Erschaffen aus Dunkelheit (Seday Academy 3) - Karin Kratt - E-Book

Erschaffen aus Dunkelheit (Seday Academy 3) E-Book

Karin Kratt

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Beschreibung

**Der Schlüssel zum Licht liegt verborgen in der Dunkelheit** Mittlerweile hat Cey sich mit ihrer mehr oder minder freiwilligen Ausbildung zur Seday abgefunden. Sie genießt die Freundschaften und die Vertrautheit, die sie an der Academy gefunden hat – besonders die einzigartige Verbindung mit ihrem attraktiven Mentor Xyen. Doch nicht alle an der Seday Academy sind mit ihrer Anwesenheit einverstanden. Und auch viele aus Ceys Reihen sind geradeheraus dagegen, dass Cey die dunklen Geheimnisse ihrer Welt mit den Seday teilt. Vor allem jetzt, da eine neue Gefahr im Schatten der Dunkelheit lauert… Eine actionreiche Fantasy-Reihe mit Suchtfaktor: Karin Kratt erschafft eine toughe Kämpferin, die sich in einer düsteren Welt zu behaupten weiß. Stark, unnahbar und unwiderstehlich! //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der Fantasy-Bestseller-Reihe:  -- Gejagte der Schatten (Seday Academy 1)   -- Verborgen in der Nacht (Seday Academy 2)   -- Erschaffen aus Dunkelheit (Seday Academy 3)  -- Gefangene der Finsternis (Seday Academy 4)  -- Entfesselt durch Rache (Seday Academy 5)  -- Verdammte des Schicksals (Seday Academy 6)  -- Geboren aus Vergeltung (Seday Academy 7)  -- Verfolgte der Vergangenheit (Seday Academy 8) -- Gezeichnete der Erinnerung (Seday Academy 9) -- Beseelt von Hoffnung (Seday Academy 10) -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 1-4 -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 5-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-10// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Karin Kratt

Erschaffen aus Dunkelheit (Seday Academy 3)

**Der Schlüssel zum Licht liegt verborgen in der Dunkelheit** Mittlerweile hat Cey sich mit ihrer mehr oder minder freiwilligen Ausbildung zur Seday abgefunden. Sie genießt die Freundschaften und die Vertrautheit, die sie an der Academy gefunden hat – besonders die einzigartige Verbindung mit ihrem attraktiven Mentor Xyen. Doch nicht alle an der Seday Academy sind mit ihrer Anwesenheit einverstanden. Und auch viele aus Ceys Reihen sind geradeheraus dagegen, dass Cey die dunklen Geheimnisse ihrer Welt mit den Seday teilt. Vor allem jetzt, da eine neue Gefahr im Schatten der Dunkelheit lauert …

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© privat

Karin Kratt ist eine lesesüchtige Mathematikerin, die sich nach ihrem Studium in der Bankenbranche Frankfurts wiederfand. Doch so sehr sie ihre Zahlen auch zu schätzen weiß, die Macht der Buchstaben begeistert sie noch weitaus mehr. Sie nutzt jede freie Minute, um ihre Träume auf Papier zu bannen. Träume, die bei ihren Streifzügen durch die endlosen Felder des hessischen Rieds entstehen oder auch mal ganz simpel auf der Liege im heimischen Garten.

Kapitel 1

Der Morgen begann so vielversprechend. Samera hatte gut geschlafen, was eine wahre Seltenheit war, die Sonne schien warm vom wolkenlosen Himmel und der Kaffee aus der Bäckerei an der Ecke schmeckte einfach nur köstlich. Und dann das.

»Spontanbesuch des FBIs am frühen Nachmittag«, verkündete Braydon Shadd, ihr Chef, kaum dass sie ihren Schreibtisch in Fort Meade, dem Hauptsitz der NSA, erreicht hatte. »Einer der Agents hat ein paar Fragen an uns.«

Ein paar Fragen? Im Normalfall bedeutete das nichts anderes als endlose Stunden mit Erklärungen und Rechtfertigungen und noch mehr Erklärungen. Worauf beruhten ihre Risikoeinschätzungen und ihre Entwarnungen, was für eine Erkenntnis hatte welche Handlung nach sich gezogen und und und …

Samera hasste diese Gespräche. Andererseits war es wohl durchaus sinnvoll, wenn die Überwacher der Vereinigten Staaten ebenfalls überwacht wurden, und sie hatte schließlich immer gewusst, auf was sie sich mit ihrem Job beim amerikanischen Geheimdienst einließ.

Ihrer Kollegin Tierra Vale, die am Schreibtisch neben Samera saß, bereitete der Gedanke an die anstehende Verhörrunde offenbar ebenfalls Unbehagen, denn sie verzog missmutig ihr rundes Gesicht.

»Ich kann nichts dafür!«, verteidigte sich Braydon und mit dem Zeigefinger schob er seine Nickelbrille zurecht, die ihn noch intelligenter erscheinen ließ, als er es eh schon war. »Die Order kommt von ganz oben. Wenn es nach mir ginge, hätte der Kerl frühestens nächsten Monat einen Termin erhalten.«

Das stimmt, dachte Samera. Und niemand machte Braydon einen wirklichen Vorwurf. Er war ein prima Vorgesetzter und hielt ihnen die anderen Sicherheitsbehörden so gut es ging vom Hals, damit sie in Ruhe ihre Arbeit erledigen konnten. Aber manchmal war eben auch sein Einfluss nicht groß genug.

»Irgendetwas Spezifisches oder müssen wir uns auf eine generelle Rechtfertigung unserer Existenz einstellen?«, erkundigte sich Tierra stirnrunzelnd.

Braydon lachte. »Ich glaube, beides. Das FBI interessiert sich für den S-Tragon Hacker, doch es gibt wohl noch einen weiteren Grund.« Er zuckte mit den Schultern. »Fragt mich nicht welchen.«

S-Tragon, ja, der hat für einige Aufregung gesorgt. Mit einem ausgeklügelten Virus war es diesem Hacker gelungen, sämtliche Sicherheitsvorkehrungen des Committee of Global Security zu umgehen und in die persönlichen Daten des Vorsitzenden Mason Kibera einzudringen. Kibera war natürlich alles andere als erfreut darüber gewesen und hatte eine sofortige und umfangreiche Aufklärung gefordert. Bis auf den Codenamen des Hackers gab es allerdings keine einzige verwertbare Spur und den Namen wussten sie auch nur deshalb, weil S-Tragon ihn absichtlich in seinem Virus hinterlassen hatte.

Braydon zog sich in sein Büro zurück und Tierra überwand ihren Verdruss mit einem tiefen Seufzer. Sie drehte ihren Schreibtischstuhl in Sameras Richtung und die nächsten Minuten plapperte sie über ihr aktuelles Lieblingsthema – den Neuen. Nathan hieß der attraktive, braungebrannte Kerl. Er war siebenundzwanzig, groß, blond, blauäugig und seit seinem Eintritt in die Abteilung der Traummann aller weiblichen Mitarbeiter.

Samera war davon ausgegangen, dass die männlichen Kollegen mit Eifersucht reagieren oder sich zumindest nicht begeistert zeigen würden, doch das genaue Gegenteil war eingetreten. Nathan schien sie alle um den kleinen Finger zu wickeln, jeder mochte ihn. Nur sie selbst nicht.

Okay, das war jetzt vielleicht ein wenig übertrieben, Nathan war ja schon recht nett. Er hatte allerdings etwas an sich, das Samera immer wieder irritierte. In Nathans Nähe hatte sie andauernd das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Mit ihm. Mit ihr.

Samera versuchte den Neuen zu ignorieren, aber das erwies sich als nahezu unmöglich. Denn erstens hatte Braydon Nathan an den Schreibtisch ihr gegenüber platziert und zweitens schien der Typ sich ausgerechnet für sie zu interessieren, für die einzige Person, die ihm nicht vollkommen erlegen war.

»Samera, hörst du mir überhaupt zu?« Tierra schnippte vorwurfsvoll mit ihren Fingern und deutete anschließend auf ihren Computerbildschirm. Die mollige Dreißigjährige hatte sich offenbar bereits ihrer Arbeit zugewandt, ohne dass Samera es mitbekommen hatte.

»Nein, tut mir leid«, antwortete sie wahrheitsgemäß und wandte ihre Aufmerksamkeit den Datenkolonnen auf dem Bildschirm zu. »Was stimmt mit der Zeta-Verschlüsselung nicht?«

»Aha.« Tierra nickte zufrieden. »Dann hast du ja doch zugehört. Also, pass auf …«

Für einen Moment kreuzte sich Sameras Blick mit dem von Nathan. Ihr neuer Kollege war gerade an seinen Schreibtisch getreten und irgendetwas schien ihn bestens zu amüsieren. Machte er sich etwa über sie lustig?

Samera verdrängte das wiederaufkeimende Misstrauen und konzentrierte sich auf Tierras Ausführungen.

***

Die Stunden vergingen wie im Flug und gegen Mittag erschien neben ihrer Tischgruppe Milo Cusson. Der bekennende Kaffeejunkie und Stellvertreter von Braydon wies sie darauf hin, dass es höchste Zeit zum Essen wurde – außer, sie wollten mit leerem Magen vor das FBI treten.

»Nathan, du kommst doch mit, oder?«, flötete Tierra mit ihrer süßesten Stimme. O Himmel! Samera musste bei dem schmachtenden Tonfall beinahe würgen.

»Natürlich«, erwiderte Nathan prompt. »Auf eine so hinreißende Einladung würde ich niemals verzichten.«

Wie in einer billigen Seifenoper …

Samera erhob sich kopfschüttelnd und folgte ihren Kollegen in die Kantine. Die Schlange für die vegetarische Mahlzeit war am kürzesten und somit war sie die Erste, die sich an ihrem Stammtisch am Fenster niederließ. Ein paar Minuten später setzte sich ihr Nathan mit einem absolut überladenen Tablett gegenüber, während Tierra sofort den Platz an seiner Seite in Beschlag nahm. Somit blieb Milo der Stuhl neben Samera und zufrieden genehmigte er sich einen Schluck aus seiner schätzungsweise zehnten Tasse Kaffee an diesem Tag, bevor er sich seinem indischen Curry-Gericht zuwandte.

Tierra setzte ihre Flirtversuche fort und erkundigte sich zum wiederholten Male nach Nathans Werdegang, nach seinem Studium in Australien und nach seinem ehemaligen Job bei einem Sicherheitsdienst in Europa. Mit seinem Charme und seinen Anekdoten gelang es Nathan mühelos Tierra und Milo in seinen Bann zu ziehen und schon bald lauschten die beiden fasziniert jedem seiner Worte.

Bei Samera hingegen verursachten Nathans Geschichten erneut ein Gefühl der Irritation. Konnte es sein, dass Nathan log …? Aber wozu? Mal ganz davon abgesehen, durchleuchtete die NSA akribisch alle Angaben ihrer Mitarbeiter und somit wäre es ausgesprochen lächerlich gewesen, hier etwas zu erzählen, das gar nicht stimmte.

Nathan verdrückte sein Dinosaurier-Steak, eine gigantische Ladung Pommes und einen dreiviertel Liter Vanillepudding innerhalb kürzester Zeit, während sie selbst eher lustlos an ihrem Gemüseburger knabberte. Schließlich legte Samera ihr Besteck beiseite, seit einigen Tagen hatte sie kaum noch Appetit.

»Du isst zu wenig«, kritisierte Nathan sie, als wenn er das Recht dazu besessen hätte ihr Essverhalten zu beurteilen. Doch bevor sich Samera über diese Anmaßung empören konnte, ergriff bereits Tierra das Wort.

»Ganz im Gegensatz zu dir«, gurrte sie. »Und trotzdem schaffst du es so schlank und fit zu bleiben. Nathan, wie machst du das nur?«

»Viel Sport«, erklärte Nathan lapidar. Er verschlang den letzten Rest seines Puddings. »Ich bin oft im Sportstudio und vor meinem Jobwechsel habe ich mir noch einen vierwöchigen Urlaub in Kalifornien gegönnt. Dort war ich in quasi jeder einzelnen Sekunde draußen unterwegs.«

O ja, wahrscheinlich hat er die gesamte Zeit damit verbracht die Mädels am Strand zu beeindrucken! Für einen Moment hatte Samera ein Bild von Nathan vor Augen, wie er sich waghalsig mit seinem Brett in die Brandung warf und sich dabei lässig die nassen, blonden Haare aus der Stirn strich. Sexy …

»Kommst du?« Nathan grinste breit. »Oder möchtest du den Anblick noch etwas länger genießen?«

Erst jetzt wurde Samera bewusst, dass sie Nathan wohl recht lange angestarrt hatte. Milo und Tierra waren bereits aufgestanden und schritten zur Tablettabgabe.

»Eingebildet bist du ja gar nicht, was?« Samera schnaubte verächtlich auf und erhob sich ebenfalls von ihrem Platz.

»Doch«, gab Nathan freimütig zu. »Aber ich arbeite daran.«

»Arbeite härter«, empfahl Samera dem Neuen und dann ließ sie ihn einfach stehen. Nicht besonders nett, wo er extra auf sie gewartet hatte. Allerdings war sie ja keineswegs darauf aus, dass Nathan sie nett fand.

Das angekündigte Gespräch mit dem FBI wurde sogar noch ätzender, als Samera es befürchtet hatte. Obwohl der dunkelhäutige Agent namens Darian Tenley, der pünktlich auf die Minute in Braydons Büro aufgekreuzt war, etwas durchaus Anziehendes an sich hatte. Er besaß warme, goldbraune Augen und war äußerst muskulös, vermutlich war er Stammkunde im gleichen Fitness-Center wie Nathan. Samera schätzte den FBI-Agent auf Anfang dreißig und das über seinem rechten Ohr in die kurzen Haare einrasierte Tribal verlieh ihm einen geheimnisvollen Touch.

Und trotzdem – als Allererstes hatte Tenley darauf bestanden mit jedem Mitarbeiter der Abteilung einzeln zu sprechen, in Braydons Anwesenheit natürlich. Mit nur mäßiger Begeisterung hatte sich Samera an dem runden Tisch in Braydons Büro niedergelassen. Weil sie aber wusste, dass Braydon die strikte Order erhalten hatte sich den Wünschen des Agents zu fügen, sofern es irgendwie machbar war, hatte sie ihr Seufzen unterdrückt.

Die Fragen, die Tenley ihr stellte, nahmen und nahmen kein Ende. Gleichzeitig fixierte er sie mit solch eindringlichen Blicken, dass Samera bereits nach wenigen Minuten bohrende Kopfschmerzen bekam. Immerhin zwinkerte ihr Braydon ab und an aufmunternd zu, ansonsten wäre sie wohl längst durchgedreht.

Sie erzählte Tenley alles, was sie über den Hacker S-Tragon wusste. Also nicht sonderlich viel. So außergewöhnlich war ein Angriff auf eine Behörde, die sich mit internationalen Sicherheitsbelangen beschäftigte, nun allerdings auch wieder nicht. Woher kam nur dieses ungeheure Interesse?

»Sagt Ihnen der Begriff Seday etwas?« Tenley runzelte die Stirn. »Oder Hayran?«

»Nein.« Samera schüttelte den Kopf. »Nie gehört.«

»Wie sieht es mit dem Begriff J’ajal aus?«

Dafür interessierte sich der FBI-Agent also? Für die mysteriösen J’ajal? Wesen, die den Menschen körperlich weit überlegen waren, schneller, stärker, ausdauernder? Vergaßen nahezu nichts, alterten kaum, besaßen unglaubliche Heilungskräfte. Und ihre mentalen Kommunikationsfähigkeiten galten im Hinblick auf manch andere Gabe schon beinahe als langweilig.

»Ein Kindermärchen«, antwortete sie irritiert.

»Sie glauben nicht daran?« Die Stimme des Agents klang traurig, obwohl es dafür sicherlich keinen Grund gab.

»Nein«, bestätigte Samera. »Aber ich werde auch nicht fürs Glauben bezahlt.«

Braydon lachte leise.

»Okay, dann noch eine letzte Frage«, bestimmte Tenley. »Erzählen Sie mir, wie Sie aufgewachsen sind.«

Samera warf Braydon einen fragenden Blick zu, doch der zuckte nur mit den Schultern und bedeutete ihr zu antworten. Nun gut, wenn der FBI-Agent nicht in der Lage war diese Information in einer seiner Akten zu finden, dann erzählte sie es ihm eben.

Samera war gerade bei der Größenangabe ihrer Ballettschuhe in der Junior High angelangt, als Tenley sie seufzend unterbrach. »Das reicht. Danke.«

Erleichtert wandte sich Samera zum Gehen. Sie öffnete die Tür und Milo, Tenleys nächstes Opfer, trat in den Raum.

»Und Cey, nicht verhaftet worden?«, flachste er. Der Mann hatte bereits zu viele Gespräche mit anderen Sicherheitsbehörden über sich ergehen lassen, als dass ihn ein weiteres erschüttern konnte.

Tenley, der eben noch das Display seines Handys fixiert hatte, sah abrupt auf. »Cey?«, fragte er und zum ersten Mal, seitdem sie ihn kennengelernt hatte, erhellte ein Lächeln sein Gesicht. »Wie kommt man denn von Samera auf Cey?«

Milo grinste. »Ja, das habe ich sie auch schon gefragt. Samera findet, dass Cey besser zu ihr passt, selbst wenn der Name etwas ungewöhnlich ist …«

Nicht wieder dieses Thema … Samera verdrehte genervt die Augen. »Milo ist doch ebenfalls ein ungewöhnlicher Name«, beschwerte sie sich. »Genau wie Xyen.«

»Wer heißt denn Xyen?« Milo runzelte die Stirn. »Den Namen habe ich noch nie gehört.«

Fast wie unter Zwang drehte sich Samera in Richtung des FBI-Agents und betrachtete das Namenschild an seinem Revers. Darian Tenley stand dort wie zuvor in deutlichen Großbuchstaben geschrieben. Tenleys Lächeln wurde eine Spur tiefer und die Anziehung, die der Mann auf sie ausübte, verstärkte sich um ein Vielfaches. Hastig wandte sich Samera wieder ab.

»Keine Ahnung«, erklärte sie Milo. »Den Namen habe ich anscheinend mal irgendwo aufgeschnappt.«

Samera flüchtete aus Braydons Büro und gesellte sich zu ihren Kollegen auf dem Gang. Die meisten hatten die Befragung bereits hinter sich gebracht und diskutierten nun ausgiebig über die möglichen Hintergründe des plötzlichen FBI-Besuchs.

Nathan unterhielt sich mit zwei Mitarbeitern aus dem Nachbarteam und weil Samera ihm nicht erneut über den Weg laufen wollte, ging sie auf Tierra zu. Ihre Kollegin bediente sich gerade am Kaffeeautomaten am anderen Ende des Flures. Aber vielleicht war Tierra doch keine so glückliche Wahl gewesen, denn sofort startete diese wieder mit ihren Schwärmereien.

Irgendwann wurde es Samera zu bunt. »Warum erzählst du eigentlich mir die ganze Zeit über, wie toll Nathan ist? Du musst es ihm sagen …«

»Nathan interessiert sich aber nicht für mich«, schmollte Tierra und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Tasse. »Er interessiert sich nur für dich. Bist ja auch noch recht neu hier und die Hübscheste von uns allen.«

Samera schnitt eine Grimasse. Ja, ihre schlanke Figur und ihre langen, dunklen Haare riefen ebenso oft Komplimente hervor wie ihre ebenmäßigen Gesichtszüge oder die schokoladenbraunen Augen. Sie selbst mochte ihr Aussehen allerdings nicht besonders.

»Trotzdem«, fuhr Tierra fort, die anscheinend nicht auf Sameras Mimik geachtet hatte. »So langsam müsste der Kerl doch mal merken, wie fies du immer zu ihm bist.«

»Bin ich nicht«, protestierte Samera, aber weil sie wusste, dass das gelogen war, verbesserte sie sich gleich wieder. »Vielleicht ein kleines bisschen …«

»Nicht nur ein bisschen. Sondern total.«

Mit einem angedeuteten Nicken gab Samera nach und in Tierras Augen spiegelte sich ein triumphierendes Leuchten wider. »Heißt das, du gibst endlich zu, dass Nathan perfekt aussieht?«

Samera zuckte heftig zusammen. Perfekt. Perfekt, das war ein Wort, das sie überhaupt nicht ausstehen konnte. Es erinnerte sie an … – ja, an was nur? Ihre Kopfschmerzen wurden immer schlimmer und Samera rieb sich mit den Fingerspitzen über die pochende Stirn.

Nathan wandte sich um und bedachte sie quer über den Flur mit einem besorgten Blick. Ob er wohl verstanden hatte, über was Tierra und sie gesprochen hatten? War eigentlich unmöglich, er war viel zu weit entfernt.

»Also?« Tierra wippte ungeduldig mit dem Fuß. »Gibst du es jetzt endlich zu?«

»Passabel«, murmelte Samera gedankenverloren. »Ich finde, Nathan sieht ganz passabel aus.«

Tierra schüttelte resigniert den Kopf, Nathans Miene wandelte sich allerdings in ein belustigtes Grinsen. Damit war eindeutig, dass er sie belauschte, egal wie unmöglich es war.

»Und diesen FBI-Agent, diesen Tenley, findest du den ebenfalls nur ganz passabel? Der ist doch echt heiß, oder?«

Keinesfalls würde Samera vor ihrer Kollegin zugeben, dass sie der gleichen Meinung war. Also äußerte sie das zweite, was ihr an Tenley aufgefallen war. »Der war vor allen Dingen echt nervig.«

»Okay, ich gebe auf. Mit dir ist es hoffnungslos.« Kopfschüttelnd stellte Tierra ihre geleerte Tasse zurück neben die Kaffeemaschine und deutete anschließend auf ein Grüppchen in ihrer Nähe. »Wir wollen noch zusammen Abendessen gehen, kommst du mit?«

Samera lehnte dankend ab. Für sie war der Tag lang genug gewesen – zu viele Fragen und Irritationen, zu viel Nathan, zu viel FBI. Höchste Zeit zu verschwinden. Sie verabschiedete sich von ihrer Kollegin und den anderen und machte sich auf den Weg zu ihrem Apartment.

Es war bereits stockdunkel, trotzdem entschied sich Samera, weder die Bahn zu nutzen, noch ein Taxi zu rufen. Sie brauchte frische Luft, um wieder klar denken zu können. Natürlich war es nicht besonders clever, wenn man nachts alleine durch die Straßen schlich, jedenfalls nicht, wenn man zum weiblichen Teil der Bevölkerung zählte. Die Schritte in ihrem Rücken bewiesen es Samera nur allzu deutlich.

Wenigstens war sie schon immer recht gut darin gewesen sich zu verstecken und ein nahe gelegener Park bot die ideale Gelegenheit. Samera verbarg sich hinter einem Baum, schloss die Augen und wünschte sich mit aller Macht unsichtbar zu werden. Anscheinend funktionierte es, denn eine Gestalt huschte dicht an ihr vorüber, ohne sie zu bemerken.

Verwirrt sah Samera dem Mann hinterher. War das nicht dieser seltsame FBI-Agent gewesen? Also, so langsam litt sie wirklich an Paranoia. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst und wählte einen anderen Pfad aus dem Park heraus.

Einige Seitenstraßen weiter hatte Tenley sie wieder eingeholt und setzte ihr mit einigem Abstand nach. Was hatte es nur mit diesem S-Tragon-Hacker auf sich, dass sie dafür sogar außerhalb des Büros vom FBI verfolgt wurde?

Mit jedem Schritt, den sie tat, wurde Samera wütender. Sie hatte nicht vor sich eine solche Beschattung ohne weitere Erklärung gefallen zu lassen. Mit verschränkten Armen fuhr sie zu Tenley herum. Nur – es war gar nicht Tenley.

Kapitel 2

Xyen fluchte in allen Sprachen, die er kannte. Und das waren eine Menge. Wo steckte diese außergewöhnliche, junge Frau bloß? Wie konnte es sein, dass er ihr schon wieder hinterherjagen musste? Er hatte gedacht, diese anstrengende Phase wäre endlich überwunden, doch offenbar hatte er sich geirrt, wie so oft, wenn er irgendwelche Annahmen über Ceys Verhalten traf. Er sollte es wirklich lassen irgendetwas anzunehmen. Aber verdammt, warum musste sich seine Schülerin als Allererstes ausgerechnet an ihre Fähigkeit erinnern sich vor ihm zu verbergen? Ihre Präsenz zu tarnen, ihre Gefühle zu tarnen?

Okay, das ist jetzt unfair, gestand er sich selbst ein. Es gab schließlich noch mehr, was Cey so langsam wieder einfiel, zum Beispiel sein Name. Oder ihre Meinung über Nathans Aussehen. Der Rest allerdings …

Xyen hatte keine Ahnung, wie es möglich war, dass Cey alles vergessen hatte. Und nicht nur vergessen, sondern dass sie an ein völlig anderes Leben glaubte, an eines, welches sie niemals geführt hatte. Ein normales Leben. Ein menschliches Leben.

Die Ankunft eines muskelbepackten Hünen mit jadegrünen Augen und kurzen, braunen Haaren unterbrach seine sinnlosen Grübeleien.

»Und?«, erkundigte sich Xyen bei seinem Freund, obwohl er die Antwort bereits kannte.

»Nichts«, bestätigte Jay mit einem schiefen Grinsen. »Spurlos verschwunden, wie immer.« Er wurde schlagartig ernst. »Allerdings treiben sich hier einige zwielichtige Gestalten herum. Ist nicht gerade die passende Gegend für eine junge Frau.«

Xyen nickte grimmig. Das machte es nur umso wichtiger Cey schleunigst zu finden. Er lauschte Jays mentaler Suchaufteilung an seine Männer, dann stoben sie in unterschiedliche Richtungen wieder davon.

***

»Hallo, Süße.« Der ungepflegte, schmierige Kerl trat einen weiteren Schritt auf Samera zu. In seiner Hand blitzte eine gefährlich aussehende Klinge auf und ein gieriger Ausdruck huschte über sein zerfurchtes Gesicht. »Hast dir ja ein lauschiges, dunkles Plätzchen für uns ausgesucht …«

Idiot, schalt Samera sich in Gedanken. Idiot, Idiot, Idiot! Nicht dass es ihr jetzt noch irgendetwas nützen würde. Sie wich zurück, doch der Mann war schneller und riss sie an sich.

»Keinen Ton«, befahl er ihr barsch und das Messer an ihrem Hals hielt Samera davon ab zu schreien. Aber selbst wenn sie geschrien hätte, in diesem schäbigen Viertel, in dem sie durch ihr Versteckspiel mit Tenley gelandet war, würde wohl kaum einer darauf achten.

Die ekligen Finger des Mannes strichen ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und er presste sich enger an sie. »So hübsch …«, murmelte er. »So perfekt und du gehörst mir allein!«

Die Welt explodierte vor Sameras Augen. Wie oft hatte sie diesen Satz bereits gehört? Hunderte Male? Tausende Male? Verworrene Bilder blitzten in Sameras Verstand auf, die Erinnerung an eine Hand, die von ihrem Gesicht über ihren Hals hinabwanderte und sich schlussendlich auf ihre Brust legte. Es war die Pranke eines riesenhaften Mannes mit kalten, schwarzen Augen. Eine Narbe reichte ihm von der Stirn bis zur Wange, ansonsten sah er auffallend gut aus. Er beugte sich vor, drückte die Messerklinge stärker gegen ihre Kehle ­und wisperte ihr immer und immer wieder die gleichen Worte ins Ohr. Dass sie ihm gehöre und er sie dazu bringen würde, alles zu tun, was er wollte. Dass sie ihm niemals entkommen könnte, niemals. Nicht einmal der Tod selbst stellte einen Ausweg dar, denn er hatte so seine Methoden das zu verhindern.

Aus einem grausamen Scherz heraus nannte sich dieser Mann Astan, ein Anagramm von Satan, und doch war er weitaus teuflischer als es der oberste Höllenherr je hätte sein können.

Ohne mit der Wimper zu zucken tötete er jeden, der seinen Machtbestrebungen im Wege stand, und seinen jungen, auserwählten Kriegern lehrte er das Gleiche. Unter unvorstellbaren Schmerzen formte er ihre Körper nach seinem Willen und ebenso ihre Geister, denn Astan war nicht nur ein exzellenter Genetiker und ein ausgesprochener Sadist, sondern vor allem eines – ein Meister der Bewusstseinsmanipulation.

Und doch war ihm ein Fehler unterlaufen. Nur ein einziger, ein winzig kleiner, aber für ein heranwachsendes Mädchen – ausgerechnet seine Lieblingskriegerin – hatte es gereicht. Und niemals wieder würde sie es zulassen, dass er sie berührte.

Sameras Hand schnellte zielsicher nach oben und gleichzeitig riss sie den Kopf zur Seite. Die Messerklinge drang tief in ihre Schulter ein, trotzdem spürte sie den Schmerz kaum. Ihr Peiniger hingegen riss seine Hand von ihrer Brust und fuhr keuchend zurück. »Deine Augen …« Entsetzen legte sich in seine Miene. »Rot … sie leuchten rot.«

Ach, auf einmal interessierte er sich für ihre Augen? Vor drei Sekunden waren es noch ganz andere Stellen ihres Körpers gewesen. Sameras Finger schlossen sich fester um den Griff des Messers und mit einem heftigen Ruck zog sie es aus ihrer Schulter. Ohne das geringste Bedauern zu verspüren, trat Samera vor, richtete die Klinge gegen ihren ehemaligen Besitzer und schlitzte ihm die Kehle auf. Überrascht starrte ihr Feind sie ein letztes Mal an, dann brach sein Blick. Er sackte zusammen und riss sie mit sich zu Boden.

Das Adrenalin in Sameras Adern verpuffte und gleichermaßen das Bild eines gnadenlosen, dunklen Schöpfers. Zurück blieb ein schmieriger, ekelhafter Kerl, unter dem sie begraben lag. Und der Schmerz. Ein unglaublicher Schmerz in ihrer linken Schulter und in ihrem Kopf. Und plötzlich war es Samera egal, dass niemand in diesem Bezirk auf ihre Schreie achten würde, sie schrie trotzdem.

Funktionierte allerdings nur kurz. Sie bekam einfach keine Luft mehr und das Gewicht, das auf ihrem Brustkorb lastete, wurde schwerer und schwerer. Es war Samera unmöglich sich zu bewegen, unmöglich zu atmen. Unmöglich zu leben.

Ein lautes, grausames Lachen erklang. Sein Lachen. Astan beugte sich erneut zu ihr hinunter. »Ich habe es dir ja gesagt …« Ja, das hatte er. Und er hatte recht behalten, hatte immer recht gehabt. Sie sollte endlich aufgeben.

Doch da war noch eine andere Stimme, sanft und warm. »Shhh«, sagte diese. »Beruhige dich. Das wird schon wieder.«

Samera spürte, wie jemand sie aufhob, und anschließend – nichts mehr.

***

Die Schmerzen in ihrem Kopf waren unerträglich. Es fühlte sich an, als würde jede einzelne ihrer Gehirnwindungen auseinandergenommen und in einem anderen Muster wieder neu zusammengefügt. Und doch schien nichts zu passen, rein gar nichts.

Bilder flackerten in ihrem Bewusstsein auf, Sprachfetzen, Gesichter. Gesichter, die sie kannte. Die sie nicht kannte. Sie wusste es nicht mehr. Es war ihr egal, sie wollte nur, dass diese Schmerzen endlich verschwanden.

Irgendetwas pikste sie in den Hals und nach einer schieren Ewigkeit verebbte die schlimmste Qual. Jetzt wollte sie nur noch eines: schlafen. Was ihr anscheinend nicht vergönnt war, denn eine Hand rüttelte immer wieder an ihrem Arm. Schließlich schlug sie knurrend die Augen auf. »Was?«

Ein Mann lächelte sie freundlich an, machte allerdings keinerlei Anstalten seine Hand zurückzuziehen. Chinese, tippte sie. Ein verdammt attraktiver Chinese. Tierra wäre begeistert.

Sie allerdings nicht, denn der Kerl verlangte beharrlich: »Nicht schlafen. Du warst schon lange genug weggetreten.«

Kam ihr nicht so vor. Sie blitzte ihn wütend an und wollte sich auf die andere Seite rollen, musste aber sehr schnell erkennen, dass der Chinese entweder zu stark oder sie selbst zu schwach war. Gut, dann schlief sie eben mit seiner Hand auf ihrem Arm, ihr doch egal. Ihre Augen fielen bereits wieder zu, aber der Mann schien nicht einverstanden zu sein.

»Sieh mich an«, forderte er und erneut wurde sie geschüttelt. »Ich lass dich nicht mehr schlafen, bevor du mir nicht einige Fragen beantwortet hast. Mit offenen Augen.«

War vielleicht eine neue Art der chinesischen Folter, sie wusste es nicht. Für einen Moment versuchte sie trotz des Gerüttels zu schlafen, klappte allerdings nicht besonders gut. Also blinzelte sie schließlich frustriert und hoffte, dass einige Fragen gleichbedeutend mit wenigen Fragen waren.

»Weißt du, wer ich bin?«, startete der Mann mit seinem Verhör.

Seltsame Frage, woher sollte sie ihn denn kennen? »Nein.«

Anscheinend war es nicht die Auskunft, auf die er gehofft hatte und der Blick des Mannes wurde eine Spur eindringlicher. »Weißt du dann, wer du bist? Wie du heißt?«

Diese Frage war noch weitaus seltsamer, natürlich wusste sie es. Sie öffnete den Mund, um es ihm zu sagen – doch kein Ton drang über ihre Lippen. Verwirrt starrte sie den Chinesen an. »Keine Ahnung«, musste sie zugeben. »Ich glaube, ich habe es vergessen …«

»Probieren wir es mit etwas anderem«, schlug ihr Gegenüber vor, so als hätte ihre Antwort ihn kein bisschen überrascht. Das machte sie irgendwie wütend. »Wie geht es dir?«

»Sag du es mir doch«, fuhr sie den Chinesen an. »Du bist hier schließlich der allwissende Arzt.«

Jetzt lächelte der Kerl. »Okay«, sagte er. »Du darfst wieder schlafen …«

Gut möglich, dass er noch etwas ergänzte, aber das bekam sie nicht mehr mit. Allerdings spürte sie bald darauf wieder eine Berührung an ihrem Arm und um das Theater abzukürzen, öffnete sie dieses Mal sofort die Augen.

Ein anderer Mann stand an ihrem Bett, einen, den sie tatsächlich kannte. FBI-Agent Darian Tenley. Super, das steigerte ihre Laune natürlich ungemein.

»Hallo, Cey.« Behutsam strich der Mann mit seinen Fingern über ihr Gesicht. Cey? Meinte er sie damit? War ihr Name nicht … Samera? Doch, so hieß sie. Mit Sicherheit. Oder?

»Wie fühlst du dich?«

»Schlecht.« Wenigstens daran hegte Samera nicht den geringsten Zweifel.

»Das wird wieder«, tröstete Tenley sie. Hatte er das nicht schon einmal zu ihr gesagt? »Weißt du, wer ich bin?«, erkundigte sich der Agent bei ihr.

»Ja.«

»Sage es mir.«

Sie nannte seinen Namen, aber anscheinend war das keineswegs genug.

»Und?« Tenley lächelte sie liebevoll an. »Was weißt du sonst noch über mich?«

»Dass du nervst?«, schlug Samera vor. Der Agent lachte. Schön, wenn er das so witzig fand, dann konnte sie ja gleich weitermachen. »Du bist total stur und rechthaberisch und kontrollsüchtig«, zählte sie auf und das Schmunzeln auf Tenleys Gesicht vertiefte sich. »Der mit Abstand seltsamste Seday, den ich kenne.«

»Cey, was ist ein Seday?« Tenley sah sie mit hochgezogener Augenbraue an und etwas flackerte in Sameras malträtiertem Verstand auf, doch bevor sie es greifen konnte, war es bereits wieder verschwunden.

»Ich weiß nicht …« Sie zuckte die Schultern. »Aber ich glaube, ich habe es einmal gewusst.«

»Nun, ich bin mir sicher, es fällt dir wieder ein.«

Samera seufzte, Tenleys bedenkenloses Vertrauen in ihre Erinnerungsfähigkeiten teilte sie nicht so ganz. »Was machst du überhaupt hier?«, erkundigte sie sich stirnrunzelnd. »Solltest du dich nicht lieber um einen gewissen Hacker kümmern?«

»S-Tragon, ja.« Tenley nickte. »Allerdings war ich in erster Linie nicht deswegen bei der NSA.«

»Sondern?«

»Deinetwegen.« Tenleys Stimme wurde noch eine Spur sanfter. »Ich habe dich gesucht.«

Immerhin war es beruhigend zu wissen, dass sie nicht als Einzige einen an der Klatsche hatte. Tenley hatte sie gesucht, na klar. Weil sie ja auch so besonders war.

»Lass mich raten«, verlangte Samera von dem Mann. »Ein Gefühl hat dich zur NSA geführt. Der unwiderstehliche Drang nirgendwo sonst hingehen zu können. Stimmt’s?«

Tenley schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, dieses Mal nicht. Es war viel einfacher. Ein kleiner Ortungschip in deinem Handgelenk hat es mir verraten. Leider funktioniert das Signal nur vierundzwanzig Stunden, sonst …« Sein Gesicht verdüsterte sich, aber er hatte sich schnell wieder gefangen. »Nicht so wichtig.«

Okay, der FBI-Agent war eindeutig noch verrückter als sie selbst. Ein Tanoud im Handgelenk, das war ja so was von … Samera starrte Tenley an. »Hast du gesagt, diese Dinger heißen Tanoud?«

Tenley verneinte. Hm, stand wohl doch wieder unentschieden zwischen ihnen. Sie hob ihre rechte Hand und betrachtete das bandagierte Handgelenk. An die kleine, verhärtete Stelle konnte sie sich gut erinnern. War ja eine sehr unauffällige Methode einen Ortungschip zu verstecken.

Tenley erriet ihre Gedanken offenbar, denn er schüttelte sofort den Kopf. »Dein Tanoud befindet sich nach wie vor in deinem linken Handgelenk, Cey. In deinem rechten haben wir etwas anderes gefunden.«

»Was denn?«, fragte Samera mit kläglicher Stimme. Es war eine recht unheimliche Vorstellung, dass sie mit irgendwelchen Gegenständen unter der Haut herumrannte.

Der Agent stand auf und kehrte wenige Sekunden später mit einem Tablet zurück. Er drückte eine Taste und hielt den Bildschirm so, dass sie ihn sehen konnte. »Einen Speicherchip. Mit diesem Inhalt.«

Samera starrte auf die endlosen Kolonnen aus Buchstaben und Zahlen, die immer schneller aufleuchteten und wieder verschwanden. Exakt dreiundneunzig Sekunden, dann begann die Schleife von vorne. Und mit einem schmerzvollen Stich kehrte die letzte ihrer Gehirnwindungen zurück an ihren angestammten Platz. Wütend riss sie den Datenchip aus dem Slot des Tablets und sprang auf.

»Cey, du weißt, was das bedeutet?«

»Nein«, erwiderte sie kalt, während sie bereits auf dem Weg zur Tür war. »Ich weiß es nicht.« Aber sie wusste wieder, wen sie gleich vernichten würde. Und zwar endgültig.

Kapitel 3

»Nikara!« Brüllend rannte Cey die 17th Street von West Whiard entlang. »Wo steckst du?«

Der Angesprochene versuchte sich hastig hinter Nathans Rücken zu verstecken, aber mit seiner bunten Punkfrisur überragte er den Seday noch immer. Cey ballte ihre Hände zu Fäusten und musste sich beherrschen ihre messerscharfen Krallen nicht auszufahren.

»Komm sofort hierher«, zischte sie Nikara an.

Der Anführer der Dämonen, die sich selbst so nannten, weil sie einen winzigen Teil von Astans Geist in ihr Bewusstsein aufgenommen hatten, zögerte. Dann gehorchte er allerdings, trat vor sie und senkte unterwürfig den Kopf. »Ähm … hallo Cey. Schön dich zu sehen. Du freust dich bestimmt ebenfalls mich zu sehen, ja? Also freuen wir uns beide und sind glücklich und friedfertig und noch friedfertiger und …«

Cey brachte den Dämonen mit einer rüden Geste zum Verstummen. »Was war denn das für ein scheiß Plan?«, erkundigte sie sich aufgebracht.

»Tja … also … ich weiß nicht …«, stammelte Nikara und seine Zungenspitze fuhr hektisch über den Ring in seiner Unterlippe.

»Es ist absolut sicher?«, verhöhnte Cey den Dämon. »Es kann überhaupt nichts passieren? Die Bewusstseins-Änderung hält höchstens zwei Tage lang an? Hast du das nicht gesagt?«

»Ups.« Nikara blickte sie treuherzig an.

»Das ist alles, was dir dazu einfällt?« Fassungslos wiederholte sie das Wort. »Ups?«

Nikara zuckte mit den Schultern. »Ach Cey, jetzt raste nicht gleich so aus. Für meinen nächsten Plan denk ich mir was Besseres aus. Versprochen.«

Was er ihr etwa tausend Mal versprochen hatte. Es reichte. Irgendwann war schließlich genug. Entschlossen hob Cey die Hand, doch überraschenderweise schob sich Nathan zwischen sie und Nikara und sah sie bittend an. »Cey, kannst du Nikara vielleicht nur ein klein bisschen töten?«

Der Dämon zischte empört auf und Nathan korrigierte sich hastig. »Oder vielleicht auch gar nicht? Weißt du, es gibt da so ein Paar Schuhe, die ich unbedingt haben möchte, und wenn du Nikara jetzt killst, dann kriege ich die nie …«

Nathan schubste sie ein kleines Stückchen zurück und Cey ergriff die Chance, um seine Hand in eine äußerst unangenehme Position zu biegen. Allerdings ohne Nathan zu verletzen oder ihm Schmerzen zuzufügen.

»Vielleicht vernichte ich dich ja gleich mit«, wütete sie. »Für dein seltsames Schmierentheater bei der NSA.«

»Dafür kann ich nichts«, verteidigte sich Nathan und erfolglos versuchte er seine Hand zu befreien. »Sahim hat gesagt, du musst dich von allein erinnern, sonst wird es nur noch schlimmer.«

Sahim war einer von Ceys Brüdern. Sie hatten nicht die gleichen Eltern, waren jedoch zusammen in einer winzigen Zelle aufgewachsen und deswegen so sehr Familie füreinander, wie es nur sein konnte. Er war ein Dämonenwächter, genau wie sie selbst. Bis zum Ende hatten sie sich geweigert sich mit Astans Geist zu vereinigen und die Qualen, die sie für ihren Widerstand erlitten hatten, bescherten ihnen noch heute Albträume. Nach ihrer Befreiung hatten die Dämonenwächter geschworen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, dass sich ein neuer Astan aus den Reihen seiner einstigen Krieger erhob. Was bei den dunklen Instinkten, welche die Dämonen beherrschten, alles andere als einfach war … Und Wächter waren leider ebenfalls nicht ohne Fehler.

Sahim war allerdings eines der wenigen Wesen auf dieser Welt, dem sie absolut und bedingungslos vertraute. Trotzdem war Cey nicht gewillt Nathans Entschuldigung so einfach zu akzeptieren.

»Du stellst dich auf Nikaras Seite wegen einem Paar Schuhe?«, vergewisserte sie sich.

Ein verträumter Ausdruck spiegelte sich in Nathans blauen Augen. »Aber Cey«, tadelte er sie. »Doch nicht wegen irgendwelcher Schuhe. Eine Sonderedition aus Italien in grün, weiß und orange. Eine limitierte Auflage, diese Sneakers sind alle schon vorbestellt. Ohne Nikara habe ich keine Chance da ranzukommen. Und ich kann ja nichts dafür, dass du einen Monat lang …«

Cey ächzte laut auf und ließ sich auf den Bürgersteig fallen.

»Hey, alles okay mit dir?« Nathan kniete sich neben sie und musterte sie besorgt.

»Weiß nicht.« Von einem leichten Schwindelgefühl ergriffen, stützte Cey den Kopf auf ihre Arme. »Das klang gerade so, als wenn du einen Monat gesagt hättest.«

Jetzt wirkte Nathan überrascht. »Xyen hat es dir nicht erzählt?«

»Nein. Könnte aber daran liegen, dass er gerade noch FBI-Agent Darian Tenley für mich war. Und als er es nicht mehr war, wollte ich zu allererst jemanden vernichten.«

»Damit meint sie eindeutig mich.«

Nikara platzte beinahe vor Stolz und Nathan schaffte es für ganze zwei Sekunden, seine ernsthafte Miene aufrechtzuerhalten, dann brach er in ein schallendes Gelächter aus. Wie schön, dass sich die beiden jungen Männer so gut auf ihre Kosten amüsieren konnten.

Zumindest eine weitere Person fand das alles ebenfalls nicht so lustig. Mit energischen Schritten eilte Lee auf sie zu und bedachte Nathan und Nikara mit einem vorwurfsvollen Blick. »Ich unterbreche eure Plauderstunde ja nur ungern«, bemerkte der chinesische Arzt. »Aber der Bürgersteig ist momentan wohl kaum der richtige Ort für Cey.«

Das war zugleich sein indirekter Hinweis an sie sich endlich zu erheben und mit ihm in Haus zurückzukehren. Cey zog den Speicherchip aus ihrer Hosentasche und schnipste ihn in Nikaras Richtung. Beinahe gelangweilt fischte der Dämon den Chip aus der Luft und ließ ihn sofort in seiner Sweatjacke verschwinden.

»Viel Spaß beim Entschlüsseln«, wünschte Cey Nikara. Sie stand nun tatsächlich auf.

»Siehst du.« Nikara grinste selbstgefällig. »Es war also doch ein guter Plan. Wir haben bekommen, was wir wollten, und –«

Ceys Augen verfärbten sich in ein bedrohliches Rot. Alle J’ajal waren in der Lage ihre Augenfarben zu verändern, die meisten erachteten es aber als zu anstrengend. Insbesondere, weil sie sich in der Öffentlichkeit als Menschen ausgeben mussten. So unterschiedlich die Auffassungen der verschiedenen J’ajal-Organisationen in Bezug auf Moral und Wertevorstellungen waren, in diesem Punkt waren sie sich alle einig. Schließlich bildeten sie eine Minderheit unter den Menschen und egal welche überragenden Fähigkeiten sie besaßen, eine Hexenjagd wie im Mittelalter konnte nur eine Folge haben – ihre totale Auslöschung.

Und so wurde jeder junge Erwachsene, der die geringsten Tendenzen aufwies, er könnte sich in einen J’ajal verwandeln, mit Argusaugen beobachtet. Erwachte er, wurde er einkassiert, und erst nach der Absolvierung einer Zwangsausbildung entließen die J’ajal-Vereinigungen ihn zurück in die Freiheit. Cey selbst war über einige Umwege an der Seday-Academy gelandet und ihr war es nicht zu anstrengend ihre Augenfarbe zu wechseln. Sie tat es beinahe unbewusst, in Abhängigkeit zu ihren Gefühlen, und Nikara wusste schon, warum er bei Rot lieber hastig zurückwich.

»Ich bin dann mal weg!«, rief der Dämon. Nach einigen Metern stoppte er allerdings und wandte sich ihr erneut zu. »Ach so, Cey, falls dir irgendwann mal auffallen sollte, dass du eventuell möglicherweise noch eine winzige Kleinigkeit vergessen hast … – es war nichts Wichtiges.«

Cey knirschte mit den Zähnen. Der Drang Nikara zu vernichten wurde wieder stärker, aber Nathan verstellte ihr erneut den Weg.

»Nicht aufregen«, versuchte der Dämon sie aus der Ferne zu beschwichtigen. »Denk an Sahims und deinen genialen Notfallplan. Wäre doch eine echte Verschwendung, wenn der nicht zum Einsatz käme. Also, so gesehen müsstest du mir sogar dankbar sein und –«

DANKBAR? So, das war’s jetzt! Cey benötigte weniger als fünf Sekunden, um sich an Nathan vorbei zu drängen und mit einem Wutschrei auf Nikara zu stürzen. Ihre ersten Schläge blockte der Dämon recht gut ab, dann wuchs seine Bedrängnis zusehends.

»Cey, es reicht. Komm endlich.« Lees Stimme klang so streng, dass Cey für einen winzigen Augenblick zögerte. Nikara ergriff seine Chance und brachte sich mit einem grotesken Hüpfer außer Reichweite. Er warf ihr eine Kusshand zu, winkte Nathan zum Abschied und verschwand um die Ecke.

Cey spielte mit dem Gedanken Nikara nachzusetzen, aber Lees warnender Blick hielt sie davon ab. Also seufzte sie nur tief auf und folgte dem Arzt zurück auf das Anwesen, das Xyen vor einiger Zeit für ihre Aufenthalte außerhalb der Seday-Academy gekauft hatte.

Die Ausmaße des Grundstücks waren nahezu gigantisch und eine meterhohe Hecke schirmte sie von der Umgebung ab. Ein großer Teil des Gartens wurde von einem gepflegten Rasen bedeckt und hinter dem Haus lag ein kleines Wäldchen. Versteckt in dessen Zentrum befand sich eine kleine, mit Ziersträuchern und einem fürstlichen Springbrunnen versehene Lichtung, Ceys absoluter Lieblingsplatz.

Das Haus selbst verfügte über zwei Stockwerke. An den großzügigen Eingangsbereich grenzten eine Küche, ein Wohnzimmer und Lees Reich an. Über ein begrüntes Atrium ließen sich die rückwärts gerichteten Räume des Gebäudes erreichen, die Jay – Xyens Sicherheitschef – und seine Männer für sich beanspruchten, während sich Ceys Zimmer, das ihres Mentors und Nathans Quartier im oberen Stockwerk des Gebäudes befanden.

Liebend gerne hätte sich Cey nun in eine Ecke ihres Bettes verdrückt, doch Lee führte sie zielstrebig zu dem Ort, den sie auf diesem Anwesen am allermeisten hasste – sein Ärzte-Refugium. Zwar wartete dort eine bequeme Ottomane auf sie und kein kaltes Krankenhausgestell, aber die obligatorischen medizinischen Geräte fehlten auch hier nicht. Unwillkürlich erschauderte Cey, zu viel hatte sie in solchen Räumen bereits erlitten.

Lee wies sie an sich zu setzen. Er selbst trat an seinen Schreibtisch, tippte etwas in die Tastatur seines Computers ein und musterte kritisch die Anzeigen auf seinem Bildschirm.

»So weit, so gut …«, murmelte Lee gedankenverloren.

Ceys Blick wanderte automatisch zu ihrem linken Handgelenk oder vielmehr zu dem schmalen, metallischen Armband, dessen Mitte von einem weißen Stein und zwei dunkelgrauen Ringen geziert wurde.

Ihr Ayaro-Reif – der nicht nur mit einem Peilsender versehen war, sondern auch sämtliche ihrer Vitalfunktionen überwachte und diese Informationen an Lees Computer weitergab. Wichen ihre Werte zu stark von ihren Referenzmaßen ab, dann wusste Lee, dass irgendetwas nicht mit ihr stimmte, und konnte entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Was momentan offenbar nicht erforderlich war. Der Seday-Arzt kam wieder auf Cey zu und bat sie ihr Shirt auszuziehen. Vorsichtig entfernte er die Bandage an ihrer Schulter und begutachtete die Stichverletzung.

»Wie fühlt sich das an?«, erkundigte er sich besorgt, während seine Finger behutsam über die Naht strichen. Ceys spontane Antwort lautete: »Angenehm.«

Augenblicklich ließ Lee seine Hand sinken und seine Stimme nahm einen bestürzten Klang an. »Okay, jetzt mache ich mir doch ernsthafte Sorgen um deinen geistigen Zustand. Vielleicht ein irreparabler Schaden –«

»Sorry«, unterbrach Cey die Mutmaßungen des Arztes. »Ich meinte, im Vergleich zu meinen Kopfschmerzen ist das wirklich angenehm.«

Das rettete sie allerdings auch nicht vor Lees gründlichen Untersuchungen und als von Ceys Geduld nicht einmal mehr das letzte Quäntchen übrig war, erbat sie sich lautlos Hilfe.

Die Tür klappte und Xyen erschien im Türrahmen.

»Wir sind noch nicht fertig«, bemerkte Lee verärgert.

»Doch.« Cey sprang hastig auf und warf ihrem Mentor einen flehenden Blick zu. »Bitte, Xyen. Lee holt gleich die Tintenfleck-Bilder aus der Schublade.«

Lee neigte nachdenklich den Kopf. »Das ist gar keine so schlechte Idee …«

Xyens Besorgnis und seine Belustigung erreichten Cey gleichermaßen. Seit sie sich einmal bitterböse über seine außergewöhnliche J’ajal-Gabe, Emotionen spüren zu können, beschwert hatte, sandte Xyen seine eigenen Gefühle ebenfalls an sie aus. Damit konnte sie ihm zumindest nicht mehr diese Art des Ausspionierens zum Vorwurf machen.

»Ich bin okay«, versicherte Cey ihrem Mentor. »Wenn ich aber noch länger in diesem Raum bleiben muss, kann ich für nichts mehr garantieren.«

Xyen gab die Tür frei, allerdings erst, nachdem Lee seufzend genickt hatte. Obwohl Xyen der Anführer dieser Seday-Einheit war, überließ er bei solchen Fragen seinem Freund das letzte Wort. Lee war schließlich derjenige, der aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten im medizinischen und psychologischen Bereich am besten den Gesundheitszustand seiner Team-Mitglieder beurteilen konnte.

Nathan saß vor dem überdimensionalen Bildschirm in der Ecke des Wohnzimmers und ging seinem absoluten Lieblingshobby nach – Zocken. Eine Karte von World War III leuchtete auf. Weil strategisches Denken für dieses Spiel ein absolutes Muss war, hatte es von Nathan den Stempel pädagogisch sehr wertvoll erhalten.

Cey ließ sich neben dem Seday nieder und die Erleichterung über das Ende von Lees Überprüfungen machte sie so großzügig, dass sie Nathans Schuhtick für einen Moment verdrängte. Sie griff nach dem Controller, den Nathan ihr grinsend entgegenstreckte.

»Und, ist dir bereits eingefallen, welche winzige Kleinigkeit du vergessen haben könntest?«

Zweifellos spielte Nathan damit auf Nikaras letzte Bemerkung an. Die mangelnde Sinnhaftigkeit seiner Frage schien ihn keineswegs zu stören. Cey schüttelte seufzend den Kopf.

Mit äußerster Konzentration brachte Nathan seine Streitkräfte in Stellung und wartete darauf, dass sie es ihm gleichtat. Als sie ihm diesen Gefallen jedoch nicht erwies, sondern nur einige einzelne Bataillone sinnlos verschob, blickte er sie erschüttert an. »Cey, hast du etwa vergessen, wie dieses Spiel funktioniert?«

Cey drückte in rascher Abfolge die Tasten ihres Controllers und veränderte den Source Code des Spiels – nun war sie diejenige mit der Armee und Nathan wurde binnen weniger Sekunden überrannt. Nicht ganz fair, aber sie hatten sich schließlich schon vor einiger Zeit darauf geeinigt, dass das Umprogrammieren der ursprünglichen Spieleinstellung nicht als Schummeln galt.

Nathan betrachtete erleichtert den Game Over Schriftzug über seiner Bildschirmseite. »Da bin ich aber froh.«

»Worüber bist du froh?«, erkundigte sich Xyen, während er zusammen mit Lee das geräumige Wohnzimmer durchquerte. Mit einer knappen Geste forderte er sie auf, am bereits gedeckten Esstisch Platz zu nehmen und weil Cey und Nathan bereits gelernt hatten, dass ein Ignorieren von Xyens Anweisungen durchaus zur Beschlagnahmung des Computerkabels führen konnte – pädagogisch wertvolles Spiel hin oder her –, gehorchten sie sofort.

»Cey hat nicht vergessen, wie man zockt, deswegen freue ich mich«, nuschelte Nathan mit einem ersten Bissen Brot im Mund. Für seine Essmanieren kassierte er einen mahnenden Blick von Xyen.

Cey unterdrückte ein Grinsen und nippte stattdessen an ihrem Glas. Ein extra großes Glas, randvoll mit Lees angeblichem Gesundheits-Trunk. Nun gut, das Zeug war wohl wirklich gesund und Lee hatte sie mehrfach darauf hingewiesen, sie müsste es nur solange trinken, wie ihr Blut einen Nährstoffmangel aufwies.

Da Cey eine ausgewogene Ernährung, oder manchmal überhaupt eine Ernährung, nicht recht gelingen wollte, dürfte Lees Gesundheits-Shake sie allerdings bis ans Ende ihrer Tage begleiten. Also bis morgen.

Oder übermorgen, falls ihr von der Wandlung zum J’ajal in Mitleidenschaft gezogenes Gehirn nicht schon zuvor auf die grandiose Idee kam endgültig durchzuschmoren. Und sie keinen von Nikaras verrückten Plänen mehr befolgen würde und die Schwertspitzen durchgeknallter Dämonen sie nicht fänden und …

Nathans Ellenbogen riss sie aus ihrer Versenkung und hastig leerte Cey ihr Glas. Wenigstens schmeckte es immer noch nach Himbeere und somit musste sie sich nicht mehr dazu zwingen jeden Tropfen einzeln hinunterzuwürgen, wie das vor Lees verbesserter Rezeptur der Fall gewesen war.

»Gehen wir eine Runde spazieren?«, fragte Nathan, nachdem sie ihren mit Käse belegten Bagel verdrückt und damit als Letzte ihr Essen beendet hatte. »Ich will unbedingt herausfinden, was du vergessen hast.«

Lee hielt das ebenfalls für eine gute Idee und so ergab sich Cey ihrem Schicksal und folgte Nathan nach draußen.

»Jay und seine Leute erkennst du noch?« Nathan wies auf eine Gruppe von mehreren Seday, die sich in der Nähe des Hauses in irgendwelchen abstrusen Kampftechniken übten.

»Ja.« Cey nickte. Die zehn Männer, die Jay unterstanden, trugen schlicht die Namen One, Two, Three, Four, Five, Six, Seven, Eight, Nine und Ten. Ihre Namen wechselten fast täglich, weil Jay sie mit bestimmten Funktionen verknüpfte. Um die allgemeine Verwirrung zu minimieren, ließen sich Xyen, Lee und Nathan jeden Morgen eine mentale Namensliste schicken. Darauf war sie selbst natürlich nicht angewiesen, aber Cey vermied es, über die Ausmaße ihrer mentalen Fähigkeiten zu sprechen.

»Erkläre mir, was ein Seday ist«, verlangte Nathan, sobald sie das Grundstück in Richtung des nahen Flusses verlassen hatten.

Cey stöhnte laut auf. Wenn sie jetzt selbst solche grundlegenden Dinge erklären musste, dann dürfte die Fragerunde wohl noch eine Weile dauern.

Ein flüchtiger Blick über die Schulter bestätigte Ceys Befürchtung, dass sie von ihrem aktuellen Schatten Four, der ihnen getreulich folgte, keine Hilfe erwarten durfte.

Die fortlaufende Begleitung durch einen von Jays Männern hatte Cey Xyens Paranoia zu verdanken. Weil ihr Mentor der Meinung war, sie würde ihn nicht rechtzeitig informieren, wenn etwas wäre. Zum Beispiel, wenn sie kurz davorstand jemanden zu massakrieren oder etwas anderes zu tun, was nicht den geltenden Seday-Gesetzen entsprach. Und natürlich würde sie Xyen nicht informieren – wo bliebe denn sonst der Spaß?

»Jetzt sag schon«, drängte Nathan. »Xyen konntest du diese Frage nämlich nicht beantworten.«

Okay, da war was Wahres dran. Also bemühte sich Cey um eine kurze Zusammenfassung.