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Feminismus anschaulich & verständlich erklärt! Facettenreich, komplex, vielfältig, revolutionär – der Feminismus zählt zweifelsohne zu den wichtigsten Bewegungen unserer Zeit. Dieses innovative Nachschlagewerk führt mit informativen Diagrammen & originellen Grafiken leicht verständlich in über 100 feministische Ideen, Organisationen & Ereignisse ein – von kritischen Aktivistinnen des 17. Jahrhunderts bis zu feministischen Forderungen des 21. Jahrhunderts. Der neue Titel aus der DK Kultreihe! Das große Feminismus-Buch zum Nachschlagen – Zusammenhänge, Strömungen & Ziele des Feminismus kurzweilig und einfach aufbereitet: • Über 90 wichtige feministische Ideen: Dieses Buch erzählt die gesamte Geschichte des Feminismus – von den wichtigsten feministischen Ideen über Organisationen und Ereignisse bis zu den Biografien berühmter Feministinnen wie Mary Wollstonecraft oder Malala Yousafzai. • Wissen grafisch auf den Punkt gebracht: Interessante Diagramme sowie beeindruckende Illustrationen und Fotografien in einem jungen, frischen Layout erleichtern auf kreative Weise den Zugang zum vielfältigen Themenspektrum des Feminismus. • Kernfragen rund um die Frauenbewegung werden in diesem Buch verständlich und anschaulich beantwortet und regen zum Nachdenken an. • Die Geschichte des Feminismus in sechs großen Kapiteln! Fundiert & zugänglich aufbereitet: Der perfekte Überblick zu einem der wichtigsten Themen unserer Zeit – Basiswissen zum Studieren, Informieren oder Nachschlagen!
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Seitenzahl: 561
VORWORT
EINLEITUNG
GEBURT DES FEMINISMUS
18. — FRÜHES 19. JH.
Männer werden frei geboren, Frauen als Sklaven
Früher Feminismus in Großbritannien
Unser Körper ist das Kleid unserer Seele
Früher Feminismus in Skandinavien
Verletzte Frau, erhebe dich, fordere dein Recht!
Kollektives Handeln im 18. Jh.
Es steht in eurer Macht, [die Hindernisse] zu überwinden
Aufklärung und Feminismus
Ich will nicht, dass [Frauen] Macht über Männer haben, sondern über sich selbst
Emanzipation von der Häuslichkeit
Wir rufen alle Frauen auf, gleich welchen Standes
Emanzipation der Arbeiterin
Ich lehrte sie die Religion Gottes
Bildung für islamische Frauen
Jeder Weg stehe der Frau so offen wie dem Mann
Weibliche Autonomie in einer männlich dominierten Welt
DER KAMPF UM GLEICHE RECHTE
1840–1944
Wer seine Arbeitskraft verkauft, verkauft sich selbst
Gewerkschaftliche Organisation
Bloßes Werkzeug der Kindererzeugung
Marxistischer Feminismus
Wir halten diese Wahrheit für offensichtlich: dass alle Männer und Frauen gleich geschaffen sind
Die Wahlrechtsbewegung
Ich habe genauso viele Muskeln wie ein Mann
Rassen- und Geschlechtergleichheit
Eine Frau, die ihren Teil beiträgt, kann nicht verächtlich behandelt werden
Arbeit und Ehe
Heirat macht einen gewaltigen rechtlichen Unterschied für Frauen
Rechte verheirateter Frauen
Mehr denn je war ich entschlossen, Ärztin zu werden
Bessere medizinische Versorgung für Frauen
Die Menschen billigen beim Mann, was bei der Frau scharf verurteilt wird
Sexuelle Doppelmoral
Kirche und Staat setzen den Mann durch ein Gottesrecht über die Frau
Institutionen als Unterdrücker
Die Familie legt alle Frauen in Ketten
Verstaatlichung der Kinderbetreuung
Am Anfang war die Frau die Sonne, jetzt ist sie ein matter Mond
Feminismus in Japan
Fasst Mut, haltet euch an den Händen, stellt euch neben uns
Politische Gleichheit in Großbritannien
Wir bekriegen den Krieg
Frauen für den Frieden
Gebt uns die Rechte, die wir verdienen
Frauenwahlrecht weltweit
Verhütung ist der erste Schritt zur Freiheit
Geburtenkontrolle
Männer erkennen nicht an, welche Fähigkeiten alle Frauen haben
Früher arabischer Feminismus
Es gibt kein Tor, kein Schloss, keinen Riegel, die ihr vor die Freiheit meines Geistes setzen könnt
Geistige Freiheit
Die Lösung liegt in der Revolution
Anarcha-Feminismus
DAS PERSÖNLICHE IST POLITISCH
1945–1979
Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es
Wurzeln der Unterdrückung
Etwas ist sehr falsch daran, wie amerikanische Frauen versuchen zu leben
Das Problem ohne Namen
»Gottes Plan« meint oft einen Plan von Männern
Feministische Theologie
Unsere Biologie ist nicht richtig analysiert worden
Lust
Ich habe begonnen, einen Beitrag zu leisten
Feministische Kunst
Schluss mit Miss America!
Die Befreiung der Frau als Massenbewegung
Unsere Gefühle bringen uns zum Handeln
Bewusstseinsbildung
Gleichmacherin, Befreierin
Die Pille
Wir gehen den Weg bis zum Ende
Radikaler Feminismus
Der Feminismus wird die grundlegendsten Strukturen der Gesellschaft zerstören
Familienstrukturen
Frauen ahnen kaum, wie sehr Männer sie hassen
Frauenfeindlichkeit
Die Autorinnen von Ms. machten aus einer Bewegung ein Magazin
Moderne feministische Veröffentlichungen
Patriarchat, ob reformiert oder nicht, ist immer noch Patriarchat
Patriarchat als Sozialkontrolle
Uterusneid quält das männliche Unterbewusstsein
Gebärmutterneid
Wir sind immer ihre unentbehrlichen Arbeitskräfte
Lohn für Hausarbeit
Gesundheit muss von uns definiert werden
Frauenzentrierte Gesundheitsfürsorge
Frauen haben noch nicht begonnen aufzubegehren
Frauen in die Geschichte einschreiben
Die Freiheit der Frau steht auf dem Spiel
Das Recht auf Abtreibung
Ihr müsst protestieren, ihr müsst streiken
Frauen in den Gewerkschaften
Schrei leise
Schutz vor häuslicher Gewalt
Der männliche Blick projiziert seine Fantasie auf die weibliche Gestalt
Der männliche Blick
Vergewaltigung ist eine Methode systematischer Einschüchterung
Vergewaltigung als Machtmissbrauch
Als Frau geborene Frau zu sein ist eine gelebte Erfahrung
Trans-feindlicher radikaler Feminismus
Fett ist eine Art, »Nein« zur Machtlosigkeit zu sagen
Körperfett ist positiv
Die Befreiung der Frauen, die Befreiung aller
Feminismus in Indien
Unsere Stimme wurde nicht beachtet
Feministisches Theater
Alle Feministinnen können und sollten Lesben sein
Politischer Lesbianismus
Die Frau muss sich in den Text einschreiben
Poststrukturalismus
POLITIK DER DIFFERENZIERUNG
DIE 1980ER-JAHRE
Sprachliche Mittel des Patriarchats
Sprache und Patriarchat
Die Heterosexualität wurde den Frauen aufgezwungen
Erzwungene Heterosexualität
Pornografie ist zwangsläufig die Sexualität männlicher Machtausübung
Antipornografischer Feminismus
Frauen sind Wächterinnen der Zukunft
Ökofeminismus
»Frausein« ist angesagt – aber das schafft nicht jede
Rassismus und Klassenvorurteile im Feminismus
Das Militär ist ganz offensichtlich ein Produkt des Patriarchats
Frauen gegen Atomwaffen
Womanist ist im Vergleich zu feministisch wie lila zu lavendel
Schwarzer Feminismus und Womanismus
Du kannst nicht das Haus des Herren mit dem Handwerkszeug des Herren abreißen
Wut als Waffe der Aktivistinnen
Die Hälfte der Bevölkerung arbeitet praktisch für nichts
Bruttoinlandsprodukt
Die weiße Gesellschaft hat uns unserer Persönlichkeit beraubt
Antikolonialismus
Eine Gemeinschaft von Schwestern im Kampf
Postkolonialer Feminismus
Lass uns die Vorfahren sein, denen unsere Nachfahren danken
Indigener Feminismus
Frauen stecken in der beruflichen Sackgasse
Pink-Collar-Feminismus
Frauenthemen wurden vergessen
Feminismus in China nach Mao
Zwangsheirat ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte
Zwangsehen verhindern
Hinter jeder Verurteilung von Erotik steckt ein verlogener Heuchler
Sexpositiver Feminismus
Jede hat das Recht, die Wahrheit über ihr Leben zu sagen
Überlebende, keine Opfer
Unverdiente Privilegien sind die Erlaubnis zu herrschen
Privilegien
Alle Systeme der Unterdrückung greifen ineinander
Intersektionalität
Wir könnten jede sein und wir sind überall
Guerrilla-Proteste
EINE NEUE WELLE ENTSTEHT
1990–2010
Ich bin die dritte Welle
Postfeminismus und die dritte Welle
Geschlecht ist die Wiederholung bestimmter Handlungsmuster
Geschlecht ist performativ
Feminismus und Queer-Theorie sind Äste des gleichen Baums
Feminismus und Queer-Theorie
Der Mythos Schönheit schreibt ein Verhalten vor, kein Aussehen
Mythos Schönheit
Reproduktive Gerechtigkeit basiert auf den Menschenrechten
Reproduktive Gerechtigkeit
Gesellschaft lebt von Dichotomien
Bisexualität
Der antifeministische Backlash ist los
Antifeministischer Backlash
Mädchen können wirklich die Welt verändern
Die Riot-Grrrl-Bewegung
Frauenfiguren, wie Männer sie sich vorstellen
Antike Philosophie, neu gedacht
Die Sprache der Theologie bleibt sexistisch und exklusiv
Befreiungstheologie
Behindert ist nicht minderwertig, weiblich auch nicht
Feminismus unter Behinderten
Weibliche Überlebende halten Familien und Länder zusammen
Frauen in Kriegsgebieten
Eine Frage der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern
Gegen weibliche Genitalbeschneidung
Vulgär-Kultur ist nicht fortschrittlich
Raunch Culture
Gleichheit und Gerechtigkeit sind nötig und möglich
Moderner islamischer Feminismus
Eine neue Art des Feminismus
Transfeminismus
MODERNER KAMPF GEGEN DEN SEXISMUS
2010 UND SPÄTER
Vielleicht ist die vierte Welle online
Feminismus im Netz
Der Feminismus braucht die Sexarbeiterinnen – und umgekehrt
Unterstützung für Sexarbeiterinnen
Meine Kleidung bedeutet nicht mein Einverständnis
Schluss mit der Opferschuldzuweisung
Feminität ist zur Marke geworden
Antikapitalistischer Feminismus
Wir sollten alle Feminist*innen sein
Universaler Feminismus
Es geht nicht um »Männer gegen Frauen«
Sexismus ist überall
Wir können nicht alle Erfolg haben, wenn die Hälfte von uns ausgebremst wird
Mädchenbildung weltweit
Keine weiblichen Führer, nur Führer
Lean in – Häng dich rein
Verweise auf ein Problem und du wirst zum Problem
Die feministische Spielverderberin
Frauen sind eine Gemeinschaft und diese Gemeinschaft ist nicht sicher
Männer verletzen Frauen
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Die Lohnlücke
Überlebende sind schuldig bis zum Beweis des Gegenteils
Gegen sexuelle Gewalt auf dem Campus
Frauen am Steuer
Das Recht, Auto zu fahren
#MeToo
Sexuellen Missbrauch anprangern
MEHR FEMINISMUS
GLOSSAR
DANK
MITWIRKENDE
Frisch von der Universität bewarb ich mich für eine Stelle. Während des Vorstellungsgesprächs blickte der Ältere meiner beiden Gesprächspartner auf meinen Lebenslauf und fragte, als er sah, dass ich für die Studentenzeitung über Frauenfragen geschrieben hatte: »Sind Sie Feministin?« Offensichtlich dachte er an Frauen in Latzhosen, die mit Plakaten auf den Straßen protestierten – aber ich wollte einen Job, also antwortete ich vorsichtig: »Nun, ich entspreche meiner Vorstellung von einer Feministin. Vermutlich nicht Ihrer.« Angesichts meiner Diplomatie nickte er anerkennend, griff das Thema aber ständig wieder auf – obwohl sein jüngerer Kollege versuchte einzugreifen. Bis ich, außer mir, rief: »Mein Gott! Ich habe mir für dieses Gespräch die Beine rasiert, wenn Sie das beruhigt!« Der junge Kollege erstarrte, der ältere aber lachte. Ich bekam die Stelle.
Damit möchte ich sagen: Feminismus ist eine komplizierte Sache. Unwissenheit gibt es zuhauf, ebenso Stereotype, Feindseligkeit und einfach Verwirrung. Die einzig mögliche Reaktion darauf ist zu informieren, um die Leere, in der sich Ängste, Zweifel und Vorurteile breit machen, mit Fakten zu füllen. Alles, vom Mastodon bis zu globalen gesellschaftspolitischen Bewegungen, ist viel weniger beunruhigend, wenn es aus dem Dunkel heraustritt und man sieht, womit man es zu tun hat. Dieses Buch beleuchtet den Feminismus von allen Seiten und beseitigt die Unwissenheit Stück für Stück.
Und es erfüllt noch eine zweite wichtige Funktion: Es soll insbesondere Frauen ein Gefühl für ihren Platz in der Geschichte geben, die bekanntlich von den Siegern geschrieben wird. Weibliche Aktivistinnen und ihre Errungenschaften wurden schon immer zu wenig zelebriert, verbreitet und anerkannt. Das macht es schwieriger, auf dem Vorhergehenden aufzubauen. Das Rad muss neu erfunden werden, was auch dann anstrengend ist, wenn man nicht gleichzeitig die nächste Generation zur Welt bringen und aufziehen muss.
Kaum jemand lernt in der Schule etwas über den Feminismus. Ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern fällt meist an kleinen Dingen auf. Bei mir waren es oft kleine Erkenntnisse, die mich empörten und sich wie Kletten in mein Gehirn hakten. So erfuhr ich mit zehn Jahren, dass der jüngere Bruder meiner Freundin mehr Taschengeld bekam als sie. Warum? Weil er ein Junge war. Diese Ungerechtigkeit spürte ich fast als körperlichen Schmerz. Einige Jahre später las ich im Magazin Just Seventeen, dass Claudia Schiffer, das erfolgreichste Supermodel der 1980er-Jahre, unter ihrem »ungleichmäßigen Haaransatz« litt. Irgendwo tief in mir erkannte ich, dass einer Welt, in der sich eine junge Frau so fühlte, wenig am Wohlbefinden der Frauen liegen konnte. Mit den Jahren kommen große und kleine Erkenntnisse hinzu, bis die Begünstigung der Männer so offensichtlich ist, dass sie sich nicht mehr ignorieren lässt. Dann fangen wir an, nach Antworten zu suchen. Was bedeutet: entweder Elektrolyse oder Feminismus.
Was aber ist Feminismus? Kann man gleich sein und verschieden? Das Patriarchat ablehnen und Männer mögen? Soll man gegen jede Kleinigkeit kämpfen oder sich auf die großen Dinge konzentrieren? Und habe ich mich mit meinen rasierten Beinen für die Schwesternschaft für immer disqualifiziert?
Weiß man, welche Formen der Feminismus im Laufe der Zeit ausgeprägt hat, wie er sich entwickelt hat, welche Stärken und blinde Flecken er hat, welche Kämpfe bereits siegreich ausgefochten wurden und welche erneut gekämpft werden müssen, kann man auf eine historische Reservearmee blicken, die Truppen der Argumente aufstellen und mit dem Wissen in die Schlacht ziehen, dass man nicht allein ist und es nie war.
Hier findet man die Mystikerinnen, Schriftstellerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Künstlerinnen und viele mehr, die neue Gedanken in die Welt gesetzt haben, neue Einstellungen, neue Definitionen, neue Regeln, neue Prioritäten, neue Einsichten, damals und heute. Was ist Feminismus? Dieses Buch erklärt es.
Lucy Mangan
Seit Jahrhunderten begehren Frauen gegen die Ungerechtigkeiten auf, die sie aufgrund ihres Geschlechts erleiden. Als Konzept wurde »Feminismus« jedoch erst 1837 geboren, als der Franzose Charles Fourier den Begriff féminisme erstmals verwendete. In den folgenden Jahrzehnten stand er in Großbritannien und den USA für eine Bewegung, die die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Geschlechter anstrebte und die Unterdrückung der Frau durch den Mann beenden wollte.
Infolge unterschiedlicher Ziele und Grade der weltweiten Geschlechterungleichheit entstanden verschiedene feministische Strömungen. Da der Feminismus mit seinen sich stetig weiterentwickelnden Vorstellungen und Zielen Gesellschaften seit seinen Anfängen formt, zählt er zu den wichtigsten Strömungen unserer Zeit – inspirierend, einflussreich und sogar große Bevölkerungsgruppen betreffend, je mehr er sich weiterentwickelt.
Die männliche Dominanz hat ihre Wurzeln im Patriarchat, das seit Jahrhunderten das Fundament der meisten Gesellschaften ist. Aus welchen Gründen das Patriarchat auch entstand – die Gesellschaften wurden komplexer, mussten stärker reguliert werden, und die Männer schufen Institutionen, die ihre Macht festigten und die Frauen unterdrückten. Die Herrschaft des Mannes wurde in jedem Bereich der Gesellschaft durchgesetzt: Regierung, Gesetz, Religion, Ehe und Heim. Der männlichen Herrschaft untergeordnet und machtlos, galten Frauen intellektuell, sozial und kulturell als minderwertig.
Nachweise von Frauen, die die patriarchalen Grenzen herausforderten, sind rar, auch weil Männer die Geschichte schrieben. Mit Beginn der Aufklärung um 1800 und der wachsenden Bedeutung der individuellen Freiheit machten Vorkämpferinnen auf die Ungerechtigkeiten, denen sie ausgesetzt waren, aufmerksam. Im Zuge der Revolutionen in den USA (1775–1783) und in Frankreich (1789–1799) forderten viele Frauen auch für ihr Geschlecht neue Freiheiten. Damals waren sie nicht erfolgreich, doch dauerte es nicht lange, bis immer mehr Frauen den Kampf aufnahmen.
»Ich habe mich nie minderwertig gefühlt … Dennoch, ›eine Frau zu sein‹ verweist jede Frau auf den zweiten Rang.«
Simone de Beauvoir
Soziologen unterscheiden drei große »Wellen« des Feminismus. Manche Feministinnen sprechen von einer vierten Welle in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts. Jede Welle wurde durch bestimmte Katalysatoren ausgelöst, wenngleich der Feminismus eine sich beständig fortentwickelnde Bewegung mit einem breiten Spektrum an Zielen ist.
Die erste Welle begann Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA und in Europa. Den Zielen dieser Welle lagen dieselben freiheitlichen Prinzipien zugrunde wie dem Kampf zur Abschaffung der Sklaverei. Frühe Feministinnen (vor allem gebildete Frauen der weißen Mittelschicht) forderten das Wahlrecht, gleichen Zugang zu Bildung und gleiche Rechte in der Ehe. Die erste Welle endete um 1920. Die Frauen in den meisten westlichen Ländern hatten nun das Wahlrecht erhalten. Während des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) waren die Energien gebunden. Erst um 1960 nahm die zweite Welle Fahrt auf, beeinflusst durch Schriften, die im Krieg entstanden waren. Der Slogan »Das Persönliche ist politisch« brachte diese neue Welle auf den Punkt. Die Frauen mussten feststellen, dass die in der ersten Phase gewonnenen Rechte ihren Alltag kaum verbessert hatten, und richteten ihre Aufmerksamkeit nicht auf Ungleichheiten am Arbeitsplatz und in der Familie, sondern diskutierten nun sexuelle »Normen«.
Die zweite Welle, angeheizt durch das revolutionäre Klima der 1960er-Jahre, ist als furchtlose Frauenbefreiungsbewegung in die Geschichte eingegangen, die die Unterdrückung der Frau genauer analysierte und beenden wollte. Während neue Kurse in feministischer Theorie an Universitäten die Wurzeln der Unterdrückung untersuchten und die Vorstellungen vom Geschlecht analysierten, nahmen Basisorganisationen die Ungerechtigkeiten in Angriff. Die Frauen holten sich die Kontrolle über die Geburten vom männlich dominierten Berufsstand der Gynäkologen zurück, kämpften für das Recht auf Abtreibung und wehrten sich gegen Tätlichkeiten.
Um 1980 ebbte die zweite Welle ab, geschwächt durch interne Querelen und ein zunehmend konservatives politisches Klima. Doch nun erstarkten der schwarze Feminismus und die Idee der Intersektionalität – die Erkenntnis der Mehrfachbenachteiligung dunkelhäutiger Frauen –, die der Feminismus der weißen Frauen der Mittelschicht nicht adressierte. Dieses Konzept, erstmals 1989 von Kimberlé Crenshaw vertreten, fand außer in den USA und in Großbritannien auch in den ehemaligen Kolonien weltweit Anklang.
Die US-Feministin Rebecca Walker formulierte um 1990 angesichts des Freispruchs eines mutmaßlichen Vergewaltigers die Notwendigkeit einer dritten Welle, da Frauen weiterhin Befreiung bräuchten und nicht nur Gleichheit, die Postfeministinnen für erreicht hielten. Die dritte Welle umfasste verschiedene, oft gegensätzliche Strömungen, die sich u. a. mit sexueller Freiheit, Transfrauen und der Frage, ob feministische Ziele im Kapitalismus erreicht werden können, beschäftigten. Dieser reiche Ideenaustausch setzte sich bis ins neue Jahrtausend fort, gestützt durch Blogs und soziale Medien. Heutige Themen sind sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und die geschlechterspezifische Lohnlücke. Damit ist der Feminismus noch ebenso relevant wie in der Vergangenheit.
»Eine Frau darf nicht akzeptieren. Sie muss herausfordern.«
Margaret Sanger
Das Panoptikum der vorgestellten Persönlichkeiten, die für einen besseren Platz der Frau in der Gesellschaft gekämpft haben, ist keinesfalls erschöpfend. Dieses Buch stellt einige der bedeutendsten Ideen vom 18. Jahrhundert bis heute zu diesem Thema vor. Jeder Eintrag konzentriert sich auf einen Zeitabschnitt und ein bedeutendes Zitat einer Frau aus dieser Zeit. Dieses Buch reflektiert, wie fundamental der Feminismus für das Verständnis unserer heutigen Welt ist, und wie viel noch zu tun ist.
1700
In ihrem Buch Some Reflections on Marriage vertritt die Engländerin Mary Astell die Ansicht, dass Gott Männer und Frauen mit Seelen von gleicher Intelligenz geschaffen hat
1734
Das Bürgerliche Gesetzbuch in Schweden gewährt Frauen bestimmte Rechte, insbesondere verbietet es dem Mann, den Besitz seiner Frau ohne ihr Einverständnis zu verkaufen.
1750er
In England wird die Blaustrumpf-gesellschaft ins Leben gerufen – eine informelle Gruppe für gebildete Frauen und eingeladene Männer, die sich zu Diskussionen traf.
1765
Die Daughters of Liberty schließen sich in den USA zusammen, um gegen Einfuhrzölle zu protestieren und die Unabhängigkeit Amerikas von Großbritannien zu unterstützen.
1790
Die amerikanische Frauenrechtlerin Judith Sargent Murray behauptet in ihrem Aufsatz »On the Equality of the Sexes«, dass Frauen ebenso intelligent sind wie Männer.
1791
In ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin fordert die französische politische Aktivistin Olympe de Gouges für Frauen dieselben Bürgerrechte, wie sie für Männer gelten.
1792
Die englische Schriftstellerin Mary Wollstonecraft fordert in Die Verteidigung der Frauenrechtedas Recht der Frauen auf Bildung.
1830
Im heutigen Norden von Nigeria bildet Nana Asma’u eine Gruppe Frauen, Jajis genannt, dazu aus, durch das Kalifat Sokoto zu reisen und andere Frauen zu unterrichten.
1832
In Frankreich wird Suzanne Voilquin Herausgeberin der ersten bekannten feministischen Zeitschrift für Arbeiterinnen,Tribune des femmes.
Das Wort »Feminismus« wurde erst um 1890 geläufig, doch schon lange vorher vertraten einzelne Frauen feministische Ansichten. Anfang des 18. Jahrhunderts begannen Frauen in verschiedenen Teilen der Welt zu hinterfragen, ob ihr benachteiligter Status natürlich und unvermeidlich war. In Schriften und Diskussionen formulierten sie einzeln und in Gruppen ihren Widerstand gegen ihre untergeordnete Rolle und forderten mehr Rechte und Ebenbürtigkeit mit den Männern.
Anfang des 18. Jahrhunderts galten Frauen als von Natur aus den Männern unterlegen–intellektuell, sozial und kulturell. Dies war ein tiefer, seit Langem gefestigter Glaube, untermauert durch die christliche Lehre, die Frauen als das »schwächere Gefäß« ansah. Frauen waren der Kontrolle ihres Vaters und später ihres Ehemanns unterworfen.
Mit Fortschreiten des Jahrhunderts wirkten sich soziale und technische Veränderungen tief greifend auf das Leben der Frau aus. Das Erstarken von Handel und Industrie schuf eine blühende, strebsame Mittelschicht, in der die gesellschaftlichen Rollen der Geschlechter scharf definiert waren. Die öffentliche Sphäre von Arbeit und Politik war den Männern vorbehalten, während für Frauen die private Sphäre bestimmt war, eine Trennung, die sich zunehmend verfestigte.
Die Technisierung veränderte auch die Druckindustrie und brachte eine Flut von Zeitschriften, Pamphleten, Romanen und Dichtung hervor, die Informationen und neue Ideen verbreiteten. Diese wurden von privilegierten gebildeten Frauen aufgesogen. Einige von ihnen wandten sich, den gesellschaftlichen Einschränkungen zum Trotz, dem Schreiben zu und verbreiteten mit dem gedruckten Wort feministische Ansichten.
Einige der frühesten feministischen Schriften kamen Mitte des 18. Jahrhunderts aus Schweden. Eine relativ liberale Einstellung zu den Rechten der Frau bot Intellektuellen wie der Verlegerin und Journalistin Margareta Momma oder der Dichterin Hedvig Nordenflycht die Chance, feministische Themen in Druckwerken zu verbreiten.
In Großbritannien erschienen feministische Theorien ab Beginn des 18. Jahrhunderts, vor allem die Werke Mary Astells. Sie argumentierte, dass Gott Frauen ebenso viel Vernunft geschenkt hatte wie Männern, und behauptete mutig, die untergeordnete Rolle der Frau sei weder gottgegeben noch unvermeidlich.
Um 1750 trafen sich gebildete Frauen in Deutschland und anderen Ländern Europas in literarischen »Salons«, wo sie Literatur diskutierten und Ideen austauschten. Die Salons erschlossen weiblichen Erfahrungen einen Raum und förderten Schriftstellerinnen und Denkerinnen.
Zwei intellektuelle, kulturelle und politische Entwicklungen in Europa und Amerika rüttelten im 18. Jahrhundert den Feminismus wach: die Aufklärung und die Revolutionen in Amerika und Frankreich. Philosophen der Aufklärung wie die Franzosen Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot stellten die gesellschaftliche Tyrannei durch die ererbten Privilegien von Königen, Adel und Kirchen infrage. Sie fochten für Freiheit, Gleichheit und die »Menschenrechte« – bei Rousseau schloss dies die Frauen jedoch aus.
In den Revolutionen, die Amerika 1783 seine Unabhängigkeit von Großbritannien verschafften und Frankreich von 1789 an erschütterten, spielten Frauen eine aktive Rolle. Inmitten der kollektiven Rufe nach Freiheit und Bürgerrechten begannen auch sie, Rechte zu fordern. In Amerika ermahnte die Frau des zweiten Präsidenten Abigail Adams die Gründungsväter, »die Damen nicht zu vergessen«, die die Revolution unterstützt hatten, und in Frankreich forderte die Theaterautorin und Aktivistin Olympe de Gouges in ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin gleiche Rechte für Frauen und Männer. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution veröffentlichte die englische Schriftstellerin Mary Wollstonecraft Die Verteidigung der Frauenrechte, einen Meilenstein der feministischen Literatur, der die häusliche Tyrannei als größtes Hindernis zu weiblicher Unabhängigkeit benannte und den Zugang zu Bildung und Arbeit forderte.
Viele prominente Frauenrechtlerinnen entstammten den privilegierten Klassen. Ab 1800 wurden in Großbritannien und den USA auch Arbeiterinnen politisch aktiv, oft mit den neuen Arbeiterbewegungen. Auch in Teilen der islamischen Welt kamen feministische Ansichten auf. Diese Stimmen wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts noch lauter.
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Mary Astell, 1706
SCHLÜSSELFIGUR
Mary Astell
FRÜHER
1405 In Das Buch von der Stadt der Frauen errichtet die Französin Christine de Pizan eine symbolische Stadt aus Heroinnen der Geschichte, die die Bedeutung der Frau zeigt.
1589 Die Engländerin Jane Anger verteidigt Frauen und kritisiert Männer in ihrem Pamphlet Jane Anger: her Protection for Women.
SPÄTER
1792 Mary Wollstonecrafts Die Verteidigung der Frauenrechte ruft die Frauen auf, von Männern unabhängig zu werden.
1843 Die schottische Feministin Marion Reid kritisiert in A Plea for Women, dass die Verhaltensnormen der Frau ihre Möglichkeiten einschränken.
Fast 200 Jahre, bevor »Feminismus« ein Konzept wurde, begannen einzelne Frauen die geltende Ansicht, das weibliche Geschlecht sei minderwertig, herauszufordern. Eine der bedeutendsten Stimmen in England war die von Mary Astell. In ihren Schriften äußerte sie, dass Frauen klarer und kritischer Gedanken genauso fähig seien wie Männer. Ihre scheinbare Unterlegenheit sei Folge der männlichen Kontrolle und des begrenzten Zugangs zu Bildung.
Das 17. Jahrhundert war politisch eine unruhige Zeit, doch der englische Bürgerkrieg (1642–1651) und die Restauration der Monarchie änderten für Frauen wenig. Sie galten als »schwächeres Gefäß« – eine Behauptung, die von christlicher Kirche und Bibel gestützt wurde, der zufolge Eva aus einer Rippe Adams erschaffen war. Die Natur hatte die Frau eben nur zur Ehefrau und Mutter bestimmt.
Doch für nonkonformistische oder andersdenkende Sekten wie die Anabaptisten und Quäker waren Frauen und Männer vor Gott gleich. Frauen durften an den Treffen teilnehmen und sogar predigen. Sie spielten auch bei den Levellers, einer egalitären Bewegung aus dem Bürgerkrieg, eine Rolle, doch deren Forderung nach Ausweitung des Wahlrechts galt nicht für Frauen.
Margaret Cavendish erklärte, sie schreibe, da Frauen im öffentlichen Leben so viel versagt war. In 20 Jahren publizierte sie 23 Werke: Erzählliteratur, Essays, Dramen, Dichtung und Briefe.
Allen Schranken zum Trotz wandten sich einige Frauen dem Schreiben zu, um die Minderwertigkeit der Frau zu widerlegen, etwa Bathsua Makin, Autorin von An Essay To Revive the Antient Education of Gentlewomen (1673), und Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle, die den Platz der Frau in der Gesellschaft stark kritisierte. In ihren Philosophical and Physical Opinions (1655) klagte sie, dass Frauen »wie Vögel in Käfigen gehalten« wurden, ausgeschlossen von aller Macht und von arroganten Männern verachtet. Dies brachte ihr heftige männliche Kritik ein.
Aphra Behn, 1640 in einfachen Verhältnissen geboren, Reisende, Spionin und Schriftstellerin, lebte als erste Engländerin vom Schreiben. Ihre Dramen verspotteten die männlich dominierte Welt der Literatur und männliches Verhalten. Kritiker fanden sie unsittlich und beschuldigten sie des Plagiats, aber ihr Publikum war begeistert.
»Denn da Gott Frauen wie Männern verständige Seelen gegeben hat, warum sollte es ihnen verboten sein, diese zu bilden?«
Mary Astell
Die Schriftstellerin Mary Astell widersprach der Ansicht, dass die »minderwertigen« Frauen unter männlicher Kontrolle stehen sollten. Die fromme Christin argumentierte gegen die Behauptung der Kirche, die zweitrangige Rolle der Frauen sei gottgewollt, dass Gott auch die Frauen mit »intelligenten Seelen« und der »Fähigkeit zu denken« ausgestattet habe. Allein die Männer hatten sie untergeordnet. Indem sie Frauen eigenständiges Denken versagten, versklavten sie sie und beleidigten Gott.
Für Astell war bessere Bildung der Schlüssel zu mehr Gleichheit. In A Serious Proposal to the Ladies (1694) fordert sie die Frauen auf, ihren Intellekt und ihre Fähigkeiten zu entwickeln, statt sich den Männern zu fügen. Sie schlägt sogar die Gründung eines weltlichen Klosters oder einer Universität vor. Zwar akzeptiert sie die Notwendigkeit der Ehe, heiratet selbst aber nie. In Some Reflections on Marriage (1700) warnt sie Frauen vor Ehen, die auf Lust oder Geld basieren. Sie glaubte, dass Bildung Frauen kluge Entscheidungen ermöglicht und Unglück vermeiden hilft.
Wie ihre Zeitgenossinnen war Astell keine Aktivistin, schrieb aber intensiv über die Lage der Frauen ihrer Umgebung aus feministischer Perspektive. Ihre Theorien sind bis heute gültig. Es dauerte fast ein Jahrhundert, bis andere Frauen die Diskussion öffentlich fortführten.
Aphra Behn, hier auf einem Porträt des Niederländers Peter Lely aus dem 17. Jahrhundert, begann zu schreiben, um den Schulden zu entkommen. Sie wurde berühmt und nach ihrem Tod 1689 in Westminster Abbey beigesetzt.
Mary Astell
1666 in Newcastle upon Tyne (England) in eine Familie der oberen Mittelschicht geboren, erhielt Mary Astell nur wenig formelle Bildung. Ihr Onkel Ralph Astell unterrichtete sie in klassischer Philosophie. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1688 zog sie in den Londoner Stadtteil Chelsea und lebte mühsam vom Schreiben, wurde von literarischen und intellektuellen Freundinnen und Mäzeninnen aber ermutigt. William Sancroft, Erzbischof von Canterbury, ebenfalls ein Freund, unterstützte sie finanziell. Ihr erstes Buch, A Serious Proposal to the Ladies, etablierte sie als ernsthafte Denkerin. 1709 zog sie sich aus dem öffentlichen Leben zurück und gründete in Chelsea eine Armenschule für Mädchen. 1731 starb sie nach einer Mastektomie aufgrund von Brustkrebs.
Hauptwerke
1694A Serious Proposal to the Ladies
1700Some Reflections on Marriage
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Sophia Elisabet Brenner, 1719
SCHLÜSSELFIGUREN
Sophia Elisabet Brenner, Margareta Momma, Hedvig Nordenflycht, Catharina Ahlgren
FRÜHER
1687 König Christian V. von Dänemark und Norwegen erlässt ein Gesetz, das unverheiratete Frauen für unmündig erklärt.
SPÄTER
1848 Die schwedische Schriftstellerin und feministische Aktivistin Sophie Sager stellt ihren Vermieter wegen Vergewaltigung in einem wegweisenden Rechtsfall vor Gericht.
1871 Die Frauenrechtsgesellschaft Dansk Kvindesamfund wird von Matilde und Fredrik Bajer in Dänemark gegründet.
Im 18. Jahrhundert gewährte Stockholm, hier auf einem Gemälde von Elias Martin (1739–1818), seinen Bürgern immer mehr Rechte. Einige der frühesten Feministinnen lebten hier.
Mit Beginn der schwedischen Freiheitszeit (1718–1772) ging die Macht von der Monarchie auf die Regierung über. Politische und philosophische Debatten mehrten sich und mit ihnen die Forderungen nach mehr Freiheit für Frauen. Die Verfassung von 1734 spiegelte das progressive Milieu wider – Frauen erhielten Recht auf Besitz und auf Scheidung bei Ehebruch.
Die schwedische Schriftstellerin und gebildete Aristokratin Sophia Elisabet Brenner erklärte als eine der ersten Frauen öffentlich, dass Frauen dieselben Rechte zustünden wie Männern. Ihr 1693 publiziertes Gedicht Die berechtigte Verteidigung des weiblichen Geschlechts bekräftigte, dass Frauen Männern intellektuell ebenbürtig seien. 1719 schrieb sie in einem Gedicht für Königin Ulrika Eleonora von Schweden, Männer und Frauen seien gleich, wenn auch nicht äußerlich.
In »Conversation between the Shades of Argus and an unknown Female« (1738–1739) nimmt die Journalistin Margareta Momma den Ruf nach Bildung für Frauen auf und äußert sich satirisch über Kritiker, die Frauen der Debatte für unfähig befinden. Im Geist der Aufklärung forderte sie die Freiheit der Rede und der Religion und setzte sich für den Gebrauch der schwedischen Sprache statt des aristokratischen Französisch ein, um mehr Menschen Zugang zu neuen Ideen zu geben.
»Eine energische Frau, aber sehr talentiert.«
Jonas ApelbladSchwedischer Reiseschriftsteller über Catharina Ahlgren
Die Schriftstellerin Hedvig Charlotta Nordenflycht debütierte literarisch mit Die Klage der schwedischen Frau (1742), einem Gedicht zur Bestattung von Königin Ulrika Eleonora, in dem die Dichterin mehr Rechte für ihr Geschlecht fordert. Anders als Momma und viele Zeitgenossinnen veröffentlichte sie unter eigenem Namen. Beruflich erfolgreich, wurde sie 1753 als einzige Frau in den Tankebyggararorden (Orden von Gedankenerrichtern) aufgenommen, eine literarische Gruppe in Stockholm, die die schwedische Literatur erneuern wollte. Nordenflycht unterhielt auch selbst einen Salon, den die besten Autoren der Zeit zum Gedankenaustausch aufsuchten. Mit ihrer Verteidigung des weiblichen Intellekts in Gedichten wie Die Pflicht der Frau, ihren Verstand zu gebrauchen und ihrem Protest gegen Frauenhass in Verteidigung von Frauen (1761) forderte sie das Recht ein, intellektuell aktiv zu sein.
Catharina Ahlgren, eine Freundin von Nordenflycht, publizierte ihr erstes Gedicht 1764 zum Geburtstag von Königin Louisa Ulrika. Schon als Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Deutschen bekannt, schrieb sie 1772 unter dem Pseudonym »Adelaide« rhetorische Briefe, die in zwei Zeitschriften erschienen. Die an Männer und Frauen adressierten Briefe setzen sich für sozialen Aktivismus, Demokratie, Geschlechtergleichheit und weibliche Solidarität angesichts der Dominanz des Mannes ein. Wahre Liebe sei nur möglich, wenn Mann und Frau sich als gleichwertig ansehen. Häufigstes Thema der Briefe ist Freundschaft, weitere sind Moral und Rat an Töchter. Vermutlich verfasste Ahlgren auch den Aufsatz »Die modernen Frauen Sophia und Belisinde diskutieren Ideen«, der kritisiert, dass Französisch gelehrt wird, die Sprache der leichten Romanzen. Frauen sollten Englisch lernen, Sprache der Wissenschaft und des gelehrten Diskurses.
Hedvig Nordenflycht wurde 1718 in Stockholm geboren. Als Dichterin und Gastgeberin eines Salons zählte sie zu den ersten Frauen, deren Ansichten Männer ernst nahmen.
Catharina Ahlgren
Catharina Ahlgren, 1734 geboren, war Hofdame der schwedischen Königin Louisa Ulrika. Die Königin war eingefleischte Intrigantin und entließ Ahlgren aufgrund einer Verschwörung. Ahlgren verdiente sich fortan den Lebensunterhalt mit Schreiben, Herausgeben, Drucken und einer Buchhandlung.
Ahlgren heiratete zweimal und ließ sich zweimal scheiden. Sie hatte vier Kinder. Später zog sie nach Finnland, wo sie 1782 in der Stadt Åbo (heute Turku) als Herausgeberin von The Art of Correct Pleasing wirkte, einer der ersten finnischen Zeitungen. 1796 kehrte sie nach Schweden zurück und lebte bei ihrer jüngsten Tochter. Sie starb um 1800.
Hauptwerke
1772A Correspondence between a Woman in Stockholm and a Country Woman
1793Amiable Confrontations
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Anna Laetitia Barbauld, 1792
SCHLÜSSELFIGUR
Elizabeth Montagu
FRÜHER
1620 Catherine de Vivonne hält ihre ersten Salons in Paris, im Hôtel de Rambouillet, ab.
1670 Aphra Behn ist die erste Engländerin, die sich bekanntermaßen ihren Lebensunterhalt als Autorin verdient. Ihr Theaterstück The Forc’d Marriage ist ein voller Erfolg.
SPÄTER
1848 Das erste den Rechten der amerikanischen Frau gewidmete öffentliche Treffen findet in Seneca Falls, New York (USA) statt.
1856 Der Langham Place Circle kommt erstmals in London (England) zusammen, um für Frauenrechte einzutreten.
Im England des 18. Jahrhunderts entstand eine zunehmend reichere Mittelschicht. Die Freizeit nahm zu und es verbreitete sich eine Ideologie, die den öffentlichen vom privaten Bereich unterschied. Männer, damit beschäftigt, die ihnen durch Industrialisierung und Handel gebotenen Chancen zu nutzen, besetzten den öffentlichen Bereich und prägten die öffentliche Meinung, während Frauen im häuslichen Bereich »die Tugend nährten«.
In wachsender Zahl erschienen nun Pamphlete, Magazine und Benimmbücher, die das richtige weibliche Benehmen beschrieben, um Frauen zu ermutigen, ihre neue private Rolle, Zeichen eines Elitestatus, anzunehmen. Publikationen drängten Frauen, »Besserungsliteratur«, in erster Linie die Bibel und historische Werke, zu lesen. Von Romanen wurde abgeraten. In seinem Benimmbuch An Enquiry into the Duties of the Female Sex (1797) bezeichnete Thomas Gisborne diese als »insgeheim korrupt«. Die Forderung nach »Besserung« sollte Frauen anspornen, zu Hause einen hohen moralischen Standard zu pflegen, ihren Ehemännern pflichtgetreu zu dienen und so die Tugend der Gesellschaft insgesamt zu bessern. Doch die Literatur mehrte auch die Zahl der gebildeten Frauen, die die engen häuslichen Grenzen überwinden wollten. Nahrung lieferte ihnen eine wachsende Anzahl gedruckter Werke, die nicht nur die Leselisten der Benimmbücher bediente, sondern auch Romane, Zeitungen und Zeitschriften umfasste, die die Neugier der Frauen weckte. Doch in der häuslichen Sphäre blieben die Möglichkeiten, die öffentliche Debatte zu beeinflussen, begrenzt.
»Reichtümer zu verachten mag tatsächlich philosophisch sein, aber sie sinnvoll zu verteilen ist sicher von größerem Nutzen für die Menschheit.«
Fanny Burney
Manche gebildeten Frauen fanden gegenseitige Unterstützung in den »Salons«. Privilegierte Frauen, die solche Treffen zum Zweck der Debatte ins Leben gerufen hatten, sahen hier die Gelegenheit, durch Mäzenatentum und in Form gesellschaftlicher Zusammenkünfte ihre intellektuellen Fähigkeiten auszuleben und die Gesellschaft zu beeinflussen. Den wichtigsten Salon in London führte Elizabeth Montagu. Sie hatte in eine reiche Familie von Kohlenminen- und Grundbesitzern eingeheiratet. »
Um 1750 gründete sie mit Gleichgesinnten, allen voran der wohlhabenden irischen Intellektuellen Elizabeth Vesey, die Blaustrumpfgesellschaft. Der Name leitete sich von den blauen Garnstrümpfen ab, die Männer tagsüber gern über schwarzen Seidenstrümpfentrugen, und stand für Zusammenkünfte, die weniger formell waren als bei Hofe.
Die Blaustrümpfe brachten gebildete Frauen und ausgewählte Männer zusammen, um das »vernunftgemäße Gespräch« zu fördern, das eine moralische Besserung herbeiführen sollte. Die Mitglieder trafen sich in aller Regel einmal monatlich, vom späten Nachmittag und manchmal fast bis Mitternacht. Man trank eher Tee und Limonade als Alkohol und das Spiel, die übliche Zerstreuung bei gesellschaftlichen Anlässen, war verboten. Zwischen den Treffen gab es einen regen Briefwechsel Blaustrumpf zu Blaustrumpf. Von Elizabeth Montagu sind rund 8000 Briefe bekannt.
Jede Gastgeberin hatte ihren eigenen Stil. Die Treffen bei Elizabeth Vesey verliefen besonders informell. Stühle waren über den Raum verteilt, um kleine Diskussionsgruppen anzuregen. Elizabeth Montagu ordnete ihre Stühle im Halbkreis an, sie selbst saß in der Mitte. Eine weitere Gastgeberin, Frances Boscawen, hielt Salons in ihrem Landhaus Hatchlands Park in Surrey sowie in ihrem Londoner Haus in der Audley Street ab.
Mary, Herzogin von Gloucester (Mitte), prominente Fürsprecherin der Blaustrümpfe, stellt der feinen Gesellschaft die Dichterin und Theaterautorin Hannah More vor.
Die Blaustrümpfe förderten die Bildung für Frauen sowie Frauen, die bestrebt waren, ihr Leben durch Schreiben zu bestreiten, wie Fanny Burney, Anna Laetitia Barbauld, Hannah More und Sarah Scott (Elizabeth Montagus Schwester). Diese forderten traditionelle Vorstellungen von der Frau und ihren intellektuellen Fähigkeiten heraus, indem sie Kommentare zu klassischer Literatur verfassten sowie selbst Gedichte, Dramen und Romane schrieben.
Elizabeth Montagu reiste nach Paris, um Shakespeare gegen Angriffe des Schriftstellers und Philosophen Voltaire zu verteidigen. Ihr An Essay on the Writings and Genius of Shakespeare, erschien zuerst anonym, wurde von Kritikern gut aufgenommen und beschädigte Voltaires Ruf, als das Buch ins Französische übersetzt wurde. Über das Blaustrumpf-Mitglied Elizabeth Carter sagte Samuel Johnson, er kenne niemanden, der im klassischen Griechisch besser bewandert sei als sie. Mit der Zeit gelang es einigen Blaustrumpf-Mitgliedern, die nicht finanziell unabhängig waren, von ihrer Arbeit sogar zu leben.
Statt als Bedrohung für die etablierte männliche Vorherrschaft zu gelten, wurden die Blaustrümpfe als Bastion der Tugend und des Intellekts gepriesen. 1778 porträtierte der Maler Richard Samuel neun herausragende Mitglieder als die klassischen neun Musen und Symbole nationalen Stolzes. Doch hinter der Aura der Gelehrigkeit und Eleganz stand der Wunsch der Frauen nach einem Platz in der Öffentlichkeit. Daher hatte sich Elizabeth Montagu schon lange für die schottische Aufklärung interessiert, die für eine prominentere Rolle der Frauen eintrat.
»Our intellectual ore must shine, Not slumber idly in the mine. Let education’s moral mint The noblest images imprint.«
Hannah More»Basbleu« (»Blaustrumpf«)
Frauen der Oberschicht, darunter die Herzogin von Devonshire, demonstrieren 1784 zur Unterstützung des radikalen Politikers Charles James Fox. Um diese Zeit erhoben die Frauen ihre Stimmen.
Frauen bewiesen dort, wo es vielleicht am wichtigsten war – im Bereich der Ideen und der Intelligenz – dass sie Männern ebenbürtig waren. Als sie mehr Macht gewannen und manche literarisch Erfolg hatten, eigneten sich die Blaustrümpfe kollektives Denken und eine öffentliche Stimme an. 50 Jahre nach den ersten Blaustrumpf-Treffen hatten sich die gebildeten Frauen, die für gesellschaftliche Stabilität und Zusammenhalt standen, in Rebellinnen und Radikale gewandelt, die in der Ära der Revolutionen ans Licht traten.
»Es ist von den Männern sehr unvorsichtig es zu wagen, jene, denen sie ihre Ehre, ihr Glück und ihr Vermögen anvertrauen, zum Narren zu halten.«
Elizabeth MontaguBrief an die Herzogin von Portland, 26. Juli 1763
Der Salon
Man trinkt englischen Tee im Salon des Quatre Glaces im Pariser Palais du Temple im Jahr 1764, plaudert und hört Musik. Die zahlenmäßig überlegenen Frauen sind in männlicher Gesellschaft entspannt.
Das Wort »Salon« wurde erstmals im Frankreich des 17. Jahrhunderts gebraucht. Es leitet sich ab vom italienischen salone für »großer Raum«. Catherine de Vivonne, Marquise de Rambouillet (1588–1665), hielt als eine der ersten Frauen einen Salon in ihrem Pariser Haus ab, in einem Zimmer, das als Chambre bleue (Blaues Zimmer) bekannt wurde. Ihr Erfolg als literarische Gastgeberin inspirierte Frauen, als Salonnièren eine führende intellektuelle und gesellschaftliche Rolle einzunehmen. Salons waren respektierte Orte, an denen Frauen ihr intellektuelles Interesse zur Schau stellen konnten. Anfangs regten sie Diskussionen über literarische Werke an, später über politische und wissenschaftliche Ideen.
Salons blühten im 18. Jahrhundert in ganz Europa. Darunter waren auch der wissenschaftliche Salon von Julie von Bondeli in Bern (Schweiz) und der literarische Salon von Henriette Herz, einer emanzipierten Jüdin, in Berlin.
Elizabeth Montagu
Elizabeth Montagu, Schriftstellerin, Sozialreformerin und Literaturkritikerin, war die herausragende intellektuelle und künstlerische Mäzenin im England des 18. Jahrhunderts. 1718 geboren, besuchte sie als Kind oft Cambridge, wo ihr Stiefgroßvater Conyers Middleton eine akademische Stellung innehatte. Durch ihre Heirat im Jahr 1742 mit Robert Montagu, Enkel des 1. Earl of Sandwich, erhielt sie finanzielle Möglichkeiten, englische und schottische Schriftsteller zu unterstützen. Ab 1750 verbrachte sie die Winter in London, wo sie intellektuelle Gesellschaften gab und Freundschaften mit führenden Politikern und Literaten wie Samuel Johnson, Horace Walpole und Edmund Burke pflegte. Montagu führte ihren Salon in Mayfair 50 Jahre lang erfolgreich, bis zu ihrem Tod im Jahr 1800.
Hauptwerke
1760 Drei anonyme Dialoge in George Lyttletons Dialogues of the Dead
1769An Essay on the Writings and Genius of Shakespeare
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Olympe de Gouges, 1791
SCHLÜSSELFIGUREN
Olympe de Gouges, Judith Sargent Murray
FRÜHER
1752 In London sind Frauen zu »The Temple of Taste«, einer Veranstaltung mit öffentlichen Reden eingeladen, aber ohne mitdebattieren zu dürfen.
1762 Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau äußert in Émile, die Frau habe Ehefrau und Mutter zu sein.
SPÄTER
1871 Die Union des Femmes (Frauengewerkschaft) entsteht während der Pariser Kommune. Die Arbeiterinnen kämpfen mit Waffen für die Revolution, fordern gleiche Bürgerrechte und Gesetze für Frauen, das Recht auf Scheidung und gleiche Bezahlung.
Im 18. Jahrhundert veränderte die geistige Strömung der Aufklärung Europa und Nordamerika. Sie stellte die Vernunft und die Wissenschaft über Aberglauben und religiösen Glauben und propagierte neue Ideale von Gleichheit und Freiheit. Doch die Meinung darüber, ob die Freiheit und die gleichen Rechte für Frauen ebenso gelten sollten wie für Männer, war geteilt. Für den französischen Denker Jean-Jacques Rousseau waren Frauen von Natur aus schwächer und weniger rational als Männer und daher von ihnen abhängig. Andere wie die Philosophen Denis Diderot, Marquis de Concorcet, Thomas Hobbes und Jeremy Bentham erkannten öffentlich die intellektuellen Fähigkeiten der Frauen an und unterstützten ihr Ziel der Geschlechtergleichheit.
Beiderseits des Atlantiks suchten Frauen Foren, um sich aktiv an den intellektuellen Diskussionen ihrer Zeit zu beteiligen und ihre Ebenbürtigkeit mit Männern zu beweisen. In London öffneten sich öffentliche Debattierclubs, die ursprünglich von Männern dominiert waren, auch Frauen. Um 1780 florierten in London Debattierclubs für Frauen, etwa La Belle Assemblée, Female Parliament, Carlisle House Debates und Female Congress. Hier konnten Frauen öffentlich auf ihre Forderungen – gleiche Bildung, politische Rechte und bezahlte Arbeit – aufmerksam machen.
»[Die Frau] muss […] gleichermaßen beteiligt sein an der Verteilung der Posten, der Anstellungen, der Aufträge, der Würden und der Gewerbe.«
Olympe de Gouges, 1791
Denker der Aufklärung aus ganz Europa trafen sich wöchentlich im Salon der wohlhabenden Mäzenin Madame Geoffrin, hier bei der Lesung eines Dramas von Voltaire im Jahr 1755.
In Nordamerika und dann in Frankreich forderten revolutionäre Bewegungen die herrschende Ordnung heraus. Sie schufen ein politisches Milieu, in dem sich Frauen aktiv engagieren konnten. In den Jahren vor dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) begannen Frauen, an Debatten über das Verhältnis der Kolonien zu Großbritannien teilzunehmen.
Als die Townshend Acts von 1767–1768 Einfuhrzölle auf Tee und andere Waren verhängten, die an die britische Krone zu zahlen waren, organisierten amerikanische Frauen Boykotte gegen britische Waren. Manche tranken statt Tee nun Kaffee oder Kräutersude, andere unterstützten die Bewegung gegen die Einfuhr von Waren und für die nationale (patriotische) Sache, indem sie selbst Stoffe webten. Massentreffen zum Spinnen von Garn wurden von den Daughters of Liberty gesponsort – der ersten formellen Frauenorganisation, die die amerikanische Unabhängigkeit unterstützte. Sie war 1765 als Reaktion auf das britische Stamp Act entstanden, das den Kolonien höhere Steuern aufbürdete. Solche Maßnahmen ermutigten die Frauen, sich der Revolution anzuschließen.
Mit dem Kriegsausbruch im Jahr 1775 nahm das Engagement der Frauen weiter zu. Sie übernahmen Rollen außerhalb des Heimes, leiteten Firmen und trafen wichtige familiäre Entscheidungen, da ihre Väter und Gatten in die Armee eingezogen waren. Frauen wurden auch politisch aktiv. 1780 veröffentlichte Esther Reed den Handzettel »The Sentiments of an American Woman«, um mehr Frauen für die Unterstützung der patriotischen Sache zu gewinnen. Mit ihrer Kampagne sammelte sie 300 000 Dollar. Gemeinsam mit Sarah Franklin Bache, Tochter von Benjamin Franklin (einem der Gründungsväter der USA) rief Reed die Ladies Association of Philadelphia ins Leben, die größte Frauenorganisation der Amerikanischen Revolution. » Ihre Mitglieder gingen von Tür zu Tür, um Geld für die patriotischen Truppen zu sammeln.
Manche Frauen drangen weiter auf männliches Gebiet vor und wurden im Militär aktiv. So dienten Anna Smith Strong und Lydia Barrington Darragh der amerikanischen Armee als Spioninnen und erhielten Informationen über die Briten, die sie an General Washington weitergaben. Für das britische Königreich spionierte Ann Bates, die sich als Bettlerin verkleidet in ein Feldlager der amerikanischen Armee einschlich. Einige Frauen gaben sich sogar als Männer aus, um neben den Soldaten zu kämpfen. Deborah Sampson lud Kanonen und erhielt später eine Pension in Anerkennung ihres Militärdiensts in Washingtons Armee.
»Und Frauen« wird in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, dass »alle Menschen [engl. men] gleich geschaffen sind« auf diesem Titelblatt des Magazins Life ergänzt.
»Vergiss nicht, dass alle Männer Tyrannen wären, wenn sie es könnten.«
Abigail AdamsBrief an ihren Ehemann, den ehemaligen US-Präsidenten John Adams
In der Französischen Revolution (1789–1799), die hinsichtlich der Gleichberechtigung neue Fragen aufwarf, spielten Frauen von Beginn an eine aktive Rolle. Mit ihrem Zug auf den Palast von Versailles im Oktober 1789 und ihrer Forderung nach Brot erreichten Tausende von Arbeiterinnen, was der Sturm auf die Bastille am 14. Juli nicht vollbracht hatte: Sie stürzten die strauchelnde französische Monarchie. Doch als eine Gruppe Frauen der Nationalversammlung, nun regierendes Organ in Frankreich, eine sechs-seitige Petition vorlegte, mit der sie gleiche Rechte forderte, wurde diese nicht einmal diskutiert.
Französische Frauen setzen den Kampf um Gleichberechtigung auch in den 1790er-Jahren fort, als die Revolution sich ausweitete. Sie nahmen an öffentlichen Demonstrationen teil, gaben Zeitungen heraus und gründeten eigene politische Clubs, da sie von den Versammlungen der Männer ausgeschlossen waren. Am bemerkenswertesten war der 1793 gegründete Club der revolutionären republikanischen Bürgerinnen, der Geschlechtergleichheit und eine politische Stimme für Frauen forderte. Frauenclubs thematisierten auch die Bürgerrechte,verlangten den Titel citoyenne (Bürgerin) und alle Rechte und Pflichten, die ein Vollbürger einer Republik innehatte.
»Der Gedanke der Unfähigkeit der Frau ist … in diesem aufgeklärten Zeitalter vollkommen unstatthaft.«
Judith Sargent Murray
Eine Frau symbolisiert in Frankreich die Freiheit, wie in Eugène Delacroix’ Gemälde über die Julirevolution von 1830. Doch die Französinnen erhielten erst 1944 das Wahlrecht.
Inmitten des Kriegsgetöses verschafften wichtige Schriftstellerinnen der Diskussion um Frauenrechte weiter Gehör. Als die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution 1789 Recht und Freiheit für alle Menschen forderte, verfasste die Dramenautorin und Aktivistin Olympe de Gouges ihre Schrift Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (1791) und verlangte die Gleichstellung der Frau. In allen ihren Werken thematisierte sie die Werte der Aufklärung und deren mögliche Auswirkung auf das weibliche Geschlecht.
In Amerika widerlegte die Essayistin und Dramenautorin Judith Sargent Murray den verbreiteten Glauben an die Minderwertigkeit der Frau in ihrem wegweisenden Essay »On the Equality of Sexes«. Sie argumentierte, dass Frauen die gleichen Leistungen erbringen könnten wie Männer, wäre ihnen die gleiche Bildung erlaubt.
In Großbritannien betonte auch Mary Wollstonecraft in Die Verteidigung der Frauenrechte (1792) die Bedeutung der Bildung. Sie beschrieb, wie Mädchen von Kindheit an beigebracht wurde, sich unterzuordnen, und wie ihnen eingetrichtert wurde, dass sie Männern unterlegen seien – Vorstellungen, gegen die Wollstonecraft ihr Leben lang lautstark protestierte.
Trotz dieser Rufe nach Gleichheit fiel das Erbe der beiden Revolutionen für Frauen uneindeutig aus. Männliche Rollen in Kriegszeiten brachten die Debatte um Geschlechtergleichheit kaum voran. In Frankreich schreckte die Exekution dreier Aktivistinnen – Olympe de Gouges, Madame Roland und Charlotte Corday (die den Präsidenten der Jakobiner Jean-Paul Marat ermordet hatte) – Frauen vorübergehend vom Kampf um ihre Rechte ab.
Doch die Beispiele für politisch aktive Frauen sowie die Debatten und Schriften über Geschlechtergleichheit, die während der Aufklärung aufkamen und sich die beiden Revolutionen hindurch mehrten, sind fundamental für moderne feministische Forderungen und gaben Frauen im Kampf um Gleichberechtigung Auftrieb.
Olympe de Gouges
Olympe de Gouges, 1748 als Marie Gouze geboren, befreite sich von ihrer Herkunft als illegitime Tochter des Marquis de Pompignon sowie einer Zwangsheirat mit 16 Jahren und eroberte sich einen Platz in der französischen Aristokratie. Um 1780 begann sie, Dramen und politische Schriften zu verfassen, die die männliche Autorität in der Gesellschaft hinterfragten. Darüber hinaus sprach sie sich gegen den Sklavenhandel aus.
Mit ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin formulierte de Gouges als eine der Ersten überzeugende Argumente für volle Bürgerrechte und Gleichberechtigung der Frau. Während der Schreckensherrschaft, einer blutigen Phase der Französischen Revolution, wurde de Gouges wegen Kritik an der Regierung verhaftet und 1793 mit der Guillotine hingerichtet.
Hauptwerke
1788Lettre au peuple ou Projet d´une caisse patriotique
1790La nécessité du divorce
1791Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Mary Wollstonecraft, 1792
SCHLÜSSELFIGUR
Mary Wollstonecraft
FRÜHER
1700 In Some Reflections upon Marriage fragt die englische Philosophin Mary Astell, warum Frauen in die Sklaverei, Männer aber frei geboren sind.
1790 Die britische Historikerin Catherine Macaulay legt in ihren Briefen über Erziehungsfragen dar, dass Frauen nur aufgrund von mangelhafter Bildung den Eindruck erweckten, schwach zu sein.
SPÄTER
1869 Der britische Philosoph John Stuart Mill veröffentlicht Die Hörigkeit der Frau, ein kraftvolles Plädoyer für Gleichberechtigung, das er zusammen mit seiner Frau, der Feministin Harriet Taylor Mill, verfasst hatte.
Mary Wollstonecrafts Verteidigung der Frauenrechte von 1792 setzte ein kraftvolles frühes Zeichen für die Emanzipation der Frau von der Häuslichkeit. Ihre feministische Polemik war eine Antwort auf die Denker der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, u. a. den Philosophen Jean-Jacques Rousseau. Deren Forderung nach Freiheit sei ungerecht und widersprüchlich, solange sie Frauen weiter unterwerfe. Auch widersprach sie der Ansicht, Frauen seien weniger vernunftbegabt als Männer. »Wer machte den Mann zum einzigen Richter?«, fragte sie. Frauen seien vielleicht körperlich schwächer, des rationalen Denkens aber ebenso fähig wie Männer.
»Sie [wurde] als Spielzeug des Mannes geschaffen […], als seine Rassel, und die müsse in seinen Ohren klingeln, wann immer er, die Vernunft beiseite schiebend, Unterhaltung wünsche.«
Mary Wollstonecraft
Wollstonecraft begründet die Unterlegenheit der Frau damit, dass sie in der häuslichen Sphäre gehalten wird, gezwungen, den Männern als »Spielzeug« zu dienen. Die Gesellschaft lehre sie, dass Aussehen, die Meinung der Männer und Heirat wichtiger seien als geistige und persönliche Erfüllung. Nach einem Geschlechterstereotyp modelliert, den ihre Mütter förderten, würden Mädchen dazu erzogen, aus ihrem Aussehen Kapital zu schlagen, um einen Mann zu finden, der sie versorgen und beschützen würde.
Als erste Feministin nannte Wollstonecraft die Versorgungsehe eine Form der Prostitution – eine Aussage, die schockierte. Fehlende Mittel zwangen viele Frauen zur Heirat. Erniedrigt durch ihre Abhängigkeit vom Wohlwollen der Männer, seien sie de facto deren Sklavinnen. Ihr auf häusliche Belanglosigkeiten beschränktes Leben könne sie auch psychisch schädigen.
Um die Würde der Frau wieder herzustellen, fordert Wollstonecraft »eine Revolution der weiblichen Sitten«, gleiche Bildung für Männer und Frauen und sogar ein gemeinsames Schulsystem. Frauen sollen in der öffentlichen Sphäre präsent sein und einen Beruf erlernen, etwa in Medizin, Geburtshilfe und im Geschäftsleben. Sie drängt auf ein Ende der sozialen Geschlechterdifferenzierung. Gleiche Rechte für Frauen würden ihnen Kontrolle über ihr Leben geben.
Die Verteidigung wurde positiv aufgenommen, vor allem in intellektuellen Kreisen. Eine feindselige Presse bezeichnete Wollstonecraft jedoch als »Hyäne im Petticoat« in Anspielung auf ihr Aussehen und ihre unorthodoxe Lebensweise. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde ihr Buch nachgedruckt und von Persönlichkeiten wie der britischen Suffragette Millicent Fawcett und der amerikanischen Aktivistin Lucretia Mott bewundert. Noch Barbara Bodichon und Simone de Beauvoir griffen ihre fortschrittlichen Ideen auf.
Frauenarbeit im 18. Jh. war rein auf die häusliche Sphäre beschränkt. Wäscherinnen mochten zwar auch außerhalb arbeiten, erledigten aber Knochenarbeit für geringe Bezahlung.
Mary Wollstonecraft
Die anglo-irische Feministin und Radikale Mary Wollstonecraft wurde 1759 in London geboren. Ihr Vater war ein Tyrann und Verschwender. Ihre Bildung eignete sie sich im Wesentlichen selbst an. Mit einer Freundin gründete sie in London eine Schule. Nach deren Konkurs wurde sie Gouvernante in der Familie von Lord Kingsborough, eine Position, die sie hasste.
1790 arbeitete Wollstonecraft für einen Londoner Verlag und gehörte, mit Thomas Paine und William Godwin, einer Gruppe radikaler Denker an. 1792 lernte sie in Paris Gilbert Imlay kennen, mit dem sie eine Tochter, Fanny, hatte. Imlay war untreu, und so endete die Beziehung. 1797 heiratete sie Godwin und starb noch im selben Jahr, zehn Tage nach der Geburt ihrer Tochter Mary, die später als Mary Shelley den Roman Frankenstein schrieb.
Hauptwerke
1787Thoughts on the Education of Daughters
1790Verteidigung der Menschenrechte
1792Die Verteidigung der Frauenrechte
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Suzanne Voilquin, 1832
SCHLÜSSELFIGUR
Suzanne Voilquin
FRÜHER
1791 Olympe de Gouges fordert im revolutionären Frankreich mit Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin Geschlechtergleichheit.
1816 Der französische Aristokrat und Politiktheoretiker Henri de Saint-Simon legt in dem Aufsatz »L’Industrie« dar, dass eine produktive Gesellschaft, die auf echter Gleichheit und nützlicher Arbeit basiert, Glück bedeutet.
SPÄTER
Um 1870 Dem französischen Sozialisten und frühen Anführer der Arbeiterbewegung Jules Guesde zufolge lenkt der Kampf um Frauenrechte ab, diese kämen mit Abschaffung des Kapitalismus von selbst.
In vielerlei Hinsicht vertiefte die Industrialisierung die Kluft zwischen den Frauen der Mittel- und der Arbeiterschicht. Frauen beider Gruppen fühlten sich unterdrückt, aber während die Frauen der Mittelschicht, ausgeschlossen von ökonomischen Aufgaben in den neuen Industriezweigen, bessere Bildung, Zugang zu sinnstiftender Arbeit und das Wahlrecht forderten, waren die Arbeiterinnen, die durch ihre Tätigkeit in den neuen Fabriken zum Familieneinkommen beitrugen, weniger hörbar und viel stärker an einer Verbesserung ihrer Entlohnung und Arbeitsbedingungen interessiert. Manche setzten auf die Gewerkschaften, andere schlossen sich utopischen Bewegungen wie dem Saint-Simonismus an, der im Frankreich der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Mode war. Von den Ideen Henri de Saint-Simons inspiriert, strebte die Bewegung eine »Einheit der Arbeit« an, bei der alle Schichten zum gegenseitigen und gleichen Vorteil in einer zunehmend technisierten, wissenschaftlichen Welt zusammenarbeiteten. Der Saint-Simonismus propagierte eine gemeinschaftliche Lebensweise, befreit von der Tyrannei der Ehe, in der die femininen Prinzipien von Frieden und Mitgefühl aggressivere männliche Werte ersetzen sollten. Satirische Drucke der Zeit zeigten männliche Saint-Simonisten in Korsetts bei der Ausführung von Hausarbeit und ihre weiblichen Gegenparts bei Beschäftigungen, die als männlich galten, wie Jagen und Reden halten.
»Männer! Wundert euch nicht länger über die Unordnung, die in eurer Gesellschaft herrscht. Sie ist ein energischer Protest gegen das, was ihr allein getan habt.«
Suzanne Voilquin
Auch Suzanne Voilquin war vom Saint-Simonismus beeinflusst. Die französische Stickerin beschloss, als unabhängige Frau zu leben, nachdem sie sich in Freundschaft von ihrem Mann getrennt hatte. Sie wollte anderen ein Beispiel geben und sich dringend für den Saint-Simonismus einsetzen, insbesondere nachdem die Julirevolution von 1830 die Verhältnisse der Arbeiterschicht nicht verbessert hatte. Voilquin hatte selbst nach der Revolution Not gelitten, als die Nachfrage nach Luxuswaren stark sank und sie als Stickerin zeitweilig arbeitslos war.
1832 wurde Voilquin Herausgeberin der Zeitung La tribune des femmes, die sich für den Saint-Simonismus einsetzte. Frauen aller Klassen waren zu Beiträgen aufgefordert, vor allem Arbeiterinnen. Die Autorinnen publizierten unter ihrem Vornamen als Protest dagegen, dass sie bei der Heirat den Namen ihres Mannes annehmen mussten. Die Zeitung propagierte eine Allianz der »proletarischen« und »privilegierten« Frauen und die Schaffung einer nouvelle femme (neuen Frau). »Jede einzelne Frau wird einen Stein setzen, mit dem das moralische Gebäude der Zukunft gebaut wird«, sagte Voilquin. La tribune des femmes war der erste Versuch, ein weibliches Bewusstsein zu schaffen.
Mit fortschreitender Industrialisierung arbeiteten Frauen und Mädchen zunehmend außerhalb des Heims. Dieses Foto von 1898 aus Malaga (Spanien) zeigt Arbeiterinnen in einer Weberei.
Suzanne Voilquin
Die Tochter eines Hutmachers kam 1801 in Paris zur Welt. Ihre Kindheit war komfortabel, doch sie wünschte sich dieselbe Ausbildung wie ihre Brüder. Als ihr Vater bankrott ging und die Familie verarmte, wurde Voilquin Stickerin.
1823 heiratete sie und schloss sich dem Saint-Simonismus an, einer Frühform des utopischen Sozialismus. Ab 1832 gab sie nach der Trennung von ihrem Mann La tribune des femmes heraus, die erste feministische Arbeiterinnenzeitung. Sie schrieb über die Ungerechtigkeit der französischen Verfassung, die Frauen von öffentlichen Angelegenheiten ausschloss, und trat für deren Bildung und wirtschaftliche Unabhängigkeit ein. 1834 folgte sie dem Aufruf, den Saint-Simonismus zu verbreiten, und arbeitete in Ägypten als Krankenschwester. Später ging sie nach Russland und in die USA. 1860 kehrte sie nach Frankreich zurück und starb 1877 in Paris.
Hauptwerke
1866Souvenirs d’une fille du peuple
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Nana Asma’u, 1858/1859
SCHLÜSSELFIGUR
Nana Asma’u
FRÜHER
610 Der Prophet Mohammed erhält erste göttliche Offenbarungen, die später den Koran bilden.
SPÄTER
Um 1990 Scheich Ibrahim al-Zakzaky gründet die Islamische Bewegung in Nigeria, die Bildung für Frauen fördert.
2009 Die Taliban greifen Schulen im Swat-Tal (Pakistan) an. Die Überlebende Malala Yousafzai erhält 2014 den Nobelpreis für ihren Kampf für Menschenrechte und insbesondere Bildung für Frauen und Kinder.
2014 Die islamistische Gruppe Boko Haram entführt in der Stadt Chibok im Westen Nigerias über 200 Schülerinnen.
Sich zu bilden gilt jedem Moslem als Pflicht. Der Prophet Mohammed (571–632) betonte die Bedeutung des Lernens. Er sagte, ein Mensch, der nach Wissen strebt, erhält die gleiche spirituelle Belohnung, wie einer, der einen ganzen Tag gefastet und eine ganze Nacht Gebetswache gehalten hat. Die islamische Lehre unterscheidet nicht zwischen religiösem und weltlichem Wissen: Alles Wissen gilt als Teil der Menschheit.
Im Mittelalter blühten in islamischen Ländern die Wissenschaften. Gelehrte waren führend auf den Gebieten der Medizin, der Astronomie und der Mathematik. Sie berechneten den Erdumfang und formulierten die Prinzipien der Algebra. In der Frühzeit des Islam (7.–8. Jahrhundert) spielten Frauen für die Verbreitung des Wissens eine wichtige Rolle. Schiitischen Quellen zufolge besaßen Fatima, die Tochter des Propheten, und ihre Tochter Zainab eine lückenlose Kenntnis des Koran und des Hadith (Überlieferungen der Aussprüche und Handlungen des Propheten) und unterrichteten Frauen in Medina. Der Prophet selbst wies die Frauen der Stadt an, von Fatima zu lernen. Zainabs Neffe Ali ibn al-Husain (659–713), für den schiitische Zweig des Islam der göttlich ernannte Imam (Anführer), nannte seine Tante »Gelehrte ohne Lehrer«, womit er implizierte, dass sie sich das Wissen aus ihrer Umgebung einverleibt hatte.
»Das Streben nach Wissen ist eine Pflicht für jeden Muslim, Mann oder Frau.«
Prophet Mohammed
Etwa ab dem 11. Jahrhundert hatten muslimische Frauen keinen Zugang mehr zur selben Bildung wie Männer. Der Grund liegt teilweise im Patriarchat, das davon ausging, Männer würden mehr öffentliche Aufgaben übernehmen und daher eine höhere Bildung benötigen. Manche privilegierten Frauen nutzten jedoch ihr Vermögen und ihre Verbindungen, um diese Schranken zu überwinden und Bildung für Frauen zu finanzieren. Fatima al-Fihri gründete im Jahr 859 die Universität Al-Qarawiyyin in Fès (Marokko). Ibn Asakir (1106–1176), ein sunnitischer Gelehrter, der die islamische Welt bereiste, studierte den Hadith bei Hunderten von Lehrern, darunter 80 Frauen. Hajji Koka war Beraterin des indischen Mogulkaisers Jahangir (1569–1627) und nutzte ihren Reichtum für Stiftungen zur Bildung von Frauen. Zu den bemerkenswertesten Frauen des 19. Jahrhunderts zählt Nana Asma’u aus dem Kalifat Sokoto im heutigen Nigeria in Westafrika. Die Tochter des Kalifen wurde für ihre Weisheit gerühmt. Davon überzeugt, dass die Bildung für Mädchen fester Institutionen und Standards bedurfte, bildete sie ein Netzwerk von Frauen aus, Jajis genannt, die durch das Land reisten und Frauen zu Hause unterrichteten.
Nana Asma’us Vermächtnis lebt bis heute fort, trotz des Versuchs militanter Islamisten, Mädchen die Bildung zu versagen. Unzählige Schulen und Frauenorganisationen sind nach ihr benannt, und ihre Lehren sind in der Geschichte und Kultur Nigerias fest verankert. Sie gemahnt an die Bedeutung der Bildung für alle im Islam.
Ein Mädchen in Nigeria lernt mithilfe einer lawh (Holztafel) den Koran. Bis heute bilden solide Kenntnisse des Koran in vielen islamischen Ländern die Grundlage der frühen Bildung.
»Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern.«
Malala Yousafzai
»Wenn Mädchen keine Gelegenheit gegeben wird, zu studieren und zu lernen – ist das im Grunde, wie lebendig begraben zu sein.«
Scheich Mohammed Akram NadwiIslamischer Gelehrter
Nana Asma’u
Nana Asma’u, 1793 geboren, war die Tochter von Usman dan Fodio, dem Gründer des Kalifats Sokoto (1809–1903) in Westafrika. Wie ihr Vater war Nana Asma’u im Studium des Koran ausgebildet. Sie sprach vier Sprachen fließend und nutzte das Medium der Dichtung, um die Prinzipien des Kalifats zu lehren.
Als Nana Asma’us Bruder Mohammed Bello zweiter Kalif von Sokoto wurde, diente sie ihm als enge Beraterin. Ihr größtes Vermächtnis war ein Bildungssystem für Frauen. Als sie 1864 starb, hinterließ sie zahlreiche Werke – Dichtung sowie politische, theologische, politische und erzieherische Schriften auf Arabisch, Fula, Hausa und Tamascheq.
Hauptwerke
1997The Collected Works of Nana Asma’u Daughter of Usman dan Fodiyo (1793–1864)
IM KONTEXT
ZITAT IN DER ÜBERSCHRIFT
Margaret Fuller, 1845
SCHLÜSSELFIGUREN
Frances (Fanny) Wright, Harriet Martineau, Margaret Fuller
FRÜHER
1810 Schweden gewährt Frauen das Recht, in allen in Gilden organisierten Berufen, in Handel und Handwerk zu arbeiten.
1811 In Österreich wird verheirateten Frauen finanzielle Unabhängigkeit erlaubt und das Recht auf die Wahl eines Berufs gewährt.
SPÄTER
1848 Drei US-Staaten (New York, Pennsylvania und Rhode Island) erlassen neue Eigentumsgesetze, die Frauen Kontrolle über ihren Besitz geben.
1870 Ein neues Gesetz in Großbritannien erlaubt verheirateten Frauen, Geld zu haben und Besitz zu erben.
Als die industrielle Revolution (etwa 1770–1850) Anfang des 19. Jahrhunderts an Fahrt aufnahm, prüften Frauen ihren Status in Gesellschaften, für die die produktive Arbeit an Bedeutung gewann. Charles Fourier, französischer Philosoph und utopischer Sozialist, der den Begriff féminisme prägte, plädierte für eine neue Ordnung, die auf kooperativer Autonomie gleichberechtigter Männer und Frauen basierte. Frauen sollte jede Arbeit offenstehen, gemäß ihren individuellen Fähigkeiten, Interessen und Talenten. Ihr Beitrag, von patriarchaler Unterdrückung befreit, sei entscheidend für eine harmonische, produktive Gesellschaft. Seine Ansichten verbreiteten sich von Europa in die USA, wo ihre Anhänger um 1840 und 1850 utopische Kommunen gründeten, in denen Männer und Frauen gemeinschaftlich lebten und arbeiteten.
Frances (Fanny) Wright, gebürtige Schottin und in Amerika lebende Feministin, Freidenkerin und Abolitionistin, unterstützte Fouriers Ansichten. In Briefen, die 1821 in Views of Society and Manners in America publiziert wurden, versichert sie, dass amerikanische Frauen »ihren Platz als denkende Wesen« einnehmen würden, aber durch fehlende finanzielle Mittel und Rechte gehindert wären. Sie lebte in der utopischen Gemeinschaft von New Harmony (Indiana, USA) des walisischen Sozialreformers und Fourier-Anhängers Robert Owen und wurde als erste Frau in Amerika Herausgeberin einer Zeitung, The New Harmony Gazette. 1829 zog sie nach New York, brach das Tabu, dass Frauen öffentliches Reden verbot, und forderte in Vorträgen die Befreiung von Sklaven und Frauen, Rechte für Ehefrauen, ein liberales Scheidungsrecht und Geburtenkontrolle.
Die britische Schriftstellerin Harriet Martineau griff soziale, wirtschaftliche und politische Themen auf, die eher von Männern diskutiert wurden. Bekannt wurde sie durch ihre Illustrations of Political Economy (1832), 25 fiktive »Porträts«, die die Auswirkungen der wirtschaftlichen Bedingungen auf Menschen in verschiedenen Gesellschaftsschichten beschrieben. 1834–1836 war sie in den USA, um deren angeblich demokratische Prinzipien zu untersuchen. Ihren Befund veröffentlichte sie 1837 in Society in America. Frauen erhielten »Duldung statt Gerechtigkeit«, stellt sie fest, und fordert bessere Bildung für Frauen, damit sie ohne finanzielle Unterstützung und Kontrolle von Männern leben könnten.
Einige Jahre später schloss sich die US-Journalistin Margaret Fuller diesen Feministinnen mit Woman in the Nineteenth Century