Bildung in der nachberuflichen Lebensphase -  - E-Book

Bildung in der nachberuflichen Lebensphase E-Book

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Beschreibung

Bildung im Alter stellt eine wichtige Grundlage für die Gestaltung der nachberuflichen Lebensphase dar. Sie ist eine Voraussetzung für aktives und erfolgreiches Altern, soziale Teilhabe und Selbstbestimmung im Alter. In den letzten Jahrzehnten hat sich zu diesem Themenfeld ein vielfältiges und dynamisches Praxis- und Forschungsgebiet entwickelt. Dieses Handbuch stellt die unterschiedlichen Forschungsstränge und Praxiskonzepte zur Bildung im Alter im Zusammenhang dar und präsentiert sich dadurch als systematisches Nachschlagewerk für die theoretische und praktische Beschäftigung mit Fragen der Bildung im Alter.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort

Teil I: Einleitung

1 Bildung und Lernen in der nachberuflichen Lebensphase

1.1 Einleitung

1.2 Bildung im Alter – begriffliche Annäherungen

1.3 Lebenslanges Lernen mit Blick auf das Alter

1.4 Wirkungen und Handlungsfelder von Bildung im Alter

1.5 Aktives Altern

1.6 Fazit

2 Soziale Teilhabe und Bildung in der nachberuflichen Lebensphase

2.1 Einleitung

2.2 Zum Verständnis sozialer Teilhabe

2.3 Empirische Konstellationen

2.4 Fazit

Teil II: Zielgruppen der Bildung im Alter

3 Ältere als Bildungszielgruppe. Eine differenzierte Bestandsaufnahme

3.1 Einleitung

3.2 Begriffliche Ein- und Abgrenzungen

3.3 Genese der Bildungszielgruppe Ältere

3.4 Zielgruppenbestimmung Älterer – eine Bestandsaufnahme

3.5 Partizipativer Ansatz als Weg aus der Typisierung

3.6 Fazit

4 Frauen 60+ als Zielgruppe. Überlegungen und Vorschläge zur Gestaltung von Bildungsangeboten

4.1 Einleitung

4.2 Vorüberlegungen zur Bildungsarbeit mit Frauen in der nachberuflichen Lebensphase

4.3 Gestaltung von Bildungsangeboten für/mit Frauen (60+)

4.4 Fazit

Teil III: Bildungs- und Lernkonzepte im Alter

5 Geragogik

5.1 Einleitung

5.2 Definition und Verortung

5.3 Gegenstandsbereiche der Geragogik

5.4 Ziele und Aufgaben der Geragogik

5.5 Qualitätsmerkmale geragogischer Bildungsangebote

5.6 Anforderungen an Kursleitende und an geragogische Ausbildungsgänge

5.7 Fazit

6 Bildungsberatung für Menschen im Alter

6.1 Einleitung

6.2 Warum braucht es Bildungsberatung für Menschen im Alter?

6.3 Erfahrung aus dem Pilotlehrgang »Bildungsberatung für ein aktives Altern«

6.4 Fazit

7 Methodik und Didaktik des Lernens in der nachberuflichen Lebensphase

7.1 Einleitung: Aktiv Altern (er-)‌lernen

7.2 Zielgruppe Ältere in der nachberuflichen Lernphase

7.3 Didaktik für ältere Lernende

7.4 Gute Praxis

7.5 Intergenerationelles Lernen

7.6 Fazit

Teil IV: Qualität der Bildung im Alter

8 Good Practice als Wegweiser für Bildungsangebote im Alter

8.1 Einleitung

8.2 Praxis und Praxiswissen der Bildung im Alter

8.3 Good Practice als Qualitätsmerkmal der Bildung im Alter

8.4 Qualitätskriterien in der SeniorInnenbildung

8.5 Veränderungen und Wandel der Beobachtungs- und Bewertungskriterien

8.6 Good Practice vor dem Hintergrund sich wandelnder Bildungspraxis im Alter

8.7 Fazit

9 Qualitätssicherung und -entwicklung in der Erwachsenen- und Weiterbildung

9.1 Einleitung: Gestaltungsebenen von Qualität im erwachsenenpädagogischen Kontext

9.2 Genese des Qualitätsdiskurses

9.3 Diskussion um Qualität am Beispiel von Ö-Cert

9.4 Fazit: Schlussfolgerungen mit Blick auf den Bereich der nachberuflichen Bildung

10 Qualitätssicherung – Good-Practice-Auszeichnung in der digitalen SeniorInnenbildung

10.1 Einleitung: Qualität und Qualitätssicherung

10.2 Positionierung: Qualitätssicherung im Handlungsfeld der Bildung im Alter

10.3 Hintergrund und Relevanz von Qualitätssicherung in der digitalen SeniorInnenbildung

10.4 Selbstevaluierung und Good-Practice-Auszeichnung als Qualitätssicherung in der digitalen SeniorInnenbildung

10.5 Ablauf und Charakteristika der Good-Practice-Auszeichnung

10.6 Fazit

Teil V: Lernfelder im Alter

11 Lernorte im Alter

11.1 Einleitung

11.2 Lernort: eine begriffliche Annäherung

11.3 Formale, nonformale und informelle Lernorte im Alter

11.4 Informelles Lernen im Alter

11.5 Fazit

12 Digitale Bildung und digitale Kompetenzen im Alter

12.1 Einleitung

12.2 Digitale Teilhabe und digitale Kompetenzen

12.3 Entwicklung der digitalen Bildung in Österreich

12.4 Gegenwärtige Herausforderungen der digitalen Bildung

12.5 Fazit

13 Kulturelle Bildung und soziale Teilhabe im Alter

13.1 Einleitung: sozialpolitische Impulse für soziokulturelle Teilhabe im Alter

13.2 Kulturelle Kompetenzen und kulturelle Bildung im Alter

13.3 Empirisches Wissen zur kulturellen Teilhabe älterer Menschen in Österreich

13.4 Fazit und Ausblick

14 Die Bibliothek als sozialer Lernraum für Ältere

14.1 Einleitung: Imaginationsraum Bibliothek

14.2 Die Rahmenbedingungen öffentlicher Bibliotheken in Österreich

14.3 SeniorInnen im Bildungsraum Bibliothek

14.4 Inhaltliche Dimensionen

14.5 Fazit

15 Bildung und Freiwilligenengagement

15.1 Einleitung

15.2 Klärung relevanter Begriffe

15.3 Entwicklungslinien im Freiwilligen- und im Bildungsbereich in Österreich

15.4 Ausmaß der Freiwilligenarbeit von älteren Menschen in Österreich

15.5 Zusammenhang von freiwilligem Engagement und Bildung im Alter

15.6 Fazit

16 Wissenschaftliche Weiterbildung in der nachberuflichen Lebensphase: das Bildungsmodell »Vita activa«

16.1 Einleitung

16.2 Wissenschaftliche Weiterbildung in der nachberuflichen Lebensphase am Beispiel des Bildungsprogramms »Vita activa« der Universität Graz

16.3 Fazit

Teil VI: Zukunftsfragen für die Bildung im Alter

17 Zukunftsfragen für die Bildung im Alter

17.1 Einleitung

17.2 Welche gesellschaftliche Rolle hat Bildung im Alter?

17.3 Welche Angebote der Bildung im Alter braucht es?

17.4 Wie entwickeln sich Qualitätssicherung und Professionalisierung der Bildung im Alter?

17.5 Welche Fragen ergeben sich für die Grundlagenforschung zu Bildung im Alter?

17.6 Fazit – und zum Schluss?

Teil VII: Dokumentation

Aktivitäten des Sozialministeriums im Bereich Bildung im Alter 2001 – 2021

AutorInnenverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Die Herausgebenden

Franz Kolland ist Leiter des Kompetenzzentrums Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems.

© Sissi Furgler

Anita Brünner ist freiberufliche Erwachsenenbildnerin und Bildungsforscherin.

© S. Holzner Photography

Julia Müllegger ist Bildungsforscherin und Lektorin mit den Schwerpunkten lebenslanges Lernen und aktives Altern sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Bildungswissenschaften an der Universität Salzburg.

© Luiza Puiu

Vera Gallistl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (Post-Doc) am Kompetenzzentrum Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems.

Franz Kolland,Anita Brünner,Julia Müllegger,Vera Gallistl (Hrsg.)

Bildung in der nachberuflichen Lebensphase

Ein Handbuch

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.Im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-040772-5

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-040773-2epub: ISBN 978-3-17-040774-9

Vorwort

Dieses Vorwort ist an Frau MR.in Dr.in Elisabeth Hechl gerichtet, die sowohl dieses Buchprojekt als auch bahnbrechende Bildungsprojekte über zwei Jahrzehnte möglich gemacht hat.

Es gibt sie durchaus – engagierte und weit voraus denkende Menschen in der Verwaltung, die aus eben dieser Position heraus ihre humanitäre und soziale Grundgesinnung in eine wertvolle gesellschaftliche Wirkung zum Wohle jener Menschen transformieren, die der Aufmerksamkeit bedürfen. Wenn es eine verdient, unter diesen genannt zu werden, dann ist es MR.in Dr.in Elisabeth Hechl. Erfolgreiche Mentorin im Bildungs- und Sozialbereich, agiert sie in guter Tradition des amerikanischen Pragmatismus von William James nach der Maxime, dass die Wahrheit an ihrem praktischen Erfolg bemessen wird. Sie ist dabei eine jener Personen, die mit einem hohen Maß an Erreichbarkeit ausgestattet ist, die die Weite ihres Mitgefühls für die Bedürfnisse älterer Menschen ausdrückt.

In dieser Herangehensweise ist sie Vordenkerin und Wegbereiterin von zukunftsweisenden Projekten für ältere Menschen in Österreich und gelingt es, die Wirklichkeiten nach und nach zu bewegen und dadurch zu verändern. Typisch für diese ihre Haltung ist nach ihrem eigenen Bekunden: »Ich will einfach nicht akzeptieren, dass die ältere Generation in Österreich mit unzureichenden Bildungsangeboten altern muss. Ich stelle mir immer vor, wie ich mir persönlich mein Alter wünsche.«

Drei wesentliche Stationen auf dem Weg hin zu ihrer Tätigkeit in den letzten zwei Jahrzehnten sind einerseits ihr Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien, ihre Tätigkeit im Familienministerium unter Bundesministerin Gertrude Fröhlich-Sandner und im Frauenministerium unter der Leitung von Bundesministerin Johanna Dohnal. Mit dem Übertritt in das Sozialministerium Ende des Jahres 2000 verlagerte sich der thematische Schwerpunkt der Tätigkeit in Richtung ältere Menschen, wobei die Frauen nie aus dem Blick gerieten. In der Folge kam die Bildung im Alter in den Fokus ihres beruflichen Handelns. In dieser Tätigkeit konnten zahlreiche Erfolge verbucht werden. Allen voran waren es die Verankerung der Bildung im Alter im Bundesplan für Seniorinnen und Senioren und in der Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich sowie die Umsetzung von Projekten zur Erreichung der dort verankerten Ziele. Die Vielzahl der erfolgreichen Projekte ist in der Dokumentation im Anhang dieses Buches nachzulesen.

Elisabeth Hechl verkörpert Tatkraft und die echte Fähigkeit, Lösungen zu suchen, zu finden und v. a. umzusetzen. Ihr Engagement lässt sich mit einem alten französischen Sprichwort beschreiben:

»Wenn du einmal Erfolg hast, kann es Zufall sein. Wenn du zweimal Erfolg hast, dann kann es Glück sein. Wenn du dreimal Erfolg hast, so ist es Fleiß und Tüchtigkeit«.

Franz Kolland, Anita Brünner, Julia Müllegger und Vera Gallistl

Teil I: Einleitung

1 Bildung und Lernen in der nachberuflichen Lebensphase

Franz Kolland

Zusammenfassung

Bildung und Lernen in der nachberuflichen Lebensphase zeigen sich sowohl gesellschafts- und bildungspolitisch als auch wissenschaftlich und praktisch als anspruchsvolles Leitprogramm für das Alter. Anspruchsvoll ist es politisch deshalb, weil es darum geht, internationale Memoranden und Erklärungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene wirkmächtig zu machen. Herausfordernd ist dieses Programm in theoretisch-wissenschaftlicher Hinsicht, weil es zu klären gilt, wie sich Bildung und Lernen im Umfeld anderer Konzepte wie Wissen und Kompetenz verstehen lassen und wie sich die zwei Achsen des Lernens, nämlich Ort und Zeit, zueinander verhalten. Und die Bildungspraxis ist herausgefordert, dieses Programm qualitätsvoll, nachhaltig und niederschwellig zu gestalten und umzusetzen.

1.1 Einleitung

Normative Basis findet das Leitprogramm Bildung und Lernen in der nachberuflichen Lebensphase international in den Menschenrechten und den verschiedenen Dokumenten der Europäischen Kommission. In Österreich sind in der Strategie zum lebensbegleitenden Lernen LLL:2020 (2011) und im Bundesplan für Seniorinnen und Senioren (2012) Richtlinien festgelegt. In Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 ist das allgemeine Recht auf Bildung verankert. Wenn auch im Artikel selbst hauptsächlich die Elementar- und Grundschulbildung angesprochen werden, so ist grundlegend das Recht auf Bildung in allen Lebensaltern formuliert. Auf dieses Recht gilt es deshalb hinzuweisen, weil sich empirisch nachweisen lässt, dass der Zugang zu Bildung nicht in allen Lebensaltern in gleicher Weise gegeben ist (Kolland & Ahmadi 2010). Die Ausrichtung der Bildung auf Qualifikation führt dazu, dass Menschen, die sich nicht mehr im Erwerbsleben befinden, wenig an organisierter Bildung teilnehmen. Dezidierter und differenzierter formuliert werden Ziele für die nachberufliche Bildung in der Strategie LLL:2020. Diese zielt in der Aktionslinie 9 auf eine Bereicherung der Lebensqualität durch Bildung im Alter. Erreicht werden soll das dadurch, dass die Lernenden in den Mittelpunkt gestellt werden, wodurch es zu einer verstärkten Weiterbildungsteilnahme von älteren Menschen kommt. Der Bundesplan für Seniorinnen und Senioren geht in eine ähnliche Richtung, indem als Ziele Herstellung, Wahrung bzw. Hebung der Lebensqualität aller älteren Menschen formuliert sind. Angeführt werden kann an dieser Stelle noch die am 17. Juni 2022 beschlossene Ministererklärung von Rom, in der in einem eigenen Punkt zu aktivem und gesundem Altern auf die notwendige Stärkung der Teilhabe am lebenslangen Lernen hingewiesen wird. Zusätzlich wird verstärkte Forschung in diesem Feld gefordert1.

Diese Leitprogramme sind sowohl Ausdruck von als auch Vorgabe für einen Wandel von Bildung und Lernen im Lebenslauf. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren in Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung Begriffe wie SeniorInnenbildung oder Weiterbildung im Alter völlig ungeläufig. Man sah weder einen Bedarf für Bildung im Alter noch ein Bedürfnis nach Weiterbildung alter Menschen. Talente und Möglichkeiten wurden nachberuflich wenig genutzt, wie die Analysen von Tagesabläufen nach der Pensionierung zeigen (ÖSTAT 1995). Während im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts die Zeit für Lernen in jüngeren Altersgruppen deutlich gestiegen ist, blieb diese bei Personen in der nachberuflichen Lebensphase sehr niedrig. Erklärbar ist dies mit der gesellschaftlich geteilten Schwierigkeit, sich als Person außerhalb des Berufslebens neu zu positionieren und ein aktives Altern in der nachberuflichen Lebensphase umzusetzen. Selbst- und Fremdwertschätzung erfolg‍(t)‌en überproportional stark über den Beruf.

Angestiegen ist also zunächst die Bildungsbeteiligung in der Jugendphase. Diese seit den 1960er Jahren anhaltende Entwicklung hat dazu geführt, dass man von einer Bildungsexpansion spricht. Es sind »die Erfahrung des Verlustes von Hab und Gut, Haus und Hof im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges und der unmittelbaren Folgezeit [...] und die Vorstellung von Bildung als einem zunehmend wichtigeren Vehikel sozialen Aufstiegs in einer allem Anschein nach mobiler gewordenen Gesellschaft« (Krais 1996, S. 120 f.), welche diese Bildungsexpansion angetrieben haben. Mit dem Ausbau des Schulwesens sollte ein Abbau sozialer, geschlechtsspezifischer und regionaler Ungleichheiten in der Bildungspartizipation erreicht werden. In Österreich wurden über Reformen wie die Abschaffung des Schulgeldes oder der Hochschultaxen, durch Gratisschulbücher und Schulausbau im ländlichen Raum starke Impulse in Richtung mehr Bildungsgleichheit gesetzt.

Zu einem Schub in Richtung Lernen nach der Schule kam es gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Dieser Schub soll als zweite Bildungsexpansion bezeichnet werden, die durch die gesellschaftliche Verankerung des lebenslangen Lernens angetrieben wurde. Lernen wird während der Erwerbsphase zu einem Teil der Lebensführung. In all diesen Initiativen zur Förderung des lebenslangen Lernens zeigt sich aber eine nahezu ausschließliche Konzentration der bildungspolitischen Anstrengungen auf den Erhalt wirtschaftlicher Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit und damit einhergehend die weitgehende Reduktion lebenslangen Lernens auf das Arbeitsleben. Insbesondere die Lebensphase nach der Erwerbsarbeit wird in den frühen Konzepten des lebenslangen Lernens fast vollständig ausgeblendet. Lebenslanges Lernen wird wichtig, um die Qualifikationen der alternden Belegschaften zu erhalten und zu modernisieren. Höchst selten wird der epochale Gewinn an nachberuflicher Lebenszeit als ein Anlass für lebenslanges Lernen thematisiert. Erst zu Beginn der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts finden sich, wie oben angeführt, klar formulierte politische Ziele für Bildung und Lernen im späten Leben.

Es sind der technologische und soziale Wandel in der Gesellschaft und der Wandel des Alters selbst, die zu einer Veränderung der Rolle der Bildung im Lebenslauf beitragen. Zunehmend sichtbar wird eine neue Lebensphase Alter, in der nicht primär Ruhe gesucht wird, sondern Tätigkeit. Dieses Tätigsein ist nicht zu verwechseln mit der Geschäftigkeit, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Umfeld von SeniorInnenorganisationen und anderen ehrenamtlichen Handlungsfeldern etablierte. Während sich diese an der auf Leistung orientierten Arbeitswelt ausrichtete und da und dort zu einem Aktivsein um des Aktivseins willen führte, sucht das Tätigsein Selbsterfüllung und sozialen Sinn. Es ist v. a. das dritte Lebensalter, das sich zwischen die späte Erwerbsphase und das hilfe- bzw. pflegebedürftige Alter geschoben hat, welches neu zu gestalten ist. Dabei handelt es sich um jene Lebensphase, in der viele Menschen in den OECD-Ländern schon in Rente sind und über ausreichend Einkommen und einen guten Gesundheitszustand verfügen.

Trotz dieser Veränderungen und Fortschritte, die starke Signale in Richtung einer Bedeutungssteigerung von Bildung in der nachberuflichen Lebensphase setzen, zeigt sich eine Lücke (= »educational divide«), die auch für die Bildung in allen anderen Lebensphasen zu finden ist. Die Lücke besteht zwischen jenen, die Bildungsprivilegien sammeln, und jenen, die sie verlieren. Die Forschungslage ist hier eindeutig und belegt sowohl für Österreich selbst als auch im internationalen Vergleich eine deutlich überproportionale Weiterbildungsbeteiligung älterer Menschen mit hohem Bildungsstand (z. B. Kolland et al. 2020, Lottmann 2013, Kolland & Ahmadi 2010). Es kann sogar davon ausgegangen werden, dass sich Bildungsungleichheiten über die Lebensspanne verstärken. Eine mögliche Erklärung dafür ist im konzeptionellen Ansatz des lebenslangen Lernens selbst zu finden, eine andere in institutionellen Praktiken sowie in der Verfasstheit des Bildungssystems (Gerhartz-Reiter 2019). Das Bildungssystem ist durch erhebliche Zugangsbarrieren gekennzeichnet, und zwar sowohl in Hinsicht auf die Kosten als auch auf die Lernkulturen. Das soziokulturelle Umfeld und seine Gelegenheitsstrukturen haben einen großen Anteil an der Weiterbildungsbeteiligung im Alter (Gorges 2018). Diese sozial ungleichen Bildungsbedingungen im Alter führen zu Aufgaben für die Sozialpolitik. Es gilt nicht nur, individuellen Bildungserwerb über den gesamten Lebensverlauf zu fördern, um soziale Ungleichheiten im Zugang zu Bildung abzubauen, sondern auch, die gesellschaftliche Teilhabe und soziale Integration für bildungsbenachteiligte Gruppen im höheren Lebensalter sicherzustellen.

Die bevormundende Vorstellung, die sich im konzeptionellen Ansatz des lebenslangen Lernens findet (Brödel 1998), hat dazu geführt, dass inzwischen eher von »lebensbegleitendem Lernen« gesprochen wird (Strategie zum lebensbegleitenden Lernen 2011) bzw. einem »Lernen für ein langes Leben« (Hagestad 1999). Gemeint ist mit letzterem, dass es keine fixen Antworten gibt, es um ein Lernen des Lernens geht, das auch in der Lage ist, Ambiguitäten zu akzeptieren und zu ertragen. Die und der Einzelne ist mit der Aufgabe konfrontiert, Brüche in der Lebensführung und Differenzhaltungen aufgrund gesellschaftlicher Modernisierungen mit lebensgeschichtlichem Sinn zu verbinden. Lebensbegleitende Bildung, die den Kern einer expansiven Lerngesellschaft darstellt, ist demnach eine Synthesearbeit zwischen Selbst- und Weltbild, die eine Realitätsprüfung einschließt. Und diese Synthesearbeit findet sowohl in intergenerationellen als auch in altershomogenen Strukturen statt und ist auch nicht an formelle Lernorte wie z. B. Volkshochschulen gebunden.

Verändert hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die Rolle von Wissen in der Bildung. Durch die Digitalisierung der Gesellschaft wird das Wissen zu einem »doing knowledge«, zu einer Art Lebensform, die die Strukturen der Gesellschaft bestimmt und dynamisiert (Alheit & Dausien 2018, S. 884). Es geht nicht mehr um den Erwerb eines bestimmbaren Kanons von Wissensbeständen, sondern um eine ständige Veränderung über digitale Kommunikations- und Feedbackprozesse. Dieser Wandel hat mit dem Konzept der Kompetenz neben Bildung und Lernen einen dritten Schlüsselbegriff entstehen lassen.

Alle drei Basiskonzepte – Bildung, Lernen, Kompetenz – sollen im nächsten Kapitel näher ausgeführt werden, wobei diese drei Leitmotive »gerahmt« werden, und zwar sowohl durch eine Makro-Meso-Mikro-Perspektive als auch durch einen wissenschaftlichen Zugang. Dazu kommen als weitere Einflusskräfte auf das Lernen in der Spätlebensphase der Megatrend aktives Altern und die Lebenslaufperspektive. Schließlich sind die historische Entwicklung zu nennen und die Wechselwirkung, die mit den Handlungsfeldern des lebenslangen Lernens gegeben ist. Die Handlungsfelder des aktiven Alterns werden in weiterer Folge diskutiert.

Abb. 1.1:Systematik der Bildung in der nachberuflichen Lebensphase

1.2 Bildung im Alter – begriffliche Annäherungen

Eine Annäherung an den Bildungsbegriff führt in der Tradition des deutschen Humanismus früher oder später unweigerlich zu Wilhelm von Humboldt. Er bezeichnet Bildung als den Prozess der subjektiven Aneignung von Welt, in dem der (einzelne) Mensch seine Individualität und zugleich seinen Bezug auf Gesellschaft entwickelt (Pongratz & Bünger 2008). Beschränkt ist das Humboldtsche Bildungskonzept durch den ihm zugrunde liegenden statischen, auf die Einheit der Person abgestellten Identitätsbegriff. Die zweite Einschränkung ergibt sich aus der Vorstellung linear-kumulativer, letztlich zeitloser Bildungsprozesse. Modernitätskritische Analysen des Bildungsbegriffs weisen die Konzeption einer autonomen Subjektivität als idealistische Überhöhung zurück. Zurückgewiesen wird damit auch die Schwäche des traditionellen Bildungsbegriffs, der auf Höherentwicklung und Vervollkommnung zielte (Pongratz & Bünger 2008, S. 126).

Diese Diskussion zeigt bereits, dass sich der Begriff Bildung einer schlichten Definition entzieht, er ermöglicht nicht einmal eine Übersetzung in andere Sprachen. Der Konsens, dass Bildung auf Selbstbestimmung und Mündigkeit zielt, begründet noch keine eindeutige Definition. Bildung geschieht im Rahmen gesellschaftlicher Widersprüchlichkeiten von Selbstständigkeit und individueller Autonomie auf der einen, von Einordnung und gesellschaftlichem Zwang auf der anderen Seite, wie dies in der kritischen Bildungstheorie von Heinz-Joachim Heydorn formuliert ist (Euler & Pongratz 1995). Bildung erfordert und bedeutet Sachkompetenz, moralbegründete Kritik und Urteilsvermögen (Faulstich 2008). »Bildung heißt also, den gesellschaftlichen Widerspruch von eingeforderter Selbständigkeit und aufgeherrschtem Zwang aufzunehmen und auszutragen, um einer Aussicht habhaft zu werden, die über die jeweils vorfindliche Realität hinausführt« (Pongratz & Bünger 2008, S. 117). Bildung als Überschreitung bedeutet, sich nicht in der eigenen Vergangenheit festzusetzen, sondern die eigenen Erfahrungen zu hinterfragen. Indem Bildung Selbstbestimmung intendiert, setzt sie die Einzelnen zu sich frei; sie gewinnt eine notwendig emanzipatorische Dimension. Die Selbstständigkeit im Denken, die Fähigkeit, das Selbstverständliche zu bezweifeln und Zwecke zu setzen, weisen über jede Form der Fremdbestimmung hinaus.

Aus einer handlungstheoretischen Perspektive lässt sich unter Bildung der »bewusste, zielgerichtete Erwerb von neuen Erkenntnissen oder neuen Fertigkeiten« (Kalbermatten & Valach 2020, S. 81) verstehen. Unter diesen Bildungsbegriff fallen unterschiedliche Handlungen wie Kursbesuche, Lesen, die Beschaffung von verschiedenem Material, Exkursionen oder soziale Kontakte, die auf ein Bildungsziel oder Lebensprojekt hin organisiert werden. Bildung besitzt wie Handeln Prozesscharakter (ebd.). Bei einer handlungstheoretisch konzipierten Bildung steht primär die eigene Zielfindung des Individuums im Vordergrund. Es geht um das selbstaktive Individuum, das sich bildet und sein Leben bewusst gestaltet. Bildung ist lebenspraktische Klugheit und Lebensgestaltung. Dagegen wird bei den Begriffen Schulung, Erziehung oder Geragogik der Akzent auf eine Tätigkeit gesetzt, die mit einem älteren Menschen geschieht bzw. ihm angeboten wird, er wird erzogen, geschult oder auf etwas gelenkt (ebd.).

Bildung ist handlungstheoretisch zukunftsgerichtet, sie bedingt ein Wollen. Damit wird Vergangenheit nicht ausgeschlossen, aber es wird das Neue herausgestellt. Zu oft zielt Bildung im Alter auf Biografie- und Erinnerungsarbeit ab, viel seltener auf in die Zukunft gerichtete Sehnsüchte und Wünsche. Wenn im Alter der Bildungsinhalt das eigene Leben und die Auseinandersetzung mit Selektion von Sinnfindung in neuen Lebenslagen heißt, haben wir in Schule und Ausbildung zu wenig explizite Strategien erworben, wie wir Herausforderungen angehen, die nicht berufs- und wissensorientiert sind.

Bildung ist Voraussetzung für späte Freiheit. Sie verweist radikal auf Freiheit, auf die Nicht-Festgelegtheit des Individuums. Allerdings gehen die Vermittlung von Wissen und das Einüben von Können stets mit der Integration in gesellschaftliche Zusammenhänge einher. Das bedeutet, sich gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen, die aber die Voraussetzung für die Überschreitung bzw. Freiheit sind. »Bildung befindet sich damit«, wie Pongratz und Bünger ausführen, »in einer selbstwidersprüchlichen Situation. Sie muss verneinen, was sie bedingt« (Pongratz & Bünger 2008, S. 118). Bildung im Alter könnte dementsprechend verstanden werden als eine die Alltagserfahrung übersteigende reflexive Auseinandersetzung und soziale Ressource, die zu autonomer Lebensgestaltung und gesellschaftlicher Teilhabe führt (Bubolz-Lutz et al. 2010). Es geht um die Entfaltung von Identität und die Auseinandersetzung mit altersspezifischen Entwicklungsaufgaben in einer konkret-historischen Kultur und Gesellschaft (Kricheldorff 2010). Mit der Reflexion biografischer Erfahrungen als wichtige Orientierungshilfe für die bewusste Gestaltung des weiteren Lebens geht die Entscheidung einher, welche Lern- und Lebensziele im Alter verwirklicht werden sollen.

Schwieriger ist die Entscheidung, ob Bildung zu einer Veränderung der Perzeption und Interpretation sozialer Ereignisse im Sinne einer antizipatorischen Sozialisation führt und/oder als Kompensation von Einbrüchen sozialer Kontinuität anzusehen ist. Bildung kann einerseits zu einer Veränderung der Wahrnehmung und Interpretation sozialer Ereignisse beitragen. Sie hätte hier gewissermaßen Vorlaufcharakter: Ich lerne, wie ich Aufzüge und Rolltreppen besser bewältige, wie ich mich an betriebliche Umstellungen anpasse, wie ich durch entsprechende Ernährung und körperliche Betätigung mein Herzinfarktrisiko senke. Bildung und Lernen können aber auch nachholenden Charakter haben. Werden Bildungsprozesse erst im Nachhinein in Gang gesetzt, wenn Krisen auftreten, wenn es gilt, Einbrüchen sozialer Kontinuität gegenzusteuern (Arbeitslosigkeit, Beendigung der Erwerbstätigkeit, Tod des/der EhepartnerIn), und wenn auf technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht unmittelbar mit Verhaltensveränderungen reagiert wird, dann kann von einer nachholenden Bildung gesprochen werden.

1.3 Lebenslanges Lernen mit Blick auf das Alter

Im Anschluss an die Definition der Europäischen Kommission (2001) wird Lernen als lifelong und lifewide (Alheit & Dausien 2018, S. 879) begriffen und es wird davon ausgegangen, dass es nicht nur in formalen, pädagogisch gestalteten Institutionen stattfindet, sondern in großem Umfang auch in informellen Settings. So entstehen Lernumwelten, in denen sich die verschiedenen Lernarten ergänzen. Mit lifelong ist die Zeitlichkeit angesprochen, mit lifewide die Lernorte. Lernen geschieht in zeitlicher Hinsicht über den gesamten Lebenslauf. Für die Pädagogik bzw. Andragogik impliziert dies eine Abkehr von der Orientierung an unterschiedlichen Altersgruppen bzw. Lebensphasen hin zur Betrachtung der Veränderungen, Entwicklungen und Verläufe über das ganze Leben. Lernen im Lebenslauf ist eingebunden in den Lebenszusammenhang und erfordert eine Prozessperspektive. Dieses Eingebundensein in den Lebenszusammenhang wird mit lifewide beschrieben. Lernprozesse ergeben sich und entstehen im alltäglichen und beruflichen Lebenszusammenhang, in Vereinen, in politischen und kulturellen Einrichtungen und im Kontext von (Neuen) Medien.

Lernen kann verstanden werden als Ergebnis psychologischer Mechanismen der Erfahrungsverarbeitung. Dementsprechend ist Lernen als Prozess zu definieren, der zu relativ stabilen Veränderungen im Verhalten oder im Verhaltenspotenzial führt (Zimbardo 1992). Es kann aber auch im Kontext der Lebensbewältigung verstanden werden, d. h., es ist auf Lerninhalte, Aktivitäten, Kontexte und Ergebnisse gerichtet. Im Diskurs der Erziehungswissenschaft findet sich keine eindeutige Bestimmung des Lernbegriffs (Hof & Rosenberg 2018).

Ein weiterer Zugang zum Lernbegriff ist über die Unterscheidung von expansivem und defensivem Lernen möglich (Holzkamp 1995). Beim defensiven Lernen lässt sich die lernende Person von Anforderungen leiten, die von außen herangetragen werden. Defensives Lernen dient der Abwehr von Bedrohungspotenzialen. Das expansive Lernen ist im Unterschied zum defensiven Lernen vom eigenen Interesse der Lernenden bestimmt. Verknüpfen lässt sich dieses mit »lebensentfaltender Bildung« (Faulstich 2003), die das utopisch-kritische Potenzial von Lernen aufnimmt. Es geht um die Bedeutsamkeit einer erfahrenen Problematik für die Lernenden selbst, um Eigensinn und Unverfügbarkeit. Diese Perspektive beruht auf dem subjektwissenschaftlichen Begriff des Lernens von Klaus Holzkamp (1995). Begründet wurde mit dem expansiven Lernen ein Paradigmenwechsel, d. h. ein Wechsel von einem Bedingtheits- zu einem Begründungsdiskurs. Nicht ein externer Reiz bedingt unmittelbar eine Reaktion, sondern Menschen haben subjektive Gründe für ihr Lernen. Diese subjektiven Gründe sind lebensweltorientiert und ausgerichtet auf eine Erweiterung der eigenen Handlungsspielräume.

Welches Lernprofil weisen Lernende im späten Leben auf? Seit rund einem Vierteljahrhundert hat sich hier die Erkenntnis durchgesetzt, dass Lernende im mittleren und höheren Alter sowohl hinsichtlich ihrer soziodemografischen Merkmale sehr heterogen sind als auch in ihren Motivationslagen und den sich daraus ergebenden Bedürfnissen (Kolland & Ahmadi 2010). Lebenslanges Lernen im Alter vollzieht sich dabei auf unterschiedlichen Ebenen: der nachberuflichen Sozialisation (Stichwort: Qualifizierung für nachberufliche Tätigkeitsfelder), der persönlichen Entwicklung (Stichwort: Selbstentfaltung) und der partizipativen Weltgestaltung und Problemlösung (Stichwort: Freiwilligentätigkeit).

Ein Bezugspunkt für Lernen im Alter ist das Konzept des transformativen Lernens (Mezirow 2000). Dabei kommt es zu einem Infragestellen des bisherigen Selbst- und Weltbilds, wobei Grundstrukturen des Denkens und Handelns berührt werden. Lernen im Alter erfordert dafür Vergessen und Selbstbezug und ermöglicht auf diesem Weg eine Erhöhung der eigenen Selbstwirksamkeit anstelle bloßen Anhäufens von Kenntnissen. Transformatives Lernen bezieht sich auf einen Prozess, bei dem wir unsere als sicher angenommenen Vorannahmen erweitern und verändern. Wer sich emotional und reflexiv öffnet, schafft die Voraussetzung dafür, sich zu verändern. In den Vordergrund gerückt werden Selbsttätigkeit und Selbstreflexion, die jedes rein funktionale Training übersteigen. Gemeint sind damit Prozesse der Selbsterfahrung, in denen sich die und der Einzelne ihrer und seiner Veränderungen »bewusst« wird, Abhängigkeiten und Fremdbestimmtheit reflektiert. Lernen bezieht sich dabei auf diskontinuierliche Veränderungen im praktischen Selbstverhältnis von Personen.

Es wäre aber ein Missverständnis, würde lebenslanges Lernen ausschließlich als eine individuelle Bringschuld verstanden werden. Was als Anforderung an die Individuen beschrieben ist, markiert zugleich und unabdingbar eine Verpflichtung für Gesellschaft und Politik, den institutionellen Rahmen und die sozialen Verhältnisse so zu gestalten, dass die Individuen die Anforderungen bewältigen, die dafür notwendigen Kompetenzen ausbilden und weiterentwickeln können. Die starke Subjektivierung des Konzepts lebenslangen Lernens entlässt die Institutionen der Weiterbildungssteuerung und die Organisationen der Erwerbsarbeit nicht aus ihrer Verantwortung für die Bereitstellung von Ressourcen und Angeboten, definiert aber das Verhältnis von Individuum und Organisation neu.

Kompetenz und ihre Bedeutung für die Bildung im Alter

Alltagssprachlich wird der Begriff Kompetenz dafür verwendet, eine hohe Leistungsfähigkeit auf einem bestimmten – klar umrissenen – Gebiet zu bezeichnen. Kompetenz ergibt sich meist aufgrund von Spezialisierung, Professionalisierung und lang andauernder Beschäftigung mit einem Gegenstand oder Fachgebiet. Wissen und der gezielte und sichere Umgang mit diesem sind Merkmale von Kompetenz. In der wissenschaftlichen Diskussion wird dem Kompetenzkonzept seit etwa zwanzig Jahren hohe Aufmerksamkeit beigemessen. Die vorhandenen Definitionen stimmen darin überein, dass sich Kompetenz auf ein komplexes und pädagogisch anwendbares Modell von persönlichem Können bzw. Handeln-Können bezieht, es also immer um Handlungskompetenz geht (Kellner 2005). Dementsprechend bezeichnet Kompetenz – sehr vereinfacht – das Handlungsvermögen einer Person (Arnold 2010, S. 172). Sie umfasst Kenntnisse, Fertigkeiten, Haltungen, Eigenschaften und Werte.

Roth (1971) verbindet den Kompetenzbegriff mit Mündigkeit:

»Mündigkeit, wie sie von uns verstanden wird, ist als Kompetenz zu interpretieren, und zwar in einem dreifachen Sinne: a) als Selbstkompetenz (self competence), d. h. als Fähigkeit, für sich selbst verantwortlich handeln zu können, b) als Sachkompetenz, d. h. als Fähigkeit, für Sachbereiche urteils- und handlungsfähig und damit zuständig sein zu können und c) als Sozialkompetenz, d. h. als Fähigkeit, für sozial, gesellschaftlich und politisch relevante Sach- oder Sozialbereiche urteils- und handlungsfähig und also ebenfalls zuständig sein zu können« (Roth 1971, S. 180).

In der Kompetenzforschung wird zwischen (geistiger) Fachkompetenz, (instrumenteller) Methodenkompetenz, (kommunikativer) Sozialkompetenz, (reflexiver) Personalkompetenz und Handlungskompetenz unterschieden (Erpenbeck & Heyse 1999). Die Europäische Kommission hat sogar acht Kompetenzbereiche definiert, die als »Schlüsselkompetenzen« zu sozialer Inklusion führen sollen. Diese reichen von Grundkompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften über Lernkompetenzen bis hin zu sozialer oder unternehmerischer Kompetenz (Europäische Kommission 2007).

Kompetenzen im engeren Sinn, wie sie für die Bildungsforschung relevant sind, können nur im gesellschaftlichen Diskurs definiert werden. Niemand ist an sich kompetent, sondern Kompetenz entsteht in einem Zuschreibungsprozess (Truschkat 2010, S. 70 f.), Kompetenz lässt sich also nicht absolut bestimmen. Sie ist ein Begriff, der eine Relation bezeichnet. Damit ergeben sich zwei wichtige theoretische Wurzeln, nämlich Kontextualität und Transaktionalität. Die erste verweist auf die Tatsache, dass Verhaltenspotenziale und ihre Veränderungen in der Biografie nicht aus der Wirkung einzelner Faktoren, sondern nur aus den Wirkungszusammenhängen sozialer, psychischer, ökologischer Einflussgrößen erklärbar sind. Die zweite unterstreicht, dass dieses Verhältnis zwischen Handeln einerseits und Umfeld andererseits immer als prozesshaft verstanden und analysiert werden muss. Jeder äußere Eindruck wird nach Maßgabe bereits vorhandener Schemata einer Person aufgenommen.

In der Gerontologie – speziell in der deutschsprachigen – wurde das Kompetenzmodell in den späten 1980er Jahren eingeführt. Unter Kompetenz werden aus der Sicht der Gerontopsychologie all jene Fähigkeiten verstanden, die zu »einer selbständigen, der natürlichen und sozialen Umgebung angepassten Lebensweise beitragen« (Thomae 1987, S. 9). Die mit dem Älterwerden verbundenen Rollenverluste und Normunsicherheiten bergen Chancen für Kompetenzzugewinn, aber auch Gefahren der Anomie. Kompetenzgewinne und -verluste werden dabei beeinflusst von gesellschaftlichen Werten. Aus dem Verlust gesicherter Normen im Alter wird die Aufforderung abgeleitet, im Alter eigene Normen zu entwickeln, die sich von jenen in anderen Lebensphasen unterscheiden. Kompetenz im Alter wäre demnach erst dann möglich, wenn es altersspezifische Normen gibt. Zu diesen altersspezifischen Normen gehören Gelassenheit, Freiheit, Verantwortung im intergenerationellen Gefüge etc. Eine gewisse Berechtigung hat dieses Argument deshalb, weil erst spezifische Altersnormen tatsächlich gewährleisten würden, dass das Verhalten älterer nicht ständig mit dem jüngerer Menschen verglichen wird.

Der hier vorgestellte psychogerontologische Kompetenzbegriff weist allerdings dort konzeptionelle Defizite auf, wo er die Chancen individuellen Handelns gleichsam bedingungslos postuliert. Hervorgehoben wird, dass die und der Einzelne selbst »Anstrengungen« unternehmen muss, um kompetent zu sein. Denn günstige situationelle Voraussetzungen (hohes Einkommen, gute Gesundheit) seien zwar notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für soziale Kompetenz.

Auf Basis der konzeptionellen Bestimmung von Kompetenz lassen sich Indikatoren zur Kompetenzmessung bestimmen. Diese reichen von der Lösung praktischer Aufgaben (wie z. B. Kochen, Benutzung des Telefons und öffentlicher Verkehrsmittel, selbstständiges Einkaufen und Geldmanagement [North & Ulatowska 1981, S. 576]) bis hin zu Gedächtnisleistungen und allgemeinen Elementen der Umweltanpassung (wie z. B. die Fähigkeit, mit einer neuen Umgebung fertigzuwerden, die Bemühung um Ausweitung des sozialen Lebenskreises, Grad und Art außerfamiliärer Rollen [NachbarIn, Vereinsmitglied], Extension und Qualität des Zukunftsbezugs [Thomae 1987]).

Sozialpsychologisch und soziologisch gesehen ist das Individuum nicht nur kompetent durch die Fähigkeit, Alltagssituationen zu bewältigen, es braucht ebenso sehr das Gefühl sozialer Anerkennung durch die anderen wie auch das Gefühl, sozialen Einfluss zu haben. Ältere Menschen benötigen, weil Altern mit Verlustprozessen verknüpft ist, verstärkt soziale Anerkennung. Die Konsumkulturen der Freizeitwelt im Alter vermögen nur teilweise, dieses Defizit zu kompensieren. Kompetent fühlt sich jedenfalls eher die- oder derjenige Ältere, die/der von anderen anerkannt wird, indem sie/er bestimmte Tätigkeiten ausübt und in diesen die eigenen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen kann.

Fassen wir die Diskussion zu Bildung, Lernen, Kompetenz zusammen, dann steckt in dieser Diskussion auch eine Entwicklungsgeschichte, und zwar von der Bildung als Prozess des Erwerbs und der Erweiterung von Wissen (Kurse, Vorträge) über Bildung als Prozess des Erwerbs und des Erhalts von Kompetenz (Gedächtnistraining, Führerschein, Gesundheitssport) bis hin zu einer Bildung als reflexiver und transformativer Prozess (Identitätsbildung, Projektlernen). Dieses letztere Bildungsverständnis könnte mit einem erweiterten Lernbegriff erfasst werden, nämlich dem des lebensentwerfenden Lernens, das deutlich über ein wissens- und kognitionsorientiertes Lernen hinausgeht. Das wird in dem folgenden Zitat aus dem Kinderbuch von Elaine L. Konigsburg »From the Mixed-Up Files of Mrs. Basil E. Frankweiler« (2007) ausgedrückt:

»I think you should learn, of course, and some days you must learn a great deal. But you should also have days when you allow what is already in you to swell up inside of you until it touches everything. And you can feel it inside you. If you never take time out to let that happen, then you just accumulate facts, and they begin to rattle around inside of you. You can make noise with them, but never really feel anything with them. It's hollow.« (Konigsburg 2007, S. 153)

1.4 Wirkungen und Handlungsfelder von Bildung im Alter

Welchen Sinn hat Bildung im Alter? Der Wert von Bildung ist schwer abzuschätzen, weil es sich um kein homogenes Gut handelt und er wohl auch davon abhängt, um welche Art von Bildung es geht. Weiter erschwerend wirkt die Tatsache, dass viele Arten von Wissen fast ausschließlich innerhalb von Netzwerken, bestimmten Gruppen und selbstgesteuert angesammelt und ausgetauscht werden. Das macht es praktisch unmöglich, derartigem Wissen einen Wert zuzumessen. Weiter muss bei der Bewertung der Wirkungen einer Bildungsteilnahme auch die »Bildungskarriere« des einzelnen Individuums berücksichtigt werden.

Welche Zweifel und Unsicherheiten hinsichtlich des Wertes von Lernprozessen im Alter bei den Älteren selbst anzutreffen sind, veranschaulicht eine Untersuchung über langjährige Bildungsteilnehmende (Kade & Seitter 1996). In dieser heißt es: Zuweilen stehen die Befragten ihren langjährigen Lernprozessen eher fassungs- und begriffslos gegenüber. Die Interviewten werden vom Zweifel an ihren Aktivitäten heimgesucht und wissen dann nicht zu sagen, ob und welchen Sinn ihr Lernen überhaupt hat (ebd., S. 251). Gleichzeitig finden wir ein zunehmend marktförmig organisiertes Spektrum von BildungsanbieterInnen, die eine kaum noch überschaubare Vielfalt von Aktivitäten und Themenfeldern offerieren. Es handelt sich dabei um Angebote mit einem mehr oder weniger deutlichen Lernanspruch, die sich in zahlreichen Kombinationen von Bildung mit Freizeitgestaltung, Geselligkeit, Unterhaltung und Konsum an ältere Menschen richten.

Der OECD-Report zum lebenslangen Lernen (1996) stellt vier Wirkungen von (kontinuierlicher) Weiterbildung heraus, nämlich

1.

den Abbau sozialer Ungleichheit,

2.

soziale Kohäsion bzw. Integration,

3.

persönliche Entwicklung und

4.

Aktivität als solche.

Beim ersten Faktor, der Reduktion sozialer Ungleichheit, wird von der Überlegung ausgegangen, dass es normalerweise diejenigen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sind, die am häufigsten und dauerhaftesten von sozialer Ausgrenzung betroffen sind, dass folglich Bildung ein wirksamer Schutz gegen soziale Ausgrenzung ist. Über eine Stimulation von Lernprozessen später im Leben könnten Chancen auch für jene gesellschaftlichen Gruppen eröffnet werden, die nicht zu den »Bildungsprivilegierten« gehören. Allerdings bilden sich beim Zugang zu lebenslangem Lernen die sozialstrukturellen »Hürden« Alter, beruflicher Status, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit wieder ab.

Bildungsteilnahme eröffnet – als zweiter Faktor – eine Chance der sozialen Teilhabe und sozialen Bindung. Die Teilnahme an Bildungsprozessen bedeutet eine Möglichkeit, der Ausdünnung sozialer Beziehungen gegenzusteuern (Kolland 1995). Ältere Menschen, die Institutionen aufsuchen, um zu lernen, tun dies häufig mit der Absicht, sich auszutauschen und mit anderen gemeinsam Lernerfahrungen zu machen. In Kontakten mit anderen kann sich die/der Einzelne vergleichen, sie/er konfrontiert sich, um Unsicherheiten und Ambiguitäten zu mindern. Dabei stehen Ältere eher vor Problemen sozialer Identifikation als Jüngere. Sie können sich nach dem Alter verschiedene Bezugsgruppen wählen: Jüngere oder Ältere, Jüngere und Ältere.

Persönliche Entwicklung – als dritter Faktor – ist insofern mit lebenslangem Lernen verbunden, als über Lernen Performanz und Produktivität beeinflusst werden. Da dem Lernen im dritten und vierten Lebensalter berufsvorbereitende, berufsqualifizierende oder auf den Beruf gerichtete weiterbildende Funktionen fehlen, verändert sich seine Zielorientierung. Lernen kann zu einer Aktivität werden, die ihren Sinn stärker in sich selbst finden muss, für das Wohlbefinden des Individuums von hohem Wert sein mag, nach außen hin jedoch kaum direkte Wirkungen zeigt und wenig mit materieller Vergütung zu tun hat. Dies kann entweder dazu führen, dass Ältere nach einem Anwendungsbezug ihrer Bildungsaktivitäten in nachberuflichen Aktivitätsfeldern suchen oder aber gerade in der Freiheit gegenüber unmittelbarer Verwertbarkeit des Erlernten den besonderen Vorteil sehen.

Zu berücksichtigen ist schließlich der vierte Faktor, die Rolle von Bildung als Freizeitaktivität bzw. als Aktivität, die zu anderen Aktivitäten stimuliert. Generell kann gelten, dass die verschiedenen rezeptiven und reproduktiven Aktivitäten der Lebensführung und der Symbolkultur durch wechselseitige Stimulierung miteinander verbunden sind (Rosenmayr 1983).

Handlungsfelder für ein aktives Altern

Die Bildungsangebote für ältere Menschen zeigen eine große Vielfalt in den Themen und Inhalten. Die Begründung dafür kann sowohl in den Bedürfnissen älterer Menschen gesehen werden als auch in Veränderungen der Rahmenbedingungen, d. h. in der Angebotsstruktur. Neben den traditionellen Bildungseinrichtungen finden sich weitere AnbieterInnen von Bildung im Alter. Hinsichtlich der jeweils angebotenen Inhalte und der entsprechenden Ziele sind meist nur geringe Unterschiede zwischen Erwachsenenbildungseinrichtungen und Einrichtungen, die eher im Sozial- und Freizeitbereich angesiedelt sind, zu sehen. Fast in allen Organisationen finden sich die gesamte Bandbreite der Kursthemen sowie ähnliche Zielvorstellungen. Sehr überspitzt formuliert könnte auf einer Oberflächenebene von einer Austauschbarkeit der Programme gesprochen werden. Deutliche Unterschiede bestehen aber im Detail, wo unterschiedliche Teilnehmendenstrukturen (mehr junge Alte oder mehr alte Alte, mehr bildungsnahe oder mehr bildungsferne Gruppen), unterschiedliche Ausstattungen (mehr oder weniger gut mit neuen Technologien ausgestattete Kurse), unterschiedliche Entlohnungen und unterschiedliche Lagen/Standorte gegeben sind.

Deutliche Defizite in den Angeboten werden dort sichtbar, wo sich Erwachsenenbildung primär auf berufliche Weiterbildung konzentriert und Bildungsangebote unter marktlichen Bedingungen realisiert werden. Berufliche Weiterbildung führt dazu, dass Menschen schon im mittleren Erwachsenenalter eine deutlich abnehmende Bildungsbeteiligung aufweisen. Wenn Bildung hauptsächlich auf Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit ausgerichtet ist, sinkt das Interesse von Menschen, auch jenseits der Erwerbsarbeitsphase an Bildung teilzunehmen. Marktförmige Bildungsangebote haben außerdem den Nachteil, dass sie bildungsferne Gruppen kaum erreichen, weil diese nicht nur von ihren Einstellungen her der Bildung fernbleiben, sondern sich bestimmte Kurse schlicht nicht leisten können.

Als Handlungsfelder des aktiven Alterns (▶ Abb. 1.2) können angeführt werden: Freiwilligentätigkeit, soziale Teilhabe/Partizipation, lebenslanges Lernen/lebenslange Bildung, Kulturaktivitäten/Bibliotheksnutzung, digitale Medien und Bildungsberatung für ältere Menschen.

Abb. 1.2:Handlungsfelder aktiven Alters2

1.5 Aktives Altern

Ein wesentliches Konzept, das die Vergesellschaftung des Alters und das lebensbegleitende Lernen unterstützt, ist jenes des aktiven Alterns, welches in der Alternsforschung eine rund siebzigjährige Entwicklungsgeschichte hat. Die in den 1950er Jahren entwickelte Aktivitätstheorie (Havighurst & Albrecht 1953) ist nicht nur als Gegenthese zur biologischen Vorstellung zu verstehen, wonach das Alter als defizitäre Lebensphase einzustufen ist, sondern auch als ein Modell, das der Leistungsorientierung in der Gesellschaft entspricht. Aktivität in Form von Betriebsamkeit, Rastlosigkeit, Unternehmungslust ist Kennzeichen für eine okzidentale Lebensführung und wirtschaftlichen Erfolg in der Arbeitsgesellschaft. Und sie steht in einem Zusammenhang mit einer hohen Lebenserwartung. Die für das Alter lange gesellschaftlich vorgesehene und akzeptierte Ruhestandsorientierung gilt inzwischen als inadäquate Handlungsoption. In der Arbeit mit alten Menschen und in der Sozialpolitik wurden diese Werte verstärkt. So hat die Aktivitätstheorie 2002 in ein Grundlagenpapier der WHO Eingang gefunden. Die WHO versteht unter aktivem Altern den Prozess der Optimierung der Möglichkeiten von Menschen, im zunehmenden Alter ihre Gesundheit zu wahren, am Leben ihrer sozialen Umgebung teilzunehmen, ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten und derart ihre Lebensqualität zu verbessern (WHO 2002, S. 12).

Der Sozialpolitikforscher Alan Walker (2009) sieht aktives Altern und Wohlbefinden als einen Wechselwirkungsprozess. Fünf Schlüsselprinzipien sind für aktives Altern entscheidend:

1.

Aktivität sollte aus bedeutungsvollen Tätigkeiten bestehen, die zur Lebensqualität beitragen.

2.

Aktives Altern sollte primär ein präventives Konzept sein, d. h. den gesamten Lebenslauf erfassen.

3.

Angesprochen werden sollten alle älteren Menschen, d. h. auch gebrechliche und pflegebedürftige Personen.

4.

Intergenerationelle Solidarität ist Bestandteil des aktiven Alterns. Dabei geht es um Fairness und gemeinsames Tun.

5.

Aktives Altern enthält Rechte und Verpflichtungen. Dazu gehört auch die Verpflichtung, lebenslang zu lernen.

Die Stützung der eigenen Identität ist umso spezifischer und stärker, je größer die Affinität bzw. Nähe zur jeweilig ausgeübten Aktivität, also die persönliche Involviertheit in die Aktivität, ist. Kelly und Ross (1989) kommen auf der Basis ihrer empirischen Studien zu der Schlussfolgerung, dass »High-investment«-Aktivitäten eine höhere Lebenszufriedenheit erzeugen. Ein solches erhöhtes Investment ist bei jenen Aktivitäten gegeben, »die über einen längeren Zeitraum ausgeübt werden, die eine gewisse Anstrengung und Ressourcen verlangen, den Erwerb von Fertigkeiten einschließen und deren Ergebnis zu einer erhöhten Kompetenz und Selbstwertschätzung führt« (Kelly & Ross 1989, S. 57).

Nicht berücksichtigt wurden im ursprünglichen Aktivitätsmodell die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Aktivitäten. Generell kann gelten, dass die verschiedenen rezeptiven und reproduktiven Aktivitäten der alltäglichen Lebensführung und der Symbolkultur durch wechselseitige Stimulierung miteinander verbunden sind. Es sind immer mehrere Faktoren, die eine zufriedenstellende Selbstrealisierung in Gang setzen und schließlich gewährleisten. Eine starke Vereinsaktivität führt z. B. nicht zu einem geringeren Engagement in anderen Freizeitbereichen, sondern verstärkt dieses vielmehr (Rosenmayr & Kolland 2002, S. 272). Menschen mit einem hohen Aktivitätsniveau neigen dazu, sich in vielen Lebensbereichen zu betätigen. Umgekehrt führt ein geringes Aktivitätsniveau zu einer Beschränkung des Handlungsfeldes auf zumeist einen Lebensbereich. In diesem Zusammenhang könnte von einer kumulativen Aktivitätssteigerung gesprochen werden.

Bildung und soziale Teilhabe

Bildung im Alter ist nicht nur an Kompetenzerwerb und Reflexion orientiert, sie ist auch eine sozial gerichtete Tätigkeit. Damit wird kompetenzorientiertes Lernen in Richtung einer sozial-reflexiven Tätigkeit erweitert. Statt Anpassung der Individuen an den sozialen Wandel geht es um die Betonung der Handlungsfähigkeit älterer Menschen (»agency«) in Richtung einer Stärkung der kollektiven Kapazität. Statt um Kompetenzentwicklung geht es um eine Orientierung an der Praxis der Teilnehmenden. Neben einer wissenschaftlich und fachlich fundierten Vermittlung braucht es Lehrende, die in die Milieus ausgegrenzter Gruppen eingebunden sind und deren Lebenswelt thematisieren.

Soziale Teilhabe bzw. Ausgrenzung beginnen bereits beim Zugang zu Bildungsangeboten. Wer nicht die entsprechenden Voraussetzungen mitbringt, d. h. auf eine erfolgreiche Bildungskarriere zurückblickt, nimmt seltener an Bildungsprozessen teil. Ältere Menschen werden in einer wirtschaftlich orientierten Gesellschaft einfach nicht mehr gebraucht, weshalb gegenwärtig ein vergleichsweise geringes Bildungsinteresse älterer Menschen festzustellen ist. Bildung ist für große Gruppen älterer Menschen nicht üblich und interessiert daher nicht. Sie werden durch die gängigen Bildungsprogramme nicht angesprochen. Fremdsprachenangebote, Seidenmalerei, Fotobearbeitungskurse und Tai-Chi »passen« nicht in ihren Lebensalltag.

Ältere Menschen mit wenig Bildungserfahrung »rechnen« die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs oder Scheiterns von Lernbemühungen mit den Zumutungen, Entbehrungen und Chancen auf. Es ist das »Risiko des Scheiterns«, welches verständlich werden lässt, warum entsprechende Schritte unterlassen werden. So findet sich dann bei lernungewohnten älteren Menschen das Einstellungsmuster »Ich konnte mich nicht aufraffen« und »Es zahlt sich nicht aus« (Kolland & Ahmadi 2010).

Mangelnde soziale Teilhabe bedingt eine doppelte soziale Exklusion, sie führt zu Gefühlen der Einsamkeit und reduziert soziale Aktivität, weil entsprechende Kompetenzen durch fehlende Lernaufforderungen und Lernmöglichkeiten verloren gehen. Bei alleinlebenden älteren Menschen, die keine sozialen Netzwerke aufweisen, besteht bei sonst gleichen Bedingungen ein größeres Risiko für Demenzerkrankungen (Fratiglioni et al. 2004).

Für die Realisierung von sozialer Teilhabe und lebenslangem Lernen ist es ganz entscheidend, über ökonomische, soziale und kulturelle Ressourcen zu verfügen bzw. diese mobilisieren zu können. Es geht nicht nur um soziale Integration der/des Einzelnen, sondern um eine Veränderung bestehender Strukturen und Auffassungen, die zu Bedingungen führen, die Bildungsteilnahme und Bildungsteilhabe gewährleisten.

Beratung für ein aktives Altern

Der Europäische Rat schuf 2004 für die Bildungsberatung im Alter eine Grundlage durch den Beschluss, besonderes Augenmerk auf den Ausbau der Bildungsberatung für Personen jeden Alters und jedes Lebensabschnitts zu richten. In Österreich findet sich eine entsprechende Empfehlung in der Strategie zum lebensbegleitenden Lernen. In dieser ist in der Aktionslinie 9 das Ziel der Bildungsberatung für ein aktives Altern angeführt. Qualifizierte Unterstützung und Begleitung sollen einen Rahmen bieten, in dem Selbstreflexion und Auseinandersetzung stattfinden und sich Menschen in einem geschützten Raum neu orientieren können. Eine entsprechende Zielvorgabe ist auch im Bundesplan für Seniorinnen und Senioren enthalten. Mit einem eigenen Weiterbildungsprogramm unterstützt das österreichische Sozialministerium die Qualifizierung von Personen für die Tätigkeit der Bildungsberatung im Alter.

Die Notwendigkeit einer eigenen Bildungsberatung für ältere Menschen ergibt sich aus dem Umstand, dass das gegenwärtige Altern deutungsoffen ist und diese Offenheit sowohl Chancen eröffnet als auch Unsicherheiten und Irritationen auslöst. Wenn auch das Altern selbst als eine Art natürlicher Reifungsprozess begriffen werden kann, der durch Anpassungsprozesse gekennzeichnet ist und dadurch keiner Intervention bedarf, so bietet Bildungsberatung eine Gelegenheit, die gewonnenen Lebensjahre reflexiv zu gestalten. Die Bildungsberatung stellt nicht nur eine Möglichkeit zur Selbstreflexion dar und ist damit selbst ein Bildungsprozess, sie ist darüber hinaus ein Instrument, um innovative Projekte in Gang zu setzen.

Bildungsberatung vermittelt zwischen der individuellen Lebenssituation und Bildungsentscheidungen. Diese Lebenswelt- bzw. Alltagsnähe gewährleistet, dass Bildung sozial niederschwelliger wird. Niederschwelligkeit heißt, dass Bildungsangebote leicht zugänglich und kostengünstig sind. Beratung hilft dabei, individuelle Lerninteressen in einem persönlichen Gespräch in Bildungsbeteiligung, freiwilliges Engagement oder selbst organisierte Lernprozesse zu übersetzen (Bubolz-Lutz 2003). Niedrigschwellige Bildung braucht es für jene älteren Menschen, die Ängste haben, zu versagen, die um ihr Selbstvertrauen ringen.

Bildungsberatung für Menschen im Alter unterscheidet sich von herkömmlicher Bildungs- und Berufsberatung v. a. in ihrer Motivation und ihren Zielen. Ihr liegt ein breiterer Bildungsbegriff zugrunde (vgl. dazu Kolland et al. 2018). Statt auf Verwertbarkeit von Bildung auf dem Arbeitsmarkt zielt die Bildungsberatung in der nachberuflichen Lebensphase auf die Vergesellschaftung älterer Menschen im weiteren Sinn. Anstelle von Karrierezielen stehen Sinnfragen im Alltag und die individuelle Lernbiografie im Vordergrund.

Wechselwirkungen zwischen Freiwilligentätigkeit, Bildung und aktivem Altern

Im Factsheet »Freiwilligentätigkeit und Bildung im Alter« (Kolland & Oberbauer 2017) ist angeführt, dass 72 % der befragten ÖsterreicherInnen über 15 Jahre als Beweggrund für ihr Engagement angeben, damit die Möglichkeit zu haben, dazuzulernen (BMASK 2013). Höher gebildete Personen finden eher einen Zugang ins freiwillige Engagement. Im Engagement selbst zeigt sich jedoch keine höhere Weiterbildungsbeteiligung dieser Gruppe, denn sobald sich weniger gebildete Personen engagieren, unterscheidet sich ihre Teilnahmewahrscheinlichkeit nicht von jener der Personen mit höherer Bildung (Simonson et al. 2016).

Wird dieser Zusammenhang in Hinsicht auf die Lebensphase Alter diskutiert, dann zeigen sich mehrere Spezifika. Ein erstes Spezifikum ist die mit fortschreitendem Alter zunehmende Bedeutung des unmittelbaren Lebensraumes. Sowohl die Freiwilligentätigkeit als auch die mit ihr verknüpften Lernprozesse haben im Alter einen anderen Raumbezug als in anderen Lebensphasen. Ein zweites Spezifikum ist der Erfahrungsbezug. Bildungsprozesse sind genauso wie freiwilliges Engagement im Alter stets von Erfahrungen begleitet und wirken wechselseitig. Die Freiwilligen bringen mit, was sie vom Leben gelernt haben (Kade 2009). Ein drittes Spezifikum lässt sich in der Aktivitätsform finden. Sowohl die Freiwilligentätigkeit als auch die Bildung im Alter sind wenig formalisiert, haben einen starken Charakter der Selbststeuerung. Nicht zuletzt beeinflussen sich Freiwilligentätigkeit und Bildungsaktivität gegenseitig positiv: Freiwillig tätige Personen nehmen häufiger an Weiterbildungsangeboten teil und Menschen, die Weiterbildung in Anspruch nehmen, sind auch häufiger ehrenamtlich tätig (Baumgartner et al. 2013). Es erhöht also nicht nur die Weiterbildungsbeteiligung im Alter die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, sondern das ehrenamtliche Engagement fördert Bildungsprozesse und Kompetenzentwicklung über den Weg des Erfahrungslernens.

Kulturelle Bildung – die Bibliothek als Lernort

Der Bereich von Kunst und Kultur wird als besonders geeignet für Lernen und Bildung für ältere Menschen hervorgehoben (z. B. Clift 2012). In Anlehnung an De Groote und Neubauer (2008) ist kulturelle Bildung jede Aneignung und Sicherung von künstlerischen Kompetenzen in den Erfahrungsräumen kultureller Bildung, wobei sowohl die aktive Praxis als auch das Erlernen neuer Fertigkeiten als Aneignung verstanden werden. Zudem umfasst kulturelle Bildung auch die Nutzung kulturpädagogischer Methoden zu allgemeinbildenden Zielen. Als Erfahrungsräume kultureller Bildung lassen sich bildende Kunst, Theater, Musik, Literatur und Medien anführen, aber auch darstellende Kunst, politische Bildung, interkulturelle Bildung oder Fremdsprachen.

Kulturelle Bildung kann einerseits durch »education in the arts« und andererseits »education through the arts« erfolgen (Bamford 2009). Bei »Bildung in den Künsten« können in kulturpädagogischen Angeboten Wissen und Fertigkeiten zum Verständnis und zur Ausübung künstlerisch-kreativer Aktivitäten in den verschiedenen Kunstsparten (z. B. bildende Kunst, Musik, Literatur) erworben werden. Bei »Bildung durch die Künste« können durch die Beschäftigung mit Kunst und Kultur Schlüsselkompetenzen wie Kreativität, Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit auch in vielen anderen Arbeits- und Lebenszusammenhängen Wirkung entfalten. Durch das Medium der Künste finden Lern- und Auseinandersetzungsprozesse des Menschen mit sich, seiner Umwelt und der Gesellschaft statt, Veränderungsprozesse können reflektiert, kommuniziert und verarbeitet werden (z. B. Ermert et al. 2008). Kulturelle Bildung und Teilnahme an kulturellen Angeboten werden damit zu einem Schlüssel für Integration und Lebensqualität, auch im höheren Alter.

Die UNESCO (2006) beschreibt vor dem Hintergrund des Menschenrechts auf Bildung und Kultur, dass kulturelle Bildung dazu befähigen soll, den eigenen kulturellen Interessen zu folgen, künstlerisch-ästhetische Wahrnehmung zu entwickeln und am kulturellen Leben teilzuhaben. Kulturelle Bildung soll so zur Ausformung der Individualität und Integration in der Gesellschaft beitragen (Weißhaupt & Zimmer 2013). Bildung in der Kunst lehrt praktische Herangehensweisen und theoretische Grundsätze der künstlerischen Disziplinen und soll dazu beitragen, kulturelle Identität zu entwickeln (Bamford 2009). Es geht darum, Wissen und Fähigkeiten zum Verständnis künstlerisch-kreativer Arbeit in unterschiedlichen Kunstsparten aufzubauen und selbst kreativ aktiv zu werden.

Digitale Medien/Kompetenz

Digitale Technologien, v. a. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wie Computer oder Smartphones, sind wesentlicher Bestandteil der meisten Lebensbereiche geworden. Daher haben digitale Kompetenzen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und wurden 2018 vom Rat der Europäischen Union als zentrale Grundkompetenzen neben Lesen, Schreiben und Rechnen genannt (Rat der Europäischen Union 2018). Während die Zahl von IKT-NutzerInnen weltweit stetig gestiegen ist, bestehen weiterhin deutliche Altersunterschiede (Seifert & Rössel 2019). In einer Eurostat-Erhebung von 2019 haben 41 % der 65- bis 74-Jährigen angegeben, das Internet nicht zu nutzen (Eurostat 2019). Es ist aber nicht nur die Nutzung der Technologie, sondern es sind auch die digitalen Kompetenzniveaus stark alterskorreliert, wobei ältere NutzerInnen (50 – 65 Jahre) niedrigere computerbasierte Problemlösungskompetenzen aufweisen als jüngere (16 – 49 Jahre) (Kolland et al. 2014). Dies verweist darauf, dass sowohl der Zugang als auch die Kompetenz und die daraus resultierenden Effekte der Internetnutzung nach Altersgruppen sehr unterschiedlich sind.

1.6 Fazit

Im vorliegenden Buch geht es darum, die Lernbedürfnisse und Lernsituationen von Menschen in der dritten Lebensphase darzustellen. Der Blick richtet sich auf die heute Lernenden bzw. Teilnehmenden von Bildungsveranstaltungen in diesem Lebensabschnitt. Aber es geht dabei nicht nur um die Gegenwart, sondern auch um die Zukunft mit mehreren Trends und Entwicklungen.

Erstens ist der demografische Wandel zu nennen: Durch die demografische Entwicklung kommen bereits heute verstärkt Menschen in die nachberufliche Lebensphase, die aufgrund der bildungspolitischen Maßnahmen der 1970er Jahre in Österreich eine höhere Schulbildung als die vorhergehenden Generationen aufweisen. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann davon ausgegangen werden, dass die höheren Schulbildungsniveaus im Alter zu einem stärkeren Interesse an Weiterbildung führen. Dieser Trend wurde schon in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich spürbar.

Zweitens ist eine weiter steigende soziale Heterogenität in der Lebensphase Alter feststellbar: Die Heterogenität im Alter ergibt sich aus Veränderungen in den Lebensformen und Lebensstilen. Der starke Anstieg von Singlehaushalten und die Varianz in den Lebensstilen führen zu einer Vielfalt von Lerninteressen. Das bedingt eine starke Differenzierung der Zielgruppe mit neuen Herausforderungen und Chancen für die Bildung im Alter.

Drittens ist Alter zunehmend durch Entwicklung gekennzeichnet: Der Blick auf die Bildungsangebote für Menschen in der nachberuflichen Lebensphase, wie er in diesem Buch vermittelt wird, verweist sehr deutlich auf einen Paradigmenwechsel. Standen noch vor zwei Jahrzehnten kompensatorische Lernangebote wie Gedächtnistraining im Vordergrund, so richten sich Bildungsangebote heute viel stärker auf die Hebung des Alterspotenzials, auf Entwicklung und persönliches Wachstum.

Darstellen wollen wir in diesem Buch auch, wie Bildung wirkt. Was gewinnen ältere Menschen aus der sozialen Inklusion in Bildungsprozesse? Auch wenn wir unser ganzes Leben lernen und dies nicht notwendigerweise in organisierter Form tun müssen, so sehen wir erhebliche positive Wirkungen auf die Lebensqualität im Alter, wenn ältere Menschen geleitet und unterstützt lernen.

Es braucht eine Weltzugewandtheit des einzelnen älter werdenden Menschen. Gemeint sind damit Wachheit, Interesse, Anteilnahme, Mitverantwortung (Stricker 2021). Im Gegenzug dazu ist aber auch ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich. So sind wir aufgefordert, das eigene Altersbild zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Es gilt zu überlegen, was die Gesellschaft, was wir alle dazu beitragen können.

Wenn es um die Teilhabe und Partizipation der älteren Generation geht, dann braucht es ein besonderes Augenmerk auf die sozial und wirtschaftlich benachteiligten älteren Menschen. Niederschwellige Möglichkeiten der Bildungsteilnahme erhöhen die aktive Teilhabe. Um die in diesem Kontext entstandenen fortschrittlichen Potenziale einer kritischen Geragogik nutzen zu können, bedarf es einer übergeordneten Strategie eines neuen Gesellschaftsvertrages, in dem ältere Menschen selbst im Bündnis einer pluralen Bewegung zu gesellschaftspolitischen AkteurInnen werden.

Aus der Tatsache, dass in der Praxis zwar ein vielfältiges Angebot und Wissen um die Bedürfnisse älterer Menschen gegeben sind, dieses Wissen aber nicht systematisch beobachtet und weiterentwickelt wird, leitet sich ein ständiger Forschungsbedarf ab. Neue Modelle, Module und Ansätze für die Bildungsarbeit mit älteren Menschen müssen entwickelt und erprobt werden. Dabei ist ein ständiger Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zur Weiterentwicklung des Feldes günstig. Das Stichwort dazu lautet: partizipative Forschung. Soziale Teilhabe gilt es nicht nur im Zusammenhang mit der Teilnahme von älteren Menschen zu gewährleisten, sondern auch über partizipative Prozesse im Konnex von Wissenschaft und Praxis.

Das hier vorgelegte Buch belegt über die Vielfalt der Beiträge die äußerst lebendige Entwicklung des Bildungs- und Lerngeschehens in der nachberuflichen Lebensphase. Gezeigt und analysiert werden die Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre, die auch schon auf die künftigen Entwicklungen hinweisen.

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2 Soziale Teilhabe und Bildung in der nachberuflichen Lebensphase

Anton Amann

Zusammenfassung