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Jahrelang hat die Familie Weihnachten mit fremden Leuten gefeiert. Dieses Jahr wollen die Kinder mit ihrer Mutter alleine verweilen. Nur, wer sagt dies dem hilfsbereiten und rücksichtsvollen Onkel Pan, der einsamen und alten Frau Kienel sowie den beiden Fräulein Krauses? Nach einem beklemmenden Mittagsessen machen sich die Kinder auf den Weg,... – die beiden Geschichten "Besuch am Heiligabend" und "Wie bei uns zu Hause" beschreiben in tiefergreifender Weise, was es heisst Nächstenliebe am Heiligabend zu empfinden. Lesenswert! -
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Seitenzahl: 78
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Lise Gast
Zwei Weihnachtsgeschichten
Saga
Besuch am Heiligabend
German
© Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711508367
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Es klopfte.
»Ja?« Lutz drehte den Kopf, und gleich darauf polterte sein Stuhl, von aufschnellenden Knien zurückgestoßen, krachend nach hinten. »Christine, du?«
»Ja, ich, in Lebensgröße!« Christine, seine jüngste Schwester, sprang Lutz lachend an den Hals. Sie trug eine Pelzmütze, die von Schneeflocken besternt war, und ihre dunklen Augen blitzten. Atemlos ließ sie sich auf das durchgesessene Sofa seiner Studentenbude sinken, riß die Handschuhe herunter und warf sie auf den Tisch, mitten zwischen den Kirchenvater Augustin und das hebräische Lexikon, den Aschenbecher und die Kolleghefte und was da sonst noch herumlag.
»Aussehen tut es bei dir, und so was will Pfarrer werden! Na, warte, jetzt räum ich bei dir auf, dann findest du überhaupt nichts mehr. Erst aber muß ich was trinken, was Heißes ... ich hab Beine von Eis! Draußen ist es kalt, aber schön, schön – fröhliche Weihnachten übrigens, mein Lieber!«
Sie sprang noch einmal auf, hob sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn mit gespitztem Mund auf die Nase. Und dann drückte sie ihr kältebrennendes Gesicht an seinen Pullover.
»Bist du entsetzt, daß ich so einfach komme? Aber ich konnte dich doch nicht allein lassen, Weihnachten, hier –« Christine wedelte mit der einen Hand rundum. »Auf Bude, ohne Christbaum, vielleicht schuftend ...«
Sie schnupfte.
»Entsetzt? Aber wo!« Er zog sein Taschentuch und putzte sich ziemlich laut die Nase. »Riesig nett von dir.« Es klang so nebenbei, daß sie genau merkte: er war gerührt. Ihr großer Bruder war gerührt, über sie.
Sie zog ihre Jacke aus, und er suchte ihr umständlich einen Kleiderbügel aus den Untiefen seines Schrankes. Und dabei hatten beide Gelegenheit, ihre Gesichter wieder in gleichmütige Falten zu legen. Sie kramte in ihrem Köfferchen. In dem sah es übrigens nicht viel ordentlicher aus als in der Stube.
»Die Eltern sind gut angekommen«, berichtete sie, »Weihnachten im Sanatorium im Gebirge – warum eigentlich nicht? Für Vaters Gesundheit ist es bestimmt das allerbeste. Im letzten Augenblick auf dem Bahnhof hab ich Mutter noch zugeflüstert, daß ich mich um dich kümmere. Ein Stein fiel ihr da vom Herzen! Du weißt ja, sie hat immer ein schlechtes Gewissen, ob sie nun mit Vater fährt oder bei uns bleibt.«
»Und du hast deine reichbekinderte Freundin, zu der du fahren wolltest, sitzenlassen?« fragte Lutz. »Oder willst du mich etwa mit dorthin schleppen ...« Sein Gesicht spiegelte jetzt so unverhohlenen Schrecken wider, daß Christine rasch abwinkte.
»Aber nein, Lutz, ich kenn dich doch! Dich und deine Angst, du könntest überall dort, wo du aufkreuzt, stören. Im übrigen ist Liselotte ein sehr lieber Kerl und ihre kleine Gesellschaft einfach süß. Ich hätte gern dort mitgefeiert, noch lieber aber feiere ich mit dir. Ich hab mir was ganz, ganz Wunderschönes ausgedacht, hör zu!«
»Wart, erst bekommst du einen Tee!«
Lutz hoffte auf eine Gnadenfrist. Christines sprudelndes Temperament war in der Familie bekannt – und ein wenig gefürchtet. Es ging mit ihr über Hecken und Zäune und machte auch vor hohen Mauern nicht halt, wenn man so sagen wollte. Er betrachtete sie aus den Augenwinkeln: da saß sie, klein und schlank,aber explodierend vor Unternehmungslust, die Wangen nach der Kälte draußen jetzt heiß und rot, die Augen funkelnd – ja, er meinte, selbst ihre Locken, dunkle, senkrecht emporlodernde Locken, funkelten und tanzten.
»Hier bleiben wir natürlich nicht«, sagte sie eifrig, »das heißt, heute nacht doch. Da hat mich deine Schlummermutter bereits eingeladen, und ich darf auf der Gute-Stuben-Couch nächtigen. Dann aber, o Lutz, ich weiß etwas für den Weihnachtsabend!«
»Was also?« fragte er mit leicht belegter Stimme. Er dachte an Onkel Fritz, einen Wahlverwandten, der, wie Mutter aus Leipzig stammend, von seiner lebhaften Ehe erzählte, sehr liebevoll und überaus ehrlich. Eins seiner Worte war den Geschwistern zum Bonmot geworden: »Immer, wenn die Mimi sachte, sie hätte eine Idee, da hielt ich mich am Dische fest.« Lutz fühlte in diesem Augenblick sehr mit Onkel Fritz.
Und da kam es auch schon wie aus der Pistole geschossen: »Wir machen einen Weihnachtsritt, du und ich! Ins Schlößle. Das wird eine Sache, sag ich dir, die du noch deinen Enkeln erzählen wirst.«
Da hatte er es. Aber ehe er etwas sagen konnte, wurde ihm blitzschnell der Mund gestopft. Christine hatte in ihrem Köfferchen endlich gefunden, wonach sie anscheinend die ganze Zeit gesucht hatte, und es ihm zwischen die Lippen geschoben.
»Liegnitzer Bombe, von mir selbst gebacken, koste mal!« hörte er sie sagen, während er zu essen begann. »Köstlich, was? Da heißt es immer, berufstätige Mädchen seien im Haushalt Nullen. Diese These ist hiermit ›bombig‹ widerlegt. Wart, ich möchte auch noch ein Stück davon.«
Sie kaute, schluckte, fuhr fort: »Paß auf. Ich habe ja auch eine Zeitlang hier gewohnt in dieser bezaubernden Stadt. Und ich habe noch eine Menge guter Freunde. Unter anderem eine Pfarrersfamilie – ich hab dir manchmal von ihr erzählt –, die etwa fünf Kilometer von hier wohnt.«
Sie nannte den Ort, und Lutz nickte. Er nickte abwartend und leicht verstört, aber das Schokoladengebäck begann bereits einen besänftigenden Einfluß auf ihn auszuüben. Lutz aß nun einmal gern Süßes.
»Diese Rombachs – Vater kennt sie auch – sind ganz besondere Leute. Vor allem der alte Herr. Er hat ein Schlößle gepachtet, mitten im Wald, ganz einsam, entzückend gelegen. Es steht unter Denkmalschutz, hat früher wahrscheinlich irgendeinem Herzog als Jagdschloß gedient. Davor einer der beiden Stauseen, die dort angelegt wurden, im Sommer kann man auch darin schwimmen. So was kommt sonst nur in Geschichten vor. Dorthin reiten wir beide morgen und feiern ein unvergeßliches Weihnachten, du und ich, Lutz, ja?«
»Reiten?« fragte Lutz und sah seine Schwester über die Brille hinweg an. Er hatte dabei den rechten Zeigefinger ins Ohr gebohrt und schüttelte ihn. »Ich habe ›Reiten‹ verstanden.«
»Du sagst es.« Sie nickte, völlig unbeeindruckt von seiner Verwirrung. »Bist du nicht, seit du hier studierst, im Stall der Universität geritten? Oder war dies alles nur eitel Dunst und Prahlerei, wenn du davon berichtet hast? Gestehe!«
»Doch, ich bin.« Lutz rückte seine Krawatte zurecht. »Denkst du, ein Student der Gottesgelahrtheit prahlt und schmückt sich mit fremden Federn?«
»Eben. Nun hör: Ein Professor, dessen Kinder ich gut kenne, besitzt vier Islandponys, die groß und kräftig genug sind, um auch erwachsene Menschen zu tragen. Da er sie nicht in seinem Hausgarten weiden lassen kann, gab er sie zu einem Bauern in Pension. Ich bin sie oft geritten. Über Weihnachten ist er samt seiner Kinderschar weggefahren. Deshalb hat er mir angeboten, die Ponys in dieser Zeit zu reiten, wenn ich Lust hätte. Der Bauer, bei dem sie stehen, weiß auch Bescheid. Was sagst du nun?«
Der Tee war fertig. Lutz stand, in der einen Hand die Kanne, in der andern seine einzige Tasse, und schaute zwischen beiden hindurch auf Christine nieder. »Und da willst du ...«
»Da wollen wir«, berichtigte sie gelassen und nahm ihm die Tasse aus der Hand, hielt sie vor die Tülle der Teekanne und gab dieser eine leichte Neigung, so daß der Tee goldfarben und duftend in die Tasse rann. »Danke. Nein wirklich, Tee kochen kannst du, da bist du unübertrefflich!«
Sie trank. Lutz stand noch immer und sah auf sie hinunter. Als sie die Tasse geleert hatte, schenkte sie nochmals ein, nahm ihm dann die Kanne ab und stellte sie mitten auf den Kirchenvater Augustin.
»So, nun du. Setz dich und trink. Und dann sprechen wir weiter.«
»Wir? Bisher hast du gesprochen.« Aber er setzte sich und trank. Und sie sprach.
Als die Tasse leer war, hatte sie den Plan nicht nur vor ihm ausgebreitet, er war bereits genehmigt und gutgeheißen. »Sich am Dische festhalten« ist gar kein Ausdruck, dachte Lutz. Ich werde mich bald noch an ganz anderen Dingen festhalten müssen. Islandponys sind halbe Wildpferde, habe ich gehört – o Christine, was hast du mit mir vor!
Aber er widersprach nicht. Frauen soll man tunlichst nicht widersprechen.
Es hatte wieder geschneit; flaumweicher Pulverschnee lag auf der festgefahrenen Straße. Sehr kalt war es nicht, ein paar Grade unter Null, genau richtig.
»Wir müssen die Eisen abnehmen«, beschloß Christine, nachdem sie aus dem Bus gesprungen waren, der mit klirrenden Schneeketten weiterfauchte. »Aber ich kenne den Schmied hier im Dorf, er macht uns das auch heute. Heute – am vierundzwanzigsten. Ach, Lutz, ich freu mich so! Du auch?«
Er nickte. Nebeneinander gingen sie die Dorfstraße entlang, bogen dann in eine Seitengasse ein und kamen gleich darauf zu dem Bauernhof, den Christine suchte. Kein Mensch war zu sehen.
»Weißt du, wo der Stall liegt?« fragte Lutz.
Christine lachte. »Die Pferde stehen nicht im Stall. Die sind Tag und Nacht draußen, auch jetzt!«
Sie zog ihn an der Hand um die Ecke der Scheune. Dahinter lag eine eingezäunte Koppel, und wahrhaftig, da standen vier halbhohe Ponys, Schneekissen auf ihren Rücken, und guckten unter struppigen Schöpfen den beiden entgegen.