieser berühmte menschliche Astrophysiker gestorben war? ALS? Lee hätte es gewiss herausfinden können, aber das Einzige, was Cey gerade wirklich interessierte, war, warum dieses Arschloch vor ihr nicht einfach schon vor Jahren verreckt war. Hätte ihr und der gesamten Welt viel Leid erspart.

»Dich alleine zu sprechen«, wiederholte Nathan nachdenklich, der von der anderen Seite an den Tisch herangetreten war und genau wie Jay, Three, Six und Rush seine Pistole auf EvolutionGenius richtete. »Du hast Dämonen-Wächter-Lektion Nummer Null erwähnt, Sahim. Es geht immer um Cey. Leben wir deswegen noch? Uns wollte dieser Scheißkerl loswerden, aber sie durfte keinesfalls sterben?« Ein drohendes Funkeln erschien in Nathans Augen und sein Tonfall wurde spürbar kälter. »Was willst du von ihr?«

»Ich rede nicht mit irgendeinem Seday-Schwachmaten, ich rede nur mit Cey!« EvolutionGenius’ Daumen drückte gegen den Joystick und der Rollstuhl schwenkte blitzschnell in Ceys Richtung herum.

»Keine Bewegung mehr oder wir schießen!«, brüllte Jay.

Cey beließ es nicht bei einer simplen Warnung. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde hatte sie zwei ihrer silbernen Wurfsterne gezückt. Und innerhalb eines weiteren Bruchteils verließen diese ihre Finger. Tief bohrten sie sich in EvolutionGenius’ Oberschenkel und in seinen Arm mit der verkrümmten Hand. Blut sickerte aus den Wunden hervor, doch EvolutionGenius lachte bloß, ein künstliches, schaudererregendes Lachen.

»Ich spüre diese Teile meines Körpers schon lange nicht mehr«, quäkte die blecherne Computerstimme. »Du hast schlecht gezielt. Und jetzt hör mir endlich zu. Ich habe mir doch nicht umsonst die ganze Mühe gemacht, Brotkrümel im Darkweb zu verstreuen und deine biometrischen Daten in sämtliche meiner Computer einzuspeisen, um dich heil an diesen Ort hier zu bringen!«

»Du wolltest, dass wir kommen, ja klar«, höhnte Nikara.

Ceys Blick blieb für einen winzigen Augenblick an dem Stückchen Papier hängen, welches nun zwischen den verkrümmten Fingern von EvolutionGenius’ rechter Hand hervorlugte, aber auch daran verlor sie sofort wieder das Interesse.

»Ich höre dir nicht zu«, verkündete sie mit ausdrucksloser Miene. Sie hob ihr Schwert, um EvolutionGenius’ verdorbenes Herz zu durchbohren. Obwohl das ein viel zu gnädiger Tod war. Sie sollte besser nur seine Lunge perforieren und ihn an seinem eigenen Blut ersticken lassen, so wie es dem Grafen beinahe ergangen wäre.

»Gute Idee, Schwesterchen.« Sahim grinste diabolisch. »Und zuvor finden wir heraus, welches Körperteil vielleicht doch noch zu spüren ist! Nikara, was willst du testen – Daumen oder Ohr?«

»Halt«, mischte Xyen sich mit ruhiger Stimme ein und trat vor, um sowohl Sahim als auch Nikara bestimmt in die Augen zu sehen. »Ihr werdet das nicht tun! Ihr seid nicht wie er. Oder wie Astan. Oder Zachriel.«

EvolutionGenius lachte erneut, dieses Mal klang es wie das irre Gackern von computersimulierten Hühnern. »Dieser Seday kennt euch nicht sonderlich gut, oder? Weiß nicht, wozu ihr fähig seid … Egal, denn wenn es schon um Vergleiche geht – eines ist offensichtlich: Zachriel ist nicht wie Astan!«

Jetzt wirkte EvolutionGenius wütend, furchtbar wütend sogar. Hässliche Furchen zeigten sich in seiner Stirn, seine Finger krampften sich um den Joystick und der Rollstuhl ruckte mehrere Millimeter durch die Blutlache, die sich inzwischen unter ihm gebildet hatte, bevor er wieder zum Stillstand kam. »Ich habe keine Angst zu sterben, denn das werde ich ohnehin bald«, tönte der Sprachcomputer.

So wahr. Cey erhielt einen mentalen Ping und wandte besorgt den Kopf, um ein lautloses Gespräch zu führen. »Wo steckst du? Was …? Gas?« Sie wurde blass. »Wie hat er …?«

Xyens Miene wirkte nun ebenfalls abwesend und äußerst besorgt. Selbst Jay wandte kurz seinen Blick von EvolutionGenius ab in Richtung der Gitterplattform, die am schnellsten zu Callan, Lieutenant Anderson und all den anderen Seday und Menschen führen würde. Wie konnten sie ihnen helfen?

EvolutionGenius brabbelte währenddessen aufgebracht weiter, er spürte nicht die Gefahr, die über das Cheyenne Mountain Operation Center gekommen war. Sogar seinem hektisch blickenden Rollstuhlmonitor schenkte er keinerlei Beachtung mehr. »Wusstest du, dass ich mehr DNA-Material und andere Proben von dir besitze als von irgendjemandem sonst? Du wirst mir schwören, Cey, etwas für mich zu tun! Dann werde ich dir verraten, wie du diese fehlerhafte Kopie, die sich Zachriel nennt, beseitigen kannst. Ein exaktes Spiegelbild von Astan, pah, von wegen! Etwas muss schiefgelaufen sein, als ich ihn erweckt habe. Niemals hätte Astan solche abstrusen Pläne geschmiedet wie dieser Idiot! Die Existenz der J’ajal öffentlich zu machen, seine Auserwählten als Herrscher in allen Nationen einzusetzen, tausende Menschen ohne weitere Kontrolle zu wandeln, das ist -«

EvolutionGenius’ anklagende Rede wurde von einem gewaltigen Knall und einem spürbaren Beben der gesamten Höhle unterbrochen. Tausende Tonnen von Gestein schirmten die unterirdische Bunkeranlage wirkungsvoll vor äußeren feindlichen Aktivitäten ab, doch mit Feinden innerhalb des Bunkers hatte niemand je ernsthaft gerechnet.

Insbesondere, wenn urplötzlich reizendes Gas in etliche Bereiche strömte. Gas, das durch ein Dutzend Lüftungsschächte gleichzeitig geleitet wurde, von denen sich zwar einige dank der entsprechenden Sensoren automatisch rechtzeitig selbst verriegelten, andere jedoch untätig auf den Computerbefehl eines vermeintlich ach so schlauen Mannes warteten, der sämtliche Systeme manipuliert hatte.

»Was war das?« EvolutionGenius rollte zu einem der vielen Computermonitore, just in dem Moment, als eine Höhlenwand mit einem weiteren Knall detonierte. Scharfkantige Steinsplitter und qualmende Überreste von Schaltpulten flogen als gefährliche Geschosse durch die Höhle und Cey duckte sich instinktiv unter den Tisch. Irgendetwas schrammte trotzdem über ihren Arm und hinterließ eine schmerzende, blutrote Spur, was Cey jedoch rasch ausblendete. Ebenso wie EvolutionGenius’ Gestöhne, der offenbar wirklich noch Gefühl in einigen Körperpartien besaß und ausgerechnet dort getroffen worden war.

Cey erhob sich wieder, ihr Schwert angriffsbereit erhoben. Am liebsten hätte sie sich umgesehen, um herauszufinden, wie es ihren Freunden ging, doch dafür blieb keine Zeit. Durch den Qualm und das Loch in der Höhlenwand schälte sich bereits der Umriss jenes Mannes, den sie sogar unter Millionen anderen Wesen problemlos wiedererkennen würde. Zachriel.

Begleitet wurde er von einer Handvoll schwerbewaffneter Verlorener - J’ajal, die keiner Organisation angehörten und deshalb Freiwild waren -, und drei apathisch dreinstarrenden Hayran mit einem dümmlichen Lächeln auf den Lippen. Okadias, Resic und Sablo.

Schwunghaft zog sich Zachriel eine Gasmaske vom Gesicht und schnalzte dann vorwurfsvoll mit der Zunge. »Meine Süße, hast du keinen Kalender? Oder kannst du plötzlich nicht mehr lesen? Auf der Karte, die ich dir im Eleven Madison Park Restaurant in New York habe zukommen lassen, stand doch ganz eindeutig: In exakt vier Monaten werden wir uns treffen. Diese vier Monate sind noch nicht vorbei. Hättest du EvolutionGenius für mich nicht irgendwo ein paar Wochen sicher wegsperren können? Du bringst meinen gesamten Zeitplan durcheinander!«

»Das tut uns aber leid.« Sahims Tonfall hatte nie ätzender geklungen. Mit vor Hass rot verfärbten Augen baute er sich an Ceys linker Seite auf, während Nikara wortlos den Platz rechts von ihr einnahm. Aus den Augenwinkeln registrierte Cey, wie Xyen, Nathan, Jay und seine Leute ihre Positionen ebenfalls veränderten.

Sowohl Zachriel als auch die Verlorenen befanden sich in direkter Schussbahn von gleich mehreren Seday-Waffen, aber niemand von ihnen schien sich deswegen ernsthaft zu sorgen. Mit gelangweilten Mienen standen sie da, ihre eigenen Maschinenpistolen nur halbherzig erhoben.

Eine Ausnahme bildete lediglich der langhaarige Verlorene ganz hinten, der aussah wie ein Wikinger. Sein Bart reichte ihm bis weit auf die Brust hinab und war zum Teil geflochten. Sein Bewusstsein verriet Cey den Namen Thorn. Auf einem Auge war Thorn offenbar blind, es war milchig verfärbt. Selbst seinen wahnsinnigen Boss überragte er um eine gute Handbreit, was bedeutete, dass er über zwei Meter groß sein musste. Er hielt statt einer Pistole eine gefährlich aussehende Doppelaxt in den Händen und seine Haltung verdeutlichte, dass er sehr versiert im Umgang mit dieser war.

Dich werde ich besonders im Blick behalten!, ermahnte Cey sich innerlich. Kurz schielte sie zu den Hayran – der vorderste war Okadias, ein grauäugiger Mann mit Ziegenbart. Sein Schützling Resic stand direkt neben ihm. Dieser eitle Wächter hatte Cey schon so einige Probleme beschert, aber dennoch gehörte er zu den Ihrigen. Sablo, dem dritten Hayran, der eine recht bullige Statur besaß, war sie ebenfalls schon ein paar Mal begegnet. Er war Teil von Okadias’ Truppe, die weithin berühmt-berüchtigt dafür war, wie kompromisslos und brutal sie innerhalb ihres Schmuggelgewerbes vorging. Kaum jemand wagte es, sich mit Okadias und seinen Leuten anzulegen. In ihrem aktuellen Zustand würden Okadias, Sablo und Resic jedoch nicht einmal einem kleinen Lämmchen Angst einjagen.

Ist es Zachriel gelungen seine Zombie-Droge an unsere J’ajal-Physiologie anzupassen? Und Resic und die anderen wurden gezwungen das Zeug zu schlucken?, grübelte Cey. Bislang hatte die virale Komponente der Droge lediglich Menschen für Zachriels psychische Beeinflussungen empfänglich gemacht, dennoch hatte sie Resic ausdrücklich vor der Droge gewarnt. Ob Lees Gegenserum bei ihnen anschlägt? Um dieses zu verabreichen, mussten sie allerdings erst einmal an die drei Hayran herankommen …

Cey straffte sich und glitt ein Stückchen näher auf Zachriel zu. Der hob befehlend die Hand.

»Bleib stehen! Ich habe eine kleine Überraschung für dich, meine Süße. Aber zunächst - dieses Gestöhne nervt.« Es war unmöglich zu erkennen, was Zachriel tat. Er zog keine Waffe und seine Schergen rührten sich augenscheinlich ebenfalls nicht. Und trotzdem verstummte EvolutionGenius abrupt. Flüchtig sah Cey zu ihm hinüber – er war aschfahl, die Augen waren weit hervorgequollen und sein Körper noch verkrampfter als zuvor. Aus seinem gebrochenen Blick sprach nackte Panik. Was auch immer in den letzten Sekunden seines Lebens passiert sein musste, es war gewiss nicht angenehm gewesen. Ohne Bedauern zu empfinden, wandte Cey sich wieder zurück.

»Von alten, überflüssigen Freunden sollte man sich tunlichst trennen, nicht wahr?«, verkündete Zachriel leichtfertig. »Hast du deswegen Zane und den Grafen nicht mit dabei? Oder …« Seine Augen verengten sich und eisige Klauen bohrten sich in Ceys geistige Barrikaden. Sie zuckte kurz zusammen, doch sie war vorbereitet gewesen. Ihre mentalen Schilde hielten.

»Oder«, fuhr Zachriel ungerührt fort, »lauern die beiden Jammerlappen mir irgendwo auf? Hattest du etwa vor, mich hier herauszufordern? Mit deinen putzigen Seday und deinen Hayran-Kumpeln als Verstärkung? Schließlich war dir ja klar, dass ich dein Smartphone nicht vergessen habe und alle Nachrichten überwache, die du damit verschickst.«

Cey schwieg. Sie hatte tatsächlich versuchen wollen, Zachriel auszutricksen. Deshalb hatten ihre Brüder und sie auf dem Weg von der Academy nach Colorado auch nicht nur die Bestandteile ihres alten Handys wieder eingesammelt und zusammengesetzt, sondern sie hatten sich als Allererstes mit Resic getroffen. Um ihn zu bitten, sich so schnell wie möglich ein gutes Versteck auf dem Cheyenne Mountain zu suchen, noch bevor sie selbst dort eintrafen.

Und sie hatten ihn gebeten, die jüngst erbeutete EMP-Waffe, die gestaffelte Impulse erzeugen konnte, mitzubringen. Die Idee war gewesen, Zachriels Fluchtfahrzeug auszuschalten und ihn zu zwingen, auf ein anderes Transportgefährt auszuweichen … eines, das Resic dann noch mit einem passenden Peilsender hätte versehen sollen.

Wie abgesprochen hatte der Wächter ihnen Zachriels Ankunft sofort mental mitgeteilt und er hatte sie sogar noch über das Gas informieren können, aber danach musste etwas furchtbar schiefgelaufen sein.

Ein, zwei andere Asse besaß Cey zwar noch, doch wenn sie diese zu früh einsetzte, starben womöglich Unschuldige. »Du hast, was du wolltest. Verrate uns jetzt die Deaktivierungscodes für sämtliche Raketen in deinem Besitz!«

»Werd nicht albern, Cey.« Zachriel verzog spöttisch das Gesicht, ehe er einer lautlosen Stimme zu lauschen schien. »Hm, scheint, als wären die Menschlein hier nicht ganz so unfähig wie manche ihrer Artgenossen. Sie bekommen das Gasproblem allmählich in den Griff. Ein wenig Zeit bleibt uns aber noch, denn offenbar sorgen sie sich um das Wohlergehen der Geiseln, die wir im Eingangsbereich aufgegriffen und höflich gebeten haben, uns nach unten zu geleiten.«

Cey wusste bereits von Xyen, dass Callan und Lieutenant Anderson gerade alles in ihrer Macht Stehende unternahmen, um die Soldaten, die in der Nähe des Aufzugs von einer weiteren Handvoll Verlorener bewacht wurden, zu befreien. Und obwohl Xyen ihr das nicht mitgeteilt hatte, wusste sie ebenfalls, dass einige von ihnen schwer verletzt, manche vermutlich sogar schon tot waren. Schließlich hatte Zachriel noch nie höflich um etwas gebeten.

Wir hätten den Bunker doch vorab evakuieren sollen!, meldete sich Ceys schlechtes Gewissen zu Wort. Keiner dieser Menschen hätte in dieser Nacht sterben müssen. Sie hatten das Risiko jedoch sorgfältig abgewogen und auch Jay und Xyen waren der Meinung gewesen, eine Evakuierung wäre EvolutionGenius keineswegs entgangen. Und dann hätte dieser mit ein paar Tastendrücken eine Menge Lebewesen töten können … Es war einfach nur zum Kotzen!

»Also machen wir endlich Schluss«, übermittelte Sahim ihr lautlos. Sein Wächterschwert hielt er in der linken Hand, die rechte hielt er hinter seinem Rücken versteckt. Er stand inzwischen leicht versetzt zu Cey, sodass ihr Körper ihm Deckung gab und Zachriel nicht sehen konnte, was er tat. Langsam und vorsichtig tasteten seine Finger zu den speziell präparierten Wurfsternen, die in seiner hinteren Hosentasche steckten.

Er berührte sie bereits, da sagte Zachriel: »Ich habe Geschenke für euch. Wenn auch nicht ganz wie abgesprochen, hast du mir trotzdem die Anstrengung erspart, Cey, EvolutionGenius selbst ausfindig zu machen. Von daher …«

Er wandte sich an einen seiner Verlorenen, nahm ihm etwas ab und warf es Cey, Sahim und Nikara vor die Füße. Es war ein schwarzes Lederband mit einem blutigen Haifischzahn, auf den eine rote Clownsnase aufgespießt war. Der Dämonenanführer erstarrte. »Der Anhänger gehört Bethor«, flüsterte er voller Beklemmung in der Stimme.

»Du erkennst ihn also.« Zachriel amüsierte sich offenbar prächtig. »Stell dir vor, wo ich diesen Narr und seinen Freund aufgespürt habe. In der Nähe eines Zirkus, ist das zu fassen? Ich wollte mich dort eigentlich mit einem Geschäftsmann treffen, kam aber leider zu spät. Die Vorstellung muss wirklich hervorragend gewesen sein!«

»Das war doch in den Nachrichten«, murmelte Lee bestürzt. »Millionärsclub und Zirkusdirektor während Aufführung von Raubtieren zerfleischt. Du bist dafür verantwortlich?«

Jetzt amüsierte Zachriel sich noch prächtiger. »Aber nicht doch. Anakim und Bethor haben sich nicht ganz so verweichlichen lassen wie die liebe gute Cey.«

Cey konnte den Blick nicht von dem blutigen Haifischzahn abwenden. Bevor Nikara in der Nacht zu ihnen gestoßen war, hatte er die halben Staaten nach den beiden Dämonen abgesucht. Anakim und Bethor hatten Gesundheitsshake-Pulver bei Lee geordert, waren dann aber völlig unerwartet nicht am vereinbarten Übergabeort aufgekreuzt.

Zusammen mit Neraphina und Tariel hatte Nikara bereits herausgefunden, dass die vermissten Seinigen den menschlichen Direktor eines überaus skurrilen Zirkus mitsamt dem sadistischen Publikum abgemurkst hatten. Den unschuldigen, zwangsverschleppten Artisten war jedoch kein Haar gekrümmt worden. Es war kein Wunder, dass Zachriels Geschäftspartner zu jenem reichen Klientel gezählt hatte, welches sich am Leid Schwächerer ergötzte. Und jetzt hatte er Anakim und Bethor in seiner Gewalt …

»Lass sie sofort frei«, verlangte Cey in einem harten Tonfall.

Zachriel lachte bloß. »Warum sollte ich? Wir haben uns bereits so furchtbar nett unterhalten. Weißt du, meine Süße …« Jetzt schlich sich Wut in Zachriels Miene. »Ich hatte eigentlich Interesse daran, mich intensiver mit einer entzückenden, kleinen dominikanischen Familie zu beschäftigen. Wie heißen sie gleich?« Er tat, als müsste er überlegen und Übelkeit stieg in Cey auf. »Ach, ja. Sheila. Jeremy. Und insbesondere Ryan. Du weißt nicht zufällig, wo sie stecken, oder?«

Sheila und ihr kleiner Sohn bewohnten inzwischen das Haus in Venmore Hills, das Cey von Jisuho geerbt hatte. Unauffällig geschützt wurden die beiden von Lavina und Forcas, einer Wächterin und einem Dämon. Für Ryan war jedoch noch ein weitaus größerer Schutz notwendig gewesen – denn er war dabei, sich in einen J’ajal zu verwandeln. Unter dem selbst gewählten Namen Veyron versuchte er sich derzeit an der Seday-Academy in die neue Welt einzufinden, die sich ihm eröffnet hatte.

Nur zu gerne hätte Cey gewusst, ob und wie Zachriel bei Veyrons Wandlung die Finger mit im Spiel hatte, aber sie würde sich hüten, ihm eine dementsprechende Frage zu stellen und dadurch vielleicht wertvolle Informationen preiszugeben, welche dieser Arsch noch nicht besaß.

»Weißt du, was Anakim mir erzählt hat?« Zachriels Blick bohrte sich in Sahim und Cey spürte, wie ihr Bruder sich noch weiter anspannte.

»Lass dich nicht provozieren«, sandte sie ihm lautlos zu, obwohl ihr diese Anweisung selbst mehr als schwerfiel.

»Ihr habt beide gemeinsam versucht, etwas über eure arabischen Wurzeln herauszufinden. Ist das nicht goldig? Als wenn es irgendwo noch eine Spur zu euren armseligen Familien gäbe!«

Sahim knirschte hörbar mit den Zähnen. Bevor er jedoch sonst wie reagieren konnte, tat es ein anderer. Nathan.

»Du verdammter Pisser!«, knurrte er und schleuderte einen Wurfstern. Thorn riss die Axt nach oben, er wollte den Stern offenbar abwehren. Gleichzeitig wich Zachriel blitzschnell zur Seite aus. Sowohl er als auch Thorn waren trotzdem einen winzigen Tick zu langsam – die Zacken des Wurfsterns ratschten über Zachriels Schulter, zerschnitten den Stoff des Shirts und verursachten eine fingerlange, blutende Wunde.

»Glückwunsch!«, fauchte Zachriel aufgebracht. »Genau diese Verletzung wird bald auch Zoes Schulter zieren.«

Bei der Erwähnung dieses Namens wurde Cey nun richtig schlecht. Es gab derzeit nur eine einzige Zoe, die für sie eine tiefere Bedeutung besaß. Nämlich weil sie die Menschenfrau war, die Sahim von ganzem Herzen liebte.

Ihr Bruder begann zu zittern und die Finger seiner Hand schlangen sich so fest um den Schwertgriff, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Nein!«, stieß er gepresst hervor.

»Oh, doch!«, tönte Zachriel. »Eine nette Entschädigung für Sheila, Jeremy und Ryan finde ich. Gut, dass du Anakim am Telefon von ihr erzählt hast, von dieser jungen, hübschen Kellnerin aus Garth City. Jetzt kann ich mich von ihr bedienen lassen. Und das beschränkt sich keineswegs nur auf das Servieren von Essen.«

Zachriels Lippen hatten sich noch nicht vollständig zu einem anzüglichen Grinsen verzogen, da stürzte Sahim auch schon los. Und in diesem Moment war es Cey völlig egal, wie viele Raketen Zachriel womöglich schon gestartet haben mochte oder über welchen Taktiken sie tagelang gebrütet hatten. Zachriel durfte nicht in sein Versteck zurückkehren! Er durfte Zoe nicht das antun, was sie selbst in so vielen grausamen Nächten erlitten hatte! Sie rannte mit ihrem Bruder, Seite an Seite. Die Absätze ihrer Schuhe erzeugten ein dumpfes, stakkatoartiges Hallen in der Höhle und glühender Zorn ließ Sahims und Ceys Augen tiefrot aufblitzen.

Der gelangweilte Gesichtsausdruck der Verlorenen verflüchtigte sich. Einer der Männer hielt Resic hastig seine Waffe an den Kopf und brüllte »Halt!«. Auch Okadias und Sablo wurden gleichermaßen bedroht. Sie taten Cey leid, aber keiner von ihnen würde die Kugel, die ihr Leben beendete, spüren. Zoe hingegen würde alles spüren, wieder und wieder, dafür würde Zachriel schon sorgen.

Also stoppten weder Sahim noch Cey. Noch bevor sie Zachriel erreichten, trat jedoch eine Gestalt neben Thorn, die zuvor von der Höhlenwand verborgen gewesen war. Eine Gestalt, die Cey nicht gespürt hatte, weil ihre Präsenz absolut perfekt getarnt war. Als wären sie mitten gegen einen unsichtbaren Betonpfeiler gekracht, kamen Sahim und Cey abrupt zum Stillstand.

»Ist das …?«, erkundigte sich einer der Seday ungläubig. Cey gelang es nicht, seine Stimme zuzuordnen. In ihrem Kopf dröhnte und rauschte es, ihr war heiß und kalt zugleich. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie wirklich verarbeitet hatte, wen sie da vor sich sah.

Er war so klein und gleichzeitig wesentlich größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Thorn ging er gerade mal bis zur Hüfte. Die dunklen Haare waren kurzrasiert und wenn er bei einem vagen Hinsehen womöglich als gewöhnlicher Fünfjähriger durchgehen mochte, so war er doch bereits wesentlich muskulöser als andere Kinder diesen Alters. Eigentlich war er ja auch schon zehn, die langsamere J’ajal-Alterung und Astans Experimente verwischten diese Tatsache jedoch gekonnt.

Er trug ein ärmelloses Shirt mit Kapuze und eine schwarz getönte Sonnenbrille. Auf der rechten Seite seines Gesichts schlängelten sich Schmucknarben von der Stirn bis zum Kinn. Cutting funktionierte normalerweise bei J’ajal überhaupt nicht, die Wunden heilten viel zu schnell. Irgendeine mit Sicherheit äußerst schmerzhafte Methode hatte bei diesem Jungen aber anscheinend doch funktioniert.

Jetzt setzte er die Sonnenbrille ab und spätestens in diesem Moment hätte ihn absolut niemand mehr für gewöhnlich gehalten. Seine Augen leuchteten in sämtlichen Farben des Regenbogens.