Gefangene der Finsternis (Seday Academy 4) - Karin Kratt - E-Book

Gefangene der Finsternis (Seday Academy 4) E-Book

Karin Kratt

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Beschreibung

**Nur die wahre Liebe kann die Finsternis verdrängen** Endlich hat Cey erkannt, welche Gefahr auf alle J'ajal dieser Welt zukommt. Doch noch immer sind sie und ihre Freunde weit davon entfernt, die Finsternis abwenden zu können. Während sie alles daransetzen, ihre Feinde zu bekämpfen, fällt ausgerechnet Xyen, Ceys attraktiver und einfühlsamer Mentor aus der Seday Academy, in die Hände ihrer Widersacher. Aber Cey ist nicht bereit den einzigen Mann zu verlieren, den sie ihrer dunklen Vergangenheit zum Trotz je lieben könnte – auch wenn diese Liebe gegen alle Gesetze ihrer Welt verstößt… Eine actionreiche Fantasy-Reihe mit Suchtfaktor: Karin Kratt erschafft eine toughe Kämpferin, die sich in einer düsteren Welt zu behaupten weiß. Stark, unnahbar und unwiderstehlich! //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der Fantasy-Bestseller-Reihe:  -- Gejagte der Schatten (Seday Academy 1)   -- Verborgen in der Nacht (Seday Academy 2)   -- Erschaffen aus Dunkelheit (Seday Academy 3)  -- Gefangene der Finsternis (Seday Academy 4)  -- Entfesselt durch Rache (Seday Academy 5)  -- Verdammte des Schicksals (Seday Academy 6)  -- Geboren aus Vergeltung (Seday Academy 7)  -- Verfolgte der Vergangenheit (Seday Academy 8) -- Gezeichnete der Erinnerung (Seday Academy 9) -- Beseelt von Hoffnung (Seday Academy 10) -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 1-4 -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 5-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-10// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

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Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Karin Kratt

Gefangene der Finsternis (Seday Academy 4)

**Nur die wahre Liebe kann die Finsternis verdrängen** Endlich hat Cey erkannt, welche Gefahr auf alle J’ajal dieser Welt zukommt. Doch noch immer sind sie und ihre Freunde weit davon entfernt, die Finsternis abwenden zu können. Während sie alles daransetzen, ihre Feinde zu bekämpfen, fällt ausgerechnet Xyen, Ceys attraktiver und einfühlsamer Mentor aus der Seday Academy, in die Hände ihrer Widersacher. Aber Cey ist nicht bereit den einzigen Mann zu verlieren, den sie ihrer dunklen Vergangenheit zum Trotz je lieben könnte – auch wenn diese Liebe gegen alle Gesetze ihrer Welt verstößt …

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Vita

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© privat

Karin Kratt ist eine lesesüchtige Mathematikerin, die sich nach ihrem Studium in der Bankenbranche Frankfurts wiederfand. Doch so sehr sie ihre Zahlen auch zu schätzen weiß, die Macht der Buchstaben begeistert sie noch weitaus mehr. Sie nutzt jede freie Minute, um ihre Träume auf Papier zu bannen. Träume, die bei ihren Streifzügen durch die endlosen Felder des hessischen Rieds entstehen oder auch mal ganz simpel auf der Liege im heimischen Garten.

Prolog

Eine einzelne Träne kullerte über die Wange des jungen Mädchens, es hob jedoch nicht die Hand, um sie hinfort zu wischen. Schlimm genug, dass sie ihm überhaupt so viel von den Gefühlen preisgab, die tief in ihrem Innersten tobten.

Wenigstens drang kein einziger Laut über ihre bebenden Lippen, selbst dann nicht, als der riesenhafte, muskulöse Mann sie auf seinem Schoß noch ein wenig enger an sich zog und mit den Fingern durch ihre dunklen, langen Haare strich.

»Weißt du, was ein J’ajal ist, meine Hübsche?«, fragte er. Vorsichtig sah das Mädchen auf, um sich klar zu werden, ob dies der Auftakt zu einem seiner endlosen Monologe darstellte oder ob dieses Mal tatsächlich eine Antwort von ihr erwartet wurde.

Astans kalte, schwarze Augen musterten sie nachdenklich und obwohl das Mädchen bereits mehrfach miterlebt hatte, wie ungemein attraktiv ihr dunkler Schöpfer auf Frauen und gleichermaßen Männer wirkte, entdeckte sie selbst nur eines in seinem Gesicht – Hässlichkeit. Eine Hässlichkeit, die keineswegs der langen Narbe entstammte, die Astan von der Stirn bis zur Wange reichte. Nein, es war eine Verderbtheit, die jede Zelle dieses finsteren Mannes beherrschte, eine Bösartigkeit, um die ihn selbst Satan, der oberste Höllenherr und sein Namensgeber, beneiden würde. Da war sich das junge Mädchen vollkommen sicher.

Weil er nicht weitersprach, schüttelte sie schließlich sachte den Kopf.

»Nein, natürlich weißt du es nicht.« Ein scheinbar resigniertes Seufzen erklang und Astan wandte sich wieder von ihr ab. Auch das Mädchen betrachtete nun erneut den gekachelten, fensterlosen Raum, in den sie Astan hatte begleiten müssen. Ihre Lippen bebten stärker, als ihr Blick auf das mit zahlreichen Schnallen und Riemen versehene Metallgestell in der Mitte des Zimmers fiel. Ein Gestell, in dem sie selbst schon viel zu viele Stunden verbracht hatte, nicht wissend, ob sie diesen Raum jemals wieder lebendig verlassen würde.

Eine Tür klappte und ein Mann in der sterilen, grünen Kleidung eines Arztes trat ein. Bis auf seine Augen war absolut nichts von ihm zu erkennen, und diese waren genauso schwarz und kalt wie Astans. Der Arzt schob einen kleinen Tisch vor sich her, vollbepackt mit allerlei chirurgischen Instrumenten und Spritzen, die mit seltsamen Flüssigkeiten gefüllt waren, und stellte ihn sorgfältig neben dem Metallgestell ab.

»Wir wären dann prinzipiell soweit«, verkündete er ruhig, ohne den leisesten Hauch einer Sorge oder Nervosität in der Stimme. Allenfalls so etwas wie Neugier und eine gewisse Spannung ließ sich erahnen.

»Gut.« Astan nickte zufrieden und während zwei weitere Männer das Zimmer nach und nach mit einem Dutzend fahrbarer Monitore und sonstigem elektronischem Zeug ausstatteten, wandte er sich wieder seiner ursprünglichen Frage zu.

»J’ajal sind Wesen, die einem gewöhnlichen Menschen weit überlegen sind«, dozierte er und seine Arme schlangen sich immer fester um das zitternde Mädchen auf seinem Schoß. »Sie sind schneller, stärker, ausdauernder, altern nahezu nicht und besitzen unglaubliche Heilungskräfte. Aber was noch weitaus wichtiger ist …« Astan hob eine Hand und strich dem Mädchen über Beine, Bauch, Brust, Arme und das Gesicht. »All das hier lässt sich mit einem gewissen Training und der einen oder anderen medizinischen Korrektur durchaus in etwas Brauchbares verwandeln. Haben wir ja zum Teil bereits getan.«

Er gluckste vergnügt und nur weil sich das Mädchen so heftig auf die Unterlippe biss, dass sie Blut in ihrem Mund schmeckte, konnte sie verhindern doch noch unerlaubterweise einen Ton von sich zu geben.

»Dies lässt sich allerdings nicht so einfach anpassen.« Astan tippte ihr an die Stirn und ignorierte den Blutstropfen, der dem Mädchen das Kinn hinabrann. »Der Geist. Und ebenso wie meine zukünftigen Krieger über einen perfekten Körper verfügen sollen, brauchen sie einen perfekten Geist. Einen, der mehr Möglichkeiten bietet als dieses verschrumpelte Gehirn, welches die Menschen ihr eigen nennen. Stell es dir nur einmal vor …« Ihr dunkler Schöpfer beugte sich zu ihr herab und scheinbar zärtlich flüsterte er ihr zu: »Mentale Kommunikation. Fähigkeiten Dinge zu sehen, zu spüren und zu ahnen, von denen kein Mensch weiß, dass es sie überhaupt gibt. Die Möglichkeit sich nicht nur körperlich, sondern sogar geistig zu vereinen.«

Astans Hand presste sich stärker auf den Bauch des Mädchens und Bemühungen hin oder her, sie konnte sich nicht mehr länger beherrschen. Ihre Hände schnellten nach vorne und gegenüber ihren ersten, ungelenken Kampfversuchen, die sie bereits vor einer gefühlten Ewigkeit absolviert hatte, war sie richtig gut. Trotzdem blieb sie ein junges Mädchen und Astan war ein erfahrener, starker Krieger mit einer Körpergröße von mehr als zwei Metern.

Er fing ihre Schläge beinahe gelangweilt ab und verschränkte ihr anschließend schmerzhaft die Arme auf dem Rücken. Ihre Beine klemmte er zwischen seinen ein und mit einem milden Tadel in der Stimme bemerkte er: »Das war viel zu vorhersehbar, meine Süße. Es wird noch eine Menge Arbeit auf uns zukommen. Gleich, wenn diese zauberhafte Show hier vorüber ist.«

Astan nickte dem grüngewandeten Arzt zu und der wiederum blickte in Richtung der offenstehenden Tür. Die beiden Männer, die zuvor die notwendige Technik installiert hatten, kehrten zurück und zwar nicht alleine. Jeder von ihnen schleppte einen nackten Jungen mit sich, kaum älter als das Mädchen in Astans gewaltsamer Umarmung. Und es waren zwei Jungen, die sie kannte, schließlich teilten sie sich seit Monaten eine kleine, karge Kerkerzelle.

Wenigstens sind sie betäubt … Mit einem heftigen Blinzeln lösten sich zwei weitere Tränen aus den Augen des Mädchens und Astan schüttelte unwirsch den Kopf. »Und dieses Geheule wird ebenfalls endlich aufhören!« Er wandte sich an den Arzt. »Anfangen«, kommandierte er knapp.

Der erste Junge wurde auf das Gestell geschnallt, ein Schlauch an seinem Arm befestigt und eine Reihe von Elektroden auf seine Brust und Stirn geklebt. Barmherzigerweise blendete der Tränenfilm in den Augen des Mädchens den Großteil des weiteren Geschehens aus, doch die Geräusche des Bohrers, das Ratschen des Skalpells und die gemurmelten Anweisungen des Arztes waren bereits schwer genug zu ertragen.

Nach Sekunden, Minuten oder Stunden erklang ein immer lauter werdendes, warnendes Piepsen, das schließlich in einen einzelnen, monotonen Laut überging.

»Fehlversuch«, dokumentierte die Stimme des Arztes enttäuscht.

»Nun, das war zu Beginn nicht anders zu erwarten.« Astan blieb erstaunlich gelassen, nur für einen flüchtigen Moment verstärkte sich der Druck seiner Schenkel auf die Beine des Mädchens. »Deswegen heben wir uns die wirklich wichtigen Kandidaten ja bis zum Schluss auf.«

»Richtig.« Der Arzt schien kurz zu überlegen. »Wir sollten die Kinder doch lieber in wachem Zustand behandeln«, verkündete er. »Womöglich behindern Anästhetika den Wandlungsprozess.«

Astan zuckte die Schultern. »Sollte keinen Einfluss auf das Serum haben, welches ich entwickelt habe. Aber wenn du meinst, nur zu.«

Und somit wurde der schlafende Junge aus der Kerkerzelle des Mädchens innerhalb weniger Minuten gegen einen äußerst wachen, tobenden und um sich tretenden Gleichaltrigen aus der Nachbarzelle getauscht. Nicht dass er gegen die beiden Männer, die ihm die Riemen des Metallgestells um Hand- und Fußgelenke schnürten, eine wirkliche Chance gehabt hätte.

»Erinnere mich daran, für die nächsten Tage ein paar Sonderübungen auf den Plan zu setzen«, bemerkte Astan stirnrunzelnd in Richtung einer seiner Männer. »Für die Zeit, die diese Kinder bereits bei uns sind, verhalten sie sich entschieden zu rebellisch.«

»Dafür weisen diese jungen Rebellen, wie du sie nennst, die deutlich besseren physischen und psychischen Voraussetzungen für unsere Behandlung auf«, mischte sich der Arzt trocken ein. »Und genau aus diesem Grund hast du sie schließlich ausgewählt.«

Astan knurrte etwas, das wie eine Zustimmung klang, was man aber unter all den Schreien des Jungen auf der Liege kaum zu hören vermochte. Wieder erklang das Surren des Bohrers und das Mädchen weinte nun immer stärker, obwohl es genau wusste, welche Strafe ihr für dieses kindische Verhalten drohte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das Brüllen und Wimmern des Jungens schlussendlich verstummte. Die Bewusstlosigkeit hatte ihn gerade noch rechtzeitig genug ereilt, bevor der Arzt das von Astan entwickelte Serum durch die Öffnung im Schädel direkt in das Gehirn des Jungens injizierte.

Einige Momente verstrichen, vermutlich ein etwas längerer Zeitraum als beim ersten Kind, dann mischte sich ein monotones Piepsen mit der sachlichen Stimme des Arztes. »Fehlversuch.«

Astan gähnte und lehnte sich bequemer in seinem Stuhl zurück. »Könnte ein langer Tag werden«, stellte er kritisch fest. »Was meinst du, meine kleine Kriegerin, noch vier oder fünf weitere Kandidaten, dann gönnen wir zwei uns eine kurze Pause.« Mit dem Zeigefinger strich er langsam über die tränennasse Wange des Mädchens. »Womöglich kannst du dich ja anschließend ein wenig mehr auf das konzentrieren, was ich euch hiermit zu schenken versuche. Ansonsten machen wir einfach später noch eine Pause … und noch eine … und noch eine.«

Und während Astans Hand unter den Saum ihres Shirts schlüpfte und der Arzt das nächste schreiende Kind auf dem Metallgestell fixierte, wurde dem jungen Mädchen eines sehr schmerzlich bewusst – ein rascher Tod wie jener, der Astans erste Forschungsobjekte ereilen würde, war gegenüber ihrem eigenen, zugedachten Schicksal tatsächlich etwas durchaus Erstrebenswertes …

Kapitel 1

Der Anfang.

Aha. Verwirrt musterte Cey die fetten, blutroten Druckbuchstaben am oberen Rand des Gemäldes, welches derzeit den kompletten Bildschirm des vor ihr auf dem Esstisch liegenden Tablets ausfüllte. Mit zusammengekniffenen Augen beugte sich Cey nach vorne, als wenn sich dadurch etwas an diesem simplen Wortlaut ändern würde, und gedankenverloren nahm sie einen tiefen Schluck aus ihrer neunten – zehnten? elften? – Tasse Kaffee.

Der bittere Geschmack ließ Cey das Gesicht verziehen, für gewöhnlich bevorzugte sie Tee, Wasser, Saft oder inzwischen sogar Lees Gesundheits-Shake gegenüber diesem schwarzen Gebräu, zwei Stunden Schlaf waren allerdings selbst für ein Wesen wie sie entschieden zu wenig. In ihrem Kleiderschrank – ihrem bevorzugten Schlafplatz – wäre sie nach ihrem jüngsten Albtraum jedoch unter keinen Umständen auch nur für eine einzige, weitere Sekunde geblieben.

Zwar hätte sie ebenfalls durch die Verbindungstür ihrer Zimmer in Xyens Reich schlüpfen und sich zu ihrem Mentor ins Bett kuscheln und sich von ihm trösten lassen können, nur …

Cey seufzte leise auf. Vermutlich wäre es nicht bei dem Wunsch nach Trost geblieben und das trotz dieser absolut bescheuerten Seday-Regel, Beziehungen zwischen Schülern und Mentoren müssten mit der kompletten Verschmelzung ihres Bewusstseins einhergehen. Für Schüler, die tatsächlich nur Schüler an dieser Academy waren, machte dieses Vertrauensgebot ja durchaus Sinn, aber für einen Wächter, wie sie es nun einmal war?

Ihr Schwur, niemals zuzulassen, dass sich ein zweiter, womöglich noch mächtigerer und grausamerer Astan aus den Reihen seiner einstigen Krieger erhob, ging mit so vielen Pflichten und dunklen Geheimnissen einher, dass sie Xyen unmöglich freien Zugang zu sämtlichen Bereichen ihres Geistes gewähren konnte. Selbst jetzt nicht, wo er zusätzlich zu dem stilisierten S innerhalb eines Halbkreises – dem Erkennungssymbol seiner den Menschen zugeneigten J’ajal-Organisation – ein silbernes Schwert mit schwarzem Griff, umzüngelt von hellblauen Flammen eingeprägt in sein Bewusstsein trug. Ihr Erkennungszeichen.

Cey musste flüchtig lächeln. Nun, vielleicht wäre sie ja doch zu Xyen unter die Bettdecke gekrochen, schließlich hatte sich in den letzten Monaten ihres Daseins so einiges geändert. Sie hatte sich geändert. Und es bestand zumindest eine minimale Chance, dass sie endlich den Mut gefunden hätte Xyen zu fragen, was er von der Anpassung einer weiteren Seday-Regel hielt, die für ihre Dämonenwächter-Existenz vollkommen ungeeignet war.

Ihre diesbezüglichen Überlegungen waren allerdings von einem vierfachen, einem doppelten und anschließend einfachem Handyklingeln unterbrochen worden und so hatten Ceys Schritte sie statt in Xyens Zimmer auf den Gang und in den großen Gemeinschaftsraum ihres Teamtraktes innerhalb der Academy geführt.

»Und, was sagst du dazu?«

Das Gemälde mit den blutroten Worten Der Anfang verschwand vom Bildschirm ihres Tablets, dafür blickte sie nun einen jungen Mann mit gepiercter Unterlippe und einer bunten und sorgfältig gestylten Punkfrisur an – Nikara, ihr Freund, der zugleich der Anführer der Dämonen war. Jener Wesen, die unter unvorstellbaren Qualen einen winzigen Teil von Astans Bewusstsein in ihr eigenes aufgenommen hatten, weil sie darin den einzig möglichen Ausweg aus einer nicht enden wollenden Spirale von realen körperlichen Misshandlungen und simulierten, noch weitaus grausameren Gedankenspielchen gesehen hatten, die sich Astan für seine Krieger überlegt hatte. Als kleine Motivationshilfe …

Mit einem energischen Kopfschütteln verhinderte Cey, erneut in schmerzhaften, dunklen Erinnerungen zu versinken, und mit einem leichten Schulterzucken bekannte sie: »Ich habe keine Ahnung, was Faiths jüngste Malerei bedeuten soll.«

Bis auf die Änderung der Wörter am oberen Rand des Papiers von Das Ende zu Der Anfang wies das Bild der Dämonin eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu ihrem letzten Kunstwerk auf – jede Menge schwarz skizzierter, toter J’ajal mit ausgefahrenen Krallen und vor Grauen weit aufgerissenen Mündern und dazwischen eine einzelne Gestalt mit rot-grün-blauen Haarsträhnen und einer gepiercten Unterlippe.

Seit ihrer Vereinigung mit Astans Geist hatte Faith kein einziges Wort mehr gesprochen und ihr Gesundheitszustand war so miserabel, dass sie dauerhaft in einem privaten Sanatorium untergebracht war. Ihre düsteren Visionen, die sich schon immer auf Astans Geschöpfe bezogen hatten – jedoch auch für alle gewöhnlichen J’ajal relevant sein konnten –, trafen indes mit einer erschreckenden Genauigkeit zu. Jedenfalls dann, wenn es weder Dämonen noch Wächtern gelang ihre Zukunft in eine positivere Richtung zu lenken.

»Tja«, bemerkte Nikara mit einem Stirnrunzeln. »Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als weiter nach diesem ominösen Henry Jaxon zu suchen.«

Cey nickte automatisch. Der Hinweis auf Henry A. O. Jaxon – Inhaber des Lehrstuhls für angewandte Biophysik am Massachusetts Institute of Technology, Cambridge – war die brauchbarste Spur aus dem CGS-Dämonencode, die sie momentan verfolgen konnten. Der Rest der Datei, welche Nikara und sie nur dank Faiths Malereien in den endlosen Daten des Committee of Global Security aufgespürt hatten – ein überaus dreistes, aber gut gewähltes Versteck für finstere Machenschaften gleich welcher Art –, hatte sich nach vielen, aufwendigen Entschlüsselungen als der Bauplan einer mentalen Strahlenwaffe entpuppt. Eine Waffe, die laut Nathan wie das Imitat aus einem billigen Science-Fiction-Film wirkte. Und wären da nicht Faiths düstere Visionen gewesen, hätte Cey dem siebenundzwanzigjährigen Sunnyboy aus Xyens Truppe durchaus Recht gegeben. So allerdings …

»Was meinst du, Nikara, wie lange es noch dauert, bis unsere globalen Suchalgorithmen einen Treffer für diesen Kerl erzielen – sofern es ihn überhaupt gibt?«

»Kann ich echt nicht abschätzen.« Nachdenklich kaute Nikara auf dem Ring in seiner Unterlippe herum. »An keiner Universität in den Vereinigten Staaten gibt es einen Henry Jaxon, der die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten aufweist, um eine mentale Strahlenwaffe zu entwickeln, die uns J’ajal tatsächlich gefährlich werden könnte. Ich musste die Suchparameter bereits soweit lockern, dass es womöglich Wochen oder sogar Monate dauern wird, bis wir jemanden aufstöbern, der auf unser von Henry Jaxon erstelltes Profil passt. Dein Seday hatte zwar einige halbwegs brauchbare Ideen, um diesen Vorgang zu beschleunigen …«

Angesichts von Nikaras widerwillig anerkennenden Äußerung über Nathans Intelligenz musste Cey kurz kichern, galten die Seday unter Wächtern und Dämonen doch allgemein als sehr langweilig und überaus korrekt und somit wurden Mitglieder dieser J’ajal-Organisation viel lieber kritisiert als gelobt.

»… und der Aufruf an die Unsrigen, nach Jaxon Ausschau zu halten, ist ebenfalls raus. Trotzdem, in den nächsten Tagen erwarte ich keinesfalls ein Ergebnis.«

»Na gut.« Ceys Miene wurde wieder ernster. »Melde dich, wenn du etwas hast. Und, Nikara …« Der Blick aus ihren derzeit schokoladenbraunen Augen wurde gnadenlos hart. »Du wirst auf keinen Fall etwas unternehmen, bevor du mich benachrichtigt hast! Verstanden?«

Die Bedeutung der Worte in Faiths Malerei mochte zwar derzeit ein Rätsel für Cey sein, was für eine Zukunft ihrem dämonischen Freund drohte, war jedoch keineswegs falsch zu interpretieren.

»Keine Sorge.« Nikara grinste schief. »Meine Pläne mögen ja nicht immer die besten sein …« Cey nickte voller Nachdruck, schließlich war sie bereits mehr als einmal in den Genuss gekommen, Teil eines wahrhaft idiotischen Vorhabens Nikaras zu sein. »… aber sooo dämlich bin selbst ich nicht. Versprochen.«

Für zwei, drei Sekunden studierte Cey aufmerksam das Gesicht ihres Gegenübers, ob er tatsächlich meinte, was er sagte, dann hob sie seufzend die Hand zu einem letzten Abschiedsgruß und beendete anschließend die Live-Übertragung.

Cey stand auf, um sich mit einer weiteren Portion Koffein gegen ihre Müdigkeit und den vor ihr liegenden Academy-Tag zu rüsten, doch noch bevor der Kaffeeautomat die Tasse zur Hälfte gefüllte hatte, glitt die Tür des Gemeinschaftsraums zur Seite und ein stirnrunzelnder und, wie es allen J’ajal zu eigen war, überaus attraktiver Chinese betrat den Raum.

»Cey, kannst du mir mal verraten, was du hier treibst?« Lee, der Arzt aus Xyens Gruppe, drängte sich energisch zwischen sie und die Kaffeemaschine. »Willst du das Pulver nicht vielleicht gleich pur löffeln?«

Interessiert musterte Cey die fast leere Packung mit dem Kaffeepulver. Wenn sie dadurch zukünftig nur noch halb so viel schlafen müsste wie bisher, war Lees Vorschlag durchaus einen Versuch wert.

»Das war ironisch gemeint.« Kopfschüttelnd deutete Lee auf den metallischen Armreif, der Ceys linkes Handgelenk schmückte und sowohl zur Ortung, als auch zur Steuerung diverser technischer Gerätschaften innerhalb der Academy und zur Überwachung ihrer Vitalfunktionen diente. »Den Werten deines Ayaros nach hast du bereits mehr als genug Koffein zu dir genommen. Steig also bitte auf etwas anderes um. Oder noch besser«, Lees kritischer Tonfall wurde wieder sanfter, »krabbel in deinen Kleiderschrank oder dein Bett und ruh dich noch ein wenig aus. Es dauert noch fast eine Stunde, bis es Frühstück, beziehungsweise Mittagessen gibt.«

Weil es für Xyens Leute immer etwas zu tun gab und die Academy ebenfalls zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit Kurse für Schüler und sich weiterbildende Seday anbot, war es kein Problem, dass sich Cey aufgrund ihrer Vergangenheit niemals vor Sonnenaufgang zum Schlafen niederlegte. Somit war für sie die gemeinsame Mahlzeit mit Nathan, Lee und Xyen um zwölf Uhr stets das Frühstück, während andere Mitglieder ihres Teams bereits zu Mittag aßen oder manchmal sogar schon ihre dritte Mahlzeit zu sich nahmen, je nachdem, wann ihre Aufgaben und Pflichten begannen oder endeten.

Gegen achtzehn Uhr, in ihrer Pause zwischen dem theoretischen und praktischen Seday-Unterricht, traf sich Cey für gewöhnlich mit ihrem Freund und Mitschüler Jari in der Academy-Kantine, während sie sich um Mitternacht ein weiteres Mal mit Nathan, Xyen und Lee zum Essen an den Tisch in ihrem Gemeinschaftszimmer setzte.

»Ich zocke lieber noch eine Runde«, murmelte Cey nun und nur wenige Sekunden später hatte sie sich in der Ecke des Raumes vor dem überdimensionalen Fernsehbildschirm niedergelassen. Lees leises Seufzen überhörte sie geflissentlich, dafür schichtete sie vorsichtig einen beängstigend hohen Stapel an Videospielen um. Dämonen-World, Kierans Swords, Street Racers, World War III …

Schlussendlich entschied sich Cey für Mr & Mrs Gun, Nathans aktuelles Lieblingsspiel, bei dem er sie tatsächlich ungewöhnlich oft besiegte. Ein wenig Baller-Training war also eine weitaus sinnvollere Beschäftigung für die nächste Stunde, als in ihr Zimmer zurückzukehren. Vor allen Dingen wenn sie mal alleine üben konnte, ohne dass sich der Source Code des Spiels im Minutentakt veränderte, weil Nathan und auch sie selbst einfach zu gerne schummelten.

Lee verließ schweigend den Raum, es dauerte allerdings nicht lange, bis er mit einem Stoß medizinischer Fachzeitschriften wiederkehrte und sich neben ihr auf den Fußboden setzte.

»Three steht vor der Tür«, bemerkte Cey augenrollend. »Ich brauche also nicht noch einen Aufpasser …«

Dass sie fortlaufend von einem Schatten, einem von Jays zehn Männern, begleitet wurde, verdankte Cey der Tatsache, dass ihr Verhalten nicht immer den geltenden Seday-Gesetzen entsprach. Zwar bemühte sich Jay, Xyens Sicherheitschef, tagtäglich während ihres gemeinsamen Kampftrainings darum, Cey einen etwas weniger tödlichen Kampfstil beizubringen und sie vor allen Dingen zum Nachdenken anzuhalten, anstatt sich auf ihre bloßen Instinkte zu verlassen. Doch insbesondere wenn sie eh schon mies gelaunt war, neigte Cey dazu erst zu handeln und sich anschließend darüber zu sorgen, ob ihre ausgeführte Aktion nun außerordentlich selbstlos oder vielleicht ein winziges kleines bisschen übertrieben gewesen war.

»Ein zweiter Aufpasser wäre bei dir ab und an vielleicht gar nicht so schlecht«, bemerkte Lee trocken und bevor Cey eine entrüstete Erwiderung von sich geben konnte, fuhr er bereits fort, »allerdings liegt meine Absicht momentan eher darin dir ein wenig Gesellschaft zu leisten.« Er bedachte sie mit einem liebevollen Blick. »Du gehst ja wohl nicht ernsthaft davon aus, Cey, ich wüsste nicht, warum du auf keinen Fall mehr schlafen möchtest, oder?«

Hastig wandte sich Cey wieder ihrem Spiel zu, trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Die Seday aus Xyens Team kannten sie mittlerweile einfach viel zu gut, um nicht trotz der sorgsam errichteten Mauern in ihrem Innersten zu wissen, wie sie sich wann fühlte. Dafür brauchte es weder Lees außergewöhnliche psychologische und medizinische Fähigkeiten, noch die Begabung ihres Mentors Emotionen spüren zu können. Und als sich Lees Hand nun sanft auf ihren Arm senkte, musste Cey heftig blinzeln, um eine Träne zu vermeiden, die sie sich doch eigentlich bereits als kleines Kind abgewöhnt hatte.

»Cey, du musst das nicht immer alles alleine schaffen … Wir sind für dich da.« Behutsam, aber mindestens genauso beharrlich entwand der Seday-Arzt ihr den Controller und zog sie an sich. Cey sträubte sich kurz, dann ließ sie ihren Kopf an Lees Schulter sinken und gab sich dem beruhigenden Streichen seiner Finger über ihren Rücken hin.

So verharrten sie tatsächlich fast die gesamte nächste Stunde und als Nathan, wie immer völlig überdreht, in Begleitung von Xyen das Zimmer betrat, hatte sich Cey gerade erst bis zum vierten Level ihrer ersten Runde von Mr & Mrs Gun vorgearbeitet, während Lee kaum die Hälfte seiner obersten Zeitschrift bewältigt hatte.

»Wie gemein«, maulte Nathan, während er den Tisch deckte. »Ich hätte auch lieber gezockt, statt an der Falltoner Stadtverordnetenversammlung teilzunehmen.« Er bedachte Xyen, der kritisch die Ansammlung leerer Kaffeetassen auf der Küchenzeile begutachtete, mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Du spielst oft genug«, entgegnete Xyen knapp. Er wandte sich zu ihr um und Cey konnte die Besorgnis in den Gefühlen ihres dunkelhäutigen Mentors auffangen, schließlich sandte er ihr im Gegenzug dafür, dass er ihre Emotionen spüren konnte, seine eigenen ebenfalls zu, wenn auch in einer abgeschwächten Form. »Alles in Ordnung mit dir, Cey?«

Cey bestätigte die lautlose Frage ihres Mentors mit einem angedeuteten Nicken.

»Du weißt, du kannst mich jederzeit wecken, wenn irgendetwas sein sollte«, ergänzte Xyen sanft und für einige Sekunden verlor sich Cey in seinen warmen, gold-braunen Augen. Anschließend streifte ihr Blick das geheimnisvolle Tribal-Muster, das sich Xyen über seinem rechten Ohr in die kurzen Haare hatte einrasieren lassen, sie studierte den stets einfühlsamen und verständnisvollen Ausdruck in seinem Gesicht und natürlich entging es ihr ebenfalls nicht, wie sich die Muskeln seines Oberkörpers unter dem schlichten, weißen Shirt abzeichneten, das Xyen heute zu einer dunkelblauen Jeans trug. Eine Farbe, die sich nur Seday erlauben durften, die einen Academy-Abschluss vorzuweisen hatten, denn für Schüler herrschte ein vorgeschriebener Dresscode in Schwarz und Weiß.

»Ist mir klar«, bekundete Cey schnell, bevor Xyen noch bemerken würde, wie sehr sie gerade der Anziehungskraft unterlag, die unterschwellig zwischen allen J’ajal herrschte, jedoch meist unterdrückt wurde, bis sich die passenden Partner für eine sexuelle Beziehung fanden. Oder vielmehr, Partner für diverse Beziehungen, schließlich bevorzugten die Seday genau wie alle anderen J’ajal-Organisationen das Prinzip der Polygamie gegenüber der unter den Menschen weitaus häufiger verbreiteten Monogamie.

Wenn das zwischen Xyen und ihr doch nur etwas weniger kompliziert gewesen wäre …

Cey unterdrückte ein Seufzen und erhob sich, um Nathan bei der restlichen Verteilung des Bestecks und der Gläser zu helfen. Der Siebenundzwanzigjährige, der sie von seinem Aussehen her immer ein wenig an einen kalifornischen Surfer erinnerte, revanchierte sich mit einem strahlenden Lächeln und obwohl sich Cey nahezu sicher war, dass er seine J’ajal-Fähigkeit, andere Wesen für sich einzunehmen, derzeit nicht benutzte, musste sie unweigerlich zurücklächeln. Immerhin ist mit diesem blonden und blauäugigen Kindskopf alles recht unkompliziert, dachte sie.

Während sich Nathan nun in einem detaillierten Vortrag darüber erging, wie überaus selten er dank seiner stetig anwachsenden Aufgaben und Verantwortungen noch zum Zocken kommen würde – bei zwei, drei Stunden am Tag konnte von oft schließlich keinesfalls mehr die Rede sein! –, öffnete sich die Tür des Gemeinschaftszimmers und eine zierliche, achtzehnjährige Menschenfrau mit langen, roten Locken schob einen Servierwagen mit abgedeckten Platten und Schüsseln in den Raum.

»Sorry«, murmelte sie. »Bin heute etwas später dran.«

»Macht nichts.« Cey grinste ihre Freundin Mel an, die ihrem Vater Robert, einem ausgezeichneten Koch, immer häufiger nicht nur in der Kantine aushalf, sondern sich auch beim Ausliefern der Mahlzeiten für all jene beteiligte, die ihr Essen lieber in den eigenen Räumen zu sich nahmen. Natürlich teilte sich Mel ihren Dienst mit etlichen anderen menschlichen Helfern, die dauerhaft unter den Seday lebten, es gelang ihr allerdings bemerkenswert oft Xyens Trakt zu erwischen.

»Hm, vielleicht doch«, warf Lee gespielt ernsthaft ein. Er stellte sich neben Mel, um beim Abladen der Speisen zu helfen, und seine Augen blitzten verdächtig auf. »Wenn du fünf Minuten früher erschienen wärst, Mel, hätte Nathan schließlich keine Möglichkeit gehabt, uns die Ohren vollzujammern, wie schlecht es ihm doch geht.«

»Ey.« Empört verschränkte Nathan die Arme vor der Brust, während Mel ungeniert kicherte.

»Sehen wir uns später?«, wandte sie sich fragend an Cey, als Salat, Eintopf und verschieden belegte Bagels sowie eine große Schale mit Joghurt auf dem Tisch abgestellt worden waren.

»Weiß noch nicht …« Probehalber sandte Cey einen bittenden Blick in Xyens Richtung, aber als er sie auf ihr stummes Flehen hin wie erwartet streng musterte, schüttelte sie bedauernd den Kopf. »Wohl eher nicht.«

Missmutig verzog Cey das Gesicht. Sie hätte wirklich gerne ihren alten Stundenplan und ein wenig ihrer Freizeit zurück, die sie aufgrund einiger lächerlicher, kleiner Fehltritte zugunsten eines verdreifachten Trainings bei Jay hatte aufgeben müssen.

»Dann eben ein anderes Mal, Cey«, tröstete Mel sie. Mit ihrer Unbeschwertheit und ihrem sonnigen Wesen hatte ihre Freundin einiges mit Nathan gemeinsam und so schnell ließ sie sich von nichts die Stimmung verderben. »Du kriegst das schon wieder hin.«

Mit einem letzten Augenzwinkern schnappte sich Mel den Servierwagen und huschte aus der Tür.

»Ja«, bestätigte Nathan, während er auf seinen Platz plumpste und seinen Teller so vollschöpfte, dass dieser beinahe überlief. »Du musst dir nur immer vorsagen: Ich soll niemanden massakrieren, ich soll niemanden massakrieren, ich soll niemanden –«

»Ist gut, ich habe es verstanden!« Genau wie Lee und Xyen setzte sich Cey nun ebenfalls an den Tisch und weil Nathan so aussah, als wenn er seine Worte trotz ihres Einwands noch ein paar Mal wiederholen wollte, versetzte sie ihrem vorlauten Sitznachbarn einen rein vorsorglichen Stoß mit dem Ellenbogen.

»So wird das aber nichts mit der Steigerung deiner Tugenden.« Scheinbar resigniert rieb sich Nathan über die Stelle an seinem Arm, wo sie ihn getroffen hatte, und Ceys Augen verfärbten sich für einen kurzen Moment in ein bedrohliches Rot, eine eindeutige Warnung an Nathan, es nicht zu weit zu treiben.

Xyen sah das wohl ähnlich. »Schätze, wir können den Computer bald aus dem Wohnzimmer verbannen«, wandte er sich ausdruckslos an Lee. »Unsere beiden jüngsten Teammitglieder werden so sehr mit ihren Anti-Aggressions- und Anti-Provokationstrainings beschäftigt sein, dass sie dieses Jahr gewiss nicht mehr zum Spielen kommen.«

Lee nickte grinsend, während Nathan umgehend protestierte. »Ich habe doch gar nichts gemacht!«

»Von wegen.« Cey bedachte ihren Sitznachbarn mit einem verärgerten Blick. »Ich habe nichts gemacht. Wenn man von diesem sanften, kleinen Schubser absieht …«

Ganz so unschuldig wie Nathan konnte sie sich leider nicht geben, schließlich hatte sie sich geschworen niemals aus einem nicht absolut zwingenden Grund heraus die Unwahrheit zu sagen.

»Ich helfe dir nur.« Nathan grinste von einem Ohr bis zum anderen. »Denn wenn du mich irgendwann aushältst, Cey, ohne auszurasten, dann hältst du auch alles andere aus …«

Cey überlegte eine volle Minute lang, auf Nathans Dreistigkeit fiel ihr aber einfach nichts Passendes ein. »Er ist unmöglich«, beschwerte sie sich bei Xyen und der gab ihr umgehend Recht, obwohl seine Mundwinkel verdächtig zuckten.

Immerhin verschonte Nathan sie mit weiteren, geistreichen Ergüssen, sodass sie sich endlich ihrem Salatteller widmen konnte. Und dann wurde es für Cey bereits Zeit ihren Academy-Unterricht aufzusuchen.

Three folgte ihr unauffällig mit einigen Metern Abstand und vor dem Klassenzimmer wurde Cey bereits von einem braunhaarigen, eins neunzig großen und meist eher zurückhaltenden Zwanzigjährigen erwartet – Jari. Leider erklärte er ihr nach einer kurzen Begrüßung, er hätte gehört Landon würde heute vertretungsweise ihren letzten Kurs – den Waffenunterricht – leiten und das auch noch ausgerechnet bei der ersten Praxisübung.

Die Verkündung des jungen Mannes ließ Cey umgehend in eine tiefe Verzweiflung stürzen, denn sie konnte Landon aufgrund seines dunklen Bewusstseins so gar nicht leiden. Während ihrer Mathe-, Geschichts-, Sprach- und Politikstunden ging Cey gedanklich ihre möglichen Optionen durch – auf der Stelle aus der Academy flüchten, sich versehentlich in den Fuß schießen und sich somit von dem drohenden Unterricht befreien und in Lees kundige Hände begeben. Oder, vieeel besser, Landon selbst zu erschießen …?!

Letzteres gefiel ihr ausgesprochen gut und als Jari und sie schließlich durch die steinernen Gänge der Academy in Richtung Ausgang eilten, um den Schießplatz von Area XV4 aufzusuchen, besserte sich Ceys Laune wieder ein wenig.

»Hallo, ihr Zwei.« Ein muskelbepackter Seday mit jadegrünen Augen, der sogar Jari nochmals um gute fünf Zentimeter überragte, trat hinter einem Treppenabsatz hervor und Cey musste ein Stöhnen unterdrücken.

»Cey, ich dachte, ich begleite dich heute selbst zu deinem Unterricht.« Ausdruckslos musterte Jay sie von oben bis unten. »Und ich würde den Tag gerne ohne irgendeinen Verletzten abschließen«, ergänzte er streng. »Hast du das verstanden?«

Die Fähigkeit der Seday, sie zu durchschauen, ging Cey allmählich wirklich auf den Keks. Sie grummelte eine Zustimmung in Richtung ihres Trainers und zu dritt gingen sie weiter.

Kaum auf dem Schießplatz angekommen, fiel Dragon, ein zwanzigjähriger, durchtrainierter und dunkeläugiger Schüler mit seinen üblichen, gehässigen Bemerkungen über Jari her.

»Erschieß dich bloß nicht selbst«, ermahnte Igelfrisur – wie Cey den jungen Mann insgeheim nannte – seinen unsportlichen, dafür weitaus intelligenteren Mitschüler. »Obwohl …« Ein spöttisches Feixen huschte über Dragons Gesicht. »Ein großer Verlust wäre es jetzt nicht gerade.«

»Vielleicht schieße ich ja mal in deine Richtung«, ereiferte sich Jari. »So ganz aus Versehen, versteht sich.«

Cey musste lächeln, es war gut zu wissen, dass sie mit ihrer Idee, heute einen lästigen Seday loszuwerden, nicht alleine dastand. Bevor sie Jari ihre Zustimmung signalisieren konnte, senkte sich allerdings Jays schwere Hand auf ihre Schulter.

»Niemand wird erschossen«, erklärte er mit sehr ernster Stimme. »Wer hier Quatsch macht oder noch einmal so einen blöden Spruch fallen lässt, der kann sich umdrehen und sofort wieder gehen.«

»Und nicht nur für heute.« Landon, ein Mann mit militärischem Kurzhaarschnitt und ausgesprochen aristokratischen Gesichtszügen, betrat den Platz. Begleitet wurde er von Sanas, einem Seday mit einer beachtlichen Anzahl Tattoos auf den Unterarmen. Cey kannte ihn bereits aus ihrem Konditionstraining IIIa. Einem Kurs, dessen Mitglieder keine Schüler waren, sondern Seday, die derzeit an der Academy einer Weiterbildung nachgingen, und zu dem ihr Mentor sie in diesem – ihrem erst zweiten – Trimester verdonnert hatte, damit sie ihren Fähigkeiten entsprechend gefordert und nicht länger unterfordert wurde … wirklich sehr ärgerlich.

Als Jay die beiden Männer erblickte, trat er wieder einen Schritt von Cey zurück.

»Wer aus dieser Stunde fliegt, der ist im gesamten Kurs durchgefallen, ist das klar?«

Landon fixierte insbesondere ihre Ecke und sie alle nickten brav. Dragon und Jari etwas eifriger, Cey selbst etwas weniger, aber dafür spürte sie ja bereits Jays mahnenden Blick in ihrem Rücken.

»Gut, dann los.«

Landon verteilte sie paarweise auf die hölzernen Schießstände, deutete auf die Zielscheiben, die in einiger Entfernung aufgebaut waren, und erklärte irgendwelche technischen Details zu den unterschiedlichen Waffen, die sie heute zusammen austesten würden. Schließlich stellte Landon Sanas vor, der – wie Cey jetzt erfuhr – für die waffentechnische Ausstattung diverser USF-Einheiten verantwortlich war, der Militärtruppe der Seday.

Innerhalb weniger Sekunden zerlegte Sanas eine kleinkalibrige Automatikwaffe in ihre einzelnen Bestandteile und fügte diese anschließend wieder zusammen.

»Das ist eure erste Aufgabe«, bestimmte Landon. »Zusammenbauen, drei Schuss auf die Zielscheibe abgeben und die Waffe anschließend wieder zerlegen. Und das mit ein bisschen Tempo, wenn ich bitten darf. Noch Fragen?«

»Ähm …« Jari beäugte verzweifelt die Anzahl von Teilen, die Sanas gerade vor ihnen ablegte. »Können wir noch mal sehen, wie diese Waffe zusammengesetzt wird?«

»Nein. Das war Bestandteil einer Hausaufgabe für heute«, lehnte Landon ab. Und leider stimmte das sogar.

»Auf den Bildern in der Anleitung sah das ganz anders aus«, beklagte sich Jari, aber wohlweislich so leise, dass nur sie es verstand.

»Cey, du fängst an.«

Cey verdrehte die Augen. Woher hatte sie nur gewusst, dass Landon genau das sagen würde? Sie trat vor, griff nach den einzelnen Bestandteilen der Automatikwaffe und fügte sie in der etwa gleichen Zeit zusammen wie Sanas. Sie gab ihre drei Schuss ab, entlud das Magazin und mit zwei weiteren Handgriffen lag die Waffe wieder zerteilt vor ihr.

Landon starrte sie überrascht an, aber erst als auch Sanas die Augenbrauen hob, wurde Cey bewusst, was sie da gerade getan hatte. So viel zu ihrer üblichen Zurückhaltung …

»Gut gemacht.« Landon musterte die Zielscheibe und nickte anerkennend. »Schneller Zusammenbau und perfekt getroffen. Weiter so.« Er wandte sich dem nächsten Schüler zu und Cey hätte die Gelegenheit am liebsten genutzt, um sich irgendwo zu verkriechen.

»Wow«, erklärte nun auch noch Jari. »Das sah ja fast so aus, als wenn du das schon tausende Male gemacht hättest, Cey.«

Wohl eher öfter …

Als sie das nächste Mal an der Reihe war, zielte Cey absichtlich daneben.

»Cey, lass den Quatsch«, erreichte sie Jays lautlose Stimme. »Das macht es nur noch auffälliger.«

Cey warf ihrem Trainer einen wütenden Blick zu, doch auf dessen erneute Ermahnung hin versenkte sie die letzten beiden Kugeln wieder mittig in der Scheibe. Anschließend erklärte sie Jari ungefähr ein Dutzend Mal den richtigen Zusammenbau der Waffe – natürlich nur dann, wenn Landon gerade nicht zu ihnen hinübersah. Sanas dagegen hatte ihren Stand sehr wohl im Blick, er wechselte aber nur einige knappe Worte mit Jay und ignorierte dann ihren Waffen-Crash-Kurs.

»Besser«, erklärte Landon nach Jaris zweiter Runde. »Immer noch zu langsam und etwa eine Meile am Ziel vorbei, aber immerhin eine deutliche Steigerung zu deinem ersten Versuch.«

Jari reichte dieses angedeutete Kompliment vollkommen aus und er strahlte sie dankbar an. Cey fühlte sich dadurch nicht mehr ganz so furchtbar wie zu Beginn der Stunde, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sanas sie dazu aufforderte weiteren Schülern zu helfen, die immer noch Probleme hatten. Einem Protest von ihr gab Sanas erst gar keine Chance, weil er bereits selbst an einen der Schießstände geeilt war und Sky, der blonden, neunzehnjährigen Freundin von Dragon, eine falsch montierte Waffe abnahm, die ihr unter Garantie die Hand versengt hätte.

»Mach es einfach, Cey«, befahl Jay lautlos, als sie zögernd auf der Stelle verharrte. »Es passiert dir nichts, wenn du einmal zeigst, dass du etwas kannst.«

Da war sich Cey nicht so sicher, schließlich wollte sie keinesfalls eines Tages in einer Ausstellung für exotische J’ajal landen – oder schlimmer noch, auf dem Seziertisch eines neunmalklugen Professors, der ihre Absonderheiten zu untersuchen beabsichtigte. Nein, da gab sie sich außerhalb von Xyens Team doch lieber als völlig normale Schülerin aus.

Dementsprechend setzte sich Cey auch erst dann in Bewegung, als Jay sie darauf hinwies, dass Dragon ebenfalls durch die Reihen schlenderte und den anderen jungen Männern und Frauen mehr oder weniger wohlgemeinte Ratschläge erteilte. Dragon durfte dann sogar den Zusammenbau der nächsten Waffe vorführen. Sie selbst war bei der übernächsten dran.

Mit wenig Begeisterung vollführte Cey die Handgriffe, die sie bereits als junges Mädchen im Schlaf beherrscht hatte, und erneut erntete sie ein anerkennendes Nicken von Landon. Da hatte es ihr ja beinahe besser gefallen, als der Kerl sie noch die ganze Zeit über kritisiert hatte. Als Landon zusätzlich anmerkte, er würde sie und Dragon für den nächsthöheren Waffenkurs vorschlagen, hätte Cey beinahe vor Frust laut aufgeschrien.

Im Anschluss an die Zielübungen scheuchte Landon die Klasse zu einem anderen Teil des Platzes. Hier mussten die Schüler bewegliche Ziele treffen, Kreise, die in unregelmäßigen Abständen auf einer elektronischen Übungswand aufleuchteten und wieder verschwanden. Statt konventioneller Munition gab es eine Art Laserpistole und ein Terminal zeichnete alle Versuche und Misserfolge akribisch auf.

Keine Ahnung, was Landon für eine seltsame Einstellung gewählt hatte, auf jeden Fall leuchtete bei sämtlichen Schülern immer nur das rote Misserfolgslicht auf, bei Cey selbst ebenfalls.

»Wohl doch nicht so talentiert wie gedacht, was?«, höhnte Dragon, obwohl er mit seinen null Punkten nicht besser dastand als alle anderen.

»Du kriegst es nicht hin, du kriegst es nicht hin …«, lästerte er bei Jari, sobald dieser an der Reihe war. Jari ließ sich durch Dragons Singsang so aus dem Konzept bringen, dass das schaurige Piepsen des Computers gar nicht erst nötig gewesen wäre, um den Fehlversuch zu dokumentieren. Auch Landon schnaubte nur verächtlich auf und Jari ließ entmutigt den Kopf hängen. Ja, so machte die Academy wirklich Spaß.

Verärgert riss Cey Dragon die Waffe aus der Hand. »Wenn ich treffe, hältst du für die restliche Stunde die Klappe«, bestimmte sie.

Dragon verschränkte überheblich die Arme vor der Brust. »Na, das will ich erst einmal sehen.«

Wirst du … Cey wartete, bis das Startsignal ertönte, und richtete die Laserpistole auf die Wand. Für einen winzigen Sekundenbruchteil verfärbten sich ihre Augen in ein milchiges Weiß, dann drückte sie ab und – ein grünes Leuchten verkündete ihren Treffer.

Dragons Geläster verstummte tatsächlich für die restliche Stunde, besonders da es kein einziges weiteres grünes Licht mehr gab. Landon studierte immer wieder irgendwelche Einstellungen an seinem Terminal und überließ größtenteils Sanas die Aufsicht über die Schüler.

»Ich hoffe, dir ist klar, dass Landon ein Programm gewählt hatte, bei dem man gar nicht treffen kann«, bemerkte Jay auf dem Rückweg zur Academy.

»Hm …« Das war Cey mittlerweile ebenfalls aufgegangen.

»Und ich versichere dir, Landon wird die nächsten Tage mit nichts anderem verbringen, als damit herauszufinden, wie du geschummelt hast«, ergänzte Jay.

Cey warf ihrem Trainer einen finsteren Blick zu. »Tja, wenn er sonst nichts zu tun hat.«

»Sollte ich dich fragen, wie du –«, setzte Jay von Neuem an, doch Cey schüttelte sofort den Kopf. »Nein.«

»Gut.« Jay lächelte. »Dann sehen wir uns später bei unserem Training. Zufällig steht heute Schießen auf dem Plan …« Cey blieb abrupt stehen. »Und stell dir vor, Sanas kommt auch vorbei.« Jay verharrte ungerührt an ihrer Seite. »Wir wollen schließlich eine richtige Einschätzung von deiner Leistung bekommen, Cey, und nicht nur davon, wie schön du dich an die von Sanas vorgegebenen Zeiten halten kannst.«

Cey wollte umgehend protestieren, doch jetzt war es Jay, der sie nicht aussprechen ließ.

»Du willst mir jetzt gewiss nicht erklären, dass du nur rein zufällig immer ein bis zwei Sekunden hinter Sanas Zeit geblieben bist, selbst dann, wenn er absichtlich getrödelt hat, oder?«

Shit, da hätte sie wohl etwas besser auf die knappe Verständigung zwischen Sanas und Jay achten sollen. Wütend strich sich Cey eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Das alles kam nur daher, weil Dragon sie mit seinen andauernden großkotzigen Kommentaren bis zur Weißglut getrieben hatte und sie sich deswegen auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte.

Ohne ein weiteres Wort mit ihrem Trainer zu wechseln, schloss Cey zu Jari auf, der auf der Eingangstreppe der Academy auf sie gewartet hatte. Cey war ihrem Freund ausgesprochen dankbar, dass er die seltsame Waffenstunde während ihrer Mittagspause in der Gemeinschaftskantine nicht erwähnte. Jaris Gedanken schienen sich viel eher um Sky zu drehen, die mit Dragon und einigen anderen Schülern am Nachbartisch saß. Es war seltsam, wie Blondchen die eindeutig verliebten Blicke von Jari entgehen konnten – womöglich wollte sie diese einfach nicht sehen. Echt schade, befand Cey. Denn Jari wäre eine weitaus klügere Wahl als Skys derzeitiger Freund …

Mit einem herzerweichenden Seufzen wandte sich Jari wieder dem Essen zu und kritisch beäugte er die unterschiedlichen Desserts, die auf ihren Tabletts gelandet waren. »Cey, welchen Pudding isst du denn lieber, Schoko oder Vanille?«

»Welchen willst du denn haben?« Geistesabwesend wartet Cey auf die Antwort ihres Freundes und als dieser Schokolade erklärte, schob sie Jari den entsprechenden Becher zu und nahm sich selbst den anderen. Zwar mochte sie Schokolade ebenfalls lieber, ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich allerdings gerade auf etwas völlig anderes.

Seven hatte sich vor wenigen Sekunden an die Rückwand der Kantine begeben und somit Jay als ihren Schatten abgelöst. Und der hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als schnurstracks an den Tisch zu latschen, an dem sich Nathan, Xyen, Zidaz – der leicht übergewichtige Leiter der Academy – und einige andere Seday niedergelassen hatten. Zwar wusste Cey, dass ihr Trainer sich niemals laut vor anderen über sie äußern würde, aber darauf war ein J’ajal ja keineswegs angewiesen. Von daher dauerte es nicht sonderlich lange, bis Xyen ihr quer durch die Kantine einen überaus eindringlichen Blick zuwarf.

Typisch! Ihr Mentor und seine Leute kannten wirklich kein anderes Gesprächsthema.

»Ich muss los«, murmelte Cey in Jaris Richtung und eilig machte sie sich auf zu ihrem Konditionstraining.

Area XV4, das Gelände der Seday, auf dem sich die Academy befand, lag versteckt an einem Bergrücken und war von dichten Wäldern, kleinen Seen und glasklaren Flüssen umgeben. Ein meterhoher Zaun und jede Menge patrouillierende Wachen sicherten das Gebiet ab und ohne ihren Begleiter wäre es Cey unmöglich gewesen, das streng kontrollierte Tor zu passieren. Auf Sevens Nicken hin gaben die diensttuenden Seday jedoch den Weg für sie frei und so konnte Cey einen schmalen Pfad in den Wald einschlagen.

Bevor sie hinter der ersten Baumreihe verschwand, drehte sich Cey flüchtig zurück. Sie vergewisserte sich, dass ein weiterer Schutz von Area XV4 – eine hellblaue Flammenwand – genauso unversehrt war wie am Tag seiner Errichtung. Diese Wand, die nur eingeweihte J’ajal-Augen zu sehen vermochten, war zugleich eine Ermahnung und Drohung an jeden einzelnen Wächter und Dämon, niemals in dieses Areal, ihre persönliche Zone, vorzustoßen.

Überpünktlich erreichte Cey die kleine Waldlichtung, welche den Ausgangspunkt für ihr heutiges Konditionstraining darstellte. Cylon, ein schwarzhaariger Seday mit Drei-Tage-Bart, und Moloc, ihr Lehrer in militärischer Operationslehre – der sich nach einigen anfänglichen missglückten Begegnungen als weitaus sympathischer herausgestellt hatte, als Cey es jemals für möglich gehalten hätte –, nickten ihr grinsend zu.

»Auch keine Lust auf Minuspunkte, hm?«, erkundigte sich Cylon mit einem Augenzwinkern.

»Richtig«, bestätigte Cey. »Deine dreistöckige Torte wirst du dir von jemand anderem backen lassen müssen.«

Die beiden Seday lachten. Anstatt Noten gab es in diesem Kurs Punkte und die drei Teilnehmer, die am Trimesterende am schlechtesten abschnitten, schuldeten den drei Besten einen Gefallen. Cylon spekulierte bereits jetzt auf ein beeindruckendes Backwerk und da Cey aufgrund ihrer Wächter-Existenz nun einmal häufiger die Academy verlassen musste, hatte sie aufgrund dieser Abwesenheiten bereits genügend Minuspunkte auf ihrem Konto angesammelt, obwohl sie ansonsten keineswegs die langsamste oder unfitteste Kursteilnehmerin war. Jedenfalls wenn sie gemeinsam Klettern, Laufen oder Schwimmen übten.

Was die heutige sportliche Disziplin anging, so sah es allerdings ein wenig anders aus. Das verkündeten Cey die im Gras abgelegten Fahrräder. Mountainbiking … mal wieder. Cey schüttelte sich. Dieses wohlbesonnene Gehopse und Geruckle über bewaldete Steilhänge war einfach nicht ihr Ding.

Tosa, ein freundlicher Mittdreißiger mit grünblauen Augen und kurzen, hellbraunen Haaren und Leiter des Trainings, betrat zusammen mit Jarred die Lichtung. Jarred, der Experte für fiese Mountainbike-Touren, besaß bronzefarbene Haut und hatte sich einen brüllenden Löwen an seinem Hinterkopf in die Haare einrasieren lassen, was auf Cey schlichtweg dämlich wirkte, zu Jarreds arroganter Art jedoch recht gut passte.

Den beiden Männern folgten Sanas, Yatoh – ein braungebrannter Mann, der wie Cey selbst das Schwimmen bevorzugte –, und One, der zusammen mit Seven ebenfalls an dem Konditionstraining teilnahm. Gleichzeitig behielten ihre beiden Schatten sie natürlich genauestens im Auge, aber daran hatte sich Cey mittlerweile gewöhnt.

»Oh, alle pünktlich. Dann können wir ja heute ohne Punktabzüge starten.« Tosa blickte fröhlich in die Runde und auf sein Zeichen hin übermittelte Jarred ihnen das mentale Abbild einer Karte für die Strecke, die es innerhalb der nächsten Stunde zu bewältigen galt.

Cey seufzte leise auf, schwang sich auf ihr Rad und versuchte sich ihre Unlust nicht weiter anmerken zu lassen. Gelang ihr wohl nicht so ganz, denn Tosa warf ihr einen vielsagenden Blick zu und schmunzelte.

»Du bist doch schon wesentlich besser geworden«, tröstete er sie, nachdem sich die anderen Teilnehmer des Kurses in Bewegung gesetzt hatten.

»Gemessen an gar nichts zu Stande zu bringen bedeutet besser werden aber immer noch nicht viel …«, murrte Cey.

»Ich bin mir sicher, die meisten Seday würden sehr gerne deine Nichts-zu-Stande-bringen-Fähigkeiten besitzen«, entgegnete Tosa belustigt. »Also meckere nicht so viel herum, sondern konzentriere dich lieber aufs Fahren.«

Schon aus Prinzip schimpfte Cey innerlich noch eine Weile vor sich hin, sie bemühte sich jedoch zugleich Tosas Ratschläge zu befolgen. Ihre Laune wurde allerdings keineswegs dadurch gesteigert, dass heute Jarred in ihrer Nähe blieb, während sich Tosa bald mit einigen anderen Seday an die Spitze der Gruppe absetzte. Nur Seven blieb ebenfalls in unmittelbarer Reichweite, was Cey mit einem halb erleichterten, halb genervten Lächeln quittierte.

Immerhin musste sie Jarred zugestehen, dass er seine blöden Sprüche merklich zurückgeschraubt hatte. Aber als sie eine der Abfahrten mehr als nur ein bisschen vermurkste und mit ihrem Rad zu Boden stürzte, konnte er sich offenbar nicht mehr länger beherrschen.

»Du solltest wirklich lieber zum Fingernägellackieren übergehen, anstatt diesen Kurs zu besuchen«, bemerkte er kopfschüttelnd, während Cey sich wieder aufrappelte. »Zumindest hättest du dir von deinen Eltern mal ein Fahrrad schenken lassen sollen. Dann würdest du jetzt nicht mehr fahren wie eine Fünfjährige!«

Weil fünfjährige Kinder auch andauernd felsübersäte Böschungen mit dem Rad hinunterhüpfen … »Kann sich eben nicht jeder leisten«, erwiderte Cey finster.

»Was denn? Ein Fahrrad?«

»Eltern.«

Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, schlich sich eine Spur von Unsicherheit in Jarreds sonst so überhebliche Miene, er fing sich jedoch gleich wieder. »Dann hättest du dir eben selbst ein Rad zulegen müssen«, meinte er großspurig.

»Habe ich gemacht.«

Zwischen den Bäumen zu ihrer Linken spürte Cey eine sich nähernde J’ajal-Präsenz und als sie den Blick dorthin wandte, entdeckte sie Tosa. Anscheinend überprüfte er ab und an, ob sich die Teilnehmer des Kurses tatsächlich an seine Ermahnung bezüglich eines fairen und angemessenen Miteinanders hielten. Sehr clever, der Mann.

Cey richtete ihre Aufmerksamkeit zurück auf Jarred und dessen Augen blitzten herausfordernd auf. »Und? Bist du mit deinem Rad auch mal gefahren oder hast du nur damit gespielt?«

»Ich habe ausschließlich gespielt«, erklärte Cey ausdruckslos. »Aber darin bin ich recht gut.«

Nur zu gerne würde sie dieses idiotische Mountainbiking gegen ein Training in einem Bike-Park tauschen.

Jarred setzte zu einer weiteren, zweifelsfrei ätzenden Erwiderung an, doch nun bemerkte er ebenfalls den Seday zwischen den Bäumen.

»Hey«, rief Tosa nun laut, während er sein Rad in ihre Richtung schob. »Kommt ihr?«

Er bedachte Jarred mit einem eindringlichen Blick und Cey mit einem wissenden Lächeln, die Bedeutung von Spielen im Zusammenhang mit einem Rad war ihm wohl durchaus klar. Ein erneuter Beweis für seine Intelligenz.

Jarred nickte kurz in Tosas Richtung und zeigte anschließend auf einen kaum sichtbaren Pfad nach unten. Lustlos schwang sich Cey zurück in den Sattel, obwohl es sie durchaus beruhigte, dass Tosa auf ihrer Seite stand.

Nach einer weiteren halben Stunde und drei erneuten Stürzen hatten sie wieder den Ausgangspunkt ihrer heutigen Route erreicht und aufatmend kehrte Cey an die Academy zurück. Theoretisch lohnte es sich kaum, vor Jays Unterricht ihr Zimmer aufzusuchen. Ihr Bedürfnis, sich bei Jay ebenfalls überpünktlich einzufinden, hielt sich jedoch stark in Grenzen.

Es war allerdings kaum verwunderlich, dass ihr Plan, sich vor ihrem Kampftraining zu drücken, von Xyen bereits im Keim erstickt wurde. Kaum fünf Minuten, nachdem sie sich auf ihrem Bett niedergelassen hatte, durchschritt er schweigend die Verbindungstür ihrer Zimmer und baute sich mit verschränkten Armen vor ihr auf.

»Was ist?« Widerwillig sah Cey ihren Mentor an. In dieser verdammten Academy war es noch nicht einmal möglich zu schwänzen. Die Seday sollten sich da echt ein Beispiel an gewöhnlichen Menschenschulen nehmen.

»Das weißt du genau, Cey.« Xyen ließ sich durch ihren geknurrten Tonfall nicht aus der Ruhe bringen. »Du kannst aber gerne etwas später zu deinem Training bei Jay erscheinen und mir dafür verraten, wie du es geschafft hast ein Computerprogramm auszutricksen, das nur dazu entwickelt wurde eine unberechenbare Zielvorgabe abzuliefern.«

Was für eine ausgesprochen sinnvolle Erfindung! Die Seday besaßen entschieden zu viel Freizeit.

»Also?« Xyens Blick wurde merklich strenger und nachdem Cey für eine enorme Zeit lang trotzig zurückgestarrt hatte – so etwa drei Sekunden – gab sie auf. Sie erhob sich und schlurfte auf die Tür zu.

»In Ordnung«, bemerkte Xyen, während er sich zurück an seinen Schreibtisch begab. »Wir reden dann später darüber.«

Was für eine überraschende Ankündigung.

Als Cey zum zweiten Male an diesem Tag am Schießplatz erschien, waren die meisten der Stände bereits durch Jays Männer belegt. Anscheinend hatte ihr Trainer die Situation zum willkommenen Anlass genommen seine eigenen Leute ebenfalls etwas üben zu lassen. Mürrisch verzog Cey das Gesicht.

»Wenn du noch etwas zickiger dreinschaust, bleiben uns die Patronen im Magazin stecken«, bemerkte Jay mit einem breiten Grinsen.

Ceys Augen flammten rot auf, sie hielt sich mit einer patzigen Erwiderung jedoch zurück, weil Sanas gerade auf sie zutrat und sie sich nun einmal nicht mit den Mitgliedern ihres Teams stritt, wenn jemand Fremdes dabei war. Stattdessen überlegte Cey fieberhaft, wie sie das anstehende Gespräch mit ihrem Mentor weiter hinauszögern konnte. Denn über die Art und Weise ihrer Schummelei bei Landon würde sich Xyen alles andere als begeistert zeigen …

»Es freut dich sicherlich zu hören, Cey, dass wir heute nicht allzu lange brauchen werden«, verkündete Jay ihr just in diesem Moment. »Gewiss nicht unsere üblichen drei Stunden. Du musst auch gar nicht mehr schießen, denn das haben wir heute Nachmittag ja bereits gesehen. Wir möchten dir nur noch einige Fragen stellen.«

Sanas hin oder her, jetzt war es genug. »Ich freue mich nicht«, erwiderte Cey mit eisiger Stimme.

»Das war auch eine rein rhetorische Floskel.« Jay schob sie völlig mitleidslos auf den Platz, während Sanas ein kurzes Auflachen mit einem nachfolgenden Husten zu tarnen versuchte.

Das Geballer der Seday war mittlerweile zum Erliegen gekommen und Jay runzelte nachdenklich die Stirn. »Du hast nicht zufällig mitbekommen, wie viele Kugeln Six noch in seinem Magazin hat, oder Cey?«

»Drei«, erwiderte Cey automatisch. Erst auf Jays Nicken hin registrierte sie, dass diese Frage bereits zu der angekündigten Leistungseinschätzung gehören musste.

»Und was ist mit Ten?«

Cey presste die Lippen fest aufeinander und Jay versetzte ihr einen sachten Schubs. »Was ist los?«, erkundigte er sich lautlos bei ihr.

»Ich mag das einfach nicht«, beschwerte sich Cey. »Und vor allem nicht …« Ihr Blick flackerte zu Sanas. Wenn Jay sie aushorchte, war das nervig genug, aber bei jemandem außerhalb von Xyens Team fand sie es nahezu unerträglich. Sie hatte sich doch nicht die gesamten letzten Jahre über bedeckt gehalten, nur um ihre kämpferischen Fähigkeiten jetzt plötzlich jedem auf die Nase zu binden.

»Cey, ich kenne Sanas schon seit einer Ewigkeit. Genau genommen haben wir unsere Seday-Ausbildung zusammen absolviert und wir haben auch später oft zusammengearbeitet. Ich verbürge mich für ihn, okay?« Jay fixierte sie aufs Genauste. »Oder … kannst du ihn etwa nicht leiden?«

Cey seufzte. Jeder von Xyens Teammitgliedern wusste mittlerweile, was es bedeutete, wenn sie jemanden wirklich nicht mochte. So war es bei Sanas allerdings nicht, denn – Cey streifte den Mann mit einem weiteren Blick – von der Dunkelheit, mit der sich Landon so gerne umgab, war nichts zu erkennen. Im Gegenteil, Sanas war nett. Leider.

»Nein«, gestand Cey ihrem Trainer also. »Ich weiß, dass er in Ordnung ist. Aber trotzdem …«

»Dann beantworte mir bitte meine Frage.« Jay brach die mentale Verbindung zu ihr ab. »Cey?«, wiederholte er für alle hörbar.

Nach wenigen Sekunden der Stille murrte Cey: »Ten hat keine einzige Kugel mehr übrig.«

»Danke.« Jay deutete zu einem der Schießstände hinüber. »Sanas hat uns eine zusätzliche Waffe mitgebracht, eine, die gerade erst auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht und offiziell nicht erhältlich ist. Sie hat einige ungewöhnliche Eigenschaften. Sanas, erklärst du uns bitte die Details?«

Sanas nickte und begann mit seiner Beschreibung. Er zeigte Cey die einzelnen Bestandteile der Waffe, wie man sie zusammensetzte und am besten ein Ziel anvisierte. Cey musste zwangsläufig grinsen, sie fand es wirklich interessant.

Nachdem Sanas geendet hatte, erkundigte sich Jay: »Cey, wer wird deiner Meinung nach die meisten Treffer mit dieser Waffe erzielen?«

Diese Frage war für Cey noch leichter zu beantworten als die nach der Anzahl der verbliebenen Patronen in den Magazinen der Seday. Letzteres hatte sie gelernt, weil sie ansonsten dank der sadistischen Spielchen ihres dunklen Schöpfers nicht sonderlich lange in dieser Welt verblieben wäre, aber Ersteres … »Four.«

Jay runzelte die Stirn. »Du hältst Four für den besten Schützen?«

»Nein, mit Sicherheit nicht!« Cey bemerkte selbst den Sarkasmus in ihrer Stimme und wandte sich hastig zu Four um. »Sorry, so war es nicht gemeint«, entschuldigte sie sich, Four winkte jedoch grinsend ab. Er wusste über seine Stärken und Schwächen wohl durchaus Bescheid.

Jay bat Four an den Schießstand zu treten und der versenkte tatsächlich die meisten Kugeln dort, wo sie hingehörten. Er traf sogar deutlich öfter in die Mitte, als dass mit seiner vorherigen Waffe der Fall gewesen war.