Sammelband der erfolgreichen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 5-8 (Seday Academy) - Karin Kratt - E-Book

Sammelband der erfolgreichen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 5-8 (Seday Academy) E-Book

Karin Kratt

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Beschreibung

Endlich die E-Box zu Band 5-8 der Fantasy-Bestseller Reihe »Seday Academy«! »Ein ganz besonderes Leseerlebnis« (Leserstimme auf Amazon) Als J'ajal ist Cey eine Gejagte der Schatten und hat sich bis vor einiger Zeit noch erbittert dagegen gewehrt, in die Hände der Seday zu geraten. Doch das Blatt hat sich gewendet: Feinde sind zu Freunden geworden und ihr Mentor Xyen ist für sie inzwischen weit mehr als nur ein Lehrer. Aber ihre Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln und droht all das zu zerstören, was ihr so unendlich wichtig geworden ist…  Eine actionreiche Fantasy-Reihe mit Suchtfaktor: Karin Kratt erschafft eine toughe Kämpferin, die sich in einer düsteren Welt zu behaupten weiß. Stark, unnahbar und unwiderstehlich! //Dies ist eine E-Box aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.//  //Diese E-Box zur Fantasy-Bestseller-Reihe »Seday Academy« enthält die Romane: -- Entfesselt durch Rache (Seday Academy 5)  -- Verdammte des Schicksals (Seday Academy 6) -- Geboren aus Vergeltung (Seday Academy 7)  -- Verfolgte der Vergangenheit (Seday Academy 8)// //Weitere Bände der Reihe: -- Gejagte der Schatten (Seday Academy 1) -- Verborgen in der Nacht (Seday Academy 2) -- Erschaffen aus Dunkelheit (Seday Academy 3) -- Gefangene der Finsternis (Seday Academy 4) -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 1-4 (Seday Academy) -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-8//

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Dark Diamonds Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2019 Text © Karin Kratt, 2017, 2018, 2019 Lektorat: Marion Lembke Coverbild: shutterstock.com / © coka / © hfzimages / © Fatseyeva / © John_T / © TheOldhiro Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-30184-7www.carlsen.de

Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Karin Kratt

Entfesselt durch Rache (Seday Academy 5)

**Wenn die Schatten der Vergangenheit deine Liebe bedrohen …** Xyen ist für Cey weit mehr geworden als ihr Mentor an der Seday Academy. Er ist ihr Ratgeber, ihr Fels in der Brandung, ihr Ruhepol. All das hat Cey auch bitter nötig, als der vermeintliche Frieden, in dem sie sich seit Wochen wähnt, abrupt endet. Ein Dämon dringt in die Academy ein und überbringt der J’ajal eine grauenvolle Botschaft: ein Versprechen auf Rache, das die Handschrift ihrer Vergangenheit trägt. Es droht alles zu zerstören, das Cey so unendlich wichtig geworden ist, darunter auch ihre frisch erwachte Liebe zu Xyen …

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Vita

Glossar

Danksagung

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© privat

Karin Kratt ist eine lesesüchtige Mathematikerin, die sich nach ihrem Studium in der Bankenbranche Frankfurts wiederfand. Doch so sehr sie ihre Zahlen auch zu schätzen weiß, die Macht der Buchstaben begeistert sie noch weitaus mehr. Sie nutzt jede freie Minute, um ihre Träume auf Papier zu bannen. Träume, die bei ihren Streifzügen durch die endlosen Felder des hessischen Rieds entstehen oder auch mal ganz simpel auf der Liege im heimischen Garten.

»Einen Kampf zu vermeiden, fordert oft sehr viel mehr Stärke, als ihn zu führen.«

– Xyen –

Prolog

Vor fast fünfzehn Jahren, in einer düsteren Nacht …

»Scheiße, da kommen wir nie rein!«

Aufgrund der Lautstärke seines Fluchs wandte sich Cey flüchtig von dem hohen, mit Stacheldraht bewehrten Zaun ab und bedachte den Jungen an ihrer linken Seite mit einem mahnenden Blick. Er war ein wenig älter als sie selbst, hatte das Jugendalter aber noch nicht ganz erreicht. Seine weißen Haare reichten ihm fast bis zur Mitte des Rückens hinunter und er war extrem blass, was durch den fahlen Schein des Mondes nur umso mehr betont wurde. Und doch gab es noch etwas weitaus Auffälligeres an ihm – seine glühenden, blutroten Augen. Gleichgültig hatte der Junge den Namen akzeptiert, der nach seiner Erschaffung in einem dunklen, kalten Verlies die Runde gemacht hatte: Der Graf.

»Tut mir leid«, murmelte er nun mit gedämpfter Stimme.

Cey nickte kurz und starrte anschließend wieder durch den Zaun über einen immer noch recht vollen Parkplatz auf die südkoreanische Forschungseinrichtung der Army. Die Schwierigkeit ihres aktuellen Auftrags bestand nicht nur darin, in den riesigen und streng gesicherten Gebäudekomplex einzudringen, sondern in dessen Archiv auch noch einen einzelnen Forschungsbericht eines gewissen Doktor Doktor Willsons aufzuspüren.

Einen Bericht, den sie bereits im Morgengrauen bei Astan abliefern mussten, ihrem finsteren Schöpfer, der noch weitaus gnadenloser und grausamer war, als es sein großes Vorbild – Satan höchstpersönlich! – jemals sein könnte.

Verbittert zupfte Cey an dem Saum ihres knappen Kleidchens, während ein hässliches Lachen in ihrem Verstand widerhallte. »Meine Süße, dieser Job könnte ein wenig … aufreizend werden. Aber ich bin mir sicher, du schaffst es, nicht wahr?«

Mit diesen Worten hatte sich Astan vor ihrem Abflug nach Südkorea vor ihr aufgebaut, ein riesenhafter Mann von mehr als zwei Metern, der bis auf die Narbe, die ihm auf der rechten Gesichtshälfte von der Stirn bis zur Wange reichte, auffallend gut aussah. Seine schwarzen Augen hatten spöttisch zu ihr herabgefunkelt, als er ihr erklärte, was genau er von ihr erwartete. Und welchen Wert er auf ein Höchstmaß an Diskretion bei diesem Einsatz legte. Kein Kampf, kein Mord, kein Blutvergießen, stattdessen nur der erneute Beweis, dass Sex überall in der Welt als Zahlungsmittel funktioniert.

Cey rieb sich fröstelnd über die nackten Arme und warf einen raschen Blick auf ihre Uhr. »Noch fünf Minuten bis zur Wachablösung«, bemerkte sie fast unhörbar leise.

»Und dann?«, erklang die prompte Nachfrage. An Ceys rechter Seite ertönte ein Rascheln, als ihr zweiter Begleiter unruhig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte, doch sie antwortete ihm nicht. Schließlich wusste sie genau, wie Sahim daraufhin reagieren würde.

»Cey!«

Finger gruben sich in ihren Arm und ihr blieb nichts anderes übrig, als nun doch zu dem Jungen mit den dunklen Haaren und den arabischen Gesichtszügen aufzusehen, der sie beinahe um einen ganzen Kopf überragte und knapp der Älteste in ihrer kleinen Runde war. »Wirst du schon sehen«, verkündete sie mit einem Anflug von Trotz in der Stimme.

»Du wirst auf keinen Fall –«, setzte Sahim zu einer scharfen Entgegnung an, Cey unterbrach ihn allerdings sofort.

»Meine Entscheidung!«, zischte sie. Für einige Sekunden duellierte sich ihr Blick mit dem ihres Gegenübers, dann wandte sie das Gesicht ab und sah zu Boden.

»Bitte«, sagte sie und erneut krampften sich ihre Finger um den Saum ihres Kleidchens. »Mach es nicht noch schlimmer. Es gibt keine Alternative.«

Angestrengt versuchte Cey den Gedanken an die Strafe zu verdrängen, die ihr und all den anderen Jungen und Mädchen, die Astan gefangen hielt, für einen Misserfolg ihrer Mission drohte. Wenn er gut gelaunt wäre, würde ein Versagen vermutlich den raschen und recht schmerzlosen Tod einer ihrer Freunde bedeuten plus eine intensive Auffrischungslektion für sie selbst mit dem faszinierenden Thema: Welche Fehler sich eine angehende Kriegerin keinesfalls erlauben darf. Allerdings war Astan bereits seit Wochen in einer Stimmung, die die gefährlichste von allen war – er langweilte sich. Von daher würde er seine gesamte Energie und Kreativität in das Ersinnen von neuen und qualvollen Foltermethoden stecken, die alles bisher Erlittene in den Schatten stellen würden …

»Die Ablösung ist da«, bemerkte der Graf, wobei er es wohlweislich vermied sich in die Diskussion über das weitere Vorgehen einzumischen.

Cey musterte durch den Zaun hindurch den beleuchteten Hintereingang des Forschungsinstituts und entdeckte zwei uniformierte Männer, die zackig salutierten, bevor der Kleinere von ihnen sich abwandte und das Gebäude betrat, während der andere aufmerksam neben der Tür seine Stellung bezog.

»Woher weißt du überhaupt, dass dieser Kerl auf so junge Mädchen steht?«, erkundigte sich Sahim mit einem hasserfüllten Blick auf den bulligen Mann. Als er sich zurück an Cey wandte, wurde Sahims Miene jedoch unglaublich sanft. »Von Astan?«, fragte er leise.

»Von wem sonst?« Cey schlug einen bewusst unbekümmerten Tonfall an, obwohl ihre beiden Begleiter sie viel zu gut kannten, um nicht zu wissen, welchen Ekel und Selbsthass sie gerade empfand. Schließlich waren sie weit mehr als nur Freunde – sie betrachteten sich gegenseitig als Geschwister, als eine Familie, auch wenn sie nicht die gleiche Abstammung besaßen. »Los jetzt!«

»Du musst nicht –«, unternahm Sahim einen letzten Versuch, doch Cey wiegelte ihn ab. »Ich sagte los!«

Und ohne einen weiteren, kostbaren Augenblick zu vergeuden, streckte sie die Hand aus. Unter ihren Fingernägeln schoben sich fünf rasiermesserscharfe Krallen hervor und zerschnitten ihr die Haut. Hastig wischte Cey die Blutstropfen an ihrem Kleidchen ab, dann bückte sie sich und durchtrennte die unteren Maschen des Zauns. Sie schlüpfte hindurch und die beiden Jungen folgten ihr mit gemurmelten Verwünschungen Astans und ihres elenden Daseins in dieser Welt, welches man unmöglich Leben nennen konnte.

Der Graf blieb im Schatten eines Kleintransporters am Rande des Parkplatzes zurück, schließlich war seine Erscheinung alles andere als unauffällig. Cey und Sahim hingegen gaben sich keinerlei Mühe mehr, sich zu verstecken und schlenderten im Licht der Parkplatzlaternen langsam auf den diensthabenden Wachmann zu – Private First Class Owens, wie der eingestickte Name und die Abzeichen an seiner Uniform verrieten. Owens Haltung versteifte sich sofort, als er sie entdeckte.

»Was zur Hölle habt ihr hier verloren?«, knurrte er, während seine rechte Hand bereits zum Funkgerät an seiner Hüfte zuckte. »Das hier ist militärisches Sperrgebiet.«

»Nicht!«, rief Cey, wobei sie wie Owens Englisch sprach, jedoch vorsichtshalber einen starken, koreanischen Akzent imitierte. Sie eilte auf Owens zu und legte ihre Finger beschwichtigend auf seine Pranke. Würde er ihre Anwesenheit melden, wäre alles aus.

»Ich …« Cey biss sich auf die Innenseite ihrer Wange und ließ zu, dass der Schmerz ihr Tränen in die Augen trieb. »Ich fühle mich so einsam, weißt du? Und mir ist furchtbar kalt …«

Sie schmiegte sich eng an den Mann und unterdrückte einen Würgereiz, als ihr der Geruch eines ekelhaft süßen Rasierwassers in die Nase stieg. Stattdessen blickte sie verloren und bittend zu Owens auf, der für einige Sekunden nur wortlos zurückstarrte. Dann leckte er sich über die wulstigen Lippen und sah sich nervös um. Als er sich wohl sicher genug fühlte, dass sie nicht beobachtet wurden, hob er die Hand von seinem Funkgerät und strich durch Ceys lange, dunkle Haare. »So, so«, brummte er. »Einsam, sagst du?«

Cey nickte und drehte sich so, dass ihr Arm unmissverständlich über Owens Hosenschlitz rieb, obwohl sie sich am liebsten umgedreht hätte und davongerannt wäre.

Die gleichmäßige Liebkosung von Owens Hand geriet kurz ins Stocken, während sich seine Haltung noch weiter anspannte – dieses Mal jedoch aus offenkundigem Verlangen, nicht aus Misstrauen.

»Wie viel?« Der Soldat warf einen abschätzigen Blick auf Sahim. »Nur für dich, Mädchen. Dein Freund soll sich verdrücken, für Jungs hab ich nichts übrig.«

Sahims Gesicht war eine einzige, ausdruckslose Maske, aber Cey entging keineswegs, wie er die Fäuste ballte. Sie wusste, wie kurz er davorstand sich auf Owens zu stürzen und ihm die Kehle zu zerfetzen. Und damit ihre Chance Willsons Bericht zu finden für immer zu vernichten. Sie musste sich beeilen.

»Kein Geld. Einen Gefallen.« Ein Träger von Ceys Kleidchen rutschte über ihre Schulter und erneut leckte sich Owens über die Lippen. »Der Bruder von meinem Freund ist …«

Cey zögerte weiterzusprechen, obwohl sie sich die Geschichte selbst ausgedacht hatte, um Sahim und sich Einlass in das Forschungsinstitut zu verschaffen. Sie konnte es jedoch nicht ausstehen, wenn sie lügen musste. Zu oft war sie selbst schon von Astan mit leeren Versprechungen betrogen worden und bei all den widerwärtigen Dingen, die sie auf sein Geheiß hin tun musste, bei all dem Tod und der Vernichtung, die sie durch ihre Missionen für gewöhnlich verbreitete, wollte sie wenigstens, dass man ihren Worten Glauben schenken konnte. Vermutlich war diese Einstellung lächerlich, aber so empfand sie nun einmal.

»Mein Bruder ist krank«, sprang Sahim ein und verkündete somit den Teil des Plans, den sie ihm anvertraut hatte. Er trat einen Schritt auf Owens zu, obwohl er sich ursprünglich die gesamte Zeit über im Hintergrund hätte halten sollen. Und tatsächlich schien Owens von der Annäherung alles andere als begeistert zu sein, doch Sahim sprach bereits weiter.

»Ich kann lesen«, brüstete er sich, so als wäre er unheimlich stolz darauf. »Und gewiss finde ich in diesem Labor das Rezept für ein Heilmittel!«

»Für was? Aids?«, vermutete Owens und schnaubte verächtlich auf. »Wohl kau-« Er unterbrach sich selbst und neigte den Kopf. »Wobei …« Seine Fingerspitzen strichen berechnend über Ceys Wange. »Könnte schon sein.«

Der Private First Class warf einen Blick auf seine Uhr, anschließend auf die Hintertür des Instituts und nickte knapp. »Fünfzig Minuten. Mehr Zeit haben wir nicht. Du kannst ins Archiv«, erklärte er in Sahims Richtung, dann wandte er sich wieder an Cey. »Und für dich finden wir bestimmt ebenfalls ein schönes Plätzchen, wo du dich … aufwärmen kannst.« Owens packte ihren Arm, entsicherte mit einer Schlüsselkarte die Tür und zog sie nach drinnen.

Cey vermied es tunlichst, Sahim anzublicken oder ihm gar dafür zu danken, dass er sie entgegen seiner festen Überzeugung diesem Kerl ausgeliefert hatte, und prägte sich stattdessen den Weg in den Keller des Gebäudes ein. Sie hielten an drei weiteren Türen an, an denen Owens seine Karte erneut an ein Sicherheitsfeld halten musste, und um die letzte Tür zu öffnen, bedurfte es sogar eines zusätzlichen Sicherheitscodes und Owens Fingerabdrucks. Einmal mussten sie sich auch für einige Minuten in einem kleinen Nebenraum verstecken, weil schwere Schritte die Ankunft zweier Wachen angekündigt hatten.

Immerhin begegneten sie keinem der Forscher oder sonstigem Angestellten des Instituts und als sie das Archiv endlich erreicht hatten, verstand Cey auch warum – die Luft hier unten war unglaublich stickig. Freiwillig würde bestimmt niemand in diesen Keller herabsteigen.

»Wehe, du richtest hier ein Chaos an!« Drohend blickte Owens Sahim an, dann wies er mit dem Kinn auf die zahlreichen Aktenschränke, die sich vom Boden bis zur Decke türmten, und schob Cey nach nebenan in einen vollgestopften Abstellraum.

Mit einem Wisch fegte Owens diverse Putzutensilien von einem kleinen Tisch zu Boden und gleichzeitig nestelte er bereits an dem Verschluss seiner Hose herum.

»Zieh dich aus!«, befahl er barsch und Cey schlüpfte gehorsam aus ihrem Kleid und der Unterwäsche, weil sie keinen Sinn darin sah sich gegen das Unausweichliche zu wehren. Während sich Owens ein Kondom überstreifte und sie anschließend bäuchlings auf dem Tisch positionierte, tat sie jedoch etwas anderes – sie erlaubte ihrem Geist auszuschweifen und sich dort zu verstecken, wo es nur Liebe und Zuneigung für sie gab.

»Ach, Schwesterchen …« Behutsam umschloss Sahims Bewusstsein das ihre und schirmte sie somit weitestgehend von Owens Gegrunze und Gestöhne ab. »Wir hätten ihn killen, seine Karte klauen und alleine ins Archiv herabsteigen sollen!«, bemerkte er lautlos und voller Grimm.

»Hätte nie funktioniert!«, widersprach Cey. »Selbst wenn wir seinen Daumen abgehackt und mitgenommen hätten.«

Sahim war das wohl ebenfalls klar, denn er konzentrierte sich nun schweigend darauf, die Aktenschränke zu durchwühlen. Dank ihrer Verbindung sah Cey das, was er sah – hunderte graue, nur mit Nummern versehene Mappen, die kryptische Formeln, medizinische Testergebnisse und Versuchsbeschreibungen enthielten.

Ein Funken Interesse flackerte in Cey auf, als Sahim einen Bericht mit Überlegungen und Mutmaßungen durchblätterte, wie man das Schlafbedürfnis von Soldaten reduzieren könnte. Sie würde selbst nur zu gerne gänzlich auf ihren Schlaf verzichten, schließlich bedeutete dieser stets, Astans Willkür am hilflosesten ausgeliefert zu sein. Weil sie jedoch nur wenig Zeit hatten und ihre wissenschaftlichen Kenntnisse sowieso nicht ausreichen würden, um die ausgewiesenen Resultate zu verstehen, bat Cey Sahim nicht darum, sich die Daten genauer anzusehen.

Mit wachsender Verzweiflung öffnete ihr Bruder Schublade für Schublade und seine Gedanken verrieten ihr nur zu deutlich, dass er sich die Schuld für jede einzelne Sekunde gab, die sie mit Owens verbringen musste.

»Ist nicht so schlimm«, versuchte sie Sahim stumm zu trösten, obwohl ihr Körper am Morgen gewiss zahlreiche blaue Flecken aufweisen würde, weil sich Owens in seiner ungezügelten Gier viel zu grob an ihr festklammerte. Trotzdem würde sie lieber mit hunderten Männern wie Owens schlafen, anstatt ein einziges, weiteres Mal mit Astan. Schließlich war dieser niemals in nur wenigen Minuten mit ihr fertig und er fokussierte sich nicht nur auf ihren Körper, sondern setzte sie auch stets seinen kranken Psychospielchen aus.

»Das macht es nicht besser!« Wütend knallte Sahim eine Schublade zu und Cey zuckte aufgrund der Intensität seiner Gefühle innerlich zusammen. Sie erhielt eine lautlose Entschuldigung und Sahims Emotionen schwächten sich ein wenig ab, als er den Raum durchquerte, um seine Suche an den gegenüberliegenden Schränken fortzusetzen.

»Was ist denn überhaupt so besonders an diesem Bericht von Willson?«, erkundigte er sich nach einem Moment des Schweigens, wohl um sie beide auf andere Gedanken zu bringen.

Nun erinnerte sich Cey allerdings zwangsläufig an Astans ausgeschmückte Rede und die blutigen Details, was Willson nach seinem schändlichen Verrat vor mehr als zwei Jahrzehnten widerfahren war. Lange hatte dieser mit einer Vielzahl anderer Leute für Astan gearbeitet, begeistert von dessen exzellenten Fähigkeiten auf dem Gebiet der Genetik und selbst wohl ebenfalls ein Genie.

Doch dann hatte der gute Willson offenbar Zweifel an der skrupellosen Art bekommen, mit der Astan sein Ziel verfolgte. Ein Ziel, das darin bestand Wesen zu erschaffen, die stärker, schneller und ausdauernder wären als jeder Mensch. Die unvorstellbare Begabungen hätten, mental kommunizieren könnten und beschleunigte Wundheilungskräfte besäßen. J’ajal hatte Astan diese wundersamen Geschöpfe genannt und er hatte sogar behauptet, einige von ihnen würden bereits unter den Menschen wandeln, sie würden sich nur nicht zu erkennen geben, weil sie befürchteten, sie könnten als Gefahr angesehen und ausgerottet werden.

»Gegen die Ausrottung eines ganz gewissen, sadistischen J’ajals hätte ich bestimmt nichts einzuwenden«, flüsterte Sahim in ihrem Verstand und Cey musste flüchtig lächeln, bevor sie ihrem Bruder ihre restlichen Erinnerungen an Astans Rede zeigte.

Offenbar hatte Willson all die furchtbaren Experimente – die Astan damals noch an Mäusen und Affen in einer privaten Einrichtung vorgenommen hatte – irgendwann nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren können und war deswegen klammheimlich untergetaucht. Die Zerstörung des zentralen Hauptcomputers, an dem Astan seine Forschungen betrieben hatte, sollte für eine ausreichende Ablenkung sorgen.

Doch so umsichtig Willson sein Verschwinden auch geplant haben mochte, mit seinem teuflischen Arbeitgeber hatte er es nicht aufnehmen können. Und nachdem Astan sich hinreichend mit ihm beschäftigt hatte – mit jeder Menge scharfer Klingen und diverser säurehaltiger Flüssigkeiten –, waren nicht einmal genügend Überreste für eine Beerdigung geblieben.

Cey wusste, dass sie all das nur erfahren hatte, weil Astan gerne von seinen ausgeübten Perversitäten erzählte. Warum er ausgerechnet jetzt zu der Feststellung gelangt war, Willson müsste damals einige ihrer gemeinsamen Erkenntnisse schriftlich festgehalten haben und diese könnten sich nirgendwo sonst als in dieser südkoreanischen Forschungsanlage befinden, hatte er ihr allerdings nicht verraten.

Weil er keineswegs besorgt gewirkt hatte, vermutete Cey, mit Willsons Unterlagen ließe sich nicht sonderlich viel anfangen und deswegen hätte Astan sie all die Jahre über ignoriert. Eine andere Möglichkeit war, dass er selbst die Dokumente kürzlich hier versteckt hatte, einfach nur, um sie einem weiteren seiner grausamen Kriegertrainings zu unterziehen und sie seine Macht spüren zu lassen.

»Egal, was davon stimmt – abliefern müssen wir die Akte trotzdem.« Gehetzt nahm Sahim eine weitere Schublade in Augenschein. Im Inneren befanden sich nicht nur unzählige weitere Berichte, sondern auch ein integriertes, verschlossenes Zusatzfach. Das sah endlich mal vielversprechend aus, allerdings ließ es sich durch kein noch so wildes Gerüttel öffnen.

Mit einem Knurren ließ Sahim die Kralle an seinem rechten Zeigefinger hervorschnellen und stocherte damit für einige Sekunden im Schloss des Fachs herum, dann ertönte ein kaum wahrnehmbares Klicken. Nun ließ sich das Fach mühelos öffnen und rasch inspizierte Sahim den Dokumentenstapel, der darin lag.

Die ersten Akten enthielten lange Reihen chemischer Strukturen – wohl für verschiedene Abwandlungen eines Betäubungsgases –, und er legte sie achtlos beiseite. Auch der nächste Bericht enthielt eine Unmenge von Formeln. Außerdem jedoch einen Vermerk auf der vorletzten Seite: Genmutation verläuft in allen Fällen tödlich – Experiment ist daher sofort einzustellen. Gezeichnet Dr. Dr. Willson.

Ein unglaubliches Gefühl der Erleichterung durchströmte Cey, während Sahim die Mappe vorsichtig unter sein dunkles Shirt schob. Und zwar keine Sekunde zu früh.

»Steh endlich auf!« Cey zog ihr Bewusstsein hastig zurück, als sie wiederholt an der Schulter geschüttelt wurde, und blickte in Owens schweißbedecktes, gerötetes Gesicht. »Du musst jetzt wieder von hier verschwinden.« Owens grinste dreckig. »Hat dir wohl so gut gefallen, dass du lieber noch eine Weile bleiben würdest, hm?«

Dem Brennen zwischen ihren Beinen zum Trotz nickte Cey. Sie fing ihr Kleidchen, Bustier und Slip auf, die der Soldat ihr zuwarf, und schlüpfte hinein.

Sichtlich zufrieden griff Owens nach ihrem Arm und schleifte sie zurück zu Sahim. »Los, du Rotzbengel, raus hier!«, blaffte er.

»Hab noch nichts gefunden«, log Sahim ohne Umschweife und verzog unglücklich das Gesicht.

»Mir egal!« Owens schnappte sich die Akte, in der Sahim gerade gelesen hatte, und beförderte sie zurück in den Schrank. Kurz schweifte der Blick des Mannes über die restlichen, ordentlich verschlossenen Schubladen des Archivs, dann wiederholte er seine Aufforderung. »Raus!«

Zuerst sah es so aus, als wollte sich Sahim unterwürfig an Owens vorbeischleichen, doch dann entdeckte er offenbar die Druckstellen an Ceys Armen. Ein plötzlicher Ruck ging durch Sahims Haltung und er stoppte.

»Lass sie los!«, verlangte er kalt und so gar nicht mehr eingeschüchtert von Owens größerer und viel massigerer Statur. »Und zwar sofort!«

»Sahim, nicht!« Cey starrte ihren Bruder flehentlich an. »Was du vorhast, fällt auf keinen Fall in Astans Kategorie von keine Spuren hinterlassen!«

»Du weißt doch gar nicht, was ich vorhabe«, erwiderte Sahim lautlos und mit versteinerter Miene, während er von Owens fassungslos gemustert wurde.

»Du halbwüchsiger Scheißer denkst, du könntest mir Befehle erteilen? Du –« Owens wurde von einem verzerrten Quäken seines Funkgeräts unterbrochen und ließ sie vor Schreck tatsächlich los.

Während er sich sichtlich unbehaglich meldete, probierte Cey es erneut. »Bitte, Sahim! Lass es wenigstens irgendeinen Sinn gehabt haben.«

Sahim schwieg, aber er unternahm auch nichts weiter und somit war es Owens vergönnt, lebend sein Gespräch zu beenden. Offenbar hatte sich ein hochrangiger Besucher ungeachtet der nächtlichen Uhrzeit bei der Institutsleitung angemeldet und der Private First Class war nun so darauf bedacht seine jungen Gäste schleunigst nach draußen zu führen, dass ihm gar nicht auffiel, wie sich Sahim den gesamten Weg über zwischen ihm und Cey hielt.

Sie hatten allerdings kaum die Hintertür des Labors passiert und waren zwischen zwei parkende Jeeps geschlüpft, da verflog Owens Furcht, was sein gesetzwidriges Verhalten für seine Zukunft bedeuten konnte, bereits wieder. Er versuchte sich rücksichtslos an Sahim vorbeizudrängen und Cey über die Wange zu streichen. »Vielleicht kommst du ja morgen Nacht noch mal vorbei, du hübsches Ding …«, säuselte er.

Sahim fing knurrend Owens tatschende Hand ab, während Cey ein abwesendes »Kein Bedarf« murmelte und verwirrt in Richtung des Gebäudes spähte, das sie gerade verlassen hatten. Sie konnte niemanden sehen oder hören und trotzdem hatte sie plötzlich das Gefühl, als wäre ihnen jemand gefolgt. Seltsam.

»Ach, ich versteh schon«, bemerkte Owens derweil gereizt zu Sahim. »Also schön – du kannst ebenfalls wieder mitkommen und weiter das Archiv durchstöbern. Zufrieden jetzt?«

»Nein, verdammt, bin ich ni–« Ein heftiger Stoß unterbrach Sahims lautstarke Erwiderung und er knallte unsanft mit dem Rücken gegen die Tür des Jeeps. Noch bevor er sich wieder aufgerichtet hatte, war Owens bereits an ihm vorbeimarschiert und Ceys Aufmerksamkeit wurde schlagartig zurück auf den bulligen Mann gelenkt.

»Ein Abschiedskuss vielleicht?« Mit einem lüsternen Grinsen beugte sich Owens zu ihr hinunter und packte sie an den Schultern. Als Cey hastig das Gesicht abwandte, wich die Belustigung in seiner Stimme offenkundiger Wut. »Jetzt stell dich nicht so an – vorhin warst du doch auch nicht so schüchtern!«

Owens Lippen streiften über ihre Schläfe und der widerwärtige Duft seines Aftershaves verursachte einen übelkeitserregenden Geschmack in ihrem Mund. Und obwohl sie an Situationen wie diese ja durchaus gewöhnt war, entglitt Cey langsam, aber sicher ihre mühsam aufrechterhaltene Selbstkontrolle. Ihre eben noch dunkelbraunen Augen verfärbten sich in ein bedrohliches Rot und womöglich hätte sie Owens – der viel zu abgelenkt war, um ihre Veränderung zu bemerken – nun selbst die Kehle zerfetzt, wenn nicht genau in diesem Moment eine männliche Stimme harsch befohlen hätte: »Geh sofort weg von ihr!« Und es war keineswegs Sahims Stimme.

»Scheiße!« Panisch ließ Owens von ihr ab und Cey blinzelte hastig, um das Rot aus ihren Augen zu vertreiben. Währenddessen war Sahim auf sie zugeeilt und zog sie beschützend an sich, was jedoch nicht verhindern konnte, dass Cey einen tiefen Schock empfand, als sie zu dem Neuankömmling hinüberblickte – und ihn erkannte!

Schließlich war sie diesem uniformierten Mann mit den grauen Haaren und den eindringlichen, silbrig-blauen Augen, der für sein fortgeschrittenes Alter ausgesprochen attraktiv und sportlich wirkte, bereits zweimal in ihrem Dasein begegnet und beide Male hatte er einen enormen Eindruck auf sie hinterlassen.

»Jisuho«, murmelte Cey mit belegter Stimme. Jetzt endlich wurde ihr klar, dass es seine Nähe gewesen war, die sie zuvor gespürt hatte, die Nähe eines Geschöpfs, das ihr einerseits so ähnlich und doch wieder völlig anders war. Schließlich war Jisuhos DNA nicht künstlich aufgespalten und verändert worden, um die Wandlung zum J’ajal zu erzwingen, welche die Natur nur für einige wenige Menschen – überwiegend Männer – und ausschließlich in deren jungen Erwachsenenalter vorgesehen hatte.

»Das ist Jisuho?«, vergewisserte sich Sahim lautlos bei ihr. »Dieser ungewöhnliche, nette Soldat, von dem du mir so oft erzählt hast?«

Cey nickte sachte. Ihr erstes Aufeinandertreffen lag nun beinahe drei Jahre zurück. Verheult und verdreckt und total verstört war sie gewesen, weil Astan sie inmitten eines blutigen Kriegsschauplatzes im Nahen Osten abgesetzt hatte. Als kleinen Test, wie gut ihre J’ajal-Orientierung funktionierte, wenn Rauchschwaden von brennenden Gebäuden sie einhüllten, Detonationen ihre Ohren zum Klingeln brachten und Kugeln im Sekundentakt an ihr vorbeipfiffen.

Cey war stundenlang durch die zerbombte Stadt geirrt, in der festen Überzeugung, alles was ihr hier widerfahren würde, wäre Schmerz, Gewalt und Tod. Deswegen war es ihr auch wie ein Wunder erschienen, als plötzlich ein Mann auf sie zugehastet war, der keineswegs ihre totale Auslöschung im Sinn gehabt, sondern im Gegenteil, ihr hatte helfen wollen. Ein älterer Soldat, der sie behutsam auf den Arm genommen und ihr immer wieder »Ich bringe dich in Sicherheit, mein Kind!« zugeflüstert hatte.

Das Schwarz ihrer Augen war prompt einem sehnsüchtigen Blau gewichen – damals, wenige Wochen nach ihrer Erschaffung, hatte sie diese gefühlsmäßigen Farbwechsel noch sehr viel weniger kontrollieren können als heute – und somit war Jisuho recht schnell klargewesen, was für ein Geschöpf er da in seinen Armen trug.

Genau wie jeder andere, natürlich gewandelte J’ajal gehörte auch Jisuho einer der zahlreichen J’ajal-Organisationen an, die sich im Laufe der Zeit über alle Kontinente hinweg gebildet hatten. Und ungeachtet ihrer sonstigen unterschiedlich gearteten Ziele und Wertevorstellungen, einem Gesetz hatten sie alle zu folgen geschworen – dem Gesetz, jeden neu entdeckten J’ajal sofort zu melden und in Gewahrsam zu nehmen, um somit zu verhindern, dass dieser ihre Existenz der menschlichen Öffentlichkeit preisgab.

Von daher wäre es Jisuhos Pflicht gewesen, Cey augenblicklich seiner Organisation auszuliefern. Weil er jedoch geahnt hatte, welche Gefahren und Strapazen er ihr damit aufbürden würde – ein J’ajal-Kind war in seiner Welt schließlich etwas absolut Unmögliches und deshalb wäre sie tausend Befragungen und Untersuchungen unterzogen worden –, hatte er sie nicht gemeldet und sie stattdessen übergangsweise, bis er selbst mehr über sie herausgefunden hätte, bei einer warmherzigen, menschlichen Pflegefamilie untergebracht.

Die Tage, die Cey dort verbracht hatte, gehörten zu den wenigen schönen Momenten ihres Daseins. Sie hatte kurz davorgestanden sich Jisuho über ihre grausame Vergangenheit oder ihre Erschaffung anzuvertrauen, in der Hoffnung, er könnte auch all die anderen Jungen und Mädchen befreien. Doch bevor es soweit gekommen war, hatte ein grinsender Astan an die Tür des Hauses ihrer Pflegefamilie geklopft und verkündet, er würde seine Kriegerin jetzt wieder in ihren gemütlichen Kerker zurückbringen.

Anschließend hatte er sowohl ihre Pflegeltern als auch ihre Pflegegeschwister ohne mit der Wimper zu zucken gefesselt und sie bei lebendigem Leib zusammen mit ihrem kompletten Zuhause verbrannt. Und rein vorsorglich, um jeden Gedanken an Rebellion oder Widerstand auszumerzen, waren Cey und sämtliche ihrer Mitgefangenen solch qualvollen geistigen und körperlichen Bestrafungen unterzogen worden, dass es Dutzende von ihnen nicht überstanden hatten.

Danach hatte Cey nie wieder daran gedacht, Astan zu verraten – bis zu ihrem nächsten Aufeinandertreffen mit Jisuho. Zwei Jahre älter war sie gewesen und sie hatte gerade auf den Befehl ihres dunklen Schöpfers hin ein Massaker unter den Mitgliedern eines New Yorker Fight Clubs angerichtet.

Bis heute wusste Cey nicht, warum Jisuho ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt in dem Club aufgekreuzt war und es war ihr ebenfalls ein Rätsel, warum er sie – eine offensichtliche Mörderin mit bluttriefenden Händen – nicht einfach mit seiner Dienstwaffe erschossen hatte. Stattdessen hatte er sie mit in seine Wohnung genommen und sich aufrichtig bemüht herauszufinden, wo sie die gesamte Zeit über gesteckt hatte und was damals mit ihrer Pflegefamilie geschehen war.

»Ich hatte dir versprochen, ich würde dich in Sicherheit, bringen, mein Kind. Und ich halte meine Versprechen!«

Das hatte er in etwa hundert Mal zu ihr gesagt und sie damit ernsthaft in Versuchung geführt, ihr stoisches Schweigen zu brechen. Letztendlich war sie allerdings doch durch das Fenster des Badezimmers geflohen, zu groß war ihre Furcht gewesen, Astan würde mit seinen üblichen Methoden auf einen Fluchtversuch reagieren und nicht nur seine angehenden Krieger, sondern auch wahllos entführte, unschuldige Menschen grausam foltern und vernichten.

Trotzdem hatte sie auch diese Begegnung tief berührt, Jisuhos offenkundige Wut auf denjenigen, der ihr Verhalten steuerte und sie in eine Kampfmaschine zu verwandeln versuchte, und noch weitaus mehr seine aufrichtige Zuneigung und Sorge. Und jetzt standen sie sich erneut gegenüber …

Für einige Sekunden ruhte Jisuhos Blick still auf Cey, ihrem zerknitternden Kleidchen und Sahims sanfter Umarmung, dann stapfte er zornbebend auf Owens zu.

»Es … es ist nicht so, wie es aussieht, Colonel!«, stammelte der Mann nervös.

»Wie sieht es denn aus?«, erkundigte sich Jisuho mit einem äußerst gefährlichen Tonfall in der Stimme, bevor er fluchend seine Faust in die Wagentür des Jeeps rammte und eine ansehnliche Beule darin hinterließ. »Herrgott nochmal …«, er beäugte das Namenschild an der Brust des Privates, offenbar kannte er ihn nicht persönlich. »Owens! Was haben Sie sich denn nur dabei gedacht? Dieses Mädchen ist doch höchstens neun oder zehn!«

»Achtzehn«, widersprach Owens lahm, der wohl genau wusste, wie wenig glaubwürdig diese Ausrede im Hinblick auf ihr Aussehen war. Verstört musterte er das eingedrückte Metall, dann ergänzte er fahrig: »Mir gegenüber hat sie behauptet, sie wäre nur klein und sehr zierlich, aber trotzdem bereits –«

»Maul halten!« Jisuho kramte ein Handy aus seiner Uniformjacke hervor, erteilte den Befehl, umgehend zu überprüfen, ob sich irgendjemand im Institut nicht an seinem zugewiesenen Platz befand, und forderte außerdem zwei Sergeants an, die keine Minute später auf dem Parkplatz eintrafen.

»Private First Class Owens steht unter Arrest! Und zwar so lange, bis ich etwas anderes sage. Verstanden?«

Ob es an Jisuhos ausgesprochen grimmiger Miene lag oder einfach an seinem Status als ranghöherer Offizier, die beiden Sergeants nickten hastig.

»Wegtreten!«, forderte Jisuho und als einer der Männer zunächst unschlüssig Cey und Sahim beäugte, benötigte es nur einer einzigen herrischen Geste von Jisuho und die Sergeants eilten zurück in das Gebäude – mit einem protestierenden Owens in ihrer Mitte.

»Cey, wir müssen schleunigst von hier verschwinden!«, sandte Sahim lautlos in ihr Bewusstsein. »Es kann nicht allzu lange dauern, bis der nächste Institutsangestellte oder Soldat auf dem Parkplatz aufkreuzt.«

»Ich weiß«, erwiderte Cey. Trotzdem war es ihr unmöglich, sich von Jisuho abzuwenden und zu gehen. Offenbar existierte irgendwo, tief in ihr drinnen, doch noch der schwache Hoffnungsschimmer, Jisuho könnte tatsächlich etwas an dem leidvollen Schicksal ändern, das Astan seinen Kriegern zugedacht hatte.

»Ich bin sehr froh zu sehen, dass du noch lebst«, verkündete Jisuho ihr in diesem Moment mit sehr ernster Stimme. »Und einen Freund an deiner Seite zu wissen«, er nickte Sahim zu und schenkte ihm ein kurzes Lächeln, »empfinde ich einerseits als sehr beruhigend. Andererseits gehe ich davon aus, er befindet sich in der gleichen furchtbaren Situation wie du, nicht wahr, mein Kind?«

»Ich bin kein Kind mehr!«, erwiderte Cey automatisch, obwohl sie eigentlich gar nichts hatte sagen wollen. Sahim hingegen blieb stumm, der Druck seiner Arme verstärkte sich allerdings ein wenig.

»Nun, vielleicht würde ich dich anders nennen, wenn du mir endlich deinen Namen verraten würdest. Vielleicht aber auch nicht.« Jisuho griff erneut zu seinem Handy. »Und jetzt rufe ich zuerst mal einen Arzt.«

Weitere Zeugen konnten sie hier gewiss nicht gebrauchen und jeden, der auch nur das Geringste mit Medizin zu tun hatte, hasste Cey sowieso aus vollstem Herzen. Also versuchte sie Jisuho eilig mit einer schnippischen Bemerkung von seinem Vorhaben abzubringen. »Einen Arzt? Wofür? Hast du dir etwa deine Hand beim Demolieren des Jeeps verletzt?«

»Ich meinte für dich, das weißt du genau. Was Owens getan hat –«

Ceys Finger krampften sich um Sahims Arm und augenblicklich mischte sich ihr Bruder in das Gespräch ein. »Du solltest dir viel lieber Gedanken um deine eigenen Leute machen!«

Mit einem gehässigen Grinsen zeigte Sahim auf den Forschungskomplex, doch Jisuho schüttelte nur nachsichtig den Kopf. »Solltet ihr tatsächlich jemanden aus dieser Anlage ermordet haben, wäre ich bereits informiert worden. Aber da du es offensichtlich nicht möchtest«, Jisuho steckte sein Handy wieder ein, »werde ich keinen Arzt rufen. Vorerst.«

Während Cey noch über das Wörtchen vorerst die Stirn runzelte, sprach Jisuho bereits weiter.

»Ich habe einige Vorkehrungen getroffen, für den Fall, dass wir uns wiedersehen. Eine Unterkunft, die auf keinen Fall aufgespürt werden kann. Und es gibt einige Personen, bei denen ich mir vollkommen sicher bin, dass sie die Existenz von J’ajal-Kindern ebenso geheim halten würden wie ich und alles dafür geben werden, um euch zu beschützen. Also, mein liebes Kind …«

Jisuhos Miene wurde unendlich sanft und ein merkwürdig warmes Gefühl breitete sich in Cey aus. Sie bemerkte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten, die sie schon viel zu lange zurückgehalten hatte, weil Astan babyhaftes Geheule bei seinen Kriegern nicht duldete.

»Verrätst du es mir dieses Mal?«, bat Jisuho leise. »Sagst du mir, wer euch all das antut, wer euch zu diesen grauenhaften Dingen zwingt, die ihr gar nicht tun möchtet? Oder du«, er wandte sich an Sahim, »sagst du es mir, mein Junge? Lässt du zu, dass ich euch helfe?«

»Das kannst du nicht«, erwiderte Sahim nüchtern und Cey musste nun umso heftiger schlucken. Hatte ihr Bruder den Glauben an eine bessere, eine freie Zukunft tatsächlich schon für immer aufgegeben?

»Ich behaupte keineswegs, es würde einfach werden«, erwiderte Jisuho Sahim ruhig. »Aber ich bin der Meinung, dass die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt alles verändern kann. Und ihr solltet niemals vergessen –«

»Oh, fuck!« Der bestürzte Ausruf ihres Bruders ließ Cey herumschnellen und alarmiert sah sie zu ihm auf. Er hatte seinen Blick quer über den Parkplatz hinweg auf einen Kleintransporter gerichtet. Einen Kleintransporter, in dessen Schatten sich ein weißhaariger, bleicher J’ajal als ihre Rückendeckung verbergen sollte.

Die Wärme, die Cey gerade noch empfunden hatte, verflog so rasch, als wäre sie niemals da gewesen, und stattdessen bekam sie eine Gänsehaut am gesamten Körper. Wie hatte sie sich nur dermaßen von Owens und Jisuho ablenken lassen können, um das Offensichtliche nicht zu bemerken?

»Ich spüre seine Präsenz überhaupt nicht!«

Sahim nickte finster. Und weil der Graf niemals freiwillig seine Position verlassen hätte, ohne sie zuvor mental zu informieren, konnte das nur eines bedeuten – etwas lief hier gerade gewaltig schief.

Angst und Sorge um ihren Bruder durchfluteten Ceys Innerstes und Jisuho kniff konzentriert die Augen zusammen. »Was ist los?«, wollte er wissen, während sich seine Hand wohl instinktiv auf den Griff seiner Waffe gesenkt hatte. Ob diese Bewegung daran schuld war oder auch nicht, plötzlich zeichnete sich der rote Punkt eines Laserstrahls auf Jisuhos Brust ab und dann wurde Cey auch schon mit einem gebrüllten »Runter!« von Sahim zu Boden gerissen.

Vom Dach des Forschungsinstituts peitschten Schüsse lautstark durch die Nacht und die Scheibe eines Fahrzeugs zersprang mit einem hellen Klirren. Gleich darauf ertönte eine Vielzahl schriller Sirenen und doch war der mit Abstand fürchterlichste Laut, den Cey in all diesem Getöse vernahm, ein fast unhörbar leises Stöhnen.

»Jisuho!« Halb unter ihrem Bruder begraben, schaffte Cey es kaum, den Kopf zu drehen, doch dann erblickte sie den grauhaarigen J’ajal in nur wenigen Metern Entfernung auf dem Parkplatzpflaster liegend. Die Kugeln hatten seine Brust verfehlt, aber sein rechtes Hosenbein wies an mehreren Stellen dunkle Flecken auf, die sich scheinbar rasend schnell ausbreiteten. Und auch an der Schulter war er wohl mehrfach getroffen worden.

Das Geballer kam endlich zum Erliegen und Cey wollte schon auf Jisuho zurobben, Sahim hielt sie allerdings zurück.

»Lass mich!«, zischte Cey. »Sonst verblutet er vielleicht.«

»Du kannst nicht zu ihm gehen«, erwiderte Sahim mit bewundernswerter Ruhe. »Cey, sieh doch hin – es wurde einzig auf ihn gezielt.«

Und tatsächlich deuteten die zahlreichen Glas- und Metallsplitter, die ausschließlich in Jisuhos unmittelbarer Nähe lagen, genau darauf hin und dennoch –

»Es ist mir egal! Ich will zu ihm!« Cey stand kurz davor, nach der Hand ihres Bruders zu schlagen, die sie immer noch festhielt, doch da erklang Jisuhos schmerzverzerrte Stimme. »Er hat Recht. Verschwindet von hier. Und zwar sofort!«

Sahim brauchte keine zweite Aufforderung. Er richtete sich augenblicklich auf und zerrte sie ebenfalls auf die Füße. Behutsam, aber auch unnachgiebig, versuchte er sie von dem Forschungslabor weg in Richtung des Zauns zu drängen, doch Cey wehrte sich mit aller Kraft. Sie wollte Jisuho nicht einfach verletzt zurücklassen. Wollte nicht all ihre Hoffnung aufgeben, die sie in diesen Mann gesetzt hatte.

»Cey!« Sie erstarrte, als sie zum ersten Mal ihren Namen aus Jisuhos Mund vernahm. Er hatte sich also genau gemerkt, wie Sahim sie angesprochen hatte. »Bitte. Du musst auf deinen Freund hören. Es wird gleich auf diesem Parkplatz nur so von Soldaten wimmeln und …« Jisuho keuchte kurz auf, hatte sich aber gleich wieder gefangen. »Und sie werden sich um mich kümmern und denjenigen schnappen, der es auf mich abgesehen hat. Für euch ist es allerdings viel zu gefährlich hierzubleiben. Wir werden uns woanders wiedertreffen.« Er nannte die Adresse eines Hotels in der nächsten Stadt und eine zweite für einen Ort im Osten der USA, dann machte er eine scheuchende Bewegung mit seinen Fingern. »Und jetzt verschwindet endlich! Los, los, los!«

Für zwei, drei Sekunden erwiderte Cey noch stumm Jisuhos eindringlichen Blick, dann wandte sie sich ab und rannte zusammen mit Sahim geduckt über den Parkplatz. Niemand schoss auf sie und so erreichten sie unbehelligt das Loch im Zaun und schlüpften hastig hindurch. Anschließend stoppte Cey jedoch und griff nach Sahims Hand. »Bitte«, sagte sie leise. »Lass uns warten, bis jemand bei ihm ist.«

Sahim gefiel ihr Wunsch offenbar gar nicht, aber er nickte. Angestrengt spähte Cey zu der Stelle auf dem Dach des Forschungslabors, von wo aus die Schüsse abgefeuert worden sein mussten, sie konnte allerdings niemanden entdecken. Und seltsamerweise strömten immer noch keine Soldaten durch die Hintertür des Gebäudes.

»Sahim …«

»Ja, ich weiß. Das Ganze wird immer merkwürdiger.« Ihr Bruder umschlang ihre Hand fester, wohl um ihr einerseits seinen Zuspruch zu signalisieren, als auch um sie daran zu hindern, wieder zurück auf das Militärgelände zu schlüpfen.

Ceys Blick schnellte nun jedoch von der Anlage weg nach links und Sahim wandte sich nur einen Sekundbruchteil später ebenfalls in diese Richtung. Sie beide hatten nicht erneut den Fehler begangen, ihr übermenschliches Gespür außer Acht zu lassen und so fühlten sie nun ganz deutlich die J’ajal-Präsenz, die sich ihnen zügig näherte – eine vertraute Präsenz.

Und tatsächlich kam einige Augenblicke später ein junger Latino in Sahims Alter mit einem unter den Arm geklemmten Tablet auf sie zu gestolpert – Zane. Da sie sich die meiste Zeit des Jahres über die gleiche Zelle in Astans Verlies teilten, betrachtete Cey ihn ebenfalls als ihren Bruder, auch wenn er ihr nicht ganz so nahestand wie der Graf oder Sahim.

Als einer der wenigen ihrer Mitgefangenen besaß Zane noch eine genetische Schwester – seine Zwillingsschwester Valiria, die jedoch stets in einem anderen Teil des Kerkers gefangen gehalten wurde. Astan hatte Zane und Valiria damals im Kleinkindalter zusammen entführt, nachdem er monatelang nach den erfolgversprechendsten Kandidaten für sein J’ajal-Kriegerprogramm Ausschau gehalten hatte.

»Zane!« Cey verzog verwundert das Gesicht. »Wie kommst du denn hierher?« Ihre Verblüffung wich einer panischen Furcht, sobald sie Zanes hängenden Schultern bemerkte und die Tränen, die im Mondlicht auf seinen Wangen glitzerten. Es war schon eine ganze Weile her, seit sie ihn das letzte Mal hatte weinen sehen, und das war gewesen, als Astan Valiria vor seinen Augen vergewaltigt hatte.

»Es … es tut mir so leid, Cey«, antworte Zane stockend, während weitere Tränen über sein Gesicht strömten. »Aber er hat gesagt, er würde meine Schwester … er würde tausende Simulationen in ihrem Geist ausführen, wie er sie wieder und wieder foltern und vernichten würde, wenn ich nicht …« Er verstummte, packte mit hasserfüllter Miene das Tablet und warf es in einem hohen Bogen davon.

Cey spürte, wie eine eisige Hand nach ihrem Herzen griff und unbarmherzig zudrückte. »Wenn du was nicht?«, fragte sie tonlos. »Zane, was hast du getan?«

Neben ihr spannte sich Sahim merklich an und als Zane nur mit zitternden Fingern auf den Forschungskomplex zeigte, befahl er scharf: »Du wirst uns jetzt sofort sagen, warum du hier bist! Verstanden?«

»Sie … sie können nicht raus«, schniefte Zane und wischte mit dem Handrücken über das Gesicht. »Die Türen und Fenster werden alle elektronisch gesteuert und ich habe die Notfallüberbrückung sabotiert und –«

Zane brach ab, als ein leises Jaulen vom nächtlichen Himmel ertönte, ein Jaulen, das rasch lauter und lauter wurde.

»Nein!« Schreckensbleich starrte Cey auf das Forschungslabor. Sie kannte dieses Geräusch, hatte es oft genug vernommen, nicht nur im Nahen Osten. Eine Rakete … Und gleich würde sie in ein Gebäude mit an die hundert Menschen einschlagen und dabei gewiss keinen einzelnen, verletzten J’ajal verschonen.

»Jisuho!« Cey sprang mit einem Satz auf den Zaun zu, wurde jedoch zu Boden geworfen, bevor sie die Maschen überhaupt berühren konnte.

»Cey, nicht!« Sahim versuchte verzweifelt sie festzuhalten. »Es ist zu spät!«

Mit einem Fauchen schlug Cey um sich und vermutlich wäre es ihr aufgrund ihrer höheren Schnelligkeit und ihren Verrenkungskünsten tatsächlich gelungen, sich zu befreien, wenn sich nicht Zane nun ebenfalls auf sie gestürzt hätte. Weil Cey trotz des brennenden Schmerzes in ihrer Brust nicht bereit war eine ernsthafte Verletzung ihrer Brüder zu riskieren – indem sie etwa ihre Krallen einsetzte –, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Gegenwehr einzustellen und stattdessen voller Entsetzen auf das Militärgelände zu starren.

Ein letztes, dröhnendes Jaulen erklang und dann verging der Forschungskomplex in einem gigantischen, glutroten Feuerball. Die Erschütterung war auch außerhalb des Einschlagareals noch deutlich zu spüren und selbst bei den Fahrzeugen, die auf dem hintersten Teil des Parkplatzes standen und nicht von umherfliegenden, brennenden Trümmern getroffen wurden, zerbarsten sämtliche Glasscheiben. Etliche Flammenherde loderten auf und verbreiteten beißenden Rauch und den Gestank von verschmortem Gummi. Vier oder fünf Autos explodierten, als das Feuer ihren Benzintank erreichte, aber Cey und ihre Brüder blieben trotz all der Vernichtung vollkommen unverletzt.

Und das brachte Cey fast um ihren Verstand. Warum nur musste sie stets hilflos mitansehen, wie alles, was ihr wichtig war, für immer zerstört wurde? Ich halte es nicht mehr aus! Ich halte dieses furchtbare Dasein einfach nicht mehr aus!

»Cey.« Sahim richtete sich ein wenig auf, zog sie auf seinen Schoß und blickte ihr forschend ins Gesicht.

Währenddessen sprudelten die Worte aus Zane plötzlich nur so heraus. »Es ging überhaupt nicht um Willsons Akte! Astan ging es von Anfang an nur um Jisuho. Ich weiß nicht, wann oder von wem er erfahren hat, dass es da jemanden außerhalb unserer Reihen gibt, der dir etwas bedeutet, Cey. Ob er es in deinem eigenen Geist gelesen hat oder bei einem von uns. Aber sobald ihr nach Südkorea aufgebrochen wart, ist er zu mir gekommen und hat mir befohlen Jisuho und alle in seinem Umkreis befindlichen Personen zu töten. Er wusste, Jisuho würde heute Nacht hier sein und hat mir die Codes für die Rakete gegeben. Und weil ihr mich bis zum Schluss nicht bemerken solltet, hat er mir einen menschlichen Sniper an die Seite gestellt, der verhindern sollte, dass sich Jisuho zu weit von dem Gebäude wegbewegt. Der Graf hat den Kerl entdeckt, als sich dieser über das Gelände geschlichen hat, und ich musste unseren Bruder betäuben und wegschaffen, bevor er euch warnen konnte. Ging überraschend einfach, ihn zu überwältigen, weil … weil er mir vertraut hat.«

Zane holte verbittert Luft, Cey fühlte sich allerdings viel zu gefangen in ihren eigenen, dunklen Gedanken, um Mitgefühl für ihn aufbringen zu können. »Es ist doch schon so lange her gewesen, seit ich Jisuho das letzte Mal getroffen habe«, murmelte sie, während sie mehr und mehr in der Finsternis versank.

»Astan sagte, jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, dass du dich endgültig von den letzten deiner lächerlichen Gefühle lossagst«, erwiderte Zane leise. »Eine Kriegerin, die etwas für einen Außenstehenden empfindet, kann er nicht gebrauchen. Und deswegen soll ich dir auch ein Versprechen von ihm ausrichten: Bis in alle Ewigkeit wird er jede einzelne Person aufspüren und töten, der es gelingt, dir ein winziges Lächeln, ein einziges, liebevolles Wort oder ein sonstiges Anzeichen von Zuneigung zu entlocken. Und er hat …« Zane biss sich auf die Zunge, anschließend ergänzte er jedoch noch leiser als zuvor: »Er hat wohl einiges vorbereitet, um dich nach deiner Rückkehr von seiner Vorstellung eines perfekten Kriegers zu überzeugen. Und –«

»Halt endlich den Mund, Zane!«, knurrte Sahim und den Blick, den er auf seinen Bruder richtete, hätte man schon fast dafür benutzen können, um Diamanten zu schneiden. »Merkst du denn nicht, wann es besser ist, einfach mal die Klappe zu halten? Hast du denn nicht schon genug angerichtet?«

»Ich …« Zane streckte die Hand nach Ceys Gesicht aus und ließ sie dann doch wieder sinken, als Cey merklich zusammenzuckte. »Es tut mir leid. Es tut mir wirklich unendlich leid, bitte glaube mir, Cey. Aber – aber du musst mit zurückkommen. Astan wird Valiria und die anderen unvorstellbaren Qualen aussetzen, wenn du nicht wiederkehrst. Und dich wird er trotzdem irgendwann wieder einfangen und zurück in unser Verlies bringen, das weißt du.«

Natürlich wusste Cey das, schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass so etwas geschah. Aber es hatte keine Bedeutung mehr für sie. Nichts hatte mehr eine Bedeutung.

»Cey.« Zane berührte nun doch ihr Gesicht und als Sahim wütend seine Hand wegschlagen wollte, gebot er ihm in einem plötzlich überaus herrischen Ton: »Nicht!«

Verblüfft hielt Sahim inne und als Zane wiederholt über ihre Wange strich, sah auch Cey letztendlich zu ihrem Bruder auf.

»Du weißt noch mehr, Cey«, bemerkte Zane eindringlich. »Dass ich dich über alles liebe. Und dass er offensichtlich viel zu gut darin ist, Dinge herauszufinden, die du vor ihm verstecken möchtest.«

Zane sprach nicht weiter und doch erlaubte er ihr auch nicht ihren Blick von ihm abzuwenden. Und plötzlich weiteten sich Ceys Augen und Erleichterung, Glück und Freude verdrängten ihre depressiven und selbstzerstörerischen Emotionen.

»Du hast –« Zane schüttelte sofort den Kopf und Cey korrigierte sich hastig, um nicht all das zu gefährden, was Zane gerade für sie zu opfern bereit war. »Du hast Recht. Wir müssen zurück. Und wir sollten uns beeilen.«

Sie sprang auf und weil Sahim sich zwar ebenfalls erhob, jedoch keineswegs so aussah, als ob das Thema für ihn so einfach erledigt wäre, nahm sie seine Hand und drückte sie kurz. »Vertrau mir«, sagte sie und statt eine der zahllosen Fragen zu stellen, die ihm im Kopf herumschwirren mussten, zog er sie kurz an sich. »Immer!«, verkündete er ernst.

Zu dritt gingen sie los in Richtung einer kleinen Baum- und Strauchgruppe, zu der Zane den bewusstlosen Grafen geschleppt hatte, und Cey sah nicht ein einziges Mal zu den Trümmern der südkoreanischen Forschungseinrichtung zurück.

Sie erlaubte sich auch keinen einzigen Gedanken daran, was Zane wohl getan haben könnte, um Jisuho im Gegenteil zu allen anderen Personen auf dem Militärgelände zumindest eine minimale Überlebenschance zu gewähren. Stattdessen überlegte sie, wie sie selbst angesichts von Astans Vorhaben, ihre Gefühle auszulöschen, niemals die Hoffnung vergaß, die Jisuho ihr geschenkt hatte, und genauso wenig seine Worte über die richtige Person und den richtigen Zeitpunkt.

Und es dauerte nicht allzu lange, bis Cey wusste, wie sie das anstellen konnte. Sie würde ihren Brüdern und Schwestern und all ihren Mitgefangenen eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die jeder von ihnen so sehr verinnerlichen würde, dass sie niemals in Vergessenheit geriet. Und die ihr die anderen ebenfalls erzählen konnten, sollte Astan es tatsächlich gelingen, sie in einen Zustand völliger Apathie zu treiben.

Eines Tages werden wir für jede Mutter, die wir verloren haben, viele Mütter bekommen, und für jeden Vater viele Väter. Für jeden Bruder und jede Schwester werden wir eine Menge Geschwister um uns herum haben und für jeden alten Freund, den wir niemals wiedersehen, kommen neue Freunde. Für jede Träne werden wir hunderte Male lachen, für jeden Schmerz hunderte Male getröstet werden und jeder Hass wird einer grenzenlosen Liebe weichen müssen. Wir werden niemals aufgeben und Astan wird niemals gewinnen. Denn eines Tages wird jemand kommen, der ihn besiegen kann!

Cey lächelte kurz über die Worte, die von nun an in jeder Nacht erklingen sollten, erst nur in ihrem eigenen Verlies, dann auch in allen anderen. Natürlich ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wen genau ihre Mitgefangenen dazu auserwählen würden, Astan zu besiegen …

Kapitel 1

Heute

Der leichte Nieselregen, der in der frühen Nacht eingesetzt hatte, ging allmählich in ein immer heftiger werdendes Gewitter über, doch Cey interessierte sich weder für die Blitze, die über den Himmel zuckten, noch für den starken Wind, der um den Westturm der Seday Academy brauste. In ihren schwarzen, durchweichten Jeans und dem schlabbrigen, weißen Sweatpullover saß sie dicht an den Zinnen und starrte tief in Gedanken versunken auf die zahlreichen Gebäude, Trainingsplätze und die gigantische Sporthalle hinab.

Keine dreißig Stunden waren seit ihrer Rückkehr nach Area XV4 vergangen und nach all den turbulenten und schmerzlichen Ereignissen der jüngsten Zeit hatte sie sich so sehr nach einer Pause von ihrem Dasein als Dämonenwächterin gesehnt, nach einem Alltag, der nur die Probleme einer gewöhnlichen Zweit-Trimester-Schülerin für sie bereithielt.

War wohl zu viel verlangt! Cey blinzelte kurz, als in ihrem Bewusstsein das Abbild eines jungen Mannes mit Cowboyhut, Dreitagebart und verwuschelten, schulterlangen Haaren auftauchte, und senkte dann ihren Kopf auf die Knie. Sie fühlte sich so unglaublich müde und erschöpft.

»Cey! Jetzt erklär mir doch bitte endlich, was das alles zu bedeuten hat!« In ihrem Rücken erklangen Schritte und Nathan, der bislang auf ihren Wunsch hin Abstand gewahrt und sie nur vom Treppendurchgang des Turms aus aufmerksam beobachtet hatte, eilte auf sie zu. Er setzte sich neben sie und strich mit den Fingern sachte über ihre Schulter.

Für gewöhnlich mochte Cey die Berührungen des siebenundzwanzigjährigen, blonden Sunny-Boys, der sie von seinem Aussehen her stets an einen kalifornischen Surfer erinnerte. Ja, mittlerweile war sie sogar bereit zuzugeben, dass mögen ein viel zu schwaches Wort war, um ihre Gefühle für diesen übermütigen Kerl auszudrücken. Mit seiner lebensfrohen und unwiderstehlichen Art hatte er schon längst ihr Herz für sich gewonnen. Sie liebte ihn.

Allerdings wollte sie momentan einfach mit niemandem sprechen und erst recht wollte sie sich nicht den finsteren Schatten ihrer Vergangenheit stellen, die sie nun einmal mehr zu verschlingen drohten.

Nein! Cey kauerte sich noch weiter zusammen. Sich vor all dem zu verstecken ist die wesentlich sinnvollere Option, entschied sie stumm.

Ihre abweisende Haltung entlockte Nathan ein lautes Seufzen und er zog seine Hand wieder zurück. Die nächsten Minuten schwieg er, allerdings entging es Cey keineswegs, wie er unruhig auf seinem Platz hin und her rutschte. Und dann, nach dem nächsten Donnerschlag, erklangen erneut Schritte.

»Was ist los?«, erkundigte sich eine energische Stimme, von der Cey auch ohne hinzusehen genau wusste, wem sie gehörte – einem muskulösen, dunkelhäutigen J’ajal mit warmen, goldbraunen Augen, der sich über seinem rechten Ohr ein geheimnisvolles Tribal in die kurzen Haare hatte einrasieren lassen. Xyen.

Ihm war es ebenfalls gelungen, ihr Herz zu erobern, allerdings hatten zahlreiche Widrigkeiten bislang jeden weiteren Schritt in ihrer Beziehung erfolgreich verhindert.

»Musste das denn sein?« Vorwurfsvoll schielte Cey zwischen ihren nassen Haarsträhnen zu Nathan hinüber. Es war offenkundig, dass er Xyen gerufen hatte, und damit konnte sie sich endgültig von ihrem Wunsch alleine zu sein verabschieden.

»Jep, das musste sein«, erwiderte Nathan ihr ungerührt. »Schließlich weigerst du dich ja mit mir zu sprechen.« Und dann wandte er sich an seinen Teamanführer. »Warum hat deine Seday-Rats-Sitzung denn so ewig gedauert?«, beschwerte er sich. »Noch ein paar Minuten länger und ich wäre wahrscheinlich zu dir gestürmt, um dich hierher zu zerren.«

»Du hast mir mental mitgeteilt, es sei kein ultra-dringender, sondern nur ein dringender Notfall«, bemerkte Xyen ruhig, während er Cey gleichzeitig mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. Hastig vergrub sie das Gesicht wieder an ihren Knien. »Außerdem wirst du bald selbst miterleben, Nathan, wie zeitaufwendig es ist, jede größere Entscheidung, die unsere Seday-Politik oder einen speziellen Militär-Einsatz betrifft, in der Runde von sämtlichen USF-Teamanführern und Leitern unserer Stützpunkte zu diskutieren.«

Diesen letzten Satz hatte Xyen vermutlich nur ergänzt, weil er noch einige Sekunden darauf verwenden wollte das Chaos in ihren Gefühlen zu analysieren. Weil ihr Mentor ihr im Gegenzug dafür, dass er dank seiner besonderen J’ajal-Fähigkeit ihre Emotionen spüren konnte, seine eigenen ebenfalls zusandte – wenn auch in abgeschwächter Form –, wusste Cey, dass er sich Sorgen machte. Und er bereits etwas entschieden hatte, obwohl doch noch gar keine Antwort auf seine Frage erfolgt war. Vorsichtshalber richtete sich Cey nun doch wieder auf und verhakte ihre Finger – in dem festen Vorhaben für immer und ewig hier draußen zu bleiben – in einer der Zinnen des Turms.

Derweil bemerkte Nathan keineswegs eingeschüchtert: »Stimmt, als dein offizieller Stellvertreter darf ich ja jetzt für dich bei diesen Rats-Sitzungen einspringen. Ich schätze allerdings …« Nathan holte tief Luft. »… unser aktuelles Problem würde sich nicht so gut als Tagesordnungspunkt machen. Es geht um Glen, einen unserer neuen Ersttrimestler. Ein Cowboyheld, der wohl bereits von der Hälfte aller Schülerinnen als – wie hast du es genannt, Cey? – als echt heißer Typ angesehen wird.«

»Das waren Skys Worte, nicht meine«, erwiderte Cey mürrisch, ihr Einwand wurde von Xyen jedoch mit einem knappen »Erzähl weiter« übergangen.

»Nun ja …«, fuhr Nathan gedehnt fort. »Was das wohl Außergewöhnlichste an diesem Kerl ist – er ist keineswegs ein frisch gewandelter J’ajal. Sondern ein Dämon.«

»Stimmt das, Cey?« Xyens Stimme klang nicht hektischer als zuvor und wieder einmal beneidete Cey ihren Mentor um seine innere Gelassenheit. Bis er ausrastete, musste wirklich schon einiges geschehen. Und dazu gehörte offenbar nicht die Tatsache, dass sich einer von Astans einstigen Kriegern – eines jener Wesen, die sich mit dem dunklen Geist ihres Schöpfers vereint hatten und deshalb einen winzigen Teil von Astans Seele in sich trugen – in Area XV4 aufhielt.

»Ja«, bestätigte sie knapp.

»Und liege ich richtig mit meiner Annahme, du hättest Glen bereits getötet, wenn seine Anwesenheit für irgendjemanden hier eine akute Gefahr bedeuten würde?«

Cey bejahte auch diese Frage. Schließlich war es genau das, was jeder Wächter geschworen hatte: ihre ehemaligen Mitgefangenen im Auge zu behalten und jeden zu vernichten, in dem die Finsternis zu mächtig wurde. Und sie als Anführerin der Wächter hatte zweifellos mehr Dämonen in die Nicht-Existenz geschickt als jeder andere.

»Wenn vielleicht auch nicht jetzt sofort, dieser Kerl stellt trotzdem eine immense Bedrohung dar«, merkte Nathan aufgebracht an. »Er hat sich schließlich nicht deshalb einfangen und an die Academy bringen lassen, weil er plötzlich solch große Sehnsucht danach verspürt hätte, unser Schüler zu werden. Er ist wegen Cey hier. Und er hat ihr eine Botschaft übermittelt. Angeblich von …«

Von Astan. Eine Botschaft, die nicht verstörender hätte sein können – Ich bin wieder da.

Augenblicklich ließ Cey den glitschigen Stein los und presste sich die Hände fest auf die Ohren. Keinesfalls wollte sie die Worte ein zweites Mal hören, die sie erst hier herauf getrieben hatten.

Drei oder vier Blitze gleißten gleichzeitig am Himmel auf und tauchten das Gelände von Area XV4 und die umliegenden Wälder, Flüsse und den Berghang in ein gespenstisches Zwielicht. Es war noch nicht ganz verblasst, da trat Xyen an Ceys Seite, griff nach ihren Armen und zog sie mühelos in die Höhe.

»Wir gehen jetzt rein!«, bestimmte er lautlos, denn über das einsetzende Donnergrollen hinweg hätte sie ihn ansonsten wohl kaum verstanden.

Cey schüttelte gereizt den Kopf und wollte sich wieder setzen, doch ihr Mentor verhinderte das, indem er sie einfach in Richtung der Treppe drängte. Im geschützten Durchgang angekommen stoppte er und Nathan schlängelte sich mit einem gemurmelten »Wir sehen uns später!« an ihnen vorüber.

Four, der auf dem obersten Treppenabsatz mit dem Rücken an der Mauerwand gelehnt hatte, verkrümelte sich ebenfalls hastig, wenn er sich auch gewiss nicht allzu weit entfernte. Schließlich hatte er als ihr aktueller Schatten die Aufgabe, immer in ihrer Nähe zu bleiben und darauf zu achten, dass ihre Pflichten als Dämonenwächterin nicht zu sehr mit den Gesetzen und moralischen Ansichten der Seday kollidierten.

Sobald Nathan und Four außer Sichtweite waren, bemerkte Xyen mit einem äußerst unnachgiebigen Tonfall in der Stimme: »Cey, mir ist klar, warum du nicht über Glen sprechen möchtest. Aber das ist garantiert kein Thema, bei dem ich dir zu schweigen erlaube oder auch nur es aufzuschieben. Wir gehen uns jetzt trockene Klamotten anziehen und dann klären wir das – ein für allemal!«

Und bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte, um zu protestieren, deutete Xyen bereits die Stufen hinab. »Du weißt noch, wo sich unser Teamtrakt befindet, oder?«

Manchmal ist dieser Seday echt nicht zum Aushalten! Cey ballte wütend die Fäuste, dann tat Xyen allerdings etwas, das ihren Zorn sofort verpuffen ließ. Völlig unbeeindruckt von ihrer finsteren Miene und der Tatsache, dass sie ihn in wohl jeder Kampfdisziplin besiegen könnte, die nicht auf pure Kraft ausgelegt war, trat er auf sie zu und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.

»Dir ist doch hoffentlich klar, warum ich mich gerade so streng zeigen muss«, sagte er leise. »Nämlich einzig und alleine aus dem Grund, weil du mir sehr, sehr wichtig bist!«

Wie um seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen, bedachte er sie mit einem jener intensiven Blicke, die trotz jahrelanger, mühevoll errichteter Schutzschilde bis tief in ihr Innerstes vordrangen.

Cey musste heftig schlucken und Xyen griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz, bevor er sie wieder losließ und sich zügig in Bewegung setzte. Und anstatt sich weiterhin so störrisch wie ein Esel zu benehmen, folgte Cey ihrem Mentor nun brav durch die steinernen Gänge der Academy. Dabei rätselte sie unentwegt darüber, warum es diesem Mann andauernd gelang, ihre Meinung zu ändern. Und sogar viel mehr als nur das – dank seines Einfühlungsvermögens und seiner Beharrlichkeit gelang es Xyen immer wieder, dass sie sich auf Dinge einließ, die sie vor einigen Monaten noch für völlig unmöglich erachtet hätte.

Zum Beispiel jemandem, der nur Bruchstücke ihrer dunklen Vergangenheit kannte, mit ihrem persönlichen Wächter-Zeichen auszustatten und somit unter ihren Schutz und ihre Verantwortung zu stellen. Nachdenklich musterte Cey die beiden Symbole, die Xyen eingeprägt in sein Bewusstsein trug: ein stilisiertes S innerhalb eines Halbkreises, das Erkennungszeichen der Seday. Und dicht daneben, aber ausschließlich für eingeweihte J’ajal sichtbar – ein silbernes Schwert mit schwarzem Griff, welches von hellblauen Flammen umzüngelt wurde.

Xyen, der ihre geistige Berührung offenbar gespürt hatte, wandte den Kopf und sandte ihr ein liebevolles Lächeln. Und Cey konnte gar nicht anders, als es zu erwidern.

Dann hatten sie ihren Teamtrakt erreicht und Xyen hielt den Ayaro-Reif an seinem linken Handgelenk vor das Sensorfeld an ihrer Zimmertür. Mit einem leisen Scharren glitt diese zur Seite und während Xyen den Raum rasch durchquerte, um durch die Verbindungstür sein eigenes Reich zu betreten und – dem Geraschel nach zu urteilen – tatsächlich in trockene Klamotten zu schlüpfen, ließ sich Cey mit überkreuzten Beinen vor ihrem Kleiderschrank nieder und ignorierte die Pfütze, die sich langsam um sie herum ausbreitete.

»Falls du glaubst, du könntest es somit hinauszögern, dass ich dir meine Fragen stelle, irrst du dich!«

Barfuß und nur mit einer Jeans bekleidet kehrte Xyen in ihr Zimmer zurück und anstatt sich auf seine Worte konzentrieren zu können, heftete sich Ceys Blick automatisch an den nackten Oberkörper des Sedays. Und selbst als er sich nun das weiße Shirt überstreifte, das er zuvor in der Hand getragen hatte, schaffte sie es nicht, sich abzuwenden.

»Cey«, meinte Xyen sanft und ging dicht vor ihr in die Hocke. »Tut mir leid, das war unbedacht von mir. Ich wollte dich nicht ablenken.«

Jetzt erst wurde Cey bewusst, wie verlangend sie ihren Mentor angestarrt haben musste. Prompt errötete sie und obwohl ihr natürlich klar war, dass ihr das vor jemandem, für den sie keine tieferen Gefühle hegte und es einzig und alleine um Sex ging, niemals passiert wäre, wurde ihre Verlegenheit dadurch keineswegs geringer.