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Kate ist 31, hat eine nicht ganz perfekte Figur, dafür einen ziemlich guten Sinn für Humor, ein Faible für die deutsche Sprache und zwei recht spezielle Hunde - aber von einem Tag auf den anderen keinen Mann mehr. Nach 15 gemeinsamen Jahren hat Nils ohne ersichtlichen Grund plötzlich das Handtuch geworfen und Kate mit Haus, Hof und Vierbeinern alleine zurückgelassen. Damit steht die junge Dame plötzlich vor den schwersten Aufgaben ihres Lebens: Wie finde ich einen Mann, der mich so liebt, wie ich bin? Wie erziehe ich ohne Hilfe das cremefarbene Monster im Hundepelz? Und wie schaffe ich es, die Welt grammatikalisch ein ganz kleines bisschen besser zu machen, ohne dass alle mich für komplett bekloppt halten?
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Seitenzahl: 287
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Katrin Müller-Wipfler, 1983 in Bruchsal geboren, hat Germanistik, Anglistik und Journalismus studiert und das Schreiben ist schon immer ihre große Leidenschaft. Sie ist Chefredakteurin eines Magazins für Pferdesport und reitet in ihrer Freizeit aktiv auch im Turniersport. Katrin Müller-Wipfler lebt mit ihrem Mann, ihren beiden Hunden und vier Pferden in der badischen Provinz zwischen Heidelberg und Karlsruhe.
Für die Lieben meines Lebens – eine zweibeinige und ganz viele vierbeinige
Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos. (frei nach Loriot)
Es war der 24. Juni 2014 – ein Datum, das ich mir nicht nur merken kann, weil meine Eltern an diesem Tag ihren 36.(!) Hochzeitstag feierten. Dieser Tag wird mir wohl auf ewig im Gedächtnis bleiben.
Zum einen, weil mein Auto beschloss, sich auf der Autobahn im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch aufzulösen.
Zum anderen, weil ich mich eigentlich nur auf der Autobahn befand, weil ich auf dem Weg zum exzessiven Frustshopping war, das ich eigentlich nur aus einem Grund betreiben wollte: Der 24. Juni war genau der Tag, an dem mein Ehegatte nach 14,5 Jahren Beziehung und davon 5,5 Jahren Ehe beschlossen hatte, auszuziehen – nicht ohne jedoch vorher noch einen sehr süßen, sehr unerzogenen, sehr inkontinenten und sehr nicht-stubenreinen Straßenköter aus Griechenland zu adoptieren und diesen dann selbstverständlich bei mir in meinem noch längst nicht abbezahlten Haus zu lassen.
Ich hatte also innerhalb einer Stunde keinen Mann und kein Auto mehr und außerdem hatte ich meinen Traumjob gekündigt, weil mein Chef leider, um es vorsichtig auszudrücken, sehr „speziell“ war und mir genau die eine Person auf der Welt ins Büro gesetzt hatte, von der ich gesagt hatte, dass ich nur über meine Leiche mit ihr zusammenarbeiten würde.
Nun ja, meine Leiche wär’s ja dann tatsächlich fast geworden (dank des Koreaners und seines Turboladers), aber den Job wollte ich unter diesen Bedingungen nun wirklich nicht mehr. Also war ich autolos, mannlos und nicht joblos (ich hatte natürlich einen neuen, sonst hätte ich niemals gekündigt. So abenteuerlustig bin ich nun auch wieder nicht.) und dementsprechend etwas deprimiert. Also etwas sehr.
Irgendwie fand ich es dann auch nicht so witzig, als ich bei Facebook zu einer Challenge herausgefordert wurde. Die Biertrink-Challenge und die Poste-ein-Foto-von-Deinem-Pferd-Challenge hatte ich ja noch angenommen, ebenso die Ice-Bucket-Challenge, aber jetzt kam es richtig dicke. „Poste fünf Tage lang jeden Tag drei positive Dinge“.
WAT? Ich hatte aktuell nicht mal drei positive Dinge in einem MONAT zu vermelden, geschweige denn an einem Tag!
Aber da ich Herausforderungen noch nie gescheut habe, begann ich nach einigem Kopfzerbrechen schließlich doch damit – mit der Beschreibung, wie ich ein scheußliches altes Küchenhandtuch dazu benutzte, das hundepfotenbedingte Loch in meiner Couch zu stopfen.
Fand ich positiv: Das hässliche Handtuch war aus der Küche verschwunden und ich musste vorerst keine neue Couch kaufen. Jedenfalls fanden ziemlich viele meiner Facebook-Freunde das ziemlich witzig und nach Ablauf der fünf Tage wurde ich unter Androhung sanfter Gewalt dazu genötigt, weiterzuschreiben.
Ich beschloss kurzerhand, eine eigene Facebook-Seite zu gründen („Das Positiv-Experiment“) und das Ganze auf ein Jahr auszuweiten. Um es ehrlich zuzugeben: Das Jahr habe ich nicht durchgehalten...zumindest bis jetzt noch nicht. Aber es ist trotzdem ganz schön viel Material zusammengekommen. Ich habe so unfassbar skurrile Dinge erlebt, so seltsame und ulkige Menschen kennengelernt und hatte solch extreme Erlebnisse, dass ich beschlossen habe, die Geschichte in eine Story zu verpacken und ein Buch zu schreiben.
Das Wichtigste vorweg: Einige Dinge sind wahr, vieles hat sich tatsächlich so ähnlich zugetragen. ABER ich habe auch etliches hinzugedichtet, Charaktere erfunden oder Aspekte meines Lebens weggelassen, weil sie einfach den Rahmen gesprengt hätten.
(So zum Beispiel die Tatsache, dass ich leidenschaftliche Springreiterin bin und vier Pferde besitze. Natürlich machen diese einen bedeutenden Teil meines Lebens aus, aber ich erlebe täglich so viel, dass allein die Pferdegeschichten schon ein ganzes Buch füllen würden. Schade eigentlich, weil so zwei ganz besondere Menschen nicht im Buch vorkommen: die bipolar gestörte Kackbratze, von der ich jahrelang dachte, dass sie zwei Persönlichkeiten hätte. Ist aber nicht so, sie hat nur eine – und die ist ganz schön scheiße. Und das blonde Beispiel für die Wunder moderner Chirurgie, das (wäre sie denn eine Indianerin. Was man aufgrund des Make-up- indizierten Teints vermuten könnte) den Namen „Die mit gespaltener Zunge spricht“ tragen könnte.)
Manche Ereignisse gab es auch, aber an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben als im Buch beschrieben.
Andere Ereignisse gab es überhaupt nicht. Ich hatte schon immer eine blühende Vorstellungskraft.
Was ich damit sagen will: Der eine oder andere wird sich sicherlich irgendwie wiederfinden. Manchen Figuren habe ich auch gewisse Charakterzüge verliehen, die ich bei real existierenden Personen entliehen habe. Manche Figuren, Ereignisse und Episoden sind aber einfach komplett erfunden. Es liegt jetzt an Ihnen, lieber Leser, zu erraten, welche. Ich verrate nichts.
Ich betone das auch so explizit, damit alle, die sich auf den Schlips getreten fühlen, gleich wissen: DU warst erfunden. Genau Du. Selbst wenn alles andere im Buch real sein sollte. Verklagen nützt gar nichts, Du entspringst meiner Fantasie.
Dies ist keine Autobiografie, sondern ein rein fiktives Werk, das nur zufällig meinem Leben sehr ähnelt. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind natürlich nicht beabsichtigt oder selbstverständlich nur zufällig.
Deshalb – regt Euch nicht auf, Ihr könntet ein reines Fantasiegebilde meinerseits sein.
Die einzigen „Figuren“ im Buch, die es wirklich gibt und die ganz real und echt sind und auch mit ihren unverfälschten Namen vorkommen, sind meine Hunde, Muppet und Mielchen. Wenn es die beiden nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden. Zum Glück gibt es sie ja aber bereits.
Man darf also eins beim Lesen nie vergessen: Es ist ein Roman!
Ich dachte mir aber außerdem – wenn ich schon mal ein Buch schreibe (wer weiß, wie oft das wohl noch vorkommt), dann kann ich gleich noch einer zweiten Leidenschaft meinerseits freien Lauf lassen. Ich bin nämlich etwas zwangsgestört. Nicht im Monk-artigen Sinn (wobei ich zugeben muss, dass ich noch nie auch nur eine einzige Folge der Serie gesehen habe), indem ich nicht auf die Fugen zwischen den Bodenfliesen treten darf oder etwas ähnlich Unsinniges.
Nein, ich habe einen leichten Spleen was die deutsche Sprache betrifft und es nervt mich abnormal, wenn ich Emails, Whatsapp-Nachrichten oder Facebook-Posts lese, in denen ich vor lauter Rechtschreibfehlern nicht mehr kapiere, um was es ursprünglich gehen sollte.
Dass etwa 90 Prozent der Deutschen das und dass nicht unterscheiden können, habe ich, wenn auch nicht akzeptiert, so doch zumindest leidend hingenommen.
Aber es gibt ja noch so viele andere Dinge, die man in unserer schönen Sprache falsch machen kann – da bin ich ja froh, dass mich das nur ärgert und mir keine eitrigen Pickel beschert, sonst würde ich wohl permanent aussehen wie ein 13-Jähriger Akneträger am Beginn der Pubertät, wenn weltweit alle Clerasil-Vorräte zur Neige gingen.
Ich werde also versuchen, ein klein wenig Bildung (Wir leben schließlich im Land der Dichter und Denker, hallo? Was würden Goethe und Schiller denn sagen, wenn sie einmal die Chance hätten, nen halben Tag im Internet zu surfen? Die armen Tröpfe) ganz unauffällig einfließen zu lassen. Vielleicht bleibt ja tatsächlich das eine oder andere hängen.
Und als allerletzte Anmerkung: Ich weiß, ich habe ein Faible für Klammern und Gedankenstriche. Kann man nix machen. Isso.
Aber jetzt genug gelabert. Viel Spaß beim Lesen!
Katrin Müller-Wipfler im November 2015
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Zwei Monate zuvor
„Ach übrigens“, sagte Nils und ich ahnte Schreckliches. Ach übrigens war meist die Einleitung zu einer unangenehmen Eröffnung wie „Ach übrigens, ich geh am Wochenende zum Fußballspiel nach Buxtehude, wo ich dann einen über den Durst trinke, aus Versehen einem Hooligan auf den Fuß trete, zusammengeschlagen werde, mein Gedächtnis verliere, von einer thailändischen Krankenschwester gesund gepflegt werde, mich in sie verliebe und mit ihr auf Koh Samui eine Oben-Ohne-Bar eröffne.“ (Hätte ich gewusst, was diesem bestimmten „Ach übrigens“ dann tatsächlich folgte, hätte ich ihn mit Freuden selbst nach Thailand befördert. Mit dem Gummiboot).
„Hm, Hase?“, brummte ich geistesabwesend, es war halb sieben am Morgen und ich versuchte gerade, gleichzeitig Müsli in mich hineinzuschaufeln und meine Haare in eine zumindest halbwegs ansehnliche Form zu bringen.
Die Hasifizierung meines Mannes war übrigens etwas, gegen das ich mich lange Jahre erfolgreich gewehrt und das ich immer zutiefst verachtet hatte. Ich hatte mich sogar über ein anderes Paar, das einander Hase nannte, mehr oder weniger subtil lustig gemacht, indem ich Nils ebenfalls Hase genannt hatte, aber halb gesungen. „Haaaaaase“. Dumm nur, dass es hängengeblieben war. Das andere Paar hatte längst ausgehast, ich bezeichnete meinen Gatten noch immer so. „Ich gehe.“, kam es aus der Küche. Na ja, so ungewöhnlich war das für einen berufstätigen Mann morgens nun auch nicht, aber Nils war nie der ganz Innovative.
„Alles klar, bis heut Abend, nimmst Du noch den Müll mit raus?“, rief ich aus dem Badezimmer zurück.
„Äh...ich glaube Du kapierst es nicht ganz. Ich gehe. Ich ziehe aus.“
Nun stand er im Türrahmen und sah mich mit einem seiner seltenen Keine-Widerrede-Blicke an. Oh. Das war ganz eindeutig eine Ach übrigens-Situation. Ich versuchte, das Glätteisen von meinem Schopf zu entfernen, ohne dabei eine allzu große Menge an Haaren abzusengen und drehte mich langsam zu ihm um.
„Du ziehst aus.“ Ich war mir sicher, dass sich die völlige Verständnislosigkeit, die ich empfand, in meiner Miene widerspiegelte.
„Ja.“ Er nickte nachdrücklich.
„Und, äh – wohin?“
Erst mal zu meinen Eltern und dann werde ich schauen.
Mir eine kleine Wohnung nehmen oder so.“
Er meinte das wirklich ernst?!
„Okaaaay“, sagte ich gedehnt , „und – warum?“
„Das erklär ich Dir mal in Ruhe. Ich muss jetzt los.
Schönen Tag.“
Schönen Tag? Ist klar. Geht’s noch?
August
So, dachte ich. Jetzt passiert es. Jetzt krieg ich zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben eins auf die Schnauze. Als Kind konnte das ja schon mal vorkommen, besonders wenn man kein Rosa-Tutu-und-Barbie-Mädchen war, sondern, wie ich, lieber in Latzhosen mit den Jungs Fußball bolzte oder auf Bäume kletterte – aber wenn man 31 Jahre alt war, mitten im Berufsleben stand und abgewetzte Jeans, Kapuzenpullis und Turnschuhe zumindest zeitweise gegen dunkelblaues Business-Kostüm und seriöse Hochsteckfrisur tauschte, rechnete man ja schon eher weniger damit, gleich den Hintern versohlt zu bekommen.
Und nein, ich meinte nicht auf „Fifty Shades of Grey“-Art. (Damit könnte man ja rechnen, wenn man denn wollen würde. Alt genug wäre man ja immerhin.) Sondern auf die Art, bei der man lose Zähne ausspuckte und sich die Oberlippe nähen lassen musste.
Na ja, ich war ja selber schuld. Irgendwann, so sagte meine Mama schon immer, rächt sich deine große Klappe mal. Und jetzt war es wohl so weit.
„Die Stunde der Abrechnung ist gekommen“, sagte Clint Eastwood in meinem Kopf, mit Grashalm im Mundwinkel und halb zugekniffenen Augen, während im Hintergrund eine missgestimmte Geige eine Melodie von Ennio Morriccone krächzte.
Ich hatte gerade etwas Törichtes getan. Da ich von Berufs wegen ziemlich viel mit der Bahn unterwegs war, befand ich mich (ach was) auch ziemlich oft an irgendwelchen Bahnhöfen und an jenem Tag, ziemlich spät am Abend – ich war eigentlich müde genug, um ohnmächtig ins Koma zu sinken, meine Füße taten weh und der Akku meines Iphones war schon seit Stunden leer, was mir immer ein gewisses Gefühl der Weltabgeschnittenheit vermittelte (kurzum, ich hatte schlechte Laune und wollte ins Bett) – ertappte ich einen jungen Kerl mit dem Hosenzwickel zwischen den Beinen in der Bahnhofsunterführung.
Nein, ein Exhibitionist war er nicht, da hätte ich ihn ja einfach auslachen können.
Es handelte sich um einen dieser Möchtegern-Gangster in übergroßem Basketball-Trikot, tief hängender Jeans, mit fetter Goldkette um den dürren Hals und umgedrehter Schirmmütze. Irgendwie hatte ich ja gedacht, diese Gattung sei Ende der Neunziger ausgestorben, aber ich hatte wohl das zweifelhafte Glück, dem letzten überlebenden Exemplar über den Weg laufen zu dürfen und das auch noch bei seinem Vorhaben, sich unsterblich zu machen.
In der rechten Hand eine Sprühdose, in der Linken eine verdächtig nicht nach Zigarette aussehende Zigarette, war der kleine Hosenscheißer nämlich gerade dabei, sich an der Wand des Bahnhofstunnels zu verewigen. Riesige Kopfhörer, die das mit dem ernsthaften Versuch eines Bartansatzes verzierte Schrumpfköpfchen einrahmten, verhinderten, dass Tupacs Erbe mich kommen hörte.
Ich stand hinter ihm, betrachtete das Graffiti und wurde plötzlich so wütend, dass ich einfach nicht an mich halten konnte. Nein, nicht wegen des Graffitis. Fand ich zwar auch nicht so cool, wenn man fremdes (und noch dazu öffentliches) Eigentum verschandelte, aber viel schlimmer fand ich einfach, WAS Picasso da gerade an die Wand schmierte.
„Fahrt zur Hölle, ihr seit alle-“, stand da zu lesen. Weiter war er noch nicht gekommen.
Das ging ja nun mal gar nicht. Wenn ich so was sah, ging mir das Messer in der Tasche auf, also blieb mir einfach nichts anderes übrig, als dem jungen Künstler auf die Schulter zu tippen. Als hätte er in das Angesicht des Leibhaftigen geblickt, fuhr er herum und starrte mich mit großen Augen an.
„Was wird denn das für ein Mist?“, fragte ich und sah ihn mit schief gelegtem Kopf interessiert an. „Hä?“, war die Antwort, was ein weiteres Indiz dafür war, dass ich es nicht gerade mit der Reinkarnation von Albert Einstein zu tun hatte.
„Na, das was Du da schreibst!“, sagte ich mit in die Hüfte gestemmten Händen. Ich stemmte übrigens oft die Hände in die Hüften, auch wenn ich gerade nicht empört war – was ich in diesem Moment jedoch zweifellos war –, weil ich damit meine „Love Handles“ (ein viel schönerer Ausdruck als die guten deutschen Rettungsringe) so schön überdecken konnte.
„Das ist doch scheiße! Seid schreibt man doch nicht mit t, Du Trottel!“, schleuderte ich ihm entgegen, seine zunehmend ärgerlich verengten Augen geflissentlich ignorierend, und ließ ihm gar keine Zeit für eine Entgegnung.
„Pass auf, ich erklär’s Dir. Seit und seid find ich wirklich nicht schwer zu unterscheiden, aber es ist trotzdem ein Fehler, der andauernd gemacht wird. Mit ner Eselsbrücke kannst Du es Dir aber gut merken. Seit hat immer etwas mit einem Zeitraum zu tun. Seit drei Wochen, seit acht Jahren, seit einer halben Stunde. Praktischerweise reimt sich dieses seit auch noch auf Zeit und wird ebenso mit t geschrieben. Und seid, im Sinne von Ihr seid eingeladen, seid Ihr auch auf der Party oder wo seid Ihr gewesen, hat a) nichts mit einem Zeitraum zu tun und wird b) nicht mit t geschrieben. Kapiert?“
Ich holte tief Luft und sah den Jungen an. Siebzehn, achtzehn höchstens und eigentlich ein Milchgesicht mit ein paar verirrten Aknespuren um die Nase. Trotzdem sah er gerade ganz schön bedrohlich aus. Die Spraydose hielt er mittlerweile wie eine Waffe, die andere Hand hatte er zu einer Faust geballt und seine Nasenflügel bebten vor unterdrückter Wut.
„Spinnst Du eigentlich, Alte? Du hast ja nen Vogel!“, spuckte er mir förmlich ins Gesicht und trat mit vorgereckter Hühnerbrust einen Schritt auf mich zu.
Ich hatte keine Angst vor dieser halben Portion, allerdings war ich auch nicht gerade erpicht darauf, mir ein blaues Kinn überschminken zu müssen, also hob ich beschwichtigend die Hände und murmelte: „Ich wollt's ja nur mal gesagt haben!“.
„Nur gesagt, hä? Nur gesagt?“ fauchte er und ich weiß nicht, was passiert wäre, hätte sich nicht in diesem Moment eine Hand auf seine Schulter gelegt und ein Kumpel (oder wie man heutzutage offenbar sagte, Kollege. Warum auch immer. Kollegen waren für mich Leute, die mit mir zusammenarbeiten und wenn es eines gab, das die heutige Jugend wohl eher vermied, war es arbeiten. Aber gut, Kumpel waren ja eigentlich auch Männer, die unter die Erde fuhren, um Kohle abzubauen), den ich zuvor nicht bemerkt hatte und auch keine Ahnung hatte, woher er sich plötzlich materialisiert hatte, geraunt: „Ey, mach mal low, Alter, die Olle hat eigentlich recht, Mann. Ist doch voll geil, jetzt kann ich mir das merken!“
Für einen winzigen Moment sah der Künstlerknabe verunsichert aus, dann grinste er.
„Ey stimmt, Digger, das ist ja echt easy, jetzt vergess’ ich das nicht mehr so leicht.“
Ich war erleichtert – und eine Idee war geboren.
Genau genommen war mir die Idee sogar schon viel, viel früher gekommen. Schon Monate, nein, Jahre zuvor – wenn nicht sogar schon immer, hatte ich mir geschworen, die Welt zu einem intelligenteren Platz zu machen. Ich hatte echt die Schnauze voll von dummen Menschen. Ich fand ja, dass man quasi von ihnen umzingelt war.
In der realen Welt sowieso. (Man musste sich nur mal zwei Stunden in den Zug von Stuttgart nach München setzen, dann dachte man, vorne in der Lok sei ein Nest, in dem große, dumme Flugsaurier Horden dämlicher Menschen ausbrüteten, die dann von den netten Zugbegleitern bevorzugt in den Sitz neben mir platziert und im Abteil rund um mich herum drapiert wurden). Im TV logischerweise noch viel extremer, wenn man an die ganzen ach so lebensechten Reality-Dokus dachte. (Munkelte man. Genau wusste ich es nicht. Ich besaß zwar ein Gerät, sogar ein flaches mit einer ganz ansehnlichen Bildschirmdiagonale (Wobei ich, ehrlich gesagt, den Sinn der Bildschirmdiagonale noch nie verstanden hatte. Die Schauspieler gingen doch vertikal durchs Bild oder, je nach Sendung, vielleicht auch mal horizontal, aber ganz sicher nie diagonal?), aber ich benutzte es aus zwei Gründen nie: Erstens, weil ich Werbepausen hasste wie die Pest und mir grundsätzlich immer vornahm, in genau diesen vier bis acht Minuten dringend benötigten Schlaf nachzuholen und dann so fest einschlummerte, dass ich mitten in der Nacht davon aufwachte, dass ich mein Sofakissen vollsabberte. Und zweitens, weil ich nicht mehr umschalten konnte, seit mein Hund als niedlicher verspielter Welpe die Fernbedienung zerkaut hatte).
Am Schlimmsten jedoch, und das wusste ich ganz genau, weil ich nämlich zufällig leider ein wenig süchtig war, war das Phänomen unfassbarer Dummheit in dem Organ menschlichen Selbstdarstellungsdrangs, das immer so nonchalant als „soziale Medien“ umschrieben wurde, obwohl jeder genau wusste, dass Facebook gemeint war.
Und genau da begann das Problem. Jeder schrieb alles über sich, dokumentierte den sprießenden Pickel am Kinn ebenso wie das erste feste Häufchen des Nachwuchses (wie gesagt, ich nahm mich da nicht aus. Nur hatte ich weder Pickel noch Kinder, Gott sei Dank zu ersterem und schade zu letzterem) und teilte sich eifrig mit – aber wie?
Halt. Ich merkte gerade, dass ich mich mal wieder ereifert hatte (eine Eigenschaft, die ich ständig vorgeworfen bekam, vor allem von meiner Mutter) und die ganze Sache falsch angepackt hatte.
Also beginnen wir mal besser am Anfang. An jenem Tag im August, an dem ich beschlossen hatte, die Welt zu verbessern, oder zumindest die deutsche Sprache (was für alle, die in Deutschland leben, ja schonmal ein guter Anfang ist. Wie will man denn die Klimakatastrophe eindämmen oder einen weiteren Weltkrieg verhindern, wenn man nicht mal seine Muttersprache beherrscht?), hatte sich mein Leben gerade auf verblüffende Art um 180 Grad gedreht.
Zum ersten Mal seit 14,5 Jahren war ich (zugegeben, nicht ganz freiwillig) Single, weil mein Angetrauter beschlossen hatte, dass er nach Feierabend doch eher der „Couch-und-Bier-Typ“ war als der „Ich-renoviereein-100-Jahre-altes-Haus-Typ“.
Dumm nur, dass wir zwar auch eine Couch hatten (leider nicht ganz so eine makellose und intakte Couch, wie andere Menschen sie besaßen, dank einer aus der Athener Rush Hour geretteten Promenadenmischung aus Dackel und Terrier, die nichts lieber tat als Löcher zu buddeln, ganz egal ob im neu angelegten Blumenbeet oder in der Schaumstofffüllung unseres Sofas), diese aber ungünstigerweise eben in einem 100 Jahre alten Haus stand, das trotz aller Bemühungen auch noch fünf Jahre nach unserem Einzug ein paar kleinere (ok, ich gab es zu...eher größere) Schönheitsfehlerchen aufwies.
Mir war das schnuppe, ich liebte mein kleines Schlösschen heiß und innig, trotz schiefen Holzfußbodens, noch immer nicht abgeschliffener Treppe und trotz der nie ganz sauberen Rauputzwände, die mein anderer Köter (der Fernbedienungszerkauer, der mittlerweile zu einem sehr stattlichen 52 kg-Rüden herangewachsen war. Das reinste Düngemittel, so ne Fernbedienung) mit Vorliebe als Kratzbaum verwendete und die im kompletten Haus ungefähr auf 75 cm Höhe einen dekorativen braunen Balken aufwiesen.
Ich liebte den prächtigen Nussbaum im Hof (auch wenn ich Nüsse nun doch nicht so sehr mochte, dass ich 95 Kilo davon im Jahr gebraucht hätte und das tägliche Zusammenfegen der Zillionen Blätter im Herbst für streichelzarte Damenpfötchen auch nicht unbedingt zuträglich war), ich liebte meine Balkone und Erker, die riesige Scheune, in der von der Vorbesitzerin, der bösen Hilde, sicherlich noch Tausende von deutschen Mark versteckt waren, die ich nur noch nicht gefunden hatte, ich liebte den verwilderten kleinen Garten – kurzum, für mich und die zwei vierbeinigen Stinkstiefel war es der perfekte Ort, Nils sah das etwas anders.
Ich hätte auch gerne noch einen dritten Stinkstiefel dazu gepflanzt, in diesem Fall einen zweibeinigen. Und spätestens da waren meinem sonst so in sich ruhenden Angetrauten die schönen blauen Augen aus dem Kopf getreten und er hatte sich aus dem Staub gemacht.
In jenem August stand ich also, im wahrsten Sinne des Wortes, an einem Scheideweg. Ich war wie erwähnt 31 Jahre alt, nicht ganz verblödet, nicht ganz hässlich (auch nicht ganz dünn, aber das hatte natürlich mit den Genen zu tun. Schokolade war dabei völlig unschuldig, sowieso klar) und zum ersten Mal seit beinahe 15 Jahren nicht in einer festen Beziehung.
Nach dem ersten Schock und der tagelangen Heulerei (und ja, ok, vielleicht auch ein bisschen zu viel Trostschokolade. Kontraproduktiv, ich wusste es schon) war mein erster Gedanke:
Geil, jetzt konnte ich ja mal hemmungslos in der Gegend herumpoppen. (Machte man ja als 16-Jährige nicht und als verheiratete Frau dann schon dreimal nicht.)
Oder, noch besser, einen neuen Mann finden, der alte Häuser und junge Kinder mochte, sprich: nichts gegen ein Baby hatte.
Problem nur: Wenn man nicht ganz anspruchslos war und noch dazu zeitlich sehr eingespannt, war es gar nicht so leicht, ein entsprechendes Objekt zu finden – weder für eine Nacht noch fürs restliche Leben. Dabei verlangte ich nichts Unmögliches!
Schöne Zähne musste er haben, gut riechen und die deutsche Sprache zumindest halbwegs fehlerfrei beherrschen. Schreiben können, hieß das.
Beim Sprechen haperte es bei mir ja selbst, getreu dem wundervollen und oft zitierten Motto: „Baden-Württemberg. Wir können alles. Außer hochdeutsch.“
Jedenfalls hatte ich drei Kriterien, die ich jetzt nicht unerfüllbar fand. Die ersten beiden trafen recht häufig auch zu, beim dritten Punkt trennte sich jedoch allzu oft die Spreu vom Weizen.
Dabei war es dank erwähnter sozialer Medien sogar halbwegs einfach, mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu treten oder kontaktiert zu werden.
Kaum war der Beziehungsstatus „verheiratet“ zwar noch nicht aus meiner Lebensakte, aber zumindest von meiner Facebookseite gelöscht, ebenso wie sämtliche Hochzeits- und Pärchenfotos, trudelten die ersten seltsamen Nachrichten ein.
Mein erklärter Favorit dabei: ein junger Mann, der neben einer Rechtschreib- auch noch eine Rechenschwäche hatte. (Eins vorweg: Ich war selbst kein Mathegenie, ganz und gar nicht. Besonders bei Zehnersprüngen und zumindest dann, wenn die Finger nicht ausreichten, wurde es bei mir schwierig. 17 plus 36? Oh je. Das ging dann bei mir nach dem Motto: 20 plus 36 ist 56, minus 3 ist 53. Oder so ähnlich. Man musste sich nur zu helfen wissen.)
Wenigstens war er originell, er fragte mich, ob wir uns nicht von irgendwo kannten. Ich stand total auf Männer, die witzig und selbstironisch waren, also hatte der Kandidat schonmal 100 Punkte. Nicht.
Ich schaute mir kurz das Bild an und antwortete (Hatte ich schon erwähnt, dass ich hervorragend im Nicht-Beantworten von Fragen war?): „Ich denke mal, Du bist ne ganze Ecke jünger als ich.“ Woraufhin Casanova antwortete: „Das glaube ich nicht. Wie alt bist Du denn?“
Meine ehrliche Antwort: „Jahrgang 1983!“ (Und jetzt kommst Du!)
Doch Obacht, jetzt kam Bewegung in seine grauen Zellen. „Und ich 1990. Drei Jahre – ne ganze Ecke? Ha ha!“
Zugegebenermaßen, ich rechnete kurz nach. Und schüttelte den Kopf. Unfassbar.
Das Schlimme dabei war jedoch: Ich wollte sofort Nils anrufen und ihm von der Geschichte erzählen. Er hätte sich kaputtgelacht. Ich hatte das Handy (in dem ich seinen Namen übrigens postwendend von Hase in Nils umbenannt hatte) bereits in der Hand, legte es aber schnell wieder weg. Das würde ich NICHT tun. Er wollte mich nicht mehr. Also wollte ich ihn auch nicht mehr. Punkt.
Nicht rechnen können war wie gesagt eine verzeihliche Sünde. Unverzeihlich hingegen und ausgesprochen unerotisch, schlimmer als Fußpilz im Gesicht oder Mundgeruch (obwohl, nee, schlimmer als Mundgeruch nicht – aber nahezu auf demselben Level) war die das- und-dass-Legasthenie. Was konnte daran bitte SO schwer sein?
Für mich waren „das und dass“ wirklich die Königsdisziplin und einer der Faktoren, der darüber entschied, ob ich einen Mann sexy fand oder nicht. Man stelle sich vor, Gerard Butler mit dem Körper aus „300“ und dem schiefen Lächeln aus „P.S.: Ich liebe Dich“ stünde vor mir, mit einem Trinity-Ring von Cartier, verpackt in einer Handtasche von Louis Vuitton, nach dem nackten Matrosen von Gaultier duftend und mit frisch gebleachten Zähnen, einen Liebesbrief in der Hand und darin wäre zu lesen: „Ich habe erkannt, das ich Dich liebe!“
Wie fände ich das? Hm? (Ok, ich gab es zu. Ich würde in Ohnmacht fallen. Nicht nur, weil Gerard Butler einfach ne geile Sau war, sondern weil er in diesem Fall extra deutsch gelernt hätte und ich ihm alle Grammatikfehler verzeihen würde. In diesem, also genau DIESEM Fall würde es mir tatsächlich NICHTS ausmachen. Wenn ein Mann aber nicht Gerard Butler war, schon. Sehr viel sogar).
Nichts wurde häufiger falsch gemacht als der Artikel oder das Pronomen das (mit einem s) und die Konjunktion dass (mit zwei s). Fingen wir mal mit der einfachsten Variante an: Der Artikel. Das Haus, das Pferd, das Sofa. Immer mit einem s.
Etwas schwieriger wurde es schon beim Relativpronomen. „Ich zeige Dir mal das Haus, das wir mieten wollen“. Auch hier mit einem s, es ging ja um das Haus, das einfach näher beschrieben wurde.
Eselsbrücke hier: Wenn man das durch „welches“ ersetzen konnte, schrieb man es mit einem s. Ebenfalls mit einem s schrieb man das Demonstrativpronomen: „Wie meinst Du das?“.
Jetzt wurde es komplizierter (oder auch nicht): Trat keine dieser drei Möglichkeiten ein, schrieb man dass mit zwei s. Das geschah immer, wenn das Wörtchen dass einen Nebensatz einleitete.
Meistens hing er dabei von einem Verb ab: „ Ich freue mich, dass Du gekommen bist.“, „Es ist schön, dass es doch noch geklappt hat.“ Und so weiter. Im Zweifelsfall machte man die Probe: „Ich freue mich, welches Du gekommen bist?“...äh...nein. Klappt nicht. Also – dass mit ss.
Nun war ich glatt schon wieder abgeschweift. (Da stelle ich gerade fest, dass nicht einmal ich weiß, ob es nicht mittlerweile abgeschwiffen heißen müsste. Wenn man Möbel restauriert, heißt es ja auch abgeschliffen und nicht abgeschleift. Oder doch?)
Eigentlich wollte ich ja von meinem Leben erzählen, wie es sich zu diesem bemitleidenswerten Zeitpunkt in meinem Dasein darstellte.
September
Also, ich war wie gesagt Single, das erste Mal seit langer Zeit und völlig raus aus diesem Dating-Zirkus.
Ich lebte mit meinen beiden Hunden, einem eher netten Ridgeback und einem total süßen, aber unmöglichen Terroristen aus Griechenland, in einem leider noch recht verschuldeten Haus, zwar mit einem guten Einkommen aus einem eher unspannenden neuen Job (euphemistisch umschrieben als „Ich arbeite im Vertrieb“, was natürlich nichts anderes hieß als „Ich bin Klinkenputzerin. Für Hundefutter. Aus Frankreich. Und das, obwohl ich weder die französische Sprache beherrsche noch die französischen Gepflogenheiten nachvollziehen kann noch mir das französische Essen schmeckt.“), aber trotzdem vermutlich nicht auf Dauer in der Lage, die Hypothek abzuzahlen, nachdem mein Ehegatte sich verkrümelt hatte, und zwar mit einem unfehlbaren Sinn für die deutsche Sprache und auch mit einem ganz schön guten Sinn für Humor ausgestattet, aber leider auch nicht mit sehr viel mehr.
Der einzige Mann, der mich halbwegs interessierte, war (neben Gerard Butler, natürlich) James Blunt. Dazu musste erklärt werden, dass eine ausgesprochen angenehme Seite am unfreiwillig aufoktroyierten (ja, mir war klar, das war dreifach gemoppelt. Wenn man etwas (auf-)oktroyiert bekommt, war das nie freiwillig, aber ich wollte nochmal die ungeheure Unfreiwilligkeit meines Zustands betonen) neuen Beziehungsstatus die Tatsache war, dass ich nach Lust und Laune meinem eigenwilligen Musikgeschmack frönen konnte Und zwar so laut ich wollte.
Keiner da, der die Augen verdrehte, wenn ich laut "Kronleuchter, Kronleuchter" (sehr empfehlenswert bei Aggressionen der einen oder anderen Art: Chandelier von Sia) gröhlend durchs Haus tanzte – Nils fand damals auch schon "Regenschirm, Regenschirm" doof – und ich durfte auch so oft "Bang, bang, er hat mich erschossen" anhören wie ich wollte.
Und eben auch die Lieder von James, insbesondere da er sie ja nur für mich sang. Dadurch hatte der kleine Schlingel mich schon dazu gebracht, ihn zu mögen, obwohl er eigentlich so gar nicht meinem Beuteschema entsprach. Zu klein, zu piepsig und zu viele Models, aber auf der andren Seite halt auch Engländer.
Reicher Engländer noch dazu.
Und, die Krönung des Ganzen, ein reicher Engländer, dem man vielleicht nicht unbedingt gern beim Reden zuhören wollte, beim Singen aber umso lieber. Ganz besonders dann, wenn man, wie bereits erwähnt, der Grund für seinen berühmtesten Hit war. Schließlich hatte er mir schon direkt ins Gesicht gesagt, dass er mich für wunderschön hielt und zwar nicht nur einmal, sondern schon öfter.
Ja, richtig gesehen. Öfter. Nicht öfters. Öfter. Dieses Wort schrieben ungefähr 90 Prozent der Menschen, die ich kannte, falsch (und ich würde mal behaupten, dass ich ziemlich viele kluge Menschen kannte.. Na ja, ok, ich kannte auch ein paar dumme Menschen, aber die meisten schrieben mir ja zum Glück nicht) – nämlich, wie gesagt, „öfters“. „Da habe ich schon öfters dran gedacht“. Hä? Warum? Öfter ist eine Art Steigerung von oft.
Wer dreimal in der Woche zum Sport ging, ging oft. Wer sieben Mal in der Woche zum Sport ging, ging öfter.
Dachten wir mal an das Wort schön. Die Steigerung davon war schöner und nicht schöners. Von groß war sie größer und nicht größers und von lieb war sie lieber und nicht liebers.
Also hieß es auch öfter und nicht öfters. (Am öftesten gab es übrigens auch nicht. Aber das war ein anderes Thema).
Jedenfalls stand ich vor gleich mehreren Herausforderungen in meinem neuen Leben: Wie sollte ich das hinkriegen, wie sollte ich James endlich dazu bringen, mich zu finden auf dieser ganz schön großen Erde mit ganz schön vielen Menschen und wie sollte ich genug Geld verdienen um mich und die Hunde über Wasser zu halten?
Es schien ein wenig ausweglos. Doch dann, an jedem Morgen im August, den ich nun schon mehrmals erwähnt hatte, aber immer so weit abgeschweift bin, wie es nur menschenmöglich ist, hatte ich die zündende Idee.
Ich würde eine Deutsch-Missionarin werden und die Welt bekehren. Ich würde der gesammelten Facebook-Gemeinde beweisen, dass man auch Posts mit korrekter Rechtschreibung in den Äther schicken konnte. Ich würde reich werden und berühmt und nicht nur im deutschen Frühstücksfernsehen auftreten, sondern auch im amerikanischen, japanischen und natürlich britischen. Und dort wäre auch James eingeladen, der mich so witzig, schlagfertig und clever fände, dass er mir auf der Stelle einen Heiratsantrag machen würde, live in der Sendung und alle meine Probleme wären auf einen Schlag gelöst. Doch erst hatte ich mal noch ein ganz anderes Problem, das da lautete: Wo fange ich an? Und wie?
Im Kleinen, beschloss ich. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag gebaut.
Und wo wäre der erste Schritt zur Verbesserung der grammatikalischen Welt besser aufgehoben als beim Bäcker meines Vertrauens? Ich musste übrigens vorausschicken, dass ich eine wahnsinnige treue Seele war. Wenn ich etwas gut fand, fand ich es gut und dann brachte mich auch nichts so schnell davon ab.
Ganz besonders galt dies beim Thema Essen, meinem Lieblingsthema überhaupt. In der göttlichen Eisdiele, die sich gemeinerweise gerade einmal 100 Meter Luftline von meinem Häuschen befand, war das eine Kugel ACE und eine Kugel Mon Cherie, beim Bäcker um die Ecke ein Rosinenbrötchen und ein Schokobrötchen und bei der Pizzeria Insolventia im Nachbarort (die hieß nicht so, müsste aber so heißen, meiner Meinung nach, weil es mir selbst nach 10 Jahren noch ein Rätsel war, wie die Gewinn machten. Die kleine Pizza war größer als die Tische, die sie auf der Terrasse stehen hatten, eine große Pizza hatte – abgesehen von meinem nicht mehr aktuellen Gatten – noch nie ein lebender Mensch geschafft und dazu kostete das alles dann 6 Euro. Hä?) immer Schinken, Pilze, Artischocken.
IMMER.
Außer ich wollte die Jutta beim Bäcker verwirren. Wenn sie mich nämlich kommen sah, packte sie manchmal freundlicherweise schon ein Rosinenbrötchen und ein Schokobrötchen ein. Und ich sagte dann, „Nee, heute nehm’ ich nen Schoko-Vanillebogen“, nur um sie komplett durcheinanderzubringen. Hihi.
Aber nein, so war ich doch nicht. Manchmal war ich eben einfach nur abenteuerlustig. Und gerade war ich außerdem mal wieder in diesem schrecklichen Zwiespalt, ob ich etwas gut oder sehr erbärmlich finden sollte. Es ging um Single-Rationen. Oh Gott, noch vor drei Monaten hatte ich NIE gedacht, dass ich überhaupt mal über Single-Rationen nachdenken musste!
Immerhin war der nicht mehr aktuelle Gatte 15 Jahre an meiner Seite, da denkt man an Familienpackungen, an Alete und Windel-Sparpacks!
Und plötzlich stand ich vor der Aufgabe, Brot so zu rationieren, dass es nicht nach drei Tagen alleine über die Küchentheke wanderte.
Zum Glück hatte eine meiner zwei Lieblings-Bäckereien (die ohne Jutta) ja Single-Brot im Angebot. Da kam man sich einfach auch gar nicht dumm vor, wenn man das bestellte.
Ich sagte es dann ganz leise, damit’s auch ja keiner mitkriegte (JA, genau, ICH bin die, die vor drei Monaten noch mit Ehering hier stand und Ciabatta zum Grillen gekauft hat und ich will jetzt ein beschissenes Single-Brot!!!) und dann kreischte die Verkäuferin "Hä? Was? Ein Single-Brot?"