Geboren aus Vergeltung (Seday Academy 7) - Karin Kratt - E-Book
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Geboren aus Vergeltung (Seday Academy 7) E-Book

Karin Kratt

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Beschreibung

**Wenn der Wunsch nach Vergeltung all deine Kräfte entfesselt…** Ceys gesamte Welt ist innerhalb eines Herzschlags in Milliarden Splitter zersprungen. Und noch immer lassen die Schatten der Vergangenheit die junge J'ajal nicht los. Sie will ihre Feinde ein für alle Mal bezwingen. Nicht nur ihre Geschwister und Freunde von der Seday Academy stehen ihr dabei treu zur Seite, sondern auch Xyen, ihr Mentor und Fels in der Brandung. Er erweist sich erneut als unverzichtbare Hilfe in einem Kampf, der Cey noch weitaus mehr kosten wird, als sie jemals gedacht hätte. Denn ihr Wunsch nach Vergeltung führt sie zu einem furchtbaren Geheimnis... Eine actionreiche Fantasy-Reihe mit Suchtfaktor: Karin Kratt erschafft eine toughe Kämpferin, die sich in einer düsteren Welt zu behaupten weiß. Stark, unnahbar und unwiderstehlich!   //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.//   //Alle Bände der Fantasy-Bestseller-Reihe:  -- Gejagte der Schatten (Seday Academy 1)   -- Verborgen in der Nacht (Seday Academy 2)   -- Erschaffen aus Dunkelheit (Seday Academy 3)  -- Gefangene der Finsternis (Seday Academy 4)  -- Entfesselt durch Rache (Seday Academy 5)  -- Verdammte des Schicksals (Seday Academy 6)  -- Geboren aus Vergeltung (Seday Academy 7)  -- Verfolgte der Vergangenheit (Seday Academy 8) -- Gezeichnete der Erinnerung (Seday Academy 9) -- Beseelt von Hoffnung (Seday Academy 10) -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 1-4 -- Die E-Box der erfolgreichen Fantasy-Reihe »Seday Academy«: Band 5-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-8 -- Sammelband der romantischen Fantasy-Serie »Seday Academy« Band 1-10// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Karin Kratt

Geboren aus Vergeltung (Seday Academy 7)

**Wenn der Wunsch nach Vergeltung all deine Kräfte entfesselt …** Ceys gesamte Welt ist innerhalb eines Herzschlags in Milliarden Splitter zersprungen. Und noch immer lassen die Schatten der Vergangenheit die junge J’ajal nicht los. Sie will ihre Feinde ein für alle Mal bezwingen. Nicht nur ihre Geschwister und Freunde von der Seday Academy stehen ihr dabei treu zur Seite, sondern auch Xyen, ihr Mentor und Fels in der Brandung. Er erweist sich erneut als unverzichtbare Hilfe in einem Kampf, der Cey noch weitaus mehr kosten wird, als sie jemals gedacht hätte. Denn ihr Wunsch nach Vergeltung führt sie zu einem furchtbaren Geheimnis …

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© privat

Karin Kratt ist eine lesesüchtige Mathematikerin, die sich nach ihrem Studium in der Bankenbranche Frankfurts wiederfand. Doch so sehr sie ihre Zahlen auch zu schätzen weiß, die Macht der Buchstaben begeistert sie noch weitaus mehr. Sie nutzt jede freie Minute, um ihre Träume auf Papier zu bannen. Träume, die bei ihren Streifzügen durch die endlosen Felder des hessischen Rieds entstehen oder auch mal ganz simpel auf der Liege im heimischen Garten.

»Du solltest nie vergessen, dass es weniger wichtig ist, wie tief der Abgrund ist, aus dem du dich wieder hinaufhangeln musst. Sondern es ist entscheidend, ob du beim Klettern alleine bist. Und das bist du definitiv nicht!«

– Jisuho –

Prolog

Vor etwa 18 Jahren

Ein starker Chlorgeruch ließ Cey das Gesicht verziehen und sie wich noch weiter von dem großen Pool zurück.

Es war Sommer, unglaublich heiß und im Wasser tobten ausgelassen drei Kinder, die man aufgrund ihres Aussehens niemals ein und derselben Familie zugeordnet hätte.

Kofi, ein westafrikanischer, elfjähriger Junge, der Älteste des Trios. Meihui, eine neunjährige Chinesin, die immer wieder die Augen zusammenkniff, weil sie ohne ihre Brille so gut wie nichts sah, diese jedoch vorsichtshalber bei den Handtüchern auf der Terrasse zurückgelassen hatte. Und Nayeli, eine siebenjährige Südmexikanerin, die etwa so groß war wie Cey selbst.

Ob das bedeutete, dass sie ebenfalls sieben Jahre alt war? Cey wusste es nicht, hatte die dementsprechende Frage der drei Pflegekinder von Ben und Anna Dixon nicht beantworten können. Aber sie redete ja ohnehin nicht.

Pflegekinder, Pflegegeschwister, Pflegeeltern – zu fremd klangen diese Begriffe immer noch in ihren Ohren. Zwar befand sie sich nun schon seit fast drei Wochen in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, aber sie musste nur einmal kurz blinzeln, um wieder einen kalten, düsteren Kerker vor sich zu sehen. Um sich an Skalpelle, Messer, spritzendes Blut und gebrochene Knochen zu erinnern. An gequälte Schreie und verzweifeltes Wimmern von all jenen, die Astans Erwartungen an seine frisch geschaffenen J’ajal-Krieger nicht erfüllen konnten.

J’ajal – geheimnisvolle Wesen, die unerkannt auf der Erde lebten und in die sich normalerweise vereinzelt junge Erwachsene verwandelten. Eine Laune der Natur.

Eine, die ein sadistischer, grauenhafter Mann so lange erforscht hatte, bis er endlich eine Unmöglichkeit zur neuen Wirklichkeit erklären konnte. Bis seine jungen, perfekt abgerichteten Kriegsmaschinen zu noch wesentlich nützlicheren Waffen wurden. Waffen, die ihm eines Tages bis an die Spitze der Weltherrschaft verhelfen sollten.

Aberdutzende tote Gefangene, die seine Experimente oder Trainingsmethoden nicht überstanden, spielten bei dem Erreichen seines ultimativen Ziels nicht die geringste Rolle.

Ihr selbst hatte er jedoch eine Rolle zugedacht, hatte sie zu seiner Süßen, seiner Lieblingskriegerin auserkoren. Wollte sie besonders schulen, sie abhärten, sie bis über ihre Grenzen hinaustreiben. Zum Beispiel indem er sie inmitten eines blutigen Kriegsschauplatzes im Nahen Osten absetzte und ihr befahl alles Notwendige zu tun, um am Leben zu bleiben.

Leben … Ebenfalls so ein seltsamer Begriff. Was bedeutete das: zu leben?

Cey blieb für einen kurzen Moment stehen, warf einen Blick auf ihre lachenden, Wasser verspritzenden Pflegegeschwister.

»Komm her! Das macht echt Spaß!«

Die drei kreischten und winkten fröhlich in ihre Richtung, doch sie schüttelte den Kopf und drängte sich noch tiefer in das Gebüsch hinein, welches das Grundstück der Dixons umgab.

Zweige zerkratzten ihr an vielen Stellen die Haut, aber das einsetzende Brennen rangierte auf ihrer Schmerzskala viel zu weit unten, als dass sie es bewusst wahrnahm.

Der James River – der war ihr gerade wichtig. Sie sehnte sich ebenfalls nach Wasser, nach einer Abkühlung, allerdings ohne diesen chemischen Chlorgeruch.

Kofi, Meihui und Nayeli sagen, Planschen macht Spaß …

Nachdenklich überquerte Cey einige Straßen, um zum Fluss zu gelangen. Diese Stadt war so ganz anders als die zerbombten Ruinen, durch die sie noch vor Kurzem geirrt war, auf der Flucht vor Rauchschwaden, Kugelhagel, Gewalt und dem allgegenwärtigen Tod.

Dass sie schließlich entkommen war, verdankte sie keineswegs ihren neuen übermenschlichen Fähigkeiten und auch nicht ihren Kampfkünsten oder all den anderen Dingen, die Astan sie gelehrt hatte.

Nein, ein älterer Soldat war es gewesen, der in all dem Horror auf sie zugerannt war, sie behutsam auf den Arm genommen und ihr immer wieder »Ich bringe dich in Sicherheit, mein Kind!« zugeflüstert hatte. Ein Soldat mit silbrig-blauen Augen, der ein J’ajal war, genau wie sie selbst!

Cey setzte sich an die Böschung des James River, starrte auf ihre Fingernägel und ließ ein klitzekleines bisschen ihre J’ajal-Krallen hervorlugen. Krallen, die nur zu deutlich bewiesen, dass sie nicht mehr länger zu den Menschen gehörte, nicht zu den Dixons gehörte, so freundlich und nett diese auch zu ihr waren.

Warum hat Jisuho mich hierhergebracht?

Sie verstand nicht, warum sich der Soldat, der sie in die Vereinigten Staaten begleitet hatte, so sehr sorgte, was mit ihr geschehen könnte, wenn seine eigenen Leute von ihr erfuhren. Warum er der Meinung war, sie wäre bei Ben und Anna, die von den J’ajal wussten, sie jedoch niemals direkt erwähnten, vorerst besser aufgehoben.

Seday hatte Jisuho die Organisation genannt, der er angehörte und in der es wohl kein einziges J’ajal-Kind gab. Die Militäreinheit der Seday hieß USF beziehungsweise United Secret Forces.

Wieder Begriffe, die ihr absolut nichts sagten. Und dabei hatte Astan genauso viel Wert auf ihre geistige Bildung gelegt wie auf ihre körperliche Abrichtung. Sie konnte lesen, schreiben und rechnen, sprach mehrere Sprachen fließend, konnte Sprengsätze entschärfen und wusste, wie man Firewalls hackte. Nayeli konnte das zum Beispiel nicht. Aber Nayeli konnte Springseil springen, Haare flechten und Hunderte Geschichten über Einhörner erzählen.

Sie teilten sich ein Zimmer und jeden Abend, nachdem Anna sie ins Bett gebracht, ihnen etwas vorgelesen und sie mit einem liebevollen Lächeln ermahnt hatte nicht mehr allzu lange zu quasseln, begann eine Stunde voller Magie.

So nannte Nayeli die Zeit, in der sie von ihren Lieblingen schwärmte, von Regenbögen, Wäldern, glitzernden Seen, von mutigen Prinzen und hübschen Prinzessinnen und bösen Schurken, von buckeligen Hexen und ihren Verwünschungen, die jedoch immer dank der Magie der Einhörner besiegt wurden.

Oft schlich sich auch Meihui zu ihnen, nachdem Anna ins Wohnzimmer zurückgekehrt war, und manchmal sogar Kofi. Dann gab es auch Drachen, Piraten, Raumschiffe und Ninjas in den Geschichten.

Und in der letzten Nacht hatte Nayeli sogar Bens Anweisung ignoriert, sich ihr ja nicht aufzudrängen, und sie war zu ihr ins Bett gekrabbelt, hatte die Arme um sie geschlungen und sich ganz fest an sie geschmiegt.

Cey war stocksteif liegen geblieben, hatte keine Ahnung gehabt, wie sie auf diese Berührung reagieren sollte. Aber als Ben kurze Zeit später nach ihnen gesehen, Nayeli mit einem vorwurfsvollen Blick bedacht und sich bei ihr selbst erkundigt hatte, ob das denn okay für sie wäre, hatte Cey ganz, ganz vorsichtig genickt.

Nach zwei großen Tassen mit heißem Kakao und schwimmenden Marshmallowstücken, die Ben ihnen gebracht hatte, und einer weiteren Erzählung über Einhörner war Nayeli dicht an sie gekuschelt eingeschlafen.

Cey war jedoch bis zum Morgengrauen wach geblieben. Sie hatte durch das Dachfenster die hell leuchtenden Sterne beobachtet und dabei unentwegt an ihre gefangenen Freunde denken müssen. Insbesondere an zwei Jungen, die sie auch manchmal verstohlen umarmt und ihr dieses unbeschreibliche Gefühl von Wärme geschenkt hatten. Sahim. Und der Graf.

Auch jetzt wanderten ihre Gedanken wieder zu ihnen.

Wie es den beiden wohl geht? Hatte Astan sie bereits für ihr spurloses Verschwinden bestraft? Sie verstümmelt oder gar getötet?

Selbst der geringste Fehler eines Einzelnen führte stets dazu, dass sie alle leiden mussten … In Cey wallte heftige Übelkeit auf. Sie schluckte und schluckte und schluckte, doch der saure Geschmack in ihrem Mund ließ sich einfach nicht mehr vertreiben.

Wenn sie nur irgendetwas tun, irgendwie helfen könnte! Aber wenn sie Astan verriet, wenn sie Ben oder Anna oder Jisuho alles erzählte, was sie wusste – dann würde er trotzdem noch einen Weg finden zu gewinnen. Das spürte sie tief in ihrem Herzen. Und dann würden so viele sterben. Kinder, die sie kannte. Und Kinder aus anderen Verliesen, von denen sie lediglich wusste, dass es sie gab, aber nicht wo genau sie sich befanden.

Es ist aussichtslos!

Mit einem lautlosen Schniefen legte Cey den Kopf auf ihren Knien ab. Ein hohes, melodisches Zwitschern ertönte und ein kleiner Vogel flatterte heran, der sich direkt vor ihr ins Gras setzte. Aus schwarzen, glänzenden Knopfaugen sah er sie eindringlich an und einmal mehr beschlich Cey das Gefühl, sie würde all das hier nur träumen – den friedlichen Sonnenschein, das einlullende Geplätscher des Wassers, ein Tier, welches nicht scheu genug war und obendrein viel zu intelligent dreinblickte.

»Wenn ich nicht weiß, ob ich träume, kneif ich mich immer«, hörte sie Kofis altkluge Stimme in ihren Gedanken. Er hatte sich vorgestern mit Meihui über Albträume unterhalten. »Wenn das Kneifen nicht wehtut, dann schlafe ich und nichts ist real.«

Cey kniff sich nicht. Stattdessen schlitzte sie sich mit der J’ajal-Kralle ihres Zeigefingers den gesamten linken Unterarm auf. Blut quoll augenblicklich aus dem Schnitt hervor. Und es tat weh. Nicht besonders, wenn man es mit manch anderen erlittenen Schmerzen verglich, aber schon so, dass sie es deutlich spürte.

Kein Traum also.

Der Vogel schwang sich wieder in die Luft und Cey schloss müde die Augen. Sie wollte sich nicht mehr so verwirrt und verzweifelt und schuldig fühlen. Wollte sich nicht mehr die ganze Zeit über fragen, was sie denn nur machen sollte. Was das Richtige war und was falsch.

Sie rutschte nach vorne, um sich in den James River plumpsen zu lassen. Genau in diesem Moment wurde sie hart an den Schultern gepackt.

»Mensch, Mädel, was machst du denn da?«

Vor lauter Grübeleien hatte sie nicht aufgepasst, hatte sich kein bisschen mehr auf ihre Umgebung konzentriert, obwohl ein Krieger genau das immer tun sollte. Ihre Reflexe funktionierten jedoch einwandfrei, auch ganz ohne bewussten Befehl an ihre Muskeln.

Ihr Ellenbogen stieß mit voller Wucht nach hinten, ihre Füße stemmten sich in den Boden, um sie erst ein Stück in die Höhe zu katapultieren, bevor sie sich abrupt zur Seite warf.

Schon war sie frei, sprang auf und wandte sich nach einer blitzschnellen Pirouette mit einem tödlich entschlossenen Gesichtsausdruck ihrem Angreifer zu. Einem Mann, der nicht sonderlich groß war, verglichen mit Astan war er sogar ein Zwerg. Aber er war breit wie ein Schrank und vor allen Dingen kannte er sich exzellent im Nahkampf aus. War er doch viele Jahre lang bei den Navy SEALs gewesen, bis er seine Frau kennenlernte und sie sich gemeinsam entschieden ein Zuhause zu schaffen und sich um spezielle Kinder zu kümmern, die sonst niemanden mehr hatten.

Speziell, weil es sich ausnahmslos um Kinder handelte, die seine einstigen Kollegen bei irgendwelchen Militäreinsätzen aufgabelten und die man nicht so einfach in eine x-beliebige Familie oder ein Heim stecken und wieder vergessen konnte. Wie zum Beispiel im Falle eines Kleinkindes von einem gerade niedergeschossenen Terroristen.

Das Konzept war eigentlich nur als Kurzzeitpflege gedacht, bevor ein langfristiger Platz gefunden wurde. Aber einige Kinder waren auch nach der Klärung aller Fragen und allem Papierkram bei Ben und Anna geblieben und dass sie jemals andere Eltern, ein anderes Leben besessen hatten, hatten Kofi, Meihui und Nayeli längst vergessen.

»Ich wollte dich nicht erschrecken.« Ben wehrte einen Schlag ab, welcher seiner Leber einen gehörigen Schaden zugefügt hätte, und tänzelte mit einer Leichtigkeit zurück, die so gar nicht zu seiner massigen Statur passte.

Cey hörte die Worte, wurde sich bewusst, dass es ihr Pflegevater war, den sie wieder und wieder attackierte, und niemand, der ihr schaden wollte. Trotzdem schaffte sie es nur, ihre Bewegungen ein wenig abzubremsen, auf ungefährlichere Stellen von Bens Körper zu zielen. Komplett aufhören konnte sie nicht. Zu viel Adrenalin peitschte noch immer durch ihre Adern, zu hart war das Training gewesen, das sie in den letzten Jahren durchlaufen hatte.

»Töte! Töte! Töte!«, hallte Astans eisige, erbarmungslose Stimme in ihr wieder. Eine Stimme, die sie seit ihrer Wandlung sogar bereits mehrfach innerhalb ihres Kopfes vernommen hatte, die sie noch stärker zu prägen und zu verändern begann als jemals zuvor.

»Andrina.« Zwei kräftige Arme schlangen sich um sie, hielten ihren zuckenden Körper fest und verhinderten jeden weiteren Angriff. »Atme tief durch. Ich tue dir nichts, niemand tut dir etwas. Du bist hier in Sicherheit, Andrina!«

Andrina – so nannten die Dixons sie, weil sie ihnen niemals gesagt hatte, wie sie in Wahrheit hieß. Ob Ceytlyn der Name war, den ihre Eltern ihr einst gegeben hatten, oder ob er von Astan stammte, wusste sie nicht mehr, zu verschwommen waren ihre Erinnerungen an die Zeit vor ihrer Gefangenschaft. Sie erinnerte sich allerdings noch sehr gut an einen älteren Mitgefangenen, der ihren Namen vor einer gefühlten Ewigkeit zu Cey abgekürzt hatte.

»Cey – das klingt wie ›key‹. Und du wirst sehen, eines Tages wirst du der Schlüssel sein!«

Der Junge war längst tot und konnte ihr nicht mehr erklären, was er damit gemeint hatte. Aber in Astans Kerkern wurde sie noch immer Cey genannt … oder zumindest war es beim letzten Beieinandersein mit ihren Freunden so gewesen.

Schlagartig ließ die Spannung in ihren Muskeln nach, dafür spürte sie wieder diese entsetzliche Übelkeit. Übelkeit und ein grässliches Pochen hinter ihrer Stirn.

»Andrina, Kleines, geht’s dir gut?«

Als sie aufsah, blickte Ben sie ernst und zutiefst besorgt an und sie richtete ihren Blick rasch wieder auf den Boden.

»Komm, gehen wir nach Hause.« Mit einer Hand auf ihrer Schulter schob er sie behutsam vor sich her. »Und wenn du das nächste Mal zum James River gehen möchtest, sagst du uns bitte Bescheid, ja? Du kennst die Regeln. Zum Baden ist der Fluss an dieser Stelle übrigens überhaupt nicht geeignet, ich möchte also nicht, dass du dich noch mal so weit vorbeugst! Und wo hast du bloß diesen fiesen Kratzer an deinem Arm her? Der war mir bislang gar nicht aufgefallen.«

Während Ben redete und redete, ihr jedoch kein einziges Mal ihren Ausraster vorwarf, schielte sie unauffällig auf ihren verkrusteten Unterarm. Der Schnitt, den sie sich selbst zugefügt hatte, hätte eigentlich immer noch bluten müssen. Stattdessen hatten sich die Wundränder bereits wieder geschlossen. Das war eine der vielen seltsamen Dinge, die passierten, seit sie eine J’ajal war.

Das Bild eines Metallgestells blitzte in ihren Gedanken auf, sie spürte die Fesseln an ihren Gliedern, hörte das Kreischen einer Säge, die sich durch ihren Schädelknochen fraß, damit Astan ihr ein von ihm entwickeltes Serum direkt ins Gehirn injizieren konnte … und das alles bei vollem Bewusstsein!

Sie konnte ein Würgen nicht mehr länger unterdrücken und übergab sich mitten auf der Terrasse der Dixons.

»MOM, ANDRINA KOTZT!«

Kofi brüllte so laut, dass es vermutlich ganz Richmond mitbekam, und zusammen mit Meihui und Nayeli kletterte er aus dem Pool. Und im gleichen Moment, als Ben sie vorsichtig auf einen Stuhl hob und nach einem Handtuch griff, klappte auch schon die Terrassentür.

»Ach herrje.« Mitgefühl leuchtete in den dunklen Augen der zierlichen, aber äußerst energischen Menschenfrau auf, die zu ihnen hinüberspähte. »Ich hol dir sofort ein Glas Wasser, Andrina. Kofi, hör auf zu schreien! Und wer Andrina ärgert, der kriegt mit mir Ärger, verstanden?«

»Wir ärgern sie doch gar nicht.« Entrüstet setzte sich Nayeli neben sie, während Anna wieder im Haus verschwand und Ben fürsorglich ihr Gesicht abwischte.

»Wird bestimmt gleich wieder besser«, tröstete er sie.

Aber das wurde es nicht. Nicht als sie langsam und mit Annas Hilfe das Wasser trank, nicht als Ben mit dem Gartenschlauch die Terrasse säuberte und auch nicht als Meihui ihre Brille aufsetzte und ein Lexikon aus ihrem Zimmer anschleppte, um sie damit abzulenken.

»Wusstest du, dass Andrina vom altgriechischen andreios kommt und tapfer bedeutet?«

Eifrig deutete Meihui auf einen Eintrag und Cey schüttelte matt den Kopf. Das hatte sie nicht gewusst, aber sie hatte geahnt, dass Anna und Ben sich etwas bei dem Namen gedacht hatten. Und das Meihui schön und klug bedeutete, hätte ihre Pflegeschwester ihr gar nicht so stolz vorlesen müssen. Sie sprach schließlich chinesisch und konnte die Silben selbst übersetzen.

»Was ist mit Kofi?« Interessiert riss Kofi seiner protestierenden Schwester das Buch aus der Hand und machte eine mehr als enttäuschte Miene, weil sein Name lediglich an einem Freitag geboren bedeutete.

»So hat deine leibliche Mutter dich genannt und sie hat dich sehr geliebt. Weshalb hätten wir den Namen also ändern sollen? Und jetzt weg mit diesem blöden Lexikon und lasst Andrina sich ein wenig ausruhen!«

Anna machte eine scheuchende Handbewegung, während Cey noch zu verstehen versuchte, warum Kofi überhaupt derart enttäuscht war. Sie selbst hätte so gerne gewusst, an welchem Wochentag sie Geburtstag hatte. Sie kauerte sich in ihrem Stuhl zusammen, fand es plötzlich furchtbar, furchtbar kalt.

»Ich will auch wissen, was mein Name bedeutet«, maulte Nayeli leise, während die drei langsam von der Terrasse schlurften.

»Warte.« Ein schneller Blick von Kofi zu Anna, die gerade nach einem dicken, flauschigen Handtuch griff, um Cey besorgt darin einzuwickeln. »Nayeli ist Zapo– … Zapotek– irgendwas und bedeutet Ich liebe dich.«

»Ich sagte, weg mit dem Lexikon!«

Das Buch knallte auf die Terrasse und Kofi, Nayeli und Meihui flohen zurück in den Pool, wo sie vorsichtshalber erst einmal auf Tauchstation gingen. Anna sah ihnen jedoch gar nicht wütend hinterher.

»Hast du einen Hitzeschock, Kleines?«

Annas Hand fuhr über ihre Stirn und Cey zuckte instinktiv zurück. Ihre Sicht verschwamm, aber sie hörte noch genau, was Anna sagte.

»Hm, normal warm, Fieber scheinst du keines zu haben. Vielleicht sollte ich trotzdem den Arzt ruf–«

Einen Arzt? O nein! Cey befreite sich blitzschnell von dem Handtuch und warf sich so heftig gegen die Lehne des Stuhls, dass dieser nach hinten umkippte. Weil sie aber damit gerechnet hatte, nutzte sie den Schwung, um eine Rückwärtsrolle zu machen und in einer einzigen fließenden Bewegung auf die Füße zu kommen.

»Andrina.« Ben, der sich vor ein paar Minuten murmelnd ins Haus zurückgezogen hatte, stand jetzt wieder in der Terrassentür. Wahrscheinlich sah er fragend zu seiner Frau hinüber, denn von Anna erklang umgehend ein leises »Weiß nicht, was sie gerade hat«.

Um das jedoch mit Bestimmtheit zu sagen, dafür tanzten zu viele schwarze Punkte vor Ceys Augen. Trotzdem erkannte sie noch den Mann, der Ben nun auf die Terrasse hinausfolgte – Jisuho.

»Hallo, mein Kind. Ich hatte dir doch versprochen dich heute Abend zu besuchen.« Der Soldat lächelte, was sie mehr aus seinem Tonfall schloss als aus seiner Miene.

Ceys Herz klopfte aus irgendeinem Grund schneller und statt sich in die Büsche zu flüchten, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte, machte sie nur noch zwei, drei zögerliche Schritte und blieb dann wieder stehen.

»Nayeli, Meihui, Kofi – ab mit euch ins Haus! Zieht euch um und dann könnt ihr uns beim Abendessenrichten helfen.«

Der ein oder andere lautstarke Protest erklang, aber Ben und Anna ließen sich nicht erweichen und gleich darauf war Cey mit Jisuho alleine auf der Terrasse.

»Scheint aufregend gewesen zu sein, mit Ben am James River entlangzuspazieren.« Er sagte das völlig beiläufig, ohne jegliche Wertung in der Stimme.

Cey senkte dennoch den Kopf. Vor Jisuho schämte sie sich plötzlich dafür, dass sie ihren Pflegevater angegriffen und sich noch nicht einmal entschuldigt hatte.

»Ben und Anna wollten, dass du zu ihnen kommst. Sie mögen dich sehr und nichts, was du tust, wird etwas an ihren Gefühlen ändern. Du bist ein Teil ihrer Familie.«

Jisuho sprach so sanft, dass ihre Augen feucht wurden. Dabei weinte sie so gut wie nie, hatte es schon beinahe geschafft, sich das nervige Flennen, wie Astan es nannte, vollständig abzugewöhnen, egal von welchem Schmerz sie beherrscht wurde.

»Du bist ein gutes Mädchen, stark und mutig und schlau! Es ist kein Wunder, dass die Dixons dich so sehr mögen, aber vergiss niemals – ich mag dich ebenfalls. Sehr sogar. Falls du dich hier also nicht wohlfühlen solltest, sag es mir bitte, ja?«

Ein gutes Mädchen? Cey senkte den Kopf noch weiter. Wenn dieser Soldat nur wüsste, was sie bereits alles getan hatte, dann würde er niemals so zuneigungsvoll mit ihr sprechen! Ihre Beine begannen unkontrolliert zu zittern, wollten ihr Gewicht nicht mehr länger tragen. Unsanft plumpste sie zu Boden.

Das Scharren von Schritten ertönte, aber noch bevor sie erschrocken zurückweichen konnte, hörte es auch schon wieder auf.

»Mein Kind, ich werde dich nicht anfassen. Aber sieh mich bitte an.«

Jisuhos Stimme klang nun deutlich näher als zuvor, jedoch nicht derart nah, dass sie sich in ihrem hilflosen Zustand bedroht gefühlt hätte. Warum nur ging es ihr so unglaublich elend?

»Bitte«, wiederholte er eindringlich. »Ben hat mir gesagt, dass dir wohl die Hitze zu schaffen macht oder du etwas Falsches gegessen hast. Aber es könnte auch etwas anderes sein. Sieh mich an, mein liebes Kind.«

Unendlich langsam hob sie den Kopf, spürte, wie etwas Nasses aus ihren Augen über ihre Wangen ran. Jetzt weinte sie also doch noch …

»Scheiße! Ich hätte damit rechnen müssen –« Jisuho brach seinen Fluch ab und mäßigte seinen Tonfall. »Bleib still sitzen. Ich bin gleich wieder da, ich hole nur schnell etwas aus meinem Wagen.«

Keine fünf Sekunden schienen zu vergehen, bis er wieder zurückkehrte, aber vielleicht war ihr Zeitgefühl auch einfach nur völlig durcheinandergeraten.

»Ich geb dir jetzt etwas, das du trinken musst«, befahl er ihr knapp. »Sofort!«

Und noch bevor sie irgendwie reagieren konnte, wurde ihr ein kleines Fläschchen in die Hand gedrückt, eine – sie blinzelte heftig – eine kleine Glasphiole, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.

»Lortisol. Frag nicht, sondern trink endlich!«

Keine Ahnung, warum sie gehorchte, aber sie tat es. Die Flüssigkeit schmeckte nach nichts, ihre Sicht verlosch jedoch endgültig. Hinter ihrer Stirn explodierte eine eisige Schwärze, die sich innerhalb eines einzigen Atemzugs durch ihren gesamten Körper fraß. Ein panischer Schrei stieg ihre Kehle empor, aber noch bevor sie ihn ausstoßen konnte, war es schon wieder vorbei.

Der Schmerz war verschwunden, ihre Übelkeit und Erschöpfung ebenso. Und sie hatte auch keine Probleme mehr damit, Jisuhos silbrig-blaue Augen zu erkennen, mit denen er sie beunruhigt musterte – während er sie gleichzeitig sanft in seinen Armen wiegte und ihr mit einem Tuch behutsam über das Gesicht wischte.

Woher hatte er das? Und wie hatte er sich so schnell zu ihr setzen und sie auf seinen Schoß ziehen können?

Sie riss sich hektisch los, sprang auf und entfernte sich einige Meter.

»Hattest du das schon öfter?« Jisuho kam ihr nicht nach, sah sie jedoch mit ernsterer Miene an, als sie ihn jemals zuvor gesehen hatte. »Einen solchen Aussetzer? Heftige Kopfschmerzen in Verbindung mit blutiger Augenflüssigkeit, Bewusstseinsstörungen und Kontrollverlust?«

Sie hatte keine Ahnung, wovon er da sprach, aber es machte ihr große Angst.

»Ich möchte dir nur helfen, das weißt du, oder? Und ich werde es auch auf jeden Fall tun! Es wäre allerdings ein klein wenig einfacher, wenn du mir erzählen würdest, seit wann du eine J’ajal bist oder wo du früher gelebt hast. Oder wer dir das Kämpfen beigebracht hat.«

Er hatte ihr diese und ähnliche Fragen schon Hunderte Male gestellt, aber nie hatte sie ihm geantwortet. Und sie tat es auch jetzt nicht.

»Na gut.« Viel schneller als gewöhnlich gab Jisuho seine Befragungsversuche auf. »Wenn du an mentalen Aussetzern leidest, funktioniert das allerdings nicht mehr so, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich muss mit jemandem sprechen und komme später nochmal vorbei.«

Er ging auf die Terrassentür zu, vermutlich um sich von Ben und Anna zu verabschieden. Bevor er eintrat, drehte er sich jedoch ein letztes Mal mit einem sanften Lächeln zu ihr um.

»Vergiss nicht, was ich dir versprochen habe – du bist in Sicherheit, mein Kind. Wir sind Tausende Kilometer weg von der Hölle, in der ich dich gefunden habe. Du brauchst dich nicht mehr zu fürchten, musst nie wieder etwas alleine durchstehen. Ich hab dich lieb und bin bald wieder da, in Ordnung?«

Ein paar Sekunden verstrichen und sie öffnete schon den Mund, um damit herauszuplatzen, dass da noch so viele andere waren, die in Sicherheit gebracht werden mussten, die sich niemals wieder fürchten sollten und die es so sehr verdient hatten, gemocht zu werden. Geliebt zu werden.

Aber da zog Jisuho ein Handy aus seiner Hosentasche, begann zu telefonieren und verschwand im Haus. Und Ben, der sie in der gesamten Zeit, die sie bereits hier war, niemals länger als für ein paar Augenblicke unbeobachtet gelassen hatte, trat auf die Terrasse.

»Abendessen ist fertig, Andrina. Selbst wenn du nichts essen möchtest, setzt dich bitte eine Weile zu uns, ja? Damit wir alle zusammen sind.«

Er streckte ihr auffordernd die Hand entgegen, wurde jedoch keineswegs ungeduldig, als sie einen Moment brauchte, um sich zu überwinden und auf ihn zuzugehen.

»Danke.« Zart schlossen sich seine Finger um ihre kleine Hand. »Wenn es dir zu anstrengend wird und du dich lieber hinlegen möchtest, sag Bescheid.«

Er führte sie zu ihrem Platz am Esstisch, zwischen ihm und Nayeli. Anna saß ihr gegenüber und rechts und links von ihr Kofi und Meihui.

»Kofi! Zwei Frikadellen, drei Scheiben Käse und ein halbes Kilo Tomaten, Gurken und Zwiebeln langen wirklich für einen einzelnen Burger. Dir fällt beim Essen doch alles wieder raus.« Mahnend sah Anna ihren Ältesten an, der sie beflissentlich ignorierte.

Meihui hielt nichts davon, ihren Burger zu einem riesigen Turm aufzustapeln. Sie wollte stattdessen alles ganz akkurat haben, schob die Gürkchenscheiben auf ihrer mit Ketchup bestrichenen Brötchenhälfte immer wieder hin und her und schien ernsthaft zu überlegen, ob sie sich ein Lineal holen sollte.

»Mom, kannst du mir einen Burger belegen? Die schmecken immer am besten! Bitte, bitte, bitte.« Voller Unschuld blickte Nayeli quer über den Tisch, dabei wusste jeder, dass sie sich in Bezug auf Essen gerne bedienen ließ.

»Du kriegst deinen Burger. Dafür sagst du den Tischspruch auf, du kleine Schlawinerin.« In wenigen Augenblicken hatte Anna Nayelis Burger zusammengesetzt und ihr gereicht. Gleichzeitig hatte sie Kofi einen strengen Blick zugeworfen, der bereits in sein wackeliges Konstrukt beißen wollte, und Meihui zu etwas weniger Genauigkeit gemahnt, weil aus dem Abendessen sonst ein Frühstück werden würde.

»Auch einen Burger, Andrina?« Fragend hielt Ben ihr einen hin und noch bevor sie ablehnen konnte, brüllte Kofi bereits: »Sie isst doch gar kein Fleisch!«

Was nicht so ganz stimmte, in der Vergangenheit hatte sie sich oft von Fleisch ernährt. Stand man kurz vor dem Verhungern, konnte man nicht wählerisch sein. Danach zu entscheiden, was einem selbst am besten schmeckte, diesen Luxus hatte sie erst bei den Dixons kennengelernt.

»Wir haben dir schon oft genug gesagt, dass du nicht immer so schreien sollst, Kofi! Wir sind nicht schwerhörig. Und diese Frikadelle ist aus Hirse und Gemüse, sehr gesund. Solltest du auch mal probieren!«

Während Ben noch schimpfte, den entsetzten Kofi allerdings doch nicht dazu zwang, sein Fleisch gegen Gemüsebratlinge auszutauschen, strich er Cey sachte über den Kopf. Und wie merkwürdig es auch war, diese kurze Berührung reichte aus, dass sie sich nicht in dunklen Erinnerungen verlor oder erneut übergab.

»Wir danken für das Essen vor uns, die Familie neben uns und die Liebe zwischen uns! Guten Appetit!«, ratterte Nayeli hinunter und damit begann die Mahlzeit, die wie stets bei den Dixons extrem laut, chaotisch und trotzdem irgendwie lustig wurde.

Kofi machte eine riesige Sauerei, als sein Burger auseinanderbrach und die Zutaten über den halben Tisch flogen, Nayeli schnippte ein Gurkenstück nach Meihui, die daraufhin ihr Glas umstieß und wütend mit der Ketchupflasche auf Nayeli spritzen wollte. Stattdessen traf sie Cey, die gerade zaghaft an einem abgepulten Stück des vegetarischen Burgers hatte knabbern wollen. Ihre Hand und ihr Shirt waren nun voller Ketchup.

»Himmel, Kinder, könnt ihr nicht einmal vernünftig essen?« Bevor das dreifache kichernde »Nein, Mom« ertönte, hatte Anna wohl aufspringen und einen Lappen aus der Spüle holen wollen, aber nun ließ sie sich seufzend zurücksinken. Ihr Blick wanderte einmal über den eben noch so ordentlich gedeckten Tisch und über die klebrige Colalache neben Meihuis Stuhl, dann zuckte sie mit den Schultern und biss genüsslich in ihren Burger.

Ben befreite Cey mit einer Serviette von einem Großteil des Ketchups und schien sich dabei große Mühe zu geben, nicht zu seiner Frau zu sehen, aber als er es dann doch tat und ihre Blicke sich kreuzten, verzogen sich ihre Mundwinkel gleichzeitig zu einem Grinsen.

Kofi, Nayeli und Meihui kabbelten sich zwischen schmatzenden Bissen schon längst wieder und Ben und Anna sahen sich erneut tief in die Augen. Aus ihrem Grinsen wurde ein Lächeln, ein Lächeln, dessen genaue Bedeutung wohl nur der jeweils andere verstand.

Aber in exakt diesem Moment verstand auch Cey endlich etwas. Leben … genau das hier, was sich gerade an diesem Tisch abspielte, beschrieb, was es bedeutete zu leben. Der Begriff war nicht mehr nur ein fremdes Wort für sie. Sie sah es mit eigenen Augen vor sich, was alles möglich sein konnte, sah den gigantischen Unterschied zu ihrem bisherigen … Nicht-Leben. Sie –

Ein lauter Knall ertönte und sie sprang so heftig auf, dass sie dabei ihren Teller vom Tisch fegte und er scheppernd am Boden zerbrach.

Ben brauchte jedoch nur einen Sekundenbruchteil länger, um ebenfalls aufzuspringen und ihr fest einen Arm um die Schultern zu schlingen und somit zu verhindern, dass sie noch etwas weitaus Unüberlegteres tat.

»Das war kein Schuss, Andrina. Sondern nur ein Böller«, sagte er ruhig, aber mit deutlich verärgerter Miene. »Wahrscheinlich treibt der Teenie der Sanfords wieder irgendeinen Unfug im Garten. Seine Eltern wollten heute Abend ausgehen, oder?«

»Ja«, bestätigte Anna. Sie stand nun ebenfalls auf, kam um den Tisch herum und nahm Cey behutsam in den Arm, während Ben mit einem finsteren »Ich sehe mal nach!« zur Tür stapfte.

Nicht ausrasten, ermahnte Cey sich selbst. Es ist alles in Ordnung. Wehr dich nicht! Schlag niemanden. Töte niemanden …

Ihre Atmung ging immer noch hektisch, als Kofi sich sichtlich zwischen Begeisterung und schlechtem Gewissen hin- und hergerissen erkundigte: »Können wir nicht auch mal wieder ein Feuerwerk mach–«

Er brach ab, noch bevor Anna ihm einen scharfen Blick zuwarf. »Nein. Ich find die Knallerei ja eigentlich eh total doof. Mom, dürfen Andrina, Nayeli, Meihui und ich nach oben gehen und noch ein bisschen spielen?«

»O ja!« Nayeli und Meihui rutschten von ihren Stühlen, ihre nur halb aufgegessenen Burger interessierten sie nicht im Geringsten mehr. Ihre Pflegeschwestern griffen jeweils nach einer Hand von ihr und plötzlich fiel es Cey gar nicht mehr so schwer, wieder ruhiger zu atmen.

Das merkte auch Anna und nach einem Kuss auf ihre Stirn und einem letzten eindringlichen Blick nickte sie in Richtung Treppe. »Ab mit euch! Aber kein wildes Toben mehr.«

»Niemals!« Kofi, Nayeli und Meihui wollten sie schon kichernd mit sich zur Treppe ziehen, da klingelte es an der Tür.

Anna runzelte die Stirn. »Wer kann das denn sein? Ben hat doch einen Schlüssel. Ah, bestimmt ist Jisuho wieder zurück.«

Sie wandte sich in Richtung Tür, aber Cey war schneller. Sie wollte endlich das tun, worum Jisuho sie bereits so oft gebeten hatte – sie wollte ihm vertrauen. Wollte ihm alles verraten, wollte die Kinder aus ihrem Verlies wiedersehen, sie befreien, ihnen von dem erzählen, was sie über das Leben gelernt hatte. Wollte ihren Freunden zeigen, was es bedeutete, eine Familie, Bruder und Schwester zu sein, selbst wenn man gar nicht das gleiche Blut besaß.

Sie legte ihre Hand auf die Klinke und riss die Tür mit einem einzigen Ruck auf. Ein Ruck, der ihr Leben beendete, bevor es richtig begonnen hatte.

»Hi, meine Süße. Hast du mich vermisst?«

Der riesenhafte, bis auf eine Narbe im Gesicht auffallend gut aussehende Mann grinste sie von oben herab an.

Ceys Herz setzte aus, trotzdem reagierte sie schneller als jemals zuvor in ihrer … Existenz.

»Lauft weg!« Der spitze Schrei hatte ihre Lippen noch nicht vollständig verlassen, als sie bereits losstürzte. Aber nicht um sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen, sondern sie warf sich unmittelbar auf Astan.

Wenn sie nicht wollte, dass die Dixons für all die Freundlichkeit und Zuneigung, die sie ihr in den letzten Tagen geschenkt hatten, auf grausamste Art und Weise bezahlen mussten, dann musste sie dieses Monstrum besiegen! Musste ihn töten, bevor er töten konnte.

Ihre J’ajal-Krallen schnellten hervor, sie wand und krümmte sich in absurder Weise, um den zupackenden Pranken zu entgehen, und schaffte es tatsächlich, Astans T-Shirt aufzuschlitzen und ihm fünf parallele Kratzer am Unterbauch zuzufügen.

Dann war aber Schluss. Eine widerwärtige, zähe Dunkelheit schwappte in ihren Schädel, wühlte sich mit scharfen Klauen durch ihren Verstand und sie erstarrte einfach. Konnte sich nicht mehr bewegen, nicht mehr aufschreien und noch nicht einmal mehr blinzeln, egal wie sehr sie es auch versuchte.

»Was für eine leidenschaftliche Begrüßung!« Astan lachte dröhnend und nahm die oberflächlichen Schnittwunden an seinem Bauch vollkommen gleichgültig hin. »Ich würde ja so gerne weitertesten, wie gut du noch in Form bist, aber das müssen wir leider auf später verschieben. Wir wollen doch nicht die Nachbarn stören … also noch nicht!«

Er lachte erneut, trat ein und schloss sorgfältig die Tür hinter sich. Dann griff er nach ihr und trug sie ins Wohnzimmer, wo er sie vermeintlich sanft wieder auf die Füße stellte.

All ihren bitteren Erfahrungen zum Trotz wäre Cey nun vermutlich in Tränen ausgebrochen, aber auch das verhinderte die schmerzhafte, ungewohnte Dunkelheit in ihrem Kopf. Die einzigen beiden Worte, die sie je an ihre Pflegefamilie gerichtet hatte – sie hatten nichts gebracht.

Anna saß mit einer blutenden Kopfwunde auf dem Boden, die Arme um ihre verstörten, schluchzenden Kinder geschlungen. Hinter ihr ragte einer von Astans skrupellosen Söldnern auf, eine Pistole mit Schalldämpfer in der Hand. Er schien nur darauf zu lauern, dass Anna eine falsche Bewegung machte und er noch einmal zuschlagen konnte.

»Andrina«, sagte Anna leise und ein Schatten der Furcht huschte über ihr Gesicht, den sie gleich wieder zu vertreiben versuchte, indem sie energisch das Kinn anhob.

Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid … In einer endlosen Spirale blitzten die Worte, die sie nicht laut aussprechen konnte, in Ceys Gedanken auf. Niemals hätte sie sich von Jisuho hierherbringen lassen dürfen! Niemals hätte sie der Verlockung nachgeben dürfen, die ein weiches Bett, saubere Kleidung und Unmengen an Essen für sie dargestellt hatten. Niemals hätte sie zulassen dürfen, dass jemand sie mochte, sie Teil von etwas so Schönem, von so viel Glück wurde, welches sich nun ihretwegen ins genaue Gegenteil verkehrte.

»Eine kluge Erkenntnis«, urteilte Astan, als ob er genau wüsste, was sie gerade dachte. Er trat an den Esstisch heran und belegte sich in aller Seelenruhe aus den vorhandenen Resten einen Burger.

»Weißt du, meine kleine Kriegerin, zuerst war ich ja schon ein wenig beleidigt, dass du nicht sofort in deinen gemütlichen Kerker zurückgekehrt bist und ich mir die Mühe machen musste, dich zu suchen. Aber das hier wird eine so wertvolle Lektion für dich werden, dass ich nur noch ein ganz. Klein. Wenig. Sauer. Auf. Dich. Bin.«

Im Rhythmus seiner letzten Worte hackte er mit einem Messer auf den Burger ein, bis von diesem nur noch Matsch übrig war, dann wischte er seine besudelten Finger beinahe verwundert an seiner Hose ab und trat schulterzuckend vom Tisch zurück.

»Hm, scheint, als müssten wir auf dem Rückweg noch bei McDonalds anhalten.«

»Egal was Sie auch vorhaben – Sie werden nicht damit durchkommen!«

Abscheu und Verachtung sprachen aus Annas Worten und ihre Stimme zitterte nur ein ganz klein wenig. Aber sie hatte ja auch keine Ahnung, wer genau da in ihr Haus eingedrungen war. Dass es Satans eifrigster Anhänger war, nein, jemand, der noch weitaus schlimmer war …

Cey kämpfte nun nicht mehr länger gegen die Dunkelheit und ihre Qualen an. Im Gegenteil, sie versuchte diese so stark werden zu lassen, dass sie das Bewusstsein verlor. Denn keinesfalls wollte sie es mit ansehen müssen, was hier gleich geschehen würde! Aber natürlich funktionierte auch das nicht.

»Sie werden im Gefängnis landen und –«

»Und wer genau soll mich dorthin bringen, meine Gute?« Interessiert ging Astan vor Anna in die Hocke. Gleichzeitig wurde die Terrassentür aufgestoßen und zwei bullige Männer, ebenfalls Söldner, schleiften einen ohnmächtigen Ben in den Raum. »Sorry für die Verspätung. War gar nicht so einfach ihn zu überwältigen, ohne alle Welt auf uns aufmerksam zu machen. Und … ähm … auf Coleman müssen wir zukünftig verzichten.«

Statt erbost über den Verlust einer seiner Männer zu sein, musterte Astan den Ex-Navy-SEAL mit einem anerkennenden Blick. Bens Nase war eindeutig gebrochen und einer seiner Arme wohl ebenfalls. Sein Shirt war von Blut durchtränkt und es strömte auch reichlich Blut auf den Boden, vermutlich hatte Ben irgendwo eine Schusswunde am Oberkörper.

Anna keuchte immer wieder entsetzt auf und Kofi, Nayelis und Meihuis Weinen wurde heftiger und heftiger.

»Dad!«

»Was ist mit ihm?«

»Dieser … dieser böse Mann soll endlich wieder weggehen.«

Den letzten Satz hatte Nayeli gewispert und Astan streckte amüsiert die Hand aus, um dem verängstigten Mädchen über die Wange zu fahren.

»Fassen Sie sie ja nicht an!« Mit einem Fauchen wie von einer Löwin schlug Anna die tatschende Hand zur Seite und Astans Grinsen verrutschte ein wenig.

»Ich wünschte, es wäre noch die Zeit, Ihnen ebenfalls eine Lektion zu erteilen. Aber es warten noch andere darauf, dass ich mich mit ihnen … nun ja, beschäftige.«

Ein eisiger Schauer rann über Ceys Rücken und noch einer und noch einer. Was? Was plante Astan noch alles? Welche furchtbaren Konsequenzen würden diese paar Tage haben, die sie in vermeintlicher Sicherheit verbracht hatte?

»Das wirst du noch früh genug erfahren, meine Süße. Du wirst lernen, dass du mir niemals entkommen kannst. Und du wirst niemals wieder auch nur daran denken, mich zu verraten!«

Ohne dass Astan die Lippen bewegt hätte, vernahm sie seine bestialische Stimme. Er gab seinen Männern einen herrischen Wink und sie schleppten Ben zu seiner Familie. Noch zwei Söldner traten ein, der eine mit Seilen und Klebeband in der Hand, der andere, der schon allein aufgrund seiner grausigen Pockennarben und des fehlenden rechten Ohrs wie ein wahrgewordener Albtraum wirkte, mit zwei großen Benzinkanistern.

»Nein! Bitte, das sind doch noch Kinder! Lassen Sie sie gehen.«

Anna flehte und warf sich auf die Knie. Und als trotzdem einer der Männer den kreischenden Kofi packte, um ihm die Hände zu fesseln, stürzte sie sich wie eine Furie auf ihn. Nicht dass es irgendetwas an dem Unausweichlichen geändert hätte.

»Andrina, hilf uns! Hilf uns doch!«

Nayeli, die sich noch in der letzten Nacht so fest und vertrauensvoll an sie gekuschelt hatte, ihre kleine, unschuldige, von Magie und Einhörnern träumende Pflegeschwester, stieß herzzerreißende Schluchzer aus, aber sie konnte nicht zu ihr, konnte ihr nicht helfen.

Völlig gelähmt stand sie in nur wenigen Metern Entfernung da, tat nichts, als ob es ihr nichts bedeutete, dass die Familie Dixon – ihre Familie! – mit den Händen aneinandergefesselt und ihre Münder mit Klebeband verschlossen wurden.

Astan übernahm das nun sogar höchstpersönlich, seine Männer passten lediglich noch auf, dass nicht noch jemand im letzten Moment entwischte.

»So, das wäre geschafft. Gehen wir zum spannenderen Part über!« Astan nahm sich eine Schale mit Erdnüssen vom Wohnzimmertisch und schnippte sich lässig eine nach der anderen in den Mund, während seine Söldner Benzin über die wimmernden und zuckenden Dixons ausleerten und auch den Teppich, die Couch und alles andere in der Nähe damit tränkten.

»Bitte, Astan! Du hörst mich doch, oder? Bitte, bitte, verschone sie. Ich tue alles, was du willst!«

Ceys Verzweiflung wuchs ins Unermessliche, als der pockennarbige Söldner ein Streichholz zückte. Wenn ihr dunkler Schöpfer mit ihr sprach, musste sie doch auch irgendwie mit ihm sprechen können. Sie musste ihn aufhalten, egal welchen Preis sie selbst dafür bezahlen musste!

Es durfte einfach nicht sein, dass Kofi nie wieder herumbrüllen, Meihui nie wieder ein Buch studieren und Nayeli nie wieder lachen würde. Es durfte nicht sein, dass Anna nie wieder jemanden voller Mitgefühl anblicken und Ben niemals wieder heißen Kakao mit Marshmallowstückchen zubereiten würde. Irgendwo musste doch noch ein winziger Rest von Gnade –

»Halt!« Auf Astans unvermittelten Befehl hin pustete der hässliche Söldner das Streichholz enttäuscht aus. Er war jedoch klug genug ein Murren oder sonstigen Protestlaut zu unterdrücken.

»Gnade … Du hast völlig recht, liebe Cey. Beinahe wäre mir da wirklich etwas entgangen.«

Achtlos ließ Astan die Erdnüsse fallen und schritt auf den ohnmächtigen Ben zu. »Aufwachen, du harter Brocken. Du hältst doch bestimmt noch lange genug durch, um deine eigene Einäscherung nicht zu verpassen, oder?«

Wieder und wieder und wieder ohrfeigte er Ben, bis sich dieser endlich regte und die Augen weit aufriss.

»Na also, geht doch. Und was ich von dir möchte …« Feixend drehte sich Astan zu ihr um, während er sich gleichzeitig die Streichhölzer reichen ließ. »Sieh einfach nur hin. Sieh gaaaanz genau hin. Ach so, machst du ja eh schon. Dann los.«

Neeeeeein! Nein, nein, nein! Ein Ratschen ertönte, eine kleine Flamme loderte auf und Cey stemmte sich mit aller Macht gegen die unsichtbaren Klauen in ihrem Verstand. Sie tobte, sie schrie und kämpfte, aber was immer da Astan gerade mit ihr tat, es war etwas völlig Neues für sie.

Nicht einmal ihre Augenlider zuckten, als das Streichholz Astans Hand verließ und mitten auf Nayelis benzingetränkten Haaren landete.

Zischend schossen Flammen in die Höhe, hüllten die wehrlose Familie innerhalb weniger Sekunden vollständig ein. Der Gestank von verschmortem Fleisch und Haar verbreitete sich im Raum und aus dem vorher so leisen Wimmern wurden unerträgliche, gellende Schmerzenslaute.

Anna und die Kinder wanden sich hin und her. Nur Ben saß beinahe gelassen da, den Blick stur auf Ceys Gesicht gerichtet. Seine Augen schienen ihr irgendetwas mitteilen zu wollen, aber sie wusste nicht was.

Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid …

Erneut blitzte der immer gleiche Satz in ihren Gedanken auf, der trotzdem niemals entschuldigen würde, was ihr Leichtsinn diesen wundervollen Menschen angetan hatte.

Astan trat hinter sie, beugte sich zu ihr hinunter, bis sein Mund ihr Ohr berührte. »Jetzt pass schön auf, meine Süße, und lerne, wie sich ein anständiger Kerl so richtig brechen lässt. Wie du ihm ganz leicht jegliche Stärke rauben und ihn wahnsinnig werden lassen kannst.«

Er öffnete den Knopf ihrer Hose und schob seine Hand in ihren Slip.

Und der eben noch so ruhige Ben bäumte sich auf, nahm ein letztes Mal all seine Kraft zusammen, das schwellende Gesicht vor Hass verzerrt. Seine Fesseln rissen ihn jedoch sogleich wieder zurück und Astan lachte, lachte und lachte.

Etwas in Ceys Gehirn verschob sich. Vielleicht weil bei allen Grausamkeiten, denen sie bereits hatte beiwohnen müssen, diese brutale Hinrichtung doch zu viel für sie war, zu viel von den kümmerlichen Resten ihrer Seele zerstörte. Es zu viel für sie war zu wissen, was passieren würde, sobald Astan sie in ihren Kerker zurückgebracht hatte.

Vielleicht hätte sich aber auch so zu exakt diesem Zeitpunkt eine neue Facette ihrer J’ajal-Fähigkeiten gezeigt, das ließ sich unmöglich sagen.

Auf jeden Fall verschwamm Bens Gesicht vor ihren Augen und ebenso das prasselnde Feuer. Stattdessen sah sie plötzlich ein Licht, spürte, dass dieses Licht Ben war und nicht der Körper, der mehr und mehr zerfiel. Sie sah seinen Namen aufleuchten, nahm auf einmal sogar lose Gedankenfetzen wahr, die nicht von ihr selbst stammten. Sie wusste nicht genau, was diese Gedanken besagten, dafür war alles viel zu verworren und unscharf.

Dennoch gewann sie den Eindruck, als würde Ben ihr nicht nur verzeihen, was gerade mit ihm und seinen Liebsten geschah, sondern als würde er sogar seinerseits sie um Verzeihung bitten. Sie und seinen Freund Jisuho, weil er so kläglich darin versagt hatte, ein kleines Mädchen zu beschützen.

»Faszinierend. Diese Fähigkeit müssen wir unbedingt näher erforschen. Später.«

Astans eisige Stimme zerstörte das Bild voller Licht, das sie gerade noch vor Augen gehabt hatte. Mit einem lautlosen Schrei auf den Lippen stürzte Cey zurück in die quälende, endlose Dunkelheit.

Kapitel 1

Kochende Luft strich über Ceys Haut und das Zischen des Feuers wurde immer lauter. Und der Gestank war mittlerweile so heftig, dass sie unmöglich noch atmen konnte.

»Andrina, Andrina, warum hilfst du uns nicht?«

Das Klebeband auf Nayelis Mund musste von all der Hitze geschmolzen sein, denn immer wieder stieß das kleine Mädchen diesen hohen, anklagenden Schrei aus.

»Nayeli!« Sie schrie nun ebenfalls, war nicht mehr länger eine stumme Beobachterin, sondern konnte sich bewegen, sich in das flammende Inferno stürzen, das einst das Wohnzimmer der Dixons gewesen war. »Halte durch! Ich bin gleich da. Nayeliii …«

»Cey. Schwesterchen, wach auf! Atme!« Jemand packte ihre Schultern, doch sie schlug um sich und ein grunzender Schmerzenslaut ertönte. Für einen Sekundenbruchteil blitzte ein Name in ihrem Verstand auf – Sahim –, aber Nayelis panisches Schreien löschte ihn sogleich wieder aus.

»Wo bist du, Nayeli?«

Flammen, wohin sie sah, alles flackerte rot und gelb. Hier konnte niemand mehr leben und doch schritt sie selbst ja ebenfalls durch das Feuer, ohne diese Welt zu verlassen, wie sie es sich schon so oft inständig gewünscht hatte.

»Cey … atme!« Wieder griff jemand nach ihr, aber dieses Mal strahlte gleichzeitig ein warmes gold-braunes Licht in ihrem Innersten auf. Und plötzlich war sie nicht mehr alleine in dem Haus, in dem sie so wenige glückliche Tage hatte verbringen dürfen.

Jemand war bei ihr, hielt sie fest im Arm, während die Flammen nach und nach verloschen und sich dafür alles zu drehen begann.

Sie holte einmal hektisch Luft, trotzdem wirbelte die Haustür und Astans Fratze an ihr vorüber. Kofi, der sich heimlich an den Kühlschrank schlich, um sich ein Stück Schokolade zu klauen. Meihui, die auf ihrem Bett lag und las. Anna und Ben, die am Küchentisch saßen und sich tief in die Augen blickten. Nayeli, die in einem niedlichen Feen-Badeanzug aus dem Pool kletterte und sie voller Zuneigung anlächelte.

»Planschst du mit mir, Andrina? Es macht so viel Spaß! Oh, bitte, bitte, bleib bei mir!«

Noch bevor Cey antworten konnte, tat es jemand anderes. In einem Tonfall, der ihr so unglaublich vertraut war, sanft und gleichzeitig überaus beharrlich.

»Das geht jetzt leider nicht. Cey, du musst aufwachen! Nayeli wird auf dich warten, versprochen. Mach die Augen auf und sieh mich an!«

Xyen … Es war Xyen, der da mit ihr sprach. Ihr Mentor, ihr Freund, ein Mann, den sie über alle Maßen liebte. Dem sie bedingungslos vertraute.

Sie atmete wieder regelmäßiger, blinzelte sogar, um seinen Wunsch zu erfüllen. Doch augenblicklich kehrten die Flammen zurück, fraßen sich durch kleine und große Körper, bis nur noch geschwärzte Skelette übrig waren. Skelette, zu denen sich weitere gesellten, und noch mehr und noch mehr, und inmitten all der Knochen stand Astan, der lachte und sie verhöhnte und –

Mit einem Schlag wurde es blendend hell in ihrem Bewusstsein. Aus jeder noch so finsteren Ecke flohen die Schatten, Furcht- und Schuldgefühle verblassten und eisige Kälte wich einer kuscheligen Wärme.

Cey seufzte wohlig auf und endlich erwachte sie wirklich.

»Was …?!« Verwirrt blickte sie sich um.

Sie saß auf Xyens Schoß, ihr gegenüber Sahim, der sich mürrisch über die linke Seite seiner Rippen strich. Der schwarze, gepanzerte Seday-Transporter parkte am Straßenrand und durch die geöffnete Schiebetür konnte sie das von den Scheinwerfern beleuchtete Ortsschild von West Whiard erkennen. Und natürlich Lee, der neben dem Wagen stand und sie besorgt musterte, ein paar Sekunden später jedoch zumindest etwas zufriedener nickte.

»Geht’s wieder?«, fragte Xyen leise, ohne seine Umarmung zu lockern.

»Sicher.« Sie widerstand dem Impuls, sich zu räuspern, und sah möglichst unbeteiligt nach vorne. Nathan hatte sich vom Beifahrersitz zu ihnen umgewandt und auch Eight – alias Marcos –, der hinter dem Steuer saß, gaffte sie regelrecht an, statt das Armaturenbrett oder die Straße oder sonst etwas zu begutachten.

Verwunderung und Neugier spiegelten sich in den blassgrauen Augen des ehemaligen Ves’ris wieder – und tiefes Mitleid. Mitleid von einem Assassinen!

Cey biss die Zähne zusammen, um Eight nicht anzufauchen, er solle sich gefälligst um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Obwohl sie sich innerhalb dieses Teams schon lange nicht mehr so verschlossen und aggressiv zeigte wie zu Beginn ihrer Zeit mit den Seday, so trieben sie manche Dinge immer noch in genau diesen Zustand zurück. Wie eben mitleidige Blicke.

Dabei wollte sie sich ja gar nicht mehr in unzählige Geheimnisse hüllen, hatte nichts dagegen, wenn ihre Freunde von ihren Stärken und Schwächen wussten, wenn sie hinter so viele Mauern drangen, die sie jahrelang zwangsweise hatte errichten müssen.

Eights Reaktion war ja auch alles andere als erstaunlich, schließlich hatte er noch nie einen ihrer Albträume hautnah miterlebt. Albträume, die umso heftiger wurden, wenn sie in einem seltenen Ausnahmefall vor der Morgendämmerung einschlief.

»Tut mir leid.« Sie wandte sich Sahim zu, doch obwohl ihr klar war, dass sie ihm einen schmerzhaften Hieb verpasst haben musste, klang ihre Stimme ausschließlich vorwurfsvoll.

Sahim runzelte die Stirn und sein Geist strich sachte über den ihren hinweg, die stumme Bitte, ihren mentalen Schutzschild für ihn zu senken und ihn auf ihre Gedanken, Gefühle und Erinnerungen zugreifen zu lassen.

Ohne zu zögern, tat sie das und ihr Bruder schnaubte kurz auf. »Ach, Schwesterlein! Ich hätte dich sofort wieder geweckt. Aber dein komischer Arzt meinte, du hättest in der letzten Zeit so wenig geschlafen, dass ein nächtliches Nickerchen mit Albträumen immer noch besser sei als ein mehrstündiger Zusammenbruch am Tag, vor dem du so knapp stündest.«

Er deutete mit Daumen und Zeigefinger einen Abstand von einem halben Millimeter an.

»Noch knapper«, kommentierte Lee mit strenger Miene.

Und ja, gestern hatte sie gar nicht geschlafen, weil sie zu beschäftigt damit gewesen war, ihren Offensivplan gegen Zachriel zu verfeinern. Wenn sie genau darüber nachdachte – am Tag zuvor ebenfalls nicht. Und da war Lee schon völlig gereizt gewesen, weil sie angeblich ihre grundlegenden Gesundheitsbedürfnisse vernachlässigte. Aber davor –

»Sechzehneinhalb Stunden!«, unterbrach Lee ihre Grübeleien. »So wenig hast du während der gesamten ersten Woche der Trimesterferien geschlafen. Gebraucht hättest du mindestens das Doppelte.« Seine Miene wurde noch strenger und sein verärgerter Blick richtete sich nun auch auf Xyen. Denn dieser hatte die ärztlichen Bedenken seines Freundes zwar zur Kenntnis genommen, aber zu ihren Gunsten entschieden, was in einem solchen Streitfall so gut wie nie vorkam. Ein wenig Schlafmangel bedeutete jedoch nichts, wenn sie dadurch Astans nicht minder bösartiges Ebenbild endlich angreifen konnten!

Xyen schien etwas sagen zu wollen, aber Nathan kam ihm zuvor. Und zwar mit einer Frage, die so gar nichts mit dem Thema Schlafen zu tun hatte.

»Wer ist Nayeli?«

Äußerst vorsichtig sprach er den Namen aus, doch Cey musste sofort lächeln. »Ein süßes kleines Mädchen, das ich einmal kannte. Eine Spezialistin für Bruder-Schwester-Beziehungen. Und Einhörner.«

Jetzt wirkte Nathan überrascht und auch Eight schien nicht mit einer solch unbeschwerten Antwort gerechnet zu haben. Sahim hingegen stieß ein kehliges Knurren aus.

»Xyen. Hör endlich auf damit! Du kannst das ja doch nicht für alle Zeit beibehalten und glaube mir, je länger du wartest, desto schlimmer wird es für sie werden.«

»Aufhören? Womit?« Irritiert blickte Cey zu ihrem dunkelhäutigen Mentor auf. Gleichzeitig drang sie tiefer in Sahims Bewusstsein ein, um zu kapieren, wovon er da sprach. Aber er schob sie behutsam wieder zurück und das respektierte sie selbstverständlich.

Xyens Haltung spannte sich derweil an und der Druck seiner Umarmung erhöhte sich. Nur einen einzelnen Herzschlag später senkte er jedoch die Arme und gab sie vollständig frei.

»Entschuldige«, sagte er. »Dein Bruder hat recht. Ich hätte mich längst wieder … zurückziehen sollen.«

Die letzten beiden Worte erklangen tief in ihrem Bewusstsein. Ihr Bewusstsein, das sie doch gar nicht derart für Xyen geöffnet hatte!

Ceys Mund klappte auf, während Xyens Geist sie nun Stückchen für Stückchen verließ. Und noch etwas änderte sich – ihr Herz, das sich eben noch so wunderbar leicht angefühlt hatte, wurde schwerer und schwerer.

Nayeli. Meihui. Kofi. Ben und Anna … So lange hatte sie alle Gedanken an diese großartige, liebevolle Menschenfamilie zu verdrängen versucht, aber nach diesem grässlichen Albtraum war alles wieder da. Ihre Schuldgefühle drohten sie zu überwältigen, jetzt, da niemand mehr ihre Emotionen manipulierte und ihr diese Last abnahm.

»Du kannst nichts dafür, das weißt du«, bemerkte Xyen ruhig und bestimmt. Er tastete nach ihrer Hand, aber in diesem Moment konnte sie seine Berührung nicht ertragen. Schließlich hatte er noch weit mehr getan, als für eine kurze Zeitspanne die Dunkelheit zu vertreiben, die überall in ihrem Innersten lauerte.

Cey erhob sich abrupt und kletterte aus dem Wagen. Und als ihr Blick dabei Sahim streifte, der sie aus schmalen Augen ansah, ging es ihr gleich noch mieser. Sie hatte ihn geschlagen, o verdammt!